Kriegt das Papa, oder kann das weg? - Tillmann Prüfer - E-Book

Kriegt das Papa, oder kann das weg? E-Book

Tillmann Prüfer

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Beschreibung

Entstanden aus der beliebten ZEIT-Magazin-Kolumne «Prüfers Töchter»: Die wunderbar amüsante Geschichte eines gutmütigen, hemmungslos überforderten Vaters von vier Töchtern – witzig, nachdenklich, lebensklug. Und wie ist es so mit vier Töchtern? Neben der Tatsache, dass man beim Essen die Reste von allen kriegt, ist das Leben als vierfacher Vater vor allem – laut. Sehr laut. Ein bisschen so, als wären da vier Wahnsinnige, die nichts anderes tun, als wahnsinnig zu sein. Oder vier potenzielle «The Voice»-Kandidatinnen, die pausenlos ihre Songs üben. Und alle immer gleichzeitig. Kein schriller Schrei, den ich nicht gehört hätte. Keine Popschnulze, die mich nicht bis in die letzten Winkel unserer Wohnung verfolgt hätte. Keine Träne, die ich nicht weggewischt hätte. Und kein Tag, der durch das alles nicht viel, viel besser geworden wäre.

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Seitenzahl: 218

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Tillmann Prüfer

Kriegt das Papa, oder kann das weg?

Ein Vater und vier Töchter

 

 

 

Über dieses Buch

«Was, Sie haben wirklich vier Töchter? Wie schaffen Sie das denn?»

Solche Sätze bekommt ein Vater zu hören, der ein Mädchen im Kindergartenalter, eins in der Grundschule, eins mitten in der Pubertät und eins im Abitur hat. Und in der Tat hat er es mit sämtlichen Glücksmomenten und Wahnsinnigkeiten jedes Mädchenalters zu tun. Und dann ist er auch noch allein unter Frauen.

Aber wer erzieht hier eigentlich wen? Und wer beantwortet einem Fragen wie: Muss ich die Freunde meiner Kinder mögen? Und deren Eltern? Kann ich bei Liebeskummer helfen? Sollen meine Töchter zu mir aufblicken? Was mache ich, wenn sie meinen neuen Wollpulli grässlich finden? Wegschmeißen?

Am wichtigsten ist allerdings, dass Papa endlich mal Fahrstunden nimmt. Denn während andere Väter ihre Kinder mit dem SUV durch die Welt kutschieren, bringt er seine Töchter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Kindergeburtstag. Geht gar nicht.

 

Witzig, nachdenklich, lebensklug: die wunderbare Geschichte eines gutmütigen, bisweilen hemmungslos überforderten Vaters.

 

«Tillmann Prüfer beschreibt mit so viel Humor das Leben eines Vaters mit vier Töchtern, dass man aus dem Vergnügen kaum herauskommt. Alltägliches in toller Sprache!» Neue Presse

 

«Laute Lacher garantiert!» Badische Zeitung

 

«Das ultimative Weihnachtsgeschenk für duldsame Mädchenversteher.» Brigitte

 

 

«Der großartige «Zeit»-Kolumnist Tillmann Prüfer schreibt über den alltäglichen Wahnsinn, der sich Familie nennt – und mittendrin der Autor.» Hamburger Abendblatt

 

 

«Eine ultrawitzige Bestandsaufnahme des modernen Familienwahnsinns.» Cosmopolitan

 

«Weil Prüfer gut und vor allem sehr witzig schreiben kann, folgt man ihm mit großem Spaß an den Frühstückstisch, auf den Reiterhof, zu Kindergeburtstagen. Auch wenn man keine Kinder hat.» Chrismon

 

«Eine Sammlung alltagsnaher Wahnsinnsmomente mit Taylor-Swift-Soundtrack. Wer seine Kolumne mag, wird sich sicher auch bei dieser Lektüre herrlich amüsieren.» Emotion

 

«Ein bestsellerverdächtiges Buch.» Madame

Vita

Tillmann Prüfer, geboren 1974, ist Stilchef und Mitglied der Chefredaktion des Zeitmagazins. Ausgezeichnet mit diversen Journalistenpreisen, schrieb er mehrere erfolgreiche Bücher. Seit Anfang des Jahres erscheint im Zeitmagazin wöchentlich seine beliebte Kolumne «Prüfers Töchter». Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Für Ileana

Ein ganz normaler Morgen

Ich hatte gerade geträumt, dass mir jemand gegen den Kopf tritt, als ich aufwachte und feststellte, dass mir jemand gegen den Kopf trat. Kein brutaler Tritt und kein mutwilliger, aber doch einer, der mich zuverlässig weckte. Ich lag in meinen Kissen und schaute direkt in die rechte Fußsohle meiner fünfjährigen Tochter. Juli lag quer über meiner Frau und mir und schlief unruhig. Anscheinend träumte sie etwas sehr Lebhaftes, vielleicht von einer Hüpfburg. Ich zog meinen Kopf schnell weg, bevor Juli zum nächsten Sprung ansetzen konnte. Es gibt ja so Kung-Fu-Filme, wo ein Kämpfer dem anderen mit voller Wucht ins Gesicht tritt, und das Opfer steckt das einfach so lächelnd weg, als ob nichts Besonderes geschehen wäre. Das sind Väter mit kleinen Töchtern, glaube ich.

Ich wälzte mich aus meinem Bett heraus, denn nun wartete die schwerste Aufgabe des Morgens auf mich: Lotta zu wecken, meine 14-Jährige. Ich ging in ihr Zimmer. Es ähnelt einer Höhle, in der Bären Winterschlaf halten: auf dem Fußboden verstreute Klamotten, auf dem Schreibtisch dreckiges Geschirr und Silberpapier von angebrochenen Schokoladentafeln. Dazu ein ohrenbetäubendes Sägen wie aus der Unterwelt. Die Beschwörungsformel, um dieses unter einem Berg von Kissen und Decken hausende Wesen zu wecken, ist, dreimal laut ihren Namen zu rufen und dann an dem weichen Berg zu rütteln: «Lotta!», rüttel, rüttel, «Lotta!», rüttel, rüttel, «Lotta!», rüttel, rüttel.

Nach einer Weile erschien ein Wust aus Haaren, in dessen Mitte sich langsam, ganz langsam ein Auge öffnete wie das einer sehr alten, sehr weisen Schildkröte. Lotta brauchte eine Weile, um sich zu erinnern, wer ich war. Dann, als ich davon ausgehen konnte, dass sie einigermaßen orientiert war, konnte ich dem Orakel die alles entscheidende Frage stellen: «Guten Morgen, bist du wach?» Das Orakel nickte.

So also konnte ich ein Zimmer weiter schreiten zu Greta, meiner 12-Jährigen. Die galt es allerdings nicht zu wecken, höchstens vielleicht konnte man ihr signalisieren, dass man selbst schon wach war. Im Zimmer dudelte ein Song von Miley Cyrus, dazu räkelte sich Greta, ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, auf ihrer gelben Schaumstoffmatratze. Sie war dabei, einen Workout zu absolvieren. Gerade übte sie Beinscheren und bedeutete ihrem Vater, dass seine Anwesenheit dabei ganz und gar unnötig sei.

Nun blieb mir nur noch, die Nutella-Brote zu schmieren. So, wie Generationen von Müttern und Vätern es vor mir getan hatten. Ich habe gehört, dass Nutella wegen schlechter Haselnussernten unter Lieferengpässen leidet. Sollte die Nutella-Versorgung einmal zusammenbrechen, prophezeie ich das Ende der Zivilisation.

Meiner ältesten Tochter Luna, sie ist schon 19, schickte ich eine Guten-Morgen-WhatsApp mit einem peinlichen Kaffeetassen-Emoji (sie mag gar keinen Kaffee). Das ist das einzig Angenehme daran, wenn Kinder ausziehen, dachte ich: Man ist nicht mehr dafür zuständig, sie morgens aus dem Bett zu holen.

Ich putzte mir die Zähne, dann blinzelte ich aus dem Fenster in den beginnenden, noch kalten Tag. Gerade hob die Sonne das erste Licht über den Horizont. Das war der gemütliche Teil des Morgens gewesen. Als Nächstes galt es, vor die Kinderzimmer zu treten, tief Luft zu holen und zu brüllen: «Lotta, Greta, he! Ihr kommt zu spät zur Schule!»

Gesagt, getan. Sogleich sprangen die Türen der Kinderzimmer auf, zwei Raubkatzen schossen fauchend heraus, schlangen die Nutella-Brote hinunter, versuchten fluchend auf dem Weg ins Bad, einander abzudrängen, riefen panisch nach dieser ganz bestimmten Hose, die sich nicht finden lasse, oder jenem T-Shirt, das doch längst gewaschen sein müsse, polterten durch alle Zimmer, weil sie die Schuhe suchten, die sie am Vorabend irgendwo hatten liegen lassen, jammerten, wo denn das Englischheft sei, das man ganz bestimmt gestern hier hingelegt habe, riefen alle Schimpfworte, die mit «Schei…» anfangen oder mit «…uck» enden, verwünschten einander, weil sie sich bei irgendwas im Weg standen – bevor sie mit einen satten Türenknall aus der Wohnung waren.

Unser Zuhause sah aus wie ein Campingplatz, durch den eine Windhose gerauscht war. Es war ein ganz normaler Morgen. Da stand Juli vor mir:

«Papa, ich hab ganz schlecht geschlafen!»

«Oh, das tut mir leid, warum denn?»

«Ich habe geträumt, ich müsste auf einem Wildpferd reiten.»

«Ich weiß», sagte ich. «Und ich war das Pferd!»

Da fiel mir ein: Heute war ja Kinderfasching in der Kita! Juli würde als Zirkuspferd gehen. «Zirkus» war nämlich als Motto der Feier ausgegeben worden, und da Juli grundsätzlich immer Pferd sein will, war klar, als was sie sich verkleiden würde. Das war mit meiner Tochter nicht zu verhandeln, wie eigentlich kaum etwas mit Juli zu verhandeln ist.

Ich hatte ihr vorgeschlagen, vielleicht als Akrobatin oder Magierin oder Clown zu gehen. Irgendetwas, wofür man eine normale, hübsche Verkleidung finden kann. Aber Zirkuspferd? Wie soll man jemanden als Pferd schminken? Wie konnte ich ihr Hufe machen? Warum ging sie nicht gleich als Kreuzfahrtschiff? Oder als ICE?

Aber meine Jüngste hatte mich nur mit diesem festen Blick angeschaut, eine senkrechte Falte zwischen den Brauen, den Kopf leicht zwischen die Schultern gezogen, und ihre blonden Löckchen kräuselten sich noch widerspenstiger als sonst. Sie hatte ihre Körperhaltung für höchste Verteidigungsbereitschaft eingenommen. Ich ahnte, dass ich schon verloren hatte, ich wollte es nur noch nicht wahrhaben.

Unser letztes Gespräch zu diesem Thema war eine Woche her gewesen:

«Du könntest auch ein prima Zirkuskaninchen sein.»

«Ich will ein Pferd sein!»

«Wie wäre es denn mit einen Zirkushund?»

«Ich will ein Pferd sein!»

«Ich weiß was Tolles!» (jetzt Augen aufreißen, als habe ich gerade einen Geistesblitz davongetragen): «Wir machen eine echte Seiltänzerin aus dir!»

«Ich! Will! Ein! Pferd! Sein!»

«Ach …»

Juli ist die Kleinste, aber es gibt etwas, das sie besser kann als alle ihre Geschwister: wollen. Ich bin wirklich beeindruckt von ihren Woll-Fähigkeiten. Das Wollen ist bei ihr so stark ausgeprägt, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, man könnte dieser Begabung noch etwas hinzufügen. Sie könnte praktisch vom Kindergarten die Schule überspringen und nur noch wollen.

Es gibt ja durchaus Professionen, bei denen das authentische Wollen gefragt ist. Wenn man etwa eine Präsidentschaftswahl gewinnen will, dann müssen einem die Wähler glauben, dass man das, was man vorgibt zu wollen, auch wirklich will, aus tiefstem Herzen. Nicht nur so, weil man glaubt, es wäre opportun.

Wäre meine Tochter gegen Donald Trump angetreten, hätte er keine Chance gehabt: Sie ist die viel kompromisslosere Wollerin. Sie hat eine Gabe, nicht den allerkleinsten Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass sie nichts zwischen sich und ihren jeweiligen Wunsch kommen lassen wird. Allerdings würde Julis Wahlprogramm wahrscheinlich hauptsächlich beinhalten, dass alle Staatsgewalt von Huftieren ausgehen möge. Daran müsste man sich gewöhnen.

Also hatte ich kapituliert. Ein Pferdekostüm zu schneidern wäre vielleicht eine unmögliche Aufgabe gewesen, aber meine Tochter von diesem Kostüm abzubringen wäre noch unmöglicher gewesen – und vermutlich wesentlich unangenehmer. Ich bin da mittlerweile pragmatisch. Warum soll ich zwei Stunden nervenzehrende Diskussionen führen, wenn mein Gegenüber ohnehin gewinnt?

Das mag dem einen oder anderen wie eine Niederlage vorkommen, und man könnte einwenden, ich müsse mich als Vater bei so etwas durchsetzen. Denn wenn nicht jetzt, dann wann? Ja – wann? Ich kann mir aber gar nicht leisten, mich allzu oft durchzusetzen, das würde mich viel zu viel Kraft kosten. Es sind nämlich bei uns zu Hause vier Töchter, meine Ehefrau und ich. Die Mädchen sind immer in der Überzahl.

Es hatte sich übrigens als gar nicht so problematisch herausgestellt, dem Kind ein Pferdekostüm zu besorgen. Ich hatte eines für weniger als 30 Euro im Internet gefunden: einen Ganzkörperanzug mit Pferdekopf. Ich hatte ihn per Eilkurier bestellt. Dazu hatte ich noch weiße Straußenfedern als Kopfputz geordert. Und Greta hatte sogar ein Halfter aus rosa Band gebastelt.

Als ich Juli am Faschingsmorgen ihr neues Kostüm vorstellte, war sie leider skeptisch. «Papa, Pferde haben doch keine Federn!» Erst nachdem ich ihr im Netz eilig zusammengegoogelte Bilder («Zirkuspferd» + «Federn») von der Show des Zirkus Krone zeigte, ließ sie sich überzeugen, dass Zirkuspferde Büschel aus Straußenfedern auf dem Kopf tragen. Dann wollte ich ihr das Kostüm anziehen – die Erzieherinnen hatten darauf gedrungen, dass alle Kinder schon zu Hause verkleidet wurden, nicht erst in der Kita.

«Fahren wir mit dem Auto zur Kita?», fragte Juli.

«Nein, Mama ist nicht da, und nur Mama kann das Auto fahren», sagte ich.

«Das ist so doof, dass du NIE Auto fährst!» Ihr kamen ein paar Tränen, aber bei Juli kommen immer wieder mal Tränen, wenn sie es gerade so möchte. «Jetzt muss ich im Kostüm auf die Straße!»

«Ach was, das ist kein Problem! Ich nehm dich auf die Schultern und trag dich in die Kita.»

«Aber wenn die Leute mich sehen, lachen alle!»

«Quatsch, heute ist doch Fasching, heute sind alle verkleidet!»

Nur mit dieser Notlüge gelang es mir, meine Tochter dazu zu überreden, auf meinen Schultern aufzusatteln. Zur Kita gingen wir etwa eine Viertelstunde, das würde schon gutgehen. Wir verließen das Haus als Pferd, das einen Menschen ritt. Ein sinnfälliges Bild, meinte ich, während wir so durch die Straßen trotteten, der Faschingsfeier entgegen.

«Papa, die Leute hier draußen sind aber gar nicht verkleidet.»

«Doch, die sind alle verkleidet, guck mal, da hat sich einer als Radfahrer verkleidet.»

«Papa, das ist ein echter Radfahrer!»

«Woher willst du das wissen? Das ist einfach nur eine gute Verkleidung. Schau, da hat sich einer als Kind verkleidet.»

«Papa, das ist ein Kind.»

«Meinst du? Guck mal, der da hat sich als Hund verkleidet.»

«MANN, PAPA, DAS IST EIN HUND!»

«Bist du da sicher?»

Und während mein Lügengebäude langsam bröckelte, hoffte ich, dass wir noch rechtzeitig bei der Kita ankämen, bevor das Pferd auf meiner Schulter wirklich Zirkus machen würde.

Meine Vier

Ich bin Vater von vier Töchtern, und ich habe die Sache nicht im Griff. Ich habe mir Vaterschaft mal so vorgestellt, wie sie auf dem Bild «Der Sonntagsspaziergang» von Carl Spitzweg dargestellt ist: Der Patriarch schreitet mit festen Schritten voran, durch eine Landschaft aus hohen Gräsern, seinen Hut hat er auf den Spazierstock gesteckt. Hinter ihm trottet seine Familie, die Mädchen mit lieblichen Sonnenschirmchen, alle vertrauend darauf, dass der Vater den richtigen Weg im Blick hat. Würde man das Bild mit meiner Familie darstellen, zeigte es die Eltern und vier Kinder, die in vier verschiedene Richtungen davonlaufen, der Vater hilflos hinter einer von ihnen herrennend, sein Hut weggeflogen.

Nicht dass ich falsch verstanden werde. Ich möchte mich keinesfalls beschweren. Ich wollte das nur gleich zu Anfang klarstellen. Denn wenigstens eine Sache im Leben würde ich gerne richtig gut können. Und weil ich vier Töchter habe, sind die Menschen geneigt zu glauben, dass ich mich besonders gut darauf verstehe, Mädchen zu erziehen und auf den rechten Weg zu bringen. Man traut mir sogar zu, ein Buch darüber zu schreiben. Tatsächlich beschäftige ich mich seit bald zwanzig Jahren mit der Aufzucht von Töchtern. Aber immer wenn ich denke, ich habe etwas verstanden, wird mir doch nur klar, dass ich gar nichts verstanden habe.

Wenn man eine Familie mit vier Kindern hat, dann ist das statistisch gesehen mehr als das Doppelte der durchschnittlichen Kinderzahl in Deutschland. Für manche ist das schwer vorstellbar. Ich werde öfter mal gefragt, wie es denn so ist, vier Töchter zu haben. Ja, wie ist es?

Neben der Tatsache, dass man als Vater beim Essen die Reste von allen kriegt, ist es vor allem – laut. Sehr laut. Ein bisschen so, als wären da vier Wahnsinnige, die nichts anderes tun, als wahnsinnig zu sein. Oder als wäre man von vier Gouvernanten umgeben, die ständig an einem herumkritteln. Oder von vier potenziellen «The Voice»-Kandidaten, die pausenlos ihre Songs üben. Und alles immer gleichzeitig. Es gibt keinen schrillen Schrei, den ich nicht gehört, keine Popschnulze, die mich nicht bis in die letzten Winkel unserer Wohnung verfolgt, keine Träne, die ich nicht weggewischt hätte.

Vier Töchter zu haben ist etwa so wie an jenem ganz normalen Abend im Februar. Luna stand vor der Tür:

«Was fällt dir an mir auf?»

«Äh, hallo erst mal …»

«Ja, hallo, aber sag doch, was fällt dir auf?»

«Äh, andere Haare?»

«Ach, Papa, ich hab doch schon seit Jahren die gleiche Frisur. Nein, guck doch mal, ich habe neue Sneaker an!»

Mein Blick wanderte zu ihren Füßen, da waren tatsächlich schwarze Turnschuhe. Sie schimmerten leicht.

«Wow.»

(Das habe ich mir angewöhnt. Immer wenn ich etwas sehe, das ich nicht gleich verstehe, von dem ich aber annehme, dass es eine besondere Bewandtnis damit hat, sage ich «Wow».)

«Wie: wow?»

«Na, wow halt, schöne Schuhe.»

«He, das sind nicht nur schöne Schuhe, das sind ganz besondere Schuhe. Schau mal, die Oberseite ist schwarz, die Sohle ist schwarz, das ist superschlicht und superelegant, und dazu ist in der Sohle noch ein kleiner Absatz versteckt! Und vor allem: Ich habe sie von meinem ersten Gehalt gekauft.»

Luna hatte nämlich gerade einen Job an der Garderobe eines Konzertveranstalters angenommen.

«Ah, ja, das ist toll», sagte ich.

Lotta näherte sich von hinten: «Hey, coole Sneaker! Die sind neu, oder?» Und zu mir: «Papa, gib mir mal die Hand, ich will dir was zeigen.»

«Hä?» Ich streckte meiner 14-Jährigen die Hand entgegen. Plötzlich griff sie diese mit beiden Händen, drehte sich einmal um die eigene Achse und kurbelte mir den Arm hinter den Rücken. Ich stöhnte auf.

«Es funktioniert!», jubelte Lotta. «Cool, oder? Das hat mir meine Freundin gezeigt, die macht Aikido.»

«Ja, das ist ganz, ganz reizend, schöne Grüße an deine Freundin. Komm, lass mich mal los.»

«Soll ich wirklich loslassen? Das ist aber gerade so nett, deinen Arm im Polizeigriff zu haben!»

«Ja, furchtbar nett, aber jetzt kannst du mich bitte loslassen, ja?»

Gerade als Lotta losgelassen hatte, hörte ich Wutgeheul aus einem der Kinderzimmer:

«Was für eine Kacke, so eine Scheiße!», rief Greta. Während ich meinen Arm wieder zurechtdrehte, eilte ich in ihr Zimmer.

«Ich krieg das mit dieser blöden Wolle nicht hin, die zieht sich immer zusammen.»

«Was machst du denn da?»

«Na, ich häkele Topflappen, aber ich krieg das null hin, kannst du mir mal zeigen, wie man Topflappen häkelt?»

«Äh, ich weiß nicht, ich glaub, man braucht eine Häkelnadel dazu …»

«Ach, Papa, was du nicht sagst, das weiß ich allerdings auch!»

Jetzt erst fiel mir auf, dass Juli mit schwerem Verdruss über den Flur schlappte.

«Juli, Mama hat mir erzählt, dass ihr heute mit der Kita zu Besuch im Bundestag wart», sagte ich.

Juli nickte trübe.

«Und habt ihr sogar die Frau Merkel gesehen?»

«Ich hab der Merkel zugewinkt …»

«Oh, aha!»

«Aber sie hat nicht zurückgewinkt, das ist so gemein!», jammerte Juli.

 

Man weiß ja nie, was die Kinder bewegt. Einige Tage zuvor, als ich Juli von ihrer Faschingsfeier abholte, fragte ich sie, wie es ihr denn mit ihrem Superpfauenfederzirkuspferdekostüm ergangen sei.

«Gut», hatte sie gesagt, nicht mal aufgeschaut und sich wieder ihren Schleich-Pferden zugewandt.

Und so ist es ungefähr, vier Töchter zu haben.

Papa fährt kein Auto

Ich wäre bei der ganzen Sache gerne souveräner. Wenn ich auf andere Väter schaue, denke ich mir: Yeah, die haben’s drauf. Diese Väter sind zwei Köpfe größer als ihre Kinder und doppelt so breit. Sie machen Vatersachen. Im Winter fällen sie den Weihnachtsbaum im Wald, im Frühjahr bessern sie den Carport aus, im Sommer stehen sie am Grill, im Herbst planen sie den Skiurlaub. Diese Väter sind handwerklich begabt und gleichen den Verlust an Haaren mit einem Gewinn an Bauch aus. Sie haben Kumpels, mit denen sie gerne kicken, reden nicht um den heißen Brei herum und gehen die Dinge gerne mal langsam an. Manche müssen dazu nicht mal Kinder haben und kommen trotzdem total vatermäßig rüber. Ich hingegen habe eine Tochter, die schon einen Kopf größer ist als ich, und gleiche die weniger werdenden Haare mit weniger Muskeln aus. Ich habe zwar das vierfache Vaterzertifikat, würde aber trotzdem am liebsten ständig im Handbuch für richtige Erziehung nachgucken. Leider gibt es kein solches Handbuch.

Manchmal habe ich den Eindruck, meine Kinder meinen auch, dass ich eher ein Vaterdarsteller bin, und noch nicht mal ein besonders guter.

Als ich einmal am Abendessentisch behauptete, immerhin der Kräftigste in der Familie zu sein, rutschten Lotta und Greta fast vor Lachen unter den Tisch: «Wenn du ein bisschen zulegen willst, dann lass doch deinen Stoppelbart wachsen», wieherte Lotta.

«Oder schmier dir noch mehr Ei hinein, das sind ja auch Proteine», lolte Greta. («lol» heißt übrigens «laughing out loud» und wird von meinen Kindern gerne gesagt. Das kann man sicher auch als Verb benutzen.)

Allerdings finden meine Kinder das Ganze nicht immer so lustig, und ganz besonders nicht, wenn der Spaß auf ihre Kosten geht. Typische Väter fahren nämlich Auto. Ich aber nicht. Und das stößt meinen Töchtern besonders in Situationen auf, in denen man einen motorisierten Vater gut brauchen könnte, wie zum Beispiel an jenem regnerischen Märzmorgen in Berlin:

«Papa, warum kannst du eigentlich nicht Auto fahren? Du hast doch einen Führerschein», schimpfte Greta. «Alle anderen Väter LIEBEN Autos!»

Ich warf einen Blick durchs Fenster. Bei dem Wetter sah Berlin noch viel unwirtlicher aus als sonst schon. Der Regen plätscherte auf den Asphalt und ließ kleine Wasserkaskaden emporspritzen. Er wusch den Dreck vom Bürgersteig auf die Straße, wo er sich in großen Pfützen sammelte und darauf wartete, dass Autos mit Schwung hindurchpflügten. Und so ein Passant würde Greta auch gleich sein, wenn sie aus der Tür wäre.

«Andere Väter fahren ihre Kinder jetzt in die Schule!» Greta sah wütend aus. Sie dachte an die anderen Kinder, die mit den anderen Vätern. Diese Väter schlugen jetzt gerade den Kragen ihrer Jacke hoch, um die ungemütlichen zwanzig Meter zum Auto zu sprinten. Vielleicht ein geräumiger Volvo oder ein Lexus. Und die Kinder müssten dann nichts weiter machen, als sich von ihrem Vater durch das nasse Berlin kurven zu lassen. Vielleicht würde der sie noch nach ihrem bevorstehenden Schultag befragen, bevor er sie direkt vor der Schule absetzen würde. Greta hingegen müsste ihre Kapuze über den Kopf ziehen und mit hochgezogenen Schultern durch den Regen staksen, bis sie endlich halb durchnässt am Bus ankommen und mit lauter anderen nassen Menschen Richtung Schule fahren würde. Sie würde ganz durchweicht das Klassenzimmer erreichen, und jeder würde sehen: Greta hat keinen Vater, der sie bei diesem Wetter in die Schule fährt.

«Warum kannst du denn nicht wenigstens mal versuchen, Auto zu fahren?», schalt mich Greta.

Ich hätte eine gute Antwort darauf. Sie hat mit einem Erlebnis zu tun, das viele Jahre zurückliegt. Ich war Student und fuhr mit dem Trabant meiner damaligen Freundin, die aus Ostdeutschland kam, auf einer vierspurigen Autobahn. (Einen Führerschein hatte ich nämlich. Ich habe ihn immer noch. Ich bin einer der wenigen Menschen mit einem Führerschein, der noch ein echter Schein ist.)

Es gab einen Stau, und als der Verkehr irgendwann wieder weiterging, wollte der Trabi nicht mehr. Der Motor erstarb. Die Autos brausten beiderseits an mir vorbei. Etliche hupten wütend, schimpften und drohten. Ich drückte die Warnblinkanlage, aber die Blinker glommen nur noch wie Teelichter. Der Regen strömte die Windschutzscheibe herunter.

In Panik sprang ich aus dem Wagen und winkte, winkte, winkte, jemand möge mich abschleppen. Ich stand dort lange. Verzweifelt. Bis ein netter Mercedesfahrer hielt und mich von der Autobahn auf einen Parkplatz schleppte.

Er war etwas enttäuscht, dass ich gar kein echter Ostdeutscher war, aber er gab mir trotzdem Starthilfe. Ich war dankbar. Anschließend fuhr ich mit 60 auf der Autobahn weiter, während ich laut hupend von Lastern überholt wurde.

Mir war alles egal. Aber ich wusste, ich würde nie mehr Auto fahren.

Das wäre meine Antwort gewesen. Doch Greta hatte schon längst die Haustür mit einem lauten Knall hinter sich zugeworfen, um sich ins kalte Nass zu stürzen.

Zehn Gründe für Töchter

Wenn ich bei irgendeiner Gelegenheit erwähne, dass ich vier Töchter habe, dann höre ich zuweilen Kommentare wie: «VIER TÖCHTER? Respekt!» Oder: «GANZE VIER Töchter? Da haben Sie ja Spaß.» «Spaß» wird dabei so betont, dass es die Bedeutung von «Kein Spaß» einnimmt. Dabei es ist es wirklich eher Spaß als Stress, jedenfalls nicht mehr Stress, als es eben ohnehin Stress ist, Kinder großzuziehen. Würde ich erzählen, dass ich mir vier Gorillas in der Wohnung halte, könnte ich die Reaktion verstehen. Aber vier Töchter? Die machen weniger Stress als Gorillas. Meistens jedenfalls.

Manche stellen sich vielleicht vor, als Vater von vier Töchtern würde man die ganze Zeit verzweifelt an die Badezimmertür klopfen und um Einlass bitten. Man würde nichts anderes tun, als rosa Söckchen an Wäscheleinen zu hängen, und man würde rund um die Uhr mit Musik von Lina Larissa Strahl beschallt. Davon trifft aber lediglich das ständige Lina-Larissa-Strahl-Hören zu, was aber auch nicht so schlimm ist wie die Songs der Kinderpopstars Marcus & Martinus, die andere Eltern hören müssen.

Ich persönlich bin ein großer Fan des Tochterhabens. Das soll niemanden ausschließen. Ich bin sicher, wäre ich Vater von vier Söhnen, dann wäre ich natürlich großer Fan des Sohnhabens. Hätte ich zwei Töchter und zwei Söhne, würde ich das als idealen Zustand empfinden. Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, dass dem empathischen Staunen über Töchterreichtum («VIER TÖCHTER?») noch die jahrhundertealte Vorstellung anhaftet, es sei eine Schmach, keinen männlichen Stammhalter geboren zu haben. Jedenfalls kam mir das in Bayern so vor, wo meine erste Tochter geboren wurde. Da gab es manchmal mitleidvolle Blicke. Aber vielleicht täusche ich mich.

Allen, die mich still bemitleiden, dass ich so viele Töchter habe, kann ich jedenfalls sagen, dass ich überhaupt kein Mitleid brauche. Es hat nämlich viele Vorteile, Vater von Töchtern zu sein, behaupte ich – auch wenn ich Gefahr laufe, hier einige Geschlechterstereotype zu bedienen:

Man muss sich nicht so viele Gedanken über das Männerbild machen. Mein Vater zum Beispiel war manchmal bekümmert darüber, dass ich kein «richtiger Junge» war. Er schenkte mir einen luftbereiften Roller, damit ich damit die Gegend erkunden würde – ich benutzte ihn kaum. Er kaufte mir einen Märklin-Metallbaukasten – ich ließ ihn stehen. Ich war in der Hinsicht eher wie Mädchen, mit denen ich auch lieber spielte.

Bei Mädchen ist man als Vater gegen solche Enttäuschungen gefeit. Ich habe Lotta, als sie noch ein Kita-Kind war, einmal einen Bagger von Lego geschenkt. Sie freute sich und spielte mit dem Bagger. Und dann sagte sie: «So, jetzt bist du müde, mein lieber Bagger» – und brachte ihn zusammen mit ihren Puppen ins Bett.

Mädchen singen schön. Dank meiner Töchter und meiner Frau, die so oft mit ihnen gesungen hat, habe ich einen beachtlichen Schatz an Volks- und Kinderliedern im Kopf. Und singen ist, wie wir alle wissen, gesund. Wahrscheinlich werde ich hundert Jahre alt, allein wegen all der Schlaflieder, die ich gesungen habe.

Man muss sich nicht so gut mit Fußballvereinen auskennen. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber ich kenne Jungen, die tragen seit Jahren als einziges Kleidungsstück das Trikot ihres Lieblingsvereins. Und ich kenne Väter, die sind unglücklich darüber, dass dies Bayern München und nicht St. Pauli ist. Bei meinen Mädchen wollte nur Lotta jemals ein Fußballtrikot tragen, und zwar das vom FSV Hansa Berlin 07, weil sie dort in der Mädchenmannschaft gespielt hat.

Mädchen tanzen von Fortnite alle Tanzsequenzen nach, aber sie kämen nicht auf die Idee, das Videospiel eine ganze Nacht durchzuzocken.

Ich glaube, Mädchen haben weniger Zerstörungspotenzial. Ich brauche es zwar nicht allzu ordentlich. Aber wenn Juli ihre männlichen Freunde aus der Kita zu Besuch hat, sieht die Wohnung danach so aus, als hätten Hells Angels und Bandidos darin einen Bandenkonflikt ausgetragen.

Mädchen sind leichter als Jungs, man kann sie besser tragen, und wenn sie auf einem herumklettern und -hüpfen, dann trägt man weniger schwere Verletzungen davon.

Man muss sich nicht mit Panzern auskennen. Ich habe ja sehr wohl Kontakt zu Jungs. Neulich war ich zum Beispiel mit meinem Neffen unterwegs. Nach einem Kinobesuch waren wir noch in einem Schnellrestaurant, da zog der Kleine plötzlich einen Spielzeugpanzer aus der Tasche und schob ihn – «Brmbrm» – über den Tisch. Das Ding hatte er auf dem Dachboden gefunden. «Was ist das eigentlich für ein Panzer?», fragte er mich. Ich wusste es leider nicht. Die anderen – leicht verstörten – Gäste wussten es auch nicht. Ich weiß, es ist müßig, über Geschlechterunterschiede zu spekulieren. Aber ich vermute einfach mal, bei Mädchen kommt es nicht so häufig vor, dass sie einen mit Panzern in der Öffentlichkeit überraschen. (Es war übrigens ein «Tiger», wie ich später herausfand, der Star-Panzer der Wehrmacht – das gewusst zu haben, hätte es nicht besser gemacht.)