Schatten über der Partnerschaft - Guy Bodenmann - E-Book

Schatten über der Partnerschaft E-Book

Guy Bodenmann

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Beschreibung

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen und betreffen entsprechend auch viele Personen in einer festen Paarbeziehung. Während Beziehungen auf der einen Seite einen Schutzfaktor darstellen, sind sie andererseits von der Depression ebenfalls betroffen und das Paar ist in hohem Maße herausgefordert. Das Buch möchte ein fundiertes Verständnis für das Störungsbild, seine unterschiedlichen Formen, Ursachen für Depressionen und ihre Auswirkungen auf Paarbeziehungen schaffen und aufzeigen, wie es Paaren gelingen kann, die Depression als gemeinsame Herausforderung zu sehen und zusammen zu bewältigen. Im Zentrum steht die Idee, dass die Depression einen Schatten auf das Leben beider wirft, jedoch auch beide unter Nutzung der Partnerschaftsressourcen imstande sind, die Störung mit vereinten Kräften zu überwinden. Wie bei einer Ruderpartie braucht es beide, die im Gleichklang und mit demselben Ziel vor Augen rudern, auch wenn ein Teil des Paares durch die Depression in seinen Kräften eingeschränkt ist. Anhand des Konzepts von "We-Disease" wird aufgezeigt, wie Paare selbst, aber auch Fachpersonen Depressionen effizienter behandeln und überwinden können, indem sie beide einbeziehen und die Störung als gemeinsame Herausforderung definieren.

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Guy Bodenmann

Schatten über der Partnerschaft

Wie Paare Depressionen gemeinsam bewältigen können

Schatten über der Partnerschaft

Guy Bodenmann

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie:

Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. Martina Zemp, Wien

Prof. Dr. Guy Bodenmann

Universität Zürich

Psychologisches Institut

Klinische Psychologie

Kinder/Jugendliche & Paare/Familien

Binzmühlestrasse 14/23

8050 Zürich

Schweiz

[email protected]

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Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Dr. Susanne Lauri

Bearbeitung: Lydia Zeller, Zürich

Herstellung: René Tschirren

Umschlagabbildung: Getty Images/Dan Josephson

Umschlaggestaltung: Claude Borer, Riehen

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

Format: EPUB

1. Auflage 2022

© 2022 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96212-2)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76212-8)

ISBN 978-3-456-86212-5

https://doi.org/10.1024/86212-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1 Was ist eine Depression?

Traurigkeit als normaler Gefühlszustand

Depressivität als Persönlichkeitsmerkmal

Depression mit psychischer Äußerung

Depression mit somatischer Äußerung

Häufigkeit von Depressionen

2 Formen von Depressionen

Unipolare versus bipolare Depression

Schwere episodische Depression (Major Depression)

Die chronische Form der Depression (Dysthymie)

Saisonale Depressionen

Wochenbettdepressionen

Prämenstruelle dysphorische Störung

Anpassungsstörung mit depressiver Stimmung

Anhaltende komplexe Trauerreaktion

„Männliche“ Form der Depression

Symptome der Major Depression und ihre Auswirkungen auf die Partnerschaft

Chronische Depression und ihre Auswirkungen auf die Partnerschaft

3 Depression: Ein typisches Frauenphänomen?

4 Entstehung von Depressionen

Diathese-Stress-Modell: Veranlagung und Lebensstress

Die Bedeutung des Diathese-Stress-Modells für die Partnerschaft

Verstärker-Verlust-Theorie: Wenn das Leben zu wenig Freude bietet

Die Bedeutung der Verstärker-Verlust-Theorie für die Partnerschaft

Kognitive Ansätze: So wie ich denke, fühle ich

Wenn man die Schuld immer bei sich sieht

Wenn das Denken zum Problem wird

Die Bedeutung kognitiver Ansätze für die Partnerschaft

5 Auslöser für Depressionen

Situationen mit einem hohen Auslösepotenzial für Depressionen

Das Wechselspiel zwischen Auslösern für Depressionen und Persönlichkeitsmerkmalen

Die Rolle der Partnerschaft als Auslöser für Depressionen

6 Veränderungen in der Partnerschaft infolge der Depression

Unerwartetes neues Bild des anderen

Die Reaktionen der anderen

Unselige Rollenverteilung

Belastungen für den Partner/die Partnerin

Verschlechterung der Kommunikation

Kommunikation des Partners/der Partnerin

Kommunikation der depressiven Person

Wie kommt es zu dieser Negativität?

Negativität erhöht Wahrscheinlichkeit für Rückfall

Auch die Sexualität leidet unter einer Depression

7 Depression als gemeinsame Herausforderung („We-Disease“)

Partnerschaft als Ressource

Worauf es bei der Unterstützung ankommt

Praktisch-instrumentelle Unterstützung

Emotionale Unterstützung

Auch positives Verhalten kann problematisch sein

Gemeinsam sind wir stark!

Was bedeutet gemeinsame Bewältigung?

Warmhalte-Modell: Erinnerung an die depressive Person, wie sie vorher war

Selbstpflege und Psychohygiene

Nutzung sozialer Ressourcen

8 Depression und Elternschaft

Depression reduziert positives Erziehungsverhalten

Depression beeinträchtigt Sensitivität

Depression vergiftet Familienklima

Depression macht Angst

Unterstützung in Anspruch nehmen

9 Depression und ihre Behandlung

Psychologische Therapie der Depression

Kognitive Verhaltenstherapie

Interpersonelle Psychotherapie

Einbezug des Partners/der Partnerin in die Behandlung

Paartherapie zur Behandlung von Depressionen

Über den Autor

Literatur

Sachwortverzeichnis

|9|Vorwort

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen und betreffen viele Menschen im Laufe ihres Lebens. Sehr häufig sind dabei auch die Partner*innen oder andere Familienangehörige betroffen. Depressionen sind in den meisten Fällen kein rein individuelles Phänomen, das allein den Patienten oder die Patientin betrifft, sondern eine Herausforderung, mit welcher sich viele Paare und Familien auseinandersetzen müssen.

Die Depression des einen hat vielfältige Auswirkungen auf den anderen: in Bezug auf private, soziale, finanzielle und gesellschaftliche Belange. Umso mehr erstaunt es, dass dem Partner oder der Partnerin von depressiven Personen lange Zeit kaum Beachtung geschenkt wurde. Vielen ist auch zu wenig bewusst, wie sie mit der psychischen Störung ihres Partners/ihrer Partnerin umgehen können, wie sie ihn oder sie bei der Bewältigung der Depression unterstützen und wie sie dabei für sich selbst ausreichend sorgen können. Fachpersonen ignorieren häufig, wie sehr auch die Partner*innen von der Depression betroffen sind und dass auch sie Aufmerksamkeit und Unterstützung oder fachliche Betreuung benötigen.

Dieses Buch will einen Einblick in die psychische Störung Depression geben und aufzeigen, wie depressive Personen und ihre Partner*innen von der Krankheit betroffen sind. Es versucht darzustellen, welche Auswirkungen die Depression auf das Leben des Paares insgesamt hat und was Paare tun können, um gemeinsam mit der Depression umzugehen.

Das Buch zeigt auf, dass Depressionen vielfältig in das Leben des Paares eingreifen und Schwierigkeiten und Herausforderungen mit sich bringen, welche nur gemeinsam gemeistert werden können. Es wird dafür argumentiert, beide in die Behandlung einzubeziehen, beiden Gehör zu |10|schenken und beiden Hilfestellungen zu geben. Beide sind Leidende unter der Situation, aber beide haben auch Ressourcen, welche es zu aktivieren und zu stärken gilt, um den Herausforderungen zusammen wirksam zu begegnen.

Ziel dieses Buches ist es, Paare im Umgang mit Depressionen in ihre Ressourcen zu führen.

Herbst 2021

Guy Bodenmann

|11|Einleitung

Wenn zwei Menschen eine Beziehung eingehen und sich fürs Zusammenbleiben entscheiden, sind sie meist verliebt, unbeschwert und voller guter Hoffnungen in Bezug auf die gemeinsame Zukunft. Sie malen sich diese schön und erfolgreich aus, oftmals mit einem gemeinsamen Haus im Grünen, vielleicht mit Kindern, vielleicht aber auch unkonventioneller, farbiger und verrückter.

Kaum jemand wird jedoch zu diesem Zeitpunkt denken wollen, wie es sein wird, wenn der Partner/die Partnerin einmal schwer erkranken könnte, wenn ihn oder sie etwas Schlimmes trifft – ein dunkler Schatten auf die Beziehung fällt und alles verändert.

Dieser Schatten kann verschiedene Gestalten annehmen, und wie er auch in Form und Größe ausfällt, er wird die Partnerschaft aus der unbekümmerten zukunftsfrohen Gangart herausreißen und beide Partner*innen1 zu einer Neuorientierung zwingen. Dieser Schatten wird das Leben des Paares verändern. Er wird nicht nur die gemeinsamen schönen und freudvollen Momente trüben oder seltener werden lassen, er wird auch mit zusätzlichen Belastungen einhergehen und neue Verantwortungen, Rücksichtsnahmen und Aufgaben mit sich bringen.

Insgesamt können verschiedene Ereignisse einen solchen Schatten auf die Beziehung werfen. Es braucht nicht eine psychische Störung2 zu sein. |12|Oftmals sind es Untreue oder Vertrauensbrüche, welche das Leben verdunkeln. Nicht selten sind es jedoch auch schwere chronische Erkrankungen, Behinderungen, Unfälle oder einschneidende Lebensveränderungen (Jobverlust mit langer Arbeitslosigkeit, Flucht infolge von Krieg und Vertreibung, Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen etc.), die einen solchen Schatten werfen.

Oftmals liegt auch nicht nur eine Ursache vor, sondern ein Stein bringt andere ins Rollen. So kann die Arbeitslosigkeit zu emotionalem Entgleisen, daraus resultierend einem exzessiven Alkoholkonsum führen, was Partnerschaftsprobleme mit nachfolgender Scheidung sowie die Entwicklung einer Depression zur Folge haben kann.

Häufig spielt auch die Frage der Schuld eine wichtige Rolle. Hat der Partner/die Partnerin das schattenwerfende Ereignis selbst verschuldet oder wurde er/sie Opfer eines Schicksalsschlags? Je nach Beurteilung sind die Folgen für die Paarbeziehung unterschiedlich.

Während viele bei Untreue eher von einem Verschulden des Partners/der Partnerin ausgehen und entsprechend ungehalten und verständnislos auf dieses Fehlverhalten reagieren (bis hin zur Trennung oder Scheidung), ist die Ausgangslage anders bei einem unverschuldeten schweren Unfall mit anschließender Behinderung, einem altersbedingten Sinnesverlust (Seh- oder Hörbehinderung), einer plötzlich diagnostizierten Krebserkrankung oder einer sich manifestierenden psychischen Störung.

In diesem Buch geht es um den letzten Fall, das Auftreten einer Depression. Depressionen entstehen in den meisten Fällen nicht grundlos. Meist gehen ihnen schwerwiegende Stresserfahrungen und Verlustereignisse voraus, sodass sie oftmals infolge eines Unfalls, einer schweren Erkrankung oder Behinderung, nach dem Verlust der Arbeitsstelle, dem Tod eines wichtigen Menschen oder dem Bekanntwerden von Untreue des Partners/der Partnerin auftreten. Sie sind meistens Folge einer schwierigen Lebenssituation, die überfordert. Gründe für eine Depression können aber auch Gefühle sein, jahrelang ausgenützt, benachteiligt oder nicht wertgeschätzt worden zu sein.

