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In der Liebe und im Krieg.
"Roman der Liebe" nannte Arnold Zweig dieses Buch. Aber es ist keine gute Zeit für die Liebe. Während an der Westfront dem Armierer Werner Bertin der patriotische Rausch gründlich verfliegt, kämpft in Berlin Lenore Wahl, behütete Tochter aus gutem Hause, gegen Familie, Konvention und Krieg. Zudem hat sie den Konflikt einer ungewollten Schwangerschaft zu bewältigen und die schwere Entscheidung zur Abtreibung.
Auf dieses Buch reagierte die Presse, als es Ende 1931 erschien, denkbar kontrovers und verunsichert. Viele Kritiker bewerteten es - gerade im Vergleich zu dem 1927 erschienenen Roman "Der Streit um den Sergeanten Grischa" - als befremdlich privat. Wie konnte Zweig soviel Aufmerksamkeit auf die Gemütsbewegungen, vor allen auf den Zorn einer Frau verwenden in einer Zeit, da die Weltgeschicke an den Fronten von Männern bewegt wurden. Kaum einer vermerkte, daß Lenore Wahl von ihrem in Friedenszeiten so feinfühligen Freund vergewaltigt worden war und somit, genau genommen, als "Kriegsopfer" zu betrachten wäre. Und wie viele wollten schon genau wissen, wie eine Frau eine - 1914 wie 1932 illegale - Abtreibung erlebte. Heute bleibt dieser Roman nicht zuletzt deshalb aufregend, weil er individuelle Schicksale in ihren feinsten psychischen Schwingungen darstellt und zugleich Weltgeschichte vergegenwärtigt.
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Seitenzahl: 517
ARNOLD ZWEIG
Junge Frau von 1914
Roman
Textgrundlage dieser Ausgabe:
Arnold Zweig. Berliner Ausgabe.
Herausgegeben von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Akademie der Künste, Berlin. Romane/3. Aufbau-Verlag, Berlin 1999.
Die Ausgabe folgt der Erstausgabe von 1931.
Mit Anmerkungen und einem Nachwort von Eva Kaufmann
ISBN 978-3-8412-0481-3
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, September 2012
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Bei Aufbau erstmals 1948 erschienen; Aufbau ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
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Umschlaggestaltung morgen, Kai Dieterich
unter Verwendung eines Motivs von bobsairport: Maria Herzog/Kai Dieterich
Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
www.aufbau-verlag.de
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Innentitel
Inhaltssübersicht
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Inhaltsübersicht
ERSTES BUCH: Bertin
1. Kapitel: Bertin packt ein
2. Kapitel: Auf dem Koffer
3. Kapitel: Väterliche Mächte
4. Kapitel: Der in Küstrin
5. Kapitel: Bei den frühen Kirschen
6. Kapitel: Umbau
ZWEITES BUCH: Lenore
1. Kapitel: Ein Urlauber
2. Kapitel: Unruhe
3. Kapitel: Die Maus
4. Kapitel: 28. Juni, vor Mitternacht
5. Kapitel: Der Arzt
6. Kapitel: Geschwister
7. Kapitel: Kliem
8. Kapitel: Keine Verständigung
DRITTES BUCH: Alltäglicher Vorgang
1. Kapitel: Frau Nocks
2. Kapitel: Der Berg der Prüfung
3. Kapitel: Freiwillige Meldung
4. Kapitel: Der Besuch
5. Kapitel: Auseinander
VIERTES BUCH: An den bitteren Wassern
1. Kapitel: Bestandsaufnahme
2. Kapitel: Briefsteller für Liebende
3. Kapitel: David gibt klein bei
4. Kapitel: Witwe Bunge
FÜNFTES BUCH: Ein Baumast kommt ins Treiben
1. Kapitel: Ducherow
2. Kapitel: Kleine Ursache
3. Kapitel: Wink mit dem Pfahl
4. Kapitel: Beschlüsse der Götter
5. Kapitel: Verspätete Zustellung
6. Kapitel: Die Nacht und der Tag
7. Kapitel: Fräulein Hannes
8. Kapitel: Ein Baumast kommt ins Treiben
SECHSTES BUCH: Es wird Zeit
1. Kapitel: Briefe
2. Kapitel: Besuch bei einem Schriftsteller
3. Kapitel: Finanzfragen
4. Kapitel: Ein Heiratsantrag
5. Kapitel: Verstand ist die beste Vaterlandsliebe
6. Kapitel: Frau Wahl geht in den Keller
7. Kapitel: Eine junge Dame erwirkt Hochzeitsurlaub
8. Kapitel: Neue Bekannte, alte Bekannte
SIEBENTES BUCH: Vier Tage
1. Kapitel: Nachtgespräche
2. Kapitel: Hochzeit in Rosen
3. Kapitel: Abgesang
NACHBEMERKUNG
Für Marie Zweig
Bertin
Erstes Kapitel
Bertin packt ein
Der Briefträger Schmielinsky ordnete auf seinem abendlichen Bestellungsweg im Eingang des Hauses Brixenerstraße 6 mit geübten Fingern seine Post. Ein »Einschreiben« oben an den Maler, zwei Feldpostbriefe an die Dame im dritten Stock, einer davon unheilverkündend amtlich; eine Ansichtskarte für die lustige Köchin bei Zimmermanns, und unter anderer Durchschnittsware für den Studenten, Hochparterre rechts, der Gestellungsbefehl. Schmielinsky betrachtete ihn mit stillem Haß. Auch ihm, gedientem Mann, blühte, wer weiß wie bald, solch ein Wisch, da ja die Herren Abgeordneten, die reichen Leute und die kleinen Sparer der Regierung die zweite Kriegsanleihe nur so hingepfeffert hatten. Neuntausendachtzig Millionen Mark – neun Milliarden! Alle wollten also, daß es weiterging. Da ließ sich nichts machen.
