Kommissar Goethe: Schillers Schädel - Johannes Wilkes - E-Book

Kommissar Goethe: Schillers Schädel E-Book

Johannes Wilkes

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Beschreibung

Ein Dichterfürst beigesetzt in einem Gemeinschaftsgrab! Für mittellose Adelige und bedeutende Persönlichkeiten zwar, aber keine würdige letzte Ruhestätte für Friedrich von Schiller! Mehr als 20 Jahre nach Schillers Tod sucht man schließlich im Weimarer Kassengewölbe nach seinen Gebeinen und bringt sie in die Herzogliche Bibliothek. Sehr zur Freude des dortigen Bibliothekars Johann Wolfgang von Goethe. Zur Inspiration für seine inneren Zwiegespräche mit dem toten Freund leiht er sich kurzerhand dessen Schädel aus. Doch man stelle sich sein Entsetzen vor, als er darin ein Loch entdeckt, das einen schrecklichen Verdacht in ihm weckt: Sein Freund wurde ermordet! Und so wird der Dichterfürst zum Kommissar. Der Autor unterstützt ihn humorvoll mit Mitteln, die den Ermittlern heute zur Verfügung stehen, bis Goethe den Fall lösen kann. Ein witziger, bisweilen aberwitziger Krimi, dem es weder an Spannung noch an literarischem Wissen über die Weimarer Klassik und Respekt für die deutschen Dichterfürsten fehlt.

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Seitenzahl: 232

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalte

Titelangaben

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Nachträge

Mehr Bücher von Johannes Wilkes

Info

Johannes Wilkes
Kommissar Goethe:
Schillers Schädel
Ein literarischer Krimi
Prolibris Verlag
Ähnlichkeiten mit verstorbenen Personen sind nicht ganz zufällig und auch nicht gänzlich zu vermeiden.
Alle Rechte vorbehalten,
auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe
sowie der Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2024
Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29
Titelfoto © Adobe Stock, Archivist
bearbeitet im Prolibris Verlag
Schriften: Linux Libertine
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-271-3
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich:
ISBN: 978-3-95475-261-4
www.prolibris-verlag.de
Der Autor
Johannes Wilkes ist Autor zahlreicher Krimis, aber auch unblutiger Bücher. Sein erster Kriminalroman aus dem Jahr 2013, “Der Tod der Meerjungfrau”, spielt auf Spiekeroog, ihm folgten bisher im Prolibris Verlag noch fünf weitere Krimis, die auf dieser Insel spielen. Im sechsten Fall startet sein Ermittlerpärchen mit Kultstatus, Karl-Dieter und Mütze, seine Suche nach einer verschwundenen Leihmutter von der Familieninsel Spiekeroog aus.
Seine Kenntnisse über Franken, Erlangen und Nürnberg bewies er in mehreren Landschafts- und Städteportraits. “Abgestürzt” ist ein weiterer Kriminalroman, der in Franken spielt.
Sein humoristisches, bisweilen schwarzhumoriges Talent mit Hang zum Skurrilen bewies Johannes Wilkes erstmals in “Ein Terrorist im Gepäck” und nun in dem literarischen Krimi “Kommissar Goethe: Schillers Schädel”, in dem er aber auch sein großes Wissen um die Weimarer Klassik offenbart.
Kapitel 1
Weimar, Anfang Mai 1827
Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will …
(Goethe, Faust I – Vor dem Tor)
FREITAG
»Ein für alle Mal, Eckermann, komm mir nie wieder mit diesem Ding daher!« Unwillig warf Goethe das Diktiergerät auf seinen Schreibtisch, scheppernd knallte es gegen die Büste der Athene.
»Aber Herr Geheimer Rat …«
»Schluss, aus, Amen, das ist mein letztes Wort! Wir machen weiter wie gewohnt. Ich diktiere, du schreibst.«
Mit heftiger Bewegung begann Goethe im Zimmer auf und ab zu laufen, wobei er seine Fingerknöchel knacken ließ.
