Latein und Griechisch für jeden Tag. 365 Aha-Erlebnisse - Karl-Wilhelm Weeber - E-Book

Latein und Griechisch für jeden Tag. 365 Aha-Erlebnisse E-Book

Karl-Wilhelm Weeber

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Beschreibung

Wissenswertes und Fun Facts aus Sprach- und Kulturgeschichte für jeden Tag des Jahres – mit dem 29.2. als Bonus-Tag! Karl-Wilhelm Weeber nimmt an jedem Tag dieses Kalenderbuchs einen neuen Begriff unter die Lupe und gräbt dessen antike Wurzeln aus. Ob »Ökologie« am »Tag der Umweltbildung« (26. Januar), »Maibowle« zum Anfang des Wonnemonats oder »Diversität« zum 21. Mai, dem »World Day für Cultural Diversity«: Seine Artikel sind wie gewohnt informativ und unterhaltsam. Wer zu aktuellen Anlässen gern mit kulturgeschichtlichem Wissen und Fun Facts brilliert, kommt mit diesem Band auf seine Kosten: 365 Tage mit lateinischen und griechischen Aha-Erlebnissen.

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Seitenzahl: 442

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Karl-Wilhelm Weeber

Latein und Griechisch für jeden Tag

365 Aha-Erlebnisse

Reclam

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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962304

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: Fresko aus Pompeji, © Eric Vandeville / akg-images

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962304-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014606-4

www.reclam.de

Inhalt

Einführung

Terminkalender

Kalorienrestriktion

Szene

Spiegel

Trojaner

Airline

Initiative

Partikularinteressen

Januar/Jänner

Opportunismus

Annalen

Kryptobörse

Provider

Logik

Spickzettel

solo

Bifokalbrille

regelbasierte Ordnung

Körperkontakt

postfaktisch

Märtyrer

Support

Schreibutensilien

Humor

Refugium

Ökologie

Rosenkavalier

Extremist

Zensur

Konsens

Tandem-Professor

Pränataldiagnostik

Cancel-Culture

Kosmetik

Tumorzelle

Alarmsignal

Elysium

null Toleranz

Kreditkarte

Dentalhygiene

Modezar

Coronavirus

Kaufimpuls

Pech

Supermarkt

Februar

Postcolonial Studies

Resilienz

Fotovoltaik

Subventionsmentalität

Videokonferenz

Proletarier

Zynismus

Tünche

Sanktion

A und CH

kompatibel

Lateinvokabel

Madam, Madame, Madonna

Interkalation

bezirzen

martialisch

Akustik und Optik

Glamourfaktor

Fieberkurve

Equal Pay Day

Hämatom

Emanzipation

Meme

plausibel

Spendenkampagne

Tischplatte

Zölibat

Dyskalkulie

Diktator

Delirium

Automechaniker

Recycling

Atombombe

Äquinoktium

Hybridmotor

Immissionen

Kassenquittung

Katharsis

Lobbyregister

Lexikonartikel

Theaterfestival

Megahype

Polizeiuniform

Muskelapparat

Sirene

Chefarzthonorar

April

turnen

Ambition

Boutique-Hotel

CEO

Horizont

Attentat

Kücheninsel

Globuli

Magie

Cerealien

Problem

People of Colour

Präventionsparadox

risikoavers

Therapiezentrum

Trubel

Militärexperte

Narrativ

Venerologie

CO2-Emission

Pantomime

Survival strategy

Raster

Klartext

Posting

Tresen

Isolation

Finanzminister

Labor

Maibowle

Inklusion

Journalismus

Athlet

Psychotherapie

skrupellos

Kapital, Kapitel, Kapitell

Massendemo

Pilotprojektphase

PR

Rivale

rund

priorisieren und fokussieren

Familienfeier

Trickkiste

urban

Metropole

Navi

FFH-Gebiet

Diversität

Komfortzone

Meile

Ideologie

Datenpanne

Forum

Optimismus

Dur und Moll

Brezel

Arena

ICE

Münzen und Moneten

Juni

Ästhetik

Libelle

Klimakrise

Porzellan-Manufaktur

Apotheke

Plus und Minus

Reflexzonenmassage

Prompt

Champagnerdusche

Pädagoge

Digitalisierung

Teufel

Seniorenresidenz

Trailer, Traktor, Trainer

Security

Spartenkanal

Diätkur

Asyldebatte

Luxussegment

IT

Populismus

Chance

Kurskorrektur

Pfund

nüchtern

lesbisch

Monopol

Körperkult

Juli

Möbel

Pensum

Polyamorie

Gendern

Strukturfonds

trivial

sophisticated

Akku

App Store

Offerte

Basics

Agenda

Delete-Taste

Eliteuniversität

Disruption

GPS

Deo

Flammeninferno

Laune

Actionkomödie

skurril

Dekarbonisierung

Idiot

Pille

Lieferkette

Kriminalstatistik

Borussia Dortmund vs. Bayern München

Oppositionskandidat

Kumpel

Schulbus

August

Performance

Messie-Syndrom

Nymphomanie

Orchestermusik

Radieschen

Psychopath

Kater

Nationalhymne

toxisch

Konvention

Quotenregelung

Mauer

Diskriminierung

Tablet, Tablett, Tablette

Pop-Ikone

Stadion

Jurastudium

Tribüne

globale Protestkultur

Pro Aging

Appetit

Straßenkreuzer und SUV

Altruismus

Kirchenfenster

Amulett

Calisthenics

Buttercremetorte

Olympionike

Inflationsrate

Immobilienspekulation

Senat

September, Oktober etc.

Telefonjoker

Aggressionspotential

Benefizkonzert

Prokrastination

Legislaturperiode

Analphabet

egal

Suizid

Terrorakt

Defizit

Profitmaximierung

Cyberspace

CDU und SPD

Elektromobilität

Amateur

Separatismus

Dauercamping

Emoticon

Tempolimit

Diakonie und Caritas

Astrologie

ex

Plombe

Salve

Tourist

Compliance

Gymnasium

Energieeffizienz

Vegetarier

Anthropozän

Demokratie

Satellit

Klinikclown

Soziale Medien

Prekariat

Tacho

Briefporto

Zwiebel

Wein, Sekt und Bier

Restexemplar

Pilz

Preisstabilität

Klassiker

-phil und -phob

Cheeseburger

Parteienproporz

Spirit

Online-Dating-Portal

Momentum

Charme

Pfeffer, Kümmel, Senf

territoriale Integrität

Pasta

Neutralität

Rehaklinik

Faschismus

Claim

Kürbisrezept

Reform

Koryphäe

Millennials

Nostalgie

Präsidentenpalast

Commitment

Nivea Creme

Eisbein

Rekord

Ambivalenz

Sexualdelikt

Karneval

Kaution

Sensitivity-Prüfung

Diabetes

Sozialpartnerschaft

Anekdote

Boxenstopp

Kommunikationsdesaster

Falschmünzer

Charakterprofil

Produktionsprozess

Fridays for Future

Statussymbol

Subsidiaritätsprinzip

Image

Klaustrophobie

Privatperson

Eskalationsspirale

Frustrationstoleranz

Computer

Socke

Akupunktur

Transplantation

Realsatire

Advent

Sack

Thermometer

Ampelkoalition

Restitution

MRT

Platin

Klientelpartei

Empowerment

Chirurgie

Servicespezialist

Stresstest

stornieren

Migration

Event Location

Empathie

Impfskeptiker

kognitive Dissonanz

Influencer

Christusmonogramm

Engel

Vitello tonnato

Alpengletscher

Kirsche

Defäkation

finalisieren

Zinsen

Register

Über den Autor

Einführung

Wer etwas genauer auf die Schlüsselbegriffe und Schlagwörter blickt, die unsere Zeit beherrschen, dürfte erstaunt sein, wie viel Antike in der Moderne steckt. Klimakrise und Elektromobilität, Coronavirus und Resilienz, Diversität und Gendern, Cyberspace und Stresstest, Ampelkoalition und null Toleranz, GPS und IT, Digitalisierung und CO2-Emission – das alles verdanken wir den Griechen und Römern. Jedenfalls sprachlich, und den sprachlichen Ursprüngen dieser Fremdwörter wollen wir in diesem Kalender auf den Grund gehen. Aber auch sprachlichen »Migranten«, die sich ihrer neuen linguistischen Umgebung viel geschmeidiger angepasst haben und gar nicht mehr als Einwanderer wahrgenommen werden. Oder hätten Sie gedacht, dass »Laune« und »Pech«, »Brezel« und »Wein«, »nüchtern« und »rund« allesamt aufs Lateinische zurückgehen? Bei diesen gewissermaßen voll integrierten Migranten spricht man von Lehnwörtern; manche von ihnen lösen die überraschendsten Aha-Erlebnisse aus.

Eine Auswahl aus den zahllosen Fremd- und Lehnwörtern, mit denen die Alten Sprachen das Deutsche – nicht selten auf dem Umweg über das Englische, Französische oder Italienische – bereichert haben, in einem Kalender zu präsentieren liegt eigentlich nahe. Denn nicht nur geht unser Kalender auf ein lat. calendarium zurück, sondern er ist in seiner ganzen Struktur (structura, der »Bau«) sozusagen ein altrömisches Produkt – einschließlich der Monatsnamen und der Tagesbezeichnungen, die in ihrer Mehrzahl Lehnübersetzungen aus dem Lateinischen sind. Der Freitag beispielsweise ist der »Tag der Liebe«, benannt nach der röm. Göttin Venus. Bei den Germanen war die Göttin Freya für dieses ›Ressort‹ zuständig, daher wurde aus dem dies Veneris der Frei-tag (er hat also nichts mit dem beginnenden »freien« Wochenende zu tun).

Allerdings bietet ein Kalender nur 365 Chancen, das Fortleben und die Wirkungsmacht des Griechischen und Lateinischen im dt. Wortschatz des frühen 21. Jahrhunderts zu demonstrieren – genauer gesagt: 366; den 29. Februar haben wir einbezogen, zumal auch er Teil von Caesars grundlegender Kalenderreform war. Unsere Auswahl orientiert sich zum einen an Begriffen, die zur Zeit stark in der Diskussion sind, zum anderen an ganz alltäglichen Beispielen etwa aus der Technik, der Medizin, der Wirtschaft, der Psychologie, der Unterhaltung und des Lifestyles. Irgendeine Vollständigkeit ist bei dieser Sachlage nicht zu gewährleisten; die Auswahl ist letztlich subjektiv und mag, härter formuliert, arbiträr wirken, d. h., der Autor ist der arbiter, »Schiedsrichter«, »Herr« über die Entscheidung. Nicht alle, aber doch zahlreiche Begriffe haben einen deutlichen Bezug zum jeweiligen Datum. Dass es sich dabei manchmal um eine eher artifizielle, d. h. »künstlich gemachte« Brücke handelt, räumen wir gern ein. Einige wenige Überschneidungen werden in Kauf genommen.

Neben die sprachliche Erläuterung treten häufig Ausführungen zur Kulturgeschichte. Was verstanden die Griechen unter einem »Pädagogen«, was die Römer unter einem »Proletarier«? Wie sah »Migration« in der Antike aus, wie ein »Theaterfestival« oder eine »Diktatur«? Inwiefern wird der Begriff des »Olympioniken« heute oft falsch verwendet, worauf geht die »lesbische« Liebe zurück? Die kulturgeschichtliche Dimension kann aufgrund des zur Verfügung stehenden Platzes natürlich nur angerissen werden – ein Appetizer gleichsam, der Neugier weckt und hier und da zu einer vertieften Beschäftigung anregen mag. Mit appetere verbanden die Römer die Vorstellung eines »An-Strebens«, »Verlangens«.

Etymologie, die Wissenschaft von der Herkunft und Grundbedeutung der Wörter, kommt oft sehr sachlich, nicht selten auch ziemlich trocken daher. Wir haben uns stattdessen um eine möglichst lockere, humorvolle, manchmal auch ironische Darstellungsweise bemüht – »Humor« ist schließlich ein lat., »Ironie« ein griech. Wort. Wem die gelegentliche, von Selbstironie hoffentlich nicht freie Werbung für die Alten Sprachen auf die Nerven geht, mag uns wenigstens zugute halten, dass das sprachliche Copyright für »Nerv« mit nervus bzw. neúron bei Römern und Griechen liegt. Das gleiche gilt für die Pedanterie, mit der wir mitunter gegen eine fehlerhafte oder problematische Verwendung von Begriffen polemisieren, d. h. pólemos, »Krieg«, führen – wenn etwa das Virus zum Maskulinum gemacht, »optimal« gesteigert oder der »runde Tisch« als (im ursprünglichen Sinn) tautologischer Begriff (à la »alter Greis«) entlarvt wird. Diese Pedanterie geht sprachlich, was Wunder, auf die Profession des »Pädagogen« zurück, die der Autor jahrzehntelang ausgeübt hat.

Trotzdem wünscht er allen Leserinnen und Lesern (lat.!) viel Spaß (lat.!) und möglichst intensive (lat.!) Aha-Erlebnisse (dt.!).

 

Werden die behandelten Begriffe im Folgenden mehrmals genannt, kürzen wir sie ab. In Kurzform nutzen wir neben eingeführten Kürzeln wie Jh., z. B. oder d. h. zudem die Adjektive amerikanisch (amerikan.), deutsch (dt.), englisch (engl.), französisch (franz.), italienisch (ital.), portugiesisch (portug.), türkisch (türk.) sowie arabisch (arab.), germanisch (german.), lateinisch (lat.), griechisch (griech.), indisch (ind.), keltisch (kelt.) und römisch (röm.).

1. Januar

Terminkalender

Er dient der Ordnung und Übersicht, aber er macht auch Druck: der mit jedem 1. Januar beginnende Kalender, in den Termine eingetragen werden. Terminus nannten die Römer einen »Grenzstein« und im übertragenen Sinn ein »Ziel«, eine klare »Linie«. Im Deutschen hat sich das von einem örtlichen zu einem zeitlichen Ziel gewandelt. Hinter Terminen steht gewissermaßen ein Ausrufezeichen: Eine »Grenze«, die man möglichst beachten sollte.

Der Kalender geht auf den jeweils ersten Tag eines Jahres bei den Römern zurück. Das waren die Kalendae, und die verhießen Schuldnern nichts Gutes. An diesem Termin hatten sie die Zinsen zu zahlen, im Alten Rom also zwölfmal im Jahr. Damit Kreditgeber und -nehmer den Überblick behielten, führte man ein calendarium, »Schuldenbuch«, »Schuldenregister« – das ist der Ursprungsbegriff für unseren »Kalender«. Im Schuldenmanagement spielt er nicht mehr eine so große Rolle, im Zeitmanagement dafür eine umso größere. Allerdings als eine verlässliche, berechenbare Größe. Das war in der Frühzeit Roms bis ins 5. Jh. v. Chr. noch nicht der Fall. Da riefen Priester jeweils einen neuen Monat aus. Dieses Ausrufen nannte man calare; von diesem Verb wurden die Kalendae als Monatserste abgeleitet. Das calare als religiöses Herrschaftswissen einer kleinen Kaste hat sich mittlerweile demokratisiert – dem Kalender sei Dank, der spätestens im Dezember des Vorjahres in einer Flut von Exemplaren in Papierform über uns hereinbricht oder uns auch als elektronisches Medium dazu auffordert, Termine in ihn einzutragen. Möglicherweise auch solche, an denen unsere Gläubiger ihre Zinszahlung erwarten.

2. Januar

Kalorienrestriktion

Sie wollen länger leben und später altern? Dann empfehlen Ihnen manche Ratgeber die Diätmethode der Kalorienrestriktion. Zumindest bei Ratten und Mäusen hat es sich als im Sinn der einschlägigen Wünsche vorteilhaft herausgestellt, mit einer um 30 bis 50% verringerten Kalorienzufuhr auszukommen. Bei Menschen scheint das nicht ganz so offensichtlich zu sein, von der kulinarischen Lebensqualität der Probanden ganz zu schweigen.

Die »Kalorie« ist eine physikalische Maßeinheit für die Wärmemenge und den Energiewert von Nahrungsmitteln; der zugrundeliegende lat. Begriff ist calor, »Wärme«. Das Adjektiv calidus, »warm«, hat sich als caldo ins Italienische gerettet – mancher Italien-Urlauber gelangt zu dieser Erkenntnis, wenn er den mit »c« beschrifteten Wasserhahn falsch interpretiert hat.

Die restrictio ist eine »Einschränkung«. Das Substantiv war im klassischen Latein deutlich weniger gebräuchlich als das Verb restringere, »zurückbinden«, »beschränken«. Das Partizip restrictus hat im Lateinischen einen freundlicheren Klang als im Deutschen: Es bezeichnet ein bescheidenes, sparsames, vorsichtiges Verhalten, während z. B. ein »restriktiver Kurs« bei den meisten Zeitgenossen auf Skepsis oder Anlehnung stößt. Das bildungssprachliche »restringiert« verbindet sich hauptsächlich in der Soziolinguistik mit einem Sprachcode, der durch einen geringen Wortschatz und grammatisch einfache Strukturen geprägt ist (im Gegensatz zum elaborierten, »ausgearbeiteten«, Code).

Zurück zur K. Mit übermäßiger Sparsamkeit und frugalitas, »strengem Maßhalten«, kann man auch seiner Gesundheit schaden. Der Jüngere Plinius jedenfalls berichtet das von seinem Freigelassenen Zosimus (BriefeV 19,9). Mit seinem Verzicht auf deliciae, »Genüsse«, »schränkt Zosimus auch die notwendige Rücksicht auf seine Gesundheit ein«, merkt er mit milder Kritik an. Für das »Einschränken« steht im Lateinischen das Verb restringere.

3. Januar

Szene

Was auf »offener Szene« geschieht, ist ganz nah dran an der Antike. Aus der griech. skené, dem »Brettergerüst«, das im Theater am Rand der Orchestra wohl als Träger der Bühnenbilder oder auch als Umkleideraum für die Schauspieler diente, ist die lat. scaena hervorgegangen. Das war im röm. Theater die »Bühne«, auf der sich das dramatische Geschehen abspielte. Der Begriff wurde aber früh auf jeden öffentlichen Schauplatz übertragen, auf dem mehr oder weniger Spektakuläres vor sich ging. Cicero bezeichnet auch die Volksversammlung gelegentlich als scaena. Nicht zu Unrecht, denn dort agierten die Politikdarsteller. Sie mussten sich in Sz. setzen, um eine gute Vorstellung abzuliefern. Auch Luxus braucht eine scaena, stellt Seneca fest (Briefe 94,71) – ohne Zuschauer werden ostentative Prachtentfaltung und verzweifeltes Renommieren schnell langweilig.

Sz. im Theater, Sz. im Film, aber auch die Kultur- oder die alternative Sz. sowie andere Sz., mit denen wir bestimmte Milieus bezeichnen, haben stets etwas mit Darstellung, Selbstdarstellung und Schauplatz zu tun. Und selbst die Sz., die der Partner oder die Partnerin uns macht, hat ja durchaus etwas mit Theatralik zu tun.

4. Januar

Spiegel

Auch wenn es vielen nicht passt – der Spiegel ist das bedeutendste und einflussreichste Nachrichtenmagazin Deutschlands. Seine erste Ausgabe erschien am 4. Januar 1947. Mit der Antike beschäftigt sich die Zeitschrift eher selten, aber immerhin knüpft sie mit dem Titel prominent an sie an: »Spiegel« ist ein Lehnwort zu lat. speculum. Und da man einen Sp. nutzt, um darin etwas zu erblicken, ist es nur folgerichtig, dass speculum sich vom Verb specere (-spicere in Zusammensetzungen) ableitet.

Was man im Sp. erblickt, ist in aller Regel das eigene Gesicht oder die eigene Gestalt. Insofern erstaunt es nicht, dass er ein wichtiges Accessoire der Schönheitspflege ist und war. Antike Hand-Sp., meist aus polierter Bronze gefertigt, waren dem heutigen Toilette-Sp. ähnlich. Gläserne Sp. waren selten. Mit Edelsteinen geschmückte Sp. aus Gold und Silber schätzte man in luxuriösem Ambiente als Statussymbole. Stand- und Wand-Sp. dienten dazu, das eigene Erscheinungsbild zur Gänze zu überprüfen; als Stimulantien sexueller Lust nutzte sie gewiss nicht nur ein von Seneca bloßgestellter Hostius Quadra (Naturwissenschaftliche UntersuchungenI 16). Der Moralist räumt indes ein, dass Sp. auch dazu erfunden worden seien, »damit der Mensch sich selbst kennenlernt« und aus seinem Spiegelbild richtige Schlüsse zu seiner Lebensführung ziehe (ebd. I 17,4).

Freilich sei der Sp., so Seneca weiter, auch eine angenehme Erfindung für »die den Menschen eingeborene Eigenliebe«. Wie unheilvoll sie im Extremfall sein kann, zeigt der antike Mythos am Beispiel des Narcissus auf. Dem reicht allerdings eine spiegelnde Wasserfläche, um in Liebe zu sich selbst zu entbrennen – und unterzugehen. Als Typus hat er dem Narzissmus seinen Namen gegeben, der für eine problematische bis gefährliche Selbstbespiegelung steht. Der junge Mann hieß, wie gesagt, Narcissus. Auf Deutsch: Narziss – und nicht Narzisst.

5. Januar

Trojaner

Vorsicht vor Trojanern!, raten IT-Experten und warnen damit vor einer Schadsoftware, die man sich auf den Computer laden könnte. Cyberangriffe und andere kriminelle Machenschaften sind mittlerweile so gefährlich, dass man sogar über eine Gegenwehr der Sicherheitsbehörden in Gestalt von »Staats-T.« nachdenkt.

Die rechtlichen Bedenken dagegen sind allerdings groß, und sie werden ernst genommen. Ernster jedenfalls als die sprachlichen. Die ließen sich indes viel schneller ausräumen, wenn man bei der ursprünglichen Bezeichnung für ein heimlich eingeschleustes Schadprogramm bliebe. Anfangs sprach man nämlich von einem »Trojanischen Pferd«. Das war dem Mythos nach die Kriegslist, mit der die Griechen die zehnjährige Belagerung Trojas für sich entschieden. Als Geschenk für die Götter getarnt, ließen sie die hölzerne Konstruktion am Strand zurück und taten so, als führen sie mit ihrer Flotte ab. Sobald die T. das Pferd in ihre Stadt gebracht hatten, stiegen die darin versteckten Krieger nachts daraus aus, öffneten ihren Kameraden die Stadttore und eroberten mit ihnen zusammen die Festung. Die Opfer der List waren demnach die T. Im modernen Sprachgebrauch aber werden sie zu Tätern. Auch wenn man das unselige Griechen-Bashing wegen der hohen Staatsschulden nicht wieder anheizen sollte: Wenn überhaupt, dann müsste man die schädlichen IT-Invasoren »Griechen« nennen. Vorschlag zur Güte: Bleiben wir beim »Trojanischen Pferd«! Und vergessen wir die in die Irre führende ›Abkürzung‹!

6. Januar

Airline

Der dt. Begriff »Fluggesellschaft« wirkt etwas hausbacken, jedenfalls nicht so chic und weltläufig wie das engl. Pendant »Airline«. Das hat zudem den ›Klassik‹-Vorteil: Es setzt sich aus zwei lat. Wörtern zusammen: aer (griech. aér) ist die »Luft«, im Unterschied zum aether die dickere Atmosphäre nahe der Erde. Und linea ist der »Faden aus Leinen« oder einfach die »Linie«. Die älteste dt. A. war die Luft Hansa, gegründet am 6. Januar 1926.

Viel älter als alle modernen A. ist die Sehnsucht von Menschen, fliegen zu können. Sie spiegelt sich in der mythischen Erzählung von Icarus und Daedalus, den ersten »Fliegern«. Um nicht länger Gefangener des Minos auf Kreta zu sein, konstruiert der ingeniöse Handwerker und Erfinder Daedalus Flügel. Mit deren Hilfe gelingt ihm und seinem Sohn Icarus die Flucht über das Meer. Doch entgegen der Weisung des Vaters nähert sich Icarus in jugendlichem Leichtsinn zu sehr der Sonne. Das Wachs der Flügel schmilzt, Icarus stürzt zu Tode – und Daedalus verflucht in der von Ovid wunderbar erzählten Geschichte am Ende seine Kunst (MetamorphosenVIII 234) – eine Warnung vor Hybris bei unüberlegter technischer Innovation?

Trotz – oder wegen – der Katastrophe, in der sein Abenteuer endet, ist Icarus der berühmtere der beiden Flugpioniere. Es gibt Flugschulen, die seinen Namen tragen – und sogar mit der tschechischen Icarus Aviation Group eine kleine A., die ihn sich zum Namenspatron erkoren hat. Mut oder Übermut, Hybris oder apotropäisches Ritual?

7. Januar

Initiative

Wenn man die Initiative als »ersten Schritt« definiert, ist man schon ziemlich nah an der lat. Grundbedeutung. Denn der »Schritt« hat etwas mit Gehen zu tun, und in-ire heißt »hinein-gehen«. Davon leitet sich das Substantiv initium ab: das Hineingehen als »Anfang« oder »Start«. Wer die I. zu etwas ergreift, gilt als Initiator dieses Anliegens; mit kleinem »i« geschrieben, haben wir ein spätlat. Wort: Mit dem Suffix -tor ist es ein sog. Nomen agentis, die »Bezeichnung des Handelnden«. Das feminine Pendant dazu bildet im Lateinischen auf -trix. Die Initiatorin wäre damit eine initiatrix – wenn es das Wort im Lateinischen gegeben hätte …

Das Verb »initiieren« klingt sehr akademisch und auch ein bisschen gestelzt; »anfangen« oder »beginnen« tut es auch, findet selbst der Lateiner. Aber vorgeprägt ist das Verb im klassischen Latein schon, und zwar mit initiare, »einführen« und »einweihen«, häufig in religiöser Bedeutung. Als Initiand gilt jemand, der in einen Kult eingeführt werden soll. Im christlichen Sinn war ein initiandus einer, der getauft und damit in die christliche Gemeinschaft »aufgenommen« werden sollte. Das Christentum war aus antiker Sicht eine Mysterienreligion, ein »Geheimkult« (mystérion, »Geheimnis«), zu dem nur Eingeweihte Zutritt hatten. Alle diese Kulte verbanden sich mit einem Initiationsritual (lat. ritualis, »einen religiösen Brauch betreffend«), ein Einführungszeremoniell. Im christlichen Glauben ist das die Taufe: die »Initiation« als erster »Schritt« in die Gemeinschaft der Christen.

8. Januar

Partikularinteressen

Nicht wenige Beobachter kommen zu dem Ergebnis, dass wichtige Infrastrukturprojekte in Deutschland nicht nur an der Bürokratie, sondern auch an Partikularinteressen scheitern. Wer will schon gern im Schlagschatten neuer Strom-, Eisenbahn- oder Autobahntrassen leben? Dem Gemeinwohl kämen sie schon zugute, aber der betroffene Teil der Bevölkerung stemmt sich dagegen; lat. particularis heißt tatsächlich »einen Teil (pars) betreffend« (und damit dann etwas »Besonderes«, wie sich particular im Englischen entwickelt hat).

Das Interesse ist ein (geistiges) »Dazwischen-Sein« in dem Sinn, dass man einer Sache oder Person größere Aufmerksamkeit schenkt als anderen. Dass das Wort trotz seiner klaren Zusammensetzung (inter, »zwischen«, esse, »sein«) jetzt als Inte-resse getrennt werden soll, gehört zu den Scheußlichkeiten der Rechtschreibreform.

Lateiner jedenfalls mögen ihre einschlägigen P. an sinnvollen und einleuchtenden Regeln, wie sie hier wohl mit dem Gemeinwohl übereinstimmen, ruhig artikulieren. Im Unterschied zu anderen Vertretern von Einzel- und Gruppeninteressen haben sie indes keine Lobby. Die benötigt man aber, wenn man P. durchsetzen will – auch wenn Lobbyismus vielen Menschen missfallen mag. Ihren Namen haben die Lobbyisten dem Vorraum bzw. der Wandelhalle vor dem (engl.) Parlament zu verdanken. Auch im dt. Bundestag gehen Lobbyisten ein und aus. Das einzig Tröstliche daran für lobbylose Lateiner ist die Tatsache, dass engl. lobby (wie auch ital. loggia und franz. loge) sich vom mittellat. lobium oder lobia ableitet, »Bogengang«, »Galerie«.

9. Januar

Januar/Jänner

Als Ianus biformis, »doppelgestaltigen Janus«, spricht Ovid den Namensgeber des Januars in seinen Fasten (I 90 f.) an – und fügt sogleich hinzu, dass »Griechenland keine vergleichbare Gottheit hat«. Seine Doppelköpfigkeit verdankte Janus der Tatsache, dass er als Herr über Schwellen und Tore galt. Die »Schwelle« ist lat. ianua; sie steht sinnbildlich für den Ein- und Ausgang und hat dadurch, wie Ovid sagt, zwei Gesichter (I 135). Janus besaß in Rom zwölf Altäre, für jeden Monat einen. Dort wurde ihm an jedem Monatsersten geopfert. Das zentrale Opfer für ihn, das agonium, fand aber am 9. J. statt. Der Tempel des Ianus Quirinus wurde geschlossen, wenn überall in der röm. Welt Frieden herrschte. Das war allerdings bis zur Zeit des Augustus nur einmal der Fall, unter seiner Herrschaft gleich dreimal. Der Symbolik zufolge sollte der Krieg dort eingesperrt sein. Bildungssprachlich hat sich der röm. Gott des Ein- und Ausgangs in dem Adjektiv »janusköpfig« erhalten; es steht – z. B. bei der Technik und beim Fortschritt – für ein Einerseits und ein Andererseits.

Bis heute trägt der J. den Namen des Ianus. Das passt gut zum Charakter des ersten Monats, weil er auf das alte Jahr zurück und in das neue Jahr hineinblickt. Diese an sich sehr einleuchtende Erklärung verfängt aber erst seit dem Jahr 153 v. Chr. Damals stellten die Römer den Jahresanfang vom 1. März auf den 1. J. um, behielten die ursprünglichen Monatsnamen wie »September« (von septem, »sieben«) aber bei. Für die Zeit davor könnte der Grund für die Benennung des Schwellenmonats darin liegen, dass er der erste war, der auf die Wintersonnenwende folgte.

10. Januar

Opportunismus

Wer eine günstige Gelegenheit ergreift und sich dabei um eines Vorteils willen über seine persönlichen Überzeugungen und moralischen Bedenken hinwegsetzt, gilt als Opportunist – einer, der sein Fähnchen nach dem Wind richtet. Als opportunitas bezeichneten die Römer eine »günstige Lage«, die sich ursprünglich mit der Nähe zum Hafen definierte (ob, »gegen … hin«; portus, »Hafen«). Der Begriff wurde aber bald auch auf zeitlich günstige Situationen und allgemein günstige Umstände ausgeweitet. Opportunisten stehen im Verdacht der Charakterlosigkeit, weil sie ihr »Gepräge«, ihr »Kennzeichen« (griech. charaktér) einer tatsächlich oder vermeintlich günstigen Gelegenheit zuliebe verleugnen oder aufgeben. Üblicherweise als positiv geltende Flexibilität (»Beweglichkeit«, von flectere, Partizip Perfekt Passiv flexus, »biegen«) wird dann zum negativ konnotierten Opportunismus.

Deutlich positiver ist das ebenfalls von opportunus, »günstig«, abgeleitete Fremdwort »Opportunität«. Es steht für eine situationsangepasste Zweckmäßigkeit. Werden Sie z. B. dabei erwischt, wenn Sie einsam um Mitternacht zu Fuß über eine rote Ampel gehen, so kann die Polizei oder das Ordnungsamt gemäß dem Opportunitätsprinzip eine Ermessensentscheidung treffen, ob man Sie nur mündlich verwarnt, zur Kasse bittet oder eine Anzeige schreibt. Auch die Staatsanwaltschaft kann in manchen Fällen ein Auge zudrücken, sofern sie das Legalitätsprinzip nicht zur Einleitung eines Strafverfahrens verpflichtet. Eine Entscheidungssituation, die sich trotz der lat. Wurzeln der Begriffe im antiken Rom nicht stellte. Dort gab es nämlich keinen Staatsanwalt als öffentlichen Ankläger. Alle Delikte, auch die schwersten Verbrechen gegen Leib und Leben, mussten aufgrund der Anzeige einer Privatperson vor Gericht gebracht werden.

11. Januar

Annalen

Wenn etwas Einmaliges oder Denkwürdiges passiert, werde es in die Annalen eingehen, stellt man bildungsbürgerlich gepflegt fest. Die A. sind ein Synonym für »Geschichte«. Genauer gesagt: für jahrweise aufgeschriebene Geschichte; denn der annus, das »Jahr«, als Darstellungsprinzip hat dieser historiographischen Tradition seinen Namen gegeben. Als Gattung der historischen Literatur sind die annales röm. Ursprungs. Der oberste Priester hielt in den annales, »Jahresbüchern«, fest, welche besonderen Vorkommnisse in einem Jahr erinnerungswürdig waren: Mond- und Sonnenfinsternisse, Naturkatastrophen, Tempelgründungen, Wahlergebnisse und militärische Unternehmungen. Diese annales maximi dienten röm. Historikern als Gerüst und Materialgrundlage für ihre Geschichtswerke. Die berühmtesten A. der lat. Literatur sind die des Livius (142 Bücher von 753 bis 9 v. Chr., nur z. T. erhalten) und die des Tacitus (16 oder 18 Bücher von 14 bis 68 n. Chr.; ebenfalls nicht vollständig überliefert).

Um peinlichen Verwechslungen vorzubeugen, sei auf das Doppel-»n« in A. deutlich hingewiesen. Das (moderne) Wortbildungselement Anal- mit einem »n« leitet sich von anus, dem »ringförmigen After« (Verkleinerungsform anulus, »Ring«) ab. Ein drittes zur Konfusion einladendes lat. Wort, im Unterschied zum gerade erwähnten mit kurzem »a« gesprochen, ist anus – ein Femininum der u-Deklination, das »alte Frau«, »Greisin«, bedeutet.

12. Januar

Kryptobörse

Für Digital-Laien und andere ›Uneingeweihte‹ geht es an einer Kryptobörse schon reichlich kryptisch zu, »undurchsichtig«, »geheimnisvoll«. Das von griech. krýptein, »verbergen«, abgeleitete Adjektiv kryptós heißt auch tatsächlich »verborgen«, »geheimnisvoll«. Gehandelt werden an einer K. Kryptowährungen. Das sind rein digitale Vermögenswerte, die sich staatlicher Aufsicht entziehen und von so gut wie keinem Land als offizielle Geldart anerkannt sind. Was nicht heißt, dass der einschlägige Handel unbedeutend wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Nachdem am 12. Januar 2009 die erste Transaktion stattgefunden hat, erleben Kryptowährungen und ihre Börsen einen ungeahnten Aufschwung.

Auch die »Börse« ist griech. Ursprungs. Als býrsa bezeichneten die Griechen ein »abgezogenes Fell«, eine »Lederhaut«. Das späte Latein griff mit dem Lehnwort bursa zu und bezeichnete damit einen ledernen »Geldbeutel«. Geld ist und war der Treibstoff des Handels; insofern lag es nahe, den Begriff auf den zentralen Handelsplatz – später den speziellen Ort für den Geldhandel – auszuweiten: die Börse.

Die býrsa hat noch ein weiteres Lehnwort hervorgebracht. Das ist der »Bursche«. Im Mittelalter bezeichnete man die gemeinsame Kasse in Studenten-WGs als bursa und die »Einleger« entsprechend als »Bursanten« oder »Burßgesellen«. Auch Handwerksburschen gehen auf derartige bursa-Kollektive zurück. Von ihnen unterscheiden sich die Burschen an der K. doch gewaltig. Denn denen geht es eher darum, individuell Kasse zu machen. Was durchaus kräftig danebengehen kann – wie ja auch andere Börsen nicht nur Gewinner kennen.

13. Januar

Provider

Seien Sie froh, dass Ihr Provider die IT-Bedarfe rechtzeitig erkannt hat und Ihnen deshalb das gewünschte Internet-Angebot bereitstellen kann! Hinter dem engl. to provide, »besorgen«, steht nämlich ein Weitblick, der sich im lat. Ursprungswort pro-videre spiegelt. Das bedeutet »voraus-schauen« und damit auch »sorgen für«. Das Substantiv providentia, »planende Vorausschau«, »Fürsorge«, bezeichnete bei röm. Politikern eine wichtige Qualifikation – ebenso wie die prudentia, »Klugheit«, die sprachlich nichts anderes als eine kontrahierte (zusammengezogene) Form von providentia ist. Im philosophischen Sinn bezeichnet providentia die »Vorsehung« oder »Providenz«. Die antiken Stoiker glaubten, dass das gesamte Weltgeschehen vorherbestimmt sei. Seneca hat darüber eine kurze Abhandlung verfasst: De providentia.

Im Alltag kommt indes manches unvorhergesehen. Lateinisch ausgedrückt, kommt es im-pro-visum; in- (bzw. zur besseren Aussprache im-) am Anfang verneint das »vorher Gesehene«. Dann muss man »improvisieren«, sozusagen aus dem Stegreif, ohne vorangehende Planung handeln. Er mag es vehement abstreiten, aber manchmal hat man bei Problemen mit dem Internet doch den Eindruck, dass der P. einen zum Improvisieren zwingt …

14. Januar

Logik

Ob es wohl besser um die Welt stünde, wenn es 365 Tage der Logik gäbe und nicht nur den einen von der UNESCO auf heute festgelegten Welttag der L.? Wer weiß … Sicheres Wissen liegt indes bei der Feststellung vor, dass das griech. Wort lógos in vielen anderen Sprachen einschließlich des Deutschen eine grandiose Karriere hingelegt hat. Lógos ist das Substantiv zu légein, »reden«, »rechnen«, »lesen«; lógos ist das, was den Menschen zuvörderst vom Tier unterscheidet. Menschliches Wissen, in systematische Form gebracht, wird als »-logie« bezeichnet: Die Bio-logie als »Kunde vom Leben« (bíos), die Psycho-logie als »Kunde von der Seele« (psyché), die Ophthalmo-logie als »Augenkunde« (ophthalmós, »Auge«) usw. Die jeweils Wissenden erscheinen als »-logen«. Prokto-logen kennen sich mit dem Mastdarm, proktós, gut aus, Ornitho-logen mit den Vögeln (órnis, »Vogel«), Astrologen mit den – na ja – Sternen (ástron, »Stern«) usw.

»Logisch« (logikós) erscheint uns etwas »Vernünftiges«, »Folgerichtiges«. Die Logistik, ursprünglich die Kunst des Rechnens (logistiké téchne) hat sich auf (effiziente) Planung etwa im Transportbereich verengt. Der Logopäde ist ein »Sprech-Erzieher« (paideúein, »erziehen«), die Logasthenie eine Gedächtnis- und Sprachstörung (asthéneia, »Schwäche«), und auch das Firmenlogo verdankt dem lógos seine Existenz. Es ist aus engl. logotype abgekürzt, »Abdruck (týpos) eines Wortes«, das hier mehr zum »Zeichen« wird.

Wer Monologe hält, spricht allein (mónos); der Dialog (diálogos) ist dagegen ein abwechselnd geführtes Gespräch, der Nekrolog der Nachruf auf einen Toten (nekrós), der Epilog (epílogos) der Schluss einer Rede. Und bevor uns die Diagnose Logorrhoe, »Wortdurchfall« (rhoé, das »Fließen«), »krankhafte Geschwätzigkeit«, gestellt wird, machen wir lieber rechtzeitig Schluss. Na logo.

15. Januar

Spickzettel

Der 15. Januar als »Tag des Spickzettels« war in den letzten Jahren deutlich weniger erfolgreich als sein Namensgeber. Dem darf man im schulischen Bereich eine Omnipräsenz bescheinigen (lat. omnis, »ganz«, Plural: »alle«; praesentia, »Gegenwart«; also: »Allgegenwart«). Und eine klassisch-sprachliche Herkunft dazu. Der »Zettel« geht auf (erschließbares) griech. schíde bzw. das lat. Lehnwort scheda zurück. Darunter verstand man einen »Streifen« der Papyruspflanze – ein »Blatt Papier«, würde man heute sagen. Das Mittellateinische brachte die Verkleinerungsform cedula hervor – und damit den »Zettel«.

Beim »Spicken« ist die Herkunft nicht ganz so eindeutig. Aber die Sprachwissenschaft schließt zumindest nicht aus, dass es sich um eine Entlehnung von lat. specere bzw. – in Zusammensetzungen – -spicere handelt, »sehen«, »blicken«. Ob man zum Schummeln wirklich auf den Sp. blicken muss, steht dahin. In dessen Herstellung hat man ja meist so viel Mühe und Zeit investiert, dass man alles weiß, was darauf steht …

Wir nutzen aber die Gelegenheit, den Blick auf das Spektrum (die »Buntheit der Farbenfolge« im Prisma) der nach dem Muster ›Präfix + -spicere‹ gebildeten Fremdwörter im Deutschen zu richten. Die Per-spektive ist der »Durch-Blick«, die In-spektion das »Hinein-Schauen«, der Re-spekt die »Rück-Sicht«, der As-pekt der »An-blick«, der (fast in Vergessenheit geratene) Kon-spekt die »Zusammen-Sicht« (d. h. Zusammenfassung) eines wissenschaftlichen Textes, der Pro-spekt die »Voraus-Schau«. Wer sich de-spektierlich verhält, »blickt herab« auf andere, und wenn uns etwas sus-pekt vorkommt, »blicken« wir sozusagen schräg »von unten« (sub). Ein überzeugender Wortbaukasten – finden Sie nicht? Und zwar ganz ohne spekulative Elemente. Die würden ein intensives »Spähen«, »Sich-Umsehen« voraussetzen (und eine gewisse Fehlerquote). Aber natürlich geht das Ursprungsverb des Spekulierens – speculari – auch auf specere zurück, wobei es dessen Bedeutung intensiviert: Es ist nicht nur ein schnelles Hinschauen, sondern ein optisches Auskundschaften.

16. Januar

solo

Eine Beziehung ist zu Ende: »Ich bin jetzt wieder solo«. Wenn das ein Mann sagt, ist alles gut – grammatisch jedenfalls. Sagt es eine Frau, so zucken zumindest Italiener zusammen. Denn dann sollte das Adjektiv in der femininen Form stehen: sola. Bevor der Hinweis als pedantische Besserwisserei für Empörung sorgt, gehen wir schnell zum lat. Ursprung von s. über. Das ist solus, »allein«, »einzig« (auch hier heißt das Femininum sola). Der Solist ist jemand, der bei einem Musikstück zeitweise allein spielt oder singt – oder auch im Fußballjargon ein Stürmer, der zu Alleingängen neigt. Einzeln gefasste Diamanten werden als Solitäre bezeichnet. Der Begriff ist auch als Anerkennung für herausragende Persönlichkeiten gebräuchlich. Er geht auf lat. solitarius zurück, »alleinstehend«, »ungesellig«. »Bienen sind von Natur aus nicht ungesellig (solitaria natura) wie Adler, sondern (gesellig) wie Menschen«, heißt es in einem röm. Lehrbuch zur Landwirtschaft (Varro, Die LandwirtschaftIII 16,4).

Wer unsere Bauchschmerzen hinsichtlich »s.« bei einem weiblichen (oder bei mehreren) Wesen teilt, dem bietet das morphologisch simplere Englisch mit »Single« eine bequeme Alternative. Und zwar ohne dass man auf das röm. Copyright verzichten müsste: Lat. singulus heißt »einzeln«, »ein einziger«. Wir widerstehen gleichwohl der Versuchung, das Lateinische als singulär zu rühmen (singularis, »einzigartig«, »ausgezeichnet«).

17. Januar

Bifokalbrille

Als Erfinder der Bifokalbrille gilt Benjamin Franklin, einer der Gründungsväter der USA. Geboren wurde er am 17. Januar 1706 in Boston. Wie der Name sagt, hilft die B. ihren Trägern bei Seh-Problemen sowohl im Nah- als auch im Fernbereich. Ihre doppelte Hilfeleistung wird im Wortelement »bi« deutlich. Bis heißt im Lateinischen »zweimal«, »auf doppelte Weise« und wird bei Zusammensetzungen – wie etwa auch in bisexuell, bilateral, »zweiseitig«, bilingual, »zweisprachig«, biennal, »zweijährig« – zu »bi-« verkürzt. Als focus bezeichneten die Römer eine Feuerstelle. Es lag nahe, sie später im physikalischen Sinn zum »Brennpunkt« umzudefinieren. Die B. hat somit zwei Brennpunkte, die durch eine Kante getrennt sind: eine Linse, die im Nahbereich hilft, und eine zweite für das Sehen in die Ferne.

So weit die Hilfeleistungen aus der lat. Abteilung. Das eigentliche Hilfsmittel, die Brille, verdanken wir indes den Griechen. Denn ihre sprachliche Existenz geht auf den Halbedelstein zurück, den die Griechen béryllos nannten. Die Römer übernahmen ihn nahezu unverändert als beryllus. »Durch den Erfindungsgeist der Künstler wird er in sechseckiger Gestalt geschliffen«, berichtet Plinius (NaturgeschichteXXXVII 26). Seine Wirkung als Vergrößerungsglas wurde in der Antike allerdings noch nicht erkannt oder jedenfalls nicht genutzt. Das geschah erst im Mittelalter, als man Berylle in Monstranzen einschliff, um deren Inhalt besser sichtbar zu machen. Um 1300 wurden die ersten Berylle zu Sehhilfen geschliffen, woraus sich die Bezeichnung für das segensreiche visuelle Hilfsmittel, die Brille, entwickelte.

18. Januar

regelbasierte Ordnung

Der Begriff ist in der Politik en vogue, und er wird vor allem vom dt. Außenministerium sehr hochgehalten – auch wenn niemand so recht weiß, wie er zu definieren ist. Gemeint ist, dass in der Außenpolitik neben verbindlich vereinbartem internationalem Recht auch sog. soft laws gelten sollten, z. B., was die G 7 und die Nato als Regeln für ihre Mitgliedsstaaten vereinbart haben. Manche sprechen da von einem »Völkerrecht plus«. Kritiker halten die regelbasierte Ordnung allerdings für einen Ausfluss amerikan. Dominanz. Russland und China lehnen diese Art des »Gewohnheitsrechts« jedenfalls ab.

Sprachlich ist die Sache sehr viel klarer. Da stoßen wir auf eine lat.-griech. Kooperation. Die »Regel« ist ein Lehnwort zu lat. regula, »Leitlinie«; das entsprechende Verb ist regere, »leiten«, »regieren«. Als básis bezeichneten die Griechen den »Grund«, und die »Ordnung« geht, geradezu dem Klischee folgend, ›natürlich‹ auf die Römer und ihren ordo, die »Reihenfolge«, »Ordnung«, zurück – einen zentralen Begriff aus dem röm. Wertesystem und röm. Hierarchievorstellungen.

Erhalten wir weiteren Aufschluss, wenn wir uns der sprachlichen Heimat der r. O. zuwenden? Es ist das (amerikan.) Englisch: rule based order. Und raten Sie mal, worauf diese Begriffe zurückgehen: rule ist regula, based vertraut auf die básis, und order ist dem lat. ordo genauso nahe wie die dt. »Ordnung«.

19. Januar

Körperkontakt

Sie kennen ihn nicht, den National Hugging Day? Dabei wird er seit 1987 zumindest von Eingeweihten auch in den dt.-sprachigen Ländern als »Weltknuddeltag« begangen. Seine Terminierung verdankt er der perfekten Mittellage zwischen Weihnachten, dem »Fest der Liebe«, und dem Valentinstag, dem »Tag der Verliebten«. Wozu er dient? Er soll uns bewusst machen, wie wichtig Umarmungen und Küsse, Knuddeln und Kuscheln sind, mithin zärtliche Formen des Körperkontakts.

Allerdings gibt es auch unerwünschte Formen des K., die nicht den anerkannten sozialen Normen entsprechen – und außerdem eine Menge Zwischenstufen und Grautöne, die das Anfassen und Berühren einer anderen Person durchaus zur Gratwanderung werden lassen können. Deutlich weniger fragwürdig ist die Wortgeschichte des K.: Beide Bestandteile gehen aufs Lateinische zurück: zum einen auf corpus, ein Neutrum, das sein Geschlecht eigentlich auch im Verkaufsgespräch von Möbelhändlern verteidigen sollte, wenngleich das dt. Lehnwort »Körper« zum Maskulinum übergelaufen ist; und zum anderen auf contactus; das ist die »Berührung«. Das Verb dazu ist con-tingere, zusammengesetzt aus tangere, »berühren«, und con-, »zusammen« – aufgrund der Vorsilbe also ein Berühren, das sich auch schon mal zum »Umarmen« intensivieren kann, aber andererseits auch ein »Glücken« und »Gelingen« bezeichnet. Damit wären wir dann wieder nahe an einem gelungenen ›Weltknuddeltag‹.

20. Januar

postfaktisch

Noch nie seien bei der Amtseinführung eines amerikan. Präsidenten so viele Menschen zugegen gewesen wie bei seiner am 20. Januar 2017, wurde Donald Trump nicht müde zu behaupten. Die Presse-Korrespondenten sahen das ganz anders; Trumps PR-Abteilung bestand jedoch auf »alternativen Fakten«. Das passte gut zum Adjektiv »postfaktisch«, das wenige Wochen zuvor zum Wort des Jahres 2016 gekürt worden war. Mit dem neuen Kunstwort wird das Spannungsverhältnis zwischen tatsächlichem Geschehen (lat. facta, »die gemachten, geschehenen Dinge«) einerseits und deren Wahrnehmung und Deutung andererseits beschrieben: Im Zweifel sind Gefühle und Vermutungen wichtiger als evidenzbasierte Tatsachen (lat. evidentia, »Ersichtlichkeit«; griech. básis, »Grundlage«). Die Fakten werden gewissermaßen überwunden, sie bleiben zurück (post).

Das Wortbildungselement »post-« ist ursprünglich eine lat. Präposition mit der Bedeutung »hinter«, »nach«; der Gegenbegriff ist ante, »vor«. Es findet sich in zahlreichen Begriffen vor allem der Wissenschaftssprache: postnatal (natus, »geboren«), postglazial (glacies, »Eis«), postpubertär (pubertas, »Geschlechtsreife«), postkolonial (colonia, »Kolonie«) oder postmodern (modernus, »neu«). Geläufige Abkürzungen sind p. s. für post scriptum, »nach dem (schon) Geschriebenen« und im Englischen die Zeitangabe p. m. für post meridiem, »nach Mittag«.

21. Januar

Märtyrer

Agnes ist ein bildhübsches Mädchen, zwölf oder 13 Jahre alt, aus bester Familie – und der Sohn des Stadtpräfekten von Rom will sie heiraten. Aber sie versagt sich ihm: Sie sei bereits verlobt, und zwar mit Jesus Christus. Die bekennende Christin wird ihren Glauben mit dem Leben bezahlen.

Agnes wird in eines der Bordelle am Stadion des Domitian geschleift. Eine Vergewaltigung aber scheitert, weil das Haupthaar der jungen Frau plötzlich ihren ganzen Körper überzieht. Daraufhin wird sie ins Feuer geworfen und/oder mit dem Schwert durchbohrt – die genauen Umstände ihres Todes verschwinden im Nebel der Legende. Sie stirbt wohl im Jahr 250 und wird rasch zu einer der bekanntesten Märtyrerinnen der frühen Christenheit. Ihr Geburtstag als ›Heilige der Jungfrauen‹ fällt auf den 21. Januar. Am Ort ihres Martyriums entstand eine Kirche, die im 16. Jh. zu einer barocken Basilika umgebaut wurde. Sie prägt noch heute die westliche Längsseite der wunderschönen Piazza Navona, die den Grundriss des antiken Stadions spiegelt.

Das griech. Wort mártys bezeichnet einen »Zeugen«; das martýrion ist damit eine »Bezeugung«, ein »Beweis«. Als erste mártyres für das Leben und Wirken Jesu Christi galten die Apostel. Erst nach deren Tod füllte sich der Begriff unter dem Eindruck der Christenverfolgungen mit neuem Inhalt: M. wurden jetzt die »Blutzeugen« genannt, die wie Agnes standhaft an ihrem Glauben festhielten und unter Foltern die Todesstrafe erlitten. Ein vergleichbarer M.-Begriff konnte sich, vom Judentum abgesehen, in der polytheistischen Welt der Antike anderswo nicht herausbilden, da damals keine Religion die unbedingte Treue zu einer einzigen Gottheit verlangte.

Im modernen Sprachgebrauch hat sich eine deutliche »Verweltlichung« des M.-Begriffs durchgesetzt. Als M. werden inzwischen allgemein Opfer einer Überzeugung bezeichnet, die dafür gewisse Nachteile erleiden, aber auch Menschen, die sich subjektiv verfolgt fühlen, ihre Opferrolle plakativ zur Schau stellen und Mitgefühl als M. erregen möchten.

22. Januar

Support

Itaque cohortatus Haeduos de supportando commeatu, »daher wies er [Caesar] die Haeduer an, ihm Nachschub an Getreide zu liefern« (Caesar, Der Gallische KriegVII 10,3) – eine Ermahnung an einen verbündeten Stamm, wie Caesar sie als umsichtiger Feldherr immer wieder in seinem Kriegsbericht protokolliert. Was uns hier interessiert, ist das Verb supportare, das dem engl. to support als ›Vorlage‹ diente. Es drückt das »Liefern« zu einem zentralen Ort aus (sub als schwaches »von unten«; portare, »bringen«). Die spätere Bedeutung »unterstützen«, »helfen«, schwingt bereits mit; denn Caesar ist hier (und an anderen Stellen des supportare) auf Hilfslieferungen angewiesen. In ähnlicher Weise drückt das Präfix sub- die Unterstützung auch bei subvenire aus, »zu Hilfe kommen«. Beim Fremdwort »Subventionen« steht dieser Aspekt deutlich im Vordergrund.

Bis zum Siegeszug der IT war der S. im Deutschen so gut wie unbekannt. Das änderte sich, als auch bei dieser Technik nicht alles rund lief und die Nutzer Hilfe benötigten. Die Beratungstätigkeit und Fehlerbehebung in Sachen Hard- und Software werden als S. auf unterschiedlichen Leveln (libella, »kleine Waage«) bezeichnet.

Mittlerweile hat sich der Anglizismus auch auf andere Formen der Hilfeleistung ausgedehnt – bis hin zum militärischen S. Und im Sport bezeichnet man Fans einer Mannschaft als Supporter(s); selbst als Verb hat sich »supporten«, nur noch von wenigen belächelt, ins Deutsche eingeschlichen – so dass man in einer zeitgemäßen Übersetzung die Haeduer als Caesars Supporter(s) ansprechen kann und seine Botschaft (oder sollten wir besser sagen: seine »Message«?) an die Verbündeten als dringenden Aufruf, ihn zu supporten.

23. Januar

Schreibutensilien

Das Stichwort passt zum heutigen »Tag der Handschrift«. Und es ist eines, das gleich in doppelter (lat. duplex) Hinsicht zum Thema dieses Kalenders gehört: eine Kombination aus Lehn- und Fremdwort. Das lat. scribere wurde schon im 8. Jh. als »schreiben« eingedeutscht. Die »Utensilien« sehen dagegen nach wie vor wie ein Sprachimport aus. Ihren Ursprung haben sie in den lat. utensilia, »brauchbaren Dingen«. Das entsprechende Verb ist uti, »gebrauchen«; es hat wie sein Adjektiv utilis, »nützlich«, auch bei der »Utilität«, »Nützlichkeit«, und beim »Utilitarismus«, der auf dem Nutzen als ethischer Grundlage aufbauenden Philosophie, Pate gestanden.

Wichtigstes röm. Schreibutensil war für Notizen des Alltags der stilus, »Griffel«, aus Metall. Mit dessen Spitze werden Schriftzeichen in Wachstafeln »eingegraben« – und mit der breiten Gegenseite des stilus schabte man sie wieder glatt. Auf Papyrus (Lehnwort: »Papier«) schrieb man mit Schreibfedern aus Schilfrohr oder (seltener) aus Bronze (calami). Man tauchte sie in schwarze, manchmal auch rote Tinte und »pinselte« die Buchstaben gewissermaßen auf die charta. Für Liebesbriefe und andere besonders vertrauliche Schriftstücke gab es auch Geheimtinten. Wer sich verschrieben hatte, konnte die Partie mit einem nassen Schwamm löschen. Wie es mit seinem Tragödienstück Aiax stehe, wollte jemand von Augustus wissen. Der habe sich, gab Augustus das Scheitern seines literarischen Projekts zu, »in den Schwamm gestürzt« – und nicht, wie im Mythos der Held des Stückes, ins Schwert (Sueton, Augustus 85,2).

Mit Federn, lat. pennae, wurde bis ins 19. Jh. geschrieben – auch und gerade in der Schule. Wenn das Gymnasium auch als »Penne« und seine Schüler als »Pennäler« bezeichnet werden, so hat das nichts mit langweiligem Unterricht und dadurch ausgelöstem Schulschlaf zu tun, sondern mit der Feder als einem zentralen Schreibutensil.

24. Januar

Humor

Hätten die Römer beim heutigen »Welttag des herzhaften Lachens« mitgemacht? Auch wenn manche Zeitgenossen Latein für wenig spaßkompatibel halten, lautet die Antwort: Aber ja! Die Römer haben gern gelacht: Literarische Genera wie Komödie, Spottepigramm und Sammlungen witziger Aussprüche waren beliebt, die Satire galt sogar als röm. Erfindung, und auf den Bühnen röm. Theater standen Lustspiele unterschiedlichen Niveaus ständig auf dem Spielplan. Auch die Rhetorik empfahl ihren »Jüngern« dringend, ihre Reden mit Witzen und humorvollen Passagen aufzulockern und die Zuhörer damit bei der Stange zu halten. Das lat. Verb für »Lachen«, ridere, hat allerdings nur wenige Spuren im Deutschen hinterlassen. Sie beschränken sich weitgehend auf »ridikül« (ridiculus, »lächerlich«).

Ganz anders sieht es bei den Substantiven aus. Der »Humor« hat zu seiner heutigen Bedeutung zwar erst über die mittelalterliche Medizin gefunden, der zufolge umores, »(Körper-)Säfte«, in guter Mischung zur guten Stimmung beitrugen. Das Wort als solches, (h)umor, aber hat das Lateinische als Bezeichnung für »Flüssigkeit«, »Feuchtigkeit«, bereitgestellt. Und zudem die Ursprungswörter für »Gaudi« (gaudium, »Freude«), »Spaß« (über ital. spasso letztlich auf expassus, »ausgedehnte« [und deshalb angenehme Freizeit], zurückgehend), sowie »Jux« und »Joke« (iocus, »Witz«). Und auch das Wort »(spaß)kompatibel« entlarven wir am Ende als röm. ›Erfindung‹: Die Vorsilbe con- bedeutet »zusammen«, »gemeinsam«, pati heißt »erdulden«, »ertragen«, und das Suffix »-bel«, lat. -bilis, drückt eine Fähigkeit aus. Kom-pati-bel heißt mithin »fähig, es miteinander auszuhalten« – was eben auch auf Latein und H. zutrifft.

25. Januar

Refugium

Refugees welcome! Diesen Ausdruck einer Willkommenskultur für Flüchtlinge sah man im Jahr 2015 auf zahlreichen, von sog. Flüchtlingsaktivisten hochgehaltenen Schildern und Transparenten. Im darauffolgenden Jahr wurde der Slogan am 25. Januar von einer Jury zum »Anglizismus des Jahres« gewählt. Mittlerweile ist die medial inszenierte Begeisterung für Flüchtlingsankünfte deutlich zurückgegangen.

Römer hätten sich über den Bedeutungswandel ›ihres‹ Begriffs refuga sehr gewundert. Denn sie verstanden darunter einen entlaufenen Sklaven oder »Deserteur« und konnotierten den Begriff negativ. Das Verb refugere dagegen drückte allgemein ein »Sich-Flüchten«, »Fliehen«, »Seine-Zuflucht-Nehmen« aus und hatte keinen unangenehmen Beigeschmack. Als eher neutraler Begriff galt auch refugium, die »Zuflucht«, der »Zufluchtsort«. Dass das »eigene Haus für einen jeden der sicherste Rückzugsort« sei, stellte schon der berühmte Jurist Gaius fest (domus tutissimum cuique refugium; DigestenII 4,18). Die romantisierende Bedeutung als individueller Rückzugsort vor den Belastungen und ›Stürmen‹ der Zeit und eine Art Oase, eine höchst private Zuflucht, kam erst im 19. Jh. auf. Dieses R. muss sich nicht mit einem konkreten Gebäude verbinden, sondern kann auch als geistiger oder emotionaler Rückzugsraum verstanden werden.

Für Cicero war vor allem sein Landsitz Tusculanum, nahe dem heutigen Frascati gelegen, ein Ort friedvoller geistiger Entspannung fernab vom hektischen Rom. Von diesem Tusculanum sprechen wir heute als einem geradezu klassischen R. Cicero selbst hätte ihn als Ort seines otium litteratum, seiner »schriftstellerischen Muße«, bezeichnet, nicht aber als Refugium.

26. Januar

Ökologie

Passend zum heutigen »Tag der Umweltbildung« ein Wort, das fast alle gesellschaftlichen Debatten dominiert: Ökologie. Ein griech. Begriff zwar, aber ein künstlicher, den die Antike nicht kannte. »-logien«, das weiß man von der Bio-logie, der Geo-logie oder der Geronto-logie, sind »Kunden«, »Wissenschaften« (vom »Leben«, von der »Erde«, von den »Alten«; Grundbedeutung von lógos ist das »Wort«). Mithin etwas, das zu einem Tag der Bildung passt. Öko-logie ist dementsprechend die Lehre vom oíkos, dem »Haus«. Der Begriff wurde im Jahr 1866 von dem Biologen Ernst Haeckel geprägt. Er verstand darunter die »Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt«. Man könnte auch sagen: Das gemeinsame Haus der Lebenswelt, unter dessen Dach die Lebewesen miteinander und mit den konstitutiven Faktoren ihrer Umwelt möglichst harmonisch koexistieren sollten.

Überträgt man den heute ständig aufbrechenden Konflikt zwischen Ökonomie und Ö. – zugegeben anachronistisch – auf die Antike, so entschied sie sich trotz naturreligiöser Prägung im Zweifel für den Vorrang der Ökonomie im Sinn des wirtschaftlichen Vorteils. In der ursprünglichen Bedeutung verstanden die Griechen unter oikonomía allerdings die »Verwaltung des Haushaltes«; nómos, »Brauch«, »Gewohnheit«, »Gesetz«, bezieht sich dabei auf die ›natürliche‹ Aufgabenverteilung, bei der der Mann aufgrund seiner physischen Konstitution für die Außenkontakte des oíkos und das Heranschaffen der Lebensgrundlagen zuständig war und die Frau für deren Lagerung und die Binnenkoordination des oíkos. Eine »Ökonomie«, die nach heutiger Lesart weit von der Gleichberechtigung der Geschlechter entfernt war.

27. Januar

Rosenkavalier

Ein bisschen müssen wir hier beim Datum schummeln: Die Erstaufführung der berühmten Oper Der Rosenkavalier von Richard Strauss fand einen Jahrestag früher, am 26. Januar 1911, in der Dresdner Semperoper statt. Die »Rose« hat sich gegenüber der lat. rosa im Schriftbild nur wenig verändert; in der Aussprache allerdings ist das kurze lat. »o« zum langen dt. Vokal mutiert. Rosen gehörten zu den beliebtesten Blumen der Antike. Sie wurden allerdings nicht als Strauß gebunden, sondern zum Kranz geflochten. Bei Gastmählern trug man den Rosenkranz gern auf dem Kopf; cum rosa regnat, »wenn die Rose regiert« (Martial X 19,20), war ein Synonym für unbeschwerten Lebensgenuss. Die bekanntesten Rosenanbaugebiete waren die »Roseninsel« Rhodos (griech. rhódon, »Rose«) und die rosaria, »Rosengärten«, von Paestum in Süditalien.

Der »Kavalier« ist von weniger edler Herkunft; das Wort geht auf lat. caballarius zurück, und das ist der »Pferdeknecht« – einer, der sich um die caballi kümmert. Die wiederum standen sprachlich im Schatten der ›vornehmeren‹ equi; caballus verhält sich zu equus im Lateinischen ähnlich wie »Gaul« im Deutschen zu »Pferd«. Aber der Aufstieg des caballarius schritt im Mittelalter unaufhaltsam voran. Er entwickelte sich zum »Reiter« – und damit zum »Edelmann«, der sich ein Pferd überhaupt leisten konnte. Der franz. chevalier und der ital. cavaliere bezeugen diesen gesellschaftlichen Aufstieg. Und erst recht der »Kavalier«, der – nicht unbedingt hoch zu Ross, aber möglicherweise auch – den Damen gegenüber besonders charmant und hilfsbereit ist und einer von ihm verehrten Dame seine Zuneigung gern durch einen Rosenstrauß bekundet – was in der Antike (auch als Kranz) weniger üblich war.

Bliebe nur noch die »Oper« zu klären: Sie ist – natürlich – ein Lehnwort von ital. opera, das aber wiederum auf eine lat. opera, »Arbeit«, »ausgearbeitetes Werk«, zurückgeht.

28. Januar

Extremist

Extremisten werden im politischen Raum am äußersten Rand verortet und jenseits des demokratischen Grundkonsenses angesiedelt. Am 28. Januar 1972 einigten sich Bundeskanzler Brandt und die Spitzen der Bundesländer auf den sog. E.-Erlass, der alle »Radikalen« vom öffentlichen Dienst ausschloss, sofern sie sich nicht zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannten. Ist Extremismus eine männliche Domäne? Die Frage stellt sich, da selbst in gendersensiblen Publikationen selten von »Extremistinnen« die Rede ist.

Oder sollte man sagen: »extremst selten«? Besser nicht. Denn der E. leitet sich von lat. extremus, »äußerster«, ab, und das ist schon ein Superlativ, die höchste Steigerungsstufe. »Extremst« wäre dann im Deutschen »äußersterst«. Klingt nicht nur unschön, sondern geht auch semantisch nicht. Das Gleiche gilt für zwei andere lateinstämmige Adjektive: »optimal« geht auf optimus zurück, »der Beste«. Auch hier ist der Superlativ nicht steigerbar; »optimaler« geht nicht, und »am optimalsten« ist ziemlich suboptimal. Ebenso ist es bei »intim«: Intimus ist schon der »innerste«. Deshalb verraten »intimste« Kenntnisse zumindest kein intimes Verhältnis zur Sprache. Und wenn Ihr Intimpartner noch »intimer« werden will? Dann stellt sich die bange Frage: Wo will der hin?

29. Januar

Zensur

»Eine Zensur findet nicht statt.« So stellt es Art. 5,1 des dt. Grundgesetzes unmissverständlich klar. Es geht dabei um die allgemeine Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit im Besonderen. Eine Informationskontrolle durch staatliche Organe wäre gesetzeswidrig – anders als in der DDR, wo bis 1989 eine staatliche Druckgenehmigung für Bücher und andere Schriften erforderlich war.

Die röm. censura war ein reguläres Amt, das die Zensoren bekleideten. Ihre Tätigkeit ist vom Verb censere abgeleitet, »schätzen«, »der Meinung sein«, »verordnen«. Das »Schätzen« der Zensoren bezog sich im Wesentlichen auf die Zuweisung der Bürger zu Vermögens- und damit verbunden zu Wählerklassen. Außerdem führten die beiden Zensoren die Aufsicht über den Lebenswandel vor allem der Oberschichtangehörigen. Wer moralisch über die Stränge schlug, handelte sich ggf. eine nota censoria, »zensorische Rüge«, ein, die sogar zum Ausschluss aus dem Senat führen konnte. Mit der »Zensierung« öffentlich vorgetragener Meinungen oder Schriftstücke hatten die Zensoren nichts zu tun.

Wo trotz Art. 5,1 GG eine Z. stattfindet, ist bekanntlich die Schule. Die röm. Schule kannte keine Z., die heutige Schul-Z. ist eine »Einschätzung« des Leistungsstandes. Ein anderer Begriff dafür ist »Note«. Sie geht als graphisches Zeichen etwa auch in der Musik ebenfalls aufs Lateinische zurück: Nota, mit kurzem »o« gesprochen, ist das »Kenn-« und »Schriftzeichen« oder auch das »(Leistungs-)Merkmal«. Wobei die Schulnote anders als die gefürchtete nota censoria der Zensoren ja durchaus auch positive Leistungen »notiert« (notare, »kennzeichnen«, »anmerken«) und selbst die Noten 5 und 6 nichts über die charakterliche Qualität »zensierter« Schüler aussagen.

30. Januar

Konsens

Die lat. Vorsilbe con- drückt ein »Zusammen« aus; das Gegenteil davon, eine Trennung, wird durch dis- signalisiert. »Fühlte« man etwas »zusammen« und hegte eine gemeinsame Überzeugung, so hieß das bei den Römern con-sentire; dis-sentire wurde gesagt, wenn man nicht einer Meinung war. Die entsprechenden Substantive sind consensus und dissensus, »Übereinstimmung« und »Meinungsverschiedenheit«, beide im Lateinischen mit langem »e« gesprochen und auf diesem »e« betont. Die Verkürzung des »e« im dt. »Konsens« und »Dissens« ist der Sprachentwicklung geschuldet, die immer stärker um sich greifende falsche Betonung auf der ersten Silbe vor allem bei »Kónsens« dagegen der Unkenntnis. Nicht nur aus altsprachlicher Sicht wäre es wünschenswert, diese, nun ja, Unsitte möglichst konsensual rückgängig zu machen.

Für das recht abgehoben klingende »konsensual« lässt sich auch ein geläufigeres Adjektiv griech. Ursprungs einsetzen: »harmonisch« (harmonikós). Das Ursprungssubstantiv ist harmonía, die »Fügung«, »richtige Proportion«, das Ursprungsverb harmonízein, »zusammenpassen«. Wer die Ausspracheklippe »Konséns« umschiffen will und Harmonie vor allem in der Musik ansiedelt, kann natürlich auch zu einem eher bayerisch-österreichischen »passt schon« greifen.

31. Januar

Tandem-Professor

Es hört sich an wie ein Ausruf der Erleichterung, wenn jemand nach vielen Zeitverträgen und langer Forschungsarbeit, mitunter auch nach mancher Demütigung, den ersehnten Ruf an eine Hochschule erhalten hat: Endlich Professor! Denn tandem, das hat man früh im Lateinunterricht gelernt, heißt »endlich«. Nur der Bindestrich zwischen den beiden Wörtern irritiert. Sollte sich doch etwas anderes dahinter verbergen? Genau so ist es. Der Begriff lehnt sich an das bekannte Fahrrad an, auf dem zwei Leute sitzen und trampeln. Dieses Doppel ist die – wenn auch ziemlich schräge – Parallele: Der Tandem-Professor hat zwei Arbeitgeber – zum einen die Hochschule, zum anderen einen außerhalb der Hochschule, bei dem er berufliche Praxis erwirbt. Die wird von Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften als Qualifikation verlangt, und vom T.-P. eben gleichzeitig zu seiner Hochschultätigkeit erworben.

Beim Fahrrad-Tandem ist das lat. tandem gleichwohl im Spiel, allerdings in seiner mittellat. Bedeutung »der Länge nach«, »hintereinander«. Der Fahrrad-Variante mit zwei hintereinander ›geschalteten‹ Menschen ging der Wagen mit hintereinandergespannten Pferden voraus.