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Dieser Band enthält folgende Krimis: Pete Hackett: Trevellian und der Pate von Little Italy Pete Hackett: Trevellian und der unersättliche Tod Alfred Bekker: Schweigen ist Silber, Rache ist Gold Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur sucht Monsieur Caron Carolyn Wells: Pennington Wise und das leuchtende Gesicht: Kriminalroman In Briefen kündigt ein unbekannter Rächer die Morde an Cops an. Bald findet FBI-Agent Trevellian heraus, dass alle Ermordeten im 20th Precinct gearbeitet haben. Erst vor einem Jahr wurden die Männer versetzt, nachdem ein junger Mann nach schweren Misshandlungen in der Ausnüchterungszelle gestorben war. Offenbar geht es aber nicht nur um einen toten Gefangenen.
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Krimi Quintett Sonderband 1024
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Trevellian und der Pate von Little Italy: Action Krimi
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Trevellian und der unersättliche Tod
Schweigen ist Silber, Rache ist Gold
Commissaire Marquanteur sucht Monsieur Caron
Pennington Wise und das leuchtende Gesicht: Kriminalroman
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Pete Hackett: Trevellian und der Pate von Little Italy
Pete Hackett: Trevellian und der unersättliche Tod
Alfred Bekker: Schweigen ist Silber, Rache ist Gold
Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur sucht Monsieur Caron
Carolyn Wells: Pennington Wise und das leuchtende Gesicht: Kriminalroman
In Briefen kündigt ein unbekannter Rächer die Morde an Cops an. Bald findet FBI-Agent Trevellian heraus, dass alle Ermordeten im 20 th Precinct gearbeitet haben. Erst vor einem Jahr wurden die Männer versetzt, nachdem ein junger Mann nach schweren Misshandlungen in der Ausnüchterungszelle gestorben war. Offenbar geht es aber nicht nur um einen toten Gefangenen.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Krimi von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 120 Taschenbuchseiten.
Familienkrieg! So könnte man die Auseinandersetzung zwischen Giuseppe Marchese, dem Paten von Little Italy, und einem zunächst Unbekannten bezeichnen. Denn dieser Unbekannte will das Drogenimperium von Marchese übernehmen. Dumm nur, dass auch das FBI Wind von der Sache bekommen hat. Aber dann geht einiges schief, und plötzlich steht eine Geiselnahme im Raum.
Partytime bei Nico Marchese. Geladen war die Unterwelt New Yorks. Die Wagen, die vorfuhren, waren unter dem Begriff Nobelkarossen zu subsumieren. Die Ladys, die diesen fahrbaren Untersätzen entstiegen, waren zumeist jung und schön, die Gentleman verdorben bis in ihren Kern und schwerreich.
Das Haus, das Nico Marchese sein Eigen nannte, war ein ziemlich neues, einsames Haus in Queens, mit Blick auf den Spring Creek Park und die Jamaica Bay. In allen drei Stockwerken, die das Haus aufwies, ging an diesem Abend der Punk ab.
Doch wir hatten einen Tipp bekommen.
Nico Marchese sollte am Nachmittag dieses Tages eine größere Lieferung Kokain erhalten haben. Und das Rauschgift sollte im Keller seines Hauses zwischengelagert sein …
Wenn ich sage wir, dann spreche ich vom FBI. Mr. McKee, der Spezial Agent in Charge des Field Office New York, hatte Sarah Anderson und mich auf Nico Marchese angesetzt. Der Gangster gehörte zur Familie Giuseppe Marcheses, der allgemein als der Pate von Little Italy bezeichnet wurde. Genau gesagt war Nico Giuseppes jüngerer Bruder.
Nun hatten wir im Park und auf einigen verschlungenen Wegen Stellung bezogen. Es war schon finster. Die Straßenlaternen, die etwa alle 50 Yards aufgestellt waren, warfen große Lichtflecke auf den Gehsteig und die Fahrbahn. Die Tage waren schon wieder deutlich kürzer geworden. Es ging auf den Herbst zu. Doch seit Tagen brütete glühende Hitze über dem Big Apple. Sie ballte sich zwischen den Wolkenkratzern und in den Straßen. Der Abend brachte kaum Linderung.
Natürlich waren meine neue Teampartnerin Sarah und ich nicht alleine gekommen. Eine Reihe Kollegen vom FBI, unter anderem Blackfeather, Leslie Morell, Jay Kronburg und Fred LaRocca, ein Einsatzkommando des Police Department sowie Beamte des Narcotic Squad hatten das Gebäude umstellt. Wir standen per Walkie-Talkie miteinander in Verbindung. Eine der Sturmgruppen leitete Blackfeather, unser indianischer Kollege, die andere ein Detective Lieutenant Sam Bannister vom Department.
Blackys Stimme kam durch den Äther: „Soeben ist Giuseppe Marchese mit Ehefrau angekommen, Jesse.“ Blacky lachte kehlig auf. „Alles in allem kommen wohl zweitausend Jahre Gefängnis zusammen bei dem Publikum, das sich bisher eingefunden hat.“
„Wir warten noch bis zweiundzwanzig Uhr dreißig, Blacky“, sagte ich, „dann stürmen wir.“
„Alles klar, Jesse. In einer halben Stunde also. Ich bereite die Männer darauf vor. Bis später also, over.“
„Bis später, over.“
Ich senkte die Hand mit dem Sprechfunkgerät und schaute Sarah, meine ausgesprochen hübsche Kollegin, von der Seite an. Für diesen Einsatz hatte ich den Wagen in der Tiefgarage des Federal Building stehen lassen und ihn gegen einen Dienst-Van eingetauscht. Sarah saß auf dem Beifahrersitz und starrte durch die Windschutzscheibe auf das Gebäude, in dem Nico Marchese eine Party gab. Soeben fuhr wieder ein Luxusschlitten vor, dem ein Mann und eine Lady entstiegen. Einer von Nico Marcheses Leuten übernahm das Fahrzeug und chauffierte es auf einen nahegelegenen Parkplatz. Autotüren schlugen. Stimmen erklangen.
Sarah sagte: „Wie kommt es, dass ein Mann wie Giuseppe Marchese mitten in New York so groß werden konnte? Unter den Augen von NYPD und FBI wickelt er seine verbrecherischen Geschäfte ab, und niemand ist in der Lage, ihm das schmutzige Handwerk zu legen?“
„Das kommt daher, dass du erst kurze Zeit bei uns bist“, machte ich den Versuch, zu flachsen. „Mit dir wird natürlich alles anders.“
„Ha, ha“, machte Sarah trocken. „Ich meine es ernst. Es ist doch so, nach allem, was ich weiß.“
Ich zuckte mit den Achseln. „Er ist clever“, erwiderte ich dann. „Marchese macht keine Fehler. Er gilt als renommierter, integrer Immobilienmakler, der seinen Reichtum legal erworben und mit dem Verbrechen nicht das Geringste am Hut hat.“
„Sein Bruder Nico scheint weniger clever zu sein.“
„Er lebt im Schatten Giuseppes. Man darf aber auch ihn nicht unterschätzen. Heute wurde er verraten. Ein illegaler Hinweis, den das FBI erhielt. Möglich, dass man uns auch auf eine falsche Spur gelockt hat. Wir werden es sehen, sobald wir den Bau gestürmt haben.“
Das Gespräch schlief wieder ein.
Wir observierten das Haus. Ich hatte den Van so geparkt, dass wir nicht auffielen. Er stand im Schatten einiger Büsche des Parks. Wer Sarah und mich sah, konnte uns für ein Liebespaar halten. Hin und wieder schaute ich auf die Uhr an meinem Handgelenk. Die Zeit schien stillzustehen. Seit sich Blacky gemeldet hatte, waren noch keine fünf Minuten vergangen.
„Es wäre ziemlich blamabel für uns“, meinte Sarah.
Ich wusste, was sie meinte und nickte. „Sicher. Außerdem hätten wir eine Beschwerde am Hals, die sich gewaschen hat. Die Anwälte des Marchese Clans würden sich auf uns stürzen wie Aasgeier und uns in der Luft zerreißen.“
Ich sprach es und dachte an Milo Tucker. Himmel, normalerweise müsste er an meiner Seite hier im Dienstwagen sitzen. Nicht, dass ich mit Sarah als Partnerin unglücklich gewesen wäre. Sie war eine fähige Agentin, ausgesprochen intelligent und verdammt was fürs Auge, aber sie konnte mir den besten Freund, den ich je hatte, einfach nicht ersetzen.
Ich verdrängte die Gedanken an ihn, denn uns stand ein ziemlich gefährlicher Einsatz bevor, und nur darauf wollte ich mich konzentrieren.
Mein Walkie-Talkie meldete sich. Ich hob es ans Ohr. Es war wieder Blackys Stimme, die erklang. „Soeben ist Luigi Carleone vorgefahren. Er ist in Begleitung zweier Gorillas, aber ohne Frau. Der alte Gangster wird Augen machen, wenn wir der Party ohne jede Vorwarnung die besondere Würze verleihen.“
Ich lachte etwas gequält. „Das hast du schön gesagt, Blacky. Wirklich.“ Wieder warf ich einen Blick auf die Uhr. „Noch zwanzig Minuten …“
„Das Gebäude ist zwischenzeitlich hermetisch abgeriegelt, Jesse“, verkündete Blacky. „Da kommt keine Maus mehr ungesehen heraus.“
„Ich gebe das Zeichen, wenn wir stürmen.“
„All right.“
Ich wandte mich an Sarah. „Du bleibst neben mir. Kein Alleingang oder unnötiges Risiko. Die Kerle, die auf die illustre Gesellschaft aufpassen, sind bewaffnet. Sie schießen erst und stellen dann die Fragen. Wir werden nichts herausfordern und nur auf Nummer Sicher gehen. Klar?“
Unsere Blicke begegneten sich. Obwohl nur die Straßenlaternen die Nacht etwas aufhellten und es ziemlich dunkel war im Wageninnern, glaubte ich erkennen zu können, dass Sarah mich fast belustigt musterte. Ihre Augen glitzerten. „Du hast doch nicht etwa Angst um mich, Partner?“
„Doch“, versetzte ich lakonisch.
Sie lachte.
Ich hatte guten Grund, so zu ihr zu sprechen. Sarah war jung und draufgängerisch, und das konnte in unserem Job bei Gott ins Auge gehen. Sie musste lernen, erst abzuwägen und dann zu handeln. Andernfalls lernte man es aus den Lektionen, die einem der Job erteilte – wenn man nicht vorher tot war.
Ein weißer Kastenwagen erregte meine Aufmerksamkeit. Er kam aus Richtung Shore Parkway, fuhr ziemlich schnell, bog in die Einfahrt ein und hielt mit quietschenden Bremsen vor dem Haus Marcheses an.
