3,49 €
Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Am Morgen des ersten Schultages nach den Osterferien stand die Köchin Magda an dem großen Herd in der hellen Küche von Sophienlust und achtete darauf, dass die Milch für den Frühstückskakao der Kinder nicht überkochte. Der alte Justus, ehemaliger Verwalter des Gutes, saß auf der Bank unter einem Fenster, dessen Flügel weit offen standen, sodass die milde Frühlingsluft ungehindert hereinströmen konnte. Sein Frühstück bestand aus einer großen Tasse Milchkaffee, zwei saftigen Scheiben von dem schmackhaften Bauernschinken und kräftigem Brot. Magda wandte sich nach dem alten Mann um und musterte ihn nachdenklich. Justus war auch sonst nicht sehr gesprächig, aber so still wie an diesem Morgen war er nur dann, wenn ihn irgendein Problem beschäftigte. Jäh erinnerte sich die Köchin an die Zeit, als Justus und sie sich stets in den Haaren gelegen hatten. Jetzt vertrugen sie sich recht gut und besprachen vieles miteinander. Er, das Stubenmädchen Lena und sie hatten noch bei der alten Sophie von Wellentin gedient und treu zu ihr gehalten. Jetzt dienten sie mit der gleichen Ergebenheit Denise von Schoenecker und deren Sohn Dominik, dem Erben von Sophienlust. »Justus, fehlt dir was?«, fragte Magda mitfühlend. »So schweigsam wie heute bist du selten. Plagt dich wieder einmal dein Zipperlein? Soll ich dir einen Tee kochen? Oje, jetzt wäre die Milch beinahe doch noch übergelaufen!«, rief sie und zog schnell den Topf vom Feuer. »Das Zipperlein lässt mich gottlob im Augenblick in Ruhe, dank deines Tees, Magda.« Justus schob den Holzteller mit dem Schinken zurück und legte den ledernen Tabakbeutel vor sich hin. »Stört's dich, wenn ich rauche?«, fragte er und zog bereits die Pfeife aus der Seitentasche seines Lodenrockes.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 152
Am Morgen des ersten Schultages nach den Osterferien stand die Köchin Magda an dem großen Herd in der hellen Küche von Sophienlust und achtete darauf, dass die Milch für den Frühstückskakao der Kinder nicht überkochte.
Der alte Justus, ehemaliger Verwalter des Gutes, saß auf der Bank unter einem Fenster, dessen Flügel weit offen standen, sodass die milde Frühlingsluft ungehindert hereinströmen konnte. Sein Frühstück bestand aus einer großen Tasse Milchkaffee, zwei saftigen Scheiben von dem schmackhaften Bauernschinken und kräftigem Brot.
Magda wandte sich nach dem alten Mann um und musterte ihn nachdenklich. Justus war auch sonst nicht sehr gesprächig, aber so still wie an diesem Morgen war er nur dann, wenn ihn irgendein Problem beschäftigte. Jäh erinnerte sich die Köchin an die Zeit, als Justus und sie sich stets in den Haaren gelegen hatten. Jetzt vertrugen sie sich recht gut und besprachen vieles miteinander. Er, das Stubenmädchen Lena und sie hatten noch bei der alten Sophie von Wellentin gedient und treu zu ihr gehalten. Jetzt dienten sie mit der gleichen Ergebenheit Denise von Schoenecker und deren Sohn Dominik, dem Erben von Sophienlust.
»Justus, fehlt dir was?«, fragte Magda mitfühlend. »So schweigsam wie heute bist du selten. Plagt dich wieder einmal dein Zipperlein? Soll ich dir einen Tee kochen? Oje, jetzt wäre die Milch beinahe doch noch übergelaufen!«, rief sie und zog schnell den Topf vom Feuer.
»Das Zipperlein lässt mich gottlob im Augenblick in Ruhe, dank deines Tees, Magda.« Justus schob den Holzteller mit dem Schinken zurück und legte den ledernen Tabakbeutel vor sich hin. »Stört’s dich, wenn ich rauche?«, fragte er und zog bereits die Pfeife aus der Seitentasche seines Lodenrockes. Bedächtig klopfte er sie auf dem Tisch aus.
