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Vor einiger Zeit eröffnete mir Gina Maria, dass sie mir zahlreiche Fragen stellen wolle. Ich war erstaunt und ließ mich bereitwillig auf diese Herausforderung ein. Es würde vermutlich nicht nur bei nüchternen Berichten und erinnerten Fakten bleiben, sondern mit Sicherheit würden auch Gefühl und Urteil mitspielen.
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Seitenzahl: 151
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Dieses Buch ist
Gina Maria
gewidmet
(die Gedichte erscheinen im Kursivdruck)
Vorwort
01. Welches neue Hobby würdest Du anfangen, wenn Du jetzt 23 Jahre alt wärst?
Ein Loblied auf die Bäume
2a. Gibt es eine Serie/einen Film/ein Buch/ein Theaterstück, die Dich auf Deinem Lebensweg begleitet haben?
Auf dem Wege des Verstehens
02b. Haben Dich diese Serien/Filme/Bücher/Theaterstücke vielleicht auch beeinflusst?
Über das Singen
03. Wie hat Dich die Nachkriegszeit geprägt?
Über das Tanzen
04. Was hat Dir Kraft gegeben, wenn es Dir mal nicht so gut ging?
Über die Musik
05. Wie war der Tag, als Dein erster Enkel geboren wurde?
Kleine Lebensweisheit
06. Erzähle mir von einer schönen Reise von Dir!
07. Gab es ein Ereignis, was Dein Leben besonders geprägt hat?
08. Was macht Dich glücklich?
09. Was ist für Dich Urlaub?
Kleine Therapie
10.Würdest Du sagen, das Leben sei kurz?
Sinnerfüllung
11a. Was hast Du in Deiner Lebenszeit in Bezug auf Klima- und Umweltschutz mitbekommen?
11b. Hat sich das Denken dahingehend verändert oder anders entwickelt?
12. Was bedeutet für Dich Schönheit?
13a. Was hat sich alles verändert, als es Deiner Frau immer schlechter ging?
Der Zauber der Treue
13b. Was musstest Du neu lernen?
Sich bewegen
14. Was ist das Verrückteste, das Du je getan hast?
Abschied
15. Wie stellst Du Dir die Welt in 20 Jahren vor?
Glück
16. Was bedeutet für Dich Liebe?
17. Wie hat sich die Infrastruktur in Berlin verändert?
18. Was hast Du zur Jahrtausendwende an Silvester gemacht?
Poesie im Miniformat
19. Fülle diesen Steckbrief aus (Name, Alter, Beruf, Hobbys, Lebensmotto, Lieblingszitat, besondere Fähigkeiten, Lieblingsorte, besondere Erlebnisse; was ich immer dabeihabe; geliebte Weisheiten; Erinnerungen, die mich prägen)
20. Wenn Du an jeden auf der Welt eine Botschaft senden könntest, was würdest Du ihnen mitteilen wollen?
Nachwort und Danksagung
Vor einiger Zeit eröffnete mir Gina Maria, dass sie mir zahlreiche Fragen stellen wolle. Ich war erstaunt und ließ mich bereitwillig auf diese Herausforderung ein. Es würde vermutlich nicht nur bei nüchternen Berichten und erinnerten Fakten bleiben, sondern mit Sicherheit würden auch Gefühl und Urteil mitspielen.
Mit unseren Erinnerungen ist das so eine Sache; denn was haben wir im Laufe der Zeit nicht alles bereits vergessen und spiegeln unsere übrig gebliebenen Erinnerungen die Tatsachen wirklich naturgetreu und ohne Irrtum wider? Mit den Gefühlen und unserem Urteil mag es sich ähnlich verhalten; Oft hängen sie von unserer Befindlichkeit ab und an manchen Tagen ordnen wir Dinge positiver ein als an anderen – und umgekehrt.
Früher mögen uns bestimmte Fragen viel mehr beschäftigt haben als heute und vieles sehen wir bei zunehmendem Alter in milderem Licht.
Als Heranwachsender habe ich mich gefragt, ob mir ein Wunschberuf einfallen und ob mich je eine Frau würde lieben könne.
