Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Molière (eigentlich Jean-Baptiste Poquelin) war ein französischer Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker. Er ist einer der großen Klassiker und machte die Komödie zu einer der Tragödie potenziell gleichwertigen Gattung. Vor allem erhob er das Theater mehrere Jahre lang zum Diskussionsforum für die Probleme "richtigen" und "falschen" Verhaltens in der Gesellschaft seiner Zeit. Dieser Band umfasst die Theaterstücke: Die Zierpuppen Der Geizige George Dandin Tartüff
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 285
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Komödien, Band 2
Molieré
Inhalt:
Jean Baptiste Molière - Biografie und Bibliografie
Die Zierpuppen
Personen
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Neunter Auftritt
Zehnter Auftritt
Elfter Auftritt
Zwölfter Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Fünfzehnter Auftritt
Sechzehnter Auftritt
Siebzehnter Auftritt
Achtzehnter Auftritt
Neunzehnter Auftritt
Der Geizige
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt
George Dandin
Personen
Erster Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Neunter Auftritt
Zweiter Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Neunter Auftritt
Zehnter Auftritt
Elfter Auftritt
Zwölfter Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Dritter Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Neunter Auftritt
Zehnter Auftritt
Elfter Auftritt
Zwölfter Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Fünfzehnter Auftritt
Tartüff
Personen
Erster Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Zweiter Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Dritter Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Vierter Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Fünfter Akt
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Komödien, Band 2, Molière
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849632007
www.jazzybee-verlag.de
Eigentlich Jean Baptiste Poquelin, der größte franz. Lustspieldichter, geb. 15. Jan. 1622 in Paris, gest. daselbst 17. Febr. 1673, erhielt seine Bildung auf dem Collège de Clermont (später Louis le Grand), genoß den Unterricht des berühmten Philosophen Gassendi (seine uns nicht erhaltene Lukrez-Übersetzung fällt in diese Zeit), studierte die Rechte und trat 1643, einer unwiderstehlichen Neigung folgend, unter dem Namen »M.« in eine Schauspielergruppe, die sich l'Illustre Théâtre nannte, aber in Paris Fiasko machte und wegen schlechter Geschäfte 1645 in die Provinz ging. Hier schwang sich M. bald zum Direktor auf, durchstreifte mit seiner Truppe, die anfangs im Dienste des Herzogs von Epernon in Bordeaux, später des Prinzen von Conti, Gouverneurs von Languedoc, in Pézenas (wo ihm 1897 ein Denkmal, von Injalabert, errichtet wurde) stand, zwölf Jahre lang ganz Frankreich und kehrte 1658, an Erfahrungen reich, nach Paris zurück. In die Wanderzeit fallen, neben vielen unbedeutenden Stücken, seine beiden Lustspiele: »L'Étourdi« (Lyon 1655, nach dem »Inavvertito« des Barbieri) und »Le dépit amoureux« (1656). Bald erwarb sich die neue Truppe, die in Paris anfangs im Petit-Bourbon, dann seit 1661 im Palais-Royal spielte, die Gunst des Königs und Monsieurs, seines Bruders, dessen Truppe sie sich nannte, die des Publikums erst 1659 durch die »Précieuses ridicules«, eine Satire gegen die Unnatur und Ziererei der Sprache, die in den Zirkeln des Hôtel Rambouillet gesprochen wurde. Dadurch machte er sich viele Feinde, die in Verbindung mit den in ihrem Privilegium geschädigten Schauspielern des Hôtel de Bourgogne keine Gelegenheit vorübergehen ließen, um M. in Wort und Schrift anzugreifen. Auf »Sganarelle« (1660) und den mißglückten »Don Garcie« (1661) folgten in demselben Jahr »L'école des maris«, eine Nachahmung der »Adelphi« des Terenz, und »Les Fâcheux«. 1662 ging er eine Ehe ein mit Armande Béjart, der Schwester (nach andern Tochter) seiner Freundin Madeleine Béjart, die ihm durch ihr oberflächliches, kokettes Wesen sein ganzes Leben verbittert hat. Schon wenige Monate darauf war er in der Lage, in dem Lustspiel »L'école des femmes« seine verzweifelte Stimmung zu schildern. Auf die heftigen Angriffe seiner Feinde antwortete er mit der »Critique de l'École des femmes« und dem »Impromptu de Versailles«. Nach einigen Gelegenheitsstücken: »Le mariage forcé«, »La princesse d'Elide« (1664), »Don Juan, ou le Festin de Pierre«, »L'amour médecin« (1665), brachte er 1666 den »Misanthrope«, sein großartigstes und wahrstes Stück, auf die Bühne und, nachdem er wiederum einige kleinere Stücke für die Unterhaltung des Hofes verfaßt hatte (»Le médecin malgré lui«, »Le ballet des muses«, »Le Sicilien, ou l'Amour peintre«), 1667 den »Tartuffe« u. d. T.: »L'Imposteur«, aber nur mit Einer Vorstellung; erst 1669 gelang es ihm, nach Überwindung der äußersten Schwierigkeiten, das Stück drei Monate hindurch auf dem Repertoire zu erhalten; der Jubel des Publikums entschädigte ihn für die Exkommunikation und die offenen und versteckten Angriffe seiner Feinde. In der Zwischenzeit (1668) gingen der »Amphitryon« (nach Plautus), »George Dandin« und »L'Avare« über die Bretter; letzterer, nach Plautus und in Prosa geschrieben, von Goethe für »besonders groß und in hohem Grade tragisch« gehalten. Nun folgen wieder Unterhaltungsstücke für den Hof: »Monsieur de Pourceaugnac«, »Les amants magnifiques«, die Ballettkomödie »Le bourgeois gentilhomme«, »Les fourberies de Scapin«, »La comtesse d'Escarbagnas«; dann sein letztes Meisterwerk: »Les femmes savantes« (1672), wie die »Précieuses ridicules« gegen die Pedanterie und Unweiblichkeit der Frauen gerichtet. Die vierte Ausführung des »Malade imaginaire« war seine letzte Leistung. Seine durch Sorgen und Arbeit untergrabene Gesundheit erlag den Anstrengungen, als er in der Promotionsszene das Wort »Juro« aussprach; er bekam einen Blutsturz und verschied wenige Stunden darauf. Die Geistlichkeit versagte ihm ein ehrliches Begräbnis; in der Nacht und unter den Verwünschungen des fanatisierten Pöbels wurde er begraben. Erst 1817 brachte man seine (angeblichen) Gebeine auf den Père Lachaise. 1778 stellte die Akademie, deren Pforten dem Dichter verschlossen gewesen waren, seine Büste in ihrem Saal auf; eine andre, von Houdon (s. Tafel »Bildhauerkunst XII«, Fig. 1), fand 1775 im Foyer der Comédie-Française Platz, und 1844 wurde ihm, seinem Sterbehaus in der Rue de Richelieu gegenüber, ein Denkmal, die Fontaine Molière, errichtet. Mignard hat den Dichter zu verschiedenen Zeiten gemalt.