Der Student hier schien seine Wohnung zweimal gewechselt zu haben. »Der wird sich freuen«, murmelte Schmielinsky. »Womöglich muß der morgen früh in der General Pappkartonstraße antreten.« (Die General Papestraße nämlich, in der sich die roten Kästen der Bezirkskommandos erhoben, war vom berliner Witz so umgetauft worden, weil die Eingezogenen ihre Zivilkleider in Pappkartons nach Hause sandten.) Der junge Mann war daheim, öffnete selbst, hörte von dem Briefträger die Worte: »Antreten zur Polonaise«, empfing das amtlich gefaltete Papier, schien um einen Schein blasser zu werden, sagte höflich: »Danke sehr« und schloß die Tür.
Man reißt solche Briefe sofort auf, im notdürftigen Licht der Dielenlampe, mit zitternden Fingern. Eine Panik wollte in seiner Brust aufflattern, als er sah: morgen früh! Und die Lenore durfte er nicht anrufen! Ruhe, gebot er sich; Paula Weber wird es ihr beibringen. Acht Uhr, Armierungsersatzbataillon Küstrin. Schipper also. Es hätte schlimmer kommen können.
Werner Bertin, als ihn der Ruf des Schicksals traf, war sechsundzwanzig Jahre alt, mager, leidlich gewachsen, ein bleiches Gesicht mit sehr rotem Munde und dunkelbraunen Augen. Er hatte eine ärmliche Jugend hinter sich, langsam Zutrauen zu seinen Gaben gefaßt, sie in leidenschaftlichen Kämpfen treu ausgebildet: die Rechte studiert, menschliches Denken, neuere Sprachen, nach dem Referendarexamen weitergesucht, zu schreiben begonnen, Novellen, einen Roman, Dramen. Er vermeinte, höchst klar über sich selbst zu sein, sehr kritisch, ein erzogener Verstand; im Grunde wußte er von sich kümmerliche Bruchstücke. Jetzt wanderte er langsam in seinem Wohnzimmer umher, die Hände auf dem Rücken. Von dem Gestellungsbefehl dort auf dem Schreibtisch ging eine Art Saugen aus; er wirbelte sein bisher gelebtes Leben in sich ein wie ein Ventilator durchrauchte Luft eines Zimmers. Ein Schipper war ein Soldat ohne Ausbildung mit der Waffe, ohne Hoffnung auf Beförderung also, solange der Krieg auch dauerte. Wozu hatte er nun Schulprüfungen bestanden, das Einjährige, das Abitur? Wozu sich sieben Jahre auf Universitäten herumgetrieben? Alles Dunst, verbrauchtes Leben, der große Ventilator sog es weg. Den Behörden, die ihn holten, war es nur um einen halbwegs gesunden Mann zu tun; daß der dichtete, machte ihn eher komisch. Dennoch durfte einem das Herz wohl langsamer und lauter schlagen. Diese Behörden waren unwichtig. Hinter ihnen aber standen die Heimat, die Gesittung, alle seelischen Mächte, alle guten Geister des Vaterlandes. Mochte es grob hergehen und rauh, gewaltsam und blutig – einerlei. Krieg war in der Welt, und er regierte. Jetzt kam es darauf an, allen Ansprüchen gewachsen zu sein, mit empfindlicheren Nerven, wacherem Geiste, erregbarem Gefühl. Jetzt rief ihn Deutschland, er würde es nicht warten lassen.
Er saß vor seinem halbgedeckten Tisch, bedächtig Bissen für Bissen zerschneidend, Brot, Schinken, etwas Käse; als Zukost liefen wie stets Gedanken ihre Bahn. Dem Genius des Lebens und also dem der Menschheit kam es nicht auf Einzelwesen an, er ging auch über das genialste achtlos hinweg. An kam es ihm auf Ausbreitung der Arten, auf die machtvoll hinflutenden Wellen der Gattungen und Formen, in denen er sich verkörperte. Er bediente sich dabei gegenseitiger Anpassung lieber als des Kampfes Aller gegen Alle. Hatte er jedoch lange genug mit Verträgen gearbeitet, so stießen die kraftgeschwellten Völkerwesen zornig und eifervoll gegeneinander und versuchten, ihre Grenzen auszudehnen, den Schwächeren zurückzuschieben. Er, Werner Bertin, war in eine solche Zeit hineingeboren worden, unversehens, niemand hatte es vermutet. Er konnte einer der Vielen sein, die, begabt oder nicht, zum Müll geworfen wurden, Dünger für die Zukunft. Sein Stolz litt nicht, daß er sich entzog, klein machte, sich verkroch. Dennoch blieb Armierungssoldat sein und überleben besser, wenn auch weniger rühmlich, als bei der Feldartillerie kämpfen und fallen. Zu dieser Truppengattung nämlich war er vorigen Herbst ausgemustert worden.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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