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Dieses Buch versteht sich gleichsam als eine Einladung, als die Einladung, einen einst sehr berühmten Mann wieder und neu zu entdecken. Sein Name ist Carl Gustav Carus, geboren am 3. Januar 1789 in Leipzig, gestorben am 28. Juli 1869 in Dresden, wo der außerordentlich vielseitige Arzt und spätere königliche Hofarzt, Maler und Naturphilosoph sowie Psychologe seit 1814 lebte und wirkte. Das vorliegende Buch soll und kann für den Leser nur eine Anregung sein, sich mit der Person dieses Universalgelehrten und Humanisten zu beschäftigen. Und noch eine Bemerkung sei gestattet: Die meisten der geschilderten Episoden sind belegt. Anderes beruht auf Mutmaßungen, wie sich eine Begebenheit zugetragen haben könnte, so Wolfgang Licht. Der Herbst 1827 hatte dem damals 38-Jährigen eine ebenso überraschende wie erfreuliche Nachricht gebracht: An einem Septemberabend dieses Jahres fand Carus auf dem Schreibtisch seines Arbeitszimmers in der Klinik einen Brief seines älteren Kollegen Friedrich Ludwig Kreysig vor. Der Professor schrieb ihm, dass er beauftragt sei, Carus eine der frei gewordenen Leibarztstellen anzutragen; die zweite sei für Kreysigs Neffen Leopold Francke, ebenfalls Professor an der Akademie, vorgesehen. Nach einigem Zögern nahm er schließlich das Angebot an, das zumindest einen Vorteil zu haben schien: Er müsse an der Entbindungsanstalt nicht mehr zum zwanzigsten und dreißigsten Mal die Anfangsgründe der Hebammenkunst vortragen, und er hoffte, jetzt mehr Zeit für seine wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeiten zu haben. Dreizehn Jahre zuvor war er aus Leipzig kommend, in Dresden eingetroffen, um sein Amt als Professor für Geburtshilfe an der Chirurgisch-Medizinische Akademie anzutreten. Schnell erwarb er wachsende Autorität als Arzt, hochgestellte Familien zogen ihn zu Rate wie die Marquise Latour-Maubourg, die Frau des französischen Gesandten, oder die Familie des englischen Gesandten Morrier. Der Autor zeigt auf, was genau eigentlich so ein königlicher Leibarzt zu tun hatte und wieviel Anerkennung er genoss: Von der im wahrsten Sinne des Wortes höchsten Ehrung erfuhr er im Sommer 1866 per Post: Am 28. Juni 1866 schrieb der Naturforscher John Francis Julius Haast an Carus, dass er auf einer Neuseelandexpedition, von seinen Privilegien Gebrauch machend, einem hohen schneebedeckten Gipfel der Zentral-Alpen den Namen Mount Carus gegeben habe. Wolfgang Licht ist es gelungen, diesen Carus wieder mehr ins