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Hohenschwangau, das Dorf gelegen am Fuße des Schlosses Neuschwanstein. Da, wo Japaner ermordet werden! Denn das Dorf scheint, zumindest touristisch, fest in japanischer Hand zu sein. Schwere Zeiten für zwei ungleiche, einheimische Brüder. Und als ob’s mit den Touristen nicht schon schlimm genug war, taucht auch noch die japanische Mafia auf …
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Copyright © 2015 by Michael Kibler
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All rights reserved.
Diese Geschichte ist bereits 2015 veröffentlicht worden, in der Anthologie “Auf der Alm, da gibt’s an Mord” im Kbv-Verlag, Hillesheim.
Cover-Gestaltung dieses eBooks: Friederike Eisenbach
Michael Kibler c/o
Copywrite GmbH & Co. KG
Große Seestraße 31
D-60486 Frankfurt am Main
Kollateralschaden
von Michael Kibler
* * *
„Naja. Geh! Bei uns?“
„Wenn ich‘s dir sag!“
„In Hohenschwangau? Die japanische Mafia? Du spinnst!“
Mein Bruder drückt das Kreuz durch, setzt den Bierkrug auf dem Tresen ab, hebt die Hand, streckt den Zeigefinger in meine Richtung und sagt, mit oberlehrerhaftem Tonfall: „Wenn‘s der Bierler sagt, dann stimmt‘s! Und die waren ja schließlich schon mal bei ihm.“
Der Bierler‘ Thomas, dem gehört das fürchterliche Geschäft, ein Schandfleck für Hohenschwangau, finde ich zumindest, und alle, die schon länger als 40 Jahre in diesem Ort leben, die finden das auch, auch wenn‘s nicht alle zugeben. Den Laden, den hat er vor 20 Jahren extra für die japanische Kundschaft aufgemacht, mit japanischen Verkäuferinnen, japanischen Produkterklärungen, japanischen Sitten. „Bierlers Luxury Omiyage“, den Namen kapiert kein Schwein.
»Omiyage, so heißen die Mitbringsel, die die Japaner daheim verschenken. Und da die immer Europa in fünf Tagen machen, ist die Zeit knapp und die freuen sich, wenn sie dann alles auf einmal kaufen können«, so hat’s der Bierler erklärt. Ich fand die Idee bescheuert, aber der Erfolg hat ihm recht gegeben.
„Und jetzt kommt die japanische Mafia, um dem Bieler den Laden leerzukaufen?“
„Naja, ich glaub nicht, dass die hier Schutzgeld erpressen wollen“, grunzt mein Bruder.
„Woher will der Bierler das wissen, dass die von der Mafia sind?“
„Sag mal, du hast auch echt von nix eine Ahnung. Der Bierler erkennt seine Pappenheimer an den Fingern. Wenn so einer von der japanischen Mafia mal richtig Scheiße gebaut hat, dann wird er entweder umgebracht, oder er hackt sich ein Fingerglied ab. Dann ist die Ehre wiederhergestellt. Und man erkennt ihn für den Rest seines Lebens.“
Er muss es ja wissen, mein Herr Bruder. Immerhin ist er Busfahrer.
Irgendwie ist es schon seltsam, dass Schloss Neuschwanstein der absolute Hit ist unter den Asiaten. Unser Disney-Land, allerdings schon 150 Jahre alt. Ich bestelle mir noch eine Halbe.
„Das Bier musst‘ jetzt selbst zahlen, ich geh nach Haus.“
Ich seufze. Es ist halt unser Deal. Jeden zweiten Abend sitze ich hier mit meinem Bruder, er zahlt, und ich hör zu. Das liegt daran, dass ich die Zeit hab und er das Geld.
Eigentlich ist es unter meiner Würde, zu betteln, aber der Durst ist größer: „Komm, zahl‘s halt mit.“
„So locker hab ich‘s auch nicht. Du musst ein bisschen was über Kapitalismus lernen. Musst was investieren, dann kannst auch was verdienen.“
Ich seufze noch lauter. Wenn mein Bruder vom Kapitalismus anfängt, dann weiß ich, da geht wirklich nix mehr. Vielleicht muss ich in meinem Leben tatsächlich endlich was ändern, denke ich zum viertausendsten Mal.
* * *
„Eine schöne Scheiße ist das!“ Der Semmler Horst, das ist unser Polizist, und wenn der mal laut flucht, dann muss die Kacke echt am dampfen sein. Heute Abend ist er der Star und alle sitzen um ihn rum. Genießen tut er‘s, das weiß ich.
„Das glaubst‘s nicht, wie der das durchgezogen hat. Überholt mit nem alten, roten Golf den Bus, bremst ihn aus, springt aus der Karre, Skimaske überm Gesicht, ne Kalaschnikow im Anschlag. Alle Japaner raus aus dem Bus, mussten sich am Straßenrand aufstellen. Dann brüllt der Typ ‚Hands up‘, und dann nietet er den einen einfach um. Springt wieder in den Golf, und fort ist er.“
Er hat die Geschichte jetzt zum dritten Mal erzählt. Und nun folgt gleich der Teil, in dem er nochmal berichtet, welch wertvolle Hilfe er für die Kollegen von der Kripo aus Füssen gewesen ist, die natürlich auch sofort vor Ort waren.
„Wahnsinn! Hoffentlich macht das uns nicht das Geschäft mit den Japanern kaputt!“ Mein Bruder. Die Angst ist begründet, denn sein Busunternehmen lebt fast zu zwei Dritteln von den japanischen Kunden. Seit sie in jedem Bus eine hübsche japanische Reisebegleitung haben, brummt das Geschäft. Vor 30 Jahren, da war mein Bruder schlau genug gewesen, sich in die Firma einzukaufen.
„Du denkst auch immer nur an die Knete«, grummle ich, weil ich weiß, dass ich ihn damit reize. Und ich kenn seine Antwort, die auch diesmal mit Punktlandung erfolgt: „Ja klar, einer muss dein Bier ja bezahlen.“
Eigentlich müsste ich ihm das übel nehmen, so vor allen andern so rumzutönen. Aber es weiß ja eh jeder, dass ich von Hartz IV lebe und er der Typ mit der Kohle ist. Gut, ich mach auch noch ein bisschen den Hausmeister an der Grundschule, also nachmittags, wenn die Kinder weg sind, und das alles schwarz. Hinten im Dorf, auf dem fast verfallenen Hof, wo nur noch der depperte Luis wohnt, den mein Bruder nicht rausklagen kann, da hab auch ich mein Zwei-Zimmer-Kämmerlein, direkt unterm Dach, wo’s beim Regnen immer reinschifft, was mein Bruder aber nicht reparieren lässt.
Der Meininger schaltet sich nun auch in die Diskussion ein und sagt: „Des wär mir nur recht, wenn‘s die ganzen Schlitzaugen nicht mehr zum König aufs Schloss gehen.“ Und schon streiten sie sich wieder, mein Bruder und der Meininger, wie immer, wenn sie aufeinander treffen. Wobei es meinen Bruder nicht stört, dass der Meininger ein rassistisches Arschloch ist, sondern nur, dass wenn‘s die Schlitzaugen nicht gäb, auch sein Reichtum futsch wär.
* * *
Heute scheint der Semmler von innen raus zu strahlen.