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Sprache ist für Maria Montessori Mittel zur Welterkenntnis, Ausdrucks- und Kommunikationsmittel, letztlich "Basis für das soziale Leben". Die Texte dieses Bändchens vermitteln einen facettenreichen Einblick in Montessoris Verständnis von Sprachentwicklung und sprachlicher Bildung und der aktiven Rolle, die das Kind beim Spracherwerb spielt.
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Seitenzahl: 51
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Montessori-Perlen
Herausgegeben von Harald Ludwig und Michael Klein-Landeck
Sprachliche Bildung
Maria Montessori
Sprachliche BildungSchlüssel zur Welt
Herausgegeben und mit einemNachwort versehen vonMichael Klein-Landeck
© The Montessori-Pierson Publishing Company, 2006Für die deutschsprachige Ausgabe:© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlaggestaltung und -konzeption: rsrdesign, WiesbadenUmschlagmotiv: Maria Montessori mit Perlenkette, 1936Satz: SatzWeise, Bad WünnenbergHerstellung: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in GermanyISBN Print 978-3-451-37953-6ISBN EBook (PDF) 978-3-451-82451-7ISBN EBook (EPUB) 978-3-451-82452-4
Vorbemerkung
Texte Maria Montessoris
Das Geheimnis der Sprache
Der Beginn des Unterrichts /Schreiben – Lesen
Die Analyse des Schreibens
Das Lesen ohne Fibel
Nachwort von Michael Klein-Landeck
Literaturhinweise
Im Zentrum des pädagogischen Denkens Maria Montessoris (1870–1952) steht das Kind mit seinen basalen Entwicklungsbedürfnissen und Aufbaukräften. Erziehung bedeutet für sie, dem jungen Menschen Hilfe zu leisten beim Aufbau seiner Persönlichkeit. Dies gilt in besonderer Weise auch für die Sprachentwicklung.
Nach Montessori ist Sprache »Teil der Personaliät« selbst1, denn sie betrifft den ganzen Menschen in seiner Entwicklung. Beim Aufbau der Muttersprache zeige sich das komplexe Zusammenspiel von Anlage, Umwelt und Eigenaktivität des Kindes, insbesondere die unbewusste Wirkkraft des Absorbierenden Geistes und die Bedeutung Sensitiver Phasen. Erste Angebote zur sprachlichen Bildung entwickelt sie als pädagogische Antwort auf frühkindliche Lernbedürfnisse. Neben dem gepflegten sprachlichen Vorbild sollen spezielle Lernmaterialien das Kind beim ersten Lesen und Schreiben im Vorschulalter unterstützen.
Aber Montessori reflektiert auch Entstehung, Funktion und Komplexität unterschiedlicher Sprachen, die sie als Übereinkunft versteht, um »Verständigung unter den Menschen herbeizuführen.«2 Sprache ist für sie Schlüssel zur Welt – Mittel zur Welterkenntnis, Ausdrucks- und Kommunikationsmittel und letztlich Basis für das soziale Leben.
Das vorliegende Bändchen vermittelt einen facettenreichen Einblick in Montessoris Verständnis von Sprachentwicklung, sprachlicher Bildung und der aktiven Rolle des Kindes beim Spracherwerb. Hinweise zum Entstehungszusammenhang der Texte finden sich im Nachwort.
Michael Klein-Landeck
1Montessori, Maria: Von der Kindheit zur Jugend (MMGW Bd. 14), 2. Aufl. Freiburg 2018, S. 128
2ebd.
Sprache ist ein Ausdruck der Übereinkunft zwischen einer Gruppe von Menschen und kann nur von denen verstanden werden, die sich darauf geeinigt haben, dass bestimmte Laute bestimmte Begriffe darstellen sollen. Andere Gruppen haben andere Laute für die gleichen Begriffe und Gegenstände. Daher wird Sprache zu einer Mauer, die verschiedene Gruppen voneinander trennt und gleichzeitig Mitglieder derselben Gruppe zusammenschließt. Sie ist das Mittel zu gemeinsamem Denken und ist immer verwickelter geworden, wie das menschliche Denken selber an Komplexität zunahm. Die zur Wortbildung verwendeten Laute sind gering an der Zahl, aber sie können sich auf vielfache Weise zur Wortbildung verbinden. Diese Worte können wiederum auf vielfache Art angeordnet werden, um einen Satz zum Ausdruck eines Gedankens zu gestalten.