Würden wir gesunde Kinder haben und ihnen brauchbare Eltern sein?
Würden uns unsere Berufstätigkeiten genügend Einkommen sichern?
Mietwohnung oder Eigenheim?
Auto oder öffentliche Verkehrsmittel?
Fernreisen oder Verbleib in der Heimat?
Würden wir alle einvernehmlich „vorwärts“ leben? Würde unser gemeinsamer Bund „ewig“ halten?
Heute, im vorangeschrittenen Alter, befinde ich mich auf der Zielgeraden und sehe das Zielband vor mir flattern. Ich habe mich dazu entschlossen, keinen Endspurt einzulegen, sondern meinen Schritt zu verlangsamen und vielleicht sogar einmal stehen zu bleiben. Auch schaue ich mit wohligem Lächeln rückwärts, bevor ich weitertrabe.
Gina Maria hat mich mit ihren Fragen zum Nachdenken gebracht und dafür bin ich ihr dankbar.
Es war nicht zu vermeiden, dass dabei am Ende viele autobiografische Elemente in meine Antworten eingeflossen sind und mir ist eine Seltsamkeit aufgefallen: Meine Antworten bleiben irgendwie oft unvollständig und nach hinten offen.
Bei meinen Zugfahrten unlängst von Berlin nach Winterthur und zurück habe ich mir die Ausgangsfragen abermals vorgeknöpft und dabei wie neu beantwortet, um dann zu Hause meine allerjüngsten Gedankensplitter in das bereits vorhandene Manuskript einzuarbeiten. Ich glaube, dies könnte ewig so weitergehen, ohne dass dabei je eine „vollständige“ und zufriedenstellende Endversion herauskommen würde.
Andrerseits kann es nicht darum gehen, das eigene Leben in seiner Alltäglichkeit abzubilden und sämtliche Gedankenstränge nachzuverfolgen; denn dies wäre teils banal, insgesamt langweilig.
Keiner von uns gleicht dem Mittelpunkt der Erde und sollte sich daher nicht allzu wichtig nehmen – nicht wichtig, aber ernst.
Sicherlich könnten wir einzelne Lebensziele vorab auf einem Bierdeckel skizzieren.
Ob wir uns am Ende noch an sie erinnern könnten und den Bierdeckel auch wiederfänden?
Wenn ja, ist dann unser Leben tatsächlich so geplantstatisch verlaufen, wie anfangs angenommen oder gab es Umleitungen, Sackgassen und unentdecktes Neuland?
Und ist so etwas wie eine „Summe des Lebens“ am Ende überhaupt errechenbar?
Ich lasse mein Vorwort jetzt lieber so stehen, wie es ist; denn womöglich würde ich es noch zigmal ändern.
Jürgen Hembd
(im Frühjahr 2024)
Diese Frage stellt für mich eine echte Herausforderung dar; denn ich müsste mich um 60 Jahre jünger machen. Einerseits könnte ich mich in die 1960er Jahre begeben, aber andererseits brauche ich wohl gar keinen Zeitensprung zu machen; denn gemeint ist wohl: „Welches neue Hobby würdest Du, genau Du, heute, als 23jähriger im Jahre 2023, anfangen?“
Trotzdem bleibt die Beantwortung der Frage schwierig für mich, weil ich sechzig Jahre Lebenserfahrung ausklammern oder es versuchen müsste, mich daran zu erinnern, in welcher Situation ich mich damals als 23jähriger vermutlich befunden habe und worin meine Fähigkeiten und meine damaligen Antriebskräfte bestanden.
Ich könnte auch überlegen, was ich in meinem Leben möglicherweise versäumt habe und nachholen könnte, gäbe es eine zweite Chance für mich. Alles hypothetisch; denn ich weiß, dass ich meine Zeit ohne große Ruhepausen voll ausgeschöpft habe.
Was ist ein Hobby überhaupt? Laut Duden handelt es sich dabei um ein Steckenpferd, eine Liebhaberei. Mein Dictionary of Contemporary English erklärt den Hobby-Begriff folgendermaßen: „an activity that you enjoy doing in your free time“.