»Was steht an, Eckermann?«
»Die letzten Korrekturen von Faust II, die Nachbestellungen des Mainweins und dann noch das Schreiben dieses Herrn Lunz.«
»Lunz? Gibt der Mensch denn keine Ruh!«
»Sie hatten ihm zugesagt.«
»Ja, ja, ich weiß, Eckermann. Bin selbst schuld daran. Was aber soll ich in einer Talk-Show? Was ist das überhaupt?«
Eckermann musste sich zusammenreißen, um nicht mit den Augen zu rollen. Warum wollte sich Goethe aber auch partout keinen Fernseher anschaffen? »Ein Gespräch vor Publikum.«
»Wer soll sich dafür interessieren? Die Leute sollen ins Theater gehen oder auch in Konzerte oder sich selbst Gäste zum Gespräch einladen. Stattdessen sitzen sie stumm daheim vor diesen flimmernden Kästen und hören sich Geschwätz an. Für was soll das gut sein?«
»Herr Geheimer Rat …«
»Schon gut, Eckermann. Ich denke, wir fangen mit der Bestellung des Mainweins an.« Bei diesen Worten trat er zu seinem Hamsterkäfig und steckte Fäustchen eine Apfelscheibe zwischen die Stäbe.
Kapitel 2
Dämmerung senkte sich von oben, als Goethe kniend die Erde aufwühlte. Schon war alle Nähe fern, doch leuchtete holden Lichts bereits der Abendstern. Goethe aber hatte seinen Blick nach unten gerichtet. Ein Seufzer entfuhr ihm. Nun fing auch Ferdinand, sein alter Gärtner, an zu schwächeln. Wenn er nicht selbst regelmäßig nach seinem Gartenhaus im Ilmpark sehen würde, drohte alles zu verwildern. Mühsam entfernte er das Unkraut, das seine geliebte Schattenlilie zu ersticken drohte.
»Ich ging im Walde …«, murmelte er so für sich hin. Im Schatten hatte er ein Blümchen steh’n seh’n, wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön. »Ich grub’s mit allen den Würzlein aus, zum Garten trug ich’s am hübschen Haus.«
Wenn es nur nicht so schrecklich im Kreuz zwicken würde! Jedes Mal, wenn er in die Knie ging, stach es im Rücken. In Weimar gebe es doch ein Haus, das Linderung für solche Beschwerden verspreche, wusste Eckermann, Kiesel-Training nenne sich das Verfahren, das man dort anwende. Der alte Wieland habe die Trainingsräume regelmäßig besucht und auch Herder sei dort kurz vor seinem Tod noch gesichtet worden. Das hatte den Ausschlag gegeben. Mit Tattergreisen und Schmerzpatienten wie Wieland und Herder Gummibänder in die Länge ziehen? Nie im Leben!
Ach, wenn Christiane doch noch leben würde! Mit ihren Zauberhänden würde sie seinen Rücken massieren und alle Schmerzen flögen davon. Und kämen sie zurück, umso fröhlicher würde er sie begrüßen und sich auf die nächste Massage freuen.
Ja, die guten alten Zeiten! Im Grunde war ihm nur noch Schiller geblieben, zumindest sein Schädel. Wie freute er sich schon jetzt, auch heute abendliche Zwiesprache mit ihm zu halten!
Kapitel 3
Das Alter ist ein höflicher Mann, dachte sich Goethe, als er durch den Ilmpark zurück zur Stadt schritt, ein übers andre Mal klopft er an, aber niemand sagt: Herein! Und tritt er ein recht schnell, heißt es, er sei ein grober Gesell.
Ja, die goldene Jugendzeit, verflossen, vorbei. Auch einem Olympier silberte das Haar und sprödeten die Knochen. Als Goethe über die kleine Holzbrücke trat, musste er daran denken, wie er in manch lauer Frühlingsnacht ein Bad im Fluss genommen hatte. Doch selbst wenn er immer noch Lust darauf verspürte und der Abend schmeichelnd mild war, bei seinen Prostatabeschwerden war eine solche Aktion Harakiri.
»Füllest wieder Busch und Tal still mit Nebelglanz«, sprach er wehmütig, mehr zu sich als zum Mond, der sich keck ein Wölkchen hinters Ohr geschoben hatte. In diesem Garten, an diesem Fluss hatte er seinen Bettschatz zum ersten Mal geküsst. Das Gartenhaus war ihnen zum Lustschlösschen geworden. Welch unaussprechliche Wonnen hatte er dort durchlebt, genossen, »was so köstlich ist. Dass man doch zu seiner Qual nimmer es vergisst!«
Allein durchs Alter zu schlurfen, das war die schlimmste Pein. Eckermann in allen Ehren, er hatte seine Qualitäten, zweifellos, aber die Frau konnte er ihm nicht ersetzen. Vielleicht sollte er sich nach einer neuen Liebe umsehen. Vielleicht auf einer Kur in Karlsbad, oder nein, besser in Marienbad. Dort kurten die hübscheren Damen.