M. war von Haus aus ein vorzüglicher Schauspieler. Nicht nur die Rollen, die er für sich geschrieben, sondern auch andre, besonders die komischen, weniger die tragischen, spielte er unter dem Beifall des Publikums; schon sein Mienenspiel erregte stürmische Heiterkeit. Dabei war er eifrig und gewissenhaft, für gewöhnlich ernst, ja melancholisch; von seinen reichen Einnahmen machte er, zum Nutzen seiner Freunde und seiner Kunst, einen edlen Gebrauch. Vor allem aber ist M. Dichter, und wenn er schon in jenen Stücken, die er zur Augen- und Ohrenweide eines vergnügungssüchtigen Hofes schrieb, und in seinen Possen, in denen er seiner tollen Laune den Zügel schießen läßt, ungewöhnlichen Reichtum der Phantasie, seltene Leichtigkeit des Schaffens, tiefe Weisheit und unerschöpfliche Laune bekundet, so erheben ihn seine großen Charakterkomödien mit ihrer reinen Menschlichkeit und ewigen Wahrheit zu einem der ersten Dichter aller Zeiten. M. schafft selten frei; fast immer hat er Rahmen und Färbung seiner Stücke den Alten, den Italienern oder Spaniern entlehnt. Den Inhalt aber bilden die Torheiten und Lächerlichkeiten seiner Zeit; Falschheit und Unnatur, Heuchelei und Lüge verfolgt er mit glühendem Haß. Aber nicht Gestalten seiner Phantasie führt er uns vor, das Leben, das warme, wirkliche, pulsiert in seinen Werken; seine Blaustrümpfe und Marquis, sein Menschenfeind und Tartüff sind typisch geworden. Dazu ist die Kunst, Verwickelungen zu erfinden (minder sie zu lösen), die Spannung des Zuschauers bis zum Schluß rege zu erhalten (z. B. in den »Femmes savantes«), bewunderungswürdig. Von gleicher Vortrefflichkeit ist sein Stil; klar und präzis, natürlich und doch überaus mannigfaltig, spricht er die Sprache der Stadt und des Landes, aller Klassen und aller Leidenschaften. Unter den zahlreichen Ausgaben von Molières Werken nennen wir nur die bedeutendsten: von Vivot und La Grange (1682, 8 Bde.), von Moland (2. Aufl. 1884, 12 Bde.) und besonders von Despois und Mesnard (1873–1900, 13 Bde.). Die letztere gibt im 10. Band eine ausführliche Biographie Molières, im 11. eine Bibliographie, im 12. und 13. ein Wörterbuch. Gute Schulausgaben einzelner Stücke besorgten Laun (fortgesetzt von Knörich, Leipz. 1873–1886, 14 Bde.) und Friische (Berl. 1879 ff.). Für die besten deutschen Übersetzungen der Werke Molières gelten mit Recht die des Grafen Wolf Baudissin, in fünffüßigen, reimlosen Jamben (Leipz. 1865–67, 4 Bde.), und die von L. Fulda (»Molières Meisterwerke«, 4. Aufl., Stuttg. 1904, 2 Bde.).
