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In Band 1 der Montessori-Kleinschriften werden grundlegende Aspekte der Montessori-Pädagogik erörtert. Es wurde versucht, möglichst viele Dimensionen der pädagogischen Vorstellungen Maria Montessoris zu berücksichtigen. Das Schlüsselphänomen der "Polarisation der Aufmerksamkeit" findet darüber hinaus ausreichend Beachtung.
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Seitenzahl: 58
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Reihentitel
Titel
Impressum
Inhalt
Vorbemerkung
Der vergessene Bürger
Die soziale Frage des Kindes
Die Ziele der sozialen Partei des Kindes
Kinderhaus und kulturelle Umgebung
Nachwort von Harald Ludwig
Literaturhinweise
Montessori-Perlen
Herausgegeben von Harald Ludwig und Michael Klein-Landeck
Kinderrechte
Maria Montessori
Kinderrechte
Die soziale Frage des Kindes
Herausgegeben und mit einemNachwort versehen vonHarald Ludwig
© The Montessori-Pierson Publishing Company, 2006Für die deutschsprachige Ausgabe:© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2020Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlaggestaltung und -konzeption: rsrdesign, WiesbadenUmschlagmotiv: Maria Montessori mit Perlenkette, 1936Satz: SatzWeise, Bad WünnenbergHerstellung: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in GermanyISBN Print 978-3-451-37782-2ISBN EBook (PDF) 978-3-451-81930-8ISBN EBook (EPUB) 978-3-451-81931-5
Vorbemerkung
Der vergessene Bürger
Die soziale Frage des Kindes
Die Ziele der sozialen Partei des Kindes
Kinderhaus und kulturelle Umgebung
Nachwort von Harald Ludwig
Literaturhinweise
Die Italienerin und Weltbürgerin Maria Montessori (1870–1952) war nach dem Urteil vieler die bedeutendste Pädagogin des 20. Jahrhunderts. Schon zu ihren Lebzeiten waren Erziehungsinstitutionen, die sich an ihrer Pädagogik orientierten, weltweit verbreitet. Heute findet man sie in mehr als 110 Ländern.
Im Mittelpunkt des pädagogischen Denkens Maria Montessoris steht das Kind mit seinen grundlegenden Entwicklungsbedürfnissen und Aufbaukräften. Erziehung bedeutet für Montessori, dem Kind, dem Jugendlichen, dem Menschen überhaupt Hilfe zu leisten beim Selbstaufbau seiner Persönlichkeit. Das Kind ist von Anfang an ein sich in Entwicklung befindender Mensch, der Anspruch auf Respektierung und Förderung seines Selbstaufbaus durch die Gesellschaft hat. Zum Ausdruck kommt dies u. a. in den »Kinderrechten«, wie sie der Völkerbund in seiner Genfer Erklärung (1924) und später die Vereinten Nationen (UN) in der 1989 angenommenen und 1990 in Kraft getretenen Kinderrechtskonvention formuliert haben.
Montessoris Engagement für das Kind und seine Rechte hat ähnlich wie das des polnischen Reformpädagogen Janusz Korczak (1878–1942) große Bedeutung für die geistige Vorbereitung und das Verständnis der Kinderrechte, die Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins für sie sowie ihre politische Umsetzung. Die folgenden Texte zeigen dies exemplarisch auf. Informationen zu ihrem Entstehungszusammenhang und einige Erläuterungen finden sich im Nachwort des Herausgebers.
Harald Ludwig
Die Rechte des Kindes sind gesellschaftlich, insofern das individuelle Leben jedes Einzelnen von der Gesellschaft abhängt. Aufgrund dieser Tatsache wird jede Person nicht nur als Mensch betrachtet, d. h. als ein menschliches Wesen an und für sich, sondern auch als Bürger, d. h. als ein vergesellschaftetes Wesen, dessen Existenz von der gesellschaftlichen Organisation abhängt.
Diese Grundsätze gelten für jeden Menschen und daher auch für das Kind. Besser gesagt: Sie gelten für jeden Menschen in seinem ganzen Leben, von der Geburt bis zum Tod. Sie umfassen also die zwei Perioden des Lebens: die des Heranwachsenden, in welcher der Mensch sich aufbaut, und die des Erwachsenen, in welcher der reife Mensch in der Gesellschaft handelt. Unsere Gesetze, unsere Traditionen, unsere gesellschaftlichen Prinzipien oder Vorurteile, unser mangelhaftes Verständnis für die Kindheit haben allerdings bis jetzt einen Teil des menschlichen Lebens, nämlich die Kindheit, von den Rechten des Bürgers ausgeschlossen.
Das Kind wird ausschließlich als abhängig von der Familie betrachtet, ohne soziale Kontrolle. Es ist gezwungen, in einer Weise zu lernen, die dem Lehrer Zeit spart, aber keinerlei Rücksicht nimmt auf seine Entwicklungsbedürfnisse und daher auf seine Lebensrechte. So wird ihm die Eigenschaft eines Bürgers vorenthalten.
Als der erwachsene Mensch mit Hilfe der Zivilisation versuchte, seine Lebensumstände zu verbessern und gegenüber der Gesellschaft die Rechte des Individuums und seine Menschenwürde durchzusetzen, betraf dies nicht das Leben des Kindes.
Seit der Abschaffung der Sklaverei bis zur demokratischen Organisation der Staaten gab es eine kontinuierliche Durchsetzung der Norm, dass der Mensch nicht absolut von anderen Individuen abhängig sein darf (etwa als Sklave und Knecht von Herren), sondern nur von der Gesamtheit der vergesellschafteten Individuen. Dies gipfelte in der Aussage: Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich (das bedeutet Abhängigkeit von einer unpersönlichen Gegebenheit). Das schließt indessen nicht die Abhängigkeit bei den Mitgliedern der Familie, bei den gesellschaftlichen Hierarchien, bei der Hierarchie in der Organisation eines Industriezentrums usw. aus.
Man kann daher sagen, dass die Eigenschaft eines Bürgers die allgemeinen Prinzipien betrifft und ein Menschenrecht geltend macht, das kompatibel mit den besonderen Details der Organisation der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ist. Bei der parlamentarischen Form lässt man alle Bürger an der Gesetzgebung durch Repräsentanten teilnehmen und durch diese Repräsentanten lässt man dem Nationalen Parlament die Anliegen der verschiedenen sozialen Gruppen zukommen. So ist es auf legale Weise möglich, dem Recht des Menschen, seiner Freiheit und Würde allmählich zum Sieg zu verhelfen. Gerade diese Möglichkeit charakterisiert heute unsere demokratische Zivilisation. Ihr Konzept sieht eine absolute Regierung als minderwertig an und hält diese für unvereinbar mit dem menschlichen Fortschritt, wie man auch die Sklaverei oder die Knechtschaft als unvereinbar mit der Zivilisation betrachtet.
Aber das Kind ist an dieser sozialen Entwicklung unbeteiligt geblieben. Gegen das Kind gibt es noch die absolute Regierung der Familie oder der Schule. Seine direkte Abhängigkeit von betreuenden Personen ist eine wirkliche Abhängigkeit unter der Herrschaft von Diktatoren. Man schätzt beim Kind nur die Tugend des Gehorsams. Da das Kind nicht wie die Erwachsenen auf äußere Werke gerichtet handelt, sondern auf sein Wachstum bezogen agiert, wirkt sich sein Gehorsam auf seine innerste Persönlichkeit aus und unterdrückt seine eigenen Lebenskräfte. Das Kind muss schlafen, essen, still sein oder reden, wenn der Erwachsene es möchte, und für andere körperliche Funktionen muss es den Erwachsenen um Erlaubnis fragen, bevor es sie befriedigen kann (wie es sogar in den Sekundarschulen vorkommt).
Der Gehorsam ist ihm nach Maßgabe des Wohlbefindens und der Bedürfnisse des Erwachsenen auferlegt, der wie ein Diktator das Kind oft auch einfach seinen Launen, seiner schlechten Stimmung oder seinen persönlichen Vorurteilen unterwirft, mit dem Ziel, die vom Erwachsenen gewollte Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Pflichtunterricht ist eine allgemeine Mobilisierung von Kindern, die zu einer unvernünftigen Disziplin verurteilt sind, welche sie passiv und unbeweglich sein lässt, im Widerspruch zu dem natürlichen Impuls, der die Kinder durch Beweglichkeit und Aktivität sich entwickeln lassen würde. Der Unterricht erfolgt in der Form von Zwangsarbeit und oft unter Qualen. Er ist nach dem Gutdünken des Erwachsenen festgelegt und orientiert sich häufig an den politischen Überzeugungen des Erwachsenen.
Die Tatsache, dass dem Geist ein erzwungenes und irrationales Lernen auferlegt wird, zwingt den jungen Menschen von morgens bis abends ständig zu einer geistigen Arbeit, die ihn den ganzen Tag über beschäftigt und keine angenehme Entspannung zulässt. Auch bei der Gymnastik sind die Bewegungen vom Erwachsenen angeordnet und zeitlich festgelegt. Das Leben ist zu jeder Stunde des Tages strengen Regeln unterworfen, und es ist ein Übergang, bei dem sich zwei Diktaturen abwechseln: die der Familie zu Hause und die der Schule. Da sich diese beiden während des Tages abwechseln, sind sie voneinander unabhängig und oft uneins oder stehen sogar untereinander im Gegensatz. Das Kind aber ist gezwungen, sich allen beiden schweigend zu unterwerfen. Es muss so dem aristokratischen Vater gehorchen und ebenso dem bürgerlichen Lehrer und der aus dem einfachen Volk stammenden Gouvernante und all das ausführen, was die unterschiedlichen Erwachsenen für es festlegen.
Keine Umgebung