Kapitel 4
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er alle Vorhänge sorgfältig verschlossen und dem Hamster noch ein wenig Futter in den Käfig gestreut hatte, öffnete Goethe die schwere Holztruhe und holte die Glashaube hervor. Vorsichtig stellte er sie auf den Tisch und zündete die Nachtkerze an; träumerisch wurde sein Blick. Aus dem Glas lachte ihn Schiller an, besser, Schillers Schädel. Im Leben war Schiller ja oft so ernst gewesen, die Verwesung aber, die Befreiung von allen Weichteilen, hatte ein unverwüstliches Lächeln auf sein Gesicht gezaubert. »Vielleicht ist der Tod doch nicht so schlimm«, dachte sich Goethe, »nicht schlimmer jedenfalls als Hundegebell und Tabakrauch.«
Er war dankbar dafür, Schillers Schädel entführt zu haben und sei es nur für ein Weilchen. Der blaue Samt, auf dem der Totenkopf ruhte, sah er nicht aus wie ein eleganter Schal? Und das Flackern der Kerze, machte es den Knochen nicht lebendig? Die Schatten in den Augenhöhlen rollten lebhaft hin und her. Manchmal war es Goethe, als riefe Schiller ihm zu: »Glücklich! Glücklich! Dich hab ich gefunden, hab aus Millionen dich umwunden, und aus Millionen mein bist du – Lass das Chaos diese Welt umrütteln, durcheinander die Atomen schütteln: Ewig fliehn sich unsre Herzen zu!«
Bei diesen Versen begann es in Goethes Augen feucht zu schimmern. Was würde er darum geben, den Freund, den geliebten noch einmal lebendig machen zu können, ach nur, ach nur ein Viertelstündchen lang! Und im Überschwang eines plötzlichen Gefühls entfernte er die Glashaube, griff sich den Schädel und drückte ihn ans Herz: Selig, wer sich vor der Welt, ohne Hass verschließt, einen Freund am Busen hält und mit dem genießt!
Als er sich aber nach einer gefühlten Ewigkeit wieder von Schiller löste und den Schädel zurück auf sein blaues Podest stellen wollte, stutzte Goethe. Was war das? Warum war ihm das niemals zuvor aufgefallen? Vorsichtig drehte er den Schädel zwischen den Händen und fixierte ihn mit scharfem Auge. Dann stülpte er ihn über die Kerze, so dass die Knochen von innen warm aufschienen. Jetzt sah man ihn noch deutlicher! Den Punkt! Über die stuckierte Zimmerdecke flitzte er wie ein Laserpoint, je nachdem, wie Goethe den Schädel kippte. Konnte, durfte das sein? Mit pochendem Herzen wickelte Goethe die Tischdecke um den Schädel und steckte ihn in seine Reisetasche. Gleich morgen würde er sich Gewissheit verschaffen!
Kapitel 5
»Krause, anspannen!«
»Jawohl, Herr Geheimer Rat. Wohin geht die Fahrt?«
»Nach Jena!«
Krause lachte. »Na, da kann ich ja das Navi getrost in der Tasche lassen.«
Goethe bugsierte seine müden Knochen in die Kutsche und los ging’s. Gut, dass er als Minister noch eine Stange Geld für einen vernünftigen Straßenbelag investiert hatte, dachte sich Goethe zufrieden. So erreichten sie ihr Ziel bereits kurz vor Mittag. Kutscher Krause verstand seinen Job. An der Pathologie angekommen, stürmte Goethe sogleich in das Gebäude, die Reisetasche mit Schillers Schädel in der Hand.
Professor Pfropfenstiel, der erfahrene Medizinalrat, den er selbst noch an die Jenaer Universität berufen hatte, wühlte gerade in den Gedärmen einer älteren Dame. Überrascht sah er auf. »Goethe! Was verschafft mir die Ehre?«
»Mein lieber Schiller«, erwiderte Goethe und begann, den Schädel auszuwickeln.