Aus der reichen Literatur über Molières Leben etc. vgl. »Régistre de Lagrange«, eine genaue Theaterchronik eines Schauspielers aus Molières Truppe (Faksimileabdruck, Par. 1876); Taschereau, Histoire de la vie et des écrits de M. (das. 1825, 4. Aufl. 1851); P. Lindau, M. (Leipz. 1872); Lotheißen, M., sein Leben und seine Werke (Frankf. 1880); Mahrenholtz, Molières Leben und Werke (Heilbr. 1881); Moland, M., sa vie et ses ouvrages (1886); Fournel, Les contemporains de M. (1863 bis 1866, 3 Bde.); P. Lacroix, Iconographie moliéresque (2. Aufl. 1876); Chardon, Nouveaux documents sur la vie de M. (1886–1905, 2 Bde.); Larroumet, La comédie de M., l'auteur et le milieu (1887); Ehrhard, Les comédies de M.en Allemagne (1888); Eloesser, Die älteste deutsche Übersetzung Molièrescher Lustspiele (Berl. 1893); H. Fritsche, M. – Studien, ein Namenbuch zu Molières Werken (2. Ausg., das. 1887); Monval, Chronologie Moliéresque (Par. 1897); H. Schneegans, Molière (Bd. 42 der »Geisteshelden«, Berl. 1902); Davignon, M. et la vie (Par. 1904); Martinenche, M. et le théâtre espagnol (das. 1905); Trollope, Life of M. (Lond. 1905); Mantzius, Molieretiden (Kopenh. 1904; franz. von Pellison, Par. 1908). Als besondere Organe für die Molière-Forschung dienten der »Molièriste« (Par. 1879–89) 1010 das »Molière-Museum« (hrsg. von Schweitzer, Wiesb. 1879–84).
Lustspiel in einem Aufzug
La Grange verschmähte Freier
Du Croisy
Gorgibus Madelon, seine Tochter
Cathos, seine Nichte
Marotte, deren Magd
Almansor, deren Lakai
Mascarill, Diener des Herrn La Grange
Jodelet, Diener des Herrn Du Croisy
Zwei Sänftenträger
Nachbarinnen, Musikanten
Schauplatz: Das Haus des Gorgibus in Paris
La Grange. Du Croisy
Du Croisy. Herr La Grange ...
La Grange. Was?
Du Croisy. Sehen Sie mich einmal an, ohne zu lachen.
La Grange. Nun?
Du Croisy. Was sagen Sie zu unserm Besuch? Sind Sie besonders erbaut davon?
La Grange. Meinen Sie, wir hätten Grund, es zu sein?
Du Croisy. Ehrlich gesagt, kaum.
La Grange. Ich, das gesteh' ich Ihnen, bin einfach außer mir. Hat man je vorher zwei dumme Gänse aus der Provinz gesehen, die solche Faxen machen und zwei Männer so von oben herab behandeln wie diese da uns? Noch ein Wunder, daß sie die Gnade hatten, uns Stühle anzubieten. Niemals hab' ich ein derartiges Getuschel erlebt, ein derartiges Gähnen, ein derartiges Augenreiben, ein derartiges beständiges Gefrage, wieviel Uhr es ist. Haben sie auf alles, was wir vorbrachten, etwas anderes geantwortet als Ja und Nein? Kurzum, läßt es sich bestreiten, daß sie uns nicht schlechter hätten empfangen können, wenn wir Menschen der niedrigsten Sorte wären?
Du Croisy. Sie nehmen sich offenbar die Sache sehr zu Herzen.
La Grange. Jawohl, das tu' ich, und zwar in solchem Grade, daß ich mich für diese Unverschämtheit rächen will. O, ich weiß nur zu gut, weshalb sie uns geringschätzen. Die modische Geziertheit hat nicht nur Paris verseucht; auch die Provinz ist bereits von ihr angesteckt, und diese zwei albernen Mamsellen haben eine tüchtige Dosis davon verschluckt. Mit einem Wort, sie verkörpern ein Gemisch von Ziererei und Gefallsucht. Ich kenne genau die Manier, die man zur Schau tragen muß, um von ihnen gut aufgenommen zu werden, und wenn Sie einverstanden sind, wollen wir ihnen einen Possen spielen, der ihnen über ihre Dummheit ein Licht aufsteckt und sie besser beurteilen lehrt, wen sie vor sich haben.
Du Croisy. Wie denken Sie sich das?
La Grange. Mein Diener Mascarill gilt bei vielen Leuten für eine Art von Schöngeist; heutzutag gelangt man ja äußerst billig zu diesem Ruf. Er ist ein Geck, der durchaus den Kavalier spielen will. Er tut sich was zugut auf seine feinen Umgangsformen und seine Verse, und andere Diener schaut er über die Achsel an, ja, erklärt sie rundweg für Banausen.
Du Croisy. Nun also, was haben Sie mit ihm vor?
La Grange. Was ich mit ihm vorhabe? Er soll ... Aber lassen Sie uns erst von hier fort sein.
Vorige. Gorgibus.
Gorgibus. Nun, meine Herren? Haben Sie meine Nichte und meine Tochter gesprochen? Wie stehn die Dinge? Wie hat Ihr Besuch gewirkt?
La Grange. Das werden Sie von ihnen besser erfahren als von uns. Alles, was wir Ihnen sagen können, ist, daß wir Ihnen danken für die uns erwiesene Gunst und Ihre gehorsamsten Diener sind.
Du Croisy. Ihre gehorsamsten Diener. (Beide ab)
Gorgibus (allein). O je! Die scheinen mir nicht sehr zufrieden. Was mag sie verdrossen haben? Das wollen wir doch einmal feststellen. Holla!
Gorgibus. Marotte
Marotte. Der gnädige Herr befehlen?
Gorgibus. Wo sind deine beiden Fräulein?
Marotte. In ihrem Zimmer.
Gorgibus. Was machen sie dort?
Marotte. Lippenpomade.
Gorgibus. Zum Henker mit der ewigen Pomade! Sag ihnen, sie sollen hereinkommen.