»Rauch nur, Justus, das Fenster ist ja offen. Also, was bewegt dich? Sprich nur«, forderte sie ihn auf und nahm das Geschirr aus dem Küchenschrank, um es für Lena und Schwester Gretli auf dem Tisch bereitzustellen.
»Ja, das ist so«, begann Justus in seiner etwas umständlichen Art. »Heute früh war ich im alten Gärtnerhaus.«
»Ja, und?« Erstaunt sah Magda ihn an. »Was hast du denn dort gemacht?«
»Ich hab’s mir mal angeschaut.«
»Es soll doch noch in diesem Jahr abgerissen werden, weil an dieser Stelle ein neues Gebäude erbaut werden soll.«
»Ich weiß, ich weiß.« Justus steckte die Pfeife in Brand und zog genießerisch daran, dann nahm er sie wieder aus dem Mund. »Ja, das ist nämlich so: Meine Schwester diente viele Jahre bei den alten Riedls, den Eltern des Schriftstellers Norbert Riedl.«
»Wer ist denn das?«
»Norbert Riedl ist ein bekannter Autor. Im Augenblick arbeitet er an einem großen Roman und will sich für einige Monate aufs Land zurückziehen, um dort ungestört sein Buch vollenden zu können. Aber er hat Familie. Eine Frau und drei Kinder. Das alles hat mir meine Schwester geschrieben.« Justus zog wieder an der Pfeife.
»Ach, jetzt verstehe ich dich!«, rief Magda und stemmte beide Hände an ihre rundlichen Hüften. »Du meinst, die Familie soll in das alte Gärtnerhaus ziehen?«
»Du bist eine kluge Frau. Ja, so ist es. Ich glaube, das Haus wäre für die Riedls gerade richtig. Es gibt darin sogar ein Kaminzimmer. Meinst du, dass ich mich mal an die gnädige Frau wenden soll?«, fragte er sinnend.
»Aber ja. Nur unsere liebe gnädige Frau kann in einer solchen Angelegenheit entscheiden. Aber sie hat ja ein Herz aus Gold. Bestimmt wird sie einverstanden sein, wo doch die Familie auch Kinder hat. Sind es kleine Kinder?«
»Genaues weiß ich da nicht. Aber ich glaube, meine Schwester erwähnte etwas von zwei Mädchen und einem Jungen. Also, dann werde ich mit der gnädigen Frau sprechen.«
»Und ob, Justus. Ich würde das gleich heute vormittag tun. Sie kommt nämlich vorbei. Wo nur Schwester Gretli und Lena stecken? Die Kinder müssen doch frühstücken, sonst kommen sie bereits am ersten Schultag zu spät. Ach, da seid ihr ja!«, rief Magda erleichtert, als die beiden erschienen. »Das Frühstück ist fertig.«
Schwester Gretli und Lena bemächtigten sich des Geschirrs und verließen wieder die Küche, während Magda den Kakao zubereitete.
Justus erhob sich. »Ich geh dann«, erklärte er und stapfte zur Tür. Als er die Stufen der Freitreppe hinunterstieg und dann die Richtung zu den Stallungen einschlug, kam Dominik angeradelt.
»Guten Morgen, Justus!«, rief der Junge fröhlich.
»Guten Morgen, junger Herr«, schmunzelte der alte Mann vergnügt. »Schon so früh hier?«
»Ja, Justus.« Dominik stieg vom Rad. »Ich fahre mit dem Schulbus ins Gymnasium. Vorher möchte ich noch mit den anderen Kindern frühstücken. Ich finde, am ersten Schultag kann man ruhig zweimal frühstücken.«
»Natürlich, junger Herr. Du willst ja auch noch wachsen.«
»Und ob. Obwohl ich schon einer der größten in meiner Klasse bin. Aber jetzt muss ich weiter.« Er nickte dem alten Mann freundlich zu und setzte seinen Weg fort.
Justus blickte ihm nach, dabei erinnerte er sich an den Tag, als er erfahren hatte, dass Sophienlust zu einem Kinderheim umgebaut werden sollte. Nicht nur er hatte sich dagegen gestellt. Heute jedoch konnte er sich das Herrenhaus ohne die Kinder kaum mehr vorstellen. Mit ihnen war neues Leben nach Sophienlust gekommen, mit ihnen war auch er noch einmal jung geworden.
»Ja, so ist es«, murmelte er und ging weiter.
*
Indessen saßen die Kinder am Frühstückstisch und sprachen über den ersten Schultag. Malu half der Kinderschwester beim Einschenken des Kakaos. Schnell waren die Körbchen mit den frischen Semmeln geleert. Die Kinder ließen es sich schmecken.
Pünktchen blickte immer wieder zur Tür. Wo Nick nur bleibt, fragte sie sich. Als er endlich erschien, atmete sie wie befreit auf. Seitdem sie auch ins Gymnasium ging, waren für sie die Fahrten mit dem Schulbus das allerschönste vom ganzen Tag, weil sie dann neben Nick sitzen durfte.
»Guten Morgen!«, rief Nick fröhlich und setzte sich an seinen Platz.
»Guten Morgen!«, riefen auch die anderen.
»Ich dachte schon, du kämst nicht«, sagte Pünktchen.
»Wie findest du mein neues Kleid?«, fragte sie schelmisch.
»Ist das neu?«
»Aber ja, Tante Isi hat es doch gestern für mich gekauft.«
»Was Mutti aussucht, ist immer hübsch«, erklärte der Junge. Mädchenkleider interessierten ihn kaum, aber da er Pünktchen nicht kränken wollte, fügte er hinzu: »Ja, du siehst hübsch darin aus. Das Grün passt gut zu deinem rotblonden Haar und deinen veilchenblauen Augen. Aber ich glaube, du hast noch mehr Sommersprossen bekommen«, neckte er sie, weil er wusste, dass er mit dieser Bemerkung einen wunden Punkt bei ihr berührte.
»Das ist nicht wahr!«, rief sie da auch schon empört. »Nicht wahr, Isabel, du hast doch auch gesagt, dass meine Sommersprossen allmählich verschwinden.« Hilfe suchend blickte sie ihr Gegenüber an.
»Ja, Nick, Pünktchen hat bestimmt weniger Sommersprossen als früher«, versicherte das dunkelhaarige Mädchen mit den ernsten Augen.
»Na ja, ich kann mich ja auch geirrt haben.« Nick grinste.
Die Schwestern Angelika und Vicky kicherten. Sie fanden es immer sehr lustig, wenn Pünktchen und Nick sich zankten.
»Nick, lass Pünktchen in Ruhe«, bat die bereits sechzehnjährige und dementsprechend vernünftige Malu.
»Ich ärgere mich ja schon nicht mehr!«, rief da Pünktchen und lachte schon wieder übers ganze Gesicht.
»Misch dich lieber nicht ein«, riet Isabel. »Das führt zu nichts.«
»Ich weiß.« Malu blickte auf ihre Armbanduhr.
Da rief auch schon Frau Rennert von der Tür her: »Beeilt euch, Kinder. Die Busse warten schon im Hof.«
Die Kinder standen auf und holten ihre Schulmappen. Fünf Minuten später verließen die beiden roten VW-Busse den Gutshof, um die Kinder in die Dorfschule und zum Gymnasium zu bringen.
Frau Rennert stand noch ein Weilchen unter der Tür, um den beiden Wagen nachzublicken. Als sie sich umdrehte, um ins Haus zu gehen, hörte sie ein Auto. Es war der Wagen von Denise von Schoenecker. Frau Rennert wartete auf die junge, bildhübsche und schwarzhaarige Besitzerin von Sophienlust.
Nach der Begrüßung begaben sich die beiden Damen ins Büro, um die wichtigsten Tagesfragen zu erörtern.
»Wie still es ist«, stellte Frau Rennert plötzlich fest.
»Ja, so ist es. Man empfindet die Stille besonders stark am ersten Schultag«, erwiderte Denise. »Frau Rennert, ich fahre nachher in die Stadt. Würden Sie bitte so freundlich sein, mir eine Aufstellung von den Sachen zu machen, die ich besorgen muss? Ich möchte in etwa einer halben Stunde abfahren.« Sie erhob sich vom Schreibtisch. »Ich gehe inzwischen zu den Ställen. Nick erzählte mir gestern ganz begeistert von dem neugeborenen Ponyfohlen. Ich möchte es mir gern anschauen.«
»Das Fohlen ist wirklich bildhübsch«, sagte Frau Rennert, »und die ganze Freude der Kinder.«
Denise lächelte und stieg wenig später die Stufen der Freitreppe hinunter. Tief atmete sie die klare Luft ein. Was für ein herrlicher Tag, dachte sie und blickte sich mit leuchtenden Augen um.
Da kamen die Spanielhunde Bim und Bam und Malus Wolfsspitz Murkel angelaufen. Mit freudigem Gebell begrüßten sie Denise, die Mühe hatte, die stürmischen Hunde abzuwehren.
»Bim, Bam!«, rief sie lachend. »Ihr macht mich ja ganz schmutzig. Murkel, pfui, jetzt ist mein Rock tatsächlich schmutzig geworden von deinen dicken Pfoten.« Sie versuchte den Fleck abzuklopfen.
»Bim! Bam! Murkel!« Justus rief die Hunde, die ihm aufs Wort folgten. »Sie sind halt heute außer Rand und Band«, entschuldigte sich der alte Mann. »Guten Morgen, gnädige Frau«, sagte er dann, froh darüber, dass sich für ihn eine so schnelle Gelegenheit ergab, mit Denise von Schoenecker über die Riedls zu sprechen. »Da wär noch was«, begann er und drehte seine Mütze verlegen in den Händen.
»Ja?« Denise sah ihn freundlich an.
Justus brachte sein Anliegen vor.
»Das Gärtnerhaus?«, fragte Denise. »Ja, eigentlich sollte es in diesem Sommer abgerissen werden. Aber damit könnte man auch noch ein Jahr warten«, überlegte sie laut. »Norbert Riedl? Ja, ich habe schon etwas von ihm gelesen. Drei Kinder hat er?«
»Ja, gnädige Frau, zwei Mädel und einen Jungen.«
»Also gut, Justus, schreiben Sie an Ihre Schwester. Aber warten Sie noch damit, bis ich mit meinem Mann gesprochen habe. Die Riedls möchten sich dann bitte an mich wenden.«
»Vielen Dank, gnädige Frau. Also dann warte ich halt noch, bis Sie mit dem gnädigen Herrn gesprochen haben.«
»Kommen Sie bitte in einer halben Stunde zu mir ins Büro. Dann kann ich Ihnen endgültigen Bescheid geben. Aber nun würde ich gern unser jüngstes Fohlen bewundern.«
»Es ist ganz allerliebst. Die Kinder wollen es Othello taufen.«
Denise lachte. »Über den Namen werden wir noch sprechen.«
Denise blieb ein Weilchen bei dem Fohlen und seiner Mutter Judy, dann kehrte sie ins Haus zurück, um Alexander anzurufen.
»Denise, was gibt’s?«, fragte er mit seiner klangvollen warmen Stimme.
»Alexander, es handelt sich um das Gärtnerhaus.« Sie erzählte ihm von der Bitte des ehemaligen Verwalters.
»Natürlich habe ich nichts dagegen, dass die Riedls eine Zeit lang im Gärtnerhaus wohnen. Weißt du, ich fände es schade, das Haus abzureißen. Als ich es vorige Woche mit einem Herrn von der Baufirma noch einmal besichtigt habe, war ich ganz begeistert von den Räumlichkeiten. Sogar ein Kaminzimmer gibt es dort.«
»Ich weiß, Alexander. Nicks Urgroßvater hat den Kamin einbauen lassen, weil der damalige Gärtner besondere Achtung bei ihm genoss und ihn darum gebeten hatte. Du weißt doch, dass ich das Tagebuch der Sophie von Wellentin mit großer Begeisterung gelesen habe. Sie hat so anschaulich geschrieben, dass man glaubt, einen spannenden Roman zu lesen. Gegen Mittag bin ich wieder bei dir, ich muss noch in die Kreisstadt.«
»Und ich ins Dorf. Auf Wiedersehen, mein Liebes. Fahr vorsichtig!«
»Das tue ich doch immer.« Denise legte lächelnd auf. Sie war in ihren Mann noch genauso verliebt wie am ersten Tag ihrer so glücklich gewordenen Ehe.
Manchmal glaubte sie, ein blutjunges Mädchen zu sein. Eine lächerliche Empfindung, sagte sie sich, aber trotzdem war es so. Dabei waren ihre beiden Stiefkinder Sascha und Andrea fast erwachsen und Nick bereits vierzehn Jahre alt. Der kleine Henrik war allerdings erst sechs.
