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Wer Wind säht, wird Böses ernten Rund um Oberherzholz soll ein Windpark entstehen. Ein Projekt, das so manchem Anwohner die Wut zu Kopf steigen lässt. Erst fällt ein Reporter auf mysteriöse Weise von einem Strommast, dann stirbt ein weiterer Mann, der mit dem Projekt Windpark zu tun hatte. Die rüstigen Rentnerinnen Isabella Steif und Charlotte Kantig ahnen, dass da jemand nachhilft. Aber würden die Bauern, um deren Bauland es geht, so weit gehen und die Verantwortlichen ermorden? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Auch dieses Mal stecken die beiden Schwestern ihre Nasen ein bisschen zu tief in vermeintlich fremde Angelegenheiten. Entdecken Sie auch die weiteren Fälle von Steif und Kantig: - Band 1: Steif und Kantig - Band 2: Kühe, Konten und Komplotte - Band 3: Landluft und Leichenduft - Band 4: Hengste, Henker, Herbstlaub - Band 5: Felder, Feuer, Frühlingsluft - Band 6: Schnäpse, Schüsse, Scherereien - Band 7: Mondschein, Morde und Moneten - Band 8: Gärtner, Gauner, Gänseblümchen - Band 9: Dünen, Diebe, Dorfgeplänkel - Band 10: Printen, Plätzchen und Probleme - Band 11: Komplizen, Kappen, Karneval - Band 12: Halunken, Horror, Halloween - Band 13: Blüten, Birken, Bösewichter
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Die AutorinGisela Garnschröder ist 1949 in Herzebrock/Ostwestfalen geboren und aufgewachsen auf einem westfälischen Bauernhof. Sie erlangte die Hochschulreife und studierte Betriebswirtschaft. Nach dem Vordiplom entschied sie sich für eine Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt. Immer war das Schreiben ihre Lieblingsbeschäftigung. Die berufliche Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt brachte den Anstoß zum Kriminalroman. Gisela Garnschröder wohnt in Ostwestfalen, ist verheiratet und hat Kinder und Enkelkinder. Sie ist Mitglied bei der Krimivereinigung Mörderische Schwestern, beim Syndikat und bei DeLiA. Von der Autorin sind bei Midnight außerdem erschienen: Steif und Kantig Kühe, Konten und Komplotte
Das BuchRund um Oberherzholz soll ein Windpark entstehen. Ein Projekt, das so manchem Anwohner die Wut zu Kopf steigen lässt. Erst fällt ein Reporter auf mysteriöse Weise von einem Strommast, dann stirbt ein weiterer Mann, der mit dem Projekt Windpark zu tun hatte. Die rüstigen Rentnerinnen Isabella Steif und Charlotte Kantig ahnen, dass da jemand nachhilft. Aber würden die Bauern, um deren Bauland es geht, so weit gehen und die Verantwortlichen ermorden? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Auch dieses Mal stecken die beiden Schwestern ihre Nasen ein bisschen zu tief in vermeintlich fremde Angelegenheiten. Midnight: Seite für Seite Nervenkitzel!
Gisela Garnschröder
Landluft und Leichenduft
Der dritte Fall für Steif und Kantig
Roman
Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de
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Originalausgabe bei Midnight.Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinNovember 2015 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015Umschlaggestaltung:ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95819-055-9
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Es regnete stark, und Isabella Steif und Charlotte Kantig kämpften zudem noch mit einem eisigen Wind, der ihnen ins Gesicht blies.
»Hätten wir bloß den Wagen genommen«, jammerte Charlotte. »Aber meine holde Schwester mit ihrem Umwelttick will unbedingt radeln!«
»Nur weil du mal wieder keine vernünftigen Regensachen zum Anziehen hast, verzichte ich doch nicht aufs Radfahren«, zischte Isabella ihre drei Jahre jüngere Schwester an. »Das Wetter ist doch genauso, wie es im April sein muss!«
Charlotte Kantig biss die Zähne zusammen, zog die Kapuze ihres Parkas tief ins Gesicht und schaute verärgert auf ihre hellgraue Hose, die nun an den Knien vom Regen durchweicht war und bei der Ankunft im Rathaussaal bestimmt nicht mehr gut aussehen würde. Endlich ließ der Regenschauer nach, und kurz darauf verließen sie den Radweg, der an der Landstraße entlangführte, und genossen den Windschutz der Häuser, die rechts und links die Straße säumten. Die kleine Siedlung, in der Isabella und Charlotte Tür an Tür in einem Doppelhaus wohnten, lag etwas außerhalb von Oberherzholz, und mit dem Rad brauchte man gute zwanzig Minuten bis in die Stadt.
Der Parkplatz vor dem Rathaus war voll, und einige Autofahrer drehten suchend Runde um Runde, aber es war kein freier Stellplatz mehr zu sehen.
»Jetzt weißt du, warum ich mit dem Fahrrad fahren wollte!«, erklärte Isabella triumphierend und zeigte mit der Hand auf den voll geparkten Platz und die Straße entlang, wo sich auch schon ein Auto ans andere reihte.
»Mein Gott, wo kommen die alle her?«, staunte Charlotte. »Ist die Sitzung zu den Windrädern denn so interessant?«
»Das wirst du gleich sehen!«, sagte Isabella, während sie ihre Räder an den Autos vorbei zu dem Fahrradständer schoben, der allerdings ebenfalls vollgestellt war. »Nicht ein Ständer frei«, monierte Charlotte und hob ihr Rad an, um es in das vor dem Fahrradständer liegende Beet zu stellen.
»Du kannst doch das Rad nicht mitten in die Pflanzen stellen!« Isabella schüttelte empört den Kopf und schob ihr Rad zu einem Straßenbaum auf dem Bürgersteig, wo allerdings schon viele andere Räder lehnten.
»Und ob ich kann!«, entgegnete Charlotte. »Da, wo dein Rad steht, wird es doch nur umgeworfen oder zugestellt.« Ohne weiter auf das verärgerte Stirnrunzeln ihrer Schwester zu achten, schloss sie ihr Rad ab und stand gleich darauf abwartend neben Isabella, die gerade aus ihrer Pelerine geschlüpft war und sie in einer Plastiktüte verstaut hatte. Während die Schwestern langsam zum Eingang des Rathauses gingen, ließ der Strom der Informationshungrigen schon nach, denn genau in dem Moment, als sie eintraten, schlug die Kirchturmuhr acht.
Der Saal war voll, und Isabella und Charlotte mussten sich mit einem Stehplatz direkt neben der Tür zufriedengeben. Der Bürgermeister trat ans Mikrofon und eröffnete die Versammlung, was einige Besucher dazu nutzten, Plakate hochzuhalten und lautstark gegen seine Rede anzuschreien.
»Dass die Leute nicht mal fünf Minuten zuhören können, was der Bürgermeister zu sagen hat!«, zischelte Isabella ihrer Schwester zu.
»Oh, ich finde es ganz interessant, wie die sich hier in Szene setzen«, gab Charlotte leise zurück und betrachtete grinsend, wie der Saaldiener versuchte, Ordnung in die Versammlung zu bekommen, was ihm erst nach einigen Minuten gelang.