Gorgibus (allein)
Gorgibus. Ich glaube, diese Racker legen es darauf an, mich mit ihrer Pomade zu ruinieren. Wo ich hinsehe, nichts als Eiweiß, Jungfernmilch und tausend andere Firlefanzereien, worin ich mich nicht auskenne. Sie haben, seit wir hier sind, den Speck von wenigstens einem Dutzend Schweinen verbraucht, und vier Bediente könnten täglich satt werden von den Hammelfüßen, die sie verwenden.
Gorgibus. Madelon. Cathos
Gorgibus. Meiner Seel', es ist wohl höchst notwendig, daß ihr so viel Geld hinauswerft, um eure Mäuler zu schmieren! Sagt mir doch mal: Was habt ihr mit den beiden Herren angefangen, die eben sich so frostig von mir verabschiedeten? Hab' ich euch nicht anempfohlen, sie als Freier aufzunehmen, mit denen ich euch verheiraten will?
Madelon. Welchen Respekt, lieber Vater, soll uns das geschmackswidrige Benehmen dieser Leute einflößen?
Cathos. Halten Sie es für möglich, lieber Onkel, daß eine einigermaßen kultivierte junge Dame sich mit Wesen dieser Art befreunden kann?
Gorgibus. Was habt ihr denn an ihnen auszusetzen?
Madelon. Eine nette Sorte von Galanterie, wahrhaftig, uns ohne weiteres eine Heirat anzutragen!
Gorgibus. Was denn sonst sollten sie euch antragen? Ein Verhältnis? War das nicht ein Benehmen, das eure Anerkennung verdient, ebensogut wie die meine? Kann man artiger sein? Und ist der geweihte Bund, nach dem sie trachten, nicht der beste Beweis für die Redlichkeit ihrer Absichten?
Madelon. O, was Sie da sagen, lieber Vater, ist der Gipfel der Spießbürgerlichkeit. Ich schäme mich geradezu, Sie so reden zu hören, und Sie sollten sich endlich angewöhnen, die ästhetische Note der Dinge zu berücksichtigen.
Gorgibus. Hier handelt sich's weder um Noten noch um Gesang. Ich wiederhole dir, daß die Ehe eine heilige und gottgefällige Sache ist, und daß sich als Ehrenmann benimmt, wer ohne weiteres auf sie zu sprechen kommt.
Madelon. Himmel! Wenn jeder dächte wie Sie, dann wäre ein Roman schnell zu Ende! Das könnte ja hübsch werden, wenn Cyrus gleich im Anfang Mandane heiraten wollte und Aronce sich mit Clelia schon im ersten Kapitel trauen ließe!
Gorgibus. Was für Geschwätz!
Madelon. Hier meine Cousine wird Ihnen ebenso wie ich erklären, daß die Heirat immer erst als Schluß auf eine Reihe von Abenteuern folgen darf. Ein Liebhaber, der uns gefallen soll, muß verstehen, seine schönen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, muß die ganze Skala der sanften, der zärtlichen und der leidenschaftlichen Tonart beherrschen und seine Werbung nach allen Regeln der Kunst verzieren. Zuerst muß er die Dame, für die sein Herz entbrennt, in der Kirche erblicken oder auf der Promenade oder bei einer öffentlichen Festlichkeit; oder auch, er wird durch Schicksalsfügung von einem Verwandten oder Freund bei ihr eingeführt und verläßt sie ganz in Träumerei und Schwermut versunken. Er verbirgt eine Zeitlang dem geliebten Gegenstand seine Leidenschaft und stattet ihr inzwischen eine Anzahl von Besuchen ab, wobei er nie vergißt, irgend ein galantes Thema zur Erörterung zu stellen, das die Versammelten geistig anregt. Endlich naht der Tag der Erklärung, die in der Allee eines Gartens vorzugehen pflegt, während die Gesellschaft sich ein wenig entfernt hat. Auf diese Erklärung folgt ein sofortiger Unwille, der sich in unserem Erröten kundgibt und den Geliebten für einige Zeit aus unserer Gegenwart verbannt. Hernach findet er Mittel und Wege, uns zu besänftigen, uns unmerklich an die Sprache seiner Leidenschaft zu gewöhnen und uns das Geständnis zu entlocken, das uns so schwer fällt. Nun beginnen die Abenteuer: Das Eingreifen der Nebenbuhler, die sich einer erwiderten Neigung entgegenstemmen, die Verfolgungen der Väter, die aus falschem Schein entspringenden Ausbrüche der Eifersucht, die Tränen, die Verzweiflung, die Entführung und was dazu gehört. Dies ist das Programm einer Liebesgeschichte höheren Stils; dies sind die Vorschriften, ohne deren strenge Beachtung keine wahre Galanterie zu denken ist. Aber geradeswegs auf den Ehebund lossteuern, um Liebe werben mit dem Heiratsvertrag in der Hand und den Roman von hinten anfangen – nein, lieber Vater, es gibt nichts Prosaischeres als das, und schon der Gedanke daran macht mir übel.
Gorgibus. Zum Teufel, was ist das für ein geschwollenes Kauderwelsch!
Cathos. In der Tat, lieber Onkel, meine Cousine trifft den Nagel auf den Kopf. Wie kann man Leute gut aufnehmen, die von Galanterie keine blasse Ahnung haben! Jede Wette geh' ich ein, daß sie nie die Karte vom Lande der Minne gesehen haben, und daß Liebesbriefchen, zarte Aufmerksamkeiten, galante Episteln und Schäfergedichte böhmische Dörfer für sie sind. Merken Sie denn nicht, daß ihre ganze Persönlichkeit dies bezeugt, und daß ihnen jenes gewisse Etwas abgeht, wodurch man beim ersten Blick für sich einnimmt? Zu einem verliebten Besuch in glatten Strümpfen zu kommen, mit einem Hut ohne Federn, einem Kopf ohne künstliche Frisur und in einem Anzug, der an Bändern geradezu Not leidet – mein Gott, was sind das für Liebhaber! Welche Dürftigkeit in der Kleidung, und welche Öde in der Unterhaltung! Man erträgt es nicht, man hält es nicht aus. Überdies siel mir auf, daß ihre Kragen nicht nach dem neuesten Schnitte sind und ihre Kniehosen mindestens um einen guten halben Fuß zu eng.
Gorgibus. Mir scheint, ihr seid alle beide verrückt, und ich verstehe kein Wort von diesem Gewäsch. Cathos, und du, Madelon ...
Madelon. O! Bitte, lieber Vater, entwöhnen Sie sich dieser barbarischen Namen und nennen Sie uns anders!
Gorgibus. Was, barbarisch? Sind es nicht die Namen, auf die ihr getauft seid?
Madelon. Schrecklich, wie Sie ungebildet sind! Ich komme nicht aus dem Erstaunen heraus, wie Sie eine so geistreiche Tochter in die Welt setzen konnten! Hat man jemals im höheren Stil von Cathos oder Madelon gesprochen, und würde nicht ein einziger solcher Name genügen, um den besten Roman der Welt in Verruf zu bringen?
Cathos. Wirklich, lieber Onkel, ein feiner organisiertes Ohr leidet Folterqualen, wenn es derartige Laute mitanhören muß, und der Name Polyxena, den sich meine Cousine gewählt hat, oder Amynta, wie ich mich benenne, besitzen einen Wohlklang, den Sie schwerlich leugnen können.
Gorgibus. Hört mein letztes Wort. Es paßt mir nicht, daß ihr andere Namen tragt, als die euch von euren Paten und Patinnen beigelegt worden sind; und was die fraglichen Herren betrifft, so kenne ich ihre Familien und ihr Vermögen und bestehe darauf, daß ihr euch bequemt, sie zu heiraten. Ich bin es satt, euch auf dem Halse zu haben, und die Last, zwei Mädchen hüten zu müssen, ist für einen Mann in meinen Jahren zu schwer.
Cathos. Ich, lieber Onkel, kann darauf nur erwidern, daß ich das Heiraten überhaupt für eine grobe Unanständigkeit halte. Wie kann man nur den Gedanken ertragen, daß man sich mit einem gänzlich unbekleideten Mann schlafen legen soll?
Madelon. Lassen Sie uns doch erst in der schönen Welt von Paris ein wenig Atem holen, nachdem wir kaum hierher übergesiedelt sind. Gönnen Sie uns, den Knoten unseres Romans in Muße zu schürzen, und drängen Sie uns nicht schon zu seiner Lösung.
Gorgibus. (für sich). Kein Zweifel mehr, die sind übergeschnappt. (Laut) Noch einmal, ich verstehe keine Silbe von dem ganzen Gefasel; ich will Herr in meinem Hause sein, und um allen Auseinandersetzungen ein Ende zu machen – entweder ihr seid binnen kurzem verheiratet, oder ihr geht ins Kloster: das schwör' ich euch hoch und heilig.
Cathos. Madelon
Cathos. Ach, meine Teure, wie grundtief steckt dein Vater in der Materie! Wie schwerfällig ist seine Intelligenz, und welche Finsternis herrscht in seiner Seele!
Madelon. Was willst du, meine Teure? Ich weiß mir keinen Rat mit ihm. Es kostet mich Überwindung, zu glauben, daß ich tatsächlich seine Tochter bin, und ich bin sicher, daß früher oder später durch irgend ein Abenteuer sich mein vornehmer Ursprung enthüllen wird.
Cathos. Sehr wahrscheinlich; denn alle Anzeichen dafür sind vorhanden. Und auch ich, wenn ich mich bei Licht besehe...
Vorige. Marotte
Marotte. Draußen ist ein Lakai, der fragt, ob Sie zu Hause sind. Sein Herr, sagt er, will Sie besuchen.
Madelon. Lerne doch, du dummes Ding, dich gebildeter auszudrücken. Sprich: Draußen ist ein dienstbarer Geist, welcher nachfragt, ob Sie sich in der Kondition einer Visite befinden.
Marotte. Herrje, ich kann kein Latein und hab' nicht wie Sie die Philosauferei im großen Cyrus studiert.
Madelon. Pfui, unerträglich! Und wer ist der Herr jenes Lakaien?
Marotte. Er nennt ihn den Marquis von Mascarill.
Madelon. Ach, meine Teure, ein Marquis! Ein Marquis! Ja, geh und sag, daß wir ihn erwarten. Jedenfalls ein Schöngeist, der von uns gehört hat.
Cathos. Offenbar, meine Teure.
Madelon. Wir empfangen ihn besser hier im Gartensaal als in unserem Gemach. Laß uns nur ein wenig unser Haar in Ordnung bringen, damit wir unserem Ruf Ehre machen. (Zu Marotte) Spute dich und befördere zu uns hinein den Berater der Grazien.
Marotte. Meiner Treu, ich weiß nicht, was für ein Tier das ist. Sie müssen in christlicher Sprache mit mir reden, wenn ich Sie verstehen soll.
Cathos. Bring uns den Spiegel, du Ignorantin, und hüte dich, seine Fläche durch die Berührung mit deinem Bilde zu verunreinigen. (Sie gehen ab)
Mascarill. Zwei Sänftenträger
Mascarill. Holla, ihr Träger, holla! He! He! He! Ich glaube, diese Lümmel haben vor, mir die Knochen zu zerbrechen, indem sie mich bald gegen den Boden, bald gegen die Wände stoßen.
Erster Träger. Teufel auch, die Tür ist eng. Sie wollten ja durchaus bis hier herein getragen sein.
Mascarill. Selbstverständlich. Denkt ihr vielleicht, ihr Spitzbuben, ich werde den Schwall meiner Federn den Unbilden der nassen Witterung aussetzen und meine Schuhe im Schlamm der Straße abdrücken? Marsch, tragt eure Sänfte fort!
Zweiter Träger. Zuerst bezahlen Sie uns, wenn's beliebt.
Mascarill. Wie?
Zweiter Träger. Ich sage, Sie sollen uns gefälligst unser Geld geben.
Mascarill (gibt ihm eine Ohrfeige). Was, du Schuft? Von einer Person meines Ranges verlangst du Geld?
Zweiter Träger. Heißt das arme Leute bezahlen? Können wir von Ihrem Rang zu Mittag essen?
Mascarill. Oho, ich werd' euch lehren, wer ihr seid! Dies Gesindel hat die Stirn, mich zu hänseln!
Erster Träger (nimmt eine der Sänftenstangen). Vorwärts, rücken Sie heraus!
Mascarill. Verstehe nicht.
Erster Träger. Ich sage, mein Geld will ich haben, und zwar sofort.
Mascarill. Der Mensch redet vernünftig.
Erster Träger. Geschwind!
Mascarill. Allerdings, du sprichst, wie sich's gebührt; aber der andre ist ein Strolch, der nicht weiß, was er sagt. Da! Bist du zufrieden?
Erster Träger. Nein, ich bin nicht zufrieden. Sie haben meinem Kameraden eine Ohrfeige gegeben, und ... (Er erhebt drohend die Stange)
Mascarill. Nur sachte! Da, das ist für die Ohrfeige. Man kann alles von mir haben, wenn man's auf die richtige Art einfädelt! Geht jetzt und holt mich nachher wieder ab, um mich in den Louvre zu tragen, zum kleinen Abendempfang.
Marotte. Mascarill
Marotte. Gnädiger Herr, meine beiden Fräulein werden gleich erscheinen.
Mascarill. Sie sollen sich ja nicht übereilen. Ich habe hier einen bequemen Platz zum Warten.
Marotte. Da kommen sie.
Mascarill. Cathos. Madelon. Almansor
Mascarill (nachdem er gegrüßt hat). Meine Damen, Sie werden ohne Zweifel verwundert sein über die Kühnheit meines Besuches; aber Ihr Ruf trägt die Schuld an diesem Überfall; denn das Verdienst hat für mich eine so unwiderstehliche Anziehungskraft, daß ich ihm überall nachlaufe.
Madelon. Wenn Sie hinter dem Verdienste her sind, dann müssen Sie auf anderen Gefilden jagen als auf den unsrigen.
Cathos. Um Verdienst bei uns zu finden, waren Sie genötigt, es selber mitzubringen.
Mascarill. O, ich protestiere gegen diese Behauptung. Im Ehrenbuche der schönen Welt steht Ihr Wert in bar verzeichnet, und Sie haben alle Trümpfe in der Hand, um dem ganzen galanten Paris das Spiel abzugewinnen.
Cathos. Meine Teure, wollen wir uns nicht Stühle geben lassen?
Madelon. Heda! Almansor!
Almansor. Gnädiges Fräulein?
Madelon. Flink, transportiere uns hierher die Sitzgelegenheiten der Konversation.
Mascarill. Aber vor allem – bin ich hier auch sicher?
(Almansor ab)
Cathos. Was fürchten Sie?
Mascarill. Einen Diebstahl meines Herzens, einen Meuchelmord meiner Gemütsruhe. Ich sehe hier Augen, die ganz den Eindruck machen, als wären sie lose Gesellen, als wollten sie der Freiheit Fallstricke legen und mit einer armen Seele umgehen wie Türken und Mohren. Ei, zum Henker, kaum daß man sich ihnen nähert, unternehmen sie einen zerschmetternden Ausfall. Auf Ehre, ich traue ihnen nicht! Und ich werde mich aus dem Staube machen, wenn sie mir nicht vollgültige Bürgschaft leisten, daß sie mir nichts zuleide tun.
Madelon. Höre nur, meine Teure, wie er sprudelt.
Cathos. Ja, der ganze Amilcar.
Madelon. Seien Sie unbesorgt; unsere Augen haben keine bösen Absichten, und Ihr Herz darf ruhig schlafen im Vertrauen auf deren Rechtschaffenheit.
Cathos. Aber, bitte, Herr Marquis, seien Sie nicht unerweichlich gegen diesen Sessel, der seit einer Viertelstunde die Arme nach Ihnen ausstreckt; sondern stillen Sie die Sehnsucht, die er hegt, Sie an sein Herz zu ziehen.
Mascarill (nachdem er sich gekämmt und seine Kanonen in Ordnung gebracht hat). Nun, meine Damen, wie gefällt Ihnen Paris?
Madelon. Ach, was sollen wir sagen? Man müßte der Antipode der Vernunft sein, um nicht zu bekennen, daß Paris das große Repositorium aller Wunder ist, der Brennpunkt des guten Geschmacks, der Schöngeisterei und der Galanterie.
Mascarill. Ich meinesteils bleibe dabei: Außer in Paris gibt es für anständige Menschen keine Existenzmöglichkeit.
Cathos. Das ist ein unbestreitbares Dogma.
Mascarill. Die Straßenreinigung ist zwar mangelhaft: aber dafür haben wir die Sänften.
Madelon. In Wahrheit, die Sänften sind ein wunderbares Bollwerk gegen die Attacken von Schmutz und Unwetter.
Mascarill. Empfangen Sie viel Besuch? Welche Schöngeister verkehren bei Ihnen?
Madelon. Ach, wir sind leider noch zu wenig bekannt; aber wir haben Aussicht, es zu werden. Wir besitzen eine intime Freundin, die uns versprochen hat, uns die sämtlichen Mitarbeiter der Poetischen Blumenlese zu bringen.
Cathos. Sowie einige andere Herren, die man uns empfohlen hat als die unumschränkten Schiedsrichter im Reiche der schönen Künste.
Mascarill. Dazu könnt' ich Ihnen besser verhelfen als irgendwer; sie gehen alle bei mir ein und aus, und schon beim ersten Frühstück hab' ich Tag für Tag ein halbes Dutzend Schöngeister zur Gesellschaft.
Madelon. O mein Gott! Wir würden Ihnen über alle Maßen dankbar sein, wenn Sie uns diesen Freundschaftsdienst erweisen wollten; denn der Umgang mit all diesen Herren ist ja unerläßlich, wenn man zur schönen Welt gehören will. Ein Name, der in Paris etwas gelten soll, muß von ihnen abgestempelt sein, und wie Sie missen, braucht so Einer sich mit uns nur sehen zu lassen, um uns den Ruf von Kennerinnen zu verschaffen. Der Punkt aber, auf den ich das Hauptgewicht lege, ist, daß man vermittels solchen geistreichen Umgangs hunderterlei Dinge kennen lernt, die man unbedingt wissen muß, weil sie die Quintessenz der Kultur sind. Nur so erfährt man die kleinen galanten Neuigkeiten, nimmt teil an dem reizenden Gedankenaustausch in Prosa und in Versen. Man weiß genau: Der und der hat das allerliebste Stück über dies oder jenes Problem geschrieben: die und die hat den Text zu der oder jener Melodie verfaßt: der hier hat ein Madrigal auf eine Schäferstunde, der dort eine Ode auf einen Treubruch gedichtet; Herr so und so schrieb gestern abend ein Sonett an Fräulein so und so, worauf sie heut früh um acht Uhr geantwortet hat: der und der Autor hat den und den Plan entworfen; dieser arbeitet am dritten Band seines Romans; jener liest eben die Korrekturbogen. Das ist der Weg, um in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen, und wer in solchen Dingen nicht beschlagen ist, für dessen gesamten Geist geb' ich keinen Pfifferling.
Cathos. In der Tat, es scheint mir der Gipfel der Lächerlichkeit, wenn jemand auf Geist Anspruch erhebt und nicht jeden kleinen Vierzeiler kennt, der täglich produziert wird. Ich jedenfalls würde vor Scham in die Erde sinken, wenn ich auf die Frage, ob ich schon das Allerneueste gesehen, mit Nein antworten müßte.
Mascarill. Freilich, es ist schmachvoll, nicht von allen Ereignissen den Rahm abzuschöpfen. Aber seien Sie außer Sorge; ich werde bei Ihnen eine Akademie von Schöngeistern einrichten, und ich verspreche Ihnen, es soll in ganz Paris kein Reim geschmiedet werden, den Sie nicht früher auswendig wissen sollen als alle andern. Ich selbst, wie Sie mich da sehen, befasse mich gelegentlich ein wenig damit, und Sie werden aus meiner Feder in den maßgebenden Salons von Paris zweihundert Lieder im Umlauf finden, ebensoviel Sonette, vierhundert Epigramme und mehr als tausend Madrigale, die Charaden und Akrostichons nicht mitgerechnet.
Madelon. Ich gestehe, ich schwärme wahnsinnig für Akrostichons; ich kenne nichts Galanteres.
Mascarill. Die Akrostichons sind sehr schwierig und erfordern besondere Geistestiefe. Ich will Ihnen einige von mir zeigen, die Ihnen nicht mißfallen werden.
Cathos. Ich meinesteils bin toll auf Charaden.
Mascarill. Sie schärfen den Verstand; noch heut morgen hab' ich davon vier gemacht, die ich Ihnen zu raten aufgeben werde.
Madelon. Auch Madrigale sind entzückend, wenn sie eine feine Schlußwendung haben.
Mascarill. Das ist meine Spezialität. Ich bin gerade dabei, die ganze römische Geschichte in Madrigale zu bringen.
Madelon. O, das wird sicher hinreißend. Ich erbitte mir wenigstens ein Exemplar, wenn sie im Druck erscheinen.
Mascarill. Jede von Ihnen soll eines haben, und in einem Prachtband. Diese Beschäftigung ist zwar nicht ganz würdig meines Standes: aber ich will den Buchhändlern was zu verdienen geben, die mich förmlich verfolgen.
Madelon. Es muß doch ein großes Vergnügen sein, sich gedruckt zu sehen.
Mascarill. Unstreitig. Übrigens – ich muß Ihnen eine kleine Stegreifdichtung vortragen, die ich gestern bei einer mir befreundeten Herzogin aus dem Ärmel schüttelte; denn ich bin verteufelt stark im Improvisieren.
Cathos. Die Improvisation ist recht eigentlich der Prüfstein des Geistes.
Mascarill. Hören Sie!
Madelon. Wir sind ganz Ohr.
Mascarill. "O, o, wie unvorsichtig! Als geblendet Von deinem Blick ich sorglos stehen blieb, Hat meuchlings mir dein Aug' mein Herz entwendet; Haltet den Dieb! Den Dieb! Den Dieb! Den Dieb!"
Cathos. O Gott! Was für eine Delikatesse des Ausdrucks!
Mascarill. Alles, was ich mache, verrät den Weltmann. Oder duftet das vielleicht nach dem Schulfuchs?
Madelon. Es ist mehr als zweitausend Meilen davon entfernt.
Mascarill. Haben Sie auf den Anfang geachtet? Auf dieses O, o? Ist dieses O, o nicht glänzend? Wie wenn jemand plötzlich etwas inne wird: O, o. Mit dem Ausruf der Überraschung: O, o!
Madelon. Ja, ich finde dieses O, o bewundernswert.
Mascarill. Und sieht dabei aus, als war' es nichts.
Cathos. Um Gottes willen, was sagen Sie da? In so einem Nichts liegen ja gerade die köstlichsten Feinheiten.
Madelon. Unzweifelhaft. Ich möchte lieber dieses O, o gedichtet haben, als ein ganzes Epos.
Mascarill. Alle Wetter, Sie haben Geschmack.
Madelon. Ja, einigermaßen.
Mascarill. Bewundern Sie aber nicht auch das: "Wie unvorsichtig"? Mein Mangel an Behutsamkeit, mein harmloses Vertrauen ist auf die natürlichste Formel gebracht: "Wie unvorsichtig". "Als geblendet von deinem Blick", will sagen, als ohne Schuld, ohne Arg, wie ein armer Hammel "ich sorglos stehen blieb", das heißt, dich mit Wonne betrachtete, dich musterte, dich anstaunte, "hat meuchlings mir dein Aug' ..." Wie finden Sie hier das Wort "meuchlings"? Ist es nicht gut gewählt?
Cathos. Großartig.
Mascarill. Meuchlings, im Sinne von hinterrücks. Man glaubt eine Katze zu sehen, die eine Maus gefangen hat – meuchlings.
Madelon. Unübertrefflich.
Mascarill. "Mein Herz entwendet", es mir entführt, mir geraubt. "Haltet den Dieb! Den Dieb! Den Dieb! Den Dieb!" Klingt das nicht, als ob jemand laut schreiend hinter einem Dieb herliefe, um ihn dingfest zu machen? "Haltet den Dieb! Den Dieb! Den Dieb! Den Dieb!"
Madelon. Diese Schlußwendung ist ebenso geistvoll wie galant.
Mascarill. Ich will Ihnen die Melodie singen, die ich dazu komponiert habe.
Cathos. Sie haben auch Musik studiert?
Mascarill. Ich? I bewahre.
Cathos. Wie können Sie dann komponieren?
Mascarill. Leute von Stand können alles, ohne je was gelernt zu haben.
Madelon. Sehr richtig, meine Teure.
Mascarill. Hören Sie, ob die Melodie Ihren Beifall hat. Hm, hm, la, la, la, la, la. Die Brutalität der Jahreszeit hat den Schmelz meiner Stimme erbarmungslos beeinträchtigt; aber einerlei, ich bin ja nicht Sänger, sondern Kavalier. (Er singt)
"O, o, wie unvorsichtig! Als geblendet" usw.
Cathos. Ah, was für eine Leidenschaft in dieser Melodie! Rein zum Sterben!
Madelon. Es ist sehr viel Chromatisches darin.
Mascarill. Finden Sie nicht eine gelungene Tonmalerei bei der Stelle: "Haltet den Dieb! Den Dieb!" Und dann wieder, wie wenn jemand aus Leibeskräften brüllt: "Den Die–ie–ie–ieb!" Und gleich darauf, als ob ihm der Atem ausginge: "Den Dieb!"
Madelon. Das heißt den Nerv der Dinge treffen, den Hauptnerv, den Nerv des Nervs. Das Ganze, glauben Sie mir, ist ein Meisterwerk: ich bin von der Musik ebenso begeistert wie von der Dichtung.
Cathos. Es ist das Vollendetste, was mir je vorgekommen.
Mascarill. Und das alles fällt mir wie von selbst ein, ohne Studium.
Madelon. Die Natur hat Sie als die zärtlichste Mutter behandelt, und Sie sind ihr Schoßkind.
Mascarill. Womit vertreiben Sie sich die Zeit, meine Damen?
Cathos. Mit nichts.
Madelon. Wir haben bis jetzt in bezug auf Zerstreuung jammervoll gefastet.
Mascarill. Ich erbiete mich, Sie demnächst ins Theater zu führen, wenn Sie wünschen; man wird gerade eine Novität geben, die in Ihrer Gesellschaft zu sehen ich mich glücklich schätzen würde.
Madelon. Wer könnte da Nein sagen?