War das der Party-Service? Kaum vorstellbar, denn dieser war sicher lange vor den Gästen hier gewesen. Auch fehlte eine entsprechende Aufschrift auf dem Transporter.
Da flog auch schon die Hecktür auf. Heraus sprang ein Mann, der mit beiden Händen etwas Längliches schräg vor seinem Körper hielt. Ein zweiter sprang aus dem Wagen, ein dritter … Ich traute meinen Augen nicht. Das Längliche, das jeder von ihnen hielt, waren MPs. Ich konnte es plötzlich ganz deutlich erkennen. Und diese gefährlichen Waffen begannen unvermittelt zu rattern. Feuergarben zerschnitten die Dunkelheit. Die Angestellten Marcheses, die sich vor dem Haus und im Bereich der Einfahrt befanden, um die Gäste des Mafioso in Empfang zu nehmen, wurden von den Kugeln herumgerissen, geschüttelt und zu Boden geworfen. Die Detonationen versanken in der nachfolgenden Stille, die sich wie ein Leichentuch über das Grundstück senkte.
Insgesamt hatten sieben Männer den Kastenwagen verlassen. Sie schleppten die reglosen Körper in den Garten, kamen im Laufschritt zurück und verschwanden nacheinander in der Haustür. Das Treppenhaus war hell beleuchtet. Einige hämmernde Feuerstöße erklangen.
Ich schüttelte meine Fassungslosigkeit ab. „Blacky!“, schrie ich entsetzt ins Walkie-Talkie. „Blacky, kommen! Hast du das gesehen? Scheinbar hat außer uns noch jemand an Nico Marchese und dem Kokain Interesse. Großer Gott, wie es scheint, richten die Kerle da drin ein Blutbad an!“
„Wir müssen eingreifen!“, keuchte Blacky. „Wir müssen stürmen!“
„Und ins Feuer der Schufte rennen“, schnappte ich entsetzt, „oder riskieren, dass sie Geiseln nehmen! Nein! Wir warten ab und nehmen sie in Empfang, wenn sie das Haus verlassen.“
Ich hatte mich von einem Augenblick zum anderen entscheiden müssen, und ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass es die richtige Entscheidung war, die ich getroffen hatte.
Seit der Kastenwagen vorgefahren war, waren keine 45 Sekunden vergangen.
Ich ging auf die Frequenz von Detective Lieutenant Sam Bannister. Er und seine Leute befanden sich hinter dem Haus. Sie hätten das Gebäude durch die Hintertür stürmen sollen. Ich klärte den Kollegen vom Police Department mit knappen Worten auf.
„Ja“, sagte er, „ich habe die Schüsse im Haus gehört, konnte mir aber keinen Reim drauf machen. Dachte, die andere Gruppe habe den Bau schon durch die Vordertür hops genommen. Wir haben uns schon bereit gemacht. Was nun, Trevellian? Sollen wir stürmen?“
„Auf keinen Fall. Wir warten, bis die Kerle herauskommen und schlagen dann zu. Dann haben wir auch das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Blackfeather und seine Gruppe gehen schon in Position. Bleiben Sie auf der Rückseite, Bannister, und sollte es vorne zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Gangstern kommen, dann fallt ihr ihnen in den Rücken.“
„Gut, Trevellian, verstanden. Ende.“
Ich legte das Walkie-Talkie weg und stieg aus dem Van. Sarah folgte meinem Beispiel. Sie – so schien es mir –, war voller Tatendrang. Draußen zogen wir unsere Waffen. Schwer lag die SIG P226 in meiner Faust. Wir drückten die Autotüren zu …
Einige MP-Garben harkten in die Decke des riesigen Livingrooms mit der pompösen Einrichtung, in dem die Gäste in kleinen Gruppen beieinander standen, Champagner-Kelche in der Hand hielten und sich angeregt unterhielten.
Staub und Mauerwerk regneten zu Boden. Ein Querschläger wimmerte ohrenbetäubend. Die Detonationen drohten den Raum aus allen Fugen zu sprengen.
Die Gäste standen wie erstarrt. Die Gesichter hatten sich entfärbt. Das Entsetzen griff um sich. Und mit dem Entsetzen kam die panische Angst. Eine grell geschminkte, wasserstoffblonde Frau stieß einen spitzen Schrei aus. Sie griff sich ans Herz und wankte. Niemand kümmerte sich um sie.
„Wer nach der Waffe greift ist tot!“, drohte einer der beiden Kerle, die sich neben der Tür aufgebaut hatten. Beide waren maskiert. Von den Gesichtern waren nur die Augen zu sehen. In ihnen lag eine tödliche Drohung. Die Mündungen der MPs pendelten über die Anwesenden hinweg.
In der ersten Etage hielten ebenfalls zwei Bewaffnete die Gäste in Schach.
Die anderen drei hetzten hoch in die zweite Etage. Auf der Treppe kamen ihnen zwei Männer in dunklen Anzügen und weißen Rüschenhemden entgegen. In Ihren Händen lagen Pistolen. Zwei Salven aus den MPs fegten sie von den Beinen. Haltlos krachten sie die Stufen hinunter und blieben verrenkt liegen. Dann drängten sich die drei Eindringlinge in den Partyraum. Leise Musik ertönte aus mehreren Lautsprechern. Männer in Smokings und Frauen in teurer Abendrobe standen herum, atemlos vor Schreck, wie gebannt, total überrollt von den Ereignissen.
Zwei der Eindringlinge bauten sich neben der Tür auf und schwenkten die Mündungen im Halbkreis herum. Der Dritte, ein hochgewachsener, hagerer Mann, trat an einen Burschen von etwa 45 Jahren heran. Seine schwarzen Haare waren glatt nach hinten gekämmt und glänzten ölig. Sein Gesicht war dunkel und schmal. Eine Reihe von Gemütsbewegungen ließ seine Augen flackern, seine Lippen bewegten sich, doch kein Wort kam über sie.
„Vorwärts, Nico“, stieß der Maskierte hervor, „wir gehen in den Keller.“
Nico Marchese, der Gastgeber, der zur Feier seines 46. Wiegenfestes geladen hatte, saugte keuchend die Luft durch die Zähne ein, musste zweimal ansetzen, und schließlich platzte es über seine bebenden, blutleeren Lippen: „Was sollen wir dort? Was wollen Sie von mir? Wenn Sie gekommen sind, um uns zu berauben, dann …“
„Stell dich nicht dumm, mein Freund!“ So schnitt ihm der Maskierte das Wort ab und stieß ihm leicht den Lauf der MP in den Leib. „Du weißt genau, was wir wollen. Also ab mit dir in den Keller!“
Ein gehetzter Ton entrang sich Nico Marchese. Sein hilfeheischender Blick sprang in die Runde, verkrallte sich am Gesicht seines Bruders Giuseppe, in dem es arbeitete. Über der Nasenwurzel Giuseppes standen zwei steile Falten. Seine dunklen Augen erinnerten an glühende Kohlestücke.
„Dein Bruder kann dir nicht helfen, Nico“, knurrte der Maskierte. „Vorwärts, oder ich muss dir Beine machen. Meine Geduld hat Grenzen.“
Kaum merklich nickte Giuseppe Marchese.
Wie von Schnüren gezogen setzte sich Nico Marchese in Bewegung. Er ging wie im Trance. Der Maskierte bugsierte ihn mit der Maschinenpistole vor sich her. Sie stiegen die Treppe hinunter. In den drei Stockwerken hielten die Komplizen des Maskierten die Gäste Nicos in Schach. Im Haus herrschte jetzt eine fast gespenstische Stille. Nur die Schritte auf der breiten Treppe hallten im Treppenhaus.
Nico machte Licht, nachdem er die Kellertür geöffnet hatte. Es waren Neonröhren an der Decke, die aufflammten. Die Helligkeit kroch in die Ecken und verdrängte die Finsternis.
„Ich will das Kokain!“, knurrte der Maskierte dicht neben Nico Marcheses Ohr. „Und erzähl mir nicht, dass du nichts davon weißt. Es sind zwanzig Kilogramm. Ich bin genauestens im Bilde.“
Nico Marchese zog den Kopf zwischen die Schultern. Sein Atem ging stoßweise. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und drohte in seiner Brust zu zerspringen. „Woher weißt du das?“, brach es aus seiner Kehle, seine Stimme klang belegt und heiser.
„Ich bin eben bestens informiert, mein Freund. Gehen wir.“
Sie stiegen die Treppe hinunter. Unten waren verschiedene Türen. Auf eine dieser Türen – es war eine Feuerschutztür aus Stahlblech –, ging Nico Marchese zu. Er öffnete sie. Sie befanden sich im Heizraum. Soeben schaltete der Brenner der Zentralheizung ein, um das Warmwasser aufzubereiten. Ein saugendes Geräusch erklang, dann das typische Bullern …
Licht fiel vom Flur in den Raum. Nico Marchese betrat ihn, sein linker Arm hob sich, seine Hand tastete nach dem Lichtschalter. In diesem Moment schlug in der Jackentasche des Maskierten das Handy an.
Der Gangster knirschte eine Verwünschung, angelte das Mobiltelefon aus der Tasche, ging auf Empfang und hob es vor sein Gesicht: „Was ist, verdammt?“
„Da stimmt was nicht“, sagte der Bursche, der vor dem Haus im Lieferwagen die Stellung hielt. „Ich sah einige Schemen am Rand des Parks. Beim Henker, ich glaube, nicht nur Marchese ist verraten worden.“
„Täuscht du dich auch nicht?“, presste der Maskierte im Keller hervor.
„Nein. Verdammt, beeilt euch. Irgendetwas geht vor.“
„Wir kommen sofort. Lass den Motor schon mal an.“ Der Maskierte unterbrach die Verbindung und versenkte das Handy wieder in der Jackentasche. „Also, Marchese, wo …“
Nico Marchese hatte sich herumgeworfen. Mit dem linken Unterarm schlug er den Lauf der MP zur Seite, seine Rechte landete im Gesicht des Maskierten. Ein erschreckter Aufschrei entrang sich diesem, er taumelte zurück, ehe er aber die Waffe in Anschlag bringen konnte, setzte Nico ihm schon nach und drückte den Lauf zur Seite. Und er schickte erneut seine Faust auf die Reise. Sie bohrte sich in den Leib des Maskierten und ließ ihn in der Mitte einknicken. Ein dumpfer Laut war zu hören, als ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurden. Sein Finger krümmte sich!
Eine Serie von Schüssen donnerte. Die Kugeln meißelten Löcher in die Wand und pfiffen als Querschläger durch den Keller. Mit einem knackenden Geräusch verstummte der Heizungsbrenner. Es stank sofort nach verbranntem Pulver und Heizöl.