Die Stunde seines größten Triumphes hatte er einst in diesem Institut gefeiert. An diesem Ort hatte er ihn nachweisen können, den Zwischenkieferknochen beim Menschen, am Köpfchen eines Embryos. Das Os intermaxillare unterschiede den Affen vom Menschen, hatten die ach so klugen Wissenschaftler behauptet, nur der Affe besäße die kleine Verknöcherung. Pustekuchen! Mit der Lupe vor dem Auge hatte er den Zwischenkieferknochen beim Menschen gefunden. Das schöne Argumentationsgebäude der weisen Herren war in sich zusammengestürzt, er, Goethe, hatte Recht behalten und was gab es Schöneres? Er hatte eine Freude verspürt, dass sich ihm alle Eingeweide bewegt hatten, und an Herder hatte er jubelnd geschrieben: »Ich habe gefunden weder Gold noch Silber, aber das Os intermaxillare beim Menschen!« Doch nicht, um Schillers Zwischenkieferknochen nachzuweisen, war er heute nach Jena gereist, es ging ihm um etwas völlig anderes.
»Sehen Sie hier, Pfropfenstiel, sehen Sie dieses Loch?«
Pfropfenstiel schob seine Nickelbrille auf die Nasenspitze und nahm Schillers Schädel in die Hand. Tatsächlich! An der höchsten Stelle des Schädels, dort, wo die Knochennähte Schläfen- und Stirnbeine fixierten, war ein winziger Defekt zu sehen. Pfropfenstiel nahm die Lupe zur Hilfe.
»Das Loch hat eine exakt dreieckige Form«, rief er überrascht.
»Pfropfenstiel, wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen«, sagte Goethe mit düsterer Stimme.
»Sie meinen …?«
»Schiller. Man hat ihn ermordet!«
Kapitel 6
Nicht an der Tuberkulose, nicht an seinen ewigen Lungenproblemen war der Freund gestorben. Heimtückisch hatte ihm jemand den Schädel durchstoßen. Goethe wischte sich den Schweiß von der Stirn. Um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, war er hinaus in den nahen Botanischen Garten gegangen, den man nach seinen Plänen hatte anlegen lassen. Hier saß er nun auf einer kleinen Anhöhe, hinter der sich die alpine Pflanzenwelt ausbreitete.
Wer um alles in der Welt war zu so einer Tat fähig? Welche Feinde hatte der geliebte Freund gehabt? Klar, mit seinen Freiheitsgesängen hatte er für Ärger gesorgt, für gewaltigen Ärger sogar. Nicht bei den jungen Leuten, nicht in der gebildeten Welt, wohl aber bei all denen, die von der Unfreiheit profitierten, bei den ewig rückständigen Fürsten vor allem.
Goethes Augen verengten sich. Ob am Ende …? Ob Schillers alter Landesherr, der Fürst von Württemberg, dahintersteckte? Vor Karl Eugen, dem Despoten hatte Schiller fliehen müssen, wegen des Stücks Die Räuber mit seinen revolutionären Gedanken, und seine Nachfolger waren nicht besser. Als man Schiller ermordet hatte, 1805, war ein Neffe von Karl Eugen auf den Thron gelangt, Herzog Friedrich Wilhelm Karl. Ob dieser einen Mörder gedungen hatte? Aus altem Familienhass, auch Rachsucht? Ob es ein Staatsverbrechen war, gut getarnt durch einen unauffälligen Stich ins Hirn?
Lange hatte er mit Pfropfenstiel diskutiert, wie die Tatwaffe beschaffen sein musste. Das Loch war nicht größer als ein Fliegenschiss. Musste da nicht jede Nadel am Knochen zerbrechen, selbst, wenn sie dreieckig geschliffen war? Um einen Menschen zu töten, musste das Werkzeug zudem tief in den Schädel gedrungen sein, bis hinunter ins Stammhirn. Die Nadel, wenn es denn eine Nadel war, musste mit brachialer Gewalt hineingeschlagen worden sein: zack, zack, zack! Goethe hieb dreimal kräftig auf die Armlehne der Bank. Dann sprang er auf und eilte hinunter Richtung Ausgang. Ein Gedanke war ihm gekommen.
Kapitel 7
»Wo haben Sie das Teil denn her?« Der Pathologe staunte nicht schlecht, als Goethe seine Reisetasche öffnete.
