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Eine Kulturgeschichte der Liebe en miniature! Dieses Buch ist ein Ratgeber für Körperkultur, Sittengeschichte, Sex und Liebe aus dem Jahre 1913. Der Verfasser, Robert Heymann, versucht darin, anhand von kulturgeschichtlichen Beispielen, dem Leser die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen verständlich zu machen. Was ist Liebe? Wie erobert man eine Frau? Welche Rolle spielt die Sünde? All das und vieles mehr erfahren die Leserinnen und Leser.-
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Seitenzahl: 214
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Robert Heymann
Saga
Lehrbuch der Liebe. Ein galantes Brevier für Damen und HerrenCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1913, 2020 Robert Heymann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726416398
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Unter vielen anderen Autoren:
Milton,
Das verlorene Paradies.
Casanova,
Memoiren.
Chevalier de Faublas,
Abenteuer.
Napoleon,
Lebensgeschichte (P. M. Laurent).
Peter Hille,
Aus dem Heiligtum der Schönheit, Sanskrit.
M. v. Kaisenberg,
Bonaparte, Geschichte einer Liebe.
Schopenhauer,
Die Welt als Wille und Vorstellung.
P. Schönthan,
Der Kuss.
Giov. Boccaccio,
Irrgarten der Liebe.
G. Keben,
Geschlechtswaffen i. d. Liebe u. d. Moral.
Otto Böhtlinks,
Indische Sprüche.
Schiller,
Briefe an Reinwald.
Georg Simmel,
Goethes Liebe i. d. Frankf. Ztg., 21. Juli 12.
Shakespeare.
Gräfin Hahn-Hahn,
Die Gesellschaft.
Bülau,
Geheime Geschichten.
A. de Musset,
Von was die jungen Mädchen träumen.
Wedekind,
Pirschgang.
Enderling,
Japanische Gedichte u. Novellen.
George Sand,
Consuelo.
Bhartriharis,
Sprüche. (P. v. Bohlen).
Mantegazza,
Hygiene der Liebe.
Mad. de Hausset,
Memoiren (Pompadour).
Remy de Gourmont,
Ein jungfräuliches Herz.
Hans Heinrich Ehrlen,
Die schöne Frau. (Propyläen, 31. Mai 12.)
Karin Michaelis,
Das gefährliche Alter.
Maria Baschkirtseff,
Tagebuch, Briefwechsel usw.
Tolstoi,
Macht der Finsternis.
Ibsen,
Frau vom Meer.
Maurus Jokai,
Narren der Liebe.
Heinrich Heine,
Memoiren, Neue Gedichte.
Tagebuch einer Dame.
Gustav Flaubert,
Madame Bovary.
Guy de Maupassant,
Pariser Abenteuer, Ein Erwachen, Verrückt.
Marcel Prevost,
Erblich belastet.
Dufour,
Geschichte der Prostitution.
R. Heymann,
Isis, Blätter aus der Vergangenheit. — Liebe, Scham und Sünde.
K. I. Weber,
Demokritos, das Weib.
Immermann,
Briefe.
Theodor Storm,
Gedichte.
Naumann,
Blutarmut (Berliner Tagebl.).
Pöllnitz,
Das galante Sachsen.
Abälard u.
Heloise, Briefwechsel.
Hippel,
Ueber die Ehe.
Tibull,
Elegien.
I. Ch. Günther,
Gedichte.
Walther von der Vogelweide,
Minnelieder.
Apulejus,
Amor und Psyche usw.
Ovid,
Liebeskunst usw.
Goethe,
Briefe an Frau Charlotte v. Stein, Urfaust.
Michelet,
Die Frau, Die Liebe.
Honoré de Balzac,
Memoiren zweier junger Frauen, Honorine, Chagrin usw.
Ninon de Lenclos,
Briefe an den Marquis de Sevigné.
Saeger, Von der Liebe,
den Frauen u. der Galanterie.
Lola Montez,
Memoiren.
Nietzsche,
Jenseits von gut und böse.
Eugen Sue,
Geheimnisse von Paris.
Maeterlink,
Aglavaine u. Selysette, Schwester Beatrix.
Heinrich Mann,
Das Wunderbare, Das Genie.
Puschkin,
Gedichte.
Abraham a Santa Clara,
Merk’s, Wien!
Properz,
Elegien usw.
Juvenal,
Satiren usw.
Cagliostro,
Magische Operationen usw. (W. Ansorge.).
Yvette Guilbert
(in „Das Aeussere“).
Das galante Frankreich
(Landsberg).
Voss, Heinrich,
der Jüngere, Goethe und Schiller in Briefen.
Gebrüder Grimm,
Märchen.
Deutscher Weltkalender,
F. W. Gubitz (1843).
Der Curieusen Kunst u. Schul erster Teil (1696).
Hohenhausen,
Berühmte Liebespaare.
Van de Velde,
Amo.
Emile Verhaeren,
Hymnen an das Leben.
Oscar Wilde,
Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading.
Joan Baptiste Gomez,
Nova Castro.
Brantôme.
Béranger,
Lieder.
Ellen Key.
*
Lin Lehrbuch der Liebe kann und darf kein doktrinäres Gelehrtenbuch sein. Frisch, pulsierend, impulsiv und spontan soll es wirken. Darum möge der Leser keinen allzu kritischen Massstab an die Form, wohl aber an das Wort legen. Es soll lebendig sein. Die Liebe ist stark genug, tote Stimmen zum Leben zu wecken. Nie war eine Wahrheit eindringlicher als in der Liebe. Denn sie bleibt ewig gleich. Ihre Gesetze von gestern sind die Gewohnheiten von heute. Ihre Schwächen zu Babylon sind im 20. Jahrhundert so modern wie unter dem Sonnenkönig beliebt. Und August der Starke ist nicht tot, sondern nur in Verbannung. Ninon redet in allen Salons von Berlin W. mit beredten Zungen. Doch man missversteht sie. Hundert Maintenons der Neuzeit gehen auf ein Lot Liebe, und das Fräulein Poisson von gestern würde heute unter dem Pseudonym der „Pompadour“ ihre Romane schreiben, aber nicht erleben.
Solche Romane sind blutleer, und eine solche Kultur der Liebe geht an Entkräftung zugrunde. Ich habe weder die Absicht, eine Sittengeschichte zu schreiben, noch, steht mir der Sinn nach einem Roman im Stile des Petronius. Ich lasse die Geschichte sprechen. Ich rufe die Zeugenschaft der Zeit an. Und ich lasse zuguterletzt Venus selbst vor das Tribunal der Gegenwart laden, wo so viele öde Paragraphen zu Gericht sitzen über Sünden, die gar nicht existieren. — —
Ich habe mich, kurz gesagt, bemüht, eine geschickte Zusammenstellung der bedeutendsten Zeugen für eine Kulturgeschichte en miniature zu treffen, die ein Lehrbuch der Liebe ist. Und ich bin bestrebt, sie unter dem Signum einer Sehnsucht, die ich mit ungezählten dürstenden Menschen teile, zu einer modernen Weltanschauung zu gestalten.
Der Autor.
Durch die Welt geht ein Sehnen wie ein gewaltiges Atemholen. Dürr, des On Goldschmucks aller Illusionen beraubt, steht den modernen Menschen der Park des Lebens, und die murmelnden Quellen ihrer Freuden sind versiegt. Oede liegen die Gärten der Schönheit, und düsterer denn je wächst aus dem eintönigen Grau des Pessimismus die Gestalt des Todes, der als hässliche Vorstellung durch unsere farbloser Tage schreitet.
Das kam so durch die Zeit der Technik und gewaltigen Erfindungen. Da der Menschengeist sich Beherrscher aller Elemente dünkt, hat er den Glauben an die Natur und an die Freude verloren. Lasst mich alle graue Theorie dieses Lebens, wie Ihr es zu Tausenden lebt, dahin zusammenfassen:
Ihr habt verlernt, zu lieben! Ihr greift zu Dutzenden von entnervenden Giften, doch den Becher der Lust, den das Leben Euch auf allen Wegen liebreich und verschwenderisch kredenzt, verschmäht Ihr!
Diesen Becher der Schönheit findet Ihr schal und ohne Reiz. Lasst mich singen, wie die Vielgeliebtesten das Leben schauten.
Als Dichter will ich Euch schauen lehren. Meine Philosophie ist so einfach, dass alle Weisheit darüber verstummen soll: Ich will Euch die Liebe lehren!
Ihr sollt mit mir schreiten durch die Wüsten Eures Lebens. Ich will aus dem Sande Eurer Weltanschauung Oasen der Schönheit zaubern. Ich will den Olymp zum Zeugen mrufen; die Schatten des goldenen Baalbek will ich zu neuem Leben erwecken; ich will Alkibiades, den Casanova der Antike, ich will Aspasia, Lais und Phryne zur Auferstehung rufen. Das Blut soll reden. Fredegunde, die Frankin, soll den Hass, Heloise die unsterbliche Liebe predigen. Das galante Jahrhundert soll marschieren, die Fahnenträger der Lust, Brantome, Beaumarchais, der Regent der Orleans, Richelieu und der fünfzehnte Ludwig an der Spitze! Cagliostro, der Spassmacher, soll die Revolution der Liebe einläuten, und die Pompadour möge als geschäftige Marketenderin des Eros mit verzuderten kleiner Herzen im Hirschpark hausieren gehen.
Eine Hexengeschichte der Liebe will ich schreiben. Eine Sinfonie der Lust, eine Historie der Seligkeit.
An die Pforten Eurer Sehnsüchte will ich klopfen; ich bin gewiss, sie werden mir aufgetan. Mögen die Geister, die ich eintreten lasse, an Eurem Blutstrom noch einmal lebendig werden und die Welt befruchten!
Die Liebe spricht:
„Ich bin die Natur, die Mutter des Alls, die Herrin aller Elemente, der Anfang der Zeit, die Fürstin der Götter, die Königin der Toten, die allererste Bewohnerin des Himmels, das gleichmässige Bild der Götter und Göttinnen. Ich bin die einzige Göttin, die in der ganzen Welt verehrt wird, unter vielen Formen, mit mannigfachen Bräuchen, unter verschiedensten Namen. Die Phönizier nennen mich Mutter der Götter, Venus von Paphos die Kyprer . . . .”
*
Damals, als Apulejus also schrieb, zuckten die Opferflammen in allen Landen auf zu Ehren der Liebe.
Seither sind Jahrtausende vorübergerauscht. Die Liebe ist eine andere geworden, als sie gewesen ist.
Denn auch die Liebe wandelt sich mit den Zeiten, den Menschen, den Dingen.
Darum ist es Torheit, wenn Autoren versuchen, auf die Sittengeschichte der Alten die neue aufzupflanzen, sich wundern, wenn dies Reis nicht gedeiht.
Es gibt eine alte chaldäische Sage, uralt; aber noch heute glaubt man das lebendige Blut durch die herrlichen Gestalten von Erech rinnen zu hören.
Istar, die Göttin der Liebe, hatte ihr Herz dem Gotte Dumuzi geschenkt, dessen Antlitz wie die Sonne leuchtete und dessen Mut der Schrecken aller Götter war, in deren Rate er sass.
Dumuzi aber, der Grosse, starb, und Istar blieb als strahlende Witwe allein zurück in der blühenden Ebene zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris, wo die Erde nicht schnell genug zu zeugen vermag unter dem Drange ihrer Fruchtbarkeit.
Istar, fürwahr, war das schönste Weib unter den Strahlen der babylonischen Sonne. Ihr Haar glich an Farbe den kleinen, roten Körpern, welche die Sklaven aus den Bergen Zagros gruben, ihre Augen brannten purpurn wie die Sterne nächtlich im Schaume der Euphratwellen, ihr Leib blühte wie die Samenfäden in den Kelchen der syrischen Lotos, und auf ihrer Stirne leuchtete der Schmelz ewiger Jugend.
Da zog ein fremder König, der von dem Reichtum ihres Landes und der Schönheit ihres Leibes Kunde erhalten hatte, gen Babylonien. Dieser König hiess Zumbaba und war Herr der Elamiter, welche nahe dem grossen Meere wohnten.
In ihrer Not sandte Istar Boten zu dem Gotte Gischdubarra, dem gewaltigsten Recken der Erde, der mit der blossen Faust die stärksten Löwen erlegte und die mutigsten Helden an Kühnheit übertraf.
Und Gischdubarra drang in das Lager der Elamiter und schlug die Fremdlinge in die Flucht, den König Zumbaba aber tötete er mit eigener Hand. . . .
Als Gischdubarra, der langlockige Sieger, in Babylon einzog, da jauchzte das Volk, und Istar stieg erglühend die Stufen ihres goldenen Thrones herab, also zu dem Jünglinge sprechend: ,,Sei gegrüsst durch Wort und Berührung, gewaltiger Recke! Ich will Dich zum Gemahl nehmen und Du sollst herrschen über die Liebe und ihr endloses Reich.“
Und siehe, der Held mass die Zaubergöttin mit höhnischen Blicken und entgegnete also:
„Nimmermehr, o Königin! Deine Krone leuchtet in Falschheit, Dein Auge sprüht Verrat und Dein Reich ist wertlos durch Deinen Wankelmut.
Deine Liebkosungen haben Dumuzi getötet.
Soll ich Dir in Erinnerung rufen, wie verhängnisvoll Deine Liebe wurde für alle, die sich mit Dir vereinigten?
Du hattest einen Adler lieb, der so stark war, dass er gegen die Stürme fliegen konnte. Deine Hand, die seine Liebkosungen gewohnt war, schlug ihn und brach seine Schwingen.
Du liebtest einen prächtigen Löwen, wie nie ein mächtigerer die Wüste beherrschte. Du raubtest ihm seine Klauen, weil Dir seine Schwäche Vergnügen bereitete.
Du besassest ein Lieblingsross, das die Stunden im Laufe überholte. Du hast die Quelle, daraus es trank, vergiftet.
Und nun steht Gischbubarra vor Dir, der Zumbaba getötet und Deine Feinde vertrieben, und Du willst ihn Deine Liebe kosten lassen und ihn dann verderben.
Denn solcher Art sind Deine Werke. . . . Ich aber verachte Dich und trotze Dir und verweise Dich des Landes, auf dass es sich ewigen Friedens erfreue.“
Und unter dem Jubel des Volkes bestieg Gischdubarra den Thron Babylons, indes Istar von dannen eilte.
Auf der Höhe der Stadtmauern hob sich ihr goldleuchtender. Leib von den weissen Wolken des Himmels ab, als sie drohend den Arm erhob und einen greulichen Fluch sprach über den, der stärker sein wollte als die Liebe. —
Auf Erden aber merkte man gar bald, dass Istar die Welt verlassen hatte.
Die Blumen verloren Duft und Farbe, der Gesang der Vögel verwandelte sich in ein unangenehmes Krächzen, die Menschen wurden träge und feige, die Tiere schlichen unmutig und müde durch die Wälder.
Denn mit der Liebe war alle Lust verschwunden.
Nirgends auf Erden ertönte mehr das Klirren der Waffen, kein junges Weib beugte sich mehr dem Geliebten, kein Schwert trank mehr das Blut dessen, den die Liebe bevorzugt hatte, keinen ersterbenden Seufzer trugen die Winde aus fernen Landen mehr in die Gefilde Babylons, keine Wettspiele lockten mehr die Jünglinge zur Entfaltung ihrer Kräfte. Nirgends war Freude, nirgends war Stolz.
Gischdubarra aber ging bleich die Marmortreppen des Tempels empor und betete zu den Göttern, ihm Istar wieder zu schenken. Denn Krankheit wühlte in seinem Leibe, und er hatte eingesehen, dass der stärkste Held nicht ohne die Grausamkeit der Liebe zu leben vermag.
Die Götter aber fürchteten für die Menschheit und führten Istar aus dem Hause der ewigen Finsternis zurück auf die Erde.
An einem glühenden Sommertage fuhr sie auf einem goldenen Wagen, gezogen von zwölf Löwen, durch die Strassen von Babylon, und Gischdubarra warf seinen Leib vor die Räder, ihre Glieder zu küssen.
Istar aber fuhr über ihn hinweg unter dem Jubel des Volkes. Und sie stieg die weissen Stufen ihres Palastes empor, und wie sie von der höchsten Zinne aus die Arme über die Erde breitete, dass ihre Brüste zwei glühende Sonnen schienen, da begannen die Vögel zu zwitschern und die Quellen zu rauschen, wilde Musik erfüllte die Herzen der Menschen und heisses Blut färbte den weissen Schaum der Wellen des Euphrat.
Denn die Tiere waren wieder lebendig geworden zur Wildheit, spitze Dolche tranken das Blut des Hasses, und in den Landen der Feinde starben die Männer für den Namen ihrer Königin.
Auf der Stadtmauer zu Babylon aber stand Istar und lächelte.
Und ihr Lächeln ward die Sonne vieler Jahrtausende. — —
*
Es gibt heute so viele Gischdubarras, die die Liebe aus dem Lande weisen wollen.
Es gibt so viele, die die Liebe nicht verstehen.
Wir klammern uns an das goldschimmernde „Evoe“ der Alten, das wie eine Fanfare aus fremden, herrlichen Ländern in unsere Zeit klingt. Und doch ist dieses Evoe tot, keine Sehnsucht mehr im Stande, es zu neuem Leben zu erwecken.
Gnädige Frau! Ich tadelte Sie, weil Sie schrieben, Sie liebten die Sensation in der Liebe. Und heute suchen Sie mir zu erklären, Sensation sei Ihnen Evoe!
Evoe ist aber keine Sensation! Evoe ist ein Evangelium, ein Glaube, eine Weltanschauung. Ein Thermometer der Menschlichkeit, meinetwegen. Sensation ist Steigerung der Unnatur. Evoe ist das Normalste vom Natürlichsten.
Aber ich glaube nicht daran. Nicht an das Evoe von heute und nicht an das, welches Sie mir als Liebesgruss senden, den Sünder in venere zu bekehren, den Tannhäuser, der als armseliger Philosoph zwischen Rom und dem Hörselberg sitzt.
Ach, die Glocken von Rom! Gnädige Frau, warum hat der Hörselberg keine solchen Glocken, keine Jungfrauen in weissen, fliessenden Gewanden, keine Klostergänge und kein heiliges Ave? Ich glaube nicht an das Evoe.
Können Sie sich vorstellen, gnädige Frau, dass Alkibiades am barbarischen Pontus hellenische Kultur hätte treiben können? Wo blieb Ovids augusteische Lebenskraft am Schwarzen Meer? Haben Sie seine Klagelieder gelesen, diese Seufzer einer verpflanzten Seele, diese orgiastischen Flüche eines Verdammten? Und wissen Sie nicht, gnädige Frau, dass wir am Pontus wohnen und das Schwarze Meer der Quell ist, aus dem wir unsere Kultur schöpfen?
Wo ist das Meer, an dem Phryne, die grosse Courtisane, sich nackt zeigte, dass ein Griechenvolk erschauernd im Sande betete und wie ein Mund begeistert schrie: Evoe — — ja, wo ist solch ein Meer? Wo sind die Liebestafeln der Akropolis?
An den Frauentürmen? Auf der Siegessäule im Tiergarten? Wo ist der Altar, den Kinyras der Schaumgeborenen gestiftet hat? In der Odeonbar? Im Metropol — Palais de Danse?
Wo ist Ra, der Griechengott, der auf goldener Barke durch die Fluten des Himmels gesegelt ist?
Wo ist die Zeit, da Anakreon und Juvenal die Aphrodite in Versen, Phydias und Praxiteles in Marmor verewigten, ohne konfisziert zu werden? (Doch das wäre nicht das Schlimmste. Aber wann wäre es in Griechenland Jemandem eingefallen, Sachverständige über die Grenzen des Anstössigen zu vernehmen? Gibt es einen Verstand, der diese Diskussionsfrage deutscher Sittlichkeitsvereine zu beurteilen vermag? Ist das nicht eine Frage des Zeit- und Volksgefühls?) Wo ist die Zeit, da Lucian seine gottlosen Göttergespräche schrieb, ohne nach Stadelheim oder Plötzensee zu wandern (mindestens „wegen groben Unfugs, begangen durch die Presse“, Höchststrafe sechs Wochen)?
Wo ist Glycera? Wo atmet eine Courtisane solchen Stils, die ein Horaz geliebt hat? Wo ist ein Weib solcher Art, an der Tibull gestorben ist? Wo ist die Wunderbare, mit der Properz den Sarg zu teilen wünschte? (Und mo, sagen Sie mir, gnädige Frau — — Evoe! — — wo ist der Friedhof, wo die geschätzte Geistlichkeit einen erotischen Dichter und eine Dirne in ein Grab zusammen legen würde? Wo ist die Behörde, die gleichfalls schätzbare, die das dulden möchte? Und wo sind die Jünger Abälards, die daran kein Aergernis nähmen?)
Verstehen Sie mich recht, gnädige Frau: Ihr Evoe hat mir weh getan. Das war ein Schrei aus toter Zeit, der ein heisses Echo in mir weckte. Nicht, dass ich Sie unterschätze. Ich weiss, Sie zittern in dem Sinnefluss Hellas, Sie dürsten dem perikleischen Zeitalter nach und haben den sinnlichen Ehrgeiz, Aspasia zu sein — — aber: wo?
Die Frage reisst die Verschalung von dem Misthaufen unserer Liebeskultur.
Wir suchen beide die Schönheit. Ach, wie würde ich es bedauern, wenn aus unserer Idylle im Namen des Eros Pornographie entstünde! Wie würde ich das bedauern!
Seit zweitausend Jahren ist die Freiheit der Liebe (nicht die „freie Liebe“ — schmutzverzerrtes Wort! — —) tot, leblos, und nur Ahasverus und Ahasvera ziehen heimatlos durch Wüsteneien. Glauben Sie im Ernst, liebe Frau, dass das Reichstagsgebäude in Berlin die Akropolis vortäuschen könnte, und dass es zu übersehen sei, dass Sie Gummischuhe aus Russland tragen, weil dieser Himmel ein ewiges Putzschaff ist, aus dem göttliche Mägde schöpfen, um den Olymp mit antiseptischen Mitteln zu reinigen?
Gibt es eine Illusion, die stark genug wäre, zwei Jahrtausende zurückzuschrauben?
Evoe! Nein, das ist kein Lebens- und Glaubensbekenntnis mehr für uns. Das Christentum und die Revolution — — die Inquisition und Maria Magdalena — — Himmel, diese Dinge sind nicht spurlos, an uns vorübergegangen.
Wir haben eine andere Sehnsucht als sie Alten, und das Kreuz auf Golgatha sendet seine Strahlen über alle Teile der Erde und pflanzt den Gram des Gottsuchers in die Herzen der verstocktesten Atheisten, sie wissen es nur nicht.
Wir haben eine andere Sehnsucht, gnädige Frau, als die, welche Evoe riefen, wenn Phryne nackt aus dem Meere stieg. Dagegen nützt alle Kraft des Leibes und der Seele nicht, und aller Mut zur Sünde nicht, von dem Sie mir schrieben.
Aber haben Sie schon bedacht, wie deplaciert es ist, von dem „Mut zur Sünde“ zu reden? Haben Sie das schon bedacht?
Glauben Sie, dass Aspasia, wenn sie Perikles mit Evoe begrüsste, den Mut zur Sünde hatte?
Dass sie wusste, was Sünde war?
Sie wissen es, sonst würden Sie nicht davon sprechen. Dann aber können Sie unmöglich wissen, was in dem „Evoe!“, liegt, denn dieses und Sünde sind wie Feuer und Wasser.
Ach, liebe Frau, Sie sind auch nur Lats nach zweitausend Jahren Inkarnation — — und Sie suchen die Liebe.
Sprechen Sie nicht von Sünde, gnädige Frau, und rufen Sie mir nimmer Evoe.
Ich kenne die Liebe nicht, Sie kennen die Liebe nicht. Aber wir suchen sie. Und wer weiss, ob wir sie, die wir reinen Herzens sind, nicht endlich finden?
Wer weiss?
Denn nimmer würde ich zu behaupten wagen, ich kenne die Liebe. Das vermögen nur die sexuellen Hochstapler, arme Narren, die Surrogate schlürfen und denen Sie, gnädige Frau, mit dem Mut zur Sünde mächtig imponieren würden.
*
Unsere Liebe ist eine Illusion. Eine bis zu einem gewissen Grade reale Illusion, doch nimmer ein sicher festzustellender Wert. Denn nur, was sie dem Einzelnen darstellt, ist Liebe. Was sie der Gesamtheit ist, lässt sich nimmer mit einem Begriff abtun. Man müsste sonst die Liebe in hunderttausend Einheiten, gute und schlechte, logische und sinnlose, konsequente und immer wechselnde, zerlegen.
Das Paradies hat auch nicht zwischen Euphrat und Tigris gelegen, und kein Erzengel hat uns daraus vertrieben. Der Garten Eden und die Erbsünde sind in uns selbst begründet.
— — — — — — — — — — — — — —
„Jeder Mensch ist ein Adam, und jeder wird einmal aus dem Paradiese — — der warmen Gefühle — vertrieben.“
Goethe.
„In unseren Tagen nun ist man mit Nachdruck auf die Fragen der Liebe zurückgekommen. Geniale Schriftsteller haben sie teils in unsterblichen Romanen, teils in schematischer, beredter, scharfer und strenger Form mächtig angeregt. Die Diskussion dauert fort, ohne dass man weiss, dass sie sich um mehr als einen Punkt dreht, den die höchste Autorität, die der Tatsachen, für immer entschieden hat. Die Liebe ist keine Krisis, kein Drama, sondern ein Spos. Wäre sie nur das eine oder andere, so verlohnte sich ein so flüchtiges Ereignis kaum der Aufmerksamkeit. Wenn man die Liebe eine Krisis nennt, so kann man die Loire auch eine Ueberschwemmung nennen.
Wo die Liebe stetig und mächtig ist, da ist alles stark, solid und fruchtbar.“
Michelet.
Warum aber haben ungezählte Schriftsteller ihren Hass, ihren kritisden Witz oder gar ihre Verachtung über diese Liebe gegossen, die die höchste Stelle im Menschenleben einnimmt und heute noch die Weltgeschichte beherrscht?
Paris entführte eine Königin — — was heutzutage die Kabinette kaum mehr in sonderliche Erregung setzen würde — — und hat dadurch einen der blutigsten Kämpfe der grauen Vorzeit heraufbeschworen. Dass er später einem gewissen Offenbach den Text zur „Schönen Helena“ geliefert hat, möge den Zorn der Nachwelt über den unkriegerischen Don Juan des alten Troja mildern.
Um die Mitte des 9. Jahrhunderts wurde ganz Franken durch Waffenlärm erschüttert. Papst Nikolaus I. schleuderte den Bannfluch gegen den König von Lothringen — — eines Weibes wegen, das Waltraute hiess. Und zu einer Zeit, da der Kardinal Mazarin hinreichend durch die äussere Politik beschäftigt war, fand man am Pariser Hofe Zeit, sich eines „Damenkrieges“ anzunehmen, der zwischen den schönen Herzoginnen von Longueville und Montbazon um der Liebe willen entbrannt war. Die Königin Anna von Westerreich entschied zu Gunsten der Herzogin von Longueville, und Coligny trat darauf für die Herzogin von Montbazon in die Schranken, während die Gegnerin Guise zum Ritter ihrer Ehre erkor. Coligny fiel, die Skuderi schrieb einen Roman darüber, ganz Paris sang Gassenhauer über eine Geschichte, die nichts weiter war als ein Liebesstreit zweier Damen.“ — Als die Kronprinzessin von Sachsen mit einem gewissen Giron Heimlich den Dresdner Hof verliess, da wurden die Botschafter halb Europas alarmiert, wenn auch nur zu einem blinden Lärm. Das Schicksal der Frau Toselli hält heute noch die Welt in Atem, und doch handelt es sich nur um eine Frau, die liebte und geliebt worden ist. Larochefaucould würde vielleicht im Hinblick auf die Begleitmusik der Ehescheidungen dieser unglücklich veranlagten Frau wiederholen: „Wenn man die Liebe nach den meisten ihrer Wirkungen beurteilt, ähnelt sie mehr dem Hasse als der Freundschaft“. Aber dieser Autor hat schopenhauerische Ansichten über die Frau: „Die Weiber glauben, zu lieben, obschon sie es nicht tun. Die Beschäftigung mit einer Kabale, die geistige Erregung, die jeder Liebeshandel mit sich bringt, der natürliche Hang zu dem Luftgefühl, geliebt zu werden, und die Pein, sich zu versagen, lässt sie ihre Liebesfreude für wahre Leidenschaft nehmen.“
Er geht noch weiter: „In der Liebe geht der Betrug fast immer über das Misstrauen hinaus“ — — um später sich und seinem ganzen System mit dem naiven Geständnis zu widersprechen, das vielleicht die höchste Wahrheit über die Liebe enthält. „In ihrer ersten Leidenschaft lieben die Frauen den Geliebten, in der späteren die Liebe.“
*
Immer, möchte ich behaupten, lieben die Frauen die Liebe, die Männer aber die Geliebte. Aus diesem Widerspruch ergeben sich die grausamen Leiden der Liebenden und ihre Kämpfe. Denn: „Jeder Liebende ist Kämpfer, und Cupido trägt die Waffen, ebenso wie Mars“.
Ovid.
Nicht immer sind die Waffen schuld an den Niederlagen und Enttäuschungen, die uns die Liebe beschert.
„Nur die ausgezeichneten Männer verstehen zu lieben. Denn der Mann gehorcht zwei Prinzipien, dem Bedürfnisse und dem Gefühle. Die untergeordneten Wesen halten das Bedürfnis für Gefühl, während die ausgezeichneten Wesen das Bedürfnis mit den Wirkungen des Gefühles bedecken. Offenbar steht die Gefühlbarkeit mit der Macht der innern Organisation im Verhältnis.“
Balzac.
Die Frauen nehmen für sich das Vorrecht in Anspruch, die Liebe zu beherrschen, in ihr die Männer zu regieren. Hier liegt ihre Kraft und das Geheimnis ihrer Ueberlegenheit begründet. Sie sprechen:
„Da wir einmal dazu bestimmt sind, unter Männern zu leben, ihnen zu gefallen und ihr Glück zu teilen, müssen wir auch durch ihre Schwächen leiden und ihre Bosheit fürchten. Es scheint beinahe, als ob der einzige Zweck der Erziehung, die die Frauen erhalten, der sei, sie für die Liebe geeignet zu machen. Es ist die einzige Leidenschaft, die die Männer uns gestatten, aber durch einen seltsamen und bizarren Widerspruch können wir uns nur dadurch einen gewissen Ruhm erwerben, wenn wir dieser Neigung widerstehen. Ich überlegte also, wie es möglich sei, diese Gegensätze zu vereinigen, aber ich stiess überall auf Widersprüche. Wir sind, sagte ich mir, wenn wir in die Gesellschaft eingeführt werden, noch so harmlos, dass wir glauben, das einzige Glück der Frauen bestände darin, zu lieben und geliebt zu werden. Wir halten die Liebe für ein ganz reines Gefühl, das auf gegenseitige Achtung gestützt und durch die Offenheit und das Vertrauen der Herzen genährt wird. Aber leider verhält es sich in Wirklichkeit ganz anders, und nur allzubald erfährt man, wie sehr man sich getäuscht hat.“
Ninon de Lenclos.
Das ist die geheuchelte Skepsis einer Frau, die ihr ganzes Leben hindurch die Liebe bejaht hat. Sie meint:
„Man ist nicht Herr darüber, ob man lieben oder nicht lieben will.“ Aber es ist nun einmal eine besondere Liebe, von der sie da spricht, die Liebe des galanten Jahrhunderts. Sie bedauert ihre guten Voreltern, die „die Liebe so todernst genommen haben, während wir nur einen fröhlichen Traum, eine reizende Torheit darin erblicken. Sie waren töricht genug, die Oede der Wüste den Reizen eines mit herrlichen Blumen gezierten Gartens vorzuziehen.“
*
„Wollen Sie (junger Mann), dass ich Ihnen sage, was die Liebe so gefährlich macht? Das ist die überspannte Vorstellung, die man sich von ihr macht. Die Liebe ist wie ein Jähhunger, den man plötzlich für eine bestimmte Speise empfindet.