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Kinder mit Migrations- und Fluchthintergrund sind zuerst einmal Kinder und bringen doch oft belastende Erfahrungen mit sich: Migration aus einem anderen Kulturkreis, Fluchterfahrung oder gar die Auseinandersetzung mit einem traumatischen Erlebnis. Dieses Buch vermittelt wichtiges Hintergrundwissen und hilfreiche Handlungsstrategien. So werden frühpädagogische Fachkräfte in ihrer professionellen Haltung gestärkt und profitieren von praktischen Tipps zu den zentralen Themen: Beziehungsaufbau, kultursensible Erziehung, Spracherwerb, Umgang mit Traumata, Resilienz, Elternarbeit und geeigneten Materialien. Dabei sollten die PädagogInnen weder die angestammten Kita-Kinder und deren Familien noch sich selbst, ihr Team und eine gesunde Selbstfürsorge aus den Augen verlieren. Das Buch wurde für die 3. Auflage auf den aktuellen Stand gebracht.
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Andrea Hendrich
Kinder mit Migrations- und Fluchterfahrung in der Kita
3., aktualisierte Auflage
Mit 17 Fotos
Ernst Reinhardt Verlag München
Andrea Hendrich, Dipl.-Päd., Systemische Familientherapeutin, Mediatorin und Trainerin für Elterngruppen, hat langjährige Erfahrung in der Erziehungsberatung und ist Dozentin an der Caritas Don Bosco Fachakademie München.
Im Ernst Reinhardt Verlag ebenfalls erschienen:
Hendrich, A., Offinger-Gaube, R.:
Kultur- und migrationssensible Familienarbeit in der Kita
(1. Aufl. 2018; ISBN 978-497-02814-6)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-497-03155-9 (Print)
ISBN 978-3-497-61677-0 (PDF-E-Book)
ISBN 978-3-497-61678-7 (EPUB)
3. aktualisierte Auflage
© 2022 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
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Cover unter Verwendung eines Fotos von © mitgirl/Fotolia.com
Satz: Rist Satz & Druck GmbH, 85304 Ilmmünster
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: reinhardt-verlag.de
Inhalt
Vorwort zur dritten Auflage
Einführung
Kinder mit unterschiedlicher Geschichte: Nazim, Selima und Edward
Flüchtlingskinder in der Kita
Zuerst einmal sind es Kinder
Herausforderung Migration
Die Familie kommt aus einem anderen Kulturkreis
Die Familie vertritt andere Glaubensrichtungen
Die Familie spricht eine andere Sprache oder ist sprachlos
Der Lebensalltag unterscheidet sich stark1
Staatliche, politische und gesellschaftliche Strukturen sind völlig fremd
Geschlechter wachsen unterschiedlich auf
Die Familie erlebt Fremdheit und Diskriminierung
Die Bleibeperspektive ist unsicher
Herausforderung Flucht, Vertreibung und Verfolgung
Die Familienstruktur ist zusammengebrochen
Wichtige Familienmitglieder wurden zurückgelassen oder verloren
Die Familie betrauert Verluste
Die Familie ist noch im Überlebens- und Fluchtmodus
Die Familie ist von Armut jeglicher Art betroffen
Kindgerechte Bedürfnisse werden nicht erfüllt
Wichtige Bezugspersonen sind belastet oder traumatisiert
Falsche Erwartungen und aktuelle Perspektivlosigkeit lähmen
Herausforderung Trauma
Traumatische Ereignisse
Was bei einem Trauma im Gehirn passiert
Unterscheidung der Belastungsstörungen im ICD 11
Konkrete Reaktionsmuster bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
Resilienz und Resilienzförderung
Ressourcen im Kind
Ressourcen in der Familie
Ressourcen in der Umwelt
Faktoren der Resilienz und Resilienzförderung
Pädagogische Haltung und pädagogisches Handeln
Aufbau von Beziehung und Bindung – pädagogische Grundsätze
Stabilität durch Sicherheit, Kontrollierbarkeit und Vorhersagbarkeit
Interesse für das Kind, seine Bedürfnisse und seine Kultur
Schneller Spracherwerb
Ressourcenorientierte Sicht auf das Kind
Kultursensible Erziehung: Wissen – Haltung – Praxis
Wissen
Haltung
Praxis
Vernetzung innerhalb der Kita / Arbeit mit der ganzen Kindergruppe
Vorbeugende Maßnahmen bei möglichen Traumata
Umgang mit aktuellem Wiedererleben des Traumas
Umgang mit Konflikten
Geeignetes Material und passende Methoden einsetzen
Elternarbeit und Vernetzung
Arbeit mit den Familiensystemen der Flüchtlingskinder
Erstgespräch / Anmeldegespräch
Eingewöhnung
Tür- und Angelgespräche
Entwicklungs- und Krisengespräche
Hausbesuch
Elterncafé in der Einrichtung
Veranstaltungen der Kita
Elterngruppen und Elternkurse
Elternarbeit mit den Familien der angestammten Kinder
Alle Familien und ihre Ängste im Blick
Transparenz und Informationsweitergabe an alle Eltern
Krisengespräche
Patenschaften
Vernetzung mit dem Umfeld
Ämter, Institutionen und Dolmetscher im Stadtteil
Deutsche Familien außerhalb der Kita
Übergänge – kritische Momente in der Kita
Unterstützende Rahmenbedingungen für pädagogische Fachkräfte
Multiprofessionelles und multikulturelles Team
Supervision, Selbstreflexion und gesunde Selbstfürsorge
Austausch mit dem Träger und im Team
Zeitnaher Zugriff auf Dolmetscher / Kulturdolmetscher und Vernetzung im Stadtteil
Betreuungsschlüssel und finanzielle Ausstattung
Fortbildung
Grenzen pädagogischen Handelns in der Kita
Notwendige Rahmenbedingungen sind nicht gegeben
Eltern und andere Familienmitglieder arbeiten gegen die Kita
Die Familie wird abgeschoben oder zieht um
Kindeswohlgefährdung
Traumatherapien – Unterstützung durch die Kita
Ausblick
Literatur
Adressen und Internetseiten
Bildnachweis
Sachregister
Vorwort zur dritten Auflage
Liebe Leserinnen und Leser,
ich freue mich sehr, dass ich mein Buch „Kinder mit Migrations- und Fluchterfahrung in der Kita“ nun in die 3. Auflage begleiten kann.
Leider bildet gerade ein aktueller Krieg in Europa den traurigen wie erschreckenden Anlass für eine neue Fluchtbewegung, diesmal aus der Ukraine in die europäischen Nachbarländer.
Immer wenn wir in den Kitas Kinder aus Kriegs- oder Konfliktgebieten betreuen, stellen wir als pädagogische Fachkräfte uns Reflexions-Fragen wie:
•Welche Familienmitglieder kommen in Deutschland an? Wer blieb zurück? Wie lange dauerte die Flucht?
•Wer ist für die Betreuung der Kinder hauptsächlich zuständig?
•Will die Familie bleiben oder plant sie eine zeitnahe Rückkehr in die Heimat?
•Wie ist die Familie untergebracht – privat oder in öffentlichen Unterkünften?
•Wie belastet sind die Erwachsenen der Familie?
•Welche Sprachen spricht die Familie? Wo gibt es Übersetzer?
•Wie thematisieren wir in der Einrichtung den jeweiligen Krieg oder Konflikt?
•Wie sind wir auf das Thema „Trauma“ vorbereitet?
•Welche Rituale können wir anbieten? Welche Hilfen beim Übergang? Mit wem arbeiten wir zusammen?
Und manchmal gibt es spezifischere Fragen, die wir der jeweiligen Situation der Kinder anpassen müssen:
•Haben wir Kinder in der Einrichtung, deren Herkunftsländer im Krieg gegeneinanderstehen oder die in einem Bürgerkrieg zu verfeindeten Gruppen gehören?
•Wie begegnen wir Kindern und ihren Familien, die einer bestimmten Kriegs- oder Konfliktpartei angehören?
•Wie ist unsere persönliche Haltung zu dem jeweiligen Krieg oder Konflikt? Sind wir uns unserer Vor-Urteile bewusst?
Die Reflexionsprozesse sind oftmals schwierig, egal ob es sich um syrische, afghanische oder ukrainische Kinder etc. handelt.
Ich hoffe, dass dieses Buch weiterhin einen wichtigen Beitrag leisten kann, damit pädagogische Fachkräfte Kinder mit Migrations- und Fluchterfahrung verstehen und unterstützen können.
München, den 1. April 2022
Andrea Hendrich
Einführung
„Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ (Sprichwort aus Afrika)
Dieses Sprichwort klingt brandaktuell, ist jedoch altbekannt. Es beschreibt treffend, dass ein Kind verschiedene Erwachsene und auch Kinder benötigt, um zu einem selbständigen, selbstbewussten und zugleich sozialen Menschen heranzureifen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, im Gegenteil: Wir brauchen heute mehr denn je Menschen, die Kinder auf dem Weg ins Leben begleiten.
Was brauchen wir, um Kinder in eine für sie neue Gesellschaft zu begleiten?
Auch Flüchtlingskinder benötigen Erwachsene außerhalb ih- rer Familie, die ihnen Hilfestellungen geben. Diese Kinder befinden sich in ganz besonderen, für Menschen im westlichen Europa oft fremden, Lebenssituationen. Um solche Kinder in eine andere und neue Gesellschaft zu begleiten, sie zu unterstützen und zu stärken, ist vieles vonnöten: guter Wille und Liebe zum Kind, Selbstreflexion, Offenheit für Neues, ein Rucksack voll mit pädagogischem Geschick und pädagogischer Theorie und nicht zuletzt Hintergrundinformationen über die Lebenswelt, aus der diese Kinder stammen.
Auch die Familien dieser Kinder wollen verstanden und in Lern- und Integrationsprozesse einbezogen werden. Pädagogische Fachkräfte sollten sich mit ihnen und ihren Werten, Geschichten, Normen und Ängsten auseinandersetzen. Dabei dürfen die hier lebenden Kinder und deren Eltern nicht aus dem Blick geraten, die ihrerseits Ängste, Sorgen und Bedürfnisse mit sich bringen. Sie alle haben ein Recht auf Verständnis und Mitsprache und sind zugleich eine wichtige Ressource für die Arbeit in der Kita. Nicht zuletzt wird es notwendig sein, dass pädagogische Fachkräfte den Mut aufbringen, ihre eigene Sozialisation zu betrachten, Grenzen und Urteile wahrzunehmen, sich ih- ren eigenen Ängsten zu stellen, dazuzulernen und Hilfe anzunehmen. Sie sind gleichzeitig aufgerufen, undiskutierbare Werte der eigenen Kultur zu vertreten und vorzuleben und eine gesunde Selbstfürsorge zu betreiben. Solche „undiskutierbaren Werte“ unserer Gesellschaft basieren auf Werten, die das Grundgesetz benennt, und sind u. a.: gewaltfreie Erziehung, gemeinsames und gleichberechtigtes Aufwachsen beider Geschlechter, Freiheit und Autonomie (z. B. bezüglich Partnerwahl, Religion, Lebensgestaltung), Unversehrtheit des eigenen Körpers (z. B. weibliche Beschneidung), Kindeswohl (z. B. Ablehnung von Gewalt und Zwang, auch Ablehnung der Kinderehe). Hinzu kommen notwendigerweise Respekt vor staatlichen Autoritäten und Toleranz gegenüber anderen Lebensstilen.
Welche Alternativen gibt es zur Betreuung von Flüchtlingskindern in der Kita?
Verhandelt werden können und müssen eher konkrete Wer- te wie z. B. Pünktlichkeit, Tradition, Formen der Ausübung von Religion (z. B. Verschleierung, Speise- und Schlachtgewohnheiten, Gebet), Ehrbegriff, Elternverantwortung und Familiensinn.
Für diese große Herausforderung müssen kreativ und offen neue Wege gesucht und gefunden werden. Dieses Buch möchte all jene Pädagogen und Pädagoginnen unterstützen, sich auf diesen Weg zu machen.
Ich gehe in diesem Buch davon aus, dass viele der Kinder mit Flucht- und Migrationshintergrund ihren Weg in die Kitas finden und dort gut versorgt und unterstützt werden. Dennoch müssten von politischer Seite her andere, zusätzliche und passende Formen der Kinderbetreuung geschaffen werden – wenn weiterhin hunderttausende Flüchtlinge und Migranten jedes Jahr mit ihren Familien in Europa ein neues Leben suchen. So könnten in bestimmten Fällen Übergangskitas oder wenigstens passende Schutzräume an ein Erstaufnahmelager angeschlossen werden. In diesem Rahmen könnten Fachkräfte die Kinder so lange betreuen, bis die Eltern ihre Asylanträge gestellt oder gar ihren endgültigen Wohnort mit Bleibeperspektive gefunden haben. Schnelle, stabilisierende und entlastende Betreuung kä- me den Familien wie den Kindern zugute und würde den ersten Schritt in Richtung einer positiven Integration unter Beachtung kindlicher Bedürfnisse bedeuten.
Auch die Ausbildung von kultursensiblen Tagesmüttern, die die Erstsprache und kulturellen Gepflogenheiten der Kinder kennen, könnte eine zusätzliche Hilfe darstellen. Dies könnte zugleich einen sanften Übergang in eine öffentliche Kita ermöglichen. Die Kita als „neue“ Institution in einem unbekannten Land ist für viele Flüchtlingseltern eine Einrichtung, die sie so von zu Hause nicht kennen und die sie zuerst einmal überfordert.
In diesem Buch benutze ich den Überbegriff „pädagogische Fachkraft“ für alle Pädagogen und Pädagoginnen, die im Arbeitsfeld Kita arbeiten. Diese Bezeichnung soll hier auch andere Berufe wie z. B. Erzieher, Heilpädagogen, Diplompädagogen oder Kinderpfleger umfassen.
Zudem habe ich mich für die Formulierung „Migrations- und Fluchthintergrund“ entschieden. Unter dem Begriff „Migrationshintergrund“ verstehe ich aktuelle Migrationserfahrungen. Ich meine damit nicht, dass die Familie oder ein Elternteil in früheren Jahren aus einem anderen Land zugezogen sind oder in einem anderen Land geboren wurden. Auch der Begriff „Fluchterfahrung“ oder „Flüchtling“ ist auf eine aktuelle Erfahrung bezogen, in keinerlei Hinsicht abwertend und beschreibt einfach den speziellen Hintergrund der Einwanderung.
Ich danke meinen Töchtern Maya und Sylvie, die mich so vieles lehren, vor allem dass Kinder unser größter Schatz und unsere Zukunft sind. Ich danke meinem Mann, der mich bei diesem Buch unterstützt hat.
Ich danke Rita Offinger-Gaube, Dr. Hilke Gerber, Tine Eschertzhuber, Roseli Weber, Maria Zepter, Herrn Vey, Frau Lesche, Frau Blümel und Frau Eberl, Frau Dr. Dagmar Hann und allen, die ich nicht namentlich nennen kann. Ohne sie wäre dieses Buch nicht so bunt.
Um die Arbeit mit Kindern und ihren Eltern mit Flucht- und Migrationserfahrungen und die damit verbundenen Herausforderungen konkret und anschaulich darzustellen, führen uns Selima, Nazim und Edward mit ihren Geschichten und Erlebnissen durch dieses Buch.
Kinder mit unterschiedlicher Geschichte: Nazim, Selima und Edward