»Eine Stechahle. Schuster Hillenbrandt war so freundlich.« Goethe sah sich suchend um. »Die Dame auf dem Tisch hinter ihnen, darf ich sie zu einer kleinen Demonstration benutzen?«
»Kein Problem! Sie hat ihren Körper der Wissenschaft zur Verfügung gestellt.«
»Ehrenwert, ehrenwert«, rief Goethe. »Nun bräuchte ich nur noch einen Hammer.«
Pfropfenstiel holte einen aus der Schublade und reichte ihn Goethe. Der zögerte nicht lange, trat an das Kopfende der Toten, setzte die Stechahle an den Schädel und schlug entschlossen zu. Der eine Schlag reichte aus. Der Stahl der Stechahle war bis zum Anschlag in den Kopf der Dame gedrungen. Es sah aus, als trüge die Tote nun einen Dutt aus Holz. Pfropfenstiel staunte nicht schlecht.
Vorsichtig zog Goethe die Stechahle wieder heraus. Jedem unbefangenen Besucher wäre das kleine Loch nicht weiter aufgefallen. Die Haare der Toten verbargen den kleinen Blutfleck, der sich zu bilden begann.
»Blut ist ein ganz besonderer Saft«, entfuhr es Goethe.
»Der perfekte Mord«, murmelte der Pathologe.
»Kein Wort zu niemandem, Pfropfenstiel!«
Kapitel 8
Schiller! Sein Schiller! Heimtückisch ermordet. Und auf was für eine perfide Weise! Goethe sah aus der Kutsche, die über das Pflaster von Jenas Altstadt rumpelte. Was für glückliche Stunden hatte er mit Schiller erleben dürfen! Es hatte ein Weilchen gedauert, bis sie miteinander warm geworden waren, dann aber hatten sie nicht mehr voneinander lassen wollen. Auf sein Betreiben hin hatte Karl August den aufmüpfigen Schiller nach Jena berufen, an ihre berühmte Weimarer Universität. Die Studenten hatten den jungen Schwaben wie einen Popstar empfangen.
»Zu Schillers Gartenhaus!«, rief Goethe Krause zu.
Kurz hatte er überlegt, zu Caroline zu fahren. Caroline von Wolzogen, Schillers Schwägerin, lebte außerhalb der Stadt zurückgezogen auf einem Landgut. Ihre Schwester Charlotte, Schillers Frau, war gestorben, die Kinder aus Weimar fortgezogen. Was aber sollte er ihr sagen? Zu erfahren, auf welche Weise ihr geliebter Schiller ums Leben gekommen war, würde einen schweren Schock für sie bedeuten. Sie war ja auch nicht mehr die Jüngste. Schon die Sache mit der Schädelbergung hatte sie ziemlich durcheinandergebracht. Nur mit viel Überzeugungskraft hatte man ihr Einverständnis erhalten, Schillers Schädel in der Herzoglichen Bibliothek aufzubewahren. Besser, er sagte ihr nichts.
So fuhren sie zum Tor hinaus in die Vorstadt, zehn Minuten später hatten sie die Zwätzengasse erreicht. »Sieht aber ziemlich verwildert hier aus«, sagte Krause und rümpfte die Nase. »Wenn das meine Grete sehen würde, sie würde gleich zur Gartenschere greifen.«
Goethe kletterte umständlich aus der Kutsche. Wie gern war er hier zu Gast gewesen! Alles war noch unverändert, wie zu Schillers Lebzeiten, ein Idyll im Grünen. Dass es etwas verwildert war, störte ihn nicht, das Haus war schließlich unbewohnt. Die vorbeispringende Leutra, die umliegenden Gartengrundstücke, oben das kleine Wäldchen … Mit melancholischem Blick stieg Goethe die Treppe hinauf. Was für ein munteres Leben hatte hier einst geherrscht, als im Garten Schillers Knaben herumgesprungen waren, Carl und Ernst. Stürmisch hatten sie ihn stets empfangen und nicht lockergelassen, bis ihnen Onkel Goethe ein Stück Schokolade zugesteckt hatte. Charlotte, die Mutter, hatte ihr Reich im ersten Stock besessen, einen kleinen Salon und ihr eigenes Schlafgemach. Mit Schiller in einem Bett? Auf keinen Fall! Der unruhige Geist springe mitten in der Nacht aus den Federn, um einen Gedanken zu notieren, hatte Charlotte lachend berichtet, das könne sie nicht gebrauchen.