Der Bürgermeister hatte geduldig abgewartet und erklärte nun, welche Vorteile die Ausweisung von Flächen für den geplanten Windpark für die Stadt hätte. Laute Protestrufe waren die Folge. Eine Gruppe Umweltschützer hielt ein Plakat hoch: »Schützt den Brachvogel!«
»Ruhe!«, donnerte der Saaldiener in die Versammlung, und der Bürgermeister rief laut, um die aufgeregten Stimmen zu übertönen: »Seien Sie doch vernünftig! Es gibt für alles eine Lösung! Die Anlagen in ihrer Gesamtheit garantieren nach der Fertigstellung Strom für fünfzigtausend Haushalte, ein riesiger Gewinn für unsere Stadtwerke und ebenfalls ein Sieg für den Klimaschutz!«
»Und wir? Wer schützt uns?«, rief eine aufgeregte Frauenstimme dazwischen. »Diese Windräder sind so laut, dass wir des Nachts nicht mehr schlafen können!« Zustimmendes Klatschen!
Ein Mann sprang auf die Bühne und nahm dem Bürgermeister das Mikrofon ab. »Meine Damen und Herren, unsere Firma baut Windräder seit zwanzig Jahren …« Die weiteren Worte gingen in lautem Geschrei unter.
Isabella fasste Charlotte an die Hand. »Komm, das wird mir zu viel. Da versteht man ja sowieso nichts!«
Charlotte schüttelte grinsend den Kopf. »Ich find’s interessant! Wir haben hier doch ’nen super Platz, und wenn’s brenzlig wird, können wir gleich durch die Tür verschwinden.«
Nach einigem lauten Hin und Her trat vorübergehend Ruhe ein, und der Mann von der Windkraftanlagen-Firma erklärte anhand eines Videos, welches nun über den großen Wandbildschirm angezeigt wurde, die Vorgehensweise beim Ausbau der Windräder. Wieder wurden Proteste laut. »Viel zu hoch!«, schrie ein junger Mann in Polohemd, und eine Frau, von der nur die grauen Haare zu sehen waren, unterstützte ihn lautstark: »Jawohl! Und zu nah an den Häusern ist es auch!«
»Der Abstand zu den Häusern wird selbstverständlich vorschriftsgemäß eingehalten!«, hielt der Mann auf dem Podium dagegen. »Die vorgesehene Fläche ist weit genug von jeglicher Bebauung entfernt!«
Einige Männer und Frauen versuchten nun mit einem Plakat die Bühne zu erstürmen, es gab ein Gerangel, und das Plakat wurde schneller zerfetzt, als man es lesen konnte. Ein blonder junger Mann mit einer Kamera stand ziemlich vorn im Saal ganz nah am Fenster und machte Fotos von dem Gerangel, und auch an der anderen Seite des Saals wurde eine Kamera gezückt.
Isabella zog Charlotte am Arm und zischte: »Komm endlich, bevor die sich die Köpfe einschlagen!«
Widerstrebend folgte Charlotte ihr aus dem Saal. Draußen monierte sie empört: »Gerade jetzt, wo es interessant wird, willst du nach Hause!«
»Geh doch wieder rein!«, gab Isabella beleidigt zurück. »Ich hab auf jeden Fall die Nase voll von dem Geschrei. Das ist doch keine Diskussion, das ist ein Schlagabtausch, und wer weiß, womöglich gibt es noch eine Schlägerei!« In diesem Moment wurde die Tür zum Saal aufgerissen, und die Besucher quollen aufgeregt aus dem Gebäude, wie Nudeln aus einem zu kleinen Topf.
Laut schimpfend die einen, mit roten Gesichtern eifrig diskutierend die anderen, liefen sie an den Schwestern vorbei zu ihren Fahrzeugen.
»Siehst du, die Versammlung ist zu Ende!«, erklärte Isabella triumphierend.
»Zu Ende?«, rief eine Frau, die sie gehört hatte. »Der Bürgermeister hat die Versammlung aufgelöst! Eine Unverschämtheit ist das!« Sie rannte zu den Fahrrädern, die an dem Baum standen, an dem auch Isabella ihr Rad abgestellt hatte, warf mehrere Räder um, bis sie ihres gefunden hatte, und fuhr mit einem »So eine Frechheit!« davon.
Isabella wollte protestieren, doch die Frau war schon ein Stück weit weg, und sie konnte der Dame nur schockiert nachblicken.
Charlotte lachte. »Warum stellst du dein Rad auch an einen Baum, an dem schon hundert andere stehen?!« Seelenruhig holte sie ihr Rad aus dem Beet hinter dem Fahrradständer hervor und sah grinsend zu, wie Isabella sich abmühte, um ihr Rad unter den anderen hervorzuholen.
»Sobald ich diese unverschämte Person erwische, werde ich ihr ein paar Takte erzählen!«, erklärte Isabella grimmig, als sie wieder auf der Straße stand. Im selben Moment stürmten ein Mann und eine Frau auf sie zu, und sie wurde von der Frau empört angeblafft: »Hey, was fällt Ihnen ein, unsere Räder auf den Bürgersteig zu werden!«
Isabella zog empört die Brauen hoch, ersparte sich aber eine Erklärung und radelte eilig davon. »So eine Unverschämtheit, die hat sich noch nicht mal entschuldigt!«, hörte sie noch die erregte Stimme der unbekannten Frau hinter sich und bog eilig in die nächste Straße ein, wo sie stoppte und auf Charlotte wartete.
Es dauerte einige Zeit, bis Charlotte kam, denn mittlerweile war die Straße überfüllt von Radlern und Autofahrern, die ebenfalls nach Hause fuhren. Als sie endlich erschien, rief Isabella empört: »Wo bleibst du eigentlich so lange? Ich warte schon eine Stunde!«
»Haha, höchstens zehn Minuten«, sagte Charlotte. »Es war einfach zu interessant, wie die Leute aus dem Saal kamen und sich gegenseitig für das Scheitern der Versammlung verantwortlich machten und dann mit ihren Autos ungeduldig hupend davonfuhren!«
»Ich habe das Hupen und Kreischen gehört und mich schnellstens davongemacht!« Isabella schüttelte den Kopf. »Wie kann man sich nur so gehen lassen! Sind die Leute alle verrückt geworden?«
»Es sind doch heiße Themen«, sagte Charlotte, während beide gemütlich nebeneinanderher fuhren. »Außerdem bist du doch geflüchtet, weil das Paar dich wegen des Rades angemacht hat!«
»Da muss man aber doch nicht so ein Geschrei machen«, sagte Isabella, als hätte sie den Zusatz von Charlotte gar nicht gehört. »Und diese Huperei im Ort ist wirklich nicht nötig!«
»Die Nerven liegen blank bei den Leuten, schließlich ist die beschauliche Ruhe vorbei, wenn erst ein Windpark gebaut wird«, sagte Charlotte. »Stell dir vor, bei uns auf dem Feld direkt hinter Ottokars Haus würden Windräder aufgestellt! Ich darf gar nicht daran denken!«
»Die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite halten doch den Lärm ab, und der Schatten würde uns auch nicht erreichen, weil das Haus deines geliebten Ottokar davorsteht!« Isabella grinste.
»Da bin ich aber nicht sicher!«, sagte Charlotte. »Lass uns doch in den nächsten Tagen mal rausfahren und uns die vorgesehene Fläche für den Windpark aus der Nähe ansehen!«
»Keine schlechte Idee«, sagte Isabella. »Außerdem könnten wir uns dann auch gleich eine Biogasanlage anschauen und überprüfen, ob es wirklich mit der Geruchsbelästigung so schlimm ist, wie mir die Bäckersfrau neulich erzählt hat!«
Charlotte lachte. »Eine Biogasanlage ist auch in Planung. Irgendjemand hat danach gefragt, aber es ist in dem Durcheinander untergegangen!«
»Da konnte man ja auch nichts mehr verstehen, deshalb sind wir doch gegangen!«
»Das war wirklich gut«, bestätigte Charlotte. »Noch ein paar Minuten, und wir wären gar nicht mehr aus dem Saal gekommen bei dem Gedränge!«
»Na siehste, dann hatte ich doch recht!« Isabella sah Charlotte triumphierend an. »Aber meine kleine Schwester musste sich unbedingt dieses Tohuwabohu ansehen. Wenn wir fünf Minuten eher gegangen wären, hätte es den Ärger mit meinem Rad gar nicht gegeben!«
»Wenn du auf mich gehört hättest, auch nicht!«
Isabella hatte schon eine Antwort auf der Zunge, aber dann fiel ihr ein, was Charlotte zu Anfang gesagt hatte, und sie schwieg.
Mittlerweile hatten die beiden den Radweg zu ihrer Siedlung erreicht, und es begann leicht zu tröpfeln. Charlotte trat heftig in die Pedale.
»Warte! Ich muss mir noch meine Pelerine überziehen!«, rief Isabella und sprang vom Rad, aber Charlotte fuhr ungerührt weiter. Grummelnd warf sich Isabella ihren Regenumhang über, stieg wieder auf und beeilte sich, sie einzuholen. Charlottes Vorsprung war jedoch zu groß, und als Isabella verschwitzt und völlig außer Atem zu Hause ankam, schloss ihre Schwester gerade die Garagentür und rief: »Geschafft! Jetzt kann es meinetwegen pladdern, soviel es will!«
Isabella schüttelte den Kopf, schaute in den Himmel und sagte leicht empört: »Der Schauer verzieht sich! Du hättest ruhig auf mich warten können!«
»Ich bin mit Ottokar verabredet, Schwesterchen, das weißt du doch!«, sagte Charlotte und verschwand in ihrem Haus. Isabella stellte ihr Rad neben dem Eingang ab und ging ebenfalls hinein.
Ottokar Breit wohnte genau gegenüber und war mit Charlotte eng befreundet. Er hatte sie zum Abendessen eingeladen, deshalb hatte Charlotte gar nicht mitfahren wollen, aber Isabella hatte sie überredet, weil sie fand, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien ein wichtiges Thema war. Keinesfalls hatte sie damit gerechnet, dass die Emotionen so hoch schlagen würden und die Versammlung abgebrochen werden musste, weil einige Leute nicht in der Lage waren, sich die Ausführungen der Firmen anzuhören, die die Gewerke erstellen sollten. Noch immer war sie empört, dass man solche Dinge nicht in Ruhe klären konnte. Es hatte Isabella schon erhebliche Mühe gekostet, Charlotte zu überreden, mit ihr dorthin zu fahren, und nun musste sie sich eingestehen, dass es besser gewesen wäre, zu Hause zu bleiben. Isabella holte sich ein Buch, welches sie sich erst vor einigen Tagen mitgebracht hatte, stellte leise Musik an und machte es sich in ihrem Lieblingssessel gemütlich.
Am Montagmorgen hatte der Regen nachgelassen, und die Sonne strahlte von einem leicht bewölkten Himmel. Charlotte hatte nach einem vergnüglichen Wochenende mit Ottokar gründlich verschlafen. Als sie im Obergeschoss den Rollladen ihres Schlafzimmerfensters hochzog, sah sie ihre Schwester nebenan schon in ihrem Garten werkeln. Schnell schlüpfte sie ins Bad und saß schon wenig später am Frühstückstisch und las bei Kaffee und Toast die Morgenzeitung. Natürlich war ein riesiger Artikel zur Sitzung um die Windräder im Oberherzholzer Tageblatt mit der Überschrift: »Viel Wind um nichts! Heftiger Schlagabtausch bei der Standortfrage des Windparks.«
Charlotte stutzte. Was hatte diese merkwürdige Überschrift zu bedeuten? Aufmerksam geworden las sie nun den Artikel genau durch, denn obwohl sie die Versammlung am Freitagabend hautnah miterlebt hatte, war ja dabei außer Chaos wenig zu den wahren Vorgängen herausgekommen.
Dann fand sie den entscheidenden Satz: »Obwohl Bauer Schultherm das Grundstück zur Verfügung stellen würde, ist die Realisierung des Windparks auf der vorgesehenen Fläche nahe der Münsterlandstraße nicht sicher, weil die Genehmigung durch den Nachbarbetrieb bisher nicht vorliegt.«
Da waren wohl zwei Bauern, die unbedingt ihre Flächen zur Verfügung stellen wollten. Aber warum gab es dann eine Sitzung dazu, wenn noch nicht einmal klar war, wo der Windpark überhaupt entstehen sollte? Kopfschüttelnd legte Charlotte die Zeitung zur Seite und frühstückte gemütlich.
Nach dem Frühstück ging Charlotte in die Garage und holte die Kiste mit den Dahlienknollen hervor, die sie nun in die Erde setzen wollte. Bis zum Mittag arbeitete Charlotte in ihrem Garten, setzte die Dahlien an Ort und Stelle und reinigte die Beete vom Unkraut. Obwohl sie Isabella auf der anderen Seite der Hecke, die die Gärten trennte, durchaus sehen konnte, weil die Hecke noch kahl war, arbeitete sie schweigend vor sich hin, ohne sich bemerkbar zu machen. Isabella schien ebenfalls so beschäftigt zu sein, dass sie nichts sah und hörte.
Als Charlotte fast fertig war, rief Isabella plötzlich: »Oh, wie lange bist du denn schon im Garten? Ich habe dich gar nicht gesehen!«
Charlotte lachte. »Schon lange. Bin gleich fertig.« Sie trat mit ihrer Hacke an die Hecke und fuhr fort: »Meine Dahlien sind schon alle in der Erde. Möchtest du noch welche, ich hab viel zu viele.«
Isabella überlegte einen Moment, dann fragte sie: »Hast du noch orangefarbene? Die würden gut zu den Tagetes passen, die ich gerade gepflanzt habe.«
»Ja, kannste haben«, murmelte Charlotte und suchte in ihrem Karton. Sie hatte alle Dahlien mit kleinen Schildchen versehen, damit sie die Knollen im Frühling auseinanderhalten und farblich passend ins Beet pflanzen konnte. Sie reichte Isabella die Knollen über die Hecke, die mittlerweile so hoch war, dass sie sich dabei richtig recken musste.
»Hast du Lust auf eine Radtour heute Nachmittag?«, fragte Isabella nun. »Ich möchte mal sehen, wo der Windpark hinsoll.«
»Nein. Ich muss noch meine Schalen bepflanzen«, gab Charlotte zur Antwort. »Außerdem steht heute in der Zeitung, dass das Grundstück, auf dem die Windräder stehen sollen, noch gar nicht feststeht.«
»Trotzdem können wir doch schon mal nachsehen, wo das geplante Grundstück liegt, schließlich war es doch auf der Karte, die der Bürgermeister vorgestellt hat, schon eingezeichnet«, sagte Isabella.
»Und wenn die Windräder später ganz woanders hinkommen, haben wir uns umsonst auf den Weg gemacht«, gab Charlotte zurück.
»Die Radtour macht doch trotzdem Spaß«, erklärte Isabella. »Pflanzen kannst du morgen noch! Heute ist es zum Radfahren ideal. Für morgen hat der Wetterbericht schon wieder Regen und Graupelschauer gemeldet.«
Charlotte zögerte einen Moment. »Vielleicht hast du recht.«
»Außerdem soll es in den nächsten Tagen noch Nachtfrost geben, und bis zum ersten Mai ist noch über eine Woche!«, sagte Isabella.
»Ha, ich denke, du hast gerade Tagetes gepflanzt, die erfrieren dir dann aber bestimmt!«, unkte Charlotte.
»Ich hab mir Flies besorgt und sie gleich damit abgedeckt«, sagte Isabella. »Die Pflänzchen für meine Schalen habe ich aber noch in der Garage, das ist mir dann doch zu heikel.«
»Ich mag das Flies nicht, sieht irgendwie blöd aus im Garten«, sagte Charlotte und fuhr übergangslos fort: »Wann willst du denn losfahren?«
»Um drei Uhr«, sagte Isabella. »Dann sind wir pünktlich zurück. Um sechs bin ich zum Nordic Walking verabredet.«
»Mit Eberhard?«
»Vielleicht!« Isabella lachte, verschwand eilig hinter ihrem blühenden Forsythienstrauch und war nicht mehr zu sehen.
»Bis nachher!«, rief Charlotte, räumte ihre Gartengeräte ein und stellte die Kiste mit den restlichen Dahlien wieder in die Garage. Eigentlich hatte sie die Knollen auf den Kompost werfen wollen, aber nun hatte sie sich überlegt, dass Ottokar vielleicht daran interessiert wäre. Sie wollte ihn zumindest fragen.
Das für den Windpark vorgesehene Grundstück lag auf der anderen Seite von Oberherzholz hinter einem Wald. Es war ein sonniger Tag, und überall zeigten die Bäume ihr erstes Grün. In den Gärten, die sie passierten, blühten goldgelbe Forsythien, und die Birken am Straßenrand präsentierten sich in hellstem Grün. Mit dem Rad dauerte es über eine Dreiviertelstunde, bis sie endlich den ungefähren Standort erreicht hatte. Ein schmaler Weg führte von der Landstraße ab, am Wald vorbei zu einer riesigen Ackerfläche, die wohl erst kürzlich bearbeitet worden war.
»Das Feld ist ja schon bestellt«, sagte Charlotte. »Da wurde Mais gelegt. Dann dauert es aber noch ein Weilchen, bis hier ein Windpark entsteht!«
Isabella stieg vom Rad und blickte über die Fläche, deren Ende von der Stelle, an der sie standen, nicht zu sehen war, weil das Feld auf einer Anhöhe lag.
»Das wundert mich aber nun doch«, sagte Isabella. »Der Bürgermeister hat so getan, als wäre alles in trockenen Tüchern!«
»In der Zeitung stand, dass es noch Probleme mit der Genehmigung des Nachbarn gibt«, sagte Charlotte nachdenklich. »Aber hier sehe ich weit und breit weder Haus noch Hof.«
»Hinter dem Wald liegen die Gebäude. Da wohnen zwei Bauern ziemlich nah beieinander«, erklärte Isabella. »Etwas weiter gibt es auch einen kleinen See, der aus einer Sandgrube entstanden ist. Wir sind im letzten Jahr mit der Nordic-Walking-Gruppe dort vorbeigekommen.«
»Oh, ein See! Kann man da baden?«, fragte Charlotte interessiert.
»Bestimmt! Man darf sich nur nicht erwischen lassen!«, antwortete Isabella grinsend. »Das Wasser war sehr klar und sauber. Aber irgendein Fischverein hat es wohl gepachtet. Dort ist Baden verboten!«
»Macht nichts«, sagte Charlotte. »Lass uns mal hinfahren. Vielleicht probiere ich im Sommer mal das Wasser!«
Isabella schob ihr Rad weiter und antwortete lachend. »Dann pass aber auf, dass du nicht plötzlich am Angelhaken hängst!«
Charlotte grinste, antwortete aber nicht darauf, sondern fragte: »Geht der Sandweg hier weiter?«
»Keine Ahnung«, sagte Isabella. »Wenn nicht, drehen wir einfach wieder um!«
Charlotte zog mit einem Blick über den ausgefahrenen Weg leicht empört die Brauen hoch. »Wenn du es nicht genau weißt, dann lass uns lieber gleich umkehren, der Weg ist ja eine regelrechte Huckelpiste!«
»Was du immer hast«, knurrte Isabella beleidigt und stieg auf. »Dann fahr ich eben alleine weiter.«
Charlotte holte einmal tief Luft und schnitt eine Grimasse, dann folgte sie ihrer Schwester langsam nach. Der Weg war von tiefen Traktorspuren durchfurcht, die wohl durch den Bauern zur Verfestigung mit Stein- und Tonpfannenresten aufgefüllt worden waren. Wo keine Steine verfüllt worden waren, hatte der Regen der letzten Tage riesige Pfützen zurückgelassen, und in der Mitte des Weges hatte sich zudem eine hohe Graskante gebildet. Eine echte Herausforderung für Rad und Radlerin.
Schwitzend und schimpfend bahnte sich Charlotte den Weg und wunderte sich, wieso Isabella es schaffte, so schnell durch die Höhen und Tiefen des Weges vorauszufahren. Zweimal musste sie absteigen, weil sie bei den Auffüllungen zwischen den Steinen Glasscherben gesichtet hatte und um ihre Reifen fürchtete.
Isabella schien zu schweben, war weit vor ihr, hielt plötzlich an, und rief ihr vorwurfsvoll zu: »Wo bleibst du denn, Lotte?«
Abgehetzt und total wütend kam sie bei Isabella an. »Frag nicht so dumm!«, schimpfte sie, als sie die Schwester erreicht hatte. »Das ist kein Weg, das ist eine Zumutung!«
»Früher waren die Wege alle so«, erklärte Isabella ungerührt, »da muss man doch nicht so ein Theater drum machen!«
»Meinst du, ich will mir ’nen Platten holen!«, gab Charlotte gefrustet zurück. »Wie konntest du überhaupt so schnell fahren? Ich musste zwischendurch absteigen, weil da so viele Scherben waren!«
»Ich habe ein Trekkingrad, das hat viel breitere Reifen. Da kann man ohne Schwierigkeiten über die Steine und kleine Scherben fahren, besonders wenn man gut trainiert ist!«, sagte Isabella mit einem hochmütigen Ausdruck im Gesicht und setzte mit wichtiger Miene hinzu: »Wenn man durch Feld und Flur fährt, braucht man eben ein stabiles Rad.«
Charlotte sah Isabella empört an, sparte sich aber einen Kommentar und fragte: »Ist der Weg noch lang?«
»Keine Ahnung, ich bin hier auch noch nie gewesen!«
»Was?«, rief Charlotte entsetzt aus. »Ich dachte, du kennst dich aus! Womöglich landen wir gleich vor einem Acker und müssen zurück!«
»Na und? Das habe ich doch schon zu Anfang gesagt«, fuhr Isabella auf. »Aber wie immer hast du nur mit halbem Ohr zugehört!«
Charlotte sah sich um, stellte fest, dass sie die leichte Anhöhe erreicht hatten, und entdeckte jetzt in der Ferne das Dach eines Hauses und gleich dahinter eine Hochspannungsleitung.
»Ah, dahinten liegt ein Bauernhof!«, sagte sie erleichtert und stieg wieder auf das Rad. »Dort ist sicher eine Straße!«
Der Weg war hier etwas besser, führte aber weiterhin am Waldrand entlang.
Ein Knall zerriss die Stille. Beide Schwestern schauten sich um. »Wo kam das denn her?«, fragte Isabella.
»Von irgendwo da vorn, hörte sich an wie ein Schuss«, gab Charlotte zurück. Sie waren beide abgestiegen und sahen sich um, konnten aber nichts entdecken und setzten die Fahrt wieder fort.
Nach einer leichten Biegung endete der Wald plötzlich und gab den Blick auf eine Weide frei, auf der friedlich etliche Kühe mit ihren Kälbern grasten.
»Schau mal, die Kälbchen, die sind aber süß!«, rief Charlotte und blickte sich nach Isabella um, die diesmal das Schlusslicht war und anscheinend irgendwelche Probleme hatte. »Machst du schon schlapp?«, fragte Charlotte spöttisch, als sie endlich angefahren kam, und erntete einen giftigen Blick. »Ich glaube, mein Hinterreifen ist platt!«, sagte Isabella, sprang vom Sattel und prüfte mit den Fingern den hinteren Reifendruck.
»Unmöglich, bei so einem tollen Rad, wie du es hast!«, stichelte Charlotte. »Lass mal sehen!« Sie ließ ihr Rad auf den Boden fallen und überprüfte ebenfalls den Reifendruck bei Isabellas Rad. »Da fehlt nur etwas Luft. Hast du ’ne Pumpe dabei?«
»Natürlich! Ich habe immer Werkzeug dabei!« Isabella hatte die Pumpe schon in der Hand und schritt zur Tat. Charlotte betrachtete derweil die Kühe mit ihren Kälbern, plötzlich entdeckte sie direkt am Waldrand einen Hochsitz.
»Sieh mal, Isabella, der Hochsitz dort. Ob von dort jemand geschossen hat?«
Isabella prüfte noch einmal ihren Reifen, verstaute ihre Luftpumpe wieder und blickte in Richtung des Waldes. »Das könnte sein«, sagte sie nachdenklich. »Aber ist denn jetzt nicht Schonzeit?«
»Nein! Es ist doch noch April«, sagte Charlotte bestimmt. »Aber vielleicht war es ja nur ein Warnschuss, um Tauben zu verscheuchen oder so!«
»Von der Jagd habe ich keine Ahnung«, sagte Isabella. »Aber es hörte sich wirklich an wie ein Schuss.«
Charlotte zuckte die Schultern, und beide stiegen wieder auf und fuhren direkt auf die Hochspannungsleitung zu, deren hohe Masten in den Himmel ragten.
»Ah, jetzt sehe ich auch den Teich!«, rief Charlotte, die mittlerweile wieder bester Stimmung war, als erneut ein Knall zu hören war.
»Da ballert echt einer herum!«, sagte Isabella, und gleich darauf folgten mehrere Schüsse nacheinander. Beide Frauen sprangen erneut von den Rädern und sahen sich um. »Nichts zu sehen«, sagte Charlotte. »Ich glaube, das Geräusch kam vom Wald.«
Isabella schüttelte den Kopf. »Nein, es kam aus der Richtung!« Sie zeigte zum Bauernhof hinüber. »Wahrscheinlich verscheucht der Bauer die Wildtauben von seinem frisch eingesäten Acker.«
»Siehst du hier irgendwo Wildtauben?«, fragte Charlotte provozierend und zeigte mit der Hand über den riesigen Acker, an dem sie die ganze Zeit entlanggefahren waren. »Und der Bauer ist auch nirgends zu sehen!«
»Das Feld kann doch an der anderen Seite liegen«, meinte Isabella.
Charlotte suchte noch immer die Umgebung mit den Augen ab, als sie plötzlich ausrief: »Was ist denn das?«
»Was?«
»Na da oben am Mast, da sitzt doch jemand, oder?«
Isabella blinzelte in die Sonne und sah zu der Hochspannungsleitung hinüber, die in etwa hundert Metern Abstand am Bauernhof vorbeiführte.
»Ich seh nichts. Wo soll denn was sein?«
»Der letzte Mast ganz nah an den Gebäuden. Dort, wo die Obstbäume blühen. Jetzt bewegt sich was!«
»Ach, jetzt sehe ich es auch«, sagte Isabella. »Das ist doch kein Mensch, wahrscheinlich eine Folie oder etwas Ähnliches. Richtig erkennen kann ich es nicht. Ist ja schließlich fast zweihundert Meter weit weg!«
»Das ist ein Mensch«, beharrte Charlotte und beschattete ihre Augen, um besser sehen zu können. »Der klettert da herum!«
»Und wenn schon«, sagte Isabella. »Vielleicht wird dort etwas repariert.«
»Dann müsste man doch irgendwo ein Fahrzeug des Stromversorgers sehen. Aber unten in der Wiese ist nichts«, sagte Charlotte.
»Das Auto steht sicher auf dem Bauernhof, die Weide ist doch eingezäunt«, gab Isabella zurück. »Lass uns weiterfahren, der Weg führt am Bauernhof vorbei, von dort sieht man sicher mehr.«
»Eigentlich wollte ich mir erst noch den See anschauen«, gab Charlotte zurück und blickte sehnsüchtig zu der großen Wasserfläche hinüber, die man durch einige Lücken in der Bepflanzung noch gut erkennen konnte, obwohl bereits alles grün war.
»Zum Baden ist es doch noch viel zu kalt«, erklärte Isabella bestimmt. »Im Sommer kannst du immer noch dorthin fahren. Nimm doch einfach Ottokar mit. Der kann dich dann auch gleich rausfischen, wenn dir die Puste ausgeht.«
»Hahaha, wem wohl beim Schwimmen die Puste ausgeht!«, gab Charlotte spöttisch zurück. »Da kenne ich eine, die ist übers Seepferdchen nicht hinausgekommen!«
»Nun hör aber mal auf!«, wurde Isabella wütend. »Ich bin viel sportlicher als du, ich schwimme nur nicht gerne!«
Charlotte grinste und wollte wieder auf ihr Rad steigen, als sie sah, dass der Reifen an Isabellas Rad schon wieder erheblich an Luft verloren hatte. »Isa, dein Rad ist schon wieder platt! Dieses supertolle Trekkingrad scheint Scherben doch nicht so gut zu vertragen!«
Isabella, die ebenfalls gerade aufsteigen wollte, sah sich nach ihrem Hinterrad um und stieß einen Fluch aus, der einem Bierkutscher alle Ehre gemacht hätte.
»Isabella! Ich bin entsetzt!«, rügte Charlotte mit gespieltem Tadel in der Stimme, denn genau diese Worte benutzte ihre Schwester immer dann, wenn sie an ihr etwas auszusetzen hatte. »Wie redest du denn!«
»Ach, ist doch wahr«, wehrte sich Isabella und griff erneut zur Luftpumpe.
»Solange es mit Aufpumpen noch geht, ist es doch gut«, erklärte Charlotte versöhnlich. »Ansonsten kannst du doch Eberhard anrufen, der holt dich bestimmt samt Rad ab!« Denn natürlich hatten beide Frauen auf ihren Touren durch das Land immer ihre Handys dabei.
Gleich darauf ging‘s weiter. Mittlerweile war es wieder still bis auf das Gezwitscher der Vögel und gelegentliches Blöken einer Kuh. Der Weg war hier gut befahrbar und führte direkt auf den Bauernhof zu.
»Hattest du nicht gesagt, es gibt hier zwei Höfe direkt nebeneinander?«, fragte Charlotte.
»Der andere Hof liegt etwas weiter, er ist nur von der Sandgrube aus zu sehen!«, gab Isabella zurück. Vorbei an einem lang gezogenen Stall und einer Scheune führte der Weg nun direkt zur Straße. Direkt am Weg neben dem Stall war ein Auto geparkt. »Der Bauer hat Besuch aus Oldenburg«, sagte Isabella. »Warum der sein Auto wohl hier am Sandweg parkt, das stünde doch auf dem Hof viel besser!«
»Bestimmt ist das jemand, der eine Wanderung macht«, meinte Charlotte. »Warum sollte denn ein Besucher hier seinen Wagen abstellen?«
»Vielleicht ist er im Stall, um sich die Tiere anzuschauen«, vermutete Isabella. Charlotte zuckte die Schultern und blickte zum Stall hinüber, der sich endlos am Weg entlangzog und ihnen die Sicht auf den Hof versperrte.
»Was geht’s uns an?«, sagte sie und fuhr fort: »Endlich! Da ist die Straße!«
Sie verließen den sandigen Weg und bogen auf den Radweg ein. Erst von dort aus konnten sie etwas weiter die gepflasterte Zufahrt zum Hof und den oberen Teil des Wohnhauses sehen, welches durch eine hohe Buchenhecke, die gerade den ersten grünen Schimmer hatte, vor unerwünschten Blicken geschützt war.
»Den Hof kann man gar nicht einsehen«, sagte Charlotte. »Weder Traktor noch ein Auto des Stromversorgers ist von hier aus zu erkennen.«
»Die anderen Stallungen sind doch deutlich zu sehen«, sagte Isabella und zeigte auf zwei lang gezogene Gebäude etwas vom Hof entfernt.
»Wie, die Ställe mit den großflächigen Fotovoltaikanlagen auf den Dächern gehören auch noch zum Hof? Die liegen ja noch weiter entfernt als die Stromleitung!«
»So viel ich damals gehört habe, ja«, sagte Isabella. »Jetzt riecht man es auch. Dort soll der Bauer angeblich über tausend Schweine mästen!«
»So viele!«, staunte Charlotte. »Das muss ja eine Heidenarbeit sein, die zu füttern!«
Isabella winkte ab. »Das läuft heute doch alles automatisch. Ein Computer steuert die Futtermengenzugabe pro Tier, und der Bauer sitzt in seinem Büro und muss nur noch alles am Bildschirm überprüfen!«
»Ha, zum Ausmisten muss der Bauer bestimmt in den Stall!«, war Charlotte sich sicher. »Oder haben die heute alle Spaltenboden?«
»Wahrscheinlich«, gab Isabella zurück. »Wenn du es aber genau wissen willst, musst du hingehen und fragen!«
»Nicht nötig. Ich weiß, wie Schweine aussehen«, sagte Charlotte gleichmütig und schaute sich noch einmal um, denn der Hof lag mittlerweile schon ein gutes Stück hinter ihnen. »Mich interessiert viel mehr, ob der Mann noch auf dem Strommast sitzt. Aber von hier aus kann man wegen der hohen Eichen am Hof nichts mehr erkennen.«
»Wenn wirklich ein Mann auf dem Mast war, dann wird er schon wieder runterkommen«, erklärte Isabella ungerührt. »Mir ist momentan nur wichtig, dass mein Reifen noch durchhält, bis wir zu Hause sind.«
Charlotte grinste nur, äußerte sich aber nicht mehr dazu, sondern fuhr zügig voraus.
Sekunden später rief Isabella ihr zu: »Siehst du da hinten das hohe Silo? Da liegt der andere Hof, von dem ich dir erzählt habe.«
Charlotte verlangsamte ihre Geschwindigkeit, und als Isabella neben ihr auftauchte, fragte sie: »Wie heißt der Bauer eigentlich? Bei der Versammlung hab ich die Namen in dem Gegröle gar nicht verstanden.«
»Weiß ich nicht«, gab Isabella zurück. »Ist ja schon einige Zeit her, als wir damals hier unsere Wanderung gemacht haben. Aber die Landstraße hier heißt Münsterlandstraße. Du kannst ja im Telefonbuch nachsehen, wer hier alles wohnt.«
»Nee, nee!« Charlotte lachte: »So wichtig ist das nun auch wieder nicht!«
»Spätestens, wenn die Windräder gebaut werden, erfahren wir es«, sagte Isabella und sah sich nach ihrem Hinterreifen um. »Oh, ich muss schon wieder pumpen«, setzte sie hinzu und sprang ab.
Die Sache war schnell erledigt, und sie fuhren weiter. Zweimal musste Isabella noch absteigen und pumpen, aber sie schafften es bis nach Hause. Isabella konnte pünktlich um sechs Uhr zum Nordic Walking starten.
Laurenz Außen war seit drei Wochen in seiner neuen Wohnung in Oberherzholz an der Lindenstraße. Noch war nichts an seinem richtigen Platz. Im Wohnzimmer stapelten sich die Umzugskisten und warteten darauf, ausgepackt zu werden. Außen schlief auf einer Matratze auf dem Boden seines Schlafzimmers und hatte gerade erst die Küche gestrichen und aufgebaut.
Nur der Schreibtisch stand schon an Ort und Stelle unter dem Fenster eines kleinen Raumes, der vom Vermieter als Kinderzimmer gedacht war. Er hatte das gute Stück mit Ach und Krach in seinem Auto untergebracht, wobei er natürlich den Kofferraumdeckel nicht mehr hatte schließen können, und war mit Tempo achtzig zu seiner neuen Wohnung geschlichen. Aber es hatte geklappt, und nun waren sogar schon Computer und Bildschirm angeschlossen.
Laurenz Außen war fünfunddreißig Jahre alt und in Oberherzholz geboren. Bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr hatte er auch in Oberherzholz gewohnt, danach waren seine Eltern nach Oldenburg gezogen, und er hatte in Niedersachsen sein Abitur gemacht und studiert.
Nun war Laurenz Außen zurück nach Westfalen gezogen, weil er vor einem halben Jahr seine Stelle bei einer kleinen örtlichen Zeitung im Oldenburgischen verloren hatte, deren Druck eingestellt worden war. Vor zwei Monaten war er auf ein Stellenangebot des Oberherzholzer Tageblattes gestoßen und hatte zu seiner Freude den Job bekommen.
Natürlich musste er dafür vor Ort sein. Also hatte er sich von seinen Eltern verabschiedet, bei denen er bis dato gewohnt hatte, und kurzerhand eine Wohnung in Oberherzholz gemietet. Seine restlichen Möbel wollte er in den nächsten Tagen nachholen, denn momentan war er stark beschäftigt.
Die Zeitung hatte ihn gleich zu einem Termin in den Rathaussaal geschickt, weil dort eine Versammlung über den Standort von Windrädern stattfinden sollte. Laurenz Außen kannte sich mit erneuerbaren Energien aus, weil er vor seiner Tätigkeit in einer Zeitungsredaktion in der Presseabteilung eines Energieversorgers gearbeitet hatte.
Laurenz Außen freute sich, wieder in Oberherzholz zu sein, und das lag nicht nur an seiner neuen Arbeitsstelle, sondern auch daran, dass er zum ersten Mal in seinem Leben eine Frau gesehen hatte, die sein Herz gleich ein paar Takte höher hatte schlagen lassen. Es geschah am Tag nach seiner Ankunft des Morgens beim Bäcker. Eine junge Frau mit schulterlangem, lockigem Haar war vor ihm dran und nahm gerade ihre Brötchentüte in die Hand. Als sie sich umdrehte, um den Laden zu verlassen, sah sie ihn an und lächelte, da war es um ihn geschehen.
Die Bäckersfrau musste zweimal nach seinen Wünschen fragen, bis er endlich stotternd seine Bestellung aufgab. Dann legte er einen Fünfeuroschein auf die Theke, schnappte sich seine Tüte und stürmte mit einem »Passt so!« aus dem Laden. Leider zu spät! Die junge Frau fuhr gerade in einem Cabrio an ihm vorbei und winkte ihm fröhlich zu. Er war so enttäuscht, dass er nicht einmal auf die Idee kam, sich die Autonummer zu merken. Aber drei Tage später sah er sie wieder. Beim Einkaufen im Supermarkt. Sie kam ihm mit einem vollen Einkaufswagen entgegen und suchte mit den Augen so intensiv ein Regal ab, dass er sie ungeniert betrachten konnte. Sie war schlank und etwa einen Kopf kleiner als er. Ihr Haar hatte die Farbe von reifem Honig, und die Haut war leicht gebräunt. Plötzlich sah sie sich um, erblickte ihn, und wieder traf ihn dieses umwerfende Lächeln.
»Hallo!«, sagte er und sah in ihren Einkaufswagen. »Großeinkauf?«
Sie nickte, und ihre tiefblauen Augen blitzten freundlich auf. »Sie sind nicht von hier, oder?«
Er schüttelte den Kopf, sein Herz klopfte heftig, und er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Am liebsten wäre er davongelaufen, doch dann hörte er sich zu seiner eigenen Überraschung sagen: »Haben Sie Lust auf’n Kaffee? Dann erzähl ich Ihnen ein bisschen von mir.«
Sie schüttelte den Kopf und zeigte auf ihren Einkauf. »Keine Zeit!«
»Vielleicht ein andermal?« Er sah sie fragend an und ergriff unbewusst ihre Hand. Hastig zog sie sie weg, schob den Wagen weiter und strebte eilig der Kasse zu. Verdutzt blieb er stehen. Sie trug einen Ring! Obwohl sie ihm ihre Hand sofort entzogen hatte, hatte er es gesehen.
Diese schöne Frau konnte doch noch nicht verheiratet sein! Sie war höchstens fünfundzwanzig oder so. Er sah ihr grübelnd nach, dann packte er mechanisch seine Lebensmittel in den Wagen und ging ebenfalls zur Kasse. Als er seine Waren auf das Band legte, sah er, wie sie draußen ihren Einkaufswagen wegbrachte und dann aus seinem Blickfeld verschwand.
Laurenz Außen sah auf seine Uhr. Er musste sich beeilen, die Versammlung im Rathaussaal begann um acht Uhr, und es war bereits kurz vor sieben. Schnell brachte er die Einkäufe in seine Wohnung und startete den Computer. Er informierte sich auf der Homepage der Stadt über die geplante Versammlung, notierte sich die Namen der beauftragten Firma und einiger Ratsherren einschließlich des Bürgermeisters, wobei ihm schon ein bekannter Name aus Schulzeiten auffiel, dann machte er sich mit seiner Kamera bewaffnet auf den Weg. Er staunte, wie viele Leute zum Rathaus unterwegs waren, und suchte unter den vielen Leuten, die seinen Weg kreuzten, nach bekannten Gesichtern. Doch keiner kam ihm bekannt vor. Entweder sie hatten sich alle so sehr verändert, oder keiner seiner ehemaligen Schulkameraden war gekommen. Zum Glück lag seine Wohnung mitten in der Stadt, und er war zu Fuß gekommen.
Schon draußen interviewte er einige Personen und befragte sie nach ihren Vorstellungen zur Windkraft. Da kamen allerhand negative Meinungen zutage, die er sich in Stichpunkten aufschrieb. Allerdings war niemand zu einem längeren Gespräch bereit, alle strebten nach einer hastig dahingeworfenen Antwort eilig in den Saal. Warum – das wurde ihm erst klar, als er den Saal betrat. Kein Stuhl mehr frei.
Laurenz Außen platzierte sich an der Fensterseite und schwang sich der besseren Übersicht wegen auf die Fensterbank. Er machte gleich einige Fotos vom überfüllten Saal, als er plötzlich die blonde Frau wiedersah. Sie saß neben einem großen Herrn in grauer Lodenjacke und Jeans, der besitzergreifend den Arm um ihre Schulter gelegt hatte.
Laurenz Außen verließ seinen Platz, schob sich an den Fenstern entlang nach vorn und machte nun von dort aus Fotos. Endlich hatte er sie im Sucher. Ihr Nebenmann hatte etwas gesagt, und wieder glitt dieses zauberhafte Lächeln über ihr Gesicht. Klick! Außen sah sich das Bild noch einmal an. Gut sah sie aus!
Dann widmete er sich ganz der Versammlung, denn er war nicht der Einzige, der mit einem Presseschild versehen Fotos machte.
Der Bürgermeister trat ans Mikrofon, und im selben Moment öffnete sich die Saaltür, und zwei ältere Damen kamen eilig hereingehuscht und schauten sich suchend um. Außen sah, dass sie sich dann direkt neben der Tür an die Wand stellten, weil nirgends ein Platz frei war. Die dunkelhaarige kam ihm bekannt vor, und schlagartig erinnerte er sich an seine Lehrerin aus der Grundschule. Frau Kantig hieß sie. Alle seine Freunde hatten sich über ihren Namen lustig gemacht, aber sie war sehr nett gewesen.
Der Journalist grinste, als er daran dachte, und widmete sich nun den Ausführungen des Bürgermeisters, der die Versammlung eröffnete. Gerade als er den ersten Mann der Stadt richtig im Bild hatte, brach plötzlich Chaos aus.
Plakate wurden hochgehalten. Geschrei ertönte, und der Saaldiener rang verzweifelt die Hände. Nach mehreren Versuchen, die Leute zu beruhigen, brach der Bürgermeister die Versammlung ab.
Außen befragte einzelne abziehende Besucher und interviewte zum Schluss noch den Bürgermeister. Es wurde ein guter Artikel, der am Montagmorgen erschien, und dem Chefredakteur ebenfalls gefiel, besonders weil Außen in seinem Artikel auf die kritischen Stimmen der Bevölkerung und die Proteste eingegangen war.
Der Bürgermeister und der Geograf, der die idealen Standorte rund um Oberherzholz heraussuchen sollte und für die Firma der Windkraftanlagen arbeitete, hatten ihn allerdings gebeten, in seinem Artikel ordentlich Werbung für die Windkraft zu machen und die Proteste zu verharmlosen. Dem Bürgermeister ging es um die zu erwartenden Arbeitsplätze und die Energieeinsparungen für die öffentlichen Gebäude, und der Geograf hatte wohl nur den Gewinn seiner Firma im Kopf, denn dessen Bemerkung »Machen Sie ordentlich Werbung für uns, dann wird es Ihr Schaden nicht sein!« zeigte Außen, dass er alles versuchen würde, rund um Oberherzholz möglichst viele Flächen für die Windkraft auszuweisen.
Laurenz Außen hatte den Prospekt der Firma eingesteckt, sich aber ansonsten nicht von den beiden Herren beeinflussen lassen. Er war so etwas von seiner früheren Arbeitsstelle gewohnt. Er wollte subjektiv berichten und auch kritische Fragen nicht auslassen, genau deshalb würde er dort mit seinem Bericht anfangen, wo die Kritik an den Vergabeflächen für die Windkraft offensichtlich war. Andere Pressevertreter schienen da anderer Meinung zu sein, denn in einem übergeordneten westfälischen Konkurrenzblatt war die Sitzung als sehr kritisch und höchst interessant beschrieben worden, kein Wort von den Rangeleien, und der Bürgermeister war bei der Eröffnung der Versammlung mit dem Vertreiber der Windkraft abgebildet, nicht wie bei Außen das Plakat der Vogelschützer.
Der Chefredakteur hatte ihm den Artikel der Konkurrenz vorgelegt und grinsend gefragt: »Waren Sie eigentlich vor Ort, oder woher haben sie das Foto vom Tumult im Saal?« Dann hatte er gelacht und hinzugefügt: »Nach ihrem Artikel haben uns die Leute die Zeitung förmlich aus den Händen gerissen! Machen Sie weiter so!«
Nun sollte Außen eine über Wochen angelegte Serie über die Bauernhöfe in der Umgebung von Oberherzholz machen und über die Möglichkeiten berichten, mit erneuerbaren Energien ein zweites Standbein aufzubauen. Da würde er nicht nur viel über die erneuerbaren Energien dazulernen, sondern auch die Stadt, in der er aufgewachsen war, wieder neu kennenlernen. Bezüglich seiner Berichte würde er sich allerdings von niemandem Vorschriften machen lassen, der aus der Windkraft Kapital schlug.
Er hatte sich schon ein Konzept gemacht und wollte mit seinem Bericht bei dem Hof starten, der gegen die Windräder auf dem Nachbargrundstück Einspruch eingelegt hatte. Ihn interessierten die Gründe der Ablehnung, deshalb hatte er sich die genaue Anschrift und den Namen des Bauern wie auch seines Nachbarn herausgesucht, denn an die Namen der Bauernhöfe konnte er sich nicht erinnern, obwohl er mit seinen Freunden häufig Radtouren durch die Gegend gemacht hatte.
Laurenz Außen war zufrieden mit dem Start in sein neues Leben, auch wenn er die hübsche blonde Frau nach der Versammlung nicht wiedergesehen hatte. Dafür hatte er aber einen ehemaligen Schulfreund entdeckt. Im Saal war es ihm gar nicht aufgefallen, aber als er die Fotos am Bildschirm angesehen hatte, erkannte er Benno Raak. Der Chefredakteur hatte ihm gesagt, dass Benno bei der Stadtverwaltung das Planungsamt leitete und ihm sicher wichtige Informationen geben könnte, wenn es um weitere Flächen für die Windkraft ginge.
Er dachte plötzlich daran, wie sie zu viert in der Gegend umhergestreift waren, Benno, Ansgar, Theo und er.
Oft hatten sie sich hinter einem Wäldchen an einer alten Ruine getroffen. Meistens waren sie mit den Rädern rausgefahren und hatten versucht, Tannenzapfen von den Bäumen zu schießen. Die Fletschen hatten sie sich selbst gebastelt. Benno hatte immer das beste Zielwasser gehabt. Nur die Zapfen aus den hohen Tannen bei der Ruine hatte keiner von ihnen heruntergeholt, sosehr sie es auch versucht hatten, auch Benno nicht.
Bestimmt würde das eine tolle Zusammenarbeit mit Benno, und vielleicht könnten sie sich auch einmal im Biergarten treffen und all die alten Erinnerungen aus Schulzeiten wieder auffrischen.
Die letzte Unternehmung mit seinen Freunden war der gemeinsame Besuch eines Schulfestes. Er war damals ziemlich sauer auf seine Eltern gewesen. Sie hatten ihn schon um neun Uhr am Abend abgeholt, weil sie gleich am nächsten Tag nach Oldenburg gefahren waren. In den Ferien half er, das neue Haus einzurichten. Seine Freunde hatte er danach nicht wiedergesehen, denn seine Mutter hatte ihn dort auf dem Gymnasium angemeldet.
Am Montagnachmittag fuhr Laurenz Außen übers Land, um gleich am Mittwoch den ersten Artikel zu seiner Serie präsentieren zu können. Es war später Nachmittag, als er auf der Suche nach der alten Ruine bei seiner Fahrt zu einem Baggersee gelangte. Gleich stach ihm das Schild »Baden verboten!« ins Auge. Er konnte sich nicht erinnern, dass es hier früher einen See gegeben hatte, aber es war auch schon zwanzig Jahre her, dass er mit seinen Freunden die Touren mit dem Rad in die Umgebung von Oberherzholz gemacht hatte. Trotzdem, einen See hätten sie bestimmt genutzt, der musste später entstanden sein. Er parkte seinen Wagen am Wegrand und machte sich zu Fuß auf den Weg, rund um den kleinen See.
Es kitzelte ihn in den Fingern, hier ein Bad zu nehmen. Obwohl es erst Ende April und noch ziemlich kühl war, schien die Sonne. Er kam zu einem Durchgang im Gebüsch und stand nun am weißen, unberührten Strand und malte mit den Schuhen gedankenverloren Kringel in den Sand. Ob er es wagen sollte? Wahrscheinlich war das Wasser eiskalt, und eine Badehose hatte er auch nicht dabei! Laurenz Außen sah sich nach allen Seiten um. Dann ging er kurz entschlossen ein paar Meter weiter, wo das Gebüsch fast völlig dicht war, entkleidete sich hastig und legte seine Sachen zusammengerollt dort ab.