Depressionen sind schwerwiegend und werfen einen langen Schatten auf die Paarbeziehung. Sie fordern das Paar auf vielfältige Weise heraus, den von der Depression Betroffenen ebenso wie den Partner/die Partnerin. Die Depression des einen betrifft immer beide, verändert das Leben beider nachhaltig und definiert die Beziehung neu.

|13|In einer Umfrage bei Angehörigen von Personen mit einer Depression gaben 29 % an, von der Depression sehr stark in der eigenen Lebensqualität beeinträchtigt zu sein, 31 % empfanden die Einschränkungen als stark und 33 % als eher stark, d. h. 93 % berichteten von diesem Schatten über ihrer Partnerschaft und ihrem Leben allgemein.3 Nach dem Auftreten einer Depression ist das Leben nicht mehr wie früher, sei es, indem wiederholte Rückfälle oder ein chronischer Verlauf vorliegen oder aber die Ängste und Befürchtungen die Zukunft trüben, dass es erneut zu einem Rückfall kommen könnte.

Auf diese Aspekte, wie Depressionen Partnerschaften verändern, wie beide Partner*innen davon betroffen sind, aber auch welche gemeinsamen Kräfte freigesetzt werden und was Paare tun können, um der Krankheit gemeinsam entgegenzutreten, wird im vorliegenden Buch eingegangen.

Folgende Fragen wollen wir zu beantworten versuchen: Welche Bedeutung hat die Partnerschaft für die Entstehung, den Verlauf und die Aufrechterhaltung der Depression? Wie wirkt sich die Depression ihrerseits auf die Paarbeziehung (Beziehungszufriedenheit, Partnerschaftsqualität und Beziehungsstabilität) aus? Wie kann das Paar mit der Depression gemeinsam umgehen? Was hilft beiden, um mit der schwierigen Situation klarzukommen und daraus herauszufinden? Welche Stolpersteine sind zu beachten? Wie kann eine Behandlung der Depression aussehen, in welcher der/die Partner*in mit ihren Ressourcen und Möglichkeiten Beachtung findet und in den Genesungsprozess eingebunden wird?

Im Zentrum steht der Gedanke, dass Depression kein individuelles Schicksal ist, das nur die unter der Diagnose Leidenden betrifft, sondern bei Personen in einer festen Paarbeziehung eine Herausforderung darstellt, welche immer beide betrifft und die es zusammen mit dem Partner/der Partnerin zu bewältigen gilt.

Bevor wir auf diese Punkte näher eingehen, werden zuerst einige allgemeine Informationen zu Depressionen gegeben.

1

In diesem Buch wird auf eine gendergerechte Sprache geachtet, dennoch soll der Text gut lesbar bleiben. Aus diesem Grund werden nicht immer beide Geschlechterformen genannt oder das Gender-Sternchen gesetzt. Es sind jedoch immer Frauen, Männer und nicht binäre Personen und alle Formen von Paarbeziehungen (hetero- und gleichgeschlechtliche) gemeint.

2

Wir verwenden den Begriff „Störung“ synonym zu „Krankheit“. Heute wird im Zusammenhang mit Depressionen, Angststörungen, Zwängen etc. häufiger von psychischen Störungen als von Krankheiten gesprochen, welche eher im somatischen Bereich verortet sind.

3

Befragung anlässlich eines Seminars mit Angehörigen von Depressiven (September 2021)

|15|1  Was ist eine Depression?

Das WortDepression wird im Alltagssprachgebrauch relativ rasch und oft sorglos verwendet. Wenn etwas nicht optimal läuft, man sich bedrückt oder verstimmt fühlt, verwendet man oft Sätze wie „Ich bin deprimiert“ oder „Das macht mich depressiv“. Mit solchen Äußerungen ist jedoch nicht ein depressives klinisches Störungsbild gemeint. Vielmehr handelt es sich um Aussagen, die umschreiben sollen, dass man sich nicht gut fühlt, enttäuscht ist, einen etwas bedrückt, belastet oder frustriert. Zunächst wollen wir Depression als psychische Störung von anderen Begriffen abgrenzen, wie Traurigkeit, Deprimiertheit oder Depressivität.

Traurigkeit als normaler Gefühlszustand

Traurigkeit meint ein im Alltag häufig auftretendes negatives Gefühl, wenn etwas schiefgelaufen ist, man etwas verloren hat, was einem wertvoll war, oder etwas nicht erreicht hat, was man erreichen wollte, wenn etwas nicht so läuft, wie man es gerne hätte. Traurigkeit ist eine stärkere Emotion als Enttäuschung, hängt mit dieser jedoch zusammen. Man ist enttäuscht oder traurig, wenn man vergessen, nicht zu einem Anlass eingeladen oder ungerechterweise kritisiert wird. Traurigkeit ist eine natürliche Emotion und zählt zu den Basisemotionen wie Angst, Ärger oder Freude.

Die Worte Traurigkeit, Verstimmung oder Deprimiertheit werden häufig synonym verwendet und meinen jeweils, dass man sich niedergeschlagen fühlt. Traurigkeit stellt sich als Gefühl nach Misserfolgen, Enttäuschungen, Verlusten oder aber manchmal völlig grundlos ein. Sie kann auch eine |16|Folge von körperlichem Unwohlsein sein, z. B. wenn man schlecht geschlafen hat, sich körperlich angeschlagen fühlt oder krankheitsbedingt Aktivitäten nicht nachgehen kann, die man gerne ausführen möchte.

Während Angst auf etwas Zukünftiges, zu Erwartendes gerichtet ist (und mit der Einschätzung einer Situation als Bedrohung einhergeht), bezieht sich Traurigkeit auf etwas, das bereits eingetreten ist und worunter man leidet. Sie ist eine normale menschliche Reaktion auf einen Verlust von etwas, was einem wichtig ist, und wird in der Regel von den Betroffenen mehr oder weniger erfolgreich verarbeitet. Traurigkeit ist zeitlich begrenzt.

Die normale Traurigkeit im Alltag unterscheidet sich von einer Depression als psychischer Störung durch folgende Merkmale:

Intensität und Dauer (d. h. geringere Intensität der Gefühle und zeitlich begrenzte Dauer von meist einigen Stunden)

Art und Anzahl der Symptome (deutlich weniger Symptome als bei einer Depression und meist nicht gravierende, z. B. keine Suizidalität)

Grad der erfahrenen Beeinträchtigung (keine oder schwache bis mittlere Beeinträchtigungen, die zudem rasch vorübergehen)

K. und S. sind seit 15 Jahren ein Paar. Sie haben viel miteinander erlebt und durchgemacht. Sie hatten beide einen Fachhochschulabschluss erlangt, obschon S. bereits mit 22 Jahren Mutter wurde und beide Studium, Arbeit und Elternschaft kombinieren mussten.

In derselben Zeit verlor K. seine Mutter nach längerem Kampf gegen den Krebs, und sie hatten finanziell harte Zeiten. Nach der Geburt des dritten Kindes verlor K. seinen Job aufgrund einer Fusion seiner Firma mit der Konkurrenz. Die Lage schien aussichtslos. K. fühlte sich häufig niedergeschlagen und empfand die Situation als überfordernd. Oft saß er am Abend einfach nur vor dem Fernsehen und hatte keine Energie, etwas anzupacken.

Für S. war dies besonders schlimm, da sie selbst ebenfalls am Ende ihrer Kräfte war und sich mehr Unterstützung von ihrem Partner gewünscht hätte. Sie sprach ihn an, schilderte ihm ihre Überlastung und dass sie auf seine Hilfe angewiesen sei. Auch wenn die Arbeitslosigkeit beide belaste und der finanzielle Druck steige, sei das kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Im Gegenteil sei jetzt mehr denn je enger Zusammenhalt gefragt und Zuversicht, dass sie es gemeinsam schaffen würden.

|17|Beide rauften sich zusammen, machten das Beste aus der Situation. K. hatte schließlich Glück und fand wenige Monate später eine neue Anstellung.

Depressivität als Persönlichkeitsmerkmal

Depressivität beschreibt ein mehr oder weniger stabiles Persönlichkeitsmerkmal, welches im Sinne einer erhöhten Veranlagung für die Entwicklung einer Depression gesehen wird, jedoch nicht das klinische Zustandsbild einer Depression meint.

Jemand, der erhöhte Werte in Bezug auf das Persönlichkeitsmerkmal Depressivität hat, weist ein erhöhtes Risiko auf, in Situationen, welche leicht Depressionen auslösen können (z. B. Verlusterfahrungen, Erfahrungen von Misserfolg, gravierende kritische Lebensereignisse wie Arbeitslosigkeit, schwere oder chronische Krankheiten, Behinderungen), eine klinische Depression zu entwickeln. Umgangssprachlich wird häufigMelancholie mit diesem Persönlichkeitsmerkmal gleichgesetzt.

Unter einem Melancholiker/einer Melancholikerin versteht man einen eher zu Trübsal neigenden, scheuen, schwermütigen Menschen, der häufig mit Rückzugsverhalten, Traurigkeit, Pessimismus und Verstimmungen reagiert. Vor über 100 Jahren wurde der Begriff auch in Klassifikationssystemen im Sinne von Depression verwendet; im Volksmund hat sich bis heute der Begriff des Melancholikers gehalten, der auf die Persönlichkeitstypologie des griechischen Arztes Hippokrates zurückgeht.

Folgende Merkmale kennzeichnen eine depressive Persönlichkeit:

häufig und bereits bei geringen Anlässen klagend

nachdenklich und grüblerisch

selbstkritisch und die Schuld bei sich suchend

pessimistisch und misstrauisch in Bezug auf Glück und Erfolg

sensibel und feinstofflich

tief empfindend

bereits aufgrund geringfügiger Ereignisse leidend.4

|18|M. ist eine stille, introvertierte Person, die sich gerne zurückhält, beobachtet und aus der Ferne Anteil nimmt. Unverkennbar ist sie sensibel und mitfühlend, doch drängt sie sich nicht vor und bleibt gerne diskret im Hintergrund. Sie hat einen gewissen melancholischen Zug, lacht selten und wirkt häufig etwas bedrückt oder besorgt.

Ihre Äußerungen und Handlungen haben häufig einen zurückhaltenden, zögerlichen und pessimistischen Ton. Bei eigenen Fehlern kritisiert sie sich schnell selbst und ist unnachgiebig mit sich und in Bezug auf Ansprüche an sich. Sie zweifelt häufig an sich und macht abwertende Äußerungen gegenüber sich selbst. Sie wirkt in ihrem Verhalten unsicher und vermeidend.

Ihre Partnerin L. nervt dies immer wieder, und obgleich sie ihr zu verdeutlichen sucht, dass alles halb so schlimm sei und man das Glas auch als halb voll statt halb leer sehen könne, haben diese Argumente kaum Einfluss auf das Erleben von M.

L. hat sich damit abgefunden, dass M. eine „Schwerenöterin“ ist.

Depression mit psychischer Äußerung

Depression meint – in Abgrenzung zu Traurigkeit, deprimierter Verstimmung oder Depressivität – ein klinisches Störungsbild, ein sogenanntes Syndrom mit damit assoziierten Symptomen. Während man früher von einer Krankheit gesprochen hatte, setzte sich zusehends der Begriff der psychischen Störung durch, welcher heute allgemein im Zusammenhang mit einer Depression verwendet wird.

Eine klinisch relevante Depression äußert sich in gefühlsmäßigen, gedanklichen, motivationalen (antriebsmäßigen), verhaltensmäßigen, physiologischen und hormonellen Symptomen.

Depressionen gehen einher mit:

gefühlsmäßigen Symptomen wie Traurigkeit, Bedrücktheit, Freudlosigkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit, Schuldgefühle oder Scham

kognitiven Symptomen wie Konzentrationsstörungen, verlangsamtes, schwerfälliges Denken, Schwarz-Weiß-Denken, verringerte Entscheidungsfähigkeit, Abwertungen der eigenen Person, Grübeln, Selbstvorwürfe, Gefühl der Wertlosigkeit, Gedanken an Tod und Suizid

|19|motivationalen Symptomen wie Müdigkeit, Interessenverlust, Antriebslosigkeit, Rückzugs- und Vermeidungsorientierung

motorischen/verhaltensmäßigen Symptomen wie Lethargie, Verlangsamung oder Unruhe, Passivität, häufiges Klagen und Weinen, unbeholfenes oder schusseliges Verhalten

einer typischen Körperhaltung, welche meist kraftlos, gebeugt, spannungsleer oder angespannt wirkt

einem typischen Gesichtsausdruck, der sich traurig, weinerlich, maskenhaft, angespannt äußert

einer Veränderung in der Sprache, gekennzeichnet durch leises, monotones, langsames, schnelles oder abgehacktes Sprechen

endokrinologischen Symptomen (niedrigerer Serotonin- und Noradrenalin-Spiegel).5

Im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5) wird die klassische, episodische schwere Depression mit dem BegriffMajor Depression bezeichnet.

Depressionen können vereinzelt auftreten und einmalig (einzelne Episode), rezidivierend (immer wiederkehrend) sein oder chronisch verlaufen. Sie können auch im Zusammenhang mit Medikamenten oder Drogen oder infolge einer körperlichen Erkrankung entstehen.

Es handelt sich bei Depressionen nicht um eine isolierte Traurigkeit, sondern um eine Störung, welche die gesamte Person betrifft, ihr Verhalten, Denken und Fühlen einfärbt und sich umfassend auf das Leben auswirkt. Es handelt sich um ein typisches Muster von Symptomen.6

Depression mit somatischer Äußerung

Depressionen können sich jedoch auch verdeckt (larviert)7 äußern, beispielsweise als somatische Beschwerden wie chronische Rückenschmerzen, schwere Kopfschmerzen, anhaltende Spannungszustände, eine nicht |20|kontrollierbare Nervosität, Schlafstörungen (Schwierigkeiten beim Einschlafen, Durchschlafen) oder Verdauungsprobleme, wobei keine körperliche Ursache für das Leiden vorliegt.

Abbildung 1:  Traurigkeit, Depressivität und Depression

Depressionen mit somatischer Äußerung sind sehr häufig. Aus diesem Grund sind in allgemeinärztlichen Praxen viele Menschen mit Depressionen anzutreffen, die häufig nicht richtig diagnostiziert und behandelt werden. Häufig gehen die Hausärzt*innen von körperlichen oder psychosomatischen Beschwerden aus, ohne zu erkennen, dass es sich um eine Depression handelt, die entsprechend psychotherapeutisch und/oder medikamentös mit Psychopharmaka behandelt werden sollte.

S. leidet seit über zwei Wochen an einer tiefen Niedergeschlagenheit, Interessenverlust, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust und starken Gefühlen von Wertlosigkeit mit Schuldgefühlen und gelegentlich auftretenden Suizidgedanken. Sie kann sich schlecht konzentrieren und hat große Mühe, morgens aufzustehen.

Seit einer Woche geht sie nicht mehr zur Arbeit, liegt nur zu Hause im Bett und weint. Es ist ihr alles zu viel, und ihre Zukunft erlebt sie als hoffnungslos. Aufgrund der Appetitlosigkeit und Verdauungsprobleme geht sie zu ihrem Hausarzt. Dieser diagnostiziert eine Stressreaktion aufgrund ihrer beanspruchenden Jobsituation und verschreibt ihr Ruhe.

|21|Merke

Von einer Depression sollte nur dann gesprochen werden, wenn alle diagnostischen Kriterien erfüllt sind. Andernfalls handelt es sich um eine Form von Traurigkeit oder eine vorübergehende Belastungsreaktion, beispielsweise nach dem Todesfall einer nahestehenden Person, dem Verlust eines wichtigen Objekts oder nach einer traumatisierenden Erfahrung.

Benutzt man vorschnell die Diagnose Depression, kann sich dies negativ auf die betroffene Person auswirken. Ihre Umgebung verhält sich weniger angemessen, sodass sie sich in der Folge krank fühlt und auch beginnt, sich als krank zu verhalten. Ihre Selbstheilungskräfte, welche sie normalerweise mobilisiert, um mit ihrer tiefen Traurigkeit klarzukommen, werden geschwächt, und sie läuft Gefahr, tatsächlich in eine Depression abzugleiten.

Eine ungerechtfertigte Diagnose kann zudem Stigmatisierungseffekte durch das Umfeld – die betreffende Person wird als krank angesehen, mit entsprechenden Konsequenzen im Verhalten ihr gegenüber – bewirken.

Häufigkeit von Depressionen

Depressive Störungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen. In Deutschland wird die Jahres-Prävalenz mit 9.2 % angegeben.8 Das Risiko, im Verlauf des Lebens an einer Depression zu erkranken, liegt bei 12–20 %.9 Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch viele Paare im Verlauf ihrer Beziehung von der Depression eines Partners/einer Partnerin betroffen werden.

75 % der Einweisungen in psychiatrische Kliniken in Deutschland betreffen Personen mit einer Depression. Am häufigsten tritt die Störung im Alter zwischen 18 bis 29 Jahren auf.10 Depressive befinden sich ähn|22|lich häufig in einer festen Partnerschaft wie die Durchschnittsbevölkerung.11

Die Häufigkeit der Störung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Depressionen um eine schwerwiegende und leidvolle Erkrankung handelt. Sie geht mit einer starken Einschränkung im täglichen Funktionieren und der Lebensqualität einher. Was vorher einfach und leicht ging, fällt auf einmal schwer, benötigt viel Zeit, Kraft und Aufwand. Früher als einfach wahrgenommene Aufgaben können zu unüberwindbaren Barrieren werden. Das Leben der Betroffenen verändert sich dramatisch. Ein Schatten breitet sich aus, den man vorher nicht kannte, und zwar nicht nur über dem eigenen Leben, sondern auch über dem der Angehörigen (Eltern, Geschwister) und insbesondere dem des Partners/der Partnerin.12

M. ist seit dem Suizid seines Bruders tief erschüttert. Er kann seit vier Wochen nicht mehr zur Arbeit gehen, bringt sein Leben nicht mehr auf die Reihe. Sein Bruder hatte ihn kurz vor dessen Selbstmord angerufen. Er hatte sich verzweifelt angehört, schien sehr durcheinander und hilfsbedürftig. Doch M. kam der Anruf ungelegen, er hatte einen wichtigen Bericht für die Firma fertigzustellen, der für ihn sehr wichtig war. Er wimmelte den Bruder ab, vertröstete ihn auf den nächsten Tag, wo er sich für ihn Zeit nehmen werde und sie alles in Ruhe besprechen könnten. Dazu kam es nicht mehr. M. hatte die Situation falsch eingeschätzt, hatte die Tragweite und das Ausmaß der Verzweiflung seines Bruders nicht richtig erkannt.

M. macht sich schwere Vorwürfe, weint viel und beginnt übermäßig Alkohol zu trinken. Schlaf findet er nachts keinen, wird von Albträumen geplagt, schreckt schweißgebadet hoch. Er hat bereits stark abgenommen. Er fühlt sich niedergeschlagen, kann seine Gedanken nicht mehr ordnen. Schwere Schuldgefühle plagen ihn.

Seine Freundin versucht ihm zwar beizustehen, doch er kann nicht darauf eingehen. Ihre angebotene Unterstützung weist er zurück. Er müsse da selbst durch, es sei seine Schuld.

|23|Sie ist hilflos, weiß nicht, was sie machen kann, damit es ihm besser geht. Sie rät, zum Arzt zu gehen. Doch M. schlägt aus, meint, es sei eine normale Reaktion, er würde es selbst schaffen.

Seine Freundin ist ebenfalls verzweifelt, sie kennt M. nicht mehr. Er ist unnahbar zu ihr, oft feindselig, schließt sich in seinem Zimmer ein und ist für sie nicht erreichbar. Sie leidet unter seiner Zurückweisung, seiner Gereiztheit.

Beide leiden, und doch können sie einander nicht helfen. Beide erleben sich als einsam in der Beziehung, hilflos, und immer stärker macht sich eine Entfremdung breit.

Merke

Depressionen betreffen beide Partner*innen gleichermaßen. Beide leiden unter den Veränderungen im Alltag, welche mit der Störung einhergehen, der neuen Rollenverteilung, den Einschränkungen, der emotionalen Sorge, der Pflege und Abhängigkeit. Doch beide können auch dazu beitragen, dass aus diesem Dunkel herausgefunden werden kann. Depression ist eine gemeinsame Herausforderung.

4

Bronisch (1997)

5

Serotonin und Noradrenalin sind Neurotransmitter (Botenstoffe) im Zentralnervensystem, welche zur Kategorie der Monoamine gehören und bei Depressionen eine wichtige Rolle spielen.

6

Beesdo-Baum & Wittchen (2021)

7

Kielholz, Pöldinger & Adams (1981)

8

Hapke, Cohrdes & Nübel (2019)

9

Schuler, Tuch, Buscher & Camenzind (2016)

10

Busch, Maske, Ryl, Schlack & Hapke (2013)

11

Hell (1982)

12

Benazon & Coyne (2000); Bodenmann (2016)

|25|2  Formen von Depressionen

Depressionen zeigen sich in vielfältiger Weise. Auf einige Formen soll kurz eingegangen werden.

Unipolare versus bipolare Depression

Insgesamt können zwei Hauptformen der Depression unterschieden werden: (a) die unipolaren Depressionen und (b) die bipolaren oder manischen Depressionen, welche in früheren Klassifikationssystemen als affektive Störungen bezeichnet wurden. Während die erste Gruppe durch starke und länger andauernde Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit charakterisiert ist (siehe Symptome unten), ist die zweite durch Phasen von Niedergeschlagenheit und Phasen von gehobener Stimmung (bis hin zu Euphorie) und übersteigertem Tatendrang gekennzeichnet. Im DSM-5 werden die beiden Störungen nicht mehr unter einer Kategorie zusammengefasst (affektive Störungen), sondern in getrennten Kategorien. In diesem Buch gehen wir nur auf unipolare Depressionen ein.

Schwere episodische Depression (Major Depression)

Wenn von einer Depression gesprochen wird, ist meist diese Form gemeint. Es handelt sich um die „klassische Depression“, die in einzelnen Episoden auftritt oder wiederkehrend (rezidivierend) ist.

Gemäß dem Klassifikationssystem DSM-5 liegt eine Depression dann vor, wenn von verschiedenen Symptomen, welche an dieses Störungsbild gekoppelt sind, eine bestimmte Anzahl über längere Zeit vorhanden ist.

|26|Treten von den im Folgenden genannten neun Symptomen mindestens fünf während zwei Wochen ununterbrochen auf, spricht man von einer klinischen Depression.

Dabei können Haupt- und Nebensymptome unterschieden werden. Von den beiden Hauptsymptomen muss mindestens eines vorliegen, damit die Diagnose einer Depression vergeben werden darf.

Symptome einer Major Depression (nach DSM-5)13

Hauptsymptome (von denen mindestens eines vorhanden sein muss):

depressive Verstimmung für die meiste Zeit des Tages an fast allen Tagen

deutlich vermindertes Interesse oder Freude an allen oder fast allen Aktivitäten an fast allen Tagen, für die meiste Zeit des Tages

Nebensymptome (von denen mindestens vier vorhanden sein müssen):

deutlicher Gewichtsverlust ohne Diät oder Gewichtszunahme (> 5 % des Körpergewichts)

verminderter oder gesteigerter Appetit

Schlaflosigkeit (Insomnie) oder vermehrter Schlaf (Hypersomnie)

körperliche Unruhe oder Verlangsamung an fast allen Tagen

Energieverlust oder Müdigkeit an fast allen Tagen

Gefühl von Wertlosigkeit oder übermäßige und unangemessene Schuldgefühle (nicht nur wegen des Krankseins)

Konzentrationsstörungen und verminderte Fähigkeit zu denken oder verringerte Entscheidungsfähigkeit

wiederkehrende Gedanken an den Tod (wiederkehrende Selbstmordgedanken ohne genauen Plan, tatsächlicher Suizidversuch oder genaue Planung eines Suizids)

Die chronische Form der Depression (Dysthymie)

Von der schweren oder akuten Depression bzw. Major Depression wird eine meist leichtere Form unterschieden, welche auch unter dem Namen Dysthymie bekannt ist. Darunter versteht man eine chronische depressive |27|Verstimmung, die nach Schweregrad und Dauer der einzelnen Episoden nicht die Kriterien für eine depressive Störung (Major Depression) erfüllt, jedoch mindestens über einen Zeitraum von zwei Jahren besteht.

Neben der Dysthymie gibt es jedoch auch viele schwere Depressionen (Major Depressionen), die in der Regel 4–6 Monate dauern und einen chronischen Verlauf nehmen.

Oft treten Major Depression und anschließend chronisch persistierende oder intermittierende Verläufe auf. So zeigen Studien, dass bei rund 50 % der gebesserten Depressionen (sogenannte Remissionen) innerhalb von 5 Jahren ein Rückfall (Rezidiv) auftritt und dies bei 70–90 % der Betroffenen innerhalb von 20 bis 25 Jahren der Fall ist.14

Die chronische Form kann sich in verschiedenen Symptomen äußern:

längere Dauer als üblich mit erhöhtem subjektivem und objektivem Leiden

keine vollständige oder stabile Verbesserung der Depression trotz Behandlung

häufig aufeinanderfolgende Schübe, die kaum mehr voneinander abgrenzbar sind und keine wirkliche Besserung erkennen lassen

die Symptomatik der Depression verbessert sich, aber es bestehen weiterhin veränderte Wesensmerkmale (veränderte Persönlichkeit).15

Insgesamt ist das Phänomen der chronifizierten Depression sehr häufig und für die Patienten/Patientinnen und ihr soziales Umfeld sehr viel belastender als einzelne zeitlich begrenzte Schübe mit nachfolgender vollständiger Remission.

Saisonale Depressionen

Depressionen können in bestimmten Jahreszeiten häufiger vorkommen.16 Wenn dieses Muster erkennbar ist, spricht man von einer saisonalen Depression. Der Beginn von saisonalen Depressionen fällt meist in die Herbst- und Wintermonate und das Ende in die Frühlingsmonate.

|28|Als Gründe für saisonale Depressionen werden die reduzierte tägliche Dauer an Sonnenlicht, die kürzeren Tage, häufigere Dunkelheit, das zu diesen Zeiten häufig trübe, düstere Wetter (Regen, Schnee, Nebel) und die niedrigeren Tagestemperaturen genannt. Es ist naheliegend, dass bei Personen, welche die Tendenz zu depressionsfördernden Gedanken haben, in den dunklen und kalten Wintermonaten solche Gedanken eher begünstigt werden als während des Frühlings bzw. Sommers, wenn man häufiger in der hellen Sonne ist, mehr Freizeitaktivitäten nachgeht und sich draußen mit Freund*innen treffen kann.

T. fühlt sich energielos und schwermütig, sobald die Tage kürzer, die Abende und Nächte länger und das Wetter über mehrere Tage hinweg schlechter wird. In der Gegend, in welcher sie wohnt, sind die Herbst- und Wintermonate häufig durch dichten Nebel gekennzeichnet, der sich oft den ganzen Vormittag oder sogar den ganzen Tag über hält. Auch regnet es in den Wintermonaten sehr viel, und es ist trüb und düster. Da T. sehr naturverbunden ist und gerne Spaziergänge unternimmt, leidet sie doppelt unter dem feuchten und unfreundlichen Wetter, das kaum zu Aktivitäten im Freien einlädt.

Sie wird in dieser Zeit immer passiver, geht weniger aus dem Haus und sitzt stundenlang am Abend oder Wochenende vor dem Fernsehen. Ihr Befinden verschlechtert sich während der Wintermonate regelmäßig und bessert sich meist erst im Frühjahr wieder, wenn die Tage freundlicher werden.

Wochenbettdepressionen

Nicht selten sind schwere depressive Verstimmungen oder Depressionen während einer Schwangerschaft, nach der Geburt oder im Wochenbett. Diese Depression wird auch postpartale oder postnatale Depression genannt.

Die Häufigkeit von Schwangerschaftsdepressionen wird mit 12.4 % und von postnatalen Depressionen mit 9.6 % angegeben.17

|29|Bei 77 % der Mütter, welche bereits vor der Schwangerschaft depressive Symptome aufwiesen, tritt nach der Geburt eine postnatale Depression auf.18 Aus diesem Grund stellen Schwangerschaft und Geburt für viele Frauen eine besonders kritische Phase dar, der es erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken gilt.

Postnatale Depressionen stehen häufig im Zusammenhang mit einer starken emotionalen Anspannung, z. B. einer starken Angst vor dem Ereignis selbst (Niederkunft), den damit verbundenen Veränderungen im Leben und den neuen Aufgaben. Es können jedoch auch negative Erfahrungen mit vorherigen Schwangerschaften oder Geburten erneut hochkommen. Auch Konflikte mit wichtigen Bezugspersonen oder das Gefühl, vom Partner/der Partnerin oder anderen wichtigen Menschen zu wenig getragen und unterstützt zu werden, können eine postnatale Depression begünstigen. Ebenso können Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme mit dem Säugling oder Schwierigkeiten beim Stillen das Gefühl vermitteln, eine schlechte Mutter zu sein. All dies ist belastend und überschattet die Freuden der Elternschaft.

Hinzu kommen hormonelle und körperliche Veränderungen und physische Belastungen durch die Schwangerschaft und die Geburt (veränderter Schlafrhythmus oder zu wenig Schlaf, Veränderungen des Aussehens und des Körperbildes, der Attraktivität und der Sexualität). Während der Schwangerschaft sind die Hormonspiegel von Östrogen, Progesteron, Noradrenalin oder Cortisol deutlich erhöht und liegen teilweise mehr als hundertfach über dem herkömmlichen Niveau. Dadurch ist das allgemeine Stressniveau erhöht, und Ängste oder Niedergeschlagenheit sind häufiger. Nach der Geburt sinken sie wieder ab, verändern sich aber erneut mit dem Milcheinschuss und beim Abstillen.

Dass solche großen Veränderungen im Hormonhaushalt mit Stimmungsveränderungen und einer hohen psychischen Belastung einhergehen, ist nachvollziehbar und verdeutlicht das erhöhte Risiko für Depressionen in dieser Phase.

Hinzu kommt, dass mit der einschneidenden Lebensveränderung im Zuge des Familienzuwachses mit neuen Rollen und einer neuen Aufgabenverteilung in der Partnerschaft sowie einer vorübergehenden oder gänzlichen Aufgabe der Berufstätigkeit vielfältige Herausforderungen einhergehen, denen man gerecht werden möchte. Oftmals hat man dabei |30|erhöhte und unrealistische Erwartungen, überfordert sich und ist dann enttäuscht, wenn man den eigenen und den von anderen wahrgenommenen Ansprüchen nicht zu genügen glaubt. Spannungen in der Paarbeziehung erhöhen das Gefühl der Niedergeschlagenheit oder Einsamkeit in dieser schwierigen Zeit.

Merke

Die postnatale Depression ist diagnostisch schwer zu erfassen, da ein Babyblues nach der Geburt nicht selten ist und überhaupt Stimmungsschwankungen während der Schwangerschaft und nach der Geburt hormonell bedingt häufig auftreten. Oft treten die Symptome zudem erst im Vollbild auf, wenn die Mutter bereits aus der Geburtsklinik entlassen wurde. Zu Hause ist sie tagsüber oft allein und steht weniger unter Beobachtung durch Krankenpflegepersonen, welche psychische Veränderungen feststellen könnten. Dadurch wird die Störung häufig nicht oder spät erkannt.

N. hatte sich sehr auf das erste Kind gefreut. Als der Schwangerschaftstest ein positives Ergebnis anzeigte, war sie förmlich aus dem Häuschen. Ihr Partner K. hatte sich mitgefreut. Es war ein Wunschkind für beide. Sie hatten vor einem halben Jahr zu „üben“ begonnen und waren erleichtert und froh, dass es so schnell ging, bis N. schwanger wurde.

Die Schwangerschaft verlief soweit unkompliziert. Das Kind kam zwei Wochen zu früh und überraschte seine Eltern, da die Gynäkologin den Geburtstermin erst in vier Wochen erwartet hatte. Die Geburt dauerte über sechzehn Stunden und war für N. erschöpfend. Auch K., der bei der Geburt anwesend war, fühlte sich mitgenommen.

N. erholte sich schleppend von den Strapazen, und als sie nach Hause entlassen wurde, fiel sie in eine Leere. Sie hatte sich alles anders vorgestellt. Zwar hatte K. noch einige Tage freinehmen können, doch nun war sie allein mit dem Baby zu Hause. Die Tage waren lang, die Kleine schlief schlecht, beim Stillen schlief sie häufig ein und trank wenig. Die Dame von der Mütter- und Väterberatung, welche den Säugling wöchentlich wog, war unzufrieden mit seiner Gewichtszunahme und drängte N., dem Stillen mehr Raum zu geben und das Kind zu besserem Trinken zu animieren. Das klang einfacher, als es war.

|31|N. fühlte sich verantwortlich für das Problem. K. hatte im Büro eine stressreiche Phase und kam abends müde und abgespannt nach Hause. Dennoch hörte er sich die Klagen von N. an und versuchte, empathisch darauf einzugehen. Eine Lösung hatte er auch nicht zur Hand.

N. fühlte sich zusehends deprimierter, wurde lethargisch und merkte, dass sie die Freude an der Kleinen verlor. Sie empfand sie als erdrückende Belastung und ihre Forderungen als Zumutung.

Aus Scham, Angst oder Schuldgefühlen getrauen sich die depressiven Mütter oft nicht, über ihre Symptome zu sprechen, und versuchen, sie vor anderen, auch dem Partner/der Partnerin zu verbergen.

Dies ist problematisch, da eine unbehandelte Wochenbettdepression schwerwiegende Folgen für Mutter und Kind haben kann. Einer depressiven Mutter ist es weniger möglich, die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, weshalb es im Zuge von postnatalen Depressionen zu Beziehungsstörungen mit dem Kind kommen kann. Das Kind wird dann schwieriger (weint mehr, schläft schlechter, trinkt schlecht), was den Teufelskreis weiter anstößt.

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