Goethe öffnete die Gartentür. Auch Schillers Zinne stand noch da, das kleine Türmchen, das er sich auf die Mauer hatte bauen lassen, um den weiten Blick ins Saaletal genießen zu können. Maria Stuart war dort entstanden und auch der Wallenstein. Von Schillers Arbeitszimmer im zweiten Stock des Haupthauses konnte man den Garten mit all seinen Früchten bewundern.
Der liebste Platz aber war Goethe der Steintisch unter der Pergola gewesen. So manches gute und große Wort hatten sie dort miteinander gewechselt, sich Stoff für ihren Balladenwettstreit zugesteckt. Wie lang war das her! Schon über zwanzig Jahre! Die Bank stand noch dort. Goethe setzte sich und strich mit der Hand über die runde Steinplatte. Dass es mit seinem Schiller ein solch schreckliches Ende nehmen würde, hätte er niemals gedacht. Was für ein Schock war sein früher Tod gewesen! Mit vierundfünfzig Jahren starb man doch nicht! Zu Schillers Beerdigung war Goethe nicht erschienen. Er hasste den Tod und hasste Beerdigungen. Selbst an Christianes Beisetzung hatte er nicht teilgenommen. Der Tod, das war sein schlimmster Feind. Umso mehr, wenn er mit tückischer Gewalt daherkam.
Goethe verzog den Mund. Wie leicht es gewesen war, die Stechahle im Kopf der alten Dame zu versenken. Ein Schlag und Schiller war hinüber gewesen. Warum hatte man den Mord nicht enttarnt? Schiller war doch obduziert worden. Niemand Geringerer als Hofmedikus Huschke, unterstützt vom jungen Herder, dem Sohn Gottfried Herders, hatte Schillers Körper untersucht. Wie hatten sie den Hieb ins Hirn übersehen können? Zum jungen Herder konnte er nicht mehr gehen, der war schon früh gestorben, an einem Nervenfieber. Der alte Huschke aber lebte noch, wenngleich er schon recht klapprig wurde. Ihn würde er heute noch aufsuchen.
Goethe schob einen Trieb des Blauregens beiseite. Wie er sich in sich ringelte! Auch hier war sie wieder zu sehen, die Spirale, die allem Lebendigen innewohnte, das Prinzip der Urpflanze. Sich im Kreis drehend strebte alles dem Licht entgegen, im Makrokosmos wie im Mikrokosmos. »Zusammen bewirken Polarität und Steigerung ein dynamisches Wesen«, flüsterte er still vor sich hin. Die Wissenschaft widersprach? Und wenn schon! Es war wie beim Zwischenkieferknochen. Am Ende würde er doch wieder Recht behalten.
Als sich Goethe erhob, sah er unter dem Tisch, vom Kies bedeckt, etwas Weißes hervorblitzen. Erstaunt bückte er sich. Es war die Ecke eines Stücks Papier. Vorsichtig zog er daran und erbleichte. Die geliebte Handschrift! Ein Blatt von Schiller! Wie hatte es all die Jahre unter dem Kies überdauern können? Zärtlich strich er es glatt und befreite es von den Schmutzresten. Dann begann er zu lesen: »Der erste Fürst war ein Mörder und führte den Purpur ein, die Flecken seiner Tat in dieser Blutfarbe zu verstecken.«
Kapitel 9
Huschke wohnte gleich oberhalb seiner Praxis in der Weimarer Innenstadt, nicht weit vom Schloss entfernt. Schließlich war er als Hofmedikus der Leibarzt von Karl August und musste bei jedem Zipperlein schnell zur Stelle sein. Der alte Glatzkopf saß gerade über seiner Korrespondenz. Seine Dissertation über die medizinischen Aspekte der Masturbation wurde, obwohl schon vor Jahrzehnten verfasst, im Kollegenkreis weiter heiß diskutiert, die Zahl der Anfragen, die er dazu erhielt, ließ nicht nach. Genervt von der gemeldeten Störung, zog ein Schatten über sein Greisengesicht. Als Huschke jedoch sah, dass es Goethe höchstpersönlich war, hellte sich seine Miene wieder auf.
»Nehmen Sie doch bitte Platz, lieber Goethe, Tässchen Kaffee?«
»Wer wachend auch zu später Stund’ verweilt, des Mattigkeit der schwarze Zauber heilt.«
»Bravo, Goethe! Vorzüglich, wieder mal vorzüglich.«
»Ist nicht von mir.«
»Sondern?«
»Von Schiller, der alten Kaffeenase. Wegen Schiller bin ich da. Sie haben doch damals die Obduktion geleitet.«
Huschke glotzte wie ein Schaf, wenn die Ampel auf Rot schaltet. »Ich fürchte, ich verstehe nicht …«
»Haben Sie den Obduktionsbericht noch?«
»Schillers Obduktionsbericht? Aber ja doch … klar, natürlich!«
»Wären Sie so liebenswürdig, ihn mir vorzulesen?«
Verwirrt sprang Huschke auf und stürzte zu seiner Bücherwand, um nach kurzer Suche einen Ordner hervorzuziehen.
»Hier ist er … warten Sie, lieber Goethe, ich hab’s gleich.«
Goethe nippte an seiner Tasse, während Huschke mit aufgesetzter Brille zu lesen begann: »Die Rippenknöchel waren durchgängig und sehr stark verknöchert. Die rechte Lunge mit der Pleura von hinten nach vorn und selbst mit dem Herzbeutel ligamentartig so verwachsen, dass es kaum mit einem Messer gut zu trennen war. Die Lunge war faul und brandig, breiartig …«
Goethe kniff die Augen zu. Am liebsten hätte er sich zugleich die Ohren zugehalten. Das war ja fürchterlich! Wer konnte so etwas mit anhören?
»… die linke Lunge besser, marmoriert mit Eiterpunkten. Das Herz stellte einen leeren Beutel vor und hatte sehr viele Runzeln …«
Aufhören, nur aufhören! Sein Schiller sollte ein runzliges Herz gehabt haben? Das edelste Herz, das je geschlagen hatte? Runzeln?
Huschke aber war ganz in den Bericht vertieft und sah nicht, wie Goethe in seiner Qual verstummte. In nüchternem Ton fuhr der Doktor fort: »Die Gallenblase noch einmal so groß als in natürlichem Zustand und strotzend vor Galle, die rechte und die linke Niere in ihrer Substanz aufgelöst und völlig verwachsen …«
»Lassen Sie es gut sein, Huschke, ich ertrag das nicht länger. Sagen Sie mir einfach, woran ist Schiller Ihrer Meinung nach gestorben?«
»Woran? Entschuldigen Sie, lieber Goethe, den Vergleich, aber setzen Sie sich mal auf eine Kreissäge und sagen mir dann, welcher Zacken Sie geritzt hat. Nicht nur ein Organ, sämtliche Organe waren völlig hinüber. Bei solch desolaten Befunden muss man sich wundern, wie der arme Mann überhaupt so lange hat leben können.«
»Und was ist mit dem Hirn?«
»Mit dem Hirn?«
»Ja, mit dem Hirn.«
»Das haben wir nicht untersucht, lieber Goethe, verstehen Sie doch, der edle Geist … Wir hatten zu großen Respekt, ihn zu sezieren.«
Beim Heraustreten aus der Wohnung des fürstlichen Leibarztes fiel Goethe ein in Messing getriebener Spruch auf, der über der Tür hing: »Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen; ihr durchstudiert die groß’ und kleine Welt, um es am Ende gehen zu lassen, wie’s Gott gefällt.«
Kommt mir irgendwie bekannt vor, dachte sich Goethe und trat hinaus auf die Straße.
Kapitel 10
»Wenn der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name noch.«
Einsam saß Goethe in seinem Arbeitszimmer und drehte Schillers Schädel zwischen den Händen.