Manch einer von uns mag daran denken, dass das Sammeln von Briefmarken oder Münzen ein typisches Hobby sei. Beides habe ich nie getan und würde auch heute nicht mehr damit anfangen. Kein Interesse!
Durch mein Leben ziehen sich bis heute meine musikalischen Aktivitäten. Diese würde ich gerne noch eine Weile fortsetzen und deshalb würden sie keinen echten Neubeginn darstellen.
Das Lesen und das Schreiben begleiten mich als Freizeitbeschäftigungen seit langem – also wäre auch hier kein Neuanfang sichtbar.
Singen, Musizieren und Lesen waren mir auch mit dreiundzwanzig schon vertraut. Mit dreiundzwanzig hatte ich bereits eine sechsjährige Tätigkeit als Bankkaufmann und den Besuch der Abendschule zur Vorbereitung der anstehenden externen Abiturprüfungen hinter mir.
Gereist und gewandert bin ich bereits seit meiner Konfirmation 1955. Es waren stets Aktivitäten, die wenig Geld gekostet haben; denn es handelte sich ausschließlich um Jugendgruppenfahrten unter dem Dach der Evangelischen Jugend Alt-Schöneberg. Meine Eltern mussten es hinnehmen, dass ich mir die Freiheit nahm, meine eigenen beruflichen und privaten Ziele selbständig zu definieren.
Mein Vater hat darüber damals nur den Kopf geschüttelt. Weshalb wollte sein Sohn, seinem Vorschlag gemäß, nicht Bierbrauer werden?
Im Jahre 1964 war ich 23 Jahre alt. Ein Jahr zuvor hatte ich vor einer mir unbekannten Prüfungskommission das Abitur bestanden und war nun Student der Geschichte und Anglistik im Anfangssemester. Ich habe mich damals einerseits voll auf mein Studium konzentriert und musste andrerseits nebenher Geld verdienen und so blieb keine Zeit für Langeweile oder irgendwelche Nebenbeschäftigungen. Es gab da nämlich einige Herausforderungen in Sachen Sprachenerwerb: Englisch hatte ich seit der siebenten Klasse erlernt; Französisch war erst bei Gabbes Lehranstalten hinzugekommen. Nach drei Jahren Französischunterricht reichte es für eine mittlere Note im Abitur.
Im Rahmen meines Anglistikstudiums musste ich zusätzlich Alt- und Mittelenglisch als neue Sprachen studieren; aber um die Hauptseminarprüfung im Fach Geschichte zu bestehen, kam als bitterer Neuerwerb Latein hinzu – und diese Sprache erschien mir kompliziert.
Mit einem etwas eigenwilligen Humorverständnis würde ich feststellen, dass mein Hobby damals im Erlernen toter Sprachen bestand, die mir später beim Unterrichten leider keine wirkliche Hilfe waren. Ach ja – es ging natürlich um das Erlernen ganz anderer Denkstrukturen und den daraus folgenden Erkenntniswert!
Anfang der 70er Jahre begann Ingrid (1945-2019), meine Frau, damit, sich der ehrenamtlichen Betreuung geistig und mehrfach Behinderter zuzuwenden. Gelegentlich bat sie mich um Unterstützung und ich habe ihr gern geholfen, weil es mich beeindruckte, mit welcher Hingabe sie Menschen auf der Schattenseite des Lebens betreute. Aber diese Tätigkeit ließe sich wohl nicht als Hobby bezeichnen, sondern eher als Gemeinwesenarbeit.
Es gibt noch eine andere Personengruppe, die unser aller Hilfe bedürfte – nämlich blinde Mitmenschen…
Ob Hobby oder Steckenpferd oder ehrenamtliche Tätigkeit – in aller Regel sind sie altersspezifisch.
Hochleistungssport, zum Beispiel, lässt sich kaum ein Leben lang betreiben und viele ehrenamtliche Tätigkeiten müssen warten, weil wir sie als Berufstätige oder als junge Eltern einfach nicht in unsern täglichen Pflichtenkatalog einbinden können.
Seit langem koche ich gern. Kochen kann zum Hobby werden. Vielleicht kann ich mich heutzutage als einen sich selbst versorgenden Hobbykoch bezeichnen; aber als ich 23 war, hätte mich meine Mutter niemals in ihre Küche gelassen. Wäre ich heute mit 23 ein alleinstehender Single, würde ich gerne kochen (müssen).
Neulich wurde im Fernsehen eine Gruppe von Freiwilligen vorgestellt, die es sich zum Ziel gesetzt haben, mitten in unserer Stadt kleine bewaldete Oasen anzulegen, also Bäume und Sträucher zu pflanzen und diese zu hegen und zu pflegen. Urban gardening habe ich in der Schweiz kennengelernt und so etwas gibt es auch bei uns. Dies würde mir gefallen.
Bisher habe ich mich noch nie persönlich um Kinder in Not gekümmert - ein Versäumnis meinerseits?
Für eine Mitarbeit in der Freiwilligen Feuerwehr würde mir der Mut fehlen. Eher schon käme (Konjunktiv!) die DLRG für mich infrage. Die letztgenannten Freizeitaktivitäten hätten einen sozialen Anstrich – zum Wohle der Anderen und vielleicht auch meiner selbst. Sie wären für mich beinahe kostenneutral und dabei gewinnbringend und erfüllend. Wären sie jedoch ein echter Wunschtraum, hätte ich ihn längst zielstrebig verfolgt – egal, ob 23 oder 23+; aber jenseits all meiner unerfüllten Träume wären sie immerhin eine Möglichkeit – klar doch!
Ein Loblied auf die Bäume
In Berlin bedecken Bäume
Wahrlich glückhaft weite Räume.
Sie sind uns kostbar wie ein Schatz
Und dienen uns als Ankerplatz.
Sie filtern unsre Atemluft
Und C – O – 2 sinkt in die Gruft.
Trotz Sommerwetter, heiß und schwül,
Bleibt’s unterm Baum erfrischend kühl.
Die dichte Krone strebt gen Himmel,
Wirkt riesengroß im Waldgetümmel.
Der Vogel baut sich seinen Horst
Im Walde dicht, in einem Forst.
(Tun Deinem Baum bei Eis und Schnee
Denn niemals Stamm und Äste weh?)
Du lehnst an ihm. Es schweift Dein Blick,
Lässt Deine Sorgen kurz zurück.
Sie hol’n Dich ein dann irgendwann,
Doch nicht, solang Du lehnst am Stamm.
Junge Bäume brauchen Pflege
Und nicht den Schmerz der Kettensäge!
Doch…
Der Bauherr zeigt uns voller Stolz
Sein neues Haus – erbaut aus Holz.
Und Kinder wär’n sein Lebenstraum.
Er schreibt ein Buch, pflanzt einen Baum…
Still ist’s heute. Du musst lauschen:
Bäume hörst Du leise rauschen.
(J.H., 07/2023)
Während einer längeren Bahnfahrt habe ich mich neulich selbst getestet mit der Frage, welche Serien, Filme, Bücher oder Theaterstücke, die ich irgendwann gesehen oder gelesen habe, ich spontan aufschreiben könne.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass es insgesamt lediglich sechzehn Titel waren, obwohl ich zu Hause viel mehr als sechzehn Meter Bücher besitze.
Irgendwie schien mein Gehirn blockiert.
Viel schlimmer war die Frage, welche davon ich im Einzelnen oder im Ganzen inhaltlich wiedergeben könnte. Kann da noch von „Begleitung“ die Rede sein?
Gehen wir in Gedanken jetzt und sofort einmal durch eine Bildergalerie. Welche der von uns soeben bestaunten (gegenständlichen) Gemälde könnten wir am Ende konkret beschreiben? Von abstrakter Malerei mag ich gar nicht erst reden. Fanden wir viele Bilder der Ausstellung nicht gerade schön oder beeindruckend oder interessant?
Natürlich könnten wir uns damit herausreden, dass wir unsere Gespräche hinterher selten oder nie mit dem Nacherzählen von Film- oder Romaninhalten oder der Wiedergabe von Theaterstücken oder Bildbeschreibungen bestreiten. Wie auffällig müsste jemand gekleidet sein, dass wir anschließend mit detektivischer Genauigkeit beschreiben könnten, was er am Leibe trug? Worum ging es eigentlich in der gerade vernommenen Predigt, die uns doch bewegt hat und läutern sollte? Wie zuverlässig sind unsere Wahrnehmung und unser Gedächtnis und die Fähigkeit, Erlebtes einigermaßen wahrheitsgetreu zu rekonstruieren?
Im Unterricht habe ich früher oft die sogenannte point-of-view-technique angewendet. Ein und dasselbe Geschehen wird von verschiedenen Erzählerstandpunkten referiert – und jedes Mal verschieben sich die Gesichtspunkte! Was war denn nun „wirklich“ passiert?
Selbst wenn ich behaupten würde, dass uns einzelne Kunstformen wenigstens „unter der Hand“ und damit unbewusst beeinflusst hätten, könnte ich es letztlich nicht eindeutig beweisen. Vielleicht könnten wir uns eher an einzelne Leitfiguren erinnern oder an eine bestimmte Atmosphäre, die hier und da gespiegelt wurde.
*
Unbestritten können wir uns allerdings an Schlüsselmomente erinnern, die unserm Leben, uns selbst betreffend, eine neue Richtung gegeben haben. Trotz dieser niederschmetternden Vorbemerkungen will ich mich nun aber doch wenigstens versuchsweise der vorgegebenen Frage stellen.
Im Jahr 1951 startete RIAS Berlin (der Rundfunk im amerikanischen Sektor) die Krimireihe Es geschah in Berlin, basierend auf wahren Geschichten. Bis zum Jahre 1972 wurden davon 499 Folgen produziert, von denen ich viele leidenschaftlich gern gehört habe. Ich kann heute nicht mehr sagen, wann ich als Hörer eingestiegen bin – möglicherweise Mitte der 50er Jahre bis spätestens 1960, weil ich danach keine Zeit mehr dafür hatte.
Es war jedenfalls spannend, die Arbeit der Gesetzeshüter zu verfolgen und sozusagen mit ihnen gemeinsam dem Recht zum Sieg zu verhelfen.
Zwischen 1959 und 1973 gab es im Fernsehen einen „Straßenfeger“, nämlich die US-amerikanische Westernserie Bonanza. Dies war eine Familiensaga, in deren Mittelpunkt der Witwer Ben Cartwright (Lorne Green) und seine drei Söhne standen. Sie lebten allesamt auf der Ponderosa-Ranch nahe Virginia City und betrieben Rinderzucht. Sie bildeten ein Männerquartett und standen ein für Recht und Ordnung, hatten einen unbestechlichen Gerechtigkeitssinn, waren hilfsbereit und hielten eisern zusammen. Wer kann derartigen Kardinaltugenden schon widerstehen? Wenn immer Ingrid und ich meine Großmutter in Spandau besuchten, sahen wir gemeinsam eine der Folgen und für Oma war danach ihre Welt in Ordnung. Wann das geschah? Vermutlich zwischen 1967 und 1974, der Zeitspanne zwischen unserer Verlobung und Omas Tod.
Zwischen 1978 und 1981 (immer noch vor der Wende) wurden 20 Episoden der tschechischen Fernsehserie Das Krankenhaus am Rande der Stadt ausgestrahlt. Als Zuschauer wurden wir mitgenommen auf eine orthopädische Station des Krankenhauses in der fiktiven Stadt Bor. Da ging es um Chirurgie und jede Menge Privates. Zentrale Gestalt war der Chefarzt Dr. Karl Sova – eine wahre Identifikationsfigur. In meinem Besitz befindet sich die Serie in Buchform von Jaroslav Dietl.
Ein anderer Arzt, der Chirurg Professor Klaus Brinkmann (Klausjürgen Wussow), war Mittelpunkt der ZDF-Kultserie Schwarzwaldklinik, einer Serie, die im Glottertal spielte und uns mit ihrem dramatischen Reigen um Hoffnung und Freude, Liebe und Leid, Tod und Leben zwischen 1985 und 1989 geradezu den Atem raubte und die Straßen zur Sendezeit leerfegte.
Auch heute (2023) laufen beliebte Serien wie In aller Freundschaft oder Die jungen Ärzte, die ihre treuen Fans (wie mich) haben. Natürlich spiegeln diese Kultserien nicht das „wahre“ (Berufs-)Leben wider; vielmehr leben sie von Verfremdungseffekten, künstlichen Spannungselementen und schauspielerischer Darstellungskraft.
Serien stellen uns Leitbilder vor, mit denen wir uns anfreunden, freuen und um die wir bangen. In der Schule ist Abschreiben als Täuschungsmanöver verboten, aber manchmal möchten wir es unseren uns vertrauten Serienhelden täuschend ähnlich gleichtun und uns ihre Charakterstärken anverwandeln. Und dies ist nicht verboten – oder? –
*
Ich bin zunächst an drei Orten aufgewachsen, bis wir im Jahre 1968 nach unserer Hochzeit in „unser“ Hochhaus in der Mellener Straße 1 in Lichtenrade umzogen.
In Schöneberg gab es in den 50er Jahren mehrere Kinos: den Filmhof, die Tonburg, das Colonna, das Luna, die Filmbühne Sylvia. Sie alle habe ich gelegentlich besucht, sofern ich nicht klamm bei Kasse war. Gab es später in Lichtenrade überhaupt ein Kino?
Ich erinnere mich an Filme über Robin Hood und auch an Ivanhoe – der schwarze Ritter, mit Robert Taylor in der Hauptrolle; letzterer entstand 1952.
Im Jahre 1954 wurde ein deutscher Spielfilm mit Ewald Balser in der Hauptrolle gedreht: Sauerbruch – Das war mein Leben. Als ich diesen Film sah, war ich in der achten Klasse und besuchte die Fritz-Haber-Oberschule Technischen Zweiges am Tempelhofer Weg in Schöneberg. Ich muss damals 14 gewesen sein und war tief beeindruckt, wie Professor Sauerbruch, einer der „Götter in Weiß“, in der Charité bei einem chirurgischen Eingriff den Umstehenden am Operationstisch haarklein erklärte, was er da gerade tue. Ich wusste kaum etwas von diesem Pionier der Thoraxchirurgie, dem Erfinder der Unterdruckkammer und Entwickler einer künstlichen Hand - aber ich war fasziniert von seiner Kunst des Erklärens.
Dies war die Geburtsstunde meines Berufswunsches: die Studienratslaufbahn. Ich wollte meinen Schülern später im Unterricht auch alles erklären dürfen.
Harper Lee, eine amerikanische Schriftstellerin, schrieb Anfang der 60er Jahre aus dem Blickwinkel von Scout, der Ich-Erzählerin, die Geschichte von Atticus Finch, ihrem Vater, dem rechtschaffenen Anwalt im rassistischen Alabama der 1930er Jahre. Dieser Roman wurde verfilmt unter dem Titel To Kill a Mockingbird (dt. Wer die Nachtigall stört) mit Gregory Peck in der Hauptrolle. Wie gern hätte ich mir die Geradlinigkeit und den Mut des Atticus Finch zu eigen gemacht! Später habe ich diesen Roman mit meinen Englisch-Leistungskursschülern gelesen. Ob sie von dieser Geschichte ebenso angetan waren wie ich?
Im Jahre 1970 erschien die Love Story von Erich Segal, ein „Klassiker unter den Taschentuchfilmen“, mit Oliver (Ryan O’Neil) und Jennifer (Ali McGraw) in den Hauptrollen. Der Film und auch das Buch haben mich emotional tief bewegt und niemand möge sagen, dass eine wahre Liebe durch den Tod des geliebten Partners jäh und überhaupt zerbrechen müsse.
Ich glaube, Filme können uns ganz nahe gehen, wenn wir uns mit den dargestellten Themen identifizieren können. Wir schluchzen mit den Helden und freuen uns über ihre Erfolge.
Es hat Zeiten gegeben, in denen ich fast alle Werke von Theodor Fontane und Thomas Mann gelesen habe. Vor der Wende habe ich mich mit damals im Westen erhältlicher DDR-Literatur befasst.