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Lügen. Geheimnisse. Verrat. Als Vizepräsident des Kings of Retribution MC lebt und atmet Logan ausschließlich für seinen Club. Nachdem er zwei wichtige Frauen in seinem Leben verloren hat, ist Logan verbittert. Er hat die Zerstörung gesehen, die enttäuschte Gefühle und Liebe hinterlassen können, deshalb sucht Logan nicht nach jemandem, der die Leere in seinem Leben füllt. Bis er auf Bella Jameson trifft. Bella kämpft täglich darum, nicht unterzugehen. Ihre größte Sorge ist die Verantwortung für ihre jüngere Schwester Alba. Das Letzte, was sie erwartet, ist, sich in den tätowierten Biker Logan Kane zu verlieben. Da das Böse im Schatten lauert, hat Bella keine Ahnung, welchen Gefahren sie und Alba ausgesetzt sind. Werden Logan und Bella ihre Dämonen überwinden - oder werden sie sich dabei verlieren? Teil 1 der Serie rund um den Kings of Retribution Motorradclub.
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Seitenzahl: 424
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Sandy Alvarez & Crystal Daniels
Kings of Retribution MC Teil 1: Undaunted
Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von A.K. Rasch
© 2017 by Sandy Alvarez & Crystal Daniels unter dem Originaltitel „Undaunted (Kings of Retribution MC Book 1)“
© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg
(www.art-for-your-book.de)
ISBN Print: 978-3-86495-576-1
ISBN eBook: 978-3-86495-577-8
Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch oder Ausschnitte davon dürfen ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers nicht vervielfältigt oder in irgendeiner Weise verwendet werden, außer für kurze Zitate in einer Buchbesprechung.
Glossar der spanischen Begriffe und Redewendungen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Epilog
Autorinnen
Bésame mi culo.
Leck mich am Arsch.
Cállate cabrón.
Halt die Fresse, Arschloch.
Cariño
Liebling
Chaparro
Kleiner
Decirle al diablo que dije hola.
Sag dem Teufel, dass ich ihn grüße
Hermosa
Schön
Mierda
Scheiße
Nombre
Name
Puta
Hure
Qué?
Was?
Logan
Ich lebe und atme dieses Leben. Motorräder, Frauen, Whiskey. Etwas Besseres gibt es nicht. Ich bin, wer ich bin, und dafür entschuldige ich mich nicht. Ich bin vielleicht nicht das, was die Gesellschaft einen aufrechten Bürger nennen würde, aber so, wie ich das sehe, ist unsere Zeit auf der Erde begrenzt. Und ich habe nicht vor, meine zu verschwenden. Ich weigere mich zuzulassen, dass mich die Meinung anderer Leute davon abhält, den Mut zu haben, mein Leben so zu leben, wie ich es will. Es gibt nur einen Tag im Jahr, an dem ich diesen ganzen Scheiß über Bord werfe und es zulasse, dass sich die Negativität und die Dunkelheit einschleichen. Und dieser Tag ist heute. Der Club schmeißt eine große Party zu meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Das machen sie jedes Jahr. Sie heizen die Grills an, alle Familien kommen dazu und dann, wenn die Nacht hereinbricht, gehen die Old Ladys samt Kindern nach Hause und es gibt Frauen und Whiskey im Überfluss.
Ich liebe meine Brüder, aber viel lieber würde ich mich im Alkohol verlieren – und genau das tue ich jetzt gerade.
Ich besitze ein Haus direkt am See, nicht weit vom Clubhaus entfernt. Ich habe es nur wegen der Ruhe und Abgeschiedenheit gekauft. Es gibt Momente, in denen ich allein sein muss – weg vom Club, getrennt von meinen Brüdern. Momente wie diese. Mein Geburtstag ist kein Tag zum Feiern. Für mich wird mein Geburtstag immer eine Erinnerung an den schlimmsten Tag meines Lebens sein.
„Hey, mein Sohn. Alles Gute zum Geburtstag“, grüßt mich Jake und klopft mir auf den Rücken, als er neben mir Platz nimmt.
Ich sitze seit fast einer Stunde draußen in der Kälte vor dem Clubhaus. Zum Glück ist der Alkohol nicht nur gut, um meine Sorgen zu ertränken, sondern er wirkt auch Wunder darin, mich warm zu halten.
„Danke“, antworte ich trocken.
Jake ist Teil meines Lebens, seit ich acht bin. Er hat meine Tante Lily geheiratet, die jüngere Schwester meiner Mutter. „Warum lässt du es nicht für heute Nacht gut sein? Geh nach Hause. Ich weiß, dass du heute keine Lust auf irgendwas von diesem Scheiß hast.“
Ich sehe ihn an und hebe mein Bier an meine Lippen, um den letzten Schluck davon zu trinken. „Ich schätze, ich greife mir eine Flasche und nehme sie mit rauf in mein Zimmer. Sag den Jungs, ich bin für heute Nacht raus, ja?“, bitte ich ihn, als ich mich auf den Weg zurück nach drinnen mache. Ich stoppe an der Bar, schnappe mir das Gift meiner Wahl und begebe mich zu den Treppen, die zu meinem Zimmer führen.
Jake versteht die Qual, die der heutige Tag mit sich bringt. Egal, wie viele Jahre vergehen, Unglück und Schmerz werden mich für immer verfolgen.
Sobald ich oben bin, ziehe ich meine Kleider aus, setze mich auf die Bettkante, schraube den Deckel von der Flasche und nehme einen kräftigen Schluck. Es gab eine Zeit, in der ich versucht habe, die Antworten auf all meine Probleme im Alkohol zu finden. Mit zwanzig fing ich an zu trinken, nachdem mich jemand, in den ich verliebt gewesen war, betrogen hatte. Das und der Schmerz über den Verlust meiner Mutter, den ich immer noch in mir trug, sorgten dafür, dass Alkohol meine Art der Selbstmedikation wurde.
Es dauerte nicht lange, bis Jake eine Veränderung bei mir bemerkte. Er setzte sich eines Abends mit mir zusammen und sagte etwas zu mir, das mir klarmachen sollte, dass der Weg, den ich eingeschlagen hatte, falsch war. „Der Schmerz über dein Unglück wird niemals verschwinden, egal, wie viel du trinkst, mein Sohn. Aber die Erinnerung an deine Mutter lebt in dir weiter. Wie, denkst du, würde sie sich fühlen, wenn sie mitansehen müsste, dass der Sohn, den sie aufgezogen hat, nicht das glückliche Leben führt, dass sie sich so verzweifelt für ihn gewünscht hat?“
Ich konnte die Vergangenheit nie loslassen oder sie konnte mich nie loslassen. Ich lebe immer noch mit den Geistern dessen, was hätte sein können.
Der heutige Tag ist nur eine weitere Erinnerung daran, wie beschissen das Leben ist. Es ist auch der einzige Tag, an dem ich meinen alten Gewohnheiten nachgebe.
Vor fünfzehn Jahren, an meinem zehnten Geburtstag, gab es den ersten von vielen Verlusten in meinem Leben.
Als Krankenschwester arbeitete meine Mom sehr viel, aber an meinem Geburtstag nahm sie sich immer frei. Sie war an diesem Morgen früh aufgestanden und hatte Pancakes mit Speck gemacht, weil das mein Lieblingsessen war. Meistens hetzte sie morgens zur Arbeit, während ich Schule hatte, also gab es zum Frühstück für gewöhnlich Müsli oder Obst. Meine Mom hatte den ganzen Tag geplant. Wir würden meine Tante Lily und Jake treffen, um mit ihnen den Tag am See zu verbringen. Der See war so etwas wie eine Tradition an meinem Geburtstag. Das Wetter war nicht warm genug, um zu schwimmen, aber meine Mom wollte Mittagessen einpacken, und Jake sagte, er würde einen Ball für uns zum Werfen mitbringen.
Ich stand meiner Tante nahe. Sie kam mindestens einmal pro Woche vorbei und half mir bei meinen Hausaufgaben, während meine Mom arbeitete. Jake tauchte gelegentlich mit ihr zusammen auf. Wir redeten über Football und darüber, wie sehr ich mich darauf freute, im Sommer ins Ferienlager zu gehen.
Nach dem Frühstück beluden wir das Auto und kurz darauf waren wir unterwegs zum See. Ich bin mir nicht sicher, was dann passierte. Jedenfalls nicht aus der Erinnerung. In einer Minute saß ich noch auf dem Rücksitz und spielte mein Spiel, und in der nächsten hörte ich meine Mutter schreien, als das Auto über die Leitplanke stürzte. Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, ist, dass sich mein Gurt straff zog und mich einklemmte, dann verlor ich das Bewusstsein.
Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, befand ich mich in einem Krankenhauszimmer und meine Mom war tot.
Ich hatte mehrere gebrochene Rippen, einen gebrochenen Arm, eine Menge Schürf- und Schnittwunden sowie eine schwere Gehirnerschütterung, die mich zwei Tage lang außer Gefecht gesetzt hatten. Ich war nicht einmal stark genug, um an der Beerdigung meiner Mom teilzunehmen. Bennett, unser Clubarzt, saß an diesem Tag bei mir.
Nachdem ich stabil genug war, um das Krankenhaus zu verlassen, nahm mich meine Tante mit nach Hause und ich lebte von da an bei ihr und Jake.
Ich habe so viel verloren, aber ich wurde dabei ein Teil der Kings-of-Retribution-MC-Familie. Diese Männer dort unten sind loyaler als die meisten anderen. Jake nahm mich bei sich auf und zog mich groß, als wäre ich sein Sohn.
Damals lernte ich Reid und seinen kleinen Bruder Noah kennen. Wir wurden sofort Freunde. Verdammt, wir drei haben uns immer in die Scheiße geritten und jedem die Hölle heißgemacht.
Unsere Leben änderten sich ein paar Jahre später, als Tante Lily an Gebärmutterhalskrebs starb.
Zwei der wichtigsten Frauen in meinem Leben waren nicht mehr da. Es schien, als würde sich der Verlust von Menschen zu einem Thema in meinem Leben entwickeln. Ich lernte meinen alten Herrn nie kennen. Meine Mutter sprach nie über ihn – weder Gutes noch Schlechtes.
Jake wurde mehr als nur ein Onkel; er wurde der Vater, den ich nie hatte. Obwohl er mit seiner Trauer über den Verlust der Frau, die er liebte, zu kämpfen hatte, hinderte ihn das nie daran, eine Konstante in meinem Leben zu sein. Er legte seinen Herzschmerz beiseite und konzentrierte sich darauf, mich mit der Hilfe des Motorradclubs aufzuziehen.
Bei jedem Meilenstein war Jake an meiner Seite. Die erste Schwärmerei, die erste Freundin, sogar der erste Kampf. Er war bei allem dabei. Der bedeutendste Moment, den er und ich geteilt haben, war, als ich meinen Patch erhielt. Ich werde nie den stolzen Blick in seinen Augen vergessen, als ihm klar wurde, dass ich es trotz all unserer Irrungen und Wirrungen geschafft hatte.
Auch Bennett spielte eine große Rolle bei meiner Erziehung. Er ist seit dem ersten Tag Mitglied des Clubs. Er und Jake sind zusammen aufgewachsen. Kindheitsfreunde. Bennett war derjenige, der mir mit dreizehn den Umgang mit einer Waffe beibrachte. Ich kapierte es schnell. Er sagte, ich sei ein Naturtalent. Es dauerte nicht lange, da konnte ich alle Brüder beim Schießen übertrumpfen. Ich lernte schon früh, dass man mit Entschlossenheit und Einsatz alles erreichen konnte.
Bennett hat eine Old Lady, Lisa. Sie sind seit der Highschool ein Paar. Sie stand ihm zur Seite, als er zweimal als Sanitäter in den Irak reiste und als er sich dazu entschied, dem Motorradclub beizutreten. Lisa ist wahrhaft Bennets Ein und Alles.
Vor sieben Jahren habe ich gedacht, ich hätte alles im Griff. Ich hatte den Club, meine Brüder und eine hübsche Frau, die ich liebte.
Wie sich herausstellte, liebte sie mich nicht.
Stephanie Williams. Sie war meine Highschool-Liebe. Wir lernten uns in der elften Klasse kennen. Sie hatte rotblondes Haar und sanfte braune Augen. Jeden freien Moment, den ich hatte, verbrachte ich mit ihr. Wir waren fast drei Jahre zusammen.
Bis zu dem Tag, als ich zwanzig wurde.
Ich fuhr zum Haus ihrer Eltern, wo sie noch wohnte, um sie zu einer Party abzuholen, die der Club veranstaltete. Ich wusste, dass ich ein paar Stunden zu früh dran war, aber ich wollte unbedingt mein Mädchen sehen. Zu dieser Tageszeit war sie normalerweise draußen im Gästehaus, das ihre Eltern ihr überlassen hatten. Ich parkte mein Motorrad und ging zum Tor, das zur Rückseite des Grundstücks führte.
Ich war jedoch nicht darauf vorbereitet, das Mädchen, das ich liebte, dabei zu erwischen, wie sie einem anderen Kerl den Schwanz lutschte, während ich an dem großen Wohnzimmerfenster vorbeiging.
Es hat mir Spaß gemacht, den Penner zu verprügeln, aber es hat nicht dazu beigetragen, den Schmerz des Betrugs zu lindern, den ich empfand.
Wie sich herausstellte, war Geld für sie wichtiger, als ich gedacht hatte. Als Daddy damit drohte, ihr den Geldhahn zuzudrehen, begann sie, sich mit einem der Typen zu treffen, die für seine Firma arbeiteten. Sie war verdammt noch mal bei mir geblieben, weil dieser Scheißkerl sie im Bett nicht befriedigen konnte. Ihre Worte, nicht meine. Sie erklärte mir, dass sie sowieso nie einen Biker heiraten könnte.
Scheiß auf die Liebe. Ich beschloss von da an, dass ich sie weder wollte noch brauchte.
Einige der anderen Brüder haben Scheidungen von Frauen hinter sich, die dachten, sie könnten mit dem Clubleben umgehen, aber am Ende kamen sie nicht damit zurecht.
Nicht jeder hat das Glück, das zu haben, was Bennett und Lisa haben.
Jake hatte das einmal mit meiner Tante Lily. Auch wenn ihr Tod Jahre her ist, habe ich nie mitbekommen, dass er Interesse an einer anderen Frau gezeigt hätte. Ich weiß, dass er seine Erleichterung bekommt, wie wir anderen Brüder auch, aber das war’s dann auch schon. Er geht abends immer allein nach Hause.
Allerdings ist mir aufgefallen, dass er in den letzten Monaten eine kleine Vorliebe für Süßes entwickelt hat. Ich vermute, dass eine gewisse kleine Rothaarige, die in der Stadt eine Bäckerei eröffnet hat, etwas mit seiner leichten Donut-Besessenheit in letzter Zeit zu tun haben könnte.
Das ist einfach nichts für mich. Ich bin nicht auf der Suche nach einer Frau auf Lebenszeit. Ich bin glücklich damit, wie die Dinge gerade sind. Eine Pussy ohne Verpflichtungen. Sie wissen alle vorher, wie es läuft. Wir haben Spaß. Dann ist es Zeit für sie, zu gehen.
Fuck. Ich bin stolz darauf, zu wissen, dass ich meinen Beitrag geleistet und mir das Patch des Vizepräsidenten verdient habe, das ich heute auf meiner Kutte trage. Sicher, es gab auf dem Weg viele Momente, in denen ich Vollpfosten es fast verkackt hätte. Meine Brüder haben allerdings nie lockergelassen und mir manchmal auf die harte Tour beigebracht, meinen Scheiß auf die Reihe zu kriegen. Und glaubt mir, das habe ich getan. Der Tag, an dem meine Brüder mich gewählt und mir den Titel gegeben haben, war ein Tag des Stolzes.
Sie haben mich zu dem Mann gemacht, der ich heute bin.
Ich leide immer noch unter Schlafstörungen und gelegentlich unter Albträumen, mit denen ich zu kämpfen habe, seit ich zehn bin. Ob es sich dabei um tatsächliche Erinnerungen handelt oder um etwas, das mein Gehirn heraufbeschworen hat, weiß ich nicht genau. Von Zeit zu Zeit rauche ich ein bisschen Gras, da ich herausgefunden habe, dass es gegen Schlaflosigkeit hilft, aber ich kiffe nicht mehr so viel wie früher.
Ich lebe und atme das Clubleben. Ein Mitglied des Kings of Retribution MC zu sein, bedeutet viel mehr, als nur die Kutte zu tragen und einen Titel zu haben.
Ich habe getötet und würde mein Leben für jeden dieser Männer geben, weil sie meine Familie sind.
Das ist das, was ich bin. Mehr brauche ich nicht.
Bella
„Alba, bleib hier bei mir und sei ganz leise. Okay?“, sage ich zu meiner kleinen Schwester, als ich sie runter auf den Boden des Kleiderschranks setze.
Sie sieht mit ihren großen blauen Augen zu mir hoch. „Bella, ich habe Angst.“
„Ich weiß. Ich auch“, gebe ich zu, während ich leise die Kleiderschranktür schließe und verriegele, so wie Mommy es uns beigebracht hat.
„Wo sind die kleinen Scheißer?“, schreit Daddy.
„Nick, lass die Mädchen in Ruhe.“
„Halt dein verdammtes Maul, du Schlampe.“
Der Klang eines scharfen, klatschenden Geräusches lässt mich zusammenzucken – er hat sie geschlagen.
Alba fängt an zu weinen, also halte ich sie fest und sage ihr, dass alles wieder gut wird. Wir klammern uns aneinander fest, als wir Daddy an die Tür hämmern hören.
„Macht die Tür auf, gottverdammt!“
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch und mein Herz pocht wie wild, als blanke Panik mein Inneres ergreift, bis mir bewusst wird, dass es nur ein Traum war. Manchmal sind die Träume so lebendig, dass die Grenzen zur Realität verschwimmen, und es dauert eine Weile, bis ich nicht mehr das erstickende Gefühl des Grauens verspüre, das man Angst nennt. Ein schwarzes Loch, das mich im Ganzen verschlingt.
Unser Vater starb, als Alba erst fünf und ich sechs Jahre alt war. Sie entsinnt sich kaum an ihn und auch ich habe nur ein paar Erinnerungen. Keine davon ist gut. Kein Kind sollte damit leben müssen, dass diese Art von Übel seinem Verstand zusetzt. Es ist nicht hilfreich, wenn man auch noch den Typ Elternteil hat, der immer wieder einen schrecklichen Mann gegen einen anderen austauscht.
Ein paar Jahre nachdem mein Vater gestorben war, lernte Mom Ehemann Nummer zwei kennen und heiratete ihn. Er war ein guter Mann, aber er merkte bald, dass er nicht die Last auf sich nehmen wollte, zwei kleine Mädchen großzuziehen.
Ungefähr sechs Monate nachdem er gegangen war, entschied sie, dass wir eine Veränderung brauchten. Also nahm sie Kontakt zu einer alten Freundin auf, die in Polson lebte. Sie bot uns an, bei ihr zu wohnen, bis wir uns eine eigene Wohnung leisten konnten.
Mom packte unsere Sachen und wir verließen Wyoming, die einzige Heimat, die wir je gekannt hatten.
Nachdem wir uns in der neuen Stadt eingelebt hatten, fand Mom einen Job in einem Diner. Drei Monate später zog sie mit uns in eine Dreizimmerwohnung. Wir sind seitdem ein paarmal umgezogen, aber in diesem Haus wohnen wir bisher am längsten – es sind jetzt schon zwei Jahre.
Letztes Jahr hat sie Lee kennengelernt. Er kam eines Tages ins Diner und bat sie um ein Date. Innerhalb von sechs Wochen lebte er bei uns. Ein paar Monate danach heirateten sie. Meine Mutter kann den Kreislauf scheinbar nicht durchbrechen. Sie hat Scheuklappen auf, wenn es um das andere Geschlecht geht. Sie ist nicht gut darin, allein zu sein. Es ist, als bräuchte sie einen Mann, um sich gut zu fühlen, und im Gegenzug machen sie sie alle fertig. Hoffentlich wird sie eines Tages ihre Augen öffnen.
Es hat auch nicht lange gedauert, bis Lee sein wahres Gesicht zeigte. Sobald sie verheiratet waren, entwickelte er plötzlich Rückenprobleme und konnte nicht mehr arbeiten. Mom musste sich abmühen, um die Rechnungen zu bezahlen und Lee mit Bier zu versorgen, das er die ganze Zeit verlangte.
Sobald ich alt genug war, um zu arbeiten, nahm ich einen Job an. Und jetzt, wo Moms Stunden im Diner gekürzt worden sind, liegt ein großer Teil der Last auf meinen Schultern.
Lee ist ein zwielichtiger Abschaum der Gesellschaft, wenn man mich fragt. Der Mann trinkt, wenn er aufwacht, und am Ende des Tages wird er von dem ganzen Alkohol bewusstlos. Er hat auch ein hitziges Temperament und schreckte in der Vergangenheit nicht davor zurück, es an meiner Mom auszulassen. Ich habe den Beweis dafür bereits an ihren Armen gesehen. Er achtet darauf, keine Spuren in ihrem Gesicht zu hinterlassen, da sonst jeder weiß, was für eine Art Mann er ist.
Lasst mich das anders ausdrücken. Er ist kein Mann, eher ein Stück Scheiße.
Er sorgt auch dafür, dass Moms Bankkonto jeden Monat geleert wird. Das faule Arschloch kann einen verdammten Job nicht mal lange genug behalten, um das erste Gehalt zu bekommen.
Ich rolle mich herum und blicke auf die Uhr, die auf dem Nachttisch leuchtet. Sie zeigt sechs Uhr an. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich für mein Studium aufstehe, aber nach meinem Abschluss hatte ich keine Möglichkeit, das ganze College-Ding zu machen. Ich musste weiterarbeiten, damit ich helfen konnte, die Rechnungen zu bezahlen, meiner Schwester und mir weiterhin ein Dach über dem Kopf sichern und dafür sorgen konnte, dass wir etwas zum Essen und Kleidung zum Anziehen haben, weil unsere Mom auch so schon genug zu kämpfen hat.
Mein Ziel ist es, genug Geld zu sparen, damit ich mir eine eigene Wohnung leisten und Alba mitnehmen kann. Ich will, dass sie die Chancen erhält, die ich nicht hatte, wie aufs College zu gehen und ihr Leben zu leben und zu erfahren, damit sie aufsaugt, so viel sie kann. Und das ohne all die Negativität, die unsere momentane Situation mit sich bringt.
Ich schließe meine Augen. „Nur noch ein kleines bisschen länger“, sage ich laut.
Nachdem ich mich aus dem Bett gerollt habe, verlasse ich mein Zimmer und schlurfe den Gang zum Badezimmer hinunter. Auf dem Weg komme ich am Zimmer meiner Mom vorbei und sehe, wie sie auf ihrem Bett sitzt und fernsieht.
„Morgen, Mom“, sage ich, als ich reinkomme und sie umarme.
Selbst nach allem, was sie durchgemacht hat, ist sie immer noch eine schöne Frau, und ich wünschte, sie würde sich selbst nicht an Lee verschwenden.
„Hey, Süße“, sagt sie fröhlich. „Arbeitest du heute?“, fragt sie, während sie nach der Fernbedienung greift, um den Sender zu wechseln und auf die Lokalnachrichten zu schalten.
„Ja, ich habe heute die Frühschicht im Laden“, erkläre ich ihr, als ich mich auf die Bettkante setze.
„Okay, Süße“, antwortet sie und tätschelt mir das Bein, während sie sich den Wetterbericht ansieht.
Ich stehe auf und begebe mich aus ihrem Zimmer, als sie mich aufhält. „Oh, wecke deine Schwester auf. Ich will nicht, dass sie schon wieder den Bus verpasst. Lee mag es nicht, wenn ich seinen Pick-up benutze, um sie zur Schule zu fahren“, ruft sie mir hinterher.
„Ich nehme sie auf meinem Weg zur Arbeit mit in die Schule. Lee muss aufhören, so ein Arschloch wegen des Pick-ups zu sein. Zur Hölle, du zahlst sowieso den verdammten Sprit“, erwidere ich gereizt.
Ich höre, wie sie einen tiefen Seufzer ausstößt. Mir ist bewusst, dass sie will, dass ich meinen Mund halte, aber manchmal muss etwas gesagt werden.
Ich beschließe, das Thema fallen zu lassen.
„Ich liebe dich, Mom“, murmele ich und verlasse ihr Zimmer.
Als ich endlich im Badezimmer bin, drehe ich das Wasser in der Dusche auf, damit es warm wird. Dann vergewissere ich mich, dass die Badezimmertür verschlossen ist, denn ich würde nicht darauf vertrauen, dass Lee nicht „versehentlich“ hereinkommt, während ich unter der Dusche stehe.
Ich ziehe meine schwarzen Schlafshorts aus und lasse sie zu meinen Füßen liegen. Dann ziehe ich mir mein Tanktop über den Kopf und schmeiße es auf den Boden. Ich gehe rüber zum Waschbecken, schnappe mir mein Handy, öffne meine Playlist und drücke auf Play, bevor ich in die Dusche steige.
Die Stimmen von Taylor Swift und The Civil Wars erfüllen die Luft, als sie „Safe and Sound“ singen, während das Wasser auf mich herabstürzt. Ein paar kurze Augenblicke lang hilft mir die Melodie, zu entfliehen.
Nach dem Duschen gehe ich zurück in unser Schlafzimmer, das ich mir mit meiner jüngeren Schwester teile. Alba ist achtzehn Jahre alt und besucht die Oberstufe der Highschool.
Sie ist in vielerlei Hinsicht das komplette Gegenteil von mir.
Man würde nicht vermuten, dass wir Schwestern sind, wenn man uns sieht. Ich bin klein, nur einen Meter siebenundfünfzig groß, mit langen, tiefbraunen Haaren und haselnussbraunen Augen, die, wie ich finde, zu groß für mein Gesicht sind. Ich habe außerdem eine große Klappe, bin eigensinnig und stur.
Alba hingegen ist einen Meter siebzig groß, hat kilometerlange Beine, lange blonde Haare und blaue Augen. Sie steckt ihre Nase immer in ein Buch und ist ein bisschen introvertiert. Sie ist auch sehr schüchtern und zurückhaltend und würde lieber über Romanzen und Abenteuer lesen, als nach draußen zu gehen und ihre eigenen zu finden. Aber ich bin die Falsche, um deswegen zu predigen, denn abgesehen von ein paar Jungs, mit denen ich auf der Highschool zusammen war, habe ich selbst auch nicht viel erlebt.
„Alba … Alba“, sage ich, als ich das Knäuel anstupse, das jetzt irgendwelche kaum verständlichen Worte vor sich hin murmelt.
„Zeit, aufzustehen. Ich nehme dich heute auf meinem Weg zur Arbeit mit in die Schule“, informiere ich sie, während ich zur Kommode gehe.
Ich durchwühle meine Schublade, bis ich ein schwarzes Spitzenhöschen und einen dazu passenden BH finde, und fange an, sie anzuziehen, als Alba wimmert.
„Komm schon, Bella, nur noch ein paar Minuten. Bitte?“, sagt sie, während sie sich noch fester in die himmelblaue Bettdecke einrollt.
Sie ist kein Morgenmensch, also ködere ich sie ein kleines bisschen. „Alba, wenn du innerhalb von einer Stunde aufgestanden und mit mir aus dieser Tür draußen bist, bringe ich dir die Neuerscheinung mit, die du letztes Wochenende in der Buchhandlung gesehen hast.“
Das erregt ihre Aufmerksamkeit. Sie streckt den Kopf aus ihrem Decken-Burrito.
„Gib noch eine Tüte Erdnussbuttercups dazu und wir haben einen Deal.“
„Abgemacht.“
Sie wickelt sich aus ihrer Decke und beginnt, sich für den Tag fertig zu machen. Ich laufe hinüber zum Kleiderschrank, um mir etwas zum Anziehen zu suchen, schnappe mir dann eine dunkelblaue Skinny Jeans und schlüpfe in eine grüne ärmellose Bluse.
Mein Handy klingelt und kündigt eine neue Textnachricht an, also fische ich es vom Nachttisch und setze mich dann aufs Bett, um die SMS zu öffnen. Sie ist von Mason.
Ich bin ihm vor einem Monat zufällig im Café in der Innenstadt begegnet, als ich mit meiner Schwester shoppen war. Er fragte mich, ob er mal mit mir ausgehen könne, also tauschten wir Nummern aus. Wir hatten ein paar Dates. An einem Freitag rief er an, weil er mit mir zum Essen und ins Kino gehen wollte, und ich sagte zu. Den ganzen Abend lang hat er mich superviel betatscht und praktischerweise hatte das Arschloch auch noch seinen Geldbeutel vergessen, sodass ich letztendlich alles bezahlen musste. Ich entschloss mich, ihm noch eine Chance zu geben, nachdem er sich entschuldigt hatte, aber das war ein Riesenfehler.
Ich schmeiße mein Handy weg, ohne mir die Mühe zu machen, auf seine Nachricht zu antworten, beuge mich runter, hebe mein Lieblingspaar brauner Boots auf und ziehe sie an. Dann laufe ich rüber zu dem Ganzkörperspiegel, vor dem ich mir die Wimpern tusche und meinen liebsten Lippenstift auflege.
Fünfzehn Minuten später schnappe ich mir mein Handy und stecke es in meine hintere Hosentasche.
„Nimm dir deine Schuhe und zieh sie im Auto an, Alba. Wir müssen los!“, rufe ich, während ich in die Küche laufe, um meine Schlüssel und den Arbeitskittel von der Anrichte zu nehmen.
Auf unserem Weg zur Haustür werden wir von Lee aufgehalten, der die Tür blockiert, die zur Garage führt.
O Gott, der Mann stinkt. Es riecht, als würde er in Bier baden.
„Lee, ich habe heute Morgen keine Zeit für deinen Scheiß. Ich muss Alba zur Schule bringen und es noch pünktlich zur Arbeit schaffen.“
Er steht da und lässt seinen Blick auf uns beiden verweilen, sodass ich eine Gänsehaut bekomme und Alba sich hinter mir kleinmacht. Dann beginnt er zu sprechen.
„Deine Mom braucht etwas Geld, um in den Supermarkt zu gehen. Ich muss essen.“
Was soll der Scheiß? Ich habe gerade das meiste von meinem letzten Gehalt dafür ausgegeben, Lebensmittel zu kaufen, und es ist noch nicht lange her, dass Mom ihr Gehalt bekommen hat.
„Was zur Hölle, Lee! Wo ist all das Essen hin, dass ich gerade erst gekauft habe? Hm?“
Das Arschloch steht da mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Auf gar keinen Fall bekommt er mein hart verdientes Geld.
Ich füge hinzu: „Pass auf, ich bin pleite. Und selbst wenn ich das Geld hätte, würde ich es dir ganz sicher nicht geben.“
Das pisst ihn an.
„Dein großes Maul wird dich eines Tages noch in Schwierigkeiten bringen, Bella“, zischt er und holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, bevor er sich an den Küchentisch setzt.
Als er die Flasche öffnet, sagt er: „So oder so werdet ihr zwei das bekommen, was ihr verdient.“
Ich führe Alba zur Tür hinaus und halte gerade lange genug inne, um ihn noch einmal anzusehen. „Weißt du, Lee, wie wäre es, wenn du deinen Arsch hoch bewegst und dir einen Job suchst? Mom will es vielleicht nicht sehen, aber ich weiß, wohin das ganze Geld geht.“
Ich habe genug Klatsch und Tratsch in der Kassenschlange gehört, um zu wissen, dass er mit ein paar zwielichtigen Leuten in der Stadt gesehen worden ist.
Sein leichtes Grinsen verwandelt sich in einen finsteren Blick.
Ich schließe die Tür und steuere auf mein Auto zu. Meine Schwester sieht besorgt aus, als ich einsteige. „Es gibt keinen Grund zur Sorge“, erkläre ich ihr, starte das Auto und fahre auf die Straße.
Wir sind ungefähr zwei Blocks von der Highschool entfernt, als Alba das Wort ergreift. „Bella?“
Ich beuge mich rüber und drehe das Radio leiser.
„Lee macht mir Angst, so wie er uns anstarrt.“
„Ja, ich bekomme bei ihm auch eine Gänsehaut, aber hoffentlich kann ich mir in ein paar Monaten eine kleine Wohnung leisten. Dann müssen wir uns keine Sorgen mehr um ihn machen. Ich wünschte, Mom würde ihm die Stirn bieten und ihn abservieren.“
„Ich auch“, stimmt sie zu.
Ich stehe an einer Ampel, als ein Motorrad auf der anderen Spur neben mir auftaucht, gefolgt von mindestens fünf weiteren hinter ihm.
Ich kann meine Augen nicht von dem anführenden Biker lassen. Verdammt, ist der heiß.
Ich merke gar nicht, wie angestrengt ich starre, bis meine Schwester den Bann bricht.
„O mein Gott, Bella. Du kannst gar nicht mehr aufhören, diesen Biker da drüben anzuglotzen!“ Sie lacht. „Und ist das Sabber?“
„Mädchen, schau dir das an! Verdammt, ja, und wie ich glotze!“ Ich drehe den Kopf, um noch einen Blick auf ihn zu erhaschen, und, wie könnte es auch anders sein, er erwischt mich.
Seine Lippen verziehen sich gerade genug, um mich wissen zu lassen, dass er mich dabei erwischt hat, wie ich ihn abchecke.
Ich lächle schüchtern, um meine Verlegenheit zu verbergen, als sie alle Gas geben und davonfahren.
Logan
Nachdem ich am Freitag nach Feierabend die Werkstatt abgeschlossen habe, steuere ich das Kings Ink an, unser anderes Geschäft, das wir in der Stadt betreiben. Es liegt direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite.
Ich muss das Sleeve-Tattoo, das meinen gesamten linken Arm bedeckt, fertig stechen lassen. Gabriel, unser Enforcer, leitet das Studio. Er ist auch der beste Künstler in Montana. Die Leute kommen aus dem ganzen Bundesstaat und wollen, dass er an ihnen arbeitet, aber egal, wie beschäftigt er ist, er nimmt sich immer Zeit für seine Brüder.
Gabriel und ich waren gleichzeitig Prospects; damals war ich achtzehn und er war neunzehn Jahre alt. Ich erinnere mich noch daran, wie ich ihn das erste Mal traf. Ich war gerade achtzehn geworden, als Jake einen Trip nach Florida machte, um seine Mom zu besuchen. Als er nach einer Woche Abwesenheit auf dem Gelände ankam, hatte er einen Typen dabei. Die einzige Erklärung, die er lieferte, war: „Das ist Gabriel, er ist der neue Prospect“, und ich sollte ihm zeigen, wie die Dinge liefen.
Mein erster Eindruck war: Er wird hier verdammt noch mal gut reinpassen. Unser Club ist voll von großen, verrückt aussehenden Wichsern und Gabriel ist definitiv ein großer Wichser.
Verdammt, ich bin einen Meter achtundachtzig groß. Er ist auf jeden Fall größer als einen Meter neunzig, hat kurzes, schwarzes Haar, Augen, die so dunkel sind, dass sie fast schwarz aussehen, und einen scheinbar ständig finsteren Gesichtsausdruck. Ich war mir nicht so sicher, ob ich mich darauf freute, mit ihm abzuhängen, aber im Laufe der Zeit fing Gabriel langsam an, sich zu öffnen.
Nach Wochen des Grummelns und der Ein-Wort-Antworten fing er an, mit mir zu reden, und erzählte mir von seiner Vergangenheit und wie er Jake kennengelernt hatte.
Jake traf auf Gabriel, nachdem er Zeuge geworden war, wie dieser eine Tankstelle ausraubte. Während er tankte, beobachtete er das ganze Geschehen. Danach sprang Gabriel in sein Auto und fuhr davon. Jake folgte ihm zu irgendeinem beschissenen Motel, ungefähr acht Kilometer von der Tankstelle entfernt.
Unser Präsident ging, weil er eben ein verrückter Wichser ist, einfach direkt zum Motel und klopfte.
Gabriel öffnete die Tür mit gezogener Waffe.
„Die brauchst du nicht, Sohn“, sagte Jake zu ihm.
Ich habe Jake einmal gefragt, was ihn dazu bewegt hatte, irgendeinem Jungen nachzugehen, der eine Tankstelle ausgeraubt hat.
„Ich hatte da so ein Bauchgefühl“, war seine Erklärung.
Jake sagt immer, man solle auf sein Bauchgefühl hören.
Er hatte recht, denn ich hätte mir keinen besseren Bruder wünschen können. Gabriel erzählte mir, dass er und sein Vater Kuba verlassen hatten, als er gerade einmal zehn Jahre alt war, und dass sie seine Mutter und seine Schwester zurückließen. Sechs Jahre nachdem sie in die USA gekommen waren, starb sein Vater.
Nachdem ich seine Geschichte gehört hatte, wurde mir schnell klar, dass er überhaupt kein schlechter Kerl war. Er war einfach nur verbittert. In vielerlei Hinsicht konnte ich mich damit identifizieren. Wir hatten beide wichtige Menschen in unserem Leben verloren, aber auch etwas dazugewonnen.
Nach einer Weile konnte ich die Veränderung sehen, die der Club in ihm bewirkte. Er fing an, ihn als seine Familie anzusehen, als Bruderschaft. Wieder eine Familie zu haben, war genau das, was Gabriel gebraucht hatte.
Als Prospects mussten wir uns zusammen in ein Zimmer einquartieren, und eines Nachts bemerkte ich, wie er in seinem Bett saß und in ein Notizbuch schrieb. Ich hatte auch gesehen, dass er nie wirklich ohne es war. Jeden freien Moment verbrachte er damit, in das verdammte Ding zu kritzeln. Also fragte ich ihn, was er da schrieb. Er musterte mich für einen Moment, bevor er mir sein Notizbuch reichte. Jede Seite war voll mit verdammt unglaublichen Zeichnungen.
Am nächsten Tag schnappte ich mir sein Notizbuch von der Kommode und brachte es zu Jake.
Ich erinnerte mich, wie Jake erwähnt hatte, dass Bobby, ein älteres Clubmitglied und Betreiber unseres Tattooladens, jemanden suchte, der im Kings Ink mithelfen würde.
Bobby wurde älter und seine Augen konnten nicht mehr so scharf sehen wie früher; daher brauchte er jemanden, der langsam die Zügel in die Hand nahm.
Jake musste sich Gabriels Arbeit ungefähr fünf Sekunden lang ansehen, um genau zu wissen, was ich dachte.
Später an diesem Tag sprach Jake Gabriel an und erklärte ihm, dass er wolle, dass dieser bei Bobby im Tattooladen in die Lehre ginge.
Heute, sieben Jahre später, leitet Gabriel Kings Ink und ist der angesehenste Tattookünstler im ganzen Bundesstaat. Und ich bin Geschäftsführer des Kings Custom Bikes.
Als ich ins Tattoostudio gehe, sehe ich ihn an der Hüfte eines Mädels arbeiten.
Er schaut auf und hebt kurz das Kinn. „Bin in einer Minute bei dir, Bruder.“
„Kein Problem, Mann“, sage ich und nehme auf einem der Stühle im Wartebereich neben der Eingangstür Platz.
Als Gabriel fertig ist, führt er das Mädchen rüber zum Empfangstisch, damit sie bezahlen kann.
Ich schaue rüber und bemerke, wie mich die Tussi blickfickt, während sie sich die Lippen leckt. Sie ist ein heißes kleines Ding – blonde Haare, strammer kleiner Körper und große Titten.
Als sie an mir vorbeiläuft, um zu gehen, gibt sie mir ein Stück Papier mit ihrer Nummer darauf. Als ich von dem Zettel in meiner Hand hochblicke, grinst Gabriel mich an.
„Was?“
„Mann, beweg deinen Arsch in den verdammten Stuhl.“
Ich stehe auf und lasse den Zettel in meine Tasche gleiten. „Das war ein heißes Ding, das da gerade gegangen ist, Mann“, sage ich.
„Na ja, sie ist in Ordnung. Ich habe sie vor ein paar Monaten gefickt.“
„Kein Scheiß?“
„Ja, Mann. Die Pussy ist total schlaff und die Schlampe ist verdammt noch mal zu anhänglich. Mach dir keine Mühe.“
Verdammt, das war ja klar.
Gabriel will gerade an meinem Arm anfangen, da klingelt mein Handy. Als ich es aus meiner Tasche ziehe, sehe ich, dass es Jake ist. Ich wische über den Bildschirm und nehme ab. „Was gibt’s, Prez?“
„Wo bist du?“, bellt er.
„Ich bin bei Gabriel, warum? Was ist los?“
„Ihr zwei bewegt eure Ärsche jetzt in den Club und kommt direkt in den Keller“, faucht er, bevor er auflegt.
Ich stehe auf und sehe Gabriel an. „Klingt, als gäbe es ein Problem.“
Wir schließen den Laden ab, bevor wir auf unsere Bikes steigen und uns auf den Weg zum Clubhaus machen.
Fünfzehn Minuten später laufen wir die Kellertreppen nach unten. Wir erblicken einen der Prospects, der die Tür bewacht. Er nickt uns zu und lässt uns vorbei. Als ich die Tür öffne, entdecke ich einen Mann, der an einen Stuhl gebunden ist. Jake sitzt auf einem anderen Stuhl, direkt vor unserem gefesselten Freund, und Quinn lehnt an der Wand am anderen Ende des Raumes.
„Hey, Prez. Wen haben wir denn da?“
„Haben diesen Scheißkerl erwischt, als er bei unserem Lagerhaus herumgeschnüffelt hat. Ein Prospect hat ihn gefunden, als er versucht hat, durch die Hintertür einzubrechen. Er hat ihn k. o. geschlagen und mich angerufen.“
„Spricht er?“, frage ich.
„Nope. Scheint nicht unsere Sprache zu sprechen.“
Wir blicken rüber zu Gabriel. An dieser Stelle kommt er ins Spiel.
Jake steht auf und räumt seinen Stuhl aus dem Weg, als Gabriel vor den Idioten tritt, der die Nerven hatte, auf unserem Grundstück Scheiße zu bauen. „Nombre?“, fragt Gabriel ihn.
Der Mann spuckt ihm vor die Füße, was ihm einen Schlag auf den Mund einbringt, der seine untere Lippe aufplatzen lässt.
„Nombre?“, fragt Gabriel wieder nach seinem Namen.
„No te estoy diciendo mierda. Ich erzähle dir einen Scheiß“, faucht der Mann.
„Hängt ihn auf!“, befiehlt Jake.
Quinn stößt sich von der Wand ab und geht rüber, um mir zu helfen. Es gibt einen großen Holzbalken, der sich über die gesamte Länge des Kellers erstreckt, ungefähr drei Meter über dem Boden. Ich schnappe mir ein Seil und werfe es über den Balken, während Quinn sich den nun kämpfenden Mann greift. Ich fädele das Seil durch die Fesseln an seinen Händen und ziehe von hinten an ihm, bis seine Füße kaum mehr den Boden berühren. Dann wickele ich mein Ende des Seils um einen Anker, der am Boden festgeschraubt ist.
Sichtbar zitternd wird unserem namenlosen Freund langsam bewusst, dass er sich mit dem falschen Club angelegt hat. Gabriel kommt zurück, nachdem er seine Kutte und sein T-Shirt ausgezogen hat. Das Weichei hier sieht aus, als würde es sich gleich in die Hose pissen.
Plötzlich fängt der Mann an, zu schreien. „Mi nombre es Manuel, por favor. Bitte, mein Name ist Manuel.“ Er spricht in schnellem Spanisch, abwechselnd mit Gabriel.
„Er sagt, die Demonios hätten ihn geschickt. Sie haben herausgefunden, wo unser Lagerhaus ist, und Manuel sollte sie anrufen, sobald er eingebrochen ist. Sie haben ihm eine Kutte versprochen, wenn er es macht.“
„Diese verfickten Schwanzlutscher denken, sie könnten uns bestehlen?“, brüllt der Prez.
Wir kaufen Waffen von den Russen und lagern sie in unserem Lagerhaus am anderen Ende der Stadt. Dann, alle paar Monate, bringen wir sie zur kanadischen Grenze und verkaufen sie an ein paar drittklassige asiatische Straßenbanden. Auf diese Weise verdient der Club einen großen Batzen seines Geldes.
Und jetzt schnüffeln die Demonios an unseren Geschäften herum. Jake sieht rüber zu Gabriel und gibt ihm das Signal.
„Wir können ihn nicht am Leben lassen. Wenn man sich mit dem Club anlegt, gibt es keine zweiten Chancen. Statuiere ein Exempel an ihm.“
Mit einem Nicken lässt Gabriel das Messer zum Vorschein kommen, das er an seinem Schenkel trägt, und schlitzt Manuel mit einer schnellen Bewegung die Kehle auf. Wir stehen da und schauen zu, wie das Leben aus seinem Gesicht weicht.
„Ich will, dass seine Leiche auf dem Gelände dieser Hurensöhne abgeladen wird. Das soll ein Exempel dafür sein, was passiert, wenn man sich mit den Kings anlegt“, wütet Jake.
„Quinn, hol die Prospects, damit sie den Scheiß sauber machen. Gabriel, du kommst mit mir. Lass uns die Scheiße erledigen“, belle ich.
Eine Stunde nachdem wir Manuels Leiche hinten in den Van geladen haben, erreichen wir das Clubhaus der Demonios. Es scheint, als gäbe es dort eine Party. Wir können laute Musik hören und ein paar Leute hängen draußen ab. Es sieht nicht so aus, als hätten sie jemanden am Eingangstor platziert – dumme Wichser.
Wir halten direkt davor und es bemerkt nicht mal jemand. Ich springe raus, laufe zur Rückseite des Wagens und öffne die Tür. Gabriel erscheint neben mir und zusammen ziehen wir die Leiche heraus. Wir werfen sie auf den Boden und lassen sie dort liegen.
Als wir einen Aufruhr hören, drehen wir uns um und erkennen, wie Männer mit gezogenen Waffen aus dem Clubhaus und zum Eingangstor rennen.
Wir sprinten in den Van, drücken aufs Gas und rasen davon, bevor sie nah genug herankommen können. Sobald sie unser kleines Geschenk sehen, werden sie genau wissen, mit wem sie sich angelegt haben.
Das Spiel beginnt, Arschlöcher.
Ich muss beim Lagerhaus vorbeischauen, um den Zaun zu kontrollieren, der das Grundstück begrenzt. Ich muss wissen, wo dieser Bastard durchgekommen sein könnte. Schnell schicke ich eine Nachricht an den Prez, um ihn wissen zu lassen, was Gabriel und ich vorhaben.
Am Vordereingang des Lagerhauses treffe ich auf Austin, den Prospect, der dieses Stück Scheiße geschnappt hat.
„Hey, Kleiner. Gute Arbeit heute Abend“, sage ich und klopfe ihm auf den Rücken.
„Danke, Logan. Ich bin einfach froh, dass ich ihn gekriegt habe.“
„Alles klar, Mann. Gabriel und ich werden den Zaun ablaufen, um zu sehen, ob wir entdecken können, wo er durchgeschlüpft ist.“
Ich beginne am westlichen Ende des Grundstücks und gehe am Zaun entlang. Nach etwas mehr als zwanzig Metern sehe ich es.
Hurensohn.
Im Zaun ist ein großes, klaffendes Loch und eine Zange liegt auf dem Boden. Dieser verfickte Idiot hat sogar das verdammte Beweismittel liegen lassen. Warum zur Hölle haben die Sensoren nicht ausgelöst? Das ist etwas, worüber ich mit Reid reden muss. Er sorgt dafür, dass unser ganzer Technikscheiß auf dem neuesten Stand ist.
Das Loch im Zaun ist ziemlich einfach zu reparieren, also beauftrage ich den Prospect damit, während wir unsere Grundstückskontrolle beenden.
Nachdem wir am Lagerhaus fertig geworden sind, begeben Gabriel und ich uns zurück zum Clubhaus.
Ich bin verdammt müde und brauche einen Drink. Als ich reinkomme, steuere ich direkt auf die Bar zu. Da die Prospects beim Lagerhaus und am Eingangstor postiert sind, steht Liz, eines der Clubmädels, hinter der Bar.
„Gib mir ein Bier und einen Whiskey“, sage ich zu ihr und nehme auf dem Hocker neben Jake Platz.
„Hast du alles geregelt?“
„Ja, Prez, ist erledigt“, bestätige ich, bevor ich den Shot runterkippe.
„Ich hatte so ein Gefühl, dass diese verdammten Mexikaner uns Ärger machen würden, als sie ihren beschissenen Club nach Dixon verlegt haben.“
„Na ja, jetzt wissen sie, womit sie es zu tun haben, wenn sie sich mit den Kings anlegen.“
Jake steht auf, nachdem er sein Bier ausgetrunken hat, und klopft auf die Theke. „Ich gehe nach Hause.“
„Mach’s gut, Prez. Ich sehe dich morgen früh.“
Kaum sind die Worte aus meinem Mund, ertönt ein: POP, POP, POP.
Scheiben zerschmettern in einem Regen aus Kugeln und alle werfen sich zu Boden.
Ich greife in meine Kutte und hole meine Waffe heraus. Als ich mich umsehe, erblicke ich Jake und Gabriel, die unter einem zerbrochenen Fenster kauern und schnell das Feuer erwidern.
Ich höre Schreie aus dem Flur kommen und sehe Cassie, ein weiteres Clubmädel, dort stehen.
„Runter mit dir, verdammt!“, brülle ich die dumme Schlampe an.
Sie lässt sich fallen und krabbelt hinter die Bar zu Liz. Drüben bei den Billardtischen sehe ich Bennett, der auf Lisa liegt, um sie von den Kugeln abzuschirmen.
Augenblicke später wird alles still.
Ich raffe mich vom Boden auf und renne zur Vordertür, die ich gerade noch rechtzeitig öffne, um zwei Autos die Straße runter und weg vom Clubhaus rasen zu sehen.
Mein Blick schweift nach rechts zu Gabriel, in dessen Augen Mordlust geschrieben steht.
„Wie zur Hölle konnten uns diese Schwanzlutscher überrumpeln? Steht da kein Prospect an dem gottverdammten Tor?“, brülle ich.
Alle Augen richten sich auf das Tor, wo im Schatten eine Gestalt auf dem Boden liegt.
„Scheiße!“, rufe ich und renne los.
Blake sieht aus, als wäre er angeschossen worden. „Fuck, jemand muss den Doc holen.“
Bennett kniet sich neben Blake und sieht sich seine Wunde an. „Bringen wir ihn rein. Sofort!“, verlangt er.
Reid eilt herbei und hilft uns, ihn ins Clubhaus zu tragen, wo wir Blake auf einen der Billardtische legen, während Bennett mit seiner Arzttasche zu uns kommt. Er schneidet das Shirt des Prospects auf, um einen besseren Blick auf das werfen zu können, womit er es zu tun hat.
„Es ist seine Schulter. Es sieht aus, als wäre es ein sauberer Schuss. Er hat einen ziemlich heftigen Schlag auf den Kopf bekommen, der ihn ausgeknockt hat“, stellt Bennet fest. „Der Kleine wird wieder in Ordnung kommen, wahrscheinlich hat er eine leichte Gehirnerschütterung, aber das weiß ich erst, wenn er aufwacht.“
Ich stoße den Atem aus, von dem ich nicht gewusst habe, dass ich ihn angehalten hatte.
Ich schaue mich nach meinen Brüdern um und bin erleichtert, dass sie alle okay sind. Aber während ich in die Runde starre, stelle ich fest, dass ich Gabriel nicht sehe.
Ich wende mich an Jake. „Prez?“
Er sieht zu mir rüber.
„Wir müssen Gabriel folgen.“
Er versteht, und wir hasten nach draußen, steigen auf unsere Motorräder und fahren mit quietschenden Reifen vom Gelände, in Richtung Dixon.
Wir sind gerade mal ungefähr drei Kilometer die Straße runter, als ich sein Motorrad seitlich im Graben liegen sehe, zusammen mit einem der Autos, die zuvor vom Clubhaus davongerast sind.
Jake und ich springen gleichzeitig von unseren Bikes.
Gabriel steht da, mit seinem Messer in der Hand, und atmet schwer. Auf dem Boden vor ihm liegen zwei tote Demonios.
Da wir nicht wissen, wo sich mein Bruder gerade mit seinen Gedanken befindet, warten Jake und ich ab.
Ich habe schon lange nicht mehr gesehen, dass Gabriel die Kontrolle verliert und so ausrastet. Es ist das Beste, zu warten und ihn selbst wieder zu sich kommen zu lassen.
Wir sehen zu, wie er sich langsam umdreht. Er sieht von Jake zu mir und hebt sein Kinn. „Prez. Logan.“ Dann schwingt er sich auf sein Motorrad und fährt zurück.
„Was für ein verrückter Wichser“, murmele ich.
Jake und ich schweigen beide für einen Moment, bevor wir uns umdrehen, um die Riesensauerei zu begutachten, die Gabriel hier am Straßenrand zurückgelassen hat.
„Ich rufe ein paar Brüder an, die den Scheiß hier aufräumen, bevor die Bullen auftauchen“, verkündet Prez.
Es ist nach drei Uhr morgens, als ich komplett erschöpft zum Clubhaus zurückkehre. Die Glasscherben sind weggeräumt und die Fenster mit Brettern versehen worden. Abgesehen von ein paar Leuten, die hier herumlungern, ist es ziemlich ruhig. Ich beschließe, bei Blakes Zimmer vorbeizuschauen, um nach ihm zu sehen.
Ich bin es ihm schuldig, ihm meine Dankbarkeit zu zeigen. Als ich seine Tür öffne, sehe ich Lisa in einem Stuhl neben seinem Bett sitzen.
Ich bin nicht überrascht, sie hier zu sehen. Sie kümmert sich immer um uns.
„Wie geht es dem Kleinen?“, frage ich.
„Bennett hat ihm was gegen die Schmerzen gegeben, also bin ich sicher, dass er eine Weile außer Gefecht sein wird. Er ist okay, Logan. Geh und ruhe dich etwas aus, Süßer.“
„Danke, Lisa.“
Endlich schaffe ich es in mein Zimmer. Das Einzige, was ich jetzt will, ist eine Dusche und dann ins Bett.
Ich stehe unter dem heißen Wasserstrahl und versuche, meine verspannten Schultern zu lockern. Es war ein verdammter harter Tag.
Nachdem ich mich abgetrocknet habe, steige ich ins Bett. Ich liege da und meine Gedanken rasen wie wild. Ich kann nicht anders, als mir Sorgen über das zu machen, was als Nächstes kommen wird.
Ich strecke die Hand aus, ziehe einen Joint aus meinem Nachttisch und zünde ihn an. Nachdem ich ein paar Züge genommen habe, kann ich mich entspannen. Im Moment beruhigt mich nur die Gewissheit, dass meine Brüder immer hinter mir stehen, egal, was morgen bei dieser Riesenscheiße passiert.
Bella
„Bella?“ Ich höre die Stimme meiner Schwester, als ich meine Augen öffne. „Wach auf. Es ist sieben Uhr dreißig. Ich habe den Bus verpasst und ich bekomme Mom nicht dazu, aus ihrem Zimmer zu kommen und mich zur Schule zu fahren.“
„Scheiße“, schimpfe ich, als ich aus dem Bett springe. „Ich sollte heute Morgen um acht bei der Arbeit sein, um den Laden aufzuschließen.“
Ich eile durch das Zimmer und schnappe mir das nächstbeste Kleidungsstück. Als ich in eine schwarze Leggings schlüpfe, murmelt Alba: „Tut mir leid, Bella.“
„Schon okay. Es ist nicht deine Schuld. Ich habe verschlafen.“ Ich greife in den Kleiderschrank und ziehe eine lila Tunika vom Bügel. „Wir treffen uns am Auto. Ich bin in einer Minute da.“
Sie geht aus dem Zimmer, während ich in meine schwarzen Ballerinas schlüpfe.
Als ich am Schlafzimmer meiner Mutter vorbeigehe, mache ich Halt und klopfe an die Tür. Sie antwortet nicht, also öffne ich die Tür und gehe ins Zimmer. Ich finde sie mit unter sich angezogenen Beinen vor; sie starrt ins Nichts.
„Mom? Bist du okay?“
Sie dreht ihren Kopf und sieht zu mir auf. Ich erkenne einen Abdruck in der Größe und Form einer Hand quer über ihrer Wange und schnappe nach Luft.
„Was zur Hölle, Mom? Dieses Arschloch hat dich geschlagen?“
Sie sagt nichts. Sie steht auf, küsst mich auf die Wange und geht aus dem Zimmer.
„Mom, du kannst nicht zulassen, dass er dir das antut. Das ist nicht richtig!“, flehe ich sie an und folge ihr ins Wohnzimmer.
Ich packe sie bei den Schultern und bringe sie dazu, mich anzuschauen. „Mom, ich muss Alba zur Schule bringen, sie hat den Bus verpasst. Und noch dazu komme ich zu spät zur Arbeit. Versprich mir, dass du die Polizei rufst, falls Lee zurückkommt.“
Ihre Augen sind glasig von ungeweinten Tränen, aber ich bekomme keine Antwort von ihr.
Ich beuge mich vor und umarme sie. „Ich liebe dich, Mom. Du verdienst was Besseres.“
Ich hasse es, sie in diesem Zustand allein zurückzulassen.
„Ich verspreche es. Ich rufe die Polizei, falls er auftaucht“, flüstert sie.
„Ruf mich an, wenn du etwas brauchst, okay?“
Ich sehe zu, wie sie langsam nickt, bevor ich mich zum Gehen wende.
Ich mache einen kurzen Kontrollgang durchs Haus. Lee ist nirgendwo zu finden, also begebe ich mich zur Haustür hinaus, wobei ich jedoch bemerke, dass sein Pick-up immer noch in der Einfahrt steht.
„Bella, es tut mir wirklich leid“, wispert meine Schwester, als ich in mein Auto steige.
„Ist schon gut. Nichts davon ist deine Schuld. Ich schreibe deine Entschuldigung und unterschreibe für Mom. Sie hat sich nicht wohlgefühlt, deswegen hast du sie vorhin nicht dazu gebracht, aus dem Zimmer zu kommen“, lüge ich.
Nachdem ich sie an der Schule abgesetzt habe, fahre ich weiter in Richtung Innenstadt zum Supermarkt. Ich bin bereits fünfunddreißig Minuten zu spät und mir ist gerade eingefallen, dass ich meinen Chef Travis hätte anrufen sollen, um ihn wissen zu lassen, dass ich unterwegs bin.
Ich krame in meiner Handtasche nach meinem Handy und stelle fest, dass ich es nicht dabeihabe. Es liegt noch zu Hause auf meinem Nachttisch.
Ein lauter Knall ertönt, bevor das Auto stark nach rechts zieht, und ich schaffe es gerade so, auf den Seitenstreifen auszuweichen. Ich stelle den Motor ab und steige aus, um zu sehen, was passiert ist. Toll, ein Platten.
„Scheißleben“, murmele ich.
Während ich versuche, den Reifen aus dem Kofferraum zu bekommen, höre ich das Knattern eines Motorrads hinter mir. Der Typ hält an, klappt den Ständer runter und steigt von seinem Bike.
Er trägt eine Pilotenbrille und hat sandblondes Haar. Als er etwas näher kommt, kann ich die Kutte erkennen, die er anhat. Darauf steht oben rechts SGT AT ARMS. „Schätzchen, dieser Reifen sieht größer aus als du. Lass mich dir helfen.“
„Danke, das wäre toll.“
Er trägt den Reifen zur Vorderseite und lehnt ihn gegen das Auto. „Mein Name ist Quinn.“
„Bella“, sage ich, strecke meinen Arm aus und schüttle seine Hand.
„Nun, Bella. Lass mich das Radkreuz und den Wagenheber aus dem Kofferraum holen, ich repariere das für dich.“