Es klopfte, und Justus betrat das Büro mit erwartungsvollen Augen.
»Es geht in Ordnung, Justus«, sagte Denise. »Die Riedls können das Haus für einige Monate mieten.«
»Dann werde ich noch heute schreiben, gnädige Frau. Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Ist schon gut, Justus. Sie wissen ja, dass ich jedem helfe, wenn es in meiner Macht liegt.«
Justus verabschiedete sich. Als er ging, erschien Frau Rennert mit der verlangten Liste. Wenig später fuhr Denise los.
Zwei Stunden später war sie wieder zurück und lieferte die Einkäufe ab. Da ihr noch ein wenig Zeit blieb, entschloss sie sich, auf einen Sprung zum Gärtnerhaus zu gehen, um es zu besichtigen. Carola Rennert, die Schwiegertochter von Frau Rennert, begleitete sie.
»Tante Isi, ich freue mich, dass das Gärtnerhaus in diesem Jahr noch nicht abgerissen wird.«
»Nachdem ihr alle so begeistert von dem alten Bau seid, werde ich mir die Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen lassen.« Denise sah die junge Frau an. »Warst du denn schon mal drinnen?«
»Und ob!« Carola lächelte verschmitzt. »Vor vielen Jahren. Weißt du, schon damals war Nick sehr pfiffig. Er hatte herausbekommen, dass man durch eines der Kellerfenster leicht in das Haus eindringen konnte. Natürlich haben wir das weidlich ausgenützt«, bekannte sie fröhlich.
»Nick war schon immer ein rechter Schlingel«, stellte Denise mit mütterlichem Stolz fest.
Das Gärtnerhaus befand sich hinter den Wirtschaftsgebäuden, dicht an der alten Parkmauer. Ein kleiner, jetzt völlig vernachlässigter Garten umgab es. Die Gartentür war ebenso reparaturbedürftig wie der Zaun. Efeu rankte sich an den Hauswänden hoch.
Denise stieg die wenigen Stufen zum Eingang hinauf und schloss die Haustür auf. »Bitte, Carola, öffne doch die Fensterläden hier unten«, bat sie. »Ich werde das oben besorgen. Das Haus muss gelüftet werden.«
Carola befolgte die Bitte, während Denise nach oben stieg.
»Tante Isi!«, rief Carola nach einer Weile von unten. »Schau mal, was ich da gefunden habe.«
»Was denn?«
»Eine Puppe! Ich kann mich entsinnen, dass einmal ein Mädchen, das in Sophienlust war, ich glaube, es war die Susi, verzweifelt nach seiner Puppe gesucht hat. Sie hatte sie mit ins Gärtnerhaus genommen und dann hier liegen gelassen.«
Denise kam wieder die Treppe herunter. »Ja, nun erinnere ich mich auch. Damals habe ich dem Kind ein neues Püppchen geschenkt.«
»Ich nehme die Puppe mit. Nicht wahr, ich darf sie doch behalten? Weißt du, ich habe oft sentimentale Anwandlungen und denke viel an die Zeit, als ich als schüchternes Mädchen zu euch kam. Damals fing ich erst wirklich zu leben an und begriff, dass es nicht nur Böses auf der Welt gab.«
Gerührt betrachtete Denise das hübsche Gesicht der jungen Frau, die wie so viele Menschen auf Sophienlust ein wirkliches Glück gefunden hatte. »Natürlich darfst du sie behalten«, sagte sie weich. »Ich glaube, wenn man das Haus renovieren lässt, wird es sehr wohnlich werden. Auch liegt es sehr abgelegen, sodass Norbert Riedl in Ruhe hier arbeiten kann. Aber vielleicht gefällt ihm das Haus nicht«, meinte sie.
»Warum nicht, Tante Isi?«, fragte Carola.
»Na, wir werden es ja sehen. Aber nun muss ich auf dem schnellsten Weg nach Schoeneich fahren. Martha bringt das Essen immer pünktlich auf den Tisch.«
Carola lachte und brachte Denise noch bis zu ihrem Wagen, dann eilte sie ins Haus zurück, um ihrer Schwiegermutter beim Tischdecken behilflich zu sein. Denn jeden Moment konnten die Kinder aus der Schule zurückkommen.
