Korruption und Sünde - Jorge Mario Bergoglio - E-Book

Korruption und Sünde E-Book

Jorge Mario Bergoglio

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Beschreibung

Ein Nachdenken über den Zusammenhang von persönlichem und sozialem Handeln am Beispiel von Korruption und Sünde, über Verstrickungen aufgrund persönlicher Schwäche und über Möglichkeiten der Wachsamkeit und Prävention. Dass der Mensch Fehler macht, sich sogar mit Schuld belädt, ist für den Einzelnen gar nicht völlig zu vermeiden. Korruption hingegen erfordert in jedem Fall eine persönliche Entscheidung. Jorge Bergoglio legt hier eine tiefe, beispielhafte ethische Meditation vor, inspiriert vom Evangelium und von ignatianischer Spiritualität. Es geht um die Entscheidung, nicht nur das eigen Wohl, sondern das Wohl aller im Blick zu haben. Hier erstmals auf Deutsch und mit einer Einleitung von Michael Sievernich.

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Jorge Mario BergoglioPapst Franziskus

KORRUPTIONUND SÜNDE

Eine Einladung zur Aufrichtigkeit

Aus dem Spanischen von Ulrich Ruh

Mit einer Einführung von Michael Sievernich SJ

Impressum

Titel der Originalausgabe: Corupción y pecado

© 2005/2013 Editorial Claretiana, Buenos Aires, Argentinien

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2014 Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption: Designbüro Gestaltungssaal

Umschlagfoto: © dpa/picture-alliance

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-80145-7

ISBN (Buch): 978-3-451-06684-9

Inhalt

Warum Korruption ethisch und spirituell verwerflich istEinführung von Michael Sievernich SJ

Was ist Korruption?

Bekämpfung der Korruption

Ethische Beurteilung

Theologische Perspektiven

Korruption als objektivierte Sünde

JORGE MARIO BERGOGLIOPAPST FRANZISKUSKorruption und Sünde

Vorwort

Korruption und SündeEinige Überlegungen zum Thema Korruption

Methode

Die Immanenz

Täuschung

Vergleichen

Vom Vergleichen zum Urteil

Und vom Urteil zur Unverfrorenheit

Triumphalismus

Ein Blick auf die Zeit Jesu

Resümee

Die Korruption bei Ordensangehörigen

Warum Korruption ethisch und spirituell verwerflich ist

Einführung von Michael Sievernich SJ

Als Papst Franziskus am 14. November 2013 dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano im römischen Quirinalspalast einen offiziellen Besuch abstattete, vernahm er eine diplomatische Ansprache des Präsidenten, die es an Deutlichkeit nicht fehlen ließ. Denn nach der Würdigung der Beziehungen zwischen der italienischen Republik und dem Heiligen Stuhl kam Napolitano auf die Gegenwartssituation zu sprechen und schnitt ein heikles Thema an. Die Politik stehe »vor der dramatischen Notwendigkeit (wir sehen das gut in Italien), Teilhabe, Konsens und Respekt wiederzugewinnen und sich von der Geißel der Korruption und der kleinlichen Partikularismen zu befreien.«1

Die Geißel der Korruption bedrängt nicht nur Italien, sondern stellt bei allen kulturellen Unterschieden auch eine internationale Plage dar. Korruption als Missbrauch öffentlicher Macht und damit als Fehlverhalten zum Schaden des Gemeinwesens und zum privaten Vorteil scheint ein weltweites Phänomen zu sein. Sie ist nicht leicht zu identifizieren, da sie das Licht scheut, doch findet sie sich auf diese oder jene Weise in allen historischen Epochen, kulturellen Räumen und Gesellschaftsordnungen. In der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen vor allem korruptive Verhaltensweisen im Zueinander von Politik und Wirtschaft im Vordergrund. Doch darüber hinaus sind auch andere Bereiche anfällig, seien es Kultur oder Kunst, Religionen oder Interessenverbände, Bildungsoder Gesundheitswesen, Medien oder Sport.

Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus, der diese kleine Schrift als Erzbischof von Buenos Aires verfasst hat, kennt das Problem nicht nur aus der Literatur. Denn gerade Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seines Heimatlandes Argentinien lieferten ihm reichlich Anschauung von den verderblichen Folgen für die »Patria«. Daher hat er immer wieder deutlich Stellung bezogen, so auch in dieser scharfsinnigen theologisch-spirituellen Analyse der Korruption. Im Vergleich mit der Sünde will er den innersten Kern des Problems herausarbeiten und plädiert in einer überraschenden Wendung: Sünder ja, Korrupte nein.

Was ist Korruption?

Umgangssprachlich wie etymologisch hat das Wort »Korruption« (wie die Ableitungen »korrupt« und »korrumpieren«) eine negative Bedeutung. Es leitet sich ab vom lateinischen Verb »cor-rumpere«, das bedeutet: zerbrechen, vernichten, zu Grunde richten, verderben, verschlechtern oder verfälschen; die Vorsilbe »con« (»mit«) deutet das Komplizenhafte an. Schon in der Antike wird es als Fachwort für »bestechen« (mit Geld, Gold oder Geschenken) verwendet. In der weiteren Sprachentwicklung kommen neue Bedeutungen hinzu; so bezeichnet es im Christentum die Vergänglichkeit des Irdischen und vor allem die von der Sünde verdorbene Natur des Menschen (natura corrupta).

Das klassische Verständnis, das zum Grundmuster werden sollte, stammt vom griechischen Philosophen Aristoteles († 322 v. Chr.), der in seiner politischen Philosophie den Menschen als ein »politisches Wesen« definiert, das im Stadtstaat (Polis) in Gemeinschaft zusammenlebt. Die Korruption bemisst sich für Aristoteles an der Abweichung von der idealen politischen Verfassung. Richtig und rechtmäßig sind diejenigen Verfassungen, die »den gemeinsamen Nutzen« im Auge haben, während solche Verfassungen, die »nur den eigenen Vorteil« der Regierenden im Blick haben, fehlerhaft, korrupt, despotisch sind.2

Dieses klassische Argument, das Gemeinwohl und Eigenwohl kontrastiert, taucht im Lauf der Geschichte in zahlreichen Varianten auf und behält seine Überzeugungskraft. Wie ein Wasserzeichen scheint es auch in neueren Bestimmungen durch: wenn man etwa unter Korruption den Missbrauch öffentlicher Macht für private Zwecke versteht oder wenn der durch Eigennutz verursachte soziale Schaden, den Korruption anrichtet, im Mittelpunkt steht. Das Muster zeigt sich auch bei denjenigen, die zum eigenen Vorteil Gesetze brechen, vertragliche Verpflichtungen nicht einhalten oder Konventionen übertreten. Bei der Korruption handelt es sich um einen unmoralischen Tausch von Leistung und Gegenleistung, den die Beteiligten freiwillig vornehmen, um sich eigene Vorteile zu verschaffen. In diesem archaischen Tauschverfahren werden materielle »Geschenke« eingesetzt, zumeist aber Geldleistungen, wenn etwa »Schmiergelder« fließen, um Geschäfte oder Privilegien zu befördern. Ist ein solcher Tausch von Leistungen unfreiwilliger Art, handelt es sich um Erpressung. Weitere Formen sind Unterschlagung und Veruntreuung öffentlicher Mittel. Schließlich ist noch die Korruputionsform der Patronage zu nennen, d. h. die Bevorzugung von Verwandten und Bekannten oder von Parteien, Gruppierungen und Interessenverbänden (Klientelismus).

Die für das Gemeinwesen und das Individuum negativen Folgen sind vielfach beschrieben und aufgelistet worden. »Letztlich vergrößert die Korruption wirtschaftliche und politische Instabilitäten, verhindert produktive Innovationen und Investitionen und behindert wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Entwicklung.«3 Zu den zahlreichen Risiken der Korruption zählen die damit verbundenen Kosten, welche die wirtschaftlichen Gesamtkosten erhöhen und eine nachhaltige Entwicklung erschweren. Korrupte Praktiken bedeuten einen eklatanten Vertrauensbruch und untergraben die Reputation. Demgegenüber stehen Unternehmen ohne korruptive Praktiken sowohl finanziell und als auch moralisch auf Dauer besser da, weil unbeherrschbare Risiken weitgehend entfallen und Vertrauen akkumuliert wird. Vertrauen und Reputation sind über die Kennzahlen hinaus entscheidende »weiche« Faktoren für wirtschaftlichen Erfolg.

Auf einen Kontinent wie Lateinamerika bezogen, gibt die dortige Versammlung der Bischöfe Folgendes zu bedenken: »Die Korruption in Gesellschaft und Staat, in die alle Bereiche von Legislative und Exekutive verwickelt sind, ist schlimmer geworden; sie erfasst auch das Justizsystem, das häufig dazu neigt, Urteile zugunsten der Mächtigen zu fällen und sie straflos zu lassen. Das gefährdet ernsthaft die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Institutionen und verstärkt das Misstrauen des einfachen Volkes. Dieses Phänomen geht mit einer tiefen Missachtung der Gesetzlichkeit einher.«4 Auch wenn sogenannte »wertfreie« Beurteilungen der Korruption positive Wirkungen wie Umsatzsteigerung oder Verbesserung von Marktpositionen zuschreiben, so folgen diese Strategien doch nur dem Eigennutz, ohne die Sozialverpflichtung in den Blick zu nehmen; sie sind mit Demokratie und Sozialer Marktwirtschaft nicht vereinbar.

Bekämpfung der Korruption

Mit den wachsenden Möglichkeiten der Korruption in internationalen Beziehungen kann die Globalisierung der Verantwortung und Solidarität kaum mithalten. Daher nimmt in jüngster Zeit die wissenschaftliche Reflexion dieses bedrohlichen Phänomens zu. Seine Bekämpfung verläuft auf verschiedenen Ebenen. Weltweit gilt Korruption inzwischen als illegal; politische Zusammenschlüsse wie die Europäische Union dämmen sie in ihrem Einflussbereich ein. Doch Skandale in den Führungseliten zeigen, dass kein Staat davor gefeit ist. Die extremsten Fälle politischer Korruption dürften in totalitären oder autoritären Regimen vorliegen, in denen korruptive Praktiken und Privilegien nicht nur nicht verhindert werden, sondern sogar einen integralen Bestandteil der Herrschaft bilden. Die Internationalisierung des Themas erfordert auch neue Maßnahmen der Bekämpfung bis hin zur Ausmerzung institutioneller Fehlanreize.5

Auf privater Ebene entwickeln zahlreiche Unternehmen einen Verhaltenskodex (code of conduct),