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Das Verhalten von Kindern wird von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen oftmals als Herausforderung, teilweise auch als Überforderung erlebt. Diese Handreichung stellt Fachkräften praxiserprobte Materialien für die Einführung einer systematischen, ressourcenorientierten Vorgehensweise zur Begegnung mit als herausfordernd erlebtem Verhalten zur Verfügung. Die Materialien unterstützen Fachkräfteteams, gezielter zu beobachten, das Verhalten von Kindern besser zu verstehen und passgenaue Handlungsstrategien zu entwickeln.
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Seitenzahl: 127
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Die Autorinnen/der Autor
Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff, Diplom Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Co-Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Bis 2020 Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der Evangelischen Hochschule Freiburg.
Prof. Dr. Rieke Hoffer, Diplom- Psychologin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, ist Professorin für Soziale Arbeit im Kontext von Kindheit, Jugend und Familie an der Hochschule Koblenz.
Prof. Dr. Maike Rönnau-Böse, Dipl. Sozpäd./Sozarb., ist Professorin für Kindheitspädagogik an der Evangelischen Hochschule Freiburg und leitet dort den Studiengang Pädagogik der Kindheit.
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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-037954-1
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-037955-8
epub: ISBN 978-3-17-037956-5
Vorwort
1 Einführung
1.1 Herausforderndes Verhalten in Kita und Grundschule
1.2 Professionelle Begegnung mit herausforderndem Verhalten
1.3 Bisherige Forschungsprojekte und Fortbildungen/Multiplikator*innenschulungen
1.4 Konzept des Handbuches
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Begriffsklärung: Was verstehen wir unter herausforderndem Verhalten?
2.2 Kern des Vorgehens: Der Kreislauf professionellen pädagogischen Handelns
2.3. Erklärungsmodelle zum Verstehen von (herausfordernden) Verhaltensweisen
3 Praktische Grundlagen und Materialien zur Vorbereitung der Umsetzung des Vorgehens in Kindertageseinrichtungen
3.1 Die eigenen Werte kennen und verstehen – Grundlage für das professionelle pädagogische Handeln bei ›herausforderndem Verhalten‹
3.2 Handeln in der Akutsituation
3.3 Fallbeispiel: Die Durchführung des Kreislaufs professioneller Begegnung mit herausforderndem Verhalten in der Kita »Das wilde Haus«
4 Der ›Ablaufplan‹: Systematische Begegnung mit herausforderndem Verhalten
5 Vorgehen im Detail mit Frage- und Checklisten
5.1 Beobachten
5.2 Analysieren und Verstehen
5.3 Handlungsplanung
5.4 Umsetzen: Begegnungsantworten
5.5 Exkurs: Die Bedeutung von Ritualen, Regeln und Mikrotransitionen
5.6 Evaluation: Überprüfen
6 Zum Abschluss
7 Literatur
8 Verzeichnisse
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Verzeichnis Arbeitsblätter
Pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen fühlen sich durch Verhaltensweisen von Kindern manchmal herausgefordert, zum Teil auch überfordert und belastet. Um diesem Verhalten professionell begegnen zu können, wurden am Zentrum für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) an der Evangelischen Hochschule Freiburg größere Projekte entwickelt und umgesetzt, die das Ziel hatten, die Kompetenzen der Pädagog*innen zu erweitern und den betroffenen Kindern und ihren Familien bessere Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten zu ermöglichen. Der Kern der Projekte besteht darin, Kita- (und Grundschul-)Teams über einen längeren Prozess zu qualifizieren und ein systematisches Vorgehen in den Einrichtungen zu etablieren ( Kap. 2.2).
Letztlich geht es bei einem solchen Vorgehen darum, die subjektiv wahrgenommene Hilflosigkeit und Erschöpfung bei Fachkräften und Fachkräfteteams zu reduzieren und den Kindern und ihren Familien in der Einrichtung bedürfnisgerecht zu begegnen. Die Etablierung des Kreislaufmodells zur systematischen Begegnung mit als herausfordernd erlebten Verhaltensweisen soll das eigene Handlungsspektrum der Fachkräfte erweitern und somit das pädagogische Handeln weiter professionalisieren. Dies führt dann wiederum zu einem gesteigerten professionellen Selbstbewusstsein und der Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit auf Seiten der Fachkräfte – hat aber auch das Ziel, das Wohlbefinden von Kindern und Familien in der Kooperation mit der Einrichtung zu sichern.
Bei der Durchführung der Fortbildungen in Kindertageseinrichtungen und mit Multiplikator*innen zeigte sich ein Bedarf nach einer Handreichung, die im pädagogischen Alltag und im Besonderen bei »Fall«-Besprechungen eine praktikable Orientierung bieten kann. Diesem Bedarf soll mit der vorliegenden Handreichung begegnet werden.
Die Handreichung orientiert sich inhaltlich am Konzept zur ressourcenorientierten Begegnung mit herausforderndem Verhalten von Klaus Fröhlich-Gildhoff, Maike Rönnau-Böse und Claudia Grasy-Tinius (2020), das durch die Ergebnisse der Dissertation von Rieke Hoffer (Hoffer, 2020) nochmals neue Impulse erhalten hat.
Wir bedanken uns bei Regina Rein und Claudia Grasy-Tinius für Ihr Mitwirken bei der Vorversion. Wir bedanken uns ebenfalls bei den Kolleg*innen aus dem Team des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg (ZfKJ), die durch konkrete Unterstützung, aber auch kritische Fragen den Text besser gemacht haben.
Ein besonderer Dank gilt den Teams der pädagogischen Fachkräfte sowie den bisherigen Teilnehmer*innen an den Multiplikator*innenschulungen, die das Konzept umsetzen und sehr hilfreiche Rückmeldungen gegeben haben.
Bei Katrin Höfler bedanken wir uns für die sorgfältige redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts.
Wir wünschen sehr viel Interesse und auch Spaß bei der Nutzung dieser Handreichung – und wir freuen uns auch über kritisches Feedback.
Freiburg, im Juli 2021
Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff
Prof. Dr. Rieke Hoffer
Prof. Dr. Maike Rönnau-Böse
In vielen Kindertageseinrichtungen empfinden die dort tätigen pädagogischen Fachkräfte seit längerem eine Zunahme von Kindern, die »auffälliges« Verhalten zeigen: Es wird beklagt, dass Kinder sich weniger an Regeln halten, dass sie impulsiver sind und sich schlechter selbst steuern können oder dass die Aufmerksamkeitsspannen immer geringer würden. Die Fachkräfte erleben sich (heraus) gefordert und zunehmend belastet (Rudow, 2004; Fröhlich-Gildhoff, Lorenz, Tinius & Sippel, 2013).
Im Unterschied zu diesen von den Fachkräften beschriebenen gestiegenen Belastungen und Verhaltensänderungen der Kinder geben breite epidemiologische Studien keine Hinweise auf die Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten: Die in Deutschland größte, repräsentativ durchgeführte Untersuchung (12.368 Kinder und Jugendliche), die »KiGGS-Studie« des Robert-Koch-Instituts (Hölling, Schlack, Petermann, Ravens-Sieberer & Mauz, 2014), kann Zahlen über einen Zehn-Jahres-Vergleich vorlegen. Dabei zeigt sich: »Insgesamt 20,2 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren ließen sich in der KiGGS Welle 1 [2009-2012] mit dem SDQ-Symptomfragebogen einer Risikogruppe für psychische Auffälligkeiten (grenzwertig auffällig oder auffällig)[…] zuordnen: In der KiGGS-Basiserhebung [2003-2006] waren dies 20,0 %[…]. Damit ließ sich insgesamt keine bedeutsame Veränderung über die Zeit in der Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten nachweisen« (Hölling et al., 2014, S. 809). In den neuesten Ergebnissen der KiGGS-Studie (»Welle 2«) konnte sogar eine leichte Abnahme dieser Zahlen beobachtet werden (Baumgarten et al., 2018).
Deutliche und verfestigte Verhaltensauffälligkeiten im Kindergartenalter sind allerdings ein Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen und für deren Chronifizierung im weiteren Kindes-, Jugendlichen- und Erwachsenenalter (Belfer, 2008; Dougherty et al., 2015; Hofstra, Van der Ende & Verhulst, 2000).
Über die unmittelbaren Folgen für den Alltag von Kindern und Fachkräften in Kindertageseinrichtungen oder auch auf Veränderungen der Interaktionsqualität der pädagogischen Fachkräfte liegen allerdings keine spezifischen Studien vor. Wird allerdings den als herausfordernd erlebten Verhaltensweisen der Kinder nicht professionell begegnet – dazu gehört ggf. auch ein Weiterverweisen an andere Institutionen wie Erziehungsberatung oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen –, fühlen sich die Fachkräfte von den Verhaltensweisen der Kinder überfordert. Es droht dann eine Verschlechterung der Bedingungen für die Kinder, eine mögliche verringerte Interaktions- und Beziehungsqualität sowie daraus folgend eine Ausgrenzung der Kinder in der Kindertageseinrichtung – und eine Verlagerung der Problematik in die Schule.
Auf Seiten der Fachkräfte kann ein dauerhaftes Erleben der Überforderung und Hilflosigkeit zudem einen Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Erkrankungen wie Depressionen darstellen (Köhler et al., 2018).
In einer Analyse der Forschungslage konnten Hoffer und Fröhlich-Gildhoff (2019) zudem zeigen, dass Eltern und Fachkräfte deutlich unterschiedliche Einschätzungen des Unterstützungsbedarfs der betroffenen Kinder haben und nur ein sehr geringer Prozentsatz von 3 bis 20 % der Betroffenen professionelle Hilfen außerhalb der Kindertageseinrichtungen erhält.
Aus dieser Situation heraus geben Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen an, dass sie Unterstützung im täglichen Umgang mit herausforderndem Verhalten benötigen. Deutlich werden in diesem Zusammenhang auch spezifische Fortbildungswünsche – beispielsweise zum Thema »Diagnostik/Erkennen von herausfordernden Verhaltensweisen« – geäußert (Fröhlich-Gildhoff et al., 2013; GEW-Kita-Studie, 2007; Wiedebusch & Franek, 2019). Zugleich bieten Kindertageseinrichtungen und Schulen grundsätzlich gute Möglichkeiten, Kinder gezielt in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung zu unterstützen und im Sinne eines präventiven Vorgehens zumindest für einen Teil der Kinder (und ihrer Familien) neue Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen und seelischen Störungen vorzubeugen (z. B. Fingerle & Grumm, 2012; Rönnau-Böse, Strohmer & Fröhlich-Gildhoff, 2018) – auch hier ist ein kompetentes, systematisches, mit Eltern und externen Diensten abgestimmtes Handeln der Fachkräfte in Kitas nötig.
Bisher fehlten allerdings Konzepte, die Fachkräfte qualifizieren, den als herausfordernd erlebten Verhaltensweisen systematisch und »erfolgreich« – auch und gerade im pädagogischen Alltag – zu begegnen. Die bisher zur Verfügung stehenden Programme sind entweder präventiv ausgerichtet (z. B. »Faustlos«, Cierpka, 2004; bzw. »EFFEKT«, Lösel, Jaursch, Bellmann & Stemmler, 2007, zur Gewaltprävention oder Fröhlich-Gildhoff, Dörner & Rönnau-Böse, 2016, zur universellen Resilienzförderung) oder sie sind als spezifische »Kurse« für verhaltensauffällige Kinder in der Kita konzipiert (z. B. Koglin & Petermann, 2013), die wenig Bezug zum Handeln im Alltag aufweisen.
Erfahrungsgemäß sind Pädagog*innen zumeist gut in der Lage, (einmalige) ›Akutsituationen‹ zu bewältigen: Wenn ein Kind sehr große Angst hat oder zwei Kinder in eine körperliche Auseinandersetzung geraten sind, so schreitet die Fachkraft ein, beruhigt, kann später auch mit dem Kind besprechen, wie die Situation zustande gekommen ist und wie man diese zukünftig vermeiden oder anders lösen könnte.
Die Belastung, die nicht selten zu Hilflosigkeit führt, tritt dann auf, wenn ein Kind mehrfach oder oft Verhaltensweisen zeigt, die als beeinträchtigend für andere erlebt werden und für die keine adäquaten Antworten gefunden werden bzw. bisherige Strategien versagen. Dann ist es nötig, Verantwortung zu teilen und nach systematischen Antwortmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen (Kind, Team, Familie) zu suchen.
Vor diesem Hintergrund wurde am Zentrum für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) an der Evangelischen Hochschule Freiburg ein Konzept zur Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte zum Umgang mit herausfordernden Verhalten von Kindern im Kita-Alltag entwickelt und in zwei sorgfältig evaluierten Praxisforschungsprojekten umgesetzt (Fröhlich-Gildhoff, Strohmer, Rönnau-Böse, Braner & Grasy-Tinius, 2019a,b; Fröhlich-Gildhoff, Grasy-Tinius & Hoffer, 2020; Grasy-Tinius, 2019). Im Kern steht dabei die Etablierung eines systematischen Vorgehens, das sich am Kreislauf professionellen Handelns (Fröhlich-Gildhoff, Rönnau-Böse & Tinius, 2017) orientiert: Auf (1) eine systematische Beobachtung folgt (2) das Verstehen und Analysieren des als herausfordernd erlebten Verhaltens. Dabei werden Hypothesen gebildet, die wiederum die Grundlage für eine (3) dezidierte Handlungsplanung sind, die dann (4) in systematisches Handeln auf den Ebenen Kind, Einrichtung/Team/Gruppe, Eltern, weiteres Umfeld und Dienste umgesetzt werden. Die Handlungen werden (5) evaluiert und reflektiert und ggf. erfolgen weitere Beobachtungen, Analysen und Planungen.
Die beiden Forschungsprojekte hatten die Qualifizierung kompletter Teams der Fachkräfte in Kitas – durch geschulte Referent*innen bzw. Prozessbegleiter*innen – über einen Zeitraum von jeweils ca. 18 Monaten zum Gegenstand. Das Grundprinzip der Teamfortbildungen bestand darin, die Fachkräfte zu qualifizieren; es wurden dann Ziele für Veränderungen direkt auf Ebene der Fachkräfte und indirekt auf den Ebenen der jeweiligen Institution, der Kinder und der Eltern beschrieben:
Die geschulten Prozessbegleiter*innen initiierten und unterstützten Organisationsentwicklungsprozesse in den Kitas: Durch Qualifizierungen der Fachkräfte und zusätzliche vertiefende Prozessbegleitungssitzungen sollten die Fachkräfte ihre Kompetenzen in der Begegnung mit herausforderndem Verhalten weiter entwickeln und es sollten zugleich in der Gesamtinstitution konzeptionelle Veränderungen zu einer ressourcenorientierten Begegnung mit diesen Verhaltensweisen eingeleitet werden. Es wurden direkte Auswirkungen auf die Fachkräfte und indirekte Effekte auf Ebene der Kinder und Eltern erwartet.
Abb. 1: Struktur der Forschungsprojekte zum »Herausfordernden Verhalten in Kitas«
Im Ausgangsprojekt »Umgang mit herausforderndem Verhalten – Evaluation des Implementationsprozesses einer Qualifizierungsmaßnahme in Kindertageseinrichtungen« (Laufzeit: 2014–2016; Förderung durch Robert-Bosch-Stiftung; Grasy-Tinius, 2019) wurden 19 Kindertageseinrichtungen, davon 11 Interventions-Kitas mit insgesamt 111 pädagogischen Fachkräften und 8 Kontroll-Kitas (84 Fachkräfte), über einen Zeitraum von zwei Jahren wissenschaftlich begleitet. Die achtzehnmonatige Weiterbildung in den Interventions-Kitas basierte auf einem Curriculum mit sechs Bausteinen (z. B. Beobachtung, Ursachen von herausforderndem Verhalten, Zusammenarbeit mit Eltern, Vernetzung und Kooperation). Die Fachkräfte-Teams konnten, je nach Rahmenbedingungen und Bedarf sowie ihrem Kompetenzstand, individuelle Schwerpunkte wählen und sich mit spezifischen Inhalten vertieft auseinandersetzen; dieses Vorgehen wurde sorgfältig dokumentiert.
Im zweiten Projekt (»Herausforderungen: Für Dich? Für mich? Für alle?« Herausforderungen durch Verhalten im pädagogischen Alltag professionell bewältigen« (Laufzeit 2016–2018; Förderung durch »Offensive Bildung« der BASF SE; Fröhlich-Gildhoff et al., 2019a,b) wurden zehn Kindertageseinrichtungen mit insgesamt 143 pädagogischen Fachkräften in ihrem jeweiligen Team-/Organisationsentwicklungsprozess zum professionelle(re)n Umgang mit herausforderndem Verhalten begleitet. Die Fachkräfte der beteiligten Kindertageseinrichtungen wurden gemäß dem Curriculum (Fröhlich-Gildhoff, Rönnau-Böse & Tinius, 2017) regelmäßig über einen Zeitraum von etwa 18 Monaten von den geschulten Prozessbegleiter*innen fortgebildet (Teamtage) und fachlich begleitet (kontinuierliche Prozessbegleitung/Coaching). Jede/r Prozessbegleiter*in war für je eine Kita zuständig. Die Fortbildungen durch die Prozessbegleiter*innen umfassten ein insgesamt sechstägiges Modulpaket, an denen das gesamte Team einer Einrichtung teilnahm. Dieses Modulpaket war curricular aufgebaut, bestand aus obligatorischen (Einführung; Beobachtungs- und Analysekompetenz; konkretes Handeln und Zusammenarbeit mit Eltern; Sicherung der Nachhaltigkeit) und Wahlpflichtmodulen (z. B. Gesundheit der Fachkräfteteams; Vernetzung und Kooperation mit Externen). Es wurden für die teilnehmenden Einrichtungen nach deren spezifischen Anforderungen und Bedingungen und dem jeweiligen Kompetenzstand vor Ort individuelle Schwerpunkte gesetzt (ausführlich: Fröhlich-Gildhoff et al., 2019b).
Die Evaluation bestand aus einem Kombinationsdesign mit quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden als Prozess- und Ergebnisevaluation. Die Prozessevaluation erfasste die einzelnen Schritte, Erfahrungen und Rückmeldungen bei der Umsetzung. Die Ergebnisevaluation bezog sich auf drei Erhebungszeitpunkte (t0 = vor der Fortbildung, t1 = direkt im Anschluss an die Fortbildungen, t2 = ein halbes Jahr nach der letzten Fortbildung). Die Prozessevaluation lief kontinuierlich während der Fortbildungen.
Die Ergebnisse in beiden Projekten zeigten im Vergleich der Untersuchungszeitpunkte (vorher/nachher) einen Kompetenzzuwachs der Fachkräfte, eine deutlich gestiegene Sicherheit in Verstehen von und in der Begegnung mit herausforderndem Verhalten. Damit verbunden war ein verringerter Perfektionsanspruch bzw. eine höhere Leistungs- und Arbeitszufriedenheit. Die Zusammenarbeit zwischen den Eltern und den Fachkräften verbesserte sich weiter und das Wohlbefinden der Kinder – gemessen über einen standardisierten Test – stieg an (Fröhlich-Gildhoff et al., 2019a, b; Fröhlich-Gildhoff, Grasy-Tinius & Hoffer, 2020; Grasy-Tinius, 2019).
Besonders wichtig war eine Anpassung der Fortbildungsinhalte an den jeweiligen Stand und die Bedarfe der Teilnehmer*innen aus der Zielgruppe.
Die positiven Evaluationsergebnisse und die vielen sehr guten Rückmeldungen aus den an den Projekten beteiligten Kindertageseinrichtungen führten dazu, dass das Konzept vielfach bundesweit auf Tagungen und Tagesveranstaltungen sowie in zehn Multiplikator*innenschulungen (Stand März 2020) weiterverbreitet wurde (laufende Informationen: http://www.zfkj.de).
Bei der Durchführung zeigte sich ein Bedarf nach einer praxisorientierten Handreichung, die im pädagogischen Alltag und im Besonderen bei »Fall«-Besprechungen eine praktikable Orientierung bieten kann. Eine erste Vorform wurde im Jahr 2018 erstellt – das vorliegende Handbuch erweitert und vertieft diese mittlerweile vielfach erprobte Handreichung.
Der »rote Faden« in diesem Handbuch ist zum einen der Kreislauf professionellen Handelns. Er ist in Kapitel zwei ( Kap. 2), den theoretischen Grundlagen, ausgeführt. In diesem zweiten Kapitel werden neben einer Klärung der Begrifflichkeit des »herausfordernden Verhaltens« weitergehende theoretische Informationen zur Entstehung von Verhaltensweisen gegeben. Die hier vorgestellten Modelle bilden einen wichtigen Kern des vorgeschlagenen Vorgehens.
Das dritte Kapitel ( Kap. 3