*
Als Dominik später erfuhr, dass das Gärtnerhaus an einen Schriftsteller und dessen Familie vermietet werden sollte, war er begeistert. »Mutti, ich finde das klasse!«, rief er. »Norbert Riedl ist ein sehr bekannter Schriftsteller. Mensch, dass er hier wohnen soll, ist …«
»Klasse!«, rief Sascha vergnügt, der ausnahmsweise zu Hause war. Er studierte bereits in Heidelberg.
»Hör auf.« Nick blickte seinen älteren Bruder ärgerlich an.
»Sind die Kinder nett?«, fragte Andrea.
»Ich hoffe es.« Denise öffnete die Tür zum Speisezimmer in Schoeneich, wo bereits der Abendbrottisch gedeckt war. »Nick, du hast uns noch gar nichts von deinem ersten Schultag erzählt.«
»Was gibt es da schon zu erzählen. Ich wäre froh, wenn ich nie mehr in die Schule zu gehen brauchte. Ich kann es gar nicht erwarten, endlich erwachsen zu sein.«
»Mein Sohn, später wirst du anders denken«, erklärte Alexander von Schoenecker und setzte sich. »Die Schulzeit ist bekanntlich die schönste Zeit im Leben.«
»Das nehme ich dir nicht ab, Vati.« Nick zog seine Serviette aus dem silbernen Ring und entfaltete sie. »Die Schule ist doch nicht besser als ein Gefängnis. Während draußen das schönste Wetter ist, muss man in einem Klassenzimmer herumsitzen und sein Gehirn anstrengen.«
Während des Essens bot dann die Familie Riedl einen interessanten Gesprächsstoff.
»Ich werde morgen versuchen, ein Buch von ihm zu bekommen«, erklärte Nick.
»Und ich werde es von der ersten bis zu letzten Seite auch lesen. Schließlich muss man ja mitreden können.«
»Wahrscheinlich wird Norbert Riedl ganz zurückgezogen leben, denn er zieht sich ja in die Einsamkeit zurück, um in Ruhe schreiben zu können.« Denise amüsierte sich im Stillen über Nick, dessen Begeisterung über den Einzug der Riedls ins Gärtnerhaus typisch für ihn war. Vermutlich erwartete er sich wieder einmal etwas Besonderes davon, eine sensationelle Begebenheit, die seine sowieso schon blühende Fantasie noch mehr anregte.
»Er soll ganz toll aussehen«, bemerkte Andrea schwärmerisch.
»Woher weißt du denn das schon wieder?«, wunderte sich Sascha.
»Ich weiß es halt«, trumpfte Andrea auf. »In der Schule reden wir halt über berühmte Männer.«
»Vielleicht freut ihr euch alle zu früh«, schränkte Alexander ein. »Noch ist die Sache nicht perfekt. Wenn die Riedls erfahren, dass das Haus renoviert werden muss, werden sie vielleicht kein Interesse mehr daran haben.«
»Das wäre gemein!«, empörte sich Nick. »Wo ich mich doch schon so sehr auf die Familie freue.«
»Ich auch!«, rief Henrik, der bis dahin auffallend still gewesen war.
»Geh, was verstehst du denn schon davon, du kleiner Dreikäsehoch!«, neckte Dominik ihn.
»Ich bin kein Dreikäsehoch!« Henrik warf seinem älteren Bruder einen kriegerischen Blick zu.
»Hört zu streiten auf«, lachte Denise. »Henrik, für dich wird’s Zeit, ins Bett zu gehen.«
»Und ich will mir noch den Western im Fernsehen anschauen«, erklärte Nick. »Darf ich aufstehen, Mutti?«
»Ja, Nick.«
»Ich schaue mir den Film auch an.« Andrea erhob sich ebenfalls und folgte Nick in die Halle.
*
Bereits eine Woche später stand fest, dass die Riedls das Gärtnerhaus mieten würden. Einige Tage nach diesem Bescheid kam Norbert Riedl selbst nach Sophienlust, um das Haus zu besichtigen. Zufällig war auch Denise gerade da. Sie begrüßte den unerwarteten Gast überaus liebenswürdig.
»Verzeihen Sie meinen formlosen Überfall«, entschuldigte sich der Schriftsteller mit seinem charmantesten Lächeln. »Leider kann ich nie im Voraus sagen, wann ich mich frei machen kann.«