»Geheim Gefäß! Orakelsprüche spendend. Wie bin ich wert, dich in der Hand zu halten?«
Wenn ihm der Schädel doch verraten könnte, wer der Mörder war! Aber mehr als Orakelsprüche konnte er ihm nicht entlocken. Vorsichtig zog Goethe den Zettel hervor, den er in Schillers Garten gefunden hatte: »Der erste Fürst war ein Mörder und führte den Purpur ein, die Flecken seiner Tat in dieser Blutfarbe zu verstecken.«
Goethe schnaufte tief durch. Im Verstecken ihrer Taten waren nicht nur die Fürsten erfindungsreich. Was für ein Tag! Ermattet lehnte sich der Geheime Rat in den Ohrensessel zurück. Huschke hatte ihm nicht weiterhelfen können. Charlotte, Schillers Ehefrau, konnte er nicht mehr fragen, sie war vor einem Jahr gestorben. Wer sonst noch könnte Zeuge der Mordtat gewesen sein? Schillers Kinder? Die waren ja beim Tod ihres Vaters so jung gewesen, die Kleinste hatte noch an der Mutterbrust gehangen. Sprach nicht auch das gegen einen natürlichen Tod des Freundes? Konnte man noch Kinder zeugen, wenn der Körper so verfault war, wie es Huschke darstellte? Sollte die drastische Darstellung vielleicht von der eigentlichen Todesursache ablenken? War Huschke eingeweiht gewesen in das Komplott? Goethe wischte sich die Stirn. Der Tag war lang gewesen. Jetzt sah er schon Gespenster. Er strich Schiller noch einmal über den kahlen Schädel, dann schloss er die Glasglocke wieder.
»Angenehme Nachtruhe«, murmelte er dem alten Freund zu. Dann schlief er im Sessel ein.
Kapitel 11
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
(Goethe, Faust I – Zueignung)
SAMSTAG
Eckermann, der ewige Nervbolzen! Wie gerne hätte Goethe noch ein Bettstündchen drangehängt, hatte ihm der Morgentraum doch aufs Süßeste von seiner Faustina erzählt, so dass sich Meister Iste gemeldet hatte.
»Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages, gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin«, flüsterte Goethe verträumt.
Ach, Italien! Welch glückliche Zeit! Oftmals hatte er in den Armen der schlafenden Faustina gelegen und ihr des Hexameters Maß mit fingernder Hand leise auf den Rücken gezählt. Ob ihm so etwas noch einmal vergönnt sein würde? Mit 76 Jahren? Wenn, dann nur in Marienbad! Dorthin würde er augenblicklich reisen, wenn er Schillers Mord gerächt hätte.
»Also, Eckermann, was steht an?«, gähnte Goethe, wobei er das Wort steht s-teht aussprach, um den alten Fischkopp ein wenig zu foppen.
»Die allerletzten Korrekturen von Faust II und dann noch das Antwortschreiben an Herrn Lunz.«
»Zum Teufel mit diesem Lunz! Was soll das? Ich mag nicht ins Fernsehen.«
»Lunz bietet ein Wahnsinnshonorar, damit könnten wir Solarzellen aufs Dach schrauben.«
»Solarzellen?«
»Um die Kraft der Sonne einzufangen.«
Goethe schnaubte verächtlich. »Du versuchst, o Sonne, vergebens, durch die düstren Wolken zu scheinen …«
Eckermann merkte, mit Goethe war heute nichts Vernünftiges anzustellen, so nahm er das Manuskript von Faust II zur Hand.
»Eckermann, sag mal, wo warst du eigentlich, als Schiller starb?«
Auf diese Frage hin verdüsterte sich Eckermanns Gesicht. An den Tod Schillers konnte er sich noch gut erinnern. Als heranwachsender Knabe war er mit seinem Vater durch die Lüneburger Heide gezogen, um Kurzwaren zu verkaufen. In Amelinghausen war es gewesen, wo ihnen ein Bauer gesagt hatte: »Der Schiller ist hin!« Eckermann sah alles noch vor sich, als ob es gestern gewesen wäre: das reetgedeckte Anwesen, die Schubkarre des Bauern, sein lückenhaftes Gebiss, die Kuh, die gerade einen Fladen fallen ließ … Ungläubig hatte er den Mann angestarrt. Was für einen Stich hatte ihm die Todesnachricht versetzt! Auch wenn er nur unregelmäßig die Schule hatte besuchen können, Schiller war ihm einer der Liebsten gewesen. Viele seiner Gedichte hatte er sich eingeprägt, hatte sie auf den Wegen durch die Heide auswendig vor sich hergesagt. Gedankenversunken begann er zu rezitieren: »Vor seinem Löwengarten, das Kampfspiel zu erwarten, saß König Franz …«
»… und um ihn die Großen der Krone«, fuhr Goethe fort, milder gestimmt. Was waren das für glückliche Tage gewesen, als Schiller und er sich gegenseitig angestachelt und eine Ballade nach der anderen verfasst hatten! Gedankenverloren steckte der Geheime Rat seinem Hamster eine Knabberstange in den Käfig, dann trat er ans Fenster und sah hinaus auf den Frauenplan.