Lagune der erfüllten Träume - Robyn Donald - E-Book
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Lagune der erfüllten Träume E-Book

ROBYN DONALD

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Beschreibung

Zauber der Südsee, wehende Palmen am weißen Strand - Marian lässt auf Fala’isi ihr altes Leben hinter sich und lebt ihre Träume. Erst recht, als sie Robert trifft. Er scheint ihr großes Glück zu sein - auf dem jedoch ein düsteres Geheimnis lastet: Marian ist nicht die einzige Frau in Roberts Leben.

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IMPRESSUM

Lagune der erfüllten Träume erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1993 by Robyn Donald Originaltitel: „Paradise Lost“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1116 - 1996 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Irmgard Sander

Umschlagsmotive: Circle Creative Studio / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733749101

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Marian Doyles Wangen röteten sich, was nicht an der schwülen Hitze lag. Nach einem Jahr auf Fala’isi war sie an das tropische Klima gewöhnt. Es hatte auch nichts damit zu tun, dass sich in diesem Moment eine Gruppe von jungen Männern bewundernd um sie geschart hatte. Eine Sportlermannschaft aus Neuseeland machte auf der Rückkehr von einem Turnier in Europa eine Woche Ferien auf der Insel. Diejenigen, die eine Frau oder Freundin besaßen, hatten diese aus Neuseeland einfliegen lassen. Alle anderen drängten sich um Marian.

„Noch Champagner, Miss Doyle?“, fragte der polynesische Kellner mit einem verschwörerischen Lächeln.

Ihre hellgrünen Augen blitzten amüsiert. „Nein, danke, Rata. Aber ich hätte gern einen Limonensaft mit Soda.“

„Sofort.“

Während Marian dem davoneilenden Kellner nachblickte, verspürte sie ein seltsames Kribbeln im Nacken und war sich nun sicher, dass sie jemand beobachtete.

Die Gruppe um sie herum brach in Lachen über eine Anekdote aus, die einer von ihnen soeben zum Besten gegeben hatte. Marian zwang sich zu lächeln. Die jungen Männer gaben sich redlich Mühe, sie zu unterhalten und zu beeindrucken. Es war nicht ihre Schuld, dass ihre Bemühungen erfolglos blieben, und Marian war höflich genug, sich ihre Langweile nicht anmerken zu lassen. Außerdem war ihr Sam Vailes Einladung zu dieser Party wie ein Geschenk des Himmels erschienen, denn an diesem Abend hätte sie um keinen Preis allein sein mögen.

Sie hatte mit der Post einen Brief von Penny Harding, einer früheren Freundin aus Neuseeland, erhalten. Penny hatte ihr zum dreißigsten Geburtstag gratuliert, um sie im nächsten Satz mit kaum verhüllter Schadenfreude darüber zu informieren, dass Gerald Cartwright, Marians Exmann, und seine junge neue Lebensgefährtin gerade einen kleinen Sohn bekommen hätten.

Obwohl Marian Gerald nicht mehr liebte, hatte sie seinen Treuebruch immer noch nicht verwunden. Dass er nun mit seiner neuen Partnerin ein Kind hatte, nachdem er in den fünf Jahren ihrer Ehe immer wieder erklärt hatte, er wolle so bald keine Familie gründen, vermehrte ihren Zorn und ihre Verbitterung.

Was natürlich kein Grund war, ein Glas Champagner zu viel zu trinken. Dankbar nahm Marian von Rata den Limonensaft entgegen und wandte sich wieder ihren jungen Bewunderern zu.