Es gibt nichts Geheimnisvolleres als die Wahrheit, dass für jedes große Werk Menschen zu einer Übereinkunft gelangen müssen; für diese Übereinkunft aber brauchen sie die Sprache, das abstrakteste aller Dinge, eine Art Über-Intelligenz.
Es hat Sprachen gegeben, die so kompliziert und unbeugsam formal wurden, dass sie ausstarben und abgeleitete Sprachen deren Platz im allgemeinen Gebrauch einnahmen. Aber wie schwer wir es heute auch finden mögen, eingehende Kenntnisse des klassischen Lateins zu erwerben, die Sklaven im römischen Kaiserreich müssen es gesprochen haben, ebenso wie die Bauern auf den Feldern – obwohl es sie niemand gelehrt hatte. Dreijährige Kinder müssen es leicht zu sprechen und zu verstehen gefunden haben. Dieses Geheimnis hat heutzutage Neugier erweckt, und Psychologen, die die Sprachentwicklung beim Kind betrachten, betonen, dass die Sprache sich von selbst herausbildet und nicht unterrichtet wird! Die Sprache kommt auf ganz natürliche Weise als spontane Schöpfung zustande, ihre Entwicklung folgt in bemerkenswertem Umfang eindeutigen Gesetzen und erreicht in bestimmten Zeiten bestimmte Höhen. Das gilt für alle Kinder, sei die Sprache ihres Volkes einfach oder kompliziert. Es gibt für alle Kinder eine Periode, in der nur Silben gesprochen werden, dann eine weitere für mehrsilbige Worte; schließlich scheint die gesamte Satzlehre und Grammatik begriffen zu werden: Genus und Numerus, Kasus, Tempus und Modus. Das Kind aus einer hochkultivierten Umgebung lernt zur selben Zeit seine Sprache richtig zu gebrauchen, wie das arme afrikanische Kind seine wenigen Worte lernt. Die wortbildenden Laute werden mit Hilfe bestimmter körperlicher Mechanismen hervorgebracht, wie zum Beispiel Zunge, Hals, Nase und bestimmte Wangenmuskeln. Der Aufbau dieses Mechanismus stellt sich als vollkommen nur für die Muttersprache heraus; von einer Fremdsprache können Erwachsene nicht einmal alle Laute bewusst hören, geschweige denn sie fehlerlos hervorbringen. Nur das Kind unter drei Jahren kann den Sprachmechanismus aufbauen, und es kann beliebig viele Sprachen sprechen, sofern sie bei seiner Geburt in der Umgebung vorhanden sind. Diese Arbeit beginnt in der Dunkelheit des unterbewussten Geistes; dort entwickelt sie sich und prägt sich für immer ein. Veränderungen finden in den Tiefen statt, die der Beobachtung durch Erwachsene nicht immer zugänglich sind; aber einige äußere Anzeichen lassen sich erkennen und überprüfen, und diese sind bedeutsam und offensichtlich; sie sind darüber hinaus der ganzen Menschheit gemeinsam. Eine Schlussfolgerung ist die, dass die Laute jeder Sprache ihre Unverfälschtheit in jedem Alter behalten; eine weitere lautet, dass Schwierigkeiten vom kindlichen Unterbewusstsein ebenso leicht aufgenommen werden wie Leichtigkeiten. Kein Kind wird des Sprechen Lernens müde; sein Mechanismus hat die Sprache als Ganzes hervorgebracht, ähnlich wie der Mechanismus eines Kamerafilms zehn oder mehr Menschen mit derselben Leichtigkeit fotografiert wie einen einzelnen. Der Film nimmt das Bild im Bruchteil einer Sekunde auf, aber es würde Zeit und Mühe kosten, das Abbild eines einzigen Menschen zu zeichnen und zehnmal so viel für zehn Menschen.
Eine weitere interessante Übereinstimmung liegt darin, dass das Foto im Dunkeln aufgenommen und entwickelt wird. Nur wenn es fixiert ist, kann es ans Licht gebracht werden und ist dann unveränderbar. Genauso ist es mit dem menschlichen Sprachmechanismus im Kinde: Er beginnt tief im Dunkel des Unterbewusstseins, wird dort entwickelt und fixiert und lässt sich nur dann offen sehen.