Nico Marcheses Hand, die den Lauf der MP umklammert hielt, zuckte zurück, als hätte er sie sich verbrannt. Der Krach lähmte die Trommelfelle. „Elender Hund!“, fauchte der Italoamerikaner und schlug ein drittes Mal zu.
Die Maske rutschte vom Gesicht des Gangsters mit der MP.
„Du!“, keuchte Nico Marchese fassungslos. „Dafür …“
Doch jetzt hatte der Maskierte seine Überraschung überwunden. Sein Bein flog hoch und traf Marchese empfindlich im Schritt. Nicos Hände verkrampften sich unwillkürlich über der Stelle, von der aus der Schmerz wie Höllenfeuer durch seinen Körper zuckte, er beugte sich nach vorn. Der Maskierte wirbelte das Gewehr herum und schlug Nico Marchese den Kolben gegen das Kinn. Marchese wurde gegen die Wand geschleudert, rutschte daran nieder und kauerte auf den Hacken. Der Ton, der sich in seiner Brust hochkämpfte und aus seiner Kehle stieg, erinnerte an ein trockenes Schluchzen.
Der Gangster zog seine Maske wieder hoch und knipste das Licht im Heizraum an. Aus einem der beiden Blechtanks ergoss sich ein fingerdicker Strahl Heizöl auf den Boden und bildete schon eine ziemlich große Lache. Der Ofen wies einige Kugellöcher auf. Aus dem Brennerkasten tropfte ebenfalls Heizöl.
„Wo ist das Kokain?“, peitschte das Organ des Maskierten.
Nico Marchese hatte noch mit seiner großen Not zu kämpfen. Er kauerte an der Wand und presste die rechte Hand gegen die Stelle am Kinn, wo der getroffen worden war. Blut rann aus einer Platzwunde über seinen Hals und sickerte in den Hemdkragen.
„Such es doch!“, knirschte er trotzig, obwohl ihn die Angst fest im Klammergriff hielt. Sie wühlte in seinen Augen und sprach aus jedem Zug seines Gesichts. „Damit hast du dein Todesurteil gefällt, Mario. Du weißt, was die Familie mit Verrätern macht. Himmel, wie kannst du bloß …“
Der Maskierte schlug die MP auf ihn an. Die tödliche Entschlossenheit prägte sein Gesicht. „Dein Tod ist beschlossene Sache, Nico“, knurrte er. „Es wird also niemand erfahren. Denn Tote reden nicht.“
Abwehrend hob Nico Marchese die Hände. „Bitte, Mario …“
Ohne mit der Wimper zu zucken drückte der Maskierte ab. Es war ein eiskalter Mord. Die letzte Wahrnehmung im Leben Nico Marcheses waren die Mündungslichter, die wie gierige Zungen aus der Mündung leckten. Die Geschosse schüttelten ihn und nagelten ihn regelrecht gegen die Wand. Und erst, als der Maskierte aufhörte zu feuern, sank er haltlos in sich zusammen.
Der Maskierte schaute hinter die Öltanks, hinter den Ofen, drehte einige Kartons um, die hier herumstanden. Den Inhalt verstreute er über den Boden. Es handelte sich um ausrangierte Kleidungsstücke, um Christbaumschmuck und Lichterketten, mit denen zu Weihnachten das Haus geschmückt wurde, und um andere Dinge, an denen der Verbrecher jedoch nicht das geringste Interesse hatte.
Fluchend rannte er aus dem Heizraum, die Treppe hinauf, im Erdgeschoss brüllte er: „Wir verschwinden! Es ist eine Falle! Nichts wie weg!“
Oben schrie einer: „Bleibt, wo ihr seid! Ich warne euch!“
Eine Tür flog krachend zu. Auf der Treppe trampelten Schritte. Dann stürzten die Kerle aus dem Haus.
*
Ich benutzte das Megafon, das ich vom Rücksitz des Van geholt hatte, und rief: „Stehen bleiben und Waffen fallen lassen! Hier ist das FBI. Sie sind umstellt, also …“
Die MPs begannen zu hämmern. Die Mündungslichter stießen in rasender Folge aus den Läufen. Die Detonationen vermischten sich zu einem höllischen Crescendo, wurden in den Park hineingeschleudert und trieben über die Jamaica Bay hinweg.
Der Bursche, der am Steuer des Kastenwagens gesessen hatte, mischte mit. Er war aus dem Fahrzeug gesprungen, stand geduckt neben dem linken Vorderrad und schoss mit einer Pistole.
Meine Kollegen eröffneten das Feuer. Es klirrte, krachte und schepperte. Die Gangster spritzten auseinander, als wäre eine Granate zwischen ihnen explodiert. Geschrei mischte sich in das Knattern der Schüsse. Einer der Kerle hielt an, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, brach auf die Knie nieder und fiel auf das Gesicht.
Zwei, drei andere verschwanden wieder im Haus. Schüsse krachten.
Ich hatte die Flüstertüte auf den Autositz geworfen und war hinter dem Van in Deckung gegangen. Neben mir kauerte Sarah. Ich konnte die Wärme ihres Körpers spüren. Aber es turnte mich nicht an – nicht in dieser Situation, da die Kugeln um uns herum pfiffen wie bösartige Hornissen.
Plötzlich schwiegen die Waffen. Die Gangster waren verschwunden, als hätte sie die Erde geschluckt. Sekundenlang herrschte bleischwere, drückende Stille. Dann erklang an einem der Fenster des Hauses eine Stimme. Sie rief:
„Heh, ihr vom FBI! Wir haben mindestens fünfzig Geiseln. Und wenn ihr innerhalb einer Viertelstunde nicht verschwunden seid, beginnen wir, sie zu erschießen. Alle Viertelstunde wird eine der Geiseln dran glauben. Ich sage das nicht zum Spaß. Eine Viertelstunde! Dann stirbt Giuseppe Marchese. Eine Viertelstunde später seine Frau …“
„Das können wir nicht entscheiden“, flüsterte Sarah Anderson mir zu. Ihre Stimme klang fest und sicher. Dass ihr vor einer Minute noch heißes Blei um die Ohren geflogen war, schien diese Lady nicht im Geringsten zu belasten. Mutter Courage fiel mir dazu nur ein. So leicht war Sarah wohl durch nichts zu erschüttern.
„Ich weiß“, versetzte ich, schnappte mir das Megafon und rief: „Um das zu entscheiden ist niemand hier kompetent. Wer seid ihr überhaupt? Was hat euch veranlasst, das Haus Nico Marcheses zu stürmen?“
„Mit wem spreche ich?“, kam es zurück.
„Special Agent Trevellian, FBI.“
„Schön. Hör zu, Trevellian: Ich spaße nicht. Ob kompetent oder nicht, ihr verschwindet. Wer wir sind, werde ich dir natürlich nicht auf die Nase binden. Was uns veranlasste? Nun, ich denke, wir sind aus dem selben Grund hier wie ihr. Man hat uns einen Tipp gegeben, dass hier im Haus zwanzig Kilogramm Kokain gelagert werden. Tatsächlich aber wurde ich wohl in eine Falle gelockt.“
Das sah ich auch so. Im Moment zumindest.
Man hatte uns mit der selben Begründung hergelockt. Der Anrufer meinte, anlässlich der Geburtstagsfeier könnten wir auch den Rauschgiftlieferanten schnappen, der sich sicherlich unter den Partygästen befindet. Zwischenzeitlich bezweifelte ich, dass es auch nur ein Gramm Kokain in Marcheses Haus zu finden gab.
Es sah ganz so aus, als hätte uns jemand vor seinen schmutzigen Karren gespannt. Und nun war ich wohl gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, wollte ich nicht, dass der Verbrecher tatsächlich nach Ablauf von 15 Minuten eine Geisel erschoss. Auch wenn Giuseppe Marchese ein übler Mafioso und Clanführer war. Sein Leben durfte nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Ich beschloss, Mr. McKee anzurufen. Der SAC befand sich noch im Federal Building. Das wusste ich, denn er wollte noch in dieser Nacht über den Verlauf des Einsatzes bei Nico Marchese unterrichtet werden.
Jetzt musste ich ihm mitteilen, dass wir vor einem gewaltigen Problem standen.
Ich holsterte die P226!
Mr. McKee war natürlich ziemlich von den Socken, wie man so schön sagt. Sekundenlang schwieg er, nachdem ich ihm Bericht erstattet hatte. Dann kam sein erster Kommentar.
Er sagte zwischen gepressten Atemzügen: „Da hat uns jemand einen üblen Streich gespielt, Jesse, und nicht nur uns. Auch den Gangstern, die das Haus überfielen, hat jemand einen kräftigen Strich durch die Rechnung gemacht.“
„Ja, Sir, auch ich bin überzeugt davon, dass dahinter System steckt. Jemand hat sowohl uns wie auch die MP-Bande mit falschen Informationen gefüttert und uns sozusagen aufeinander gehetzt. Aber das zu ergründen werden wir noch ausreichend Zeit haben, Sir. Jetzt bedarf es einer schnellen Entscheidung. Sollen wir die Gangster ziehen lassen? Ich nehme die Drohung sehr ernst, dass sie nach Ablauf von fünfzehn Minuten und jede weitere Viertelstunde eine Geisel erschießen.“
„Eine schwere Entscheidung, Jesse. FBI und Police Department dürfen nicht erpressbar werden. Himmel, die Schufte lassen uns aber nicht die Zeit, in einem großen Krisenstab zu beraten, ob wir uns ihrer Forderung beugen. Ich hab nicht mal die Zeit, mit Chief Hywood vom Department Verbindung aufzunehmen und mich mit ihm abzusprechen. Was meinen Sie, Jesse?“
Das klang nach momentaner, großer Ratlosigkeit des Chefs.
Verständlich. In einer derart schwerwiegenden Angelegenheit eine unbürokratische Entscheidung zu treffen und gegebenenfalls über etwa 50 Köpfe den Stab zu brechen – das ging gewaltig an die Substanz. Gab der SAC aber der Forderung des Gangsters nach, stand er hinterher wahrscheinlich bis hinauf ins Weiße Haus im Kreuzfeuer der Kritik. Wie immer er auch entschied – es konnte falsch sein.
Er wollte meinen Rat hören. Na schön. Ich hatte mir eine Meinung gebildet und sagte: „Nun, Sir, das Haus zu stürmen und die Geiseln zu befreien dürfte ausgeschlossen sein, es sei denn, wir riskieren ein Massaker. Die Drohung des Gangsters, dass er nach Ablauf einer Viertelstunde Giuseppe Marchese erschießen wird, darf andererseits nicht auf leichte Schulter genommen werden. Wir sollten die Halunken ziehen lassen.“
„Gut, aber hinterher werden wir alles daran setzen, den Gangstern das Handwerk zu legen. Gibt es sonst noch Forderungen?“
„Nein, bis jetzt nicht. Aber sicher werden die Schufte ein Faustpfand mitnehmen. Ich denke, dass sie Giuseppe Marchese, möglicherweise auch seine Frau, als Geisel behalten werden, bis sie in Sicherheit sind.“ Ich schaute mit dem letzten Wort auf die Uhr. „Wir haben noch zehn Minuten Zeit, Sir.“
„Gut, Jesse. Gehen Sie auf die Forderungen des Gangsters ein und lassen Sie die Bande ungeschoren ziehen. Wir dürfen weder das Leben Marcheses noch das Leben einer anderen Geisel gefährden.“
„Sicher, Sir. Tote hat es schon genug gegeben. Was wir im Haus vorfinden werden, wissen wir nicht. Es sind viele Schüsse gefallen. Wir müssen es auf uns zukommen lassen.“
„Halten Sie mich auf dem Laufenden, Jesse.“
„Klar, Sir.“
Ich beendete das Gespräch und versenkte mein Handy in der Jackentasche. Erwartungsvoll musterte mich Sarah. Ich nickte ihr zu und erklärte mit etwas tonloser Stimme: „Wir gehen auf die Forderung des Kerls ein. Im Moment haben wir keine andere Wahl. Die Schufte haben nichts zu verlieren, und darum werden sie die Geiseln nicht schonen.“
„Das wird so ziemlich einmalig sein in der Geschichte des FBI“, entfuhr es Sarah impulsiv. „Mein Gott, ich sehe schon die Schlagzeilen in den Medien: FBI lässt sich erpressen, FBI gibt den Forderungen eines Verbrechers nach. Die Öffentlichkeit wird uns in der Luft zerreißen.“
Ich lächelte freudlos. „Davon dürfen wir uns nicht leiten lassen. Die Öffentlichkeit würde uns auch fertig machen, wenn wir stürmen würden und Polizisten sowie Geiseln zu Schaden kämen. Zunächst mal ist es wichtig, das Gros der Geiseln heil und unbeschadet freizubekommen. Und dann sehen wir weiter.“
Ich schnappte mir wieder das Megafon und rief mit lautsprecherverstärkter Stimme: „Okay, Mister, wir ziehen uns zurück. Damit haben Sie keinen Grund mehr, auch nur einer einzigen Geisel ein Haar zu krümmen. Sie können das Haus als freie Leute verlassen und wegfahren. Mein Wort drauf.“
Die Worte trieben durch die Finsternis und versanken in der Stille.
Neben mir hörte ich Sarah in ihr Walkie-Talkie sprechen. Sie gab Blackfeather und Sam Bannister, dem Kollegen aus dem Department, entsprechende Anweisungen.
Der Wortführer der Gangster im Haus antwortete: „Auf dein Wort pfeife ich, Trevellian. Wir werden warten, bis die fünfzehn Minuten abgelaufen sind. Dann kommen wir hinaus. Wir werden Giuseppe Marchese und seine Frau dabei haben, und solltest du uns mit einer bösen Überraschung aufwarten, Trevellian, dann schießen wir die beiden in der Mitte auseinander.“
Im Park rund um das Gebäude wurde es zwischen den Büschen und in den Schlagschatten der Bäume für kurze Zeit lebendig. Gedämpfte Stimmen gaben knappe Befehle. Kies knirschte unter schnellen Schritten, Absätze tackerten auf Betonpflaster. Ich beobachtete über das Dach des Van hinweg das Haus, in dem jetzt sämtliche Lichter verloschen. Der weiße Kastenwagen stand auf der Straße vor der Einfahrt.
Und dann sah ich den ersten Schemen das Haus verlassen. Er stieg in das Führerhaus des Lieferwagens und ließ den Motor an. Der nächste kam und warf sich auf den Beifahrersitz. Und dann kam eine Gestalt, die sich seltsam steif bewegte. Ich sah den hellen Fleck eines Gesichts und den Schimmer grauer Haare und wusste, dass es sich um Giuseppe Marchese handelte, den Paten von Little Italy, von wo aus er seinen Clan oder die Organisation, wie immer man die Bande auch bezeichnen mag, mit harter Hand leitete. Dichtauf folgte dem Mafioso ein Maskierter. Soviel war im diffusen Licht zu erkennen. Ich konnte sogar die Metallteile der MP matt schimmern sehen.
Marchese musste hinten in den Wagenkasten steigen. Auch der Maskierte verschwand. Mrs. Marchese kam mit ihrem Bewacher. Die beiden verschwanden ebenfalls auf der Ladefläche des kleinen Lastwagens. Und dann folgten noch drei der Gangster. Zwei von ihnen luden den Burschen in das Fahrzeug, der bei dem kurzen Feuergefecht mit uns niedergeschossen worden war. Dann wurde die doppelflügelige Hecktür geschlossen. Die Scheinwerfer gingen an, die Lichtfinger bohrten sich in die Finsternis hinein, rissen einige parkende Autos, Gartenzäune, Hecken und dichtes Gebüsch aus der Nacht.
Das Fahrzeug rollte an, kam schnell in Fahrt, das Automatikgetriebe schaltete auf den nächsthöheren Gang, und der Lieferwagen fuhr schnell davon. Die Rücklichter verschwanden schon bald um eine Kurve in einer Querstraße. Das Motorengeräusch wurde schnell leiser.
Im Haus flammten die Lichter auf. Erregte Stimmen erschallten. Dann drängten die ersten Gäste ins Freie. Einige Kollegen kamen zwischen den Büschen hervor, andere näherten sich auf der Straße. Sarah und ich liefen am Gartenzaun des parkähnlichen Grundstücks entlang und bogen dann in die Einfahrt ein. Die Kollegen nahmen die ins Freie drängende, fassungslose und vom nachträglichen Entsetzen noch gebeutelte Meute in Empfang. Verworrener Lärm erfüllte die Atmosphäre im Garten.
Ich traf auf Zeerokah. Er sagte: „Ich habe schon die Kollegen von der Spurensicherung angefordert. Die Kollegen von der SRD sind ebenfalls im Anmarsch.“
SRD ist die Abkürzung für Scientific Research Division. Hierbei handelte es sich um den zentralen Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeidienststellen.
Ich bedankte mich bei Blacky. Dann drangen wir in das Haus ein. Sarah wich mir nicht von der Seite. Fest umklammerte ihre Hand den Griff der P228. Die P228 war kleiner und handlicher als die P226, auch Annie Francesco und Jennifer Johnson benutzten sie.
Im Keller stießen wir auf den Leichnam Nico Marcheses. Er lag mitten in einer Heizöllache. Seine Brust war von einer MP-Garbe regelrecht zerfetzt worden. Die Augen des Gangsters waren weit aufgerissen und kündeten vom letzten Schrecken seines Lebens.
Sarah schluckte mühsam. Aber auch ich spürte einen galligen Geschmack und eine jähe Trockenheit in der Mundhöhle. Nico Marchese war regelrecht hingerichtet worden.
Wir sahen uns um. Da waren zwei Öltanks aus Stahl. Aus dem Einschussloch rann kein Öl mehr. Da es ziemlich hoch lag, war auch nicht besonders viel Öl ausgelaufen. Dennoch würden wir die Männer vom Fire Department verständigen müssen, damit sie das Öl banden und eine Grundwasserverschmutzung verhinderten.
Wir ließen für die Spurensicherung alles so, wie es war, und gingen wieder nach oben. Die Kollegen stellten die Personalien der Gäste Nico Marcheses fest. Wir begaben uns dorthin, wo im Licht eines Scheinwerfers die getöteten Bodyguards Nico Marcheses lagen. Vier blutüberströmte Leichen. Sicher war der eine oder andere der Getöteten polizeibekannt.
Leslie Morell, Jay Kronburg und Fred LaRocca empfingen uns, Jay stieß grimmig hervor: „Jeder der Kerle trug eine Kanone im Achselhalfter, doch keiner kam dazu, sie zu ziehen. Himmel, wer mag diesen Überfall inszeniert haben?“
„Auf jeden Fall jemand, der den Marcheses nicht gut gesonnen war“, antwortete ich. „Ein Konkurrenzunternehmen wahrscheinlich. Wer weiß?“
Fred LaRocca sagte: „Im Haus liegen noch zwei Tote. Sehen aus wie die Gorillas, mit denen Carleone ankam.“
Blacky schaute mich an. „Luigi Carleone befindet sich unter den Gästen. Wir sollten vielleicht ihn einmal fragen, ob den Marcheses Konkurrenz erwachsen war in letzter Zeit. Mir sieht das nach einem Bandenkrieg aus. Marcheses Konkurrenz hat Wind davon bekommen, dass Nico von einem unbekannten Lieferanten zwanzig Kilogramm Kokain erhalten haben soll. In diesen Kreisen wird nicht lange gefackelt. Da werden Nägel mit Köpfen gemacht.“
„Ja“, sagte ich, „reden wir mit Carleone. Ich denke aber, dass er uns kaum was sagen wird.“
„Warum nehmen wir ihn nicht mit ins Federal Office und führen dort das Verhör durch?“, fragte Sarah Anderson. „Psychologisch gesehen …“
Ich unterbrach sie. „Carleone ist ein mit allen schmutzigen Wassern gewaschener Gangster, Sarah. Er wird ohne seinen Anwalt kein Sterbenswort von sich geben. Und auch mit Anwalt wird er uns nichts erzählen, was ihn belasten könnte. Weshalb also einen unnützen Aufwand betreiben, der den Steuerzahler nur Geld kostet?“
Kriegerisch funkelte das streitbare Girl mich an. „Aaah, ein G-man, der fiskalisch denkt.“
Ich seufzte, nahm Sarah am Oberarm und dirigiert sie mit sanfter Gewalt hinter Blacky her, der schon auf dem Weg zu dem Pulk Menschen war, der von Polizisten umringt heftig diskutierte und gestikulierte. Geraune, das sich anhörte wie das monotone Rauschen eines Wasserfalls, hing in der Luft. Jetzt, da der erste Schock verarbeitet und die Angst überwunden war, lockerten sich die Zungen.
Das Haus war von Polizisten abgesperrt worden. Niemand, außer kompetenten Kollegen natürlich, durfte es mehr betreten, damit keine möglichen Spuren zerstört werden konnten.
„Mr. Carleone!“, hörte ich Blacky rufen. „Wir möchten Sie sprechen, Mr. Carleone. Melden Sie sich.“
Ein hochgewachsener Mann bahnte sich einen Weg durch die Menge. Luigi Carleone, neben Nico Marchese der engste Vertraute des Paten von Little Italy. Die linke Hand des Teufels sozusagen. Wir wussten es, aber wir hatten nichts in Händen gegen den Mafioso. Darum mussten wir vorsichtig agieren, wollten wir uns keine Beschwerde einhandeln.
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Carleone mit wohlklingender Stimme. Dabei musterte er mich ohne die Spur einer Emotion.
Carleone trug einen dunklen Smoking, ein weißes Hemd, das am Hals von einer gepunkteten Fliege zusammengehalten wurde, und glänzende Lackschuhe. Irgendwie wirkte er etwas lächerlich in diesem Aufzug. Fast wie ein Relikt aus den 20er Jahren. Die graumelierten dunklen Haare waren lockig und zurückgekämmt, das Gesicht war schmal, die wachen Augen verrieten ein hohes Maß an Intelligenz.
Dieser Mann, der so harmlos aussah, war in Wirklichkeit aalglatt, gefährlich, skrupellos und tödlich wie Klapperschlangengift.
„Ein paar Fragen im Zusammenhang mit den Geschäften Marcheses, Mr. Carleone“, erwiderte ich. Ich war ausgesprochen vorsichtig. Im Laufe meiner Jahre als G-man habe ich mir eine Menge Menschenkenntnis aneignen können. Und darum wusste ich, dass man Typen wie Carleone behandeln musste wie rohe Eier.
„Wer sind Sie?“
Ich trug zwar an meiner blauen Einsatzbluse, deren Rücken die drei Buchstaben FBI aufgedruckt hatte, ein Schild mit Dienstbezeichnung und vollständigem Namen, dennoch fragte er.
Ich stellte mich vor. Dann wies ich auf meine Kollegin. „Special Agent Sarah Anderson. Also, Mr. Carleone. Wir wissen um Ihre engen Kontakte zu Giuseppe Marchese. Heute erhielt das FBI einen anonymen Hinweis, dass Nico Marchese in seinem Haus zwanzig Kilogramm Kokain versteckt haben soll. Erzählen Sie uns etwas über die Geschäftspraktiken der Brüder.“
Carleones linke Braue zuckte in die Höhe. Es verlieh seinem Gesicht einen arroganten Ausdruck. „Darüber werde ich Ihnen kaum Auskunft geben können, G-man“, versetzte er von oben herab. „Sie sind Immobilienmakler, das Büro befindet sich in Little Italy, genauer gesagt am Harry Howard Square. Ich bin Finanzberater. Mein Büro finden Sie in Clinton. Geschäftlich hatte ich mit den Marcheses so gut wie nichts zu tun. Wir kennen uns privat.“
„Wer sind die beiden Kerle, mit denen Sie hier ankamen?“, fragte Blacky. „Ihre Leibwächter? Benötigt man in Ihrem Job Bodyguards?“
Carleone schoss ihm einen hintergründigen Blick zu. „Meine Sekretäre. Sie wurden erschossen, als sie den Gangstern entgegentraten. Die Pistolen, die sie trugen, sind registriert.“ Er lachte mir ins Gesicht. „Ich kenne die strengen Waffengesetze des Staates New York, G-man. – Ich muss doch hoffentlich nicht das FBI fragen, wen ich mir als Begleitung auswähle.“ Seine Gestalt straffte sich. Seine Stimme nahm einen entschiedenen Tonfall an. „Ich denke, ich werde meinen Anwalt bemühen müssen. Was Sie hier abziehen, Gentlemen, sieht mir sehr nach einem Verhör aus.“ Er holte ein Mobiltelefon aus der Tasche. „Sie haben doch nichts dagegen …“
„Nicht nötig“, sagte ich. „Nur eine Frage noch: Haben Sie eine Ahnung, auf wessen Konto der Überfall gegangen ist?“
„Wie sollte ich? In diesen Kreisen bin ich nicht zu Hause. Die Kerle haben sich außerdem nicht vorgestellt, und sie trugen Gesichtsmasken. Ich bedaure es sehr, Special Agent, aber ich kann Ihnen nicht helfen.“
Es klang wie Hohn in meinen Ohren. Wusste ich doch, dass er neben Giuseppe und Nico Marchese der Kopf der Mafia war, die von Little Italy aus den Drogenhandel in New York kontrollierte. Ich konnte mir daher nicht verkneifen, mit bissiger Ironie von mir zu geben: „Natürlich wissen wir um Ihre Integrität und Gesetzestreue, Mr. Carleone. Vergessen Sie meine Frage. Sie war rein rhetorisch.“
Aus den Augenwinkeln sah ich Blacky grinsen.
Ich war wütend. In mir war eine hilflose Ohnmacht. Carleone war ein Gangster allererster Ordnung, und für seine Verbrechen hätte er eigentlich längst und für alle Zeiten im Gefängnis sitzen müssen, aber er tanzte uns auf der Nase herum und verhöhnte uns geradezu.
Mit gepresster Stimme sagte ich: „Das war‘s, Mr. Carleone. Sie können sich wieder zu Ihresgleichen begeben.“
Er musterte mich einen Augenblick von oben bis unten, genauso, als nähme er Maß, dann schwang er herum und schritt hocherhobenen Hauptes davon.
Ein Schwall verbrauchter Atemluft zischte aus meiner Nase. „Eines Tages kriege ich ihn“, knurrte ich zwischen den Zähnen. „Und dann wird ihm der Hochmut vergehen.“
Sarah legte mir die Hand auf den Unterarm. Eine Geste, die mich allerdings nur wenig besänftigen konnte.
„Komm“, murmelte ich und schwang auf dem Absatz herum.
Sie folgte mir. Wir kehrten zu Leslie Morell, Jay Kronburg und Fred LaRocca zurück. „Trugen die Getöteten irgendwelche Ausweispapiere mit sich?“
„Drei von ihnen“, erwiderte Fred LaRocca. „Aber den Namen auch der anderen Toten herauszufinden wird kein Problem bereiten. Wir geben ihre Fingerabdrücke an IAFIS zur Auswertung, falls das Archiv uns nicht helfen kann, bemühen wir das NCIC zweitausend. Ich habe die drei Namen bereits an die Zentrale durchgegeben. Ich denke, wir werden in dieser Nacht noch erfahren, von welcher Sorte die Kerle waren.“
Beim IAFIS handelt es sich um das Integrated Automated Fingerprint Identification System, das Archiv des FBI zur Überprüfung von Fingerabdrücken mit einigen Millionen Eingaben. Das NCIC 2000 ist das National Crime Information Center, das Fahndungsarchiv des FBI, das fast 40 Millionen Akten und Bilddateien enthält.
„Gut“, sagte ich, „für uns gibt es wohl nichts mehr zu tun hier. Sarah und ich fahren zur Federal Plaza. Mr. McKee erwartet unseren Bericht. Außerdem muss die Fahndung nach dem weißen Transporter eingeleitet werden.“
Die Gangster fuhren kreuz und quer durch Queens, überquerten schließlich den East River und befanden sich in Manhattan. In der Lower Eastside parkten sie vor einem heruntergekommenen Haus. Es verfügte über zwei Stockwerke. Eine Treppe mit sechs Stufen führte hinauf zur Haustür. Das Treppengeländer war verrostet. Zwei Mülltonnen in der Ecke zwischen Haus und Treppe quollen über vor Unrat. Müll lag auch auf dem Gehsteig und der Straße herum. Eine Ratte huschte davon. Die Kulisse wäre für jeden Horror- oder Endzeitfilm geeignet gewesen.
Ja, es war ein düsteres Viertel, in dem sie sich befanden. Hier waren viele Häuser verlassen, die Eingänge oftmals zugemauert, die Fassaden Ziel wilder Graffitiexzesse. Stadtstreicher und Ratten gaben sich hier ein Stelldichein. Es war nicht nur ein düsteres, es war auch ein gefährliches Viertel!
Die Straße war wie leergefegt.
„Sieht aus, als wären wir nicht verfolgt worden“, knurrte der Bursche auf dem Beifahrersitz. Er hatte – wie auch der Fahrer – die Maske zwischenzeitlich abgenommen. „Dieser Trevellian hat meine Drohung, dass wir im Viertelstunden-Takt die Geiseln abknallen, ernst genommen, und er wagte uns niemanden hinterherzuschicken, weil er fürchtete, dass wir den guten Giuseppe kalt machen.“
Mario Pirandello lachte auf. Er war etwa Mitte der 30, dunkelhaarig. Wie Giuseppe Marchese war er Italoamerikaner.
In dem Haus brannte hinter keinem Fenster Licht. Es sah aus, als wäre es verlassen. Mario Pirandello schaute immer wieder in den Seitenspiegel. Fünf Minuten wartete er. Zweimal fuhren Autos vorbei. Sie verschwanden in irgendwelchen Seitenstraßen.
„Okay, die Luft scheint tatsächlich rein zu sein“, murmelte Pirandello, öffnete die Tür und sprang aus dem Führerhaus. Er lief an dem Fahrzeug nach hinten und öffnete die Hecktür. „Alles aussteigen“, rief er. „Wir sind am Ziel.“
Der Fahrer, Marco Parese, hatte den Kleinlaster ebenfalls verlassen und machte sich an der Haustür zu schaffen.
Giuseppe Marchese und seine Gattin wurden aus dem Laderaum dirigiert. Die anderen Gangster sprangen heraus. Den toten Burschen ließen sie im Wagen liegen. Die Hecktür wurde wieder geschlossen.
„Ins Haus!“, kommandierte einer und versetzte Marchese einen leichten Stoß. Marco Parese hatte die Haustür schon geöffnet und das Treppenhauslicht angeknipst. Da er sich neben der Tür aufgebaut hatte, flutete das Licht an ihm vorbei und legte sich auf die Treppe.
„Warum lasst ihr uns nicht laufen“, fragte Giuseppe Marchese. Er hatte den Arm wie beschützend um die Schultern seiner Frau gelegt. „Wer seid ihr überhaupt? Wieso …“
„Schnauze und Marsch!“, zischte Mario Pirandello. Er packte Marchese am Oberarm und zerrte ihn zur Treppe. Mrs. Marchese stieß einen leisen Schrei der Angst aus.
„Hab keine Angst“, murmelte Giuseppe Marchese und drückte seine Frau etwas fester an sich. „Sicher sind diese Kerle nur drauf aus, ein Lösegeld zu fordern. Man wird es ihnen bezahlen, und wir werden frei sein.“
„Wenn du dich da mal nicht täuscht“, knurrte Mario Pirandello.
Giuseppe Marchese drohte das Blut in den Adern zu gefrieren. Erbärmliche Angst stellte sich bei ihm ein, und sie galt mehr seiner eigenen Person als seiner Frau. Nur mühsam bezwang er seine Panik.
Sie stiegen die Treppe empor. Als alle im Haus verschwunden waren, setzte sich Marco Parese noch einmal in den Laster und fuhr ihn in den Hof.
Die Gruppe begab sich in eine Wohnung in der 1. Etage. Es gab hier einige Stühle, einen Tisch, einen Schrank und eine Kommode. Auf allem lagerte eine Staubschicht. Eine Tür führte in einen angrenzenden Raum. An der Wand war ein gusseisernes Waschbecken befestigt, darüber hing ein halbblinder Spiegel. Die Leitungen lagen noch nicht unter Putz. Die Tapete, die ein früherer Wohnungsinhaber an die Wand geklebt hatte, löste sich an vielen Stellen ab. Es roch nach Schimmelpilz. Diese Wohnung war nichts weiter als ein schäbiges, menschenunwürdiges Loch, und sie wurde wohl nur für außergewöhnliche Zwecke genutzt.
„Setzen!“ Giuseppe Marchese und seine Gattin wurden wenig gefühlvoll auf die Stühle gedrückt, die um den wurmstichigen, verschmutzten Tisch herumstanden.
Mario Pirandello holte sein Handy aus der Jackentasche und tippte eine gespeicherte Nummer her, dann drückte er die OK-Taste.
Als sich jemand meldete, sagte er: „Du verdammter Hund hast uns in eine Falle gelockt. Als wir das Haus gestürmt hatten, wimmelte es plötzlich von Bullen. Die Pest an deinen Hals. Warum wolltest du uns dem FBI ausliefern? Was für ein Teufel hat dich geritten?“
„Habt ihr das Kokain?“
„Nein. Um lang danach zu suchen, fehlte mir leider die Zeit“, knirschte Pirandello, und es klang ziemlich sarkastisch. „Nico Marchese war nicht bereit, mir das Versteck zu verraten. Nun, jetzt ist er tot. Und du bist auch tot, wenn du mir in die Hände fällst. Um ein Haar hätten die Bullen uns hops genommen.“
„Du irrst dich, Mario.“ Die Stimme des Mannes klang ruhig, fast sanft. „Ich habe euch nicht hereingelegt. Was hätte ich für einen Grund dazu? Ich wollte nur die zwanzig Kilogramm Koks, sonst nichts. Wieso sollte ich euch den Bullen in die Fänge treiben?“
„Das weiß doch ich nicht, verdammt!“
„Wenn ich es richtig sehe, dann gibt es einen Verräter unter uns. Anders kann es nicht sein. An einen Zufall glaube ich nicht.“ Die Stimme sank herab zu einem heiseren, unheilvollen Geflüster. „Doch Gnade ihm Gott, wenn ich ihm auf die Schliche komme.“ Der Sprecher ließe seine Drohung sekundenlang wirken, dann sagte er wieder mit normaler Stimme: „Du kannst dich auf mich verlassen, Mario. Schade, dass uns das Kokain durch die Lappen gegangen ist! Es hätte uns auf dem freien Markt mindestens zweihundertfünfzigtausend Dollar gebracht.“
„Ist das dein einziges Problem?“, keifte Mario Pirandello. „Himmel, dein Gemüt möchte ich haben. Claudio ist tot. Wir müssen ihn verschwinden lassen. Außerdem weiß ich nicht, was ich mit Giuseppe Marchese und seiner Lady anstellen soll.“
„Wieso? Was ist mit Giuseppe und Stella?“
„Sie sind bei uns. Die Schnüffler vom FBI ließen uns nur laufen, weil wir drohten, sie zu erschießen. Wir haben sie als Faustpfand mitgenommen.“
Der Mann am anderen Ende der Leitung überlegte. Nach einer Weile sagte er: „Wenn wir die Kontrolle über das Drogengeschäft an uns reißen wollen, dann muss Marchese verschwinden. Legt ihn und seine Alte um und lasst sie zusammen mit Claudio verschwinden. Wir haben keine Verwendung für Marchese.“
„Ist das dein Ernst?“
„Hast du ein Problem damit, Mario? Du hast doch auch Nico das Licht ausgeblasen. Erzähl mir nicht, dass du plötzlich Gewissensbisse hast.“
„Gemessen an Giuseppe war Nico ein kleines Licht in der Organisation. Der gesamt Clan wird Jagd auf den Mörder seines Chefs machen und …“
„Der Clan wird uns aus der Hand fressen. Also, lass Marchese und seine Frau verschwinden. Versenke sie und Claudio zusammen mit dem Lieferwagen im Hudson, ober schippere sie hinaus in den Atlantik und entledige dich ihrer auf hoher See. Aber was das anbetrifft, verfügst du sicherlich selbst über genügend Fantasie. Melde dich wieder bei mir, wenn du es erledigt hast. Dann bekommst du auch das Geld für deine Helfer.“
Marco Parese betrat den Raum. Er schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Sein fragender Blick traf sich mit dem Pirandellos. Mario Pirandello nickte vielsagend. Marco Parese schwieg und lauschte.
„Ich warne dich!“, grunzte Mario Pirandello ins Telefon. „Seit heute traue ich dir nicht mehr. Wenn du ein falsches Spiel mit uns treibst, ziehen wir dir das Fell über die Ohren.“
Er konnte nicht das höhnische Grinsen sehen, das sich Bahn in die Züge seines Gesprächspartners brach. „Vertrau mir“, kam es durch die Leitung. „Ja, hab Vertrauen und werde mit mir reich und mächtig.“
Dann war die Leitung tot.
Langsam, fast bedächtig senkte Mario Pirandello die Hand mit dem Handy. Er schaute Giuseppe Marchese an, dann dessen Frau, dann der Reihe nach seine Kumpane. Schließlich sagte er mit gepresster Stimme: „Wir fahren noch mal ein Stück. Hoch mit dir, Marchese. Das Gleiche gilt für dich, Lady. Vorwärts.“
„Was – was haben Sie mit uns vor?“, entrang es sich der Frau. Ihr früher einmal gewiss sehr schönes Gesicht war eine Studie des Schreckens und der Angst. In ihren Augen flackerte das Grauen.
Giuseppe Marchese hatte sich erhoben. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter, als er hart schluckte, dann stieß er heiser hervor: „Ich zahle das Doppelte von dem, was ihr von eurem Auftraggeber bekommt. Das Doppelte, egal wie viel er euch bezahlt. Ihr könnt dabei nur gewinnen.“
Mario Pirandello wiegte den Kopf. Er schien kurz nachzudenken, dann sagte er mit einem Seitenblick auf Marco Parese: „Hört sich gut an. Leider geht es nicht nur um Geld. Darum kannst du uns nicht ködern, Marchese. Wie ich schon sagte: Wir fahren noch mal ein Stück, und zwar zu den Chelsea Piers. Marco, Leonardo und Umberto, ihr kommt mit. Ihr anderen könnt nach Hause fahren. Sollte wieder was steigen, verständige ich euch. Euren Lohn kriegt ihr wie üblich.“
Giuseppe und Stella Marchese wurden wieder die Treppe hinunter, in den Hof und in den Lieferwagen dirigiert. Leonardo und Umberto stiegen zu ihnen in den Laderaum und hielten sie mit ihren Waffen in Schach. Marco Parese setzte sich wieder hinter das Steuer. Mario Pirandello ging zu einem älteren Ford, schloss ihn auf und setzte sich hinein. Der Motor sprang an.
Die anderen Kerle hatten das Haus ebenfalls verlassen und waren in der Nacht verschwunden. Sie waren nur Statisten im höllischen Spiel.
Carl Steinberg wurde vom Brummen eines Motors geweckt. Er kroch aus dem längst aufgegebenen Lagerschuppen beim Pier 64 und ließ seinen Blick schweifen. Die Lichtbalken zweier Scheinwerfer waren zu sehen. Sie malten einen großen, gelben Fleck auf die Betonplatten des Piers, zwischen denen kniehoch das Unkraut wucherte.
Es war ein weißer Lieferwagen, der am Ende des Piers parkte. Wenige Schritte hinter ihm war ein Pkw abgestellt. Der Motor des Lasters lief im Stand. Jetzt erloschen die Scheinwerfer. Dunkelheit hüllte das Fahrzeug ein, durch die es sich ausmachte wie ein großer, rechteckiger Würfel. Einige Kerle machten sich an dem Transporter zu schaffen.
Mit fahriger Geste fuhr sich Carl Steinberg über die Augen. Wachte oder träumte er? Sah er schon weiße Mäuse vom vielen Wermut? Der Wagen rollte auf das Ende des Piers zu. Die vier Kerle schoben ihn, dabei lief das Standgas. Wahrscheinlich war auch der Gang eingelegt.
Der Stadtstreicher hörte einen metallischen Schlag, als die Vorderräder über die Kante des Piers gerollt waren und der Wagen mit dem Bodenblech aufsetzte. Dann ertönte ohrenbetäubendes Kratzen, als Blech gegen Beton rieb, schließlich neigte sich der Laster nach vorn, und dann verschwand er über die Kante. Es klatschte, das Wasser spritzte. Das Motorengeräusch brach schlagartig ab.
Die vier Kerle wischten sich die Hände an den Hosen ab. Gedämpfte Stimmen erklangen. Einer lachte. Dann schritten die vier zu dem Personenwagen hin und setzten sich hinein. Der Motor heulte auf, die Scheinwerfer gingen an. Der Wagen wurde zurückgestoßen, fuhr einen Bogen und verschwand dann auf der12. Avenue.
Carl Steinberg hatte die Zulassungsnummer des Pkws im Licht der Nummernschildbeleuchtung erkennen können. Es war eine New Yorker Nummer. Der Stadtstreicher erhob sich ächzend. Seine Knochen schmerzten. Und obwohl es nicht kalt war, fröstelte ihn. Er zog die Schultern an, als berührte ihn ein eisiger Hauch. Die Schöße des zerschlissenen, an vielen Stellen aufgerissenen Trenchcoats schlugen beim Gehen gegen seine Beine. In der rechten Tasche steckte eine halbleere Flasche Wermut. Aber Steinberg war im Moment nicht nach Alkohol. Er wollte ergründen, was er gesehen hatte.
Er stapfte über den Pier. Am Ende war die Betonkante an mehreren Stellen ausgebrochen. Soviel konnte er sehen im Licht, das die Wolkenkratzer und Leuchtreklamen Manhattans auf den Hudson warfen, dessen Oberfläche wie flüssige Bronze glitzerte. Es roch nach Fisch und Seetang. Das Wasser plätscherte gegen die Kaimauer. Ein abgerissener Auspuff war alles, was von dem weißen Transporter übrig geblieben war. Der Obdachlose berührte ihn mit der Hand. Das Metall war noch glühend heiß.
Carl Steinberg rief sich die Zulassungsnummer des Pkws ins Gedächtnis. Er durfte sie auf keinen Fall vergessen und wiederholte sie in Gedanken immer wieder. Sie brannte sich wie mit glühenden Zangen in seinem Gedächtnis fest. Nein, er würde sie nicht mehr vergessen. Er war sich dessen sicher, und darum zog er jetzt die Pulle aus der Manteltasche, schraubte sie auf und genehmigte sich einen großen Schluck. Er schmatzte, nachdem er die Flasche abgesetzt hatte, dann murmelte er vor sich hin: „Du wirst jetzt erst mal die Polypen verständigen, Carl. Dann wartest du ab, was es mit dem Lieferwagen auf sich hat. Und dann überlegst du dir, was zu tun ist.“
Er nahm noch einen Schluck und sagte in Gedanken noch einige Male die Zulassungsnummer des Pkws auf. Dann ging er stadteinwärts. Bei einer Telefonsäule an der Ecke 11. Avenue/25. Straße wählte er die Nummer des Notrufs. Sie war nicht gebührenpflichtig.
Als sich jemand meldete, sagte er näselnd: „Ich hab soeben beim Pier vierundsechzig beobachtet, wie einige Kerle einen weißen Transporter versenkt haben. Weiß der Teufel, warum. Ich denke mal, sie wollten irgendeine Spur vernichten und …“
Die Hypothesen Steinbergs interessierten den Mann am anderen Ende der Leitung natürlich nicht. Er unterbrach den Obdachlosen: „Ich schicke eine Polizeistreife vorbei. Bleiben Sie am Pier stehen und geben Sie sich den Kollegen zu erkennen. Teilen Sie Ihnen alles mit, was Sie beobachtet haben.“
„Mach ich glatt“, sagte Carl Steinberg. „Vielleicht hab ich mir ‘ne Belohnung verdient“, fügte er dann schnell hinzu. „Möglicherweise können Ihre Kollegen mir gleich mit ‘nem kleinen Vorschuss dienlich …“
„Bleiben Sie am Pier, verstanden?“
„Natürlich“, knurrte Carl Steinberg verschnupft angesichts dieser Unhöflichkeit. Und als er den Hörer eingehängt hatte, durchfuhr es ihn: „Das kommt davon, wenn man ordnungsgemäß seiner Staatsbürgerpflicht nachkommt. Man muss sich behandeln lassen wie der letzte Penner.“
Vor sich hin brabbelnd kehrte er zum Pier zurück, um auf die Polizeistreife zu warten. Die Wartezeit vertrieb er sich damit, indem er die Wermutflasche bis auf den letzten Tropfen leerte.
Die Hausdurchsuchung hatte tatsächlich 20 Kilogramm Kokain zutage gefördert. Sarah, die sich an Milos Schreibtisch häuslich niedergelassen hatte, und ich erfuhren es am folgenden Morgen. Das Kokain war in einem der Öltanks versteckt gewesen, der für derartige Zwecke präpariert worden war. Auf den ersten Blick war es nicht wahrzunehmen gewesen, so der Kollege von der Spurensuche, dass die äußere Hülle des Tanks teilweise abgehoben werden konnte.
Es hatte insgesamt sieben Tote gegeben. Einer von ihnen war Nico Marchese. Die Fahndung nach dem weißen Transporter war ergebnislos verlaufen. Von Giuseppe Marchese und seiner Gattin Stella fehlte jede Spur.
Zehn Minuten später wurde ich erneut vom Department angerufen. Es war Captain Charles Dennison vom Morddezernat. Der Captain und ich waren nicht gerade Freunde. Die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich meldete mich ordnungsgemäß, er nannte seinen Namen und seine Dienststelle, dann schwieg er sekundenlang, wohl in der Annahme, dass ich ihm einen schönen guten Morgen wünschte, was ich jedoch unterließ. Ich schwieg ebenso wie er. Also ließ er, als meinerseits kein Gruß kam, seine Stimme erklingen.
Er sagte: „Die Kollegen haben vor einer Stunde etwa den Transporter, mit dem die Bande vergangene Nacht geflohen ist, aus dem Hudson geborgen, Trevellian.“
Ich wusste, von welchem Transporter er sprach, und war wie elektrisiert. „Aus dem Hudson …“
„Ja. Da im Laderaum eine männliche Leiche mit einer Schussverletzung lag, wurde der Homicide Squad verständigt. Ein alter Penner namens Carl Steinberg, der sein Nachtquartier in einem der verlassenen Lagerschuppen beim Pier aufgeschlagen hatte, sah, wie vier Kerle in der Nacht den Lieferwagen versenkten. Er hat den Notruf verständigt, und der schickte ein Patrolcar. Die Streife verständigte dann das Department.“
Das war natürlich ein Hammer. Ich musste die Nachricht erst mal verarbeiten. Bereits nach den ersten Worten Dennisons hatte ich den Lautsprecher des Telefonapparats eingeschaltet, so dass Sarah mithören konnte und ich ihr hinterher nicht noch einmal alles vorkauen musste.
Auch in den Zügen meiner Kollegin konnte ich Verblüffung erkennen. Sie blinzelte und saß wie gebannt auf ihrem Stuhl.
„Bei dem Toten handelt es sich um einen gewissen Claudio Condoni“, erklang wieder Dennisons Stimme durch die Leitung. „Es war einfach, das herauszufinden, denn in seiner Tasche steckte ein Ausweis.“
„Claudio Condoni“, wiederholte ich und kritzelte den Namen auf ein leeres Blatt Schreibmaschinenpapier. „Sonst noch irgendwelche Erkenntnisse?“
„Der Wagen ist auf einen Mann namens Hank Saddler zugelassen, wurde aber gestern Nachmittag beim Revier in der vierundneunzigsten Straße Ost als gestohlen gemeldet.“
Ich notierte auch den Namen Hank Saddler. „Wurde dieser Saddler überprüft?“
„Bis jetzt noch nicht“, kam es fast ungeduldig zurück. „Ich weiß schließlich erst seit wenigen Minuten, dass er der Eigentümer des Fahrzeugs ist. Und zaubern kann ich nicht. Könnte ich es, wäre ich nicht bei der Polizei, sondern beim Zirkus.“
„Natürlich, schon klar“, lenkte ich ein und schwor mir, es ihm bei nächster Gelegenheit heimzuzahlen. „Hat dieser Steinberg irgendwelche Angaben zu den Kerlen machen können, die den Lieferwagen versenkt haben?“
„Nur, dass es vier waren und dass sie mit einem Pkw verschwanden. Er konnte die Kerle weder beschreiben, noch konnte er sagen, um welche Automarke es sich handelte, noch wusste er eine Zulassungsnummer. Der Knabe soll ziemlich angesäuselt gewesen sein, als die Kollegen mit ihm sprachen. Er konnte ihnen nicht mal die Autofarbe nennen.“
„Okay, Dennison“, sagte ich. „Sollten es weitere Erkenntnisse geben, unterrichten Sie mich. Wo kann man Steinberg erreichen?“
„Irgendwo in Manhattan, schätze ich mal. Er wusste nichts, außer, dass vier Kerle den Transporter in den Hudson schoben. Der Mann ist wertlos für uns. Eine Adresse konnte er uns nicht geben. Um ihn festzuhalten hatten wir keine Begründung.“
„Pier vierundsechzig, sagten Sie, nicht wahr?“
„Sie haben richtig gehört, Trevellian.“
Ich verabschiedete mich. Dann wandte ich mich an Sarah. „Du hast alles mitgekriegt. Den Transporter haben wir also. Bei dem Toten handelt es sich vermutlich um den Mann, der beim Feuergefecht mit uns in der Nacht vor Nico Marcheses Haus getötet wurde. Wo aber sind Giuseppe Marchese und seine Frau abgeblieben?“
„Kann es nicht sein, dass die Gangster sie noch in der Nacht laufen ließen und sie längst zu Hause in Little Italy in ihrem Bett liegen und sich von dem Schreck erholen.“
„Das halte ich für ausgeschlossen“, murmelte ich und griff noch einmal zum Telefonhörer. Ich rief Linda an, unsere Telefonistin, und bat sie, eine Verbindung mit der Immobilienfirma Giuseppe Marcheses herzustellen. Wenig später hatte ich den Geschäftsführer an der Strippe. Ich fragte ihn, ob Giuseppe Marchese in der Firma aufgetaucht sei. Der Mann verneinte es. Dann fragte ich ihn nach der Privatnummer Marcheses, und der Mann verwies mich darauf, dass es sich um eine Geheimnummer handelte, die er zwar kenne, die er mir aber nicht verraten dürfe.
„Dann rufen Sie bei Mr. Marchese zu Hause an“, gebot ich, „und sagen Sie mir Bescheid, ob er sich gemeldet hat. Wie war übrigens gleich noch einmal Ihr Name?“
„Silone – Sergio Silone. Ich rufe bei Mr. Marchese an und sage Ihnen Bescheid, Mr. Trevellian. Geben Sie mir Ihre Durchwahl?“
Ich gab sie ihm. Dann legte ich auf und fragte mich, ob Silone auch zur Familie, zur Organisation Marcheses gehörte. Die Antwort lag ziemlich klar auf der Hand. Jeder, der für Marchese arbeitete, gehörte irgendwie dazu. Außenstehende ließ der Hauptbroterwerb des verbrecherischen Paten nicht zu.
„Wir sollten mal versuchen, diesen Carl Steinberg zu sprechen“, meinte Sarah.
Ich nickte. „Wenn wir ihn finden. Diese Obdachlosen bleiben selten lange an einem Ort. Himmel, Sarah, was hat es mit der ganzen Sache auf sich? Das FBI wird zum Haus Nico Marcheses gelockt. Vor unseren Augen stürmen eine Handvoll Gangster das Gebäude, veranstalten ein Blutbad und entführen Marchese samt Gattin. Hilf mir auf die Sprünge, Sarah. Wer sollte in die Falle gelockt werden? Die Gangster oder wir?“
„Es kann Zufall gewesen sein. Dem anonymen Informanten zufolge erhielt Nico Marchese die Lieferung am Nachmittag. Das Kokain sollte in seinem Haus nur bis morgen zwischengelagert werden. Die Bande hat ebenfalls Wind davon bekommen und wollte sich das Rauschgift gewaltsam holen. Ich glaube nicht, dass unser Informant auch die Schufte zu Nico Marcheses Haus bestellte. Es ergäbe keinen Sinn.“
Ich konnte mich Sarahs Argumentation nicht verschließen. Auch mir stellte sich die Frage nach dem Sinn einer solchen Inszenierung.
„Derjenige, der Nico Marchese an uns verraten hat, ist meiner Meinung nach in seinem unmittelbaren Umfeld zu suchen“, fuhr Sarah fort. „Wer kommt in Frage? Nico Marchese, sein Bruder? Wohl kaum. Luigi Carleone? Er würde sich nicht des FBI bedienen, falls er die Marcheses ausschalten wollte, schon gar nicht, wenn es um Kokain im Wert von einer Viertelmillion Dollar geht. Das regelt man in diesen Kreisen mit einem Hitman, der eine schnelle Kugel schießt. Fällt dir jemand ein, Jesse?“
„Nein, keine Ahnung.“
Mein letztes Wort schwebte noch im Raum, als das Telefon dudelte. Es war Sergio Silone, der Geschäftsführer Giuseppe Marcheses. Er sagte: „Bei Marchese nimmt niemand ab. Was ist überhaupt los, Mr. Trevellian. Warum interessiert sich plötzlich das FBI für Mr. Marchese?“
Nahm ich einen lauernden Unterton in der Stimme des Fragers wahr? Ich lauschte den Worten hinterher. Sicher, ich hatte den Mann nicht aufgeklärt. Denn Mr. McKee hatte in der Nacht noch eine Nachrichtensperre in der Sache Marchese verhängen lassen. Das es sich aus unserer Sicht um keine gezielte Entführung handelte, sollten die Kidnapper nicht unnötig herausgefordert werden.
„Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, Silone.“
„Er war gestern zur Geburtstagsparty bei seinem Bruder Nico eingeladen, Mr. Trevellian. Ich nahm an, dass es wohl etwas später geworden und er deshalb noch nicht in der Firma aufgetaucht ist. Aber jetzt, nachdem das FBI …“
Ich unterbrach ihn. „Vielen Dank, Mr. Silone. Sie haben mir sehr geholfen.“
Dann legte ich schnell auf, denn ich fühlte mich nicht dazu berufen, die Fragen des Geschäftsführers zu beantworten, schon im Hinblick darauf nicht, dass die Angelegenheit im Moment noch intern behandelt wurde.
„Fahren wir zum Pier vierundsechzig“, wandte ich mich an Sarah. „Vielleicht treibt sich dort noch dieser Carl Steinberg herum. Unter Umständen können wir seinem Gedächtnis etwas auf die Sprünge helfen.“
„Gewaltanwendung ist uns nicht erlaubt, Special Agent Trevellian“, kam es spitzbübisch von Sarah. „Die Zeiten der peinlichen Befragung sind längst vorbei.“
„Ich dachte eher an Bestechung“, griente ich und stemmte mich am Schreibtisch in die Höhe.
Auch Sarah erhob sich. „Ich wollte es nur angesprochen haben“, lächelte sie.
Wir verließen das Büro und fuhren in die Tiefgarage. Heute wollte ich den Wagen nehmen.
Lawinen aus Stahlblech und Chrom wälzten sich durch die Straßen New Yorks. Ein Hupkonzert erfüllte neben dem Brummen der Motoren die Luft. Es war wieder ein heißer Tag. Aggressionen wurden freigesetzt, Urinstinkte brachen durch. Die Hitze legte sich auf die Gemüter. Und kein Tief war in Sicht.
Ich kämpfte mich also mit meinem fahrbaren Untersatz durch bis zur West Street und wandte mich auf ihr nach Norden, erreichte die 11. Avenue, wir passierten den Sports and Entertainment Complex bei den Chelsea Piers und erreichten endlich Pier 64. Dort stand noch der Kranwagen, mit dem der Transporter aus dem Fluss geborgen worden war. Auch der Kleinlaster war noch da. An den Kanten war hier und dort Fluss-Tang hängen geblieben. Die Kollegen vom Police Department waren noch bei der Arbeit. Der Pier war mit einem gelben Trassenband abgesperrt worden. Zwei uniformierte Polizisten passten auf, dass keine inkompetente Person die Absperrung durchbrach. Pressefotografen machten ihren Job, sogar ein Übertragungswagen von New York One, einem lokalen Sender, war vor Ort.
Sarah und ich verließen den klimatisierten Sportwagen. Ich empfand die Hitze einen Augenblick lang fast unerträglich. Doch dann stellte sich mein Körper darauf ein. Wir zeigten den beiden Cops beim Beginn des Piers unsere ID-Cards und durften passieren.
Die Hecktür des Transporters war geöffnet. Im Laderaum arbeiteten zwei Männer der Spurensicherung.
Ein Lieutenant erklärte mir, dass der Leichnam Claudio Condonis bereits zur Gerichtsmedizin abtransportiert worden war. Der Lieutenant fügte hinzu: „Condoni war der Polizei kein Unbekannter. Er wurde zweimal beim Dealen mit Heroin erwischt und ist wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft. Seine Bewährung war noch nicht abgelaufen.“
„Wird der Flussgrund abgesucht?“, fragte ich.
„Ja. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich im Fahrzeug auch Giuseppe Marchese und seine Frau befunden haben, als es in den Fluss gestürzt wurde. Die Hecktür stand offen. Es ist also möglich, dass die beiden Leichname herausgetrieben worden sind und sich noch im Fluss befinden.“
„Blutspuren?“, fragte Sarah.
„Wenn, dann hat sie mit Sicherheit das Flusswasser vernichtet“, versetzte der Polizist.
Ich bedankte mich und schritt, gefolgt von Sarah, zum Ende des Piers. Unten schaukelte ein großes Motorboot der Wasserschutzpolizei auf dem Fluss, ein Stück flussabwärts ein zweites. Einige Männer befanden sich an Bord. Über elektrische Winden liefen dünne Kunststoffseile, die bei den Tauchern endeten, die den Flussgrund absuchten.
Wir schauten eine Weile zu.
Schließlich wandten wir uns ab. Unser Ziel waren die alten Lagerschuppen zwischen dem Pier und der 12. Avenue. Wir schritten über verrostete Schienen, zwischen denen dicht das Unkraut wucherte. Die Schuppen waren gemauert und besaßen flache Dächer. Großflächig fiel der Putz ab. Es gab kein einziges ganzes Fenster mehr. Von den Stahlblechtoren blätterte die Farbe ab. Darunter kam roter Rost zum Vorschein. Der Zahn der Zeit nagte brutal an den Baracken.
Wir stapften zwischen den Schuppen hin und her, blickten durch die eingeschlagenen Fenster oder die nur angelehnten Tore ins Innere – von Carl Steinberg jedoch sahen wir nichts. Es gab verschiedene Plätze, die irgendwelchen Stadtstreichern als Schlafplatz gedient hatten und die nicht zu übersehen waren, doch jetzt waren diese Lagerschuppen verwaist und ausgestorben.
Ich rief per Handy beim Police Department an und bekam Charles Dennison an die Leitung. „Wurde zwischenzeitlich der Eigentümer des Kleinlasters überprüft?“, fragte ich nach einem knappen Gruß.
„Hank Saddler, sicher. Betreibt einen Obstladen in Carnegie Hill und hat sich den Wagen erst vor wenigen Tagen angeschafft. Sollte in die Lackeierei, um mit einer entsprechenden Aufschrift versehen zu werden. Saddler hat mit der Sache Marchese nichts zu tun.“
Ich sagte: „Ein Kollege hat mir am Pier berichtet, dass Claudio Condoni wegen Rauschgifthandels und Körperverletzung vorbestraft ist. Ist sonst noch was über ihn bekannt?“
„Er unterstand der Aufsicht eines Bewährungshelfers. Von diesem weiß ich, dass Condoni bei Luigi Carleone in dessen Finanzierungsbüro angestellt war.“
Es durchfuhr mich wie ein Stromstoß. „Das ist ja interessant!“, entfuhr es mir. „Ich denke, ich werde mir den guten Luigi noch einmal vornehmen müssen. Himmel! Das verleiht der ganzen Sache eine völlig neue Dimension. Ich fahre mit meiner Kollegin sofort nach Clinton.“
Bei Mario Pirandello dudelte das Telefon. Der Italoamerikaner lag noch im Bett. Der schrille Ton riss ihn aus dem Schlaf. Als es das dritte Mal läutete, überwand er sich, schlug die dünne Bettdecke zurück, schwang die Beine vom Bett und erhob sich.
„Wer ist das?“, fragte die dunkelhaarige Schönheit im anderen Bett und räkelte sich gähnend.
„Bin ich Hellseher?“, fuhr Mario sie mürrisch an. Bis zum Telefon im Livingroom waren es nur wenige Schritte. „Mario Pirandello hier“, sagte er noch immer schlaftrunken.
Jemand kicherte in die Leitung. Pirandello wollte den Hörer schon verärgert auf den Apparat werfen, als eine näselnde Stimme erklang: „Ja, ich weiß. Mario Pirandello. Schließlich hab ich dich ja angerufen. Heh, Mario, ich hab dich gesehen in der vergangenen Nacht.“
Das Gesicht des Italoamerikaners hatte sich verschlossen. Er presste die Lippen zusammen, dass sie nur noch einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. Dann sagte er: „Einen Augenblick.“ Er legte den Hörer neben den Apparat, ging zur Schlafzimmertür und schloss sie. Dann kehrte er zu dem Board zurück und nahm den Hörer wieder auf. „Da bin ich wieder. Du hast mich also gesehen …“
Der Anrufer fuhrt fort: „Ja. Du warst mit ein paar Freunden unterwegs. Drei an der Zahl. Ich sah euch einen Kastenwagen über Pier vierundsechzig in den Hudson schieben. Heute muss ich nun erfahren, dass in dem Laster die Leiche eine Mannes lag. Und Polizeitaucher suchen den Grund des Hudson nach weiteren Leichen ab. Wie kam wohl die Leiche in den Wagen?“
„Wer bist du?“
„Einer, der der Polizei erzählt hat, dass er nicht weiß, wer die vier Kerle auf dem Pier waren. Ich habe ihnen auch nicht erzählt, dass du einen achtundneunziger Ford fährst, der die Zulassungsnummer …“
„Was willst du?“
Wieder kicherte der Anrufer. Dann meinte er: „Warum so kurz angebunden, Mario? Wenn ich jetzt auflege, hast du ein Problem am Hals. Ich werde mich dann nämlich an das Department wenden und den Bullen erklären, dass mir doch noch was eingefallen ist.“
„Tut mir leid. Ich bin noch ziemlich müde. Also rede schon. Was willst du?“
„Der Mensch hat so seine Bedürfnisse, Mario. Der eine größere, der andere kleinere. Ich bin ein genügsamer Zeitgenosse. Mein Essen sammle ich in den Mülltonnen Manhattans, das Geld für Wermut erbettle ich mir. Dass ich kein Dach über dem Kopf mein Eigen nenne, brauche ich dir ja wohl nicht zu sagen. Ich …“
Ungeduldig fuhr Mario Pirandello ihm Burschen in die Parade: „Verschone mich mit deinem Geschwätz. Sag mir, was du willst. Wenn ich es dir geben kann, treffen wir uns. Also, raus mit der Sprache.“
„Fünfzigtausend. Ich glaube, das ist nicht zu viel.“