„Sie leben also hier“, bemerkte nun einer von ihnen, wobei sein Blick neidvoll über die Terrasse hinaus auf die Lagune schweifte, die im Licht der Sterne funkelte. „Haben Sie ein Glück! Ich dachte, es sei so gut wie unmöglich, auf Fala’isi eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.“

„Das ist es. Man ist hier verständlicherweise sehr wählerisch. Ich bin hier aufgrund einer Art Stipendium.“

Man sah sie beeindruckt, ja, ungläubig an. Einer, offenbar der Jüngste der Gruppe, sprach aus, was die anderen denken mochten: „Sie sehen gar nicht wie ein Akademiker aus!“

„Oh, ich habe einige attraktive Akademiker kennengelernt, männliche und weibliche“, bemerkte Marian lächelnd. „Aber Sie haben recht. Ich bin Künstlerin.“ Und um weiteren Fragen zuvorzukommen, fügte sie hinzu: „Ich male Landschaften. Eins meiner Gemälde fiel bei einer Ausstellung in Auckland dem Premierminister auf. Er schlug vor, dass ich ein paar Jahre hier verbringen und die Insel malen sollte. Deshalb bin ich hier.“

Der junge Mann, dessen unbedarfte Äußerung sie zu dieser Erklärung veranlasst hatte, musterte sie mit unverhohlenem Interesse und schien sich zu fragen, ob sie auch so leichtlebig sei, wie man es Künstlern nachsagte. Marian begegnete seinem frechen Blick gelassen. Die Party hatte plötzlich jeden Reiz für sie verloren. Sicher, ihre Bewunderer waren ganz amüsant, aber sie waren so jung, so unendlich weit von ihr entfernt.

Noch einmal riss Marian sich zusammen und ließ ihren ganzen Charme spielen, von dem sie, wie ihre beste Freundin ihr immer wieder versicherte, ein schon unfaires Maß besaß. Als sie sich schließlich mit einer schlagfertigen Bemerkung verabschiedete, blickten ihr die jungen Männer bewundernd lachend nach, während sie sich durch die große Schar der Partygäste einen Weg zu ihrem Gastgeber suchte, Sam Vaile, dem Manager der Hotelanlage.

Sam unterhielt sich mit einem Mann, der Marian unbekannt war. Vermutlich ein neuer Hotelgast. Er sah nicht so aus, als gehöre er zu der Sportlergruppe, und Marian hätte wetten können, dass es sein Blick gewesen war, den sie im Nacken gespürt hatte.

Schlank und gut aussehend, vermittelte der Fremde Marian auf Anhieb den Eindruck eines leidenschaftlichen Temperaments, das von einem eisernen Willen im Zaum gehalten wurde. Dichtes, gewelltes Haar, dessen kastanienbrauner Schimmer einen lebhaften Kontrast zu dem eleganten Schwarz und Weiß seines Smokings bildete; dazu ein Gesicht, dessen männlich markante Züge wie in Bronze gegossen wirkten. Marian durchzuckte es heiß, denn dies war zweifellos der attraktivste Mann, der ihr je begegnet war. Aber weder sein kantiges Gesicht noch seine unwahrscheinlich blauen Augen verrieten die Spur einer Regung, als er ihr in diesem Moment entgegenblickte.

Marian maß fast einen Meter achtzig, aber dieser Mann mochte noch gut zehn Zentimeter größer sein. Doch trotz seiner Größe und seiner breiten Schultern fehlte ihm die Schwerfälligkeit der muskelbepackten Sportler, die Marian soeben verlassen hatte. Die Art, wie er dastand, erinnerte an die trügerische Gelassenheit einer stets wachsamen Raubkatze.

„Ah, Marian“, begrüßte Sam, ein sympathischer Australier, sie erfreut. „Komm, ich möchte dir Robert Bannatyne vorstellen, einen Landsmann von dir, der eine Weile bei uns bleiben wird. Mr. Bannatyne, Marian Doyle.“

Offenbar war er ein wichtiger Mann, sonst hätte Sam ihn mit dem Vornamen angeredet. Aber das war Marian ohnehin klar gewesen, denn aus seiner ganzen Haltung sprach die zwingende Entschlusskraft einer Führungspersönlichkeit. Unwillkürlich überlegte sie, ob es schwierig sein würde, seine markanten, männlich schönen Züge auf die Leinwand zu bannen und dabei die eindringliche, knisternde Ausstrahlung dieses Mannes einzufangen. Ihre grünen Augen funkelten unternehmungslustig angesichts dieser künstlerischen Herausforderung, und sie spürte, wie es ihr förmlich in den Fingern kribbelte.

Robert Bannatynes Blick dagegen ruhte kühl und forschend auf ihr. Nichts verriet, was er denken mochte, für Marian eine völlig neue Erfahrung. Groß und schlank, mit langem kupferblonden Haar, war sie der Inbegriff der langbeinigen Strandschönheit. Und obwohl sie keineswegs eitel war, hatte sie sich doch an die offene Bewunderung der Männer gewöhnt.

„Willkommen auf Fala’isi, Mr. Bannatyne“, sagte sie in freundlichem, unverbindlichem Ton und reichte ihm die Hand.

Sein Händedruck war angenehm fest. Bei der Berührung aber spürte Marian in beunruhigender Weise die Wirkung seiner unwiderstehlichen Männlichkeit. Gleichzeitig verstärkte sich bei ihr der Eindruck, dass Robert Bannatyne seine eigenen Gefühle streng im Zaum hielt. Dieser Mann ließ sich nicht leicht beeindrucken. Aus welchen Gründen auch immer hatte er sich offenbar in eiserner Selbstdisziplin geübt, bis diese genauso ein Teil seines Wesens geworden war wie seine unverkennbare erotische Ausstrahlung, die jede Frau im Saal veranlasste, ihm immer wieder verstohlene Blicke zuzuwerfen.

Marian, die merkte, dass auch sie nicht immun dagegen war, zog rasch ihre Hand zurück.

„Miss Doyle. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Er hatte eine tiefe, wohlklingende Stimme. Aber die unpersönliche Art seiner Begrüßung war wieder eine neue Erfahrung für Marian. Vielleicht solltest du dich mit dreißig daran gewöhnen, dass das Interesse der Männer nachlässt, dachte sie mit einem Anflug von Selbstironie. Entschlossen ignorierte sie das warme Kribbeln, das sein Händedruck auf ihrer Hand hinterlassen hatte, und erwiderte ebenso förmlich: „Ganz meinerseits, Mr. Bannatyne. Werden Sie lange hierbleiben?“

„Zehn Tage oder so.“

Ganz sicher kein Mann von vielen Worten. „Ich hoffe, Sie werden Ihren Aufenthalt hier genießen. Vielleicht sehen wir uns ja mal“, sagte Marian mit einem gewinnenden Lächeln, ehe sie sich vertraulich an Sam wandte. „Ich muss jetzt gehen, Sam. Vielen Dank für die Einladung. Es war eine tolle Party. Deine Sportler sind überaus charmant.“

„Meine Sportler? Hey, ich bin Australier, hast du das vergessen? Du bist doch der Kiwi!“ Lächelnd küsste Sam sie auf die Wange. Er lebte selbst in Scheidung, was ihm und Marian ein Gefühl besonderer Verbundenheit gab. Aber seine Küsse und Umarmungen waren rein freundschaftlicher Natur.

„Gute Nacht.“ Immer noch lächelnd schweifte Marians Blick zu Robert Bannatyne, der ihr höflich, aber kühl zunickte. Wieder verspürte Marian die beunruhigend erotische Wirkung dieses Mannes, denn ihr jagte ein unmissverständlicher Schauer über den Rücken.

Als sie sich einen Weg durch die Schar der Gäste suchte, tat sie ihre Reaktion als flüchtige Schwäche angesichts der geballten Männlichkeit dieses Mannes ab. Es bestand keine Gefahr. Immerhin hatte er keinerlei Interesse an ihr gezeigt.

Sie hatte fast den Ausgang erreicht, da begann die Inselband in fröhlicher, beschwingter Weise aufzuspielen. Im nächsten Moment hörte Marian neben sich die Stimme des jungen Sportlers, der sie zuvor als zu hübsch für eine Akademikerin befunden hatte. „Tanzen Sie mit mir?“, forderte er sie auf.

Am liebsten hätte sie ihm einen Korb gegeben, aber das verboten die guten Manieren, die ihre Mutter ihr von klein auf eingepaukt hatte. Also ergab Marian sich in ihr Schicksal und ließ sich auf die Tanzfläche führen.

Eine Stunde später verwünschte Marian, müde und verschwitzt, ihre guten Manieren. Höflich, aber bestimmt befreite sie sich von dem letzten einer ganzen Reihe von Tanzpartnern und spähte nach einer Möglichkeit, unauffällig zu verschwinden.

Sie ließ ihren Blick über das Partygetümmel schweifen. Sam kümmerte sich wie immer zuvorkommend um seine Gäste. Sein Begleiter, dieser Robert Bannatyne, war nirgends zu sehen.

Umso besser. Dieser Mann war wirklich beunruhigend attraktiv, sofern man auf den herrischen, kühlen Typ stand. Marian aber hatte gar kein Bedürfnis mehr nach einem Mann in ihrem Leben, allenfalls in Form einer flüchtigen Affäre.

Sie hatte Glück. Diesmal bemerkte keiner ihr Verschwinden, und zehn Minuten später war sie schon fast zu Hause. Vor ihr schimmerte der Strand silbern im Mondlicht. Auch nach einem Jahr auf Fala’isi verschlug ihr die Schönheit der Insel immer noch den Atem.

Unvermittelt füllten sich Marians Augen mit Tränen. Sie hielt inne, um sie mit der Hand fortzuwischen, und ihr Blick fiel auf ihren eleganten Schatten, den das Licht des Mondes auf den groben Korallensand warf: die schlanken, endlos langen Beine, die geraden Schultern, die schmale Taille, die wilde Haarmähne, die ihr ein überaus jugendliches Flair verlieh.

„Du siehst nicht aus wie dreißig“, sagte Marian in gedämpftem Ton zu ihrem Schatten. „Nicht wie dreißig, geschieden und einsam … und auch nicht zynisch und müde.“

Fala’isi war wunderschön, und Marian lebte gern dort, was aber nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass ihr Leben erschreckend leer war, ohne Richtung und Ziel. All ihre Hoffnungen und Pläne – ein Mann, Kinder, das Innenausstattungsgeschäft in Auckland – hatten sich zerschlagen. Wieder fühlte sie Tränen aufsteigen und wischte sie zornig weg. Nein, sie hatte genug wegen Gerald geweint. Und sie hatte die nötigen Entscheidungen getroffen, die sie hierher, nach Fala’isi, gebracht hatten. Sie hatte sogar ihre Hälfte der Firma an ihre Partnerin Tegan Jones verkauft … oder genauer, Tegan Sinclair, wie ihre Freundin nach ihrer Heirat hieß.

Der Verkauf ihres Geschäftsanteils war ihr schwergefallen, aber unumgänglich gewesen. Denn obwohl sie Gerald während seiner Doktorandenzeit unterstützt und allein ihrer beider Lebensunterhalt bestritten hatte, hatte er bei der Scheidung auf der ihm rechtlich zustehenden Auszahlung der Hälfte des vorhandenen Vermögens bestanden. Marian hätte sich das Geld leihen können, aber irgendwie hatte sie die Freude an ihrer Arbeit verloren. Trotzdem hatte es wehgetan, das Geschäft, das sie zusammen mit Tegan aufgebaut hatte, aufzugeben. Jung und unerfahren, hatten sie klein angefangen und sich zur Spitze hochgearbeitet. Marian letzter Auftrag war die Innenausstattung von Neuseelands neuer Botschaft in Simbabwe gewesen.

In der ersten Reaktion auf Geralds Treuebruch war es ihr nur natürlich erschienen, alle Zelte abzubrechen und ganz neu anzufangen. Inzwischen hatte sie sich allerdings des Öfteren gefragt, ob es nicht feige von ihr gewesen sei, vor ihrer zerbrochenen Ehe bis nach Fala’isi zu fliehen.

Die fröhliche Musik der Inselband schallte von der Hotelanlage herüber. Marian brauchte sich nur umzudrehen, dann würde sie die Lichter und die bewusst flachen Gebäude unter den Palmen sehen. Wenn sie eine Bestätigung suchte, dass sie als Frau noch attraktiv genug war, brauchte sie nur zurückzugehen. Auf Sams Party konnte sie lachen und flirten, ja, sogar mit einem der Sportler ins Bett gehen, wenn sie nur wollte.

Der Gedanke war ihr zuwider. Entschlossen ging sie auf das Haus zu, in dem sie wohnte, ein tropisches Traumschloss, das einem reichen Amerikaner gehörte, der allenfalls alle drei Jahre einmal Zeit fand, sich dort aufzuhalten. Marian passte sozusagen auf das Haus auf, obwohl das im Grunde nicht nötig war, denn auf Fala’isi gab es so gut wie keine Kriminalität.

Es war das einzige Haus an diesem Ende des Strands, und die Hotelgäste verirrten sich nur selten bis dorthin. Deshalb zuckte Marian erschrocken zusammen, als sich plötzlich eine dunkle Gestalt aus dem Schatten der Kokospalmen löste und eine tiefe Männerstimme sie ansprach: „Guten Abend.“

Ein Neuseeländer, dachte Marian sofort. Der Akzent war ebenso unverkennbar wie der knappe, herrische Ton. Natürlich. Robert Bannatyne.

„Guten Abend“, erwiderte sie zögernd. Fala’isi mochte zwar einer der sichersten Orte auf der Welt sein, dennoch hatte es den einen oder anderen Vorfall gegeben. Mit einem flüchtigen Lächeln eilte Marian weiter.

Hatte er gehört, wie sie zu ihrem Schatten gesprochen hatte? Und wenn, was kümmert es dich?, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie würde ihm vermutlich nicht noch einmal begegnen. Der Gedanke war ihr nur etwas peinlich, mehr nicht.

Doch Robert Bannatyne beschäftigte Marian offenbar mehr, als sie sich eingestehen wollte. Nachdem sie zu Hause geduscht hatte, setzte sie sich in das Zimmer, das sie als Atelier nutzte, und zeichnete mit sicheren Strichen das Gesicht des Mannes, der sie so forschend beobachtet hatte, als sie den Strand entlanggekommen war.

Lächelnd betrachtete sie die fertige Skizze. Sie hatte die markanten Gesichtszüge gut getroffen und auch den ausgeprägt sinnlichen Zug um den Mund, den alle Selbstdisziplin nicht verbergen konnte. Wunschdenken? Die heimliche Sehnsucht einer jeden Frau nach dem gefährlichen dämonischen Geliebten? Selbst wenn Robert Bannatyne tatsächlich an ihr interessiert war, wäre sie verrückt, sich mit ihm einzulassen. Nachdenklich folgte sie mit dem Zeigefinger den Konturen seines Gesichts: diese gerade Nase, das energische Kinn, der schöne Mund, der so viel verriet. Was hatte diesen Mann veranlasst, eine Mauer eiserner Selbstbeherrschung um sich zu errichten?

Marian schob alle Gedanken an Robert Bannatyne und diesen Tag beiseite und ging ins Bett.

Es war einer jener frischen, milden Morgen, wie er für Fala’isi typisch war. Marian lag wach in dem großen Doppelbett, lauschte auf das Gurren einer Taube in dem Brotfruchtbaum draußen vor dem Fenster und kam zu dem Schluss, dass sie einen Meilenstein in ihrem Leben hinter sich gelassen hatte. Die Scheidung war durch, ihr dreißigster Geburtstag vorbei. Sie konnte aufhören, der Vergangenheit nachzutrauern, und ihr Leben in Angriff nehmen.

Nach dem Frühstück nahm sie eine Mappe mit neuen Arbeiten – fröhlich bunte Acryl-Landschaften von der Insel, die sich sehr gut verkauften – und ging damit über den Strand in Richtung Hotel. Obwohl es schon recht warm war, lagen Strand und Wasser verlassen da. Die Touristen kamen meist erst hervor, wenn die Sonne hoch am Himmel stand, wodurch sie nach Marians Ansicht den schönsten Teil des Tages verpassten.

Im Foyer der Hotelanlage wurde Marian auf dem Weg zum Andenkenladen von Sam aufgehalten.

„Neue Arbeiten, Marian?“, fragte er. „Asa sagt, deine Bilder verkaufen sich bestens. Die Touristen, die wissen, was Qualität ist, sind ganz versessen darauf.“

„Gott sei Dank“, erwiderte Marian lächelnd. „Auf diese Weise stehen wenigstens keine Gläubiger vor meiner Tür.“

Sam tätschelte ihr neckend den Po. „Und was, wenn du deine Tür für mich öffnen würdest?“

Marian ging lachend auf diesen harmlosen Flirt ein, denn sie wusste, dass Sams Gefühle in Wahrheit für seine Kinder reserviert waren, die in den Ferien immer aus Australien zu Besuch kamen. „Tut mir leid, Sam, aber du bist Australier“, sagte sie mit einem verführerischen Augenaufschlag. „Keine anständige Neuseeländerin würde sich mit einem Aussie einlassen.“

„Wie kannst du mein Land so beleidigen!“, protestierte Sam in gespielter Empörung, ehe er sich unterbrach. „Oh, ich sehe gerade, Robert Bannatyne wartet auf mich. Aber wir werden dieses interessante Gespräch später fortsetzen, meine Liebe!“

Ohne auch nur in die Richtung zu blicken, wo Robert Bannatyne stand, durchquerte Marian das Foyer und betrat den Andenkenladen. Asa, die Inhaberin, begrüßte sie freudig und führte sie sofort durch einen Perlenvorhang in das kleine Hinterzimmer, um sich in Ruhe Marians neue Arbeiten anzusehen.

Fünf Minuten später spürte Marian ein vertrautes Kribbeln im Nacken und blickte irritiert auf. Während sie und Asa mit den Bildern beschäftigt gewesen waren, hatte unbemerkt Robert Bannatyne den Laden betreten. Anders als die gewöhnlichen Touristen schaute er sich nicht erst in dem Geschäft um, sondern blieb an der Tür stehen, den Blick erwartungsvoll auf den Perlenvorhang gerichtet.

Marian stieß Asa an und deutete zur Tür. Sofort eilte Asa in den Laden hinaus, ihr Lächeln noch strahlender als sonst. Kein Wunder, dachte Marian. Im Schatten der mondbeschienenen Palmen war Robert Bannatyne ihr mehr wie eine Traumgestalt vorgekommen. Aber hier, auf diesem beengten Raum, wirkte seine geballte Männlichkeit atemberaubend.

„Im Schaufenster sind ein paar Acryl-Gemälde ausgestellt“, hörte sie ihn mit seiner wohlklingenden Stimme sagen. „Haben Sie noch andere Arbeiten desselben Künstlers?“

„Zufällig hat die Künstlerin gerade einige neue Arbeiten gebracht“, antwortete Asa und rief nach hinten: „Marian, bringen Sie doch die Mappe mit Ihren Bildern.“

Einen Moment zögerte Marian unschlüssig. Urplötzlich kam ihr der völlig verrückte Gedanke, dass ihr Leben nie mehr so sein würde wie zuvor, wenn sie durch diesen Perlenvorhang hinausgehen würde. Aber hatte ihre Intuition sie nicht schon oft im Stich gelassen? Hätte sie sonst Gerald geheiratet?

Entschlossen nahm sie die Mappe und ging in den Laden.

Roberts unwahrscheinlich blaue Augen blitzten überrascht auf, als Marian in einem ärmellosen goldenen T-Shirt und einem fließenden Hosenrock in sanften Gold- und Erdtönen durch den Perlenvorhang trat. „Guten Morgen, Miss Doyle“, sagte er dann kühl. „Ihre Arbeiten im Schaufenster gefallen mir, sind aber zu gefällig für meinen Geschmack. Haben Sie auch etwas Ernsteres?“

„Schauen Sie diese in Ruhe durch“, schlug Asa vor und legte ihm die Mappe vor. „Wenn Sie darunter nichts finden, was Ihnen gefällt, kann Marian Ihnen auch noch andere Arbeiten zeigen. Was sie hier verkauft, ist natürlich auf den Geschmack der Touristen ausgerichtet, wenn Sie verstehen …“

„Ja, natürlich.“ Robert beugte sich über die Mappe und studierte die Bilder aufmerksam.

Marian fiel es schwer, den Blick von ihm zu wenden. Porträtmalerei war nicht ihre Stärke, aber dieses markante Gesicht musste jeden Künstler als Herausforderung reizen. Es war nicht bloß männlich schön, sondern verriet eine bezwingende Mischung aus einem zutiefst leidenschaftlichen Naturell, das von einer eisernen Willenskraft gnadenlos im Zaum gehalten wurde. Eine bloße Kohleskizze wurde der Intensität dieser Züge nicht gerecht. Nein, hier war die Kraft und Ausdrucksvielfalt von Ölfarben gefordert.

Ganz in diese Überlegungen versunken, bemerkte Marian zu spät, dass Robert Bannatyne längst seine Aufmerksamkeit von ihren Bildern abgewandt und auf sie gerichtet hatte. Sie fühlte sich ertappt und errötete.

„Was für ein ungewöhnlich forschender Blick“, sagte Robert gelassen.

Es gelang ihr zu lächeln. „Der Blick einer Künstlerin, die darauf brennt, Sie zu malen“, gestand sie freimütig.

„Ich fühle mich geschmeichelt“, erklärte er spürbar reserviert. „Aber ich verzichte doch lieber. Und von diesen Bildern ist auch keines nach meinem Geschmack. Wie sind Ihre anderen Arbeiten? Gleicher Art?“

„Nein“, sagte Marian kurz und entschieden.

„Marian hat unten am Strand ihr Atelier“, warf Asa ein, die gern die Gelegenheit nutzte, einem ihrer Schützlinge unter die Arme zu greifen. „Warum nehmen Sie Mr. Bannatyne nicht mit, Marian, und zeigen ihm ein paar von Ihren anderen Arbeiten?“

Erneut von beunruhigenden Vorahnungen beschlichen, antwortete Marian ausweichend: „Wenn Sie wirklich interessiert sind, Mr. Bannatyne, könnten wir ja einen Termin vereinbaren.“

„Was spricht gegen jetzt gleich?“

„Nichts …“ Sie fühlte sich in die Enge gedrängt, denn es war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, ihn in ihr Haus und ihr Atelier mitzunehmen.

„Dann komme ich mit und sehe mir die Bilder an“, erklärte Robert in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Es ist nicht weit, wie ich annehme?“

Ehe Marian etwas erwidern konnte, mischte sich Asa erneut wohlmeinend ein. „Ein schöner Spaziergang am Strand, höchstens zehn Minuten“, versicherte sie bereitwillig und strahlte Marian an. „Lassen Sie die Mappe mit den Bildern hier, meine Liebe.“

Damit war die Sache entschieden. Marian gab sich geschlagen und verließ zusammen mit Robert Bannatyne den Laden.

Als sie aus der Hotelhalle in das gleißende Sonnenlicht traten, setzte sie sich ihre Sonnenbrille auf und sagte höflich: „Ich bin über den Strand gekommen, Mr. Bannatyne. Wenn Sie lieber mit dem Auto fahren möchten, kann ich …“

„Nein.“ Er trug eine sportlich-exklusive Leinenhose und ein feines Chambrayhemd, dessen Pastellton gerade das intensive Blau seiner Augen betonte. Allerdings verbarg er letztere in diesem Moment hinter einer dunkel getönten Sonnenbrille. „Ich gehe gern zu Fuß.“

Die Hotelanlage war mit spärlich bekleideten, fröhlichen Menschen bevölkert, die sich aufmachten, einen weiteren Tag im Paradies zu genießen. Das gedämpfte Tosen der Wellen, die sich draußen an dem Riff brachen, bot einen steten Kontrapunkt zu dem sanften Rauschen des Windes in den Kokospalmen. Langschwanzpapageien mit ihrem leuchtend grünen, blauen und roten Gefieder zeterten vernehmlich in den Wipfeln der Palmen. Aber Marian hatte das seltsame Gefühl, dass sie und Robert Bannatyne von einer undurchdringlichen Stille eingehüllt seien, als sie das Hotel hinter sich ließen und wortlos den Weg zum Strand einschlugen.

Noch nie zuvor war Marian diesen Weg gegangen, ohne ihn mit den Augen einer Künstlerin auf Motivsuche zu sehen: die frischen, lebhaften Farben, die krasse Silhouette der Bergkette im Herzen der Insel, die endlose blaue Weite des Meers, das sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Diesmal jedoch schien ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Mann an ihrer Seite konzentriert, und das ärgerte sie.

„Leben Sie schon lange hier?“, brach Robert überraschend das Schweigen.

Offenbar wollte er höflich sein, und Marian entschied sich, seinem Beispiel zu folgen. „Seit einem Jahr. Und aus welchem Teil von Neuseeland stammen Sie?“

„Aus Hawkes Bay.“

Weinberge, alter Geldadel, prachtvolle Villen und ein wunderbares Klima … ja, Robert Bannatyne passte dorthin.

„Wo haben Sie gelebt, bevor Sie hierherkamen?“, fragte er weiter.

„In Auckland.“ Auch sie konnte kurz angebunden sein.

Sie hatten die letzten Sonnenanbeter und neugierigen Blicke hinter sich gelassen und gingen schweigend nebeneinander her. Noch nie war Marian der Weg so weit vorgekommen.

Das Haus, in dem Marian wohnte, lag auf einem üppig grünen Naturrasen, der zum Strand hin mit einer steinernen Balustrade abgegrenzt war. Sowohl das Haus wie auch die Balustrade waren von einheimischen Handwerkern aus Korallenstein erbaut worden und wirkten trotz des imposanten Stils an dieser polynesischen Küste nicht fehl am Platz. Ein Pfad aus Muschelsplittern führte durch einen Palmenhain, vorbei an leuchtend blühenden Hibiskussträuchern und duftenden Jasminbäumen zu einer großen Terrasse.

„Treten Sie ein“, bat Marian Robert nervös.

„Wo befindet sich Ihr Atelier?“

„Bitte. Hier entlang“, wies Marian ihm den Weg, verärgert über seinen herablassenden Ton. Plötzlich kam ihr der entsetzliche Gedanke, die Porträtskizze, an der sie sich abends zuvor versucht hatte, könne noch offen herumliegen. Nach einem panischen Blick durch das Atelier atmete sie erleichtert auf. Der Skizzenblock war gut versteckt. „Die Bilder, die zum Verkauf stehen, finden Sie hier an der Wand“, erklärte sie. Als sie aber eins der Bilder aufnahm, wurde es ihr von Robert sofort aus der Hand genommen.

„Ich komme allein zurecht“, sagte er bestimmt.