Leben in der Arbeit? - Alfried Längle - E-Book

Leben in der Arbeit? E-Book

Alfried Längle

0,0
20,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Arbeit gehört für die meisten Menschen zentral zum Leben und ist eine unumgängliche Anforderung der Existenz. Gerade deshalb soll das Tätigsein als Quelle für gutes Leben Erfüllung geben und ein wichtiger Sinnfaktor sein. Nicht selten aber wird Arbeit zur Belastung – und oft genug erleben wir sogar, wie sie uns von uns wegführt. Doch gibt es Warnsignale. Burnout ist ein solches Zeichen, dass wir unser Dasein nicht mehr voll und ganzheitlich leben. Hier setzt dieses Buch an. Es beschreibt die existentiellen Voraussetzungen, um auch in der Arbeit Stress zu vermeiden und zu einem erfüllenden Leben zu kommen. Anhand zahlreicher Beispiele werden Ursachen und Anzeichen von Burnout dargestellt und wichtige Mittel zur Vorbeugung und zum Stressabbau beschrieben. Reflexions- und Übungsanleitungen helfen bei der praktischen Umsetzung. Ein praxisnaher Leitfaden für alle, die ihre Arbeit als Last empfinden, die vorbeugen und ihre Gesundheit fördern wollen, vor allem aber für jene, die Menschen leiten und unterstützen, ob Führungskräfte, Psychologen oder Berater. Auch als E-Book (epub und e-pdf) erhältlich.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 390

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



[1]Alfried Längle, Ingeborg Künz

Leben in der Arbeit?

Existentielle Zugänge zu Burnout-Prävention und Gesundheitsförderung

[2][3]Alfried Längle, Ingeborg Künz

Leben in der Arbeit?

Existentielle Zugänge zu Burnout-Prävention und Gesundheitsförderung

[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr; eine Haftung der Autoren oder des Verlages ist ausgeschlossen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Abbildungen stammen, wenn nicht anders angegeben, von den Autoren.

Copyright © 2016 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas Universitätsverlag, 1050 Wien, Österreich

Umschlagbild: Regina Längle

Korrektorat: Katharina Stadler, Wien

Satz: Wandl Multimedia-Agentur

ISBN 978-3-7089-1493-0 (Print)

978-3-99030-597-3 (epub)

978-3-99030-598-0 (e-pdf)

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

[5]Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Die existentielle Perspektive auf das Leben

2 Der Aufbau des Buches

3 Burnout – ein Überblick

3.1 Was ist Burnout?

3.2 Woran erkennt man Burnout – was sind die Symptome?

3.3 Verlauf von Burnout

3.4 Ursachen von Burnout

3.4.1 Ursachen in den Bereichen Individuum, Arbeitswelt und Gesellschaft

3.4.2 Die Verzweckung als formale Ursache des Burnouts

3.4.3 Die tiefere Ursache – der Ursprung der Bedürftigkeit durch die Frustration existentieller Grundstrebungen

4 Die Vielfalt der Burnout-Prävention

4.0 Überblick über die häufigsten Präventionsprogramme

4.1 Die Verbesserung des Verhältnisses zur Arbeit (Burnout-Prävention nach Leiter, Maslach)

4.2 Der Einzelne und die Organisation selbst (Burnout-Prävention nach Burisch)

4.3 Responsible Leadership (Burnout-Prävention nach Leibovici-Mühlberger)

4.4 Balance in Stress- und Belastungssituationen (Burnout-Prävention nach Linneweh, Heufelder, Flasnoecker)

4.5 Förderung der psychosozialen Gesundheit (Burnout-Prävention nach Kaluza)

4.6 Salutogenese und Ressourcenmanagement (Burnout-Prävention nach Meier Kernen und Kernen)

4.7 Sinn in der Arbeit (Burnout-Prävention nach Pattakos)

5 Burnout-Prävention – der existentielle Schutz

5.0 Die existentiellen Grunddimensionen als die Säulen der Prävention

[6]5.1 Die erste Säule der Prävention: Das Können ist die Grundlage von allem

5.1.1 Das Können

5.1.2 Die Voraussetzungen für das Können: Schutz, Raum und Halt

5.1.3 Schutzreaktionen bei Bedrohung des Könnens

5.1.4 Vorgehen beim Auftreten von Schutzreaktionen bzw. der Bedrohung des Könnens

5.1.5 Die personalen Aktivitäten der ersten Säule: Annehmen und Aushalten

5.1.6 Weitere praktische Hinweise

5.2 Die zweite Säule der Prävention: Ohne Mögen wird es zäh

5.2.1 Das Mögen

5.2.2 Die Voraussetzungen für das Mögen: Beziehung, Zeit, Nähe

5.2.3 Schutzreaktionen bei Bedrohung des Mögens

5.2.4 Vorgehen beim Auftreten von Schutzreaktionen bzw. der Bedrohung des Mögens

5.2.5 Die personalen Aktivitäten der zweiten Säule: sich dem Positiven zuwenden und um das Negative trauern

5.3 Die dritte Säule der Prävention: Das Dürfen gibt erst richtig frei

5.3.1 Das Dürfen

5.3.2 Die Voraussetzungen für das Dürfen: Beachtung, Gerechtigkeit und Anerkennung, Wertschätzung

5.3.3 Der Wert des Selbst – der Selbstwert

5.3.4 Schutzreaktionen bei drohendem Verlust des Eigenen

5.3.5 Vorgehen beim Auftreten von Schutzreaktionen bzw. der Bedrohung des Selbst-Seins

5.3.6 Die personalen Aktivitäten der dritten Säule: ansehen, abgrenzen, verzeihen, bereuen und mitteilen von Kritik und Peinlichem

5.4 Die vierte Säule der Prävention: Im Sollen liegt der Sinn

5.4.1 Das Sollen

5.4.2 Die Voraussetzungen für das Sollen: Kontext, Aufgabe, Wert in der Zukunft

5.4.3 Burnout als ein Defizit an echtem existentiellem Sinn

5.4.4 Motivationstheoretische Analyse

5.4.5 Schutzreaktionen beim Gefühl der Sinnlosigkeit

[7]5.4.6 Vorgehen beim Auftreten von Schutzreaktionen bzw. bei der Bedrohung des Sollens

5.4.7 Die personalen Aktivitäten der vierten Säule: sich in Übereinstimmung bringen und sinnvoll handeln

6 Wenn Hindernisse den Weg blockieren – nicht aufgeben, sondern anpacken!

6.1 Erster Schritt: Das Können ist die Grundlage von allem

6.1.0 Die Faktenlage: Was liegt vor? (PEA-0)

6.1.1 Gefühl: Wie ist das für mich? (PEA-1)

6.1.2 Stellungnahme: Was halte ich davon? (PEA-2)

6.1.3 Verhalten: Wie kann ich das umsetzen, was ich will? (PEA-3)

6.1.4 Beispiele aus der Praxis

6.2 Zweiter Schritt: Ohne Mögen wird es zäh

6.2.0 Die Faktenlage: Was liegt vor? (PEA-0)

6.2.1 Gefühl: Wie ist das für mich? (PEA-1)

6.2.2 Stellungnahme: Was halte ich davon? (PEA-2)

6.2.3 Verhalten: Wie kann ich das umsetzen, was ich will? (PEA-3)

6.2.4 Beispiele aus der Praxis

6.3 Dritter Schritt: Das Dürfen gibt erst richtig frei

6.3.0 Die Faktenlage: Was liegt vor? (PEA-0)

6.3.1 Gefühl: Wie ist das für mich? (PEA-1)

6.3.2 Stellungnahme: Was halte ich davon? (PEA-2)

6.3.3 Verhalten: Wie kann ich das umsetzen, was ich will? (PEA-3)

6.3.4 Beispiele aus der Praxis

6.4 Vierter Schritt: Im Sollen liegt der Sinn

6.4.0 Die Faktenlage: Was liegt vor? (PEA-0)

6.4.1 Gefühl: Wie ist das für mich? (PEA-1)

6.4.2 Stellungnahme: Was halte ich davon? (PEA-2)

6.4.3 Verhalten: Wie kann ich das umsetzen, was ich will? (PEA-3)

6.4.4 Beispiele aus der Praxis

6.4.5 Personale Methoden rund um den Sinn

Literaturverzeichnis

Anhang

Fragebogen LIDA zur Selbsteinschätzung – Leben in der Arbeit

[8][9]Vorwort

Arbeit und Existenz sind eng miteinander verwoben. Einerseits hängt die Existenz der meisten Menschen von der Arbeit ab, andererseits hat jeder Mensch die Aufgabe, ein erfüllendes Leben – eine „gute Existenz“ – neben der Arbeit, aber auch mit ihr, aufzubauen. So liegt es nahe, das Werkzeug der Existenzanalyse zu nutzen, um die Arbeitswelt zu durchleuchten und Anleitungen zu finden für ein ausgewogenes Leben; für ein Arbeiten, das als Leben empfunden wird und darum Erfüllung gibt; für ein Arbeiten, das nicht in die Leere mündet, sich nicht im Stress verheddert und das nicht die Gesundheit und die Lebensfreude belastet; für ein Arbeiten, das als sinnvoll empfunden wird; für ein Leben, das nicht nur die Arbeit kennt.

Motivation für dieses Buch ist, die wissenschaftlich fundierten Kenntnisse der Existenzanalyse für berufliche Organisationen und die darin arbeitenden Menschen zugänglich zu machen. Daraus ergeben sich Anleitungen zu beruflicher Erfüllung und natürlich auch Wege, um Burnout und Stress zuvorzukommen bzw. sie abbauen zu können. Dabei kann es sich nicht einfach um Rezepte handeln, stammen sie doch aus einem philosophischen und psychologischen Verständnis des Menschen. Diese Hilfen entwickeln sich aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema.

Aus dieser Motivation für das Buch ergibt sich auch sein Ziel: Es soll Menschen helfen, in der Arbeit Leben zu finden, vielleicht noch mehr in der Arbeit leben zu können und sich in ihr lebendig zu fühlen. Dann wird Arbeit nicht einfach eine Abfolge von Erledigungen sein, sondern sie wird zur Erfüllung und inneren Freude. Sie soll ein Terrain sein, in dem man aufgeht und eine Bestimmung, eine Be-rufung finden kann. Auf solcher Basis wird dem Stress und der Burnout-Gefahr weitgehend der Boden entzogen und die Gesundheit gefördert – für die Führungskraft ebenso wie für jeden Einzelnen und die Mitarbeiter des Unternehmens.

Das Buch richtet sich an alle, die arbeiten und die Arbeit als Last empfinden, die unter der Mühe und Anstrengung leiden und an jene, denen Gesundheitsförderung ein Anliegen ist – besonders aber an jene, die in verantwortlicher Position Menschen leiten und unterstützen: Personalleiter, Personalentwickler und Führungskräfte. Sie erhalten Einsichten in den Aufbau menschlichen Verhaltens und dessen Beweggründe. Sie werden über die existentiellen Strukturen erfahren und die Fallstricke des Burnouts besser erkennen lernen. Dann können präventive Maßnahmen gesetzt werden und es kann besser Unterstützung gegeben werden. Ebenso bekommen sie ein Wissen darüber, wie sie nachhaltig die eigene Gesundheit und die ihrer Mitarbeiter fördern können. Für Coaches, Psychologen und Berater können[10] die Inhalte des Buches eine ungewöhnliche und ergänzende Perspektive sein, da diese Art des Denkens und dieses Wissen auf dieser professionellen Ebene noch nicht sehr verbreitet ist.

Als existentielles Buch wollen wir auch uns selbst einbeziehen. Wir können bezeugen, dass die vorgestellten Inhalte nicht nur theoretisch begründet sind, sondern dass wir sie selbst erprobt und in eigenen Erfahrungen als hilfreich erlebt haben. Sie können Menschen helfen, die am Beginn eines Burnouts stehen, die zu viel Stress haben oder die mehr Erfüllung in ihrer Arbeit finden wollen.

Die größte Freude wäre für uns, wenn Sie als Leserin, als Leser die Inhalte in Ihr Leben integrieren können und über die Inhalte ins Gespräch kommen – mit sich selbst ins innere Gespräch und mit anderen Menschen im privaten und beruflichen Umfeld. Wir wünschen Ihnen viel Interesse und Erleben beim Lesen!

Wien/Hard, im August 2016

Alfried Längle und Ingeborg Künz

[11]1 Die existentielle Perspektive auf das Leben

Jeder psychologische Zugang zu seelischer Gesundheit, persönlicher Entwicklung und Verbesserung des Wohlbefindens („Glücklichsein“) geht von einem bestimmten Blickpunkt aus. Hier wird eine existentielle Perspektive in den Mittelpunkt gerückt. Eine ganze Reihe anderer Blickpunkte wird beschrieben, aber der Hauptteil beruht auf einem Menschenbild, das in der Existenzanalyse entwickelt wurde. Existenzanalyse ist eine Psychotherapie, ein Beratungs- und Coaching-Verfahren, das in der übergeordneten Richtung der humanistischen Psychotherapie angesiedelt ist (Frankl 2011; Längle 2013; 2016; Längle, Bürgi 2014; Stumm 2011). Als humanistisches Verfahren hat die Existenzanalyse den Schwerpunkt im „Humanen“, wie der Name schon sagt. Existenzanalytisches Vorgehen hat daher den Fokus auf den Menschen als Person gerichtet.

Es gibt natürlich weitere Sichtweisen des Menschen, die in anderen psychotherapeutischen Richtungen zur Anwendung kommen. Auch sie beschreiben wichtige Seiten und Fähigkeiten des Menschen: die psychodynamischen, meist unbewussten Kräfte im Menschen, die Lern- und Adaptationsfähigkeit des Menschen, die Verwobenheit in größeren Systemen, von denen er Teil ist und die er mitbeeinflusst. Sie werden daher auch in diesem Rahmen berücksichtigt.

Die Existenzanalyse wird als eine „Analyse“ bezeichnet. Damit wird schon mit dem Namen etwas zum Ausdruck gebracht. Sie ist also ein Verfahren, das etwas „auflösen“ soll. Was ist das, was in einer Existenzanalyse aufgelöst werden soll? Man kann ja nicht die Existenz auflösen, denn die ruht in sich. In der Existenzanalyse geht es vielmehr um das Herauslösen der Bedingungen, der Voraussetzungen, der Mittel und Möglichkeiten, um zu einem erfüllenden und gelingenden Leben („Existenz“) – auch einer beruflichen Existenz – zu gelangen (Längle 2016). Die Existenzanalyse beschreibt diese Bedingungen allgemein, also anthropologisch: Was braucht der Mensch, um zu einem erfüllenden Leben zu gelangen? Die Existenzanalyse ist als praktische Anwendung aber vor allem damit befasst, die Voraussetzungen dafür auch konkret zu beschreiben: Was spielt im Leben dieses Menschen eine Rolle? Welche Mittel hat dieser Mensch derzeit zur Verfügung, um so leben zu können, dass er mit sich und den anderen möglichst im Einklang sein kann; dass er Erfüllung erlebt und Sinn findet? Diese konkrete Arbeit geschieht dann im Coaching, in der Beratung oder auch in der Psychotherapie. In allen diesen Fällen werden die konkreten Lebenssituationen des Menschen beleuchtet und mit der Theorie im Hintergrund durchforstet (Längle 2013).

[12]Um aber der Einzigartigkeit und Einmaligkeit des Menschen möglichst gerecht zu werden, wird nicht das allgemeine Muster auf das konkrete Leben übergestülpt, sondern es wird maximal individualisierend und ganz auf der Ebene des subjektiven Erlebens, der persönlichen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Möglichkeiten vorgegangen. Theorie, Vorwissen, Erwartungen usw. des Existenzanalytikers werden beiseitegestellt, um die tiefe, echte eigene Motivation und das persönliche Werterleben der Gesprächspartner zu erfassen. Eine solche Vorgangsweise, die zentral ist für die Existenzanalyse, wird als phänomenologisch bezeichnet. Das beschreibt eine Haltung der Offenheit dem anderen und sich selbst gegenüber, dank derer das Wesentliche der Situation oder des Problems sichtbar und spürbar wird (Längle 2013; Längle, Bürgi 2014).

Die Existenzanalyse hat ihre Wurzeln in der Logotherapie Viktor Frankls (Frankl 2005, 2007). Frankl hat mit der Logotherapie eine „Sinnlehre gegen die Sinnleere“ geschaffen. Die Weiterentwicklung der Existenzanalyse bestand nun darin, auch die Voraussetzungen für eine Sinnfindung zu schaffen, Methoden zu entwickeln für eine erleichterte praktische Anwendung und eine systematische Krankheitslehre zu entwickeln mit speziellen, phänomenologischen Therapie-Zugängen. Dabei wird das wertvolle Erbe Frankls bewahrt und in einen größeren Rahmen neu eingebettet. Auch in diesem Buch wird darauf zurückgegriffen.

Am kürzesten kann Existenzanalyse beschrieben werden als ein Verfahren, das dem Menschen helfen soll, mit innerer Zustimmung zu dem, was er tut, leben zu können. Mit anderen Worten heißt das: Was immer man tut, es wird nur dann als „eigenes Leben“ empfunden, wenn man innerlich Ja dazu sagt. Erst wenn man innerlich „dabei“ ist, sich einklinkt, „com-mitted“ ist, „hat“ man was von seinem Leben. Erst durch diesen persönlichen Einsatz wird das Leben, wird die jeweilige Handlung bzw. das jeweilige Erleben erfüllend. Denn dann erst, auf der Basis eines solchen inneren „Ja“, ist es möglich, sich wirklich zu engagieren, sich ganz hineinzugeben und in fühlenden Kontakt mit dem Wert der Sache zu kommen, der einen dann auch umgehend belohnt und berührt.

Innere Zustimmung ist der Schlüsselbegriff der Existenzanalyse. Zustimmung ist ein Akt der Freiheit, eine Bejahung, die auf dem Gefühl der Stimmigkeit beruht – Zu-„Stimmung“. Zustimmung ist nicht allein mit dem Denken zu erreichen, ist vielleicht manchmal gar nicht so „vernünftig“ oder rational, weil sie wesentlich aus dem Herzen kommt. Existenzanalyse enthält daher auch eine Schulung des Herzens, ein Ernstnehmen der Gefühle, des ganz Eigenen und Persönlichen. Erst auf dieser Basis kann das Leben wirklich zu seinem Sinn finden, kann der Sinn der Situation gefunden werden. [13]Weil diese innere Zustimmung so zentral ist, wird sie auch in diesem Buch eine zentrale Stellung einnehmen. Im nächsten Abschnitt wird erläutert, was es für die innere Zustimmung alles braucht, d. h. wie sie zu verstehen ist und sich zusammensetzt.

Zum Abschluss dieser einleitenden Vorstellung der Existenzanalyse soll sie als Psychotherapie beschrieben werden, obwohl in diesem Buch nicht auf diese eingegangen wird. Dennoch spielt sie im Hintergrund eine Rolle für die Entwicklung der Zugänge und Gedanken dieses Buches. Existenzanalyse wird als phänomenologisch-personale Psychotherapie verstanden. Wie oben bereits skizziert, wendet sie sich an die Person des Einzelnen, an das „ganz Persönliche“, an das Wesen des Menschen, an das, das ihm Würde verleiht. Vor diesem Wesen eines jeden Menschen haben wir Respekt. Das hat natürlich einen Niederschlag in der Vorgangsweise im Coaching, aber auch in diesem Buch. In dieser Methode wird auf die Fähigkeit des Menschen, Person zu sein, d. h. sich selbst zu sein, autonom zu sein, eigenverantwortlich zu sein, besonders geachtet. In der Existenzanalyse ist man bestrebt, respektvoll und die Eigenständigkeit schützend vorzugehen. Darum arbeitet man in ihr in erster Linie „phänomenologisch“, also möglichst offen, um Raum zu schaffen im Dialog für das, was diesen Menschen jetzt zu innerst und wirklich bewegt und angeht. Das Ziel existenzanalytischen Vorgehens ist zuerst, den anderen oder sich selbst zu verstehen, die Beweggründe kennenzulernen. Erst dann kommen Theorien, Methoden usw. dazu, wenn es darum geht, Probleme und Behinderungen zu behandeln.

Diese phänomenologische Vorgangsweise und anschließende Behandlung hat in der Existenzanalyse den Fokus auf der Methode der Personalen Existenzanalyse (PEA – Längle 2000c). Darum wird in der Definition der Existenzanalyse als Psychotherapie Bezug auf diese spezifische Vorgangsweise genommen. Die Existenzanalyse als Psychotherapie kann also auch folgendermaßen definiert werden: Die Existenzanalyse hat zum Ziel, dem Menschen zu einem emotional freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und eigenverantwortlichem Umgang mit sich und der Welt zu verhelfen. Erleben, Stellungnahme, Ausdruck und Handeln sind die Eckpfeiler der Personalen Existenzanalyse. Diese zentrale Methode ist selber sehr phänomenologisch. Die PEA stellt das Prozessmodell der Existenzanalyse dar und wird in Kapitel 6 eine wichtige Rolle für die Bearbeitung von Schwierigkeiten und Hindernissen spielen.

Was ist „Existenz“?

In der Existenzanalyse ist der Begriff „Existenz“ zentral. Dieser Fachterminus bedeutet so viel wie „Leben“. „Personale Existenz“ ist also „das eigene, persönliche [14]Leben“. Man spricht deshalb gerne von „Existenz“, weil der Begriff auf einen Umstand hinweist, der das menschliche Dasein kennzeichnet: Der Mensch ist nicht einfach nur „da“, sondern er ist immer als freier Mensch da. Das geht so weit, dass sich der Mensch dadurch von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Denn er ist das einzige Lebewesen, das nicht leben muss. D. h. er ist so frei, dass er nicht da sein muss, wenn er nicht will. Er ist auch nicht einfach „er oder sie“, sondern er ist immer der, zu dem er sich gemacht hat. Er ist geprägt von seinen Entscheidungen. Er ist der, der sich selbst so sein lässt, weil er ja ein freier Mensch ist. Der Mensch entscheidet also immer, wer er ist. Er ist nicht einfach, er ist nicht „irgendwer“, sondern er ist immer „sich“ (Levinas 1978, S. 38), immer der Entscheidende. Dadurch hebt sich der Mensch aus dem bloß Gegebenen, dem Faktischen heraus. Er ist zwar bedingt, aber nicht zur Gänze von den Bedingungen „bestimmt“ (Frankl 2005). Er „ex-sistiert“, hebt sich ab vom Boden des Gegebenen, so wie er sich von den vier Beinen im Laufe der Evolution erhoben hat und nun auf zwei Beinen steht und Hände hat für den freien Umgang mit den Dingen. Dies alles bildet einen wichtigen Hintergrund für das Coaching, für Leadership, für Burnout-Prävention. Existenz ist daher das Leben, das vom Menschen selbst gestaltet ist, das Leben, das der Mensch selbst „führt“. Es ist das Leben, das er in Freiheit zu leben hat, das er sinnvoll gestalten kann, für das er aber immer und unausweichlich verantwortlich ist. Existieren bedeutet, frei zu sein. Damit ist unweigerlich verbunden, für sein Leben auch verantwortlich zu sein. Wo der Mensch verantwortlich ist, kann er auch schuldig werden für das Führen des eigenen Lebens, aber auch anderen gegenüber. Denn immer ist im Leben mehr oder weniger Freiheit zugegen. Führt der Mensch das Leben gut, erlebt er es oft als freudvoll, manchmal als traurig, schwierig, aber immer kann es erfüllend sein, wenn sich der Mensch an die Grundstrukturen der Existenz hält. Wird das Leben hingegen über einen längeren Zeitraum nicht in der Art „geführt“, so kann dies in verschiedene Störungen wie auch in ein Burnout münden.

Die Struktur der Existenz – die existentiellen Grundmotivationen

Die Existenz – das entschieden und verantwortliche Führen des Lebens – hat sich auf vier fundamentale Tatsachen zu beziehen, ohne deren Berücksichtigung das Dasein nicht gelebt werden kann. Sie sind dem Menschen vorgegeben, sodass er ihnen niemals entkommt, selbst wenn er sich nicht um sie kümmert. Werden sie aber vernachlässigt, dann verwickeln sie den Menschen in arge Schwierigkeiten. Denn sie sind so grundlegend, dass ihre Besorgung zu den Grundaufgaben des Menschen gehört. Daher spiegeln sich diese Grundbedingungen der Existenz im subjektiven Erleben als Grundmotivationen. [15]Sie werden personal-existentielle Grundmotivationen (GM) genannt, weil sie die Bedingungen des Personseins beschreiben, also wie die Person in der Welt zur Existenz gelangen kann. Die Bedingungen, die dem Dasein seine nicht verhandelbare Struktur geben und auf die sich der Mensch daher beziehen muss, sind:

1. die Welt – die Realität, in die der Mensch hineingestellt ist und die er gut wahrnehmen soll, damit er überleben kann

2. das Leben – die im Körper begründete Vitalität, die uns wachsen, reifen und vergehen lässt, und die sich im Fühlen manifestiert

3. das Sich-selbst-Sein – das Faktum, dieses Leben mit immer demselben Ich leben zu müssen, wobei man aber mehr oder weniger authentisch („echt“) oder sich fremd sein kann

4. das Stehen in größeren Kontexten – in ideeller Hinsicht: in Zusammenhängen stehen, für die man lebt; in zeitlicher Hinsicht: eine Zukunft vor sich zu haben. Beide zusammen bilden den Sinnzusammenhang

Existenz hat nun diese vier Bedingungen als Voraussetzung. Auf sie hat sich der Mensch stets zu beziehen. Macht er es gut, erlebt er ein freies, inneres Ja, also seine Zustimmung. Mit innerer Zustimmung leben heißt daher, zu allen vier Dimensionen eine Zustimmung zu haben, zur Welt, zum Leben, zu sich selbst und zu den größeren Kontexten, in denen man steht. Um zur Zustimmung zu jeder dieser vier Bedingungen zu kommen, bringt sich der Mensch selbst ein und prüft, wie jede Dimension für ihn selbst aussieht und angewandt werden kann. Jede Dimension führt daher an ihre spezielle Form des Daseins heran, wie das im Folgenden beschrieben wird. Wenn man die Fragen liest, merkt man gleich, wie gewichtig sie für die Lebensgestaltung sind. Nehmen Sie sich daher etwas Zeit für den folgenden Absatz und gehen Sie mit den Fragen im Inneren mit:

1. Die Welt – KANN ich in dieser meiner Welt sein? Ich bin da, in meiner Welt mit ihren Bedingungen, der Arbeitswelt, der privaten Welt, mit diesem Körper und seiner Gesundheit bzw. Krankheit, mit diesen wirtschaftlichen Bedingungen – sie alle bilden meine aktuelle Welt. Die existentielle Frage ist aber: Ich bin zwar da, aber kann ich hier auch sein, kann ich hier überleben?

2. Das Leben – MAG ich so leben, ist das ein Leben, das ich führen mag, wozu ich Lust habe, das mir wertvoll ist? Ist das ein gutes Leben? Was bräuchte es dazu? Mag ich überhaupt leben, hat Leben für mich einen Wert?

3. Das Sich-selbst-Sein – DARF ich so sein und mich geben, wie ich bin? Oder habe ich mich mehr anzupassen, weil mich sonst keiner schätzt,[16] niemand mag? Darf ich mich so geben, so zeigen, so verhalten? Entspricht mir das, kann ich so vor mir bestehen und auch vor anderen?

4. Der größere Kontext – SOLL ich das tun? Was soll in dieser Situation getan werden, was ist gefordert, was braucht es? Soll ich da weitermachen, führt das zu einem guten und sinnvollen Ende?

Wenn Können, Mögen, Dürfen und Sollen erfüllt sind, dann resultiert daraus ein echtes, solides, starkes WOLLEN. Das Wollen des Menschen beruht also auf vier Voraussetzungen, was verständlich macht, dass man oft nicht das tut, was man „eigentlich“ will. Denn wenn man etwas nicht mag, oder wenn man es derzeit nicht kann, oder wenn es einem nicht wirklich entspricht, oder wenn man keinen wirklichen Bedarf empfindet, warum soll man es dann tun, auch wenn es vielleicht vernünftig erscheint?

Im folgenden Schema sind diese Dimensionen überblicksartig veranschaulicht:

Abb. 1: Die Voraussetzungen für „existentielles Leben“ (aus Längle 2005, S. 21)

Um sein Leben persönlich leben und gestalten zu können, braucht es vom Menschen nicht nur das Aufgreifen der Grundfunktionen (Können, Mögen[17] etc.), sondern auch persönliche Aktivität und Beschäftigung mit den einzelnen Dimensionen. Denn es geht darum,

• die Welt mit ihren Bedingungen annehmen zu können

• sich dem eigenen Leben, den Gefühlen und Beziehungen zuwenden zu mögen

• sich selbst, das eigene Personsein, die eigene Art und Weise des Umgehens mit sich und anderen ansehen zu können

• die Handlung auf die Zukunft und die größeren Zusammenhänge, Anforderungen und Aufgaben abzustimmen

Hier soll nur eine Einführung in die Grundlagen der Existenzanalyse gegeben werden, eine erste Landkarte. Wenn die Dimensionen der Burnout-Prävention in der Existenzanalyse behandelt werden (in Kapitel 5), wird auf diese Grundlagen Bezug genommen werden und es wird noch vertiefend auf die Dimensionen eingegangen werden.

Die Dimensionen der Existenz in der Arbeitswelt

Diese Dimensionen spielen in der Arbeitswelt natürlich auch eine große Rolle. Die Realisierung der existentiellen Verankerung bedeutet: Auch ein erfülltes Arbeitsleben braucht als Grundlage eine innere Zustimmung – konkret, eine innere Zustimmung zu diesen vier Grundbedingungen der Existenz.

Das bedeutet – und das gilt auch, wenn man schon in einem Burnout steht1: Erfüllung im Arbeitsleben findet man nur, wenn man innerlich zustimmen bzw. Ja sagen kann

• zur eigenen Arbeits- (und Innen-)Welt mit ihren Anforderungen und Mechanismen

• zu dem, wie es sich anfühlt, wenn man in der Arbeit steht, also zum „Arbeitsleben“

• zu sich selbst als einzigartiger Person mit ihren Stärken und Schwächen

• zum größeren Zusammenhang, zum „Großen und Ganzen“ der Arbeit und ihres Stellenwerts im eigenen Leben sowie zum eigenen Tun

Praktisch gesprochen bedeutet dies, dass es eine Zustimmung, ein inneres Ja braucht zur Art und zum Umfang dessen, was man tut; eine Einsicht in die Notwendigkeit, Wichtigkeit bzw. den Bedarf; ein Gefühl für die eigene Wertigkeit [18] und für das eigene Können sowie für die Zeitressourcen, um die Arbeit als erfüllend erleben zu können. Natürlich kann ein zu großes Arbeitspensum von Dingen, die man gerne tut, auch ermüden – aber der Stressfaktor ist nicht die Menge der Arbeit an sich, sondern die fehlende innere Zustimmung zu ihr. Erschöpfend ist, wenn man die Dinge „halt macht“, weil sie notwendig sind oder niemand anderer sie macht oder weil man das Geld braucht. Geht das Leben über einen längeren Zeitraum so, dann kann dies in ein Burnout münden. Es sei schon hier auf das Kapitel 3.4.3 verwiesen, in dem der Ursprung der Bedürftigkeit durch die Frustration der personalexistentiellen Grundstrebungen aufgezeigt wird.

1  Die Markierung der Textstellen mit grauem Hintergrund hebt hervor, was für die Menschen, die gerade in einem Burnout sind, in erster Linie wichtig ist zu lesen. Wir weisen im Kapitel 2 („Der Aufbau des Buches“) darauf hin.

[19]2 Der Aufbau des Buches

Eigentlich handelt das Buch ja von der Erfüllung und vom Leben in der Arbeit. Dieser Inhalt wird im nächsten Abschnitt über seinen Kontrast – nämlich über das Thema „Burnout“ aufgerollt. Darum wird im Folgenden ein Überblick über Burnout gegeben; darüber, was Burnout ist, wie man es erkennt, wie es verläuft und welche Ursachen dafür ausgemacht werden können.

Dem folgt bereits als erster praxisnaher Teil ein Überblick über gängige Burnout-Präventionen durch unterschiedliche psychologische Ansätze. Das leitet über zum ausführlichen existenzanalytischen Verständnis von Burnout-Prävention und wie Erfüllung in der Arbeit erreicht werden kann. Dies dient uns dann als Grundlage für die Ausführungen zur Stressreduktion, zur Burnout-Prävention und zur Gesundheitsförderung. Die Entwicklung dieser Inhalte geschieht entlang der bereits genannten vier Dimensionen der Existenz und enthält zahlreiche praktische Anleitungen.

Im Mittelpunkt des 5. Kapitels steht die existenzanalytische Burnout-Prävention im Spannungsfeld zwischen Gesundheit und möglicher Erkrankung (Abb. 2). Kapitel 6 zeigt existenzanalytische Wege auf, um zu mehr Erfüllung und somit Leben in der Arbeit zu gelangen.

Abb. 2: Burnout-Prävention im Spannungsfeld zwischen Gesundheit und möglicher Erkrankung

Unsere Abhandlungen sind jedoch in einen noch größeren Kontext eingebettet, weil das Individuum in einer Organisation (Unternehmen, Arbeitsplatz) steht. Und auch dieser Zusammenhang ist noch weiter umrahmt von dem noch umfassenderen Einfluss der Gesellschaft und Kultur (Abb. 3).

[20]

Abb. 3: Positionierung der Inhalte des Buches im Themenbereich „Burnout“

Dieses Buch ist so aufgebaut, dass die wesentlichen Textstellen für Stressgeplagte oder schon im Burnout Befindliche durch graue Hinterlegung gekennzeichnet sind, damit sie sich schnell zurechtfinden.

Der einfacheren Lesbarkeit halber ist der gesamte Text in der Männlichkeitsform geschrieben. Selbstverständlich sind damit alle Geschlechter gemeint.

3 Burnout – ein Überblick

3.1 Was ist Burnout?

[21]Burnout ist heute ein gängiger Begriff. Kaum ein anderer Begriff hat in den letzten Jahren so eine Karriere in seiner Verbreitung gemacht wie dieser. Burnout ist zum Modewort geworden. Jeder weiß, dass das englische Wort „Burnout“ „ausgebrannt sein“ heißt – durch Arbeit, Anstrengung, Stress. Woher kommt der Begriff aber eigentlich? Erstmals wurde er in Amerika von dem deutschstämmigen Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger (1974) verwendet. Christina Maslach und Susan E. Jackson haben zum Burnout den ersten Fragebogen entwickelt, das Maslach Burnout Inventory MBI (1981).

Obwohl der Begriff so verbreitet ist, gibt es interessanterweise keine allgemeingültige Definition und auch keine Untersuchungsergebnisse, die eindeutige Kriterien für eine Diagnose oder auch nur für eine genauere Begriffsbestimmung abgeben würden. Es gibt aber viele Untersuchungen zu Burnout in den unterschiedlichsten Bereichen. Burisch (2006) fasst die Lage sehr gut zusammen, wenn er schreibt, dass Burnout individuell durch fast alles ausgelöst werden könne, was einem Individuum gegen den Strich gehe und trotz aller Anstrengungen nicht abzustellen sei. „Burnout ist eine langdauernd zu hohe Energieabgabe für zu geringe Wirkung bei ungenügendem Energienachschub.“ (ebd., S. 7). Die Autoren sehen als eine allgemeine Grundlage für Burnout, wenn sich Stress mit dem Gefühl der Hilflosigkeit, der Ausweglosigkeit, einem Sich-gefangen-Fühlen paart und diese Situation länger anhält bzw. chronisch wird.

Trotz einer mangelhaften Begriffsschärfe ist die Bezeichnung „Burnout“ dennoch wertvoll für die Beschreibung von Problemen, die mit dem Verbrauch von zu viel Kraft und Energie durch Anstrengungen verschiedenster Art wie Arbeit, psychische Anforderungen und Belastungen usw. zu tun haben. Der Begriff hat den praktischen Vorteil, dass er griffig und leicht verständlich ist, sodass sich auch psychologische und medizinische Laien etwas darunter vorstellen können. Damit dient er der Prophylaxe und Prävention, hilft für ein besseres Verständnis von Erschöpfungssymptomen und kann zu früherer Behandlung anleiten, weil das subjektive Erleben damit einem Störungsbegriff zugeordnet werden kann. Das, was unter Burnout verstanden wird, ist jedoch zu unscharf, um es als eigenständiges Krankheitsbild nach den internationalen Diagnoseschemata DSM oder ICD führen zu können. Es wird im ICD 10 nur unter der Zusatzdiagnose Z73 – Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung – geführt.

[22]Der Zustand eines Burnouts entsteht, wenn Menschen bei chronischen Belastungen und Dauerstress die eigenen Energiereserven verbrauchen und längere Zeit über ihrem Kräfteniveau beansprucht sind. Das Burnout-Syndrom ist daher eine anhaltende Form des Überengagements, erlebter Dauerbelastungen und Überforderungen. Dass es dazu kommt, kann an überzogenen Erwartungen des Subjekts ebenso liegen wie an anhaltenden äußeren oder inneren Anspannungen. Das können auch einfache Situationen sein wie z. B. Belastungen, die auf Enttäuschungen basieren. Wichtig für die Entstehung ist, dass es immer an Entspannung und Erholung mangelt, sodass es zu einer Abwärtsspirale auf dem energetischen Niveau kommt. Daher entsteht Burnout, allgemein gesprochen, nur dann, wenn die Anforderungen an eine Situation höher sind als die für ihre Bewältigung vorhandenen Ressourcen und deren zeitnahe Regeneration. Dies führt zu einer immer stärker werdenden Anspannung und zunehmenden Frustrationen, was schließlich in einen regelrechten „Raubbau“ an den eigenen Energieressourcen mündet.

Burnout ist eine Erkrankung des ganzen Menschen und kann sich sowohl auf der mentalen/geistigen als auch der psychischen sowie der somatischen Ebene zeigen. „In voller Ausprägung umfasst Burnout die Erschöpfung aller Seinsbereiche – und erreicht die Ebene der körperlichen wie geistigen sowie auch seelischen Erschöpfung.“ (Burn On statt Burn Out, Schriftenreihe des Wirtschaftsförderungsinstituts Nr. 347, S. 7). Anders gesagt: Die eintretende Erschöpfung im Burnout ergreift alle drei Dimensionen des Menschseins, wie sie Frankl (1959) beschrieben hat:

1. die somatische Dimension: körperliche Schwäche, funktionelle Störungen (z. B. Schlaflosigkeit) bis hin zu körperlichen Krankheiten

2. die psychische Dimension: Lustlosigkeit, Freudlosigkeit, emotionale Erschöpfung, Reizbarkeit

3. die personale Dimension: Rückzug von Anforderungen und Beziehungen, entwertende Haltungen sich selber und anderen/anderem gegenüber.

3.2 Woran erkennt man Burnout – was sind die Symptome?

Burnout zu erkennen ist nicht immer ganz leicht. Denn es zeigt sich anfangs eher harmlos und ohne markante Symptome. Erst wenn diese eher unspezifischen Symptome in einem größeren Zusammenhang gesehen werden und die Umstände der Entstehung und des Verlaufs miteinbezogen werden, kann ein Burnout mit einer recht großen Wahrscheinlichkeit erkannt werden. Meistens beginnen die Symptome leicht und unauffällig und es sind [23]„gewöhnliche Zeichen“, die an keine besondere Störung denken lassen, weil jeder Mensch schon müde und erschöpft war und dies daher als ein passagerer und natürlicher Zustand eingestuft wird. Daher ist es wichtig, die Symptome des Burnouts zu kennen.

Zunächst werden hier die wichtigsten Symptome (eigentlich Symptomgruppen) vorgestellt. Schon anhand dieser Kennzeichen kann ein Burnout üblicherweise erkannt werden. Anschließend wird eine Reihe von Fragebögen vorgestellt, die der Unterstützung der Diagnosestellung dienen können. An ihnen und den verschiedenen Aufzählungen von Symptomen, die sie enthalten ist bereits die Unterschiedlichkeit der Beschreibung von Burnout-Symptomen ersichtlich, was deutlich macht, wie schwierig es manchmal ist, eine eindeutige und verbindliche Diagnose zu stellen. Anschließend wird der Verlauf der Burnout-Entwicklung mit einer detaillierteren Beschreibung der Symptome gegeben.

Die vier Kernsymptome

Burisch (2006) fasst das moderne Verständnis von Burnout in einem sehr schönen und praktikablen Überblick zusammen. Er unterscheidet vier Bereiche, die im Burnout gestört sind:

1. Erschöpfung (körperlich, geistig, seelisch)

Die körperliche, geistige und seelische Erschöpfung zeigt sich unter anderem dadurch, dass sich die betreffende Person seit Monaten matt, ausgelaugt und erschöpft fühlt, mehr Erholungszeiten als früher benötigt, anderen Menschen weniger Mitgefühl entgegenbringen kann und insgesamt flachere emotionale Reaktionen hat.

2. Widerstand gegen die Arbeit

Es wird keine Freude mehr an der Arbeit empfunden. Dies kann so weit gehen, dass man sogar Widerwillen gegen sie verspürt.

3. Verschlechterung der Sozialbeziehungen

Die Verschlechterung der Sozialbeziehungen erfolgt einerseits durch Depersonalisation. Damit ist der Verlust des Persönlichen, der Zugänglichkeit im Umgang mit anderen Menschen gemeint. Die persönliche Note, die ursprünglich echte Lebendigkeit weicht einer fassadenhaften Distanz. Dies kann so weit gehen, dass die Menschen nur noch mechanisch (wie Roboter) funktionieren.

In unseren Worten bedeutet das, dass die Person, das Wesen eines Menschen, nicht mehr wirklich in Erscheinung tritt. Dadurch wird das Eigene [24](das persönliche Anliegen) nicht mehr gelebt. Das hat eine Feedback-Schleife zur Folge. Man entleert sich selbst zunehmend und infolgedessen geht das Interesse weiter verloren und die Beziehungen zu anderen verflachen. Man geht nicht mehr so auf den anderen ein, verliert das Einfühlungsvermögen, bezieht sich nicht mehr auf den anderen. Innerlich zunehmend ausgehöhlt, können auch negative Gefühle sich und anderen gegenüber entstehen, wie etwa Zynismus.

Einher mit dem Verlust des eigenen Personseins geht ein Phänomen, das gemeinhin als Dehumanisierung bezeichnet wird und im Zusammenhang mit Burnout oft auftritt. Damit ist eine Versachlichung des Menschen gemeint, eine Umgangsweise, die die Menschen nicht mehr als Menschen sieht, sondern als Objekte oder Funktionen. Die Mitarbeiter werden dann zum „Humankapital“, die Patienten zu „Pflegeobjekten“, die Kollegen zu „Zuarbeitern“. Mit dieser Entwertung der anderen Menschen gehen oft abweisende Gefühle einher wie Abscheu, Widerwillen, Unerträglichkeit oder sogar Ekel. Diese Versachlichung des Menschen hat zumeist den Zweck, eine innere Distanz herzustellen und sich die Menschen vom Leibe zu halten, um nicht zu sehr betroffen zu sein, nicht mitfühlen zu müssen (was zusätzliche Energie kosten würde) und so „empathischen Stress“ zu vermeiden. Außerdem wird oft ein Gefühl der Überlegenheit damit verbunden.

4. Verringerte Zufriedenheit mit der eigenen Leistung

Bei Burnout haben die Menschen das Gefühl der mangelnden Leistungsfähigkeit. Sie erleben sich nicht mehr als den Anforderungen gewachsen und leiden darunter, immer weniger zu erreichen, obwohl sie sich immer mehr vornehmen und immer mehr anstrengen. So werden beispielsweise auch Arbeiten mit in die Freizeit genommen. Es entsteht das Gefühl, dass man in einer Tretmühle sitzt und immer häufiger und schneller tritt, aber es geht nicht voran. Anders gesagt: Mit immer mehr Energie erreicht man immer weniger. Anfänglich kann das noch kompensiert werden. In späteren Phasen kommt es dann zur Resignation.

Von all den Symptomen ist die Erschöpfung das wichtigste und primäre im ganzen Geschehen. Erst wenn dieses länger besteht, kommen die anderen Kernsymptome dazu. Neben diesen Kernsymptomen gibt es weitere burnoutspezifische Symptome und Begleitsymptome wie Schlafstörungen, chronische Müdigkeit, Appetitstörungen, Konzentrationsstörungen, gesteigerte Infektanfälligkeit, erhöhter Blutdruck, Magengeschwüre u. v. m.

[25]Die gebräuchlichsten Fragebögen zur Erfassung von Burnout

Zur Kurzdarstellung der Fragebögen wird oftmals eine Zusammenfassung der Einschätzung durch Burisch gegeben, der wohl zu den Erfahrensten im Bereich der Burnout-Forschung im deutschen Sprachraum zählt.

1. Maslach Burnout-Inventory (MBI) von Maslach & Leiter

Das von Maslach und Leiter entwickelte Burnout-Inventory MBI (Maslach, Leiter 2001, S. 11 f.) geht von folgenden Ursachen für Burnout aus:

• Arbeitsüberlastung: Wir fühlen uns überlastet.

• Mangel an Kontrolle: Wir haben nicht genug Kontrolle über das, was wir tun.

• Unzureichende Anerkennung und Belohnung: Wir erfahren zu wenig Anerkennung und Belohnung.

• Verlust der Gemeinschaft: Wir erleben einen Zusammenbruch der Gemeinschaft.

• Mangel an Fairness: Wir werden nicht fair behandelt.

• Wertekonflikt: Wir haben es mit widersprüchlichen Werten zu tun.

Das MBI besteht aus 22 Items, die in folgende 3 Skalen gegliedert sind:

• Emotionale Erschöpfung (Emotional Exhaustion, EE) mit 9 Items

• Depersonalisation (DP) mit 5 Items

• Leistungs(un)zufriedenheit (Personal Accomplishment PA) mit 8 Items Zu diesem MBI gibt es mittlerweile einige Ergänzungen und Neuerungen wie beispielsweise das MBI-HSS in dritter Auflage (Maslach, Jackson & Leiter 1996) oder die MBI General Survey, die für Berufstätige aller Art gedacht ist.

Burisch meint: „Das MBI in der Form HSS hat sich über Jahre als ‚Goldstandard‘ der Burnout-Forschung etabliert; mehr als 90 % der veröffentlichten Studien setzten es ein. Angesichts der … Schwachstellen erstaunt das.“ (Burisch 2006, S. 36)

2. Tedium Measure (TM) von Pines

Diese „Überdruss-Skala“ besteht aus 21 Items, die hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens einzelner Symptome beantwortet werden.

In einer Untersuchung von Burisch schnitt das TM mit einer inneren Konsistenz von 0,94 und einer Validität von 0,76 sehr gut ab. Allerdings bezweifelt er, dass das TM eine ausreichende diskriminative Validität gegenüber Depression, Selbstwertgefühl oder Ängstlichkeit besitzt (Burisch 2006, S. 35).

3. [26]Das Oldenburg Burnout-Inventar OLBI von Ebbinghaus (1986) enthält die Skalen Erschöpfung (8 Items) und Engagement (8 Items).

4. Beanspruchungsscreening bei Humandienstleistungen BHD-System von Hacker, Reinhold, Darm, Hübner & Wollenberger (1995)

Es besteht aus dem BHD-Fragebogen und der Hilfe zur Organisations- und Arbeitsanalyse im Pflegebereich (BHD-Checkliste). Burisch äußert sich dazu folgendermaßen: „Weder Konsistenz- noch Stabilitätskoeffizienten sind sehr beeindruckend.“ (Burisch 2006, S. 37)

5. Hamburger Burnout-Inventar HBI von Burisch

Das HBI ist ein Selbsterkundungsinstrument. Dabei geht es um eine Einschätzung der eigenen Gefährdung, ein Burnout-Syndrom zu erleiden. Es richtet sich an Personen ab dem 17. Lebensjahr. Das HBI wurde in den 1980er- und 1990er-Jahren entwickelt und besteht aus 40 Fragen mit 10 Skalen:

1. Emotionale Erschöpfung: Gefühle von Überlastung und Erschöpfung als Folge der Arbeit.

2. Leistungsunzufriedenheit: Mangel an Zufriedenheit und Stolz auf die eigene Arbeit und Leistung.

3. Distanziertheit: Geringe Anteilnahme an anderen. Reserviertheit im Kontakt.

4. Depressive Reaktion auf emotionale Belastungen: Neigung zu Niedergeschlagenheit als Folge von belastenden Erlebnissen.

5. Hilflosigkeit: Gefühl des Gefangenseins, der Ratlosigkeit, Mutlosigkeit.

6. Innere Leere: Gefühl, abgestorben, leer, unlebendig zu sein.

7. Arbeitsüberdruss: Innerer Widerstand gegen die eigene Arbeit, Unlust, Widerwillen.

8. Unfähigkeit zur Entspannung: Schwierigkeiten beim Abschalten von Arbeitsproblemen, die einen bis in die Freizeit verfolgen.

9. Selbstüberforderung: Neigung zu Perfektionismus und strengen Maßstäben für die eigene Leistung, was selbsterzeugten Stress verursacht.

10. Aggressive Reaktion auf emotionale Belastung: Gereiztheit schon bei unbedeutenden Anlässen.

Die Durchführungsobjektivität kann als hoch angenommen werden, da das HBI ein standardisierter Fragebogen ist. Die durchschnittliche Reliabilität beträgt 0,83 und die durchschnittliche Validität 0,32.

Burisch betont, dass das HBI kein Diagnoseinstrument ist und man bei Verdacht eine zusätzliche Abklärung benötigt. Dies gilt aber unserer Meinung nach für alle hier beschriebenen Fragebögen.

6. [27]Burnout-Screening-Skalen BOSS von Hagemann & Geuenich

Auf der Homepage von Hogrefe (www.testzentrale.de) steht dazu (Jänner 2016):

Einsatzbereich: Jugendliche und Erwachsene von 18 bis 65 Jahren. Verwendung in der Arbeitsmedizin, Psychotherapie und psychosozialen Beratung sowie in der hausärztlichen Versorgung und wissenschaftlichen Gesundheitsforschung. Die Anwendung ist bei Personen in allen Berufsgruppen möglich und ist nicht auf eine bestimmte Berufsgruppe beschränkt. Verfahren: Die Burnout-Screening-Skalen (BOSS) sind Selbstbeurteilungsverfahren, die bei Personen mit Verdacht auf das Vorliegen einer Burnout-Problematik eingesetzt werden. Es stehen drei unabhängig voneinander einsetzbare Fragebögen zur Verfügung (BOSS I, II und III). Die Fragebögen BOSS I und BOSS II beinhalten jeweils 30 Items und dienen der Erfassung von psychischen, physischen und psychosozialen Beschwerden, wie sie typischerweise im Rahmen eines Burnout-Syndroms auftreten. BOSS I beinhaltet vier Skalen, mit denen Beschwerden in den Lebensbereichen Beruf, eigene Person, Familie und Freunde über einen Beurteilungszeitraum von drei Wochen erfasst werden. BOSS II besteht aus drei Skalen (körperliche, kognitive und emotionale Beschwerden) und umfasst einen Beurteilungszeitraum von sieben Tagen. In der 2., überarbeiteten und erweiterten Auflage steht zusätzlich der Fragebogen BOSS III zur Verfügung. Er umfasst 20 Items und dient der Erfassung von Zufriedenheit und Ressourcen in den vier Lebensbereichen Beruf, eigene Person, Familie und Freunde. Der Beurteilungszeitraum des BOSS III beträgt drei Wochen.

7. Burnout-Mobbing-Inventar (BMI) von Satow (2013)

Das BMI misst zuverlässig die chronische Überforderung (Burnout), die chronische Unterforderung (Boreout), Mobbing und die physischen und psychischen Folgeerscheinungen. Es ist für unterschiedliche Berufsgruppen geeignet und umfasst folgende Skalen:

• Burnout (chronische Überforderung)

• Boreout (chronische Unterforderung)

• Mobbing (soziale Ausgrenzung)

• Demotivation

• Psychische und physische Folgesymptome

• Umgang mit Stress (Coping)

Es gibt noch viele weitere Fragebögen zu den verschiedensten Themen wie Gesundheit, Wohlbefinden, Gesundheitsverhalten, gesundheitsförderliche [28]Arbeit, gesundheitliche Ressourcen, Stress bzw. Stressbewältigung und Stressfolgen, Beanspruchung und Burnout.

Die Burnout-Gefährdung kann auch physiologisch mittels der Herzratenvariabilitäts-Messung erhoben werden, bei der der Grad der Belastung erfasst wird. Dazu wurde ein Messverfahren vom Institut für Chrono-Psychologie der Sigmund Freud Universität in Wien entwickelt.

3.3 Verlauf von Burnout

Der Verlauf des Burnouts folgt einer Abwärtsspirale was Energie, Freude, Kraft, Motivation und die Häufigkeit von Sozialkontakten betrifft. Bei der Entwicklung von Burnout handelt es sich oft nicht nur um eine Zunahme von Symptomen, sondern man kann typische motivationale Momente beobachten, die weiter in das Burnout hineintreiben. Freudenberger und North (1992) haben dies sehr schön zusammengetragen und beschreiben folgende Verlaufsform (aus Burn On statt Burn Out 2011, S. 13 f. und von den Autoren ergänzt):

STADIUM 1–3: Eintrittskarte in die Welt der Erfolgreichen

Gerade Menschen mit hoher Leistungsbereitschaft und inhaltlichen Visionen ordnen für die Erreichung ihrer Ziele die eigenen Bedürfnisse unter. Sie leben oftmals mit erheblicher Selbstbeschränkung unter der Devise „ohne Fleiß, kein Preis“.

Stadium 1: Der Zwang, sich zu beweisen …

Der Wechsel vom Wunsch, etwas zu leisten, zum Zwang, sich zu beweisen, ist die gefährliche Eintrittspforte in die Abwärtsspirale. Kritisch sind verbissene Entschlossenheit und Dauerspannung im Sinne eines „Turboantriebs“, um den eigenen Ansprüchen genügen zu können. Hier sieht man, dass der Betroffene selbst an der Entwicklung seines Burnouts beteiligt ist.

Stadium 2: Verstärkter Einsatz … wenn der Zwang zum Druck wird

Schlechtes Gewissen, überzogenes Verantwortungsgefühl und das andauernde massive Gefühl der Dringlichkeit der Aufgaben führen zu einem steigenden Druck auf sich selbst und zu maximaler Motivierung: „Das MUSS jetzt sein“, „Es geht nicht anders“.

Hier meint die betreffende Person, möglichst alles selbst machen zu müssen und nicht delegieren zu können. Sie macht Überstunden, weil sie ihr [29]Arbeitsvolumen ansonsten nicht mehr bewältigen kann. Dies sind in der Regel sehr beliebte Mitarbeiter. Hier ist als Führungskraft Vorsicht geboten, damit sie sich nicht mitverantwortlich macht, wenn ein Mitarbeiter in ein Burnout kommt. So wäre in diesem Fall ein Gespräch der Führungskraft mit ihrem Mitarbeiter ratsam, bei dem sie ihre Sorge ausdrückt und versucht, zu ermitteln, welchen Ausgleich der Mitarbeiter hat bzw. haben könnte.

Abb. 4: Stadienmodell nach Freudenberger/North

Stadium 3: Subtile Vernachlässigung eigener Bedürfnisse

Aufmerksamkeit und Sensibilität für sich selbst verlieren zunehmend an Bedeutung. Stattdessen ist man immer starrer auf die Aufgabe fixiert. Erste Erschöpfungsgefühle treten auf, bisweilen auch schon Fehlleistungen und Vergesslichkeit.

Dieses Stadium ist u. a. dadurch erkennbar, dass Betroffene weniger oder kürzere Pausen und Urlaube machen, nicht mehr so viel Freude empfinden und ständig erreichbar sind. Hier ist es sinnvoll, kritisch zu hinterfragen, warum man selbst bzw. der Mitarbeiter ständig erreichbar sein muss, nicht delegieren kann und was ihn dabei bewegt. Er sollte sensibilisiert werden, auf sich zu schauen und zu erkennen, was dieses Verhalten mit ihm macht und wohin es führen kann. Weiters ist es ratsam, die Ängste zu bearbeiten, die dahinter stecken, dass er nicht delegieren kann und glaubt, immer erreichbar sein zu müssen.

[30]In diesem Stadium werden die Menschen bei der Arbeit und in ihren Freizeitaktivitäten hektischer. Dies zeigt sich unter anderem in der Esskultur (schneller essen, Fast Food) und darin, dass sie keine Zeit zum Genießen haben. Generell herrscht mehr „Action“.

Ab diesem Stadium nehmen Schlafstörungen, Krankheitsanfälligkeit und Substanzmissbrauch zu.

STADIUM 4–6: Jetzt wird’s eng

In diesen Stadien entscheidet sich, ob eine Person in ein manifestes Burnout geraten wird oder nicht. Die Stadien 1–3 sind fast als kulturspezifischer Hintergrund unserer Lebens- und Arbeitswelt anzusehen. Geht jedoch der Prozess weiter, so gerät die betroffene Person immer mehr auf den Weg der Selbstverleugnung und Entfremdung von sich. Die innere Beziehung, das Verbundenbleiben mit sich geht verloren. Der betroffene Mensch steht hier gleichsam an einer Weggabelung: führt die Lebens-/Arbeitsüberlastung zu einem passiven „Nicht-auskommen-Können“ oder wird der aktive, notwendige Weg der Veränderung gewählt?

Stadium 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen

Probleme und Konflikte werden aufgeschoben, da dem Betroffenen keine Zeit dafür bleibt. Das kann mit einem drastischen Bild verglichen werden: Wenn man den Müll nicht wegbringt, fängt er an zu stinken. Ähnlich ist es mit den seelischen Problemen – sie erzeugen einen Druck, wodurch die psychische Belastung zunimmt. So sollte man beispielsweise schon längst mit dem Partner reden, hat aber keine Zeit und Kraft dazu.

Die Verleugnung wird manifest: Rationalisierungen, Verdrängung sowie Verschiebung von Konflikten und Ersatzbefriedigungen (Essen, Rauchen, Shopping) werden eingesetzt, chronische Müdigkeit untermalt das Bild, körperliche Einbrüche (vom Körper erzwungene Auszeiten) treten auf. Durch die Verdrängung von Konflikten erfolgt ein Zurückbleiben des seelischen und geistigen Wachstums, denn Konflikte bewirken auch eine kritische Sichtweise von sich selbst und geben oft einen Anstoß zu Veränderungen.

Stadium 5: Umdeutung von Werten

Zwischenmenschliches verliert an Wert, emotionale Werte haben keine Bedeutung mehr, stattdessen tritt zunehmende Verhärtung ein. Berechnung, übertriebenes Kontrollbedürfnis, ein Gefühl der Verwirrung und Entwertung sozialer Kontakte folgen. Die Autoren sehen hier aber nicht eine Umdeutung der Werte, sondern eine Verschiebung der Werte aufgrund von[31] verdrängten Konflikten, vernachlässigten Bedürfnissen und Isolierung. So hat die Arbeit weiterhin einen hohen Wert, aber Kunst, Religiosität oder Beziehungen verlieren zunehmend an Bedeutung.

In diesem Stadium nimmt die Empathie ab, da man schon so besetzt ist vom Eigenen. Die Betroffenen zeigen nicht wirkliches Interesse und befinden sich in einer „paraexistentiellen“ Lebenshaltung (Furnica 1998). Paraexistentiell bedeutet, dass das Leben wie sinnorientiert aussieht, es aber nicht ist. „Para“ bedeutet „neben“ – man ist „daneben“. Statt dialogisch eingebunden zu sein, werden die eigenen Ziele und Vorhaben um jeden Preis und rücksichtslos verfolgt. „Para“ heißt diese Haltung deshalb, weil ein Zweck und nicht ein Sinn verfolgt wird. Existentiell steht man daher neben dem Leben, das deshalb inhaltlich leer ist.

Stadium 6: Verstärkte Verleugnung der aufgetretenen Probleme

Die Spirale der Verleugnung wird enger: Härte gegen sich und andere, Bitterkeit und Enttäuschung gegenüber der Umgebung, Zynismus, Intoleranz, Entwicklung eines starren, eingeengten Denkens und zunehmende Isolierung von der Umwelt herrschen vor.

Die Probleme werden nicht angegangen, weil die Menschen schon zu sehr beansprucht sind. Meist ist in diesem Stadium noch keine Einsicht da bzw. die Betroffenen sind der Ansicht, dass es jetzt noch nicht möglich sei, die Probleme anzugehen. In diesem Stadium erfolgt ein Verlust des Zugangs der Personen zu ihrer inneren Welt. Deshalb sehen sie nicht, wie es ihnen eigentlich geht und dass sich ihre Probleme schon bedrohlich verschärft haben.

Bei der Beratungs- oder Psychotherapiearbeit mit Menschen in diesem Stadium ist eine verstehende Haltung wichtig, eine, die davon ausgeht, dass es einen Grund hat, wenn sie unzugänglich sind (sie müssen sich schützen, denn die Offenheit könnte ihnen zu viel nehmen). Daher sollten zunächst alternative Verhaltensweisen überlegt werden, damit die Personen dann später darauf aufbauen können.

STADIUM 7–12: Wer einmal auf die schiefe Bahn kommt, wird immer schneller

Burnout als Regulationskrankheit des GANZEN Menschen in seiner sozialen Welt und Arbeitsumwelt bedeutet ein Missverhältnis zwischen erlebten Anforderungen der Lebens-/Arbeitsumwelt und den Möglichkeiten und Fähigkeiten des Menschen, diese zu erfüllen. Die Stadien 7–12 sind mit der Situation eines Seiltänzers mit Gleichgewichtsstörungen zu vergleichen, der[32] unbeirrbar und jede Warnung in den Wind schlagend dahinschlingert, um letztendlich durch das Schwinden seiner Kräfte abzustürzen.

Stadium 7: Rückzug

Die Isolation nimmt zu: Kontakte werden aktiv gemieden, eine Rückwendung nach innen erfolgt. Das Auftreten von eigenbrötlerischem Verhalten, emotionale Verflachung, Abstumpfung (Fühllosigkeit), Fluchtmechanismen (TV) und der Griff zu falschen „Therapien“ (Medikamentenmissbrauch, Alkohol) gehen mit diesem Stadium einher. Es kommt zu Hoffnungslosigkeit und Resignation. Auch kann man einen Orientierungsverlust beobachten – die Menschen „krallen“ sich an das, an dem sie gerade dran sind. Ihre Tätigkeit erscheint ihnen schon längst als sinnlos, deshalb verrichten sie ihren Dienst nun nach Vorschrift.

Hält dieser Zustand länger an, führt er zu Verbitterung. Durch den Rückzug und die zunehmende Isolation sind die Betroffenen auch nicht mehr zugänglich für Kritik. Im Erklärungsversuch sind paranoide Züge erkennbar: Die Menschen meinen beispielsweise, man tue ihnen alles zuleide oder man mobbe sie heimlich.

Von diesem Zustand wird das ganze Leben erfasst, auch die Privatsphäre. In einer Studie wurde gefunden, dass bei einem Burnout auch das Privatleben keine Kompensation mehr bieten kann (Karazman 1994; Karazman & Morawetz 1996).

Stadium 8: Beobachtbare Verhaltensänderung … wenn nur noch Abschottung geht

Die Verhaltensänderung wird für jeden auffällig: Eine paranoide Weltsicht beginnt sich zu etablieren, massive Mechanismen, sich unerreichbar zu machen (z. B. Telefon wird abgeschaltet), Ausreden und Ausflüchte dominieren.

In diesem Stadium werden aus den ursprünglich Tüchtigen ängstliche, gereizte Menschen. Man sieht Vermeidungsverhalten, Aggressionen, Intoleranz und Nörgeln. Die Betroffenen machen häufig Fehler oder haben vermehrt Unfälle. Es ist das Vollbild der Neurasthenie (Nervenschwäche) erkennbar.

Stadium 9: Depersonalisation/Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit