Klärungsprozesse in der Klärungsorientierten Psychotherapie - Rainer Sachse - E-Book

Klärungsprozesse in der Klärungsorientierten Psychotherapie E-Book

Rainer Sachse

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Beschreibung

Das Anregen und Steuern von Klärungsprozessen bei Klienten ist der zentrale Kern der Klärungsorientierten Psychotherapie. Die Klärung von Schemata und Motiven ist für Klienten sehr schwierig: Therapeuten benötigen daher ein hohes Maß an Expertise, insbesondere in Form von Klärungsstrategien. Therapeuten benötigen aber auch Wissen über Klärungsprozesse, Prozessziele und darüber, welche Rahmenbedingungen sie zur Klärung schaffen sollten, damit sie erkennen können, auf welcher Prozessstufe sich ein Klient befindet und was der Klient jeweils an gezielter Unterstützung durch den Therapeuten benötigt. Dieses Buch vermittelt Therapeuten eine solche Expertise: Es legt dar, worauf Therapeuten achten sollen und unter welchen Bedingungen sie die Klienten-Prozesse durch welche Strategien konstruktiv steuern können. Die angeführten Strategien sind alle empirisch getestet und haben sich in der praktischen Anwendung der Klärungsorientierten Psychotherapie vielfach bewährt.

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Rainer Sachse

Klärungsprozesse in der Klärungsorientierten Psychotherapie

Prof. Dr. Rainer Sachse, geb. 1948. 1969–1978 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Ab 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. 1985 Promotion. 1991 Habilitation. Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1998 außerplanmäßiger Professor. Leiter des Institutes für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Persönlichkeitsstörungen, Klärungsorientierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie.

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Umschlagabbildung: istockphoto.com, © PeopleImages

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2016

© 2016Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF]978-3-8409-2726-3; E-Book-ISBN [EPUB]978-3-8444-2726-4)

ISBN 978-3-8017-2726-0

http://doi.org/10.1026/02726-000

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Anmerkung:

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Was sind und was sollen Klärungsprozesse: Eine Einführung

2 Schema-Theorie

2.1 Was sind Schemata?

2.2 Kognitive und affektive Schemata

2.3 Verarbeitungsprozesse

2.4 Exekutive Schemata

2.5 Filter-Funktion und Akkommodation

2.6 Schema-Ebenen

2.7 Netzwerkstruktur kognitiver Schemata

2.8 Zugänglichkeit von Schemata

2.9 Schema-Arten

2.10 Schemata und Beziehungsmotive

2.11 Schemata und emotionale Verarbeitung

2.12 Beispiele für die Schema-Arten bei verschiedenen Beziehungsmotiven

2.12.1 Dysfunktionale Schemata

2.12.2 Kompensatorische Schemata

2.12.3 Dysfunktionale und kompensatorische Schemata

3 Klärung und Klärungsprozesse

3.1 Klärung

3.2 Die Schwierigkeit des Explizierungsprozesses und die Notwendigkeit einer Prozesssteuerung durch den Therapeuten

3.3 Der Klärungsprozess im Überblick

3.3.1 Inhaltsebene

3.3.2 Funktionsebene

3.4 Der Explizierungsprozess

3.5 Vertiefung und Steuerung

4 Die Stufen und Prozesse des Explizierungsprozesses im Einzelnen

4.1 Einleitung

4.2 Keine persönlichen Probleme

4.3 Intellektualisierung

4.4 Unkonkreter Bericht

4.5 Konkreter Bericht

4.6 Situation im Fokus

4.7 Klärung der Verarbeitungsprozesse

4.8 Rekonstruktion von Schema-Aspekten

4.9 Funktionen

4.9.1 Perspektive

4.9.2 Verarbeitungsmodus

5 Wie unterstützt ein Therapeut den Klärungsprozess des Klienten

5.1 Grundsätzliche Überlegungen

5.2 Keine persönlichen Probleme

5.3 Intellektualisierung

5.4 Unkonkreter Bericht

5.5 Konkreter Bericht

5.6 Fokussieren auf die Situation

5.7 Fokussieren auf Verarbeitungsprozesse

5.8 Rekonstruktion von Schema-Annahmen

6 Therapeutische Intervention zur Klärung

6.1 Einleitung

6.2 Synthetische und analytische Interventionen

6.2.1 Synthetische Interventionen

6.2.2 Analytische Interventionen

6.2.3 Implikationen von Fragen

6.3 Therapeutisches Tempo von Interventionen

6.4 Therapeutische Strategien

6.4.1 Arten von Strategien

6.4.2 Explizierungsfördernde Strategien

7 Eine besondere therapeutische Strategie: Explikationen durch den Therapeuten

7.1 Einleitung

7.2 Implikationsstrukturen

7.2.1 Einleitung

7.2.2 Charakteristika von Implikationsstrukturen

7.3 Explikationen durch den Therapeuten

7.3.1 Das Vorgehen

7.3.2 Wie kann ein Therapeut Explizierungen machen?

7.3.3 Explizierung: Eine gut belegbare Hypothese

7.3.4 Explizierungen aufgrund psychologischen Wissens

7.4 Therapeuten können oft Implikationen vor dem Klienten erkennen

7.5 Explizierungen haben Voraussetzungen

8 Klären bis an die Kante des Möglichen

8.1 Die Ambivalenz von Klärungsprozessen

8.2 Die Vermeidungsstrategien

8.3 Therapeutische Arbeit an der Kante des Möglichen

9 Therapeut-Klient-Beziehung

10 Ein besonderer Aspekt von therapeutischer Klärung: Klärung impliziter Motive

10.1 Einleitung

10.2 Alienation

10.2.1 Begriff

10.2.2 Affekte: Die Indikatoren des Motivsystems

10.2.3 Mangelnde Repräsentation

10.3 Motivklärung

11 Klärungsprozesse an Beispielen

11.1 Beispiel 1: Der Prozess des Herrn G.

11.2 Das Transkript

11.3 Kommentar

11.4 Beispiel 2: Klientin mit dependenter Persönlichkeitsstörung

11.5 Das Transkript

11.5.1 Kommentar

Literatur

|9|Danksagung

Dies ist mein 51. Buch, und aus diesem Grunde ist es an der Zeit, an dieser Stelle einigen Personen, die mich in meinem Leben unterstützt und gefördert haben, meinen Dank auszusprechen.

Vorrangig danken möchte ich meiner Frau Claudia und meiner Tochter Meike.

Claudia hat mich immer unterstützt, mich in depressiven Phasen aufgebaut; wir hatten eine unglaublich schöne Zeit zusammen, haben zusammen gelacht, sind durch die Welt getobt und haben zusammen gearbeitet. Vor allem aber danke ich ihr für ihre Liebe und für ihre Solidarität.

Meike war immer eine Bereicherung meines Lebens, mit ihrer Freundlichkeit, ihrem Humor, ihrem Lachen und ihrer Herzlichkeit. Man kann mit ihr reden (z. B. über Filme!), mit ihr Spaß haben, aber auch mit ihr arbeiten. Ich danke ihr für ihr Da-Sein und dafür, dass sie mir viele Fehler verziehen hat.

Besonderer Dank gilt auch meiner Kollegin und Freundin Jana Fasbender, die mir beim Aufbau und bei der Leitung des Instituts eine unermessliche Hilfe war und immer da war, wenn es irgendwo Probleme gab. Ihr Optimismus ist nicht kleinzukriegen, und ich möchte ihr Lachen nicht missen.

Was meine Entwicklung als Psychotherapeut betrifft, so gilt mein Dank insbesondere meinem Kollegen und Freund Dietrich Graessner: In einer Zeit starker Ideologien hat er mir gezeigt, was Psychotherapie wirklich bedeutet. Er hat mir gezeigt, was Empathie sein kann und wie man Prozesse einfühlsam steuert.

Im Hinblick auf meine Uni-Zeit gilt mein Dank Prof. Dr. Dietmar Schulte, der mir Gelegenheit gab, an seinem Lehrstuhl zu arbeiten und zu forschen, der es mir ermöglichte, zu promovieren und zu habilitieren und Professor zu werden, obwohl meine Arbeiten weit vom Mainstream der Psychotherapie entfernt waren.

Dass er das tat ist außergewöhnlich, denn unsere Auffassungen von Psychotherapie sind etwa so weit auseinander wie Andromeda und die heimatliche Galaxis. Anders als die Galaxie und M31 haben sich unsere Positionen aber auch nie angenähert oder bewegen sich auf einen gemeinsamen Attraktor zu.

Obwohl ich nie das Privileg hatte, ihn persönlich kennenlernen zu dürfen, so habe ich doch in der Psychologie am meisten profitiert von Prof. Dr. Hans Hörmann: Seine Vorlesungen, Seminare und Bücher haben mich psychologisches Denken gelehrt und mir aufgezeigt, was Wissenschaft bedeutet.

Die Grundlagen von Wissenschaft verdanke ich auch Prof. Dr. Birgit Kröner-Herwig, die meine Diplomarbeit mit Scharfsinn, konstruktiver Kritik und viel Humor begleitet hat.

Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Klaus Grawe, bei dem ich viel über Psychotherapie und Forschung lernen durfte und der meinen Nicht-Mainstream-Ansatz immer gefördert hat.

Mein Dank gilt auch meinen vielen Diplomandinnen und Diplomanden, meinen Doktorandinnen und Doktoranden, die mit mir zusammen Ideen entwickelt und getestet haben, die viel Arbeit und Mühe investiert haben, um meinen (manchmal doch recht hohen) Anforderungen gerecht zu werden.

Was mein eigenes Institut betrifft, so bin ich in der Aufbauphase vor allem Dirk Rohde, Oliver Püschel, Janine Breil, Jana Fasbender und Dr. Peter Schlebusch sowie meiner Frau |10|Claudia dankbar. Dirk Rohde war beim Abfassen der Anträge einem Formular-Phobiker wie mir enorm hilfreich. Oliver Püschel und Janine Breil waren enorm konstruktiv bei der konzeptuellen Ausgestaltung, dem Curriculum, der Homepage und vielem anderen. Jana Fasbender und Claudia haben im Aufbau der Leistung und der Ambulanz unschätzbare Dienste geleistet und tun es noch – ohne sie hätte das Institut nie entstehen können. Peter Schlebusch war die treibende Kraft im Aufbau des Sozialtherapeuten-Studiengangs.

Ein herzlicher Dank gilt auch meinem Konzeptentwicklungs- und Forschungsteam, mit dem zusammen ich viele Konzepte Schritt für Schritt entwickelt und empirisch erproben konnte: Dr. Janine Breil, Oliver Püschel, Jana Fasbender, Meike und Claudia Sachse, Peter Schlebusch, Steffi Kiszkenow-Bäker, Sandra Schirm, Markus Leisch.

Sehr dankbar bin ich auch meinen Freunden und Kollegen dafür, dass ich mit ihnen zusammen viele Ideen entwickeln, ausprobieren, elaborieren und in Büchern umsetzen konnte. Ich danke PD Dr. Thomas A. Langens, Prof. Dr. Philipp Hammelstein und PD Dr. Ueli Kramer.

Mein spezieller Dank gilt auch den Lektoren des Hogrefe-Verlages, Dr. Michael Vogtmeier und Frau Kathrin Rothauge, die enorm viele meiner Bücher super betreut haben und mir viele Anregungen gegeben haben.

Was meine Bücher angeht, so gilt mein Dank Dr. Anette Meistrowitz, die meine Manuskripte aus einer speziellen Variante der Hyroglyphen-Schrift in lesbare Sprache übersetzt hat und die eine beträchtliche Textdatei übersichtlich organisieren konnte. Und mein Dank gilt Wilfried Schäfer, der die Manuskripte in fertige Druckvorlagen verwandelt hat.

Mein Dank gilt aber auch meinen beiden Golden Retrievern Gracie und Flocke, die mir gezeigt haben, dass auch Hunde ausgeprägte Persönlichkeitsstile haben können, die genauso liebenswert sind wie die ihrer menschlichen Mithunde.

Alle Genannten haben zum Erfolg meiner Arbeit beigetragen. Ich danke Ihnen aber vor allem dafür, dass ich mit ihnen viel Spaß hatte und dass sie zu einem hohen Maß an Zufriedenheit beigetragen haben.

Bochum im August 2015

Rainer Sachse

|11|1 Was sind und was sollen Klärungsprozesse: Eine Einführung

In diesem Kapitel wird ein Überblick darüber geben, was genau „Klärungsprozesse“ in der Psychotherapie sind und wozu sie therapeutisch eigentlich dienen.

Menschen weisen eine Reihe von Annahmen auf: Annahmen über die Realität, Annahmen über sich selbst, Annahmen über Beziehungen etc. (vgl. Beck, 1963, 1964, 1967, 1970a, 1970b, 1973, 1976, 1979; Beck & Greenberg, 1979; Beck, Rush, Shaw, & Emery, 1979; Sachse & Musial, 1981).

Etliche Annahmen sind realistisch, sie sind aus Erfahrungen abgeleitet und halten einer Prüfung im Alltag (einer empirischen Prüfung) stand. Aber viele Annahmen sind nicht realistisch, sie bilden die Realität nicht gut oder falsch ab. Sie würden einer Prüfung nicht standhalten, doch unglücklicherweise werden sie von den Personen gar nicht mehr geprüft; sie werden geglaubt.

Viele Annahmen, die Menschen haben, leisten ihnen durchaus gute Dienste, sie leiten sie zu guten Schlussfolgerungen an, helfen ihnen, Situationen schnell zu erfassen und richtige Entscheidungen zu treffen. Einige Annahmen sind jedoch ungünstig und führen zu Problemen: Sie führen zu falschen Interpretationen von Situationen, verleiten zu ungünstigen Entscheidungen, erzeugen störende Emotionen usw. (Sachse, 2014a, 2014b).

Es sind genau diese problemauslösenden oder „problemdeterminierenden Annahmen“, um die es in der Psychotherapie geht: Diese müssen identifiziert, geklärt und verändert werden.

Unglücklicherweise haben Personen jedoch Annahmen nicht so gespeichert wie „normale“ Erinnerungen: Vielmehr bilden Annahmen Schemata. Und Schemata weisen neben den Inhalten (= Annahmen) noch weitere wichtige psychologische Charakteristika auf: Sie werden automatisch durch Situationen (also „von unten nach oben“, „bottom up“) aktiviert („getriggert“), und wenn sie einmal aktiviert sind, dann nehmen sie starken Einfluss auf die Verarbeitung von Information („von oben nach unten“, „top down“). Daher bestimmen dann die Annahmen der Schemata die aktuellen Interpretationen von Situationen und damit Emotionen und Handlungen in hohem Maße mit (Sachse, 1992a, 2006a, 2008a, 2014a).

Enthalten die Schemata nun günstige Annahmen, können diese Schemata funktional sein (was viele Schemata auch sind; deshalb sind sie auch „Ressourcen“): Sie helfen einer Person, schnell zu verstehen, was abläuft, schnell zu handeln etc.

|12|Enthalten die Schemata jedoch ungünstige (= dysfunktionale) Annahmen, dann führen die Schemata zu falschen, problematischen Interpretationen von Situationen und damit zu problematischen Handlungen und Emotionen.

In diesem Fall ist es wichtig

zu identifizieren, dass Schemata an einem Problem beteiligt sind,

diese Schemata bzw. ihre Inhalte (die Annahmen) herauszuarbeiten, d. h. genau zu klären,

diese Schemata zu bearbeiten und zu verändern.

Alltagserfahrungen, Therapieerfahrungen und Prozessforschungsstudien (s. u.) zeigen aber nun, dass Personen große Teile ihrer Schemata nicht ohne therapeutische Hilfe klären (also benennen, in Sprache ausdrücken) können: Oft können sie einige Annahmen benennen oder in Fragebögen angeben; „tiefer“ liegende Annahmen sind ihnen jedoch nicht mehr zugänglich.

Studien zeigen,

dass die Klärung von Schemata für Klienten sehr schwierig ist,

dass Klienten dazu spezielle Unterstützung von Therapeuten benötigen,

dass Therapeuten zur Anregung von Klärung spezielle therapeutische Techniken brauchen,

dass Klärungsprozesse auf jeden Fall Zeit brauchen.

Klienten können in aller Regel ohne therapeutische Hilfe und ohne spezielle Klärungsarbeit

relevante Schema-Aspekte nicht bewusst repräsentieren,

relevante Schema-Aspekte nicht auf Nachfragen angeben,

relevante Schema-Aspekte auch in entsprechenden Fragebögen nicht angeben.

Daher sind Klärungsprozesse weder einfach noch trivial: Man muss definieren, was genau Schemata sind, wie Schemata wirken, welche Arten von Schemata es gibt; man muss bestimmen, was Klärung bedeutet und welche psychologischen Prozesse bei einer Klärung beteiligt sind; und man muss beschreiben, wie genau Therapeuten die Klärungsprozesse von Klienten fördern können, welche Interventionen und Strategien sie anwenden sollten.

Wie keine andere Therapieform hat sich die Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP) mit der Erforschung von Klärungsprozessen, mit der theoretischen Fundierung solcher Prozesse und der Entwicklung therapeutischer Interventionen und Strategien zur Steuerung von Klientenprozessen von Klienten durch Therapeuten beschäftigt (Sachse, 1982, 1984, 1986a, 1986b, 1986c, 1988a, 1989, 1992a, 1996, 1999a, 2000a, 2000b, 2005a, 2005b, 2006a, 2006c, 2007a; Sachse & Breil, 2011; Sachse, Breil & Fasbender, 2009; Sachse & Fasbender, 2010, 2014a, 2014b; |13|Sachse, Fasbender & Breil, 2009; Sachse, Fasbender & Sachse, 2011a, 2011b; Sachse & Maus, 1991; Sachse & Sachse, 2009, 2011; Sachse, Püschel, Fassbender & Breil, 2008; Sachse, Breil, Fasbender, Püschel & Sachse, 2009).

In diesem Buch möchte ich mich der Frage der Klärungsprozesse noch einmal unter Einbezug des derzeitigen Forschungsstands zuwenden und sehr praxisorientiert aufzeigen, was Klärung in der Psychotherapie bedeutet.

Ich werde mich dabei zunächst der Frage zuwenden, was im Klärungsprozess geklärt werden soll und mich daher mit der psychologischen Funktion von Schemata befassen (Kapitel 2).

Im Anschluss daran werde ich darstellen, worum es bei Klärung genau geht, wie Klienten Klärungsprozesse durchführen und wie Therapeuten die Prozesse von Klienten konstruktiv steuern können (Kapitel 3).

Anschließend werde ich dann die Stufen der Klärungs- oder Explizierungsprozesse näher beschreiben, um Therapeuten eine Art „Klienten-GPS“ für die Orientierung zu geben, wo ein Klient sich aktuell im Prozess befindet (Kapitel 4).

Therapeuten sollen Klienten in ihrem Klärungsprozess aktiv und konstruktiv unterstützen: In Kapitel 5 erörtere ich die Frage, wie sie dies konkret tun können.

In Kapitel 6 beschäftige ich mich mit der Frage, welche Arten von Interventionen Therapeuten konkret bei der Steuerung von Klientenprozessen verwenden können und welche Strategien sie einsetzen können.

In Kapitel 7 wende ich mich einer besonders wichtigen therapeutischen Strategie zu: Dem Explizieren. Dabei setzt ein Therapeut vom Klienten gemeinte, aber nicht explizit in Sprache ausgedrückte Inhalte explizit in Worte um; er hilft dem Klienten dabei, unklare, „gefühlte“, nicht klar fassbare Bedeutungen in explizite Begrifflichkeiten zu übersetzen.

|14|2 Schema-Theorie

2.1 Was sind Schemata?

In diesem Kapitel wird behandelt, was Schemata sind, welche psychologische Funktion Schemata haben und warum Schemata für persönliche Probleme von Klienten hoch relevant sind.

Bei Schemata kann man Inhalt und Funktion unterscheiden:

Jedes Schema hat einen bestimmten Inhalt, z. B. eine Struktur bestimmter Annahmen: Diese Inhalte machen das Schema spezifisch. Dabei handelt es sich z. B. um Annahmen wie „ich bin ein Versager“, „ich bin unattraktiv“, „in Beziehungen wird man nicht ernst genommen“, „ich muss der Beste sein“ etc.

Jedes Schema hat psychologische Funktionen, z. B. dass es durch Stimuli automatisch aktiviert wird und dass es dann die Informationsverarbeitung steuert etc.

Schemata sind organisierte Strukturen von Inhalten, die sich durch Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus Erfahrungen bilden (Flammer, 1988) und deren Aktivierung aktuelle Verarbeitungsprozesse (stark) beeinflusst (vgl. Bartlett, 1932; Beck, 1979; Crocker, Fiske & Taylor, 1984; Hedlund & Rude, 1995; Herrmann, 1965; Mandler, 1979; Norman, 1982; Norman & Bobrow, 1975; Piaget, 1945, 1952, 1954, 1976; Power & Dalgleish, 1997; Rumelhart, 1980; Sachse, 1992a, 2014a; Schank & Abelson, 1977; Segal, 1988; Tallis, 1995; Taylor & Crocker, 1981; Teasdale & Barnard, 1993).

Schemata1 werden durch aktivierende Stimuli („bottom up“) aktiviert („getriggert“) und steuern dann („top down“) die Informationsverarbeitung der Person. Dabei können Schemata alle Arten der Informationsverarbeitung beeinflussen: Situationsinterpretationen, Interpretationen der persönlichen Relevanz, der Coping-Fähigkeiten usw. Schemata können somit auch die Emotionsgenese in hohem Maße beeinflussen (Ulich, 1991, 1994; Ulich & Mayring, 1992; Ulich, Kienbaum & Volland, 1999).

Schemata weisen einige wesentliche Charakteristika auf:

Die Aktivierung von Schemata erfolgt durch vorhandene oder vorgestellte Situationen automatisch und kann von der Person nicht direkt willentlich herbeigeführt werden. Um ein Schema zu aktivieren, muss sich eine Person deshalb eine relevante Situation möglichst konkret vorstellen.

|15|Die Aktivierung von Schemata erfolgt schnell und kann in der Regel von einer Person kaum kontrolliert werden.

Sobald ein Schema aktiviert ist, dominiert es in hohem Maße die Informationsverarbeitung und führt zu einer Art von „voreingenommener“ Verarbeitung („voreingenommen“ deshalb, weil die Verarbeitungsergebnisse extrem starr durch das Schema determiniert werden und damit reale Gegebenheiten kaum noch berücksichtigen).

Durch diese Verarbeitungen gelangt eine Person zu Schlussfolgerungen, die subjektiv stark überzeugend sind und von der Person nur schwer in Frage gestellt werden können.

Dabei können die schema-gesteuerten Verarbeitungen (mehr oder weniger) stark von „der Realität“ (d. h. von einer durch sorgfältige Analyse-Prozesse zustande gekommenen Interpretation!) abweichen.

Schemata können aktiv sein, d. h. sie sind leicht aktivierbar und determinieren damit aktuell die Informationsverarbeitung erkennbar in hohem Maße; Schemata können aber auch latent sein, d. h. sie sind nicht leicht aktivierbar und determinieren die Informationsverarbeitung nur indirekt, sind in ihren Effekten aber noch erkennbar (Ellis & Moore, 1999; Hedlund & Rude, 1995).

2.2 Kognitive und affektive Schemata

Man kann annehmen, dass es kognitive (dysfunktionale) Schemata gibt (Beck, 1979), also Schemata, die Annahmen in einem kognitiven Code enthalten. Diese Schemata entstehen in der Biografie einer Person durch sich wiederholende Erfahrungen (z. B. kontinuierliche Abwertungen durch einen Elternteil) und Schlussfolgerungen daraus („ich bin nicht liebenswert“): Dadurch entstehen Annahmen, die „Verdichtungen“, „Komprimierungen“ von Erfahrungen sind und Annahmen, die (durch Schlussfolgerungen und „Katastrophisierungen“) z. T. weit über tatsächliche Erfahrungen bzw. tatsächlich erhaltenes Feedback hinausgehen.

Daher bilden Schemata auch biografische Erfahrungen einer Person nicht einfach ab; und daher stimmen Schema-Inhalte oft auch nicht völlig mit im episodischen Gedächtnis gespeicherten Gedächtnisinhalten überein: Schemata sind keine Abbildungen der Realität, sondern Konstruktionen der Person!

Eine Person verarbeitet jedoch biografische Erfahrungen und in der Biografie erhaltenes Feedback nicht nur kognitiv; wie ausgeführt gehen wir davon aus, dass immer auch eine parallele affektive Verarbeitung von Ereignissen stattfindet. Wiederholen sich im affektiven Verarbeitungssystem bestimmte Verarbeitungen immer wieder, dann, so kann man annehmen, entwickeln sich hier ebenfalls Schemata: Affektive Schemata, die, dem affektiven System entsprechend, auf affektive Interpretationen basieren und die daher affektive Bedeutungen enthalten, also Bedeutungen in einem |16|perzeptuell-sensumotorischen Code (vgl. Pascual-Leone, 1990a, 1990b, 1991; Tallis, 1999; Teasdale & Barnard, 1993).

Ansonsten funktionieren diese Schemata aber genauso wie kognitive: Sie werden automatisch durch Stimuli aktiviert und determinieren, wenn sie aktiviert werden, die Informationsverarbeitung: In diesem Fall allerdings determinieren sie die Informationsverarbeitung im affektiven System. Und genauso wie im kognitiven Verarbeitungssystem, so können affektive Schemata im affektiven System zu voreingenommenen (weil durch Schemata festgelegten) unflexiblen und dysfunktionalen Verarbeitungen und Bedeutungen führen, zu störenden, mit zielführendem Verhalten interferierenden Affekten usw. Und somit kann es eben auch dysfunktionale affektive Schemata geben.

Wir gehen davon aus, dass problematische Schemata in der Regel kognitive und affektive Anteile aufweisen. Rein kognitive Schemata und rein affektive Schemata sind (wahrscheinlich) selten: Bei rein kognitiven Schemata ist eine Klärung und Bearbeitung meist einfacher (aber nicht unbedingt einfach!); bei rein affektiven Schemata ist es meist notwendig, diese durch therapeutische Methoden wie Focusing zuerst in eine kognitive Repräsentation „zu übersetzen“, bevor sie weiter therapeutisch bearbeitet werden können (vgl. Sachse, 2006b, 2014b; Sachse & Langens, 2014a; Sachse, Breil, Fasbender, Püschel & Sachse, 2009).

2.3 Verarbeitungsprozesse

Situationen führen (über elementare Verarbeitungsprozesse) „bottom up“ (von unten nach oben) zu einer Aktivierung relevanter Schemata. Einmal aktiviert führen Schemata zu bestimmten Kognitionen, Interpretationen der Situation; Schemata lösen aber auch (über ihre affektiven Informationen und entsprechende Verarbeitungsprozesse) Affekte (z. B. Unwohlsein, „Druck auf der Brust“, u. a.) aus; Schemata können auch weitere Interpretationsprozesse auslösen, durch die es dann zu Emotionen (Angst, Ärger, usw.) kommen kann (vgl. Sachse & Langens, 2014b). Schemata können aber auch direkt Handlungsimpulse (z. B. Flucht- oder Vermeidungstendenzen) auslösen.

Alle diese Schemaeffekte können zu ungünstigen Verarbeitungsprozessen, zu ungünstigem Erleben und Verhalten der Person führen: Die Person interpretiert eine Situation falsch, empfindet ungünstige Affekte und Emotionen, handelt so, dass hohe Kosten entstehen.

Die Schemaeffekte können auch mit kompetentem und funktionalem Handeln der Person interferieren, sodass wieder ungünstige Effekte (Kosten für die Person) entstehen.

Viele Probleme von Personen gehen auf ungünstige dysfunktionale Schemata zurück. Auf ein Schema wie z. B. „ich bin ein Versager“ (mit allen weiteren Implikationen, s. u.) kann Prüfungsangst zurückgehen, auf ein Schema „ich bin unattraktiv“ (mit allen weiteren Implikationen, s. u.) kann zurückgehen, dass sich zwar jemand eine Partnerin/einen Partner wünscht, sich aber nie traut, die Initiative zu übernehmen, weil er mit Ablehnung rechnet und Angst davor hat, die Zurückweisung könnte seine negativen Annahmen auch noch bestätigen.

|17|Probleme gehen sehr oft nicht auf reine „Konditionierungsprozesse“ zurück und auch nicht (nur) auf soziale Kompetenzdefizite, sondern auf ungünstige Annahmen, die eine Person über sich selbst, über Beziehungen, über die Realität hat: Die Annahmen führen dann, wenn sie in betreffenden Situationen aktiviert werden, zu Unsicherheit, Angst, Vermeidung, zu ungünstigen Interpretationen der Situation (als „bedrohlich“, als Situation, „in der man scheitern kann“, als Situation, „in der man wieder abgewertet wird“ usw.) und zu ungünstigen Handlungen. Dieses ungünstige Erleben und Verhalten der Person wird dann nicht von der Situation selbst erzeugt, in der sich die Person befindet, sondern durch die aktuellen Verarbeitungsprozesse, die wiederum durch die Schemata determiniert werden, die durch die Situation aktiviert werden. Schema-theoretisch gesehen sind „Situationen“ nicht „Ursachen“ des Verhaltens (wie in der klassischen Skinner-Theorie und der darauf basierenden Verhaltensanalyse), sondern nur „Auslöser“ dysfunktionaler Verarbeitungsprozesse, die dann wiederum Effekte auf Verhalten ausüben.

Auslösende Situationen aktivieren Schemata, die dann zu aktuellen Verarbeitungsprozessen (Kognitionen, Affekten, Emotionen, Handlungsimpulsen) führen, die dann wiederum Handlungen initiieren. Situationen führen nicht direkt zu Verhalten; zentral sind dagegen die relevanten Schemata und die durch diese initiierten aktuellen Verarbeitungsprozesse.