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Einführung in die klassischen Lerntheorien Umfassend und anschaulich werden in diesem Lehrbuch die lerntheoretischen Grundlagen unter Einbezug neuer Forschungsbefunde vorgestellt: die Klassische und Operante Konditionierung, neuere behaviorale Ansätze sowie kognitive, soziale und gestaltpsychologische Modelle. Diese bilden unter anderem das lerntheoretische Fundament der Kognitiven Verhaltenstherapie. Nach einer kurzen historischen Einführung werden die bekanntesten Vertreter der einzelnen Theorien und ihre Modelle dargestellt. Zahlreiche Fallbeispiele veranschaulichen die theoretischen Annahmen und zeigen ihre Bedeutung zum Verständnis von Verhalten auf. Jeder Ansatz wird auf seine praktische Anwendbarkeit im Alltag, im erzieherischen Kontext und im Bereich der Psychotherapie diskutiert. Das Lehrbuch leistet damit einen wertvollen Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis. Zu den didaktischen Elementen zählen Übungsfragen, Definitionsboxen und Beispiele. Die vierte, vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage des beliebten Lehrbuchs integriert die aktuelle Forschungsliteratur. Es werden Implikationen der Lerntheorien für altbewährte und neuere psychotherapeutische Methoden unter Einbezug digitaler Formate erörtert.
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Seitenzahl: 430
Guy Bodenmann
Meinrad Perrez
Marcel Schär
Klassische Lerntheorien
Grundlagen und Anwendungen in Erziehung und Psychotherapie
4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Guy Bodenmann, Meinrad Perrez, Marcel Schär
Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie:
Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. Martina Zemp, Wien
Korrespondenzanschrift:
Prof. Dr. Guy Bodenmann
Psychologisches Institut der Universität Zürich
Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien
Binzmühlestrasse 14/23
8050 Zürich
Schweiz
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Lektorat: Dr. Susanne Lauri, Wiebke Erchinger
Herstellung: Daniel Berger
Umschlagabbildung: © Monkey Business Images
Umschlag: Claude Borer, Riehen
Illustrationen (Innenteil): Marcus Wilke, Berlin
Satz: Matthias Lenke, Weimar
Format: EPUB
4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2023
© 2004/2011/2016 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
© 2023 Hogrefe Verlag, Bern
(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96184-2)
(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76184-8)
ISBN 978-3-456-86184-5
https://doi.org/10.1024/86184-000
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Vorwort
1 Allgemeine Begriffe
1.1 Lernen: Definition, Abgrenzung
1.1.1 Was versteht man unter Lernen?
1.1.2 Lernen und seine Abgrenzung von anderen Konstrukten
1.2 Voraussetzungen für Lernen
1.2.1 Stimulation
1.2.2 Bindung
1.3 Wichtige lerntheoretische Begriffe
1.3.1 Verhalten
1.3.2 Stimulus
1.3.3 Reaktion
1.4 Lernstörungen
1.4.1 Arten von Lernstörungen
1.4.2 Folgen des gestörten Lernens
1.5 Zusammenfassung
1.6 Fragen
2 Klassische Konditionierung
2.1 Historische Einbettung
2.2 Der Ansatz der Klassischen Konditionierung
2.2.1 Biografie der wichtigsten Vertreter des Ansatzes
2.2.2 Die Theorie der Klassischen Konditionierung
2.2.3 Grundbegriffe
2.2.4 Einflussfaktoren
2.2.5 Ausweitung der Konditionierung
2.2.6 Bereiche möglicher Konditionierung
2.2.7 Neurobiologische Prozesse und andere biologische Einflussfaktoren auf die Konditionierung
2.2.8 Kritische Würdigung
2.3 Praktische Anwendung
2.3.1 Anwendung im Alltag
2.3.2 Pädagogischer Kontext
2.3.3 Klinischer Kontext
2.4 Fragen
3 Operante Konditionierung
3.1 Historische Einbettung
3.2 Der Ansatz von Thorndike
3.2.1 Biografie von Edward Lee Thorndike
3.2.2 Theorie von Thorndike
3.2.3 Grundelemente der Theorie von Thorndike
3.2.4 Kritische Würdigung
3.3 Der Ansatz von Skinner
3.3.1 Biografie von Burrhus F. Skinner
3.3.2 Operante Konditionierung nach Skinner
3.3.3 Grundbegriffe
3.3.4 Bestrafung und Löschung
3.3.5 Einflussfaktoren auf die operante Konditionierung
3.3.6 Verstärkungspläne
3.3.7 Bestrafung, ihre Folgen und Alternativen
3.3.8 Kritische Würdigung
3.4 Praktische Anwendung
3.4.1 Anwendung im Alltag
3.4.2 Pädagogischer Kontext
3.4.3 Klinischer Kontext
3.5 Fragen
4 Integrative Ansätze
4.1 Historische Einbettung
4.2 Der Ansatz von Hull
4.2.1 Biografie von Clark Leonard Hull
4.2.2 Theorie von Hull
4.2.3 Grundbegriffe
4.2.4 Weitere wichtige Prinzipien
4.2.5 Kritische Würdigung
4.3 Der Ansatz von Mowrer
4.3.1 Biografie von O. Hobart Mowrer
4.3.2 Theorie von Mowrer
4.3.3 Grundbegriffe
4.3.4 Kritische Würdigung
4.4 Der Ansatz von Tolman
4.4.1 Biografie von Edward Chace Tolman
4.4.2 Theorie von Tolman
4.4.3 Grundbegriffe
4.4.4 Experimentelle Bestätigung der Hypothesen von Tolman
4.4.5 Kritische Würdigung
4.5 Praktische Anwendung
4.5.1 Anwendung im Alltag
4.5.2 Pädagogischer Kontext
4.5.3 Klinischer Kontext
4.6 Fragen
5 Soziales Lernen
5.1 Historische Einbettung
5.2 Der Ansatz von Rotter
5.2.1 Biografie von Julian B. Rotter
5.2.2 Theorie von Rotter
5.2.3 Grundbegriffe
5.2.4 Kontrollüberzeugungen
5.3 Ansatz von Seligman
5.3.1 Biografie von Martin Seligman
5.3.2 Theorie von Seligman
5.3.3 Grundbegriffe
5.3.4 Kritische Würdigung
5.3.5 Praktische Anwendung
5.4 Der Ansatz von Bandura
5.4.1 Biografie von Albert Bandura
5.4.2 Theorie von Bandura
5.4.3 Grundbegriffe
5.4.4 Modelllernen
5.4.5 Kritische Würdigung
5.4.6 Praktische Anwendung
5.5 Fragen
6 Gestaltpsychologie
6.1 Historische Einbettung
6.2 Der Ansatz der Gestaltpsychologie
6.2.1 Biografien der wichtigsten Vertreter
6.2.2 Die Theorie der Gestaltpsychologie
6.2.3 Grundbegriffe
6.2.4 Kritische Würdigung
6.3 Praktische Anwendung
6.3.1 Anwendung im Alltag
6.3.2 Anwendung im pädagogischen Kontext
6.3.3 Anwendung im klinischen Kontext
6.4 Fragen
7 Klassische Lerntheorien aus heutiger Sicht
7.1 Historische Einbettung
7.2 Klassische Lerntheorien im digitalen Zeitalter
7.2.1 Gamification
7.2.2 E-Health und E-Therapy
7.2.3 Kritische Würdigung
7.3 Klassische Lerntheorien und die „Dritte Welle“
7.3.1 Die „Wellen“ der Verhaltenstherapie
7.3.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Wellen
7.3.3 Anwendungen im pädagogischen Kontext
7.3.4 Kritische Würdigung
8 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Weiterführende Literatur
Über die Autoren
Personenverzeichnis
Sachwortverzeichnis
Bücher zu den lerntheoretischen Grundlagen der Psychologie gibt es inzwischen einige und es stellt sich daher die Frage, weshalb wir diesem umfangreichen Katalog von Lehrbüchern zur Lernpsychologie noch ein Neues hinzustellen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen die eigene Beschäftigung mit diesem wichtigen Thema der Psychologie in Lehre, Forschung und Weiterbildung und zum zweiten die Tatsache, dass sich herkömmliche Lernpsychologiebücher häufig an der pädagogischen Psychologie orientieren, wobei deren Nutzen für die Klinische Psychologie eher weniger Berücksichtigung findet. Bücher, die diesen Bezug explizit gestiftet haben (z. B. Kanfer & Phillips, 1975) sind zum Teil veraltet und beschränken sich auf die Bedeutung der Klassischen und Operanten Konditionierung, ohne die wesentlichen Neuerungen innerhalb der klassischen Lerntheorien seit den 1970er Jahren abzubilden. Das Standardwerk von Bower und Hilgard (1984) gibt einen exzellenten Einblick in die verschiedenen Theorien und die verwendeten Forschungsmethoden; es thematisiert indes die Anwendung auf die Praxis weniger. Hinzu kommt, dass diese Klassiker meist vergriffen und nur noch schwer zugänglich sind.
Mit diesem Buch wird daher insbesondere das Anliegen verfolgt, die klassischen Lerntheorien in einem moderneren Licht systematisch und nachvollziehbar darzustellen und deren Bedeutung für den Alltag, die klinische Praxis und den pädagogischen Alltag herauszuarbeiten. Dabei sollen nicht nur die Kernaussagen der Theorien prägnant beschrieben, sondern auch ihre Begründung, ihre Prägung durch einzelne Persönlichkeiten sowie ihre historische Einbettung beleuchtet werden.
|10|Durch das konsequente Nachgehen der Frage, wie konzeptuelle Veränderungen im Verlaufe der Zeit (z. B. im Hinblick auf die Black Box) die Lerntheorien zusehends bereicherten, wird versucht, dem Leser und der Leserin ein kohärentes Bild von der Entwicklung dieser für die Psychologie ganz allgemein wichtigen Theorien zu vermitteln.
Dadurch wird das faszinierende Bemühen der Lerntheoretiker*innen sichtbar, den komplexen Lernprozessen (im Sinne der Aneignung oder des Abbaus von Verhalten) in ihren verschiedenen Facetten immer stärker gerecht zu werden. Das Zusammenspiel zwischen behavioralen, kognitiven, emotionalen und physiologischen Prozessen konnte damit zunehmend genauer erfasst werden.
Ein weiteres Anliegen des Buches besteht darin, aufzuzeigen, welcher Nutzen die Lerntheorien und ihr Verständnis von Verhalten für den Alltag haben. Anhand von Beispielen aus dem Alltag, dem pädagogischen Bereich (Schule/Erziehung) und dem klinisch-psychologischen Kontext mit besonderer Berücksichtigung der kognitiven Verhaltenstherapie wird aufgezeigt, wie lerntheoretische Gesetze zum Verstehen von Verhalten im Alltag nutzbringend herangezogen werden können. Dadurch werden viele Phänomene verständlicher und Verhaltensabläufe nachvollziehbarer – und der Leser oder die Leserin erfahren, dass die zum Teil bereits vor hundert Jahren experimentell erforschten Gesetzmäßigkeiten beim Erwerb vieler Verhaltensweisen noch heute ihre Relevanz haben. Die moderne Forschung hat das Verständnis erweitert und bezüglich der neurobiologischen und endokrinen Prozesse vertieft. Die 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage soll auch einen Einblick in neuere Forschungsergebnisse vermitteln.
In diesem Sinne wünschen wir diesem Buch, dass es Studierenden der Psychologie, Pädagogik, Sozialarbeit und Medizin ebenso nützlich sein möge wie Lehrpersonen oder Praktiker*innen.
Die Verfasser danken Frau Wiebke Erchinger und Frau Dr. Susanne Lauri vom Hogrefe Verlag herzlich für ihr sorgfältiges und engagiertes Lektorat bei der Erstellung des Manuskriptes.
Zürich und Fribourg, im Frühjahr 2023
Guy Bodenmann,
Meinrad Perrez,
Marcel Schär
Im alltäglichen Sprachgebrauch versteht man unter Lernen meist die aktive Aneignung von Wissen durch Instruktion oder Schulung. So assoziieren wir den Begriff etwa mit dem Bild eines über ein umfangreiches Buch gebeugten Menschen, der im Schein einer Tischlampe Vokabeln lernt oder mit einer Gruppe von Grundschulkindern, die mit konzentrierten Gesichtern das Einmaleins memorieren. Um den Begriff „Lernen“ aber im lernpsychologischen Kontext verstehen zu können, muss er erweitert und spezifiziert werden. Lernen wird dabei als ein Erfahrungsprozess aufgefasst, welcher zu einer relativ permanenten Änderung des Verhaltens führt, wobei diese Verhaltensmodifikation nicht durch temporäre Zustände, Reifung oder angeborene bzw. genetische Reaktionstendenzen erklärt werden kann (Klein, 1996). Zudem muss Lernen von Veränderungen, welche auf Wachstumsvorgänge, Ermüdung, Alterung, Einwirkung von Pharmaka oder Verletzungen zurückzuführen sind, abgegrenzt werden (Bredenkamp & Bredenkamp, 1977).
„Lernen bezieht sich auf die Veränderung im Verhalten oder im Verhaltenspotential eines Organismus hinsichtlich einer bestimmten Situation, die auf wiederholte Erfahrungen des Organismus in dieser Situation zurückgeht, vorausgesetzt dass diese Verhaltensänderung nicht auf angeborene Reaktionstendenzen oder vorübergehende Zustände (wie etwa Müdigkeit, Trunkenheit, Triebzustände, usw.) zurückgeführt werden kann“ (Bower & Hilgard, 1981, S. 31).
|12|Perrez und Patry (1981, S. 231) definieren Lernen folgendermaßen: „In der Lernpsychologie wird unter Lernen der Aufbau (bzw. Abbau beim Verlernen) von relativ stabilen Verhaltensdispositionen im weitesten Sinne verstanden, also Dispositionen zu offenem (direkt beobachtbarem) und/oder verdecktem, zu psychomotorischem, affektivem, kognitivem und vegetativem Verhalten aufgrund von Erfahrung. Unter einer Verhaltensdisposition versteht man die Bereitschaft des Organismus, sich unter mehr oder weniger spezifischen (in Grenzfällen generellen) Bedingungen in einer bestimmten Weise zu verhalten; z. B. Gedächtnisinhalte abzurufen bzw. bestimmte Probleme lösen zu können oder mit Angst zu reagieren“.
Das Aneignen von intellektuellem, kulturellem und sozialem Wissen ist gleichermaßen als Erwerb von Verhaltenzu sehen. Im vorliegenden Buch wird insbesondere auf das Verständnis von Lernen als Verhaltensänderung eingegangen, während die Analyse des schulischen Lernens sowie Lerntipps oder Lernstrategien ausgespart werden.
Die Dichotomie von schulischem Lernen und Lernen von Verhalten geht historisch auf die in den vergangenen Jahren gewachsene Tradition der hauptsächlich verhaltenstheoretisch fundierten Lernpsychologie und der eher kognitiv orientierten Gedächtnispsychologie zurück. Während die Lernpsychologie sich an der experimentellen Psychologie und an Tierversuchen orientiert, spielt bei der Gedächtnispsychologie Lernen im Zusammenhang mit Gedächtnisfunktionen beim Menschen eine zentrale Rolle (Gold, 2003).
Unter Lernen wird, wie oben schon eingeführt, der Aufbau von Verhaltensdispositionen aufgrund von Erfahrungen verstanden. Neben diesen gelernten Verhaltensdispositionen gibt es allerdings auch solche, welche nicht Resultat eines Lernprozesses sind, sondern biologisch respektive genetisch bedingt sind (Reflexe, Prägung, Instinkte) (Abbildung 1-1).
In der Literatur wird oft zwischen angeborenem und gelerntem Verhalten unterschieden. Eine Klassifikation von Verhalten als vollständig angeboren respektive vollständig gelernt erweist sich allerdings als sehr schwierig (Bower & Hilgard, 1981), da viele der biologischen und genetischen Verhaltensdispositionen erst gezeigt werden können, wenn der |13|Organismus gewisse Lernerfahrungen gemacht hat. Harlow, Harlow, Dodsworth und Arling (1966)konnten zum Beispiel zeigen, dass Rhesusaffenkinder, die nicht mit einer richtigen Mutter, sondern nur mit einer Mutterattrappe (Milchspenden, Kuschelmöglichkeit) aufwuchsen, später unfähig waren, sexuellen Kontakt mit einem Partner zu haben oder angemessenes Fürsorgeverhalten zu zeigen. Angeborene und gelernte Verhaltensdispositionen stehen oft in einem komplexen Wechselspiel.
Abbildung 1-1: Klassifikation verschiedener Formen von Lernen
Innerhalb der erfahrungsbasierten Verhaltensdispositionen kann zwischen dem Lernen durch Konditionierung und dem kognitiven Lernen unterschieden werden.
Vertreter dieser Lernform werden als Verhaltenstheoretiker*innen oder Behaviorist*innen bezeichnet. Damit die Forschungsergebnisse möglichst objektiv sind, konzentrieren sich die verhaltenstheoretisch orientierten Psycholog*innen in erster Linie auf das beobachtbare Verhalten |14|von Organismen. Während die Behaviorist*innen das Gehirn des Menschen und sämtliche intrapsychischen Prozesse als Inhalte einer Black-Boxdefinierten, über die keine wissenschaftlich fundierten Aussagen möglich sind, werden seit den 70er Jahren motorische (behaviorale), kognitive, emotionale und physiologische Aspekte von Verhalten unterschieden, wobei vorausgehende, nachfolgende und auslösende Reize im Zentrum der Betrachtung stehen. Der Verhaltensbegriff ist damit breiter definiert und in keiner Weise nur auf behaviorales Verhalten reduzierbar (vgl. Kanfer & Phillips, 1975).
Im vorliegenden Buch werden diese verhaltensorientierten Theorien in den folgenden Kapiteln behandelt:
Klassische Konditionierung (Kapitel 2)
Operante Konditionierung (Kapitel 3)
Integrative Ansätze von Hull und Mowrer (Kapitel 4).
Die kognitiv orientierten Theoretiker*innen lehnen etliche der behavioristischen Prämissen ab und betrachten intrapsychische Prozesse nicht als Phänomene der Black Box, sondern als intervenierende Variablen zwischen äußeren Stimuli und gezeigtem Verhalten. Ihrer Meinung nach sind zwar viele Prozesse innerhalb des Menschen oft nicht direkt beobachtbar, doch sie sind zumindest indirekt durch Erfragen (z. B. mittels Fragebögen oder Interviews) oder Verhaltensbeobachtung erschließbar.
Die in diesem Buch behandelten Modelle, bei welchen kognitive Prozesse eine zentrale Rolle spielen, sind in den folgenden Kapiteln zu finden:
Integrativer Ansatz von Tolman (Kapitel 4)
Soziales Lernen, Ansatz von Rotter, Bandura, Seligman, Weiner (Kapitel 5)
Gestaltpsychologie (Kapitel 6).
Biologische und genetische Verhaltensdispositionenwerden nicht durch Lernen erworben, sondern sind genetisch vererbt. Zu diesen Dispositionen gehören Mechanismen wie Reflexe, Prägung, Instinkte und Rei|15|fung. Viele dieser Verhaltensweisen sind charakteristisch für bestimmte Arten und werden artspezifische Aktivitäten genannt (z. B. Nestbau der Vögel).
Reflexe sind automatische, ungelernte und unwillkürliche Reaktionen des Organismus auf innere oder äußere Reize. Sie befähigen den Organismus zur raschen und sicheren Anpassung auf Veränderungen der Umweltbedingungen sowie zum wohl koordinierten Zusammenspiel aller Körperteile. Der Reflex ist weder so komplex wie der Instinkt oder das Folgeverhalten, noch ist für sein Auftreten ein Auslöser innerhalb einer kritischen Periode notwendig. Aufgrund der Entstehungsart können natürliche (angeborene) von bedingten (erworbenen) Reflexen unterschieden werden.
Neben einfachen Reflexen, bei denen nur einzelne Muskeln bzw. Muskelgruppen aktiviert werden (z. B. Lidschlagreflex), existieren auch kompliziertere Reflexe wie beispielsweise die Schutz-, Abwehr- und Fluchtreflexe. Viele einfache Reflexe gehen beim Menschen nach der Geburt verloren (z. B. der Moro-Reflex, der Babinski-Reflex, der Greif- und der Saugreflex; Abbildung 1-2).
Abbildung 1-2: Mutter-Kind-Interaktion; Bild: Getty Images
Unter Prägung versteht man eine erfolgte Fixierung des Organismus auf einen Auslöser. Prägung stellt eine elementare biologische Form des Lernens dar, ist artspezifisch und an ein bestimmtes Entwicklungsstadium (siehe sensible Phasen, S. 17) gebunden. So steht Prägung in einem |16|engen Wechselverhältnis zu instinktiven Dispositionen einer bestimmten Spezies und einem bestimmten Lebensalter (Lorenz, 1952; Tinbergen, 1951; Bolhuis & Honey, 1998). Durch Prägung erworbenes Verhalten ist veränderungsresistent und irreversibel (Kasten 1-1).
Als ein bekanntes Beispiel für Prägung gilt das Folgeverhalten von Enten oder Gänsen, die dem ersten sich bewegenden und rhythmische Laute von sich gebenden Objekt nachfolgen. Prägung konnte von verschiedenen Ethologen (z. B. Lorenz, 1978; Sinz, 1976) experimentell nachgewiesen werden.
Prägung kann stattfinden, bevor das entsprechende Verhalten ausgeführt werden kann. Dies wird als Latenz zwischen Erwerb und späterer Ausübung des Verhaltens bezeichnet. Lorenz (1937) konnte beispielsweise zeigen, dass bei Graugänsen eine Prägung zukünftiger Sexualobjekte lange bevor das entsprechende Sexualverhalten gezeigt werden konnte, stattfand.
Kasten 1-1:Allgemeine Kennzeichen von Prägung
Prägung findet in sensiblen Phasen statt
Prägung erfordert spezifische auslösende Merkmale (Schlüsselreize)
Prägung kann stattfinden, bevor Verhalten aktiviert wird
Prägung ist irreversibel und löschungsresistent
Fehlprägung
Fehlt ein adäquater Prägungsreiz (z. B. Muttergans), kann ein Ersatzobjekt gewählt werden, das in gewissen Kriterien dem spezifischen Schlüsselreiz (Größe, Bewegungsweise, Lautäußerungen) entsprechen muss. Falls die Muttergans fehlt, folgt ein Gänseküken beispielsweise einer sich bewegenden und Laute von sich gebenden Attrappe.
Versäumte Prägung
Liegt während der für den Prägungsvorgang vorgesehenen sensiblen Phase kein geeigneter Schlüsselreiz vor, erlischt die Prägungsbereitschaft nach Abschluss der Prägungsphase, auch wenn keine Prägung stattgefunden hat. Das Versäumnis ist nicht nachholbar.
Prägung beim Menschen
Im Gegensatz zur Bedeutung, die der Prägung bei Tieren zukommt, ist ihre Relevanz beim Menschen umstritten. Es scheint aber auch |17|hier spezifische Phasen zu geben, während der gewisse Verhaltensweisen leichter erlernt werden können. Bowlby (1951), welcher psychoanalytische und ethologische Annahmen in seiner Theorie der menschlichen Bindung vereinte, geht davon aus, dass in der Frühkindheit eine Prägung an die Mutterfigur stattfindet, wobei das Kind durch das Bindungsverhalten versucht, die Anwesenheit und das Pflegeverhalten der Mutter zu sichern (Reed & Leiderman, 1983). Nach Bowlby findet die Prägung in den ersten 6 bis 9 Monaten statt. Gemäß ihm stellt diese Zeit eine sensible Phase für den Aufbau der Bindung dar. Störungen der Prägung und der Bindung resultieren in psychischen Störungen.
Nach der Monotropie-Hypothese von Bowlby (1951) ist Prägung nur an die Mutter möglich. Auch wenn heute diese Annahme von Bowlby revidiert wurde und sich nicht belegen ließ (vgl. Ernst & von Luckner, 1985), sind sich die meisten Autor*innen einig, dass responsives, feinfühliges Verhalten der Bezugsperson (das genauso gut von einer männlichen Bindungsperson gezeigt werden kann; siehe Brown, Mangelsdorf & Neff, 2012) in der frühen Kindheit für die Entwicklung des Kindes und für seine seelische Gesundheit von großer Bedeutung ist (vgl. Ainsworth, 1985). Die Erklärung der Bindungsqualität als Folge des Pflegeverhaltens, das das Baby erhält, hat in den letzten Jahrzehnten eine lerntheoretische Reinterpretation erfahren (Diethelm, 1991; Bosmans et al., 2020; siehe auch Kontroverse bei: Matias, O’Connor et al., 2014).
Sensible Phasen
Sensible Phasen sind Entwicklungsabschnitte, in denen gewisse Verhaltensweisen im Vergleich zu vorangehenden oder nachfolgenden Zeitabschnitten leichter erworben werden können.
Erfahrungen für den Erwerb dieser Verhaltensweisen zeigen zu dieser Zeit maximale Wirkung. Gewisse Verhaltensmuster oder Kompetenzen können nur in diesen Phasen erworben werden, was kontrovers diskutiert wird (siehe Reed & Leiderman, 1983), und lassen sich beim Menschen zu keinem späteren Zeitpunkt nachholen (nach Bowlby beispielsweise die Bindungsfähigkeit, was sich allerdings als falsche Annahme erwiesen hat). Bindungserfahrungen und damit einhergehende Bindungsrepräsentationen oder Bindungsstile sind zwar relativ stabil, können jedoch durch neue Erfahrungen verändert werden; Abbildung 1-3).
|18|Abbildung 1-3: Mutter und Kind; Bild: Getty Images
Unter Instinkten versteht man angeborene „komplexe arteigene, ungelernte und verhältnismäßig schwer modifizierbare Verhaltensweisen, die vorwiegend im Tierreich anzutreffen sind (z. B. Nestbau, Migration der Zugvögel, Überwinterungsverhalten, Paarungsverhalten)“ (Lefrançois, 1976, S. 32). Tinbergen (1956) definiert den Instinkt als hierarchisch organisierten, nervösen Mechanismus, der auf bestimmte innere und äußere vorwarnende, auslösende und richtende Impulse anspricht und sie mit wohl koordinierten Bewegungen beantwortet. Auslösende Reize für Instinkthandlungen werden als Angeborene Auslösemechanismenbezeichnet. Dabei handelt es sich um einen physiologischen Mechanismus, der bei einer spezifischen Reizsituation selektiv eine angeborene und normalerweise adäquate Verhaltensweise (Schlüsselreiz-Instinkthandlung) evoziert.
Montada (1998) definiert Reifung als einen Vorgang, bei dem weder Erfahrungs- noch Übungs- oder Lernmöglichkeiten eine Rolle spielen. Es handelt sich um einen Prozess der physiologischen Entwicklung der endokrinen Nervenbahnen, die zu den jeweiligen Empfängerorganen (Rezeptoren) und Erfolgsorganen (Effektoren) führen. Reifung schafft zu den jeweils gegebenen Zeitpunkten optimale Lernvoraussetzungen für bestimmte Angebote der Umwelt. Sie erfolgt regelhaft, vorhersagbar, unabhängig von Erfahrungen und allein aufgrund des genetischen Codes. Es handelt sich um einen Prozess der Selbstdifferenzierung.
|19|Damit gibt es eine Reihe von Unterschieden zwischen genetisch kodifiziertem Lernen (welches v. a. im Tierreich vorzufinden ist) und dem Lernen von Verhalten aufgrund von Erfahrung (Tabelle 1-1).
Tabelle 1-1: Genetik vs. Lernen
Genetisch erworbenes Verhalten (Evolution)
Durch Lernen erworbenes Verhalten
langsame Anpassung und Veränderung
Anpassung schnell möglich
weitgehend irreversibel
weitgehend reversibel (z. B. Extinktion)
Anpassung des Körperbaus
Anpassung des Verhaltens
tiefgreifende Veränderungen
Veränderungen gewisser neuronaler Bahnen
über Generationen stabil
muss von Generation zu Generation neu erworben werden
rigid
flexibel, anpassungsfähig
überlebt das Individuum
das Erworbene erlischt mit dem Tod des Individuums, kann aber tradiert werden
erfolgt manchmal auf Irrwegen (Mutationen)
erfolgt durch Übung und Erfahrung
Eine ähnliche Unterscheidung liegt mit der Unterteilung in Spezialisten vs. Nicht-Spezialisten(Tabelle 1-2) vor, wobei das Kontinuum von hoher Spezialisierung bis hin zu einer breiten und adaptiven Verhaltensausstattung fließend ist und sich nicht auf die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch bezieht. So gibt es auch im Tierreich hoch spezialisierte Spezies (z. B. Polartiere) oder Tiere mit hoch spezialisierten Organen (z. B. Fledermaus mit hoch spezialisiertem Hörorgan). Andere Spezies, wie beispielsweise die Primaten, zeichnen sich durch eine höhere Generalisierung und eine größere Vielseitigkeit des Verhaltens aus. Und es gibt selbst Kosmopoliten (Lorenz, 1988), wie z. B. den Wanderfalken oder den Kolkraben, die sich verschiedensten Umweltbedingungen anpassen können. Der Mensch kann im wahrsten Sinne als ein Nicht-Spezialist bezeichnet werden, da keines seiner Sinnesorgane spezielle Fertigkeiten aufweist. Das Verhalten des Menschen ist allerdings |20|hoch lernfähig und adaptiv. Die große Bandbreite an geografischen Regionen und Klimazonen beispielsweise, die der Mensch besiedelt, veranschaulicht diese Adaptionsfähigkeit. Er ist der Kosmopolit par exellence.
Tabelle 1-2: Spezialisten vs. Nicht-Spezialisten
Spezialisten
Nicht-Spezialisten
starke morphologische Anpassungen (Körperbau ist einzelnen Funktionen angepasst; hochspezialisierte Organe)
keine spezielle Anpassung
rigid
Vielseitigkeit des Verhaltens
Verhaltensregulation über Instinkte
minimale Instinkt-Ausstattung, starkes Neugierdeverhalten, große Lernkapazität
zonengebunden
nicht zonengebunden
Die Lernfähigkeit eines Menschen hängt von unterschiedlichen Voraussetzungen ab. Dabei kann zwischen personeninternen (biologischen, psychischen) und externen Variablen (Umwelteinflüsse) unterschieden werden. Die einzelnen Faktoren interagieren auf komplexe Weise miteinander und können sich gegenseitig beeinflussen. Nachfolgend wird kurz auf die Umweltvariablen eingegangen (Abbildung 1-4).
Wie insbesondere die Arbeiten von René Spitz, William Goldfarb und John Bowlby zeigten (Spitz, 1946; Goldfarb, 1945; Bowlby, 1969), hängt Lernen nicht nur mit personeninternen Faktoren zusammen, sondern wesentlich mit den Umgebungsbedingungen. Beim Säugling beispielsweise muss insbesondere zwei Aspekten Rechnung getragen werden: (1) der angemessenen kognitiven Stimulation des Säuglings und (2) einer ausreichenden affektiven Bindung des Säuglings an relevante Bezugspersonen.
Abbildung 1-4: Kategorisierung von Variablen, welche die menschliche Lernfähigkeit beeinflussen
Leistungsprobleme sind damit in vielen Fällen nicht primär eine Folge von intellektuellen oder motivationalen Defiziten, sondern reflektieren eine zu geringe oder zu starke Stimulation oder eine unzureichende emotionale Geborgenheit und Sicherheit des Kindes. Eltern und Lehrpersonen haben daher die Aufgabe, für eine angemessene intellektuelle Stimulation des Kindes zu sorgen und ihm eine stimulierende Umgebung zu schaffen, die ein gefahrenfreies Explorieren von Gegenständen und Objekten ermöglicht.
Aber auch innerhalb der klassischen Lerntheorien spielt Stimulation eine wichtige Rolle, da Verstärkungsprozesse einerseits von attraktiven Verstärkern, welche eingesetzt werden können, andererseits aber auch vom Verstärkeruniversum (der Breite und Menge potenzieller Verstärker) abhängen. Eine sinnvolle, kindgerechte Stimulation eröffnet ihm den Zugang zu verschiedenen Verstärkern, welche ihm persönlich zur Verfügung stehen (Selbstverstärkung), jedoch auch in der Erziehung oder Therapie genutzt werden können (siehe Kapitel 3.4.2.2, operante Methoden).
Wichtiger noch als die kognitive Stimulation hat sich die emotionale Bindung des Kindes erwiesen. Wenn ein Kind seitens seiner wichtigsten Bezugspersonen (von denen es gemäß neuster Forschungserkenntnisse zu maximal drei bis vier eine emotional tragende Beziehung aufbauen kann; vgl. Ernst & von Luckner, 1985)keine ausreichende emotionale Geborgenheit und Sicherheit erlebt, ist es nicht in der Lage, einen sicheren Bindungsstil aufzubauen. Ein Kind braucht in den ersten Jahren seiner Entwicklung responsive und verlässliche Bezugspersonen, die auf seine Bedürfnisse und Wünsche eingehen und ihm ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Als zentrale Größe für den Bindungsaufbau erweist sich die elterliche Sensitivität (vgl. De Wolff & van Ijzendoorn, 1997; Zimmermann & Spangler, 2017).
Diese elementaren Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit tragen dabei nicht nur zur Ausbildung eines sicheren Bindungsstils (siehe Ainsworth, 1985) bei, sondern bilden gleichzeitig die Grundlage für den Aufbau von internalen Kontrollüberzeugungen (siehe Diethelm, 1991). Beides sind zentrale Bausteine für den Selbstwert des Menschen und sein Gefühl, wichtig zu sein und Einfluss nehmen zu können (Zemp et al., 2019). Da gemäß Bowlby ein gesundes Explorationsverhalteneine Folge einer sicheren Bindung zu wichtigen Bezugspersonen ist, wird deutlich, wie sowohl das Verhaltensrepertoire des Kindes (und damit einher gehend das dem Kind sich erschließende Verstärkeruniversum) als auch sein emotionales Erleben von der Qualität der Bindung maßgeblich geprägt sind. Eine gute schulische Leistung steht damit nicht nur in Zusammenhang mit Intelligenz und Motivation, sondern wesentlich auch mit dem Selbstwertgefühl des Kindes, das durch Bindungserfahrungen mitgeformt wird (Bergin & Bergin, 2009). Zur Verbindung von Lernen und Bindung bzw. zum Lernen von Bindung verweisen wir auf Bosmans et al. (2022). Bindung stellt eine der wichtigsten Voraussetzungen für Lernen dar (sowohl schulisches Lernen als auch Lernen von Verhaltensweisen). Daher gehören Bindungserfahrungen zu den Schlüsselmomenten des Verhaltensaufbaus und der emotionalen Befindlichkeit, aber auch der Aufrechterhaltung von Verhalten und Stimmung, da die Befriedigung des Bindungsbedürfnisses einen existentiellen (primären) Verstärker darstellt, jedoch auch Kontrolle über diesen Verstärker von herausragender Wichtigkeit ist. Zudem bildet die Person Kontroll|23|überzeugungen (sowie Selbstwirksamkeitserfahrung) und Attributionen im Zusammenhang mit Bindungserfahrungen aus, welche innerhalb der verschiedenen sozialen Situation zu den bedeutsamsten gehören (Bodenmann, 2016). Bindung spielt daher im Zusammenhang mit den klassischen Lerntheorien eine wichtige Rolle.
Beispiel
Ein unsicher gebundenes (ängstlich-ambivalent gebundenes) Kind fällt in der Schule immer wieder durch unkonzentriertes Verhalten auf, ist nervös und leicht reizbar. Es passt schlecht auf und erbringt entsprechend häufig ungenügende Schulleistungen. Das Konzentrationsproblem kann nach Bowlby damit erklärt werden (als eine mögliche Arbeitshypothese, die es zu prüfen gilt), dass das Kind deshalb nicht aufpasst und Explorationsverhalten zeigt (hier im intellektuellen Sinne), weil es konstant damit beschäftigt ist, ob seine Mama es, wie versprochen, nach Schulschluss auch wirklich abholen kommen wird, oder ob es wieder, wie schon so oft, vergeblich auf seine Mutter allein im Schulhof warten muss. Diese Unsicherheit in Bezug auf die Verlässlichkeit der Mutter vereinnahmt das Denken und Fühlen des Kindes und absorbiert es in einer Zeit, in der sich sicher gebundene Kinder (voller Vertrauen auf das Versprechen der Mutter) auf den Lehrstoff konzentrieren können.
Verhalten (behavior) bezeichnet in seiner ursprünglichen Bedeutung sämtliche physische Aktivitäten eines Organismus, die objektiv beobachtbar oder messbar sind. Hierzu gehören:
Muskelaktivitäten(Sprechen, Gestik, Mimik, Augenbewegungen usw.)
Physiologische Veränderungen (Pulsfrequenz, Drüsenaktivität usw.)
Man unterscheidet neben diesem äußeren, beobachtbaren Verhalten auch inneres (bzw. verdecktes) Verhalten, das Erlebnisprozesse wie Gefühle oder Gedanken umfasst. Diese sind im Gegensatz zum äußeren Verhalten subjektiv, also nur der Selbstbeobachtung zugänglich oder durch Fremdbeobachtung erschließbar. In der Verhaltenspsychologie und Verhaltenstherapie werden unter dem Begriff Verhalten immer vier |24|Aspekte von Verhalten verstanden: das motorische, kognitive, emotionale und physiologische Verhalten.
Beispiel
Während einer Prüfung realisiert ein Schüler, dass er zu wenig gelernt hat und mit großer Wahrscheinlichkeit eine ungenügende Klausur schreiben wird. Langsam beginnt er unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu wippen, beißt sich auf die Lippen und nagt an seinem Bleistift (motorisches Verhalten). Er denkt, dass er die Prüfung nicht bestehen wird, womöglich das Schuljahr wiederholen muss (kognitives Verhalten) und wird nervös, ängstlich und unsicher (emotionales Verhalten). Er merkt, wie ihm der Schweiß auf die Stirne tritt, das Atmen schwerfällt und sein Puls schneller schlägt (physiologisches Verhalten). Plötzlich steht er auf, geht zum Lehrer nach vorne und meldet diesem, dass ihm übel sei und er deshalb nach Hause gehen müsse (motorisches Verhalten: Fluchtverhalten).
Unter einem Stimulusversteht man einen Reiz, der über die Sinnesorgane auf den Organismus einwirkt und dadurch gewisse Verhaltensweisen auslöst. Jeder Reiz muss einerseits eine bestimmte Stärke erreichen, damit er bemerkt wird (Reizschwelle), andererseits kann das Überschreiten einer gewissen Intensität (Schmerzschwelle) eine Schmerzempfindung bewirken. Die Empfindlichkeit eines Sinnesorgans ist nicht konstant, sondern abhängig vom jeweiligen Zustand und der Einstellung des Organismus.
Eine Reaktion ist ein antwortendes (respondentes) Verhalten auf einen Stimulus in Form von Handlungen, Bewegungen, physiologischen Veränderungen bzw. sprachlichen Äußerungen. Sie ist in der Regel von Kognitionen und Emotionen begleitet.
Unter einer Orientierungsreaktionversteht man die Hinwendung der Aufmerksamkeit eines Organismus zur Quelle eines neu auftauchenden Stimulus. Diese Reaktionsweise dient dazu, in Abhängigkeit der |25|Qualität des Reizes (z. B. Gefahr) den Körper auf Notfallsituationen (Flucht oder Verteidigung: fight-or-flight-Verhalten) vorzubereiten. Die Orientierungsreaktion hat somit eine biologische Funktion, indem sie zum Schutz des Organismus dient.
Eine Orientierungsreaktion ist begleitet von:
motorischen Aktivitäten (Hinwendung zum Reiz)
vegetativen Veränderungen (z. B. Veränderung der Pulsfrequenz, der Muskelspannung, des elektrischen Hautwiderstandes)
kognitiven Prozessen (z. B. erhöhte Sensibilität und Aufmerksamkeit)
Ausgelöst wird die Orientierungsreaktion durch:
neue Reize (Überraschung)
sich widersprechende Reize (Situation mit hoher Ambiguität)
Signalreize, d. h. Reize, die eine besondere Bedeutung für den Organismus haben (z. B. eigener Name, Alarmsignal)
Sobald keine neuen Informationen im Reiz enthalten sind, nimmt die Intensität der Orientierungsreaktion ab oder verschwindet gänzlich. „Die Orientierungsreaktion ist umso deutlicher, je mehr der neue Stimulus von dem im zentralen Nervensystem vorhandenen Modell abweicht und je länger der Prozess zur Informationsgewinnung zur Beseitigung der Unsicherheit des Reizes anhält“ (Baade, Borck, Koebe & Zumvenne, 1983, S. 217).
Lernstörungen können sowohl im Rahmen des absichtsvollen Lernens wie auch des unbeabsichtigten (inzidentellen) Lernens beobachtet werden. Beim absichtsvollen Lernen ist der Wissens- und Fertigkeitserwerb verlangsamt oder behindert; beim unbeabsichtigten, inzidentellen Lernen sind Lernprozesse beim Modell-, Begriffs- und Regellernen bzw. im Rahmen der Problemlösung gestört. Insgesamt können zwei Formen von Lernstörungen unterschieden werden (Lauth, 1998).
Bei Aneignungsbeeinträchtigungenhandelt es sich um Lernstörungen, die sich durch den unzureichenden Erwerb von Wissensinhalten im Bereich des absichtsvollen Lernens charakterisieren. Die Beeinträchtigungen entstehen durch Strategiedefizite oder Defizite aufgrund eines eingeschränkten Generalisierungsvermögens, lückenhafter Basisfertigkeiten, eines unzureichenden Vorwissens, zu starker emotionaler Besetzung von Lernhandlungen oder aber durch somatische Einschränkungen (z. B. Funktionsstörungen des Gehirns).
Hier steht vor allem das unbeabsichtigte Lernen im Vordergrund, wobei in diesem Falle Lernschwierigkeiten in Abhängigkeit von Persönlichkeitsmerkmalen stehen (z. B. Konditionierbarkeit, Habituationsfähigkeit, neurobiologischen Bedingungen).
Durch das Lernen werden, wie bereits beschrieben, Verhaltensdispositionen aufgebaut. Diese gelernten Verhaltensweisen sind nicht immer konstruktiv und angemessen, sondern können auch dysfunktional und pathologisch sein. Somit können Lernprozesse an der Entwicklung von psychischen Störungen beteiligt sein (Kasten 1-2). Lernpsychologische Ansätze gehen dabei von drei Typen gestörter Lernbedingungen aus (Perrez & Ahnert, 2011):
Kasten 1-2:Verhaltensstörungen als Folge gestörten Lernens
Störungen als Folge von Konditionierungsprozessen (Klassische bzw. Operante Konditionierung)
Störungen als Folge von Störungen des Konditionierungsprozesses. Die Lernbedingungen verunmöglichen oder erschweren eine adaptive Leistung: Ambiguität (z. B. Double Bind) oder paradoxe Adaptationsbedingungen (Bestrafung und Belohnung).
Störungen als Folge von kognitiven Lernprozessen (dysfunktionale Kontrollüberzeugungen oder Attributionen; Modelllernen)
Unter Lernen versteht man alle Verhaltensänderungen, die aufgrund von Erfahrung zustande kommen (Bower & Hilgard, 1983;De Houwer, Barnes-Holmes & Moors, 2013; Lefrançois, 2003; Perrez & Patry, 1981). De Houwer et al. (2013) verweisen zudem auf den Aspekt der ontogenetischen Anpassung, wonach Veränderungen im Verhalten eines Organismus aus Regelmäßigkeiten in dessen Umwelt resultieren. Lernen kann dabei eine Folge von Verhaltensveränderungen sein, oder aber eine Bedingung für Verhaltensänderungen darstellen.
Aus dieser Definition sind Veränderungen ausgeschlossen, die durch einen Unfall, chemische Substanzen (z. B. psychotrope Substanzen), angeborene genetische Prozesse oder andere Ereignisse wie Reifung oder Alterung zustande kommen. Verschiedene Organismen sind mit einem mehr oder weniger starken Reflex- und Triebrepertoire ausgestattet (Erbmotorik).
Beim Menschen ist ein solches genetisch-angeborenes oder durch evolutionäre Prozesse ausgebildetes artspezifisches Verhaltensrepertoire zugunsten einer größeren Lernfähigkeit (Erwerbsmotorik) in bescheidenerem Maße vorzufinden. Obgleich einzelne Reflexe auch beim Menschen vorhanden sind und sich teils über das ganze Leben hindurch erhalten, ist die Instinkt- und Reflexausstattung im Vergleich zu anderen Lebewesen beim Menschen sehr bescheiden. Verhalten wird beim Menschen (außer in den ersten Lebenswochen) nur in geringem Maße von Reflexen oder Instinkthandlungen gesteuert oder durch angeborene Auslösemechanismen geregelt, sondern mehrheitlich durch Lernen erworben und aufrechterhalten. Das menschliche Verhalten ist dadurch vielseitiger als dasjenige von Tieren (vgl. Spezialisten versus Nicht-Spezialisten) und ist entsprechend von Umweltreizen und Umgebungsstimulationen abhängig.
Die Abgrenzung von Lernen zu verwandten Begriffen wie beispielsweise zu Reifung ist teilweise schwierig, da sich viele Aktivitäten in einem komplizierten Wechselspiel zwischen Reifung und Lernen entwickeln. Prädispositionen oder der „Fazilitätskoeffizient“ des Lernens nach Aebli (1969) beeinflussen die individuelle Lernfähigkeit ebenso wie der aktuelle, durch Reifung bedingte Entwicklungsstand.
Zudem spielt die von Bowlby thematisierte affektive, stabile Bindung an relevante Bezugspersonen für Lernen eine wichtige Rolle. Gute Bindung |28|als Basis von Explorationsverhalten (vgl. Ainsworth, 1985) ist eine zentrale Voraussetzung für das Lernen und die menschliche Sozialisation insgesamt.
Was versteht man unter Prägung? Wie sieht diese beim Menschen aus?
2)Unterscheiden Sie genetisch bedingtes von durch Lernen erworbenes Verhalten.
3)Thematisieren Sie Unterschiede zwischen Spezialisten und Nicht-Spezialisten.
4)Worin unterscheiden sich Reflexe von Instinkten?
5)Nennen Sie Charakteristika von sensiblen Phasen und diskutieren Sie deren Bedeutung für das Lernen.
6)Was versteht man unter Lernen? Grenzen Sie den Begriff von benachbarten Konstrukten ab.
7)Welche Faktoren spielen beim Lernen eine Rolle? Führen Sie diese weiter aus.
8)Welche Lernstörungen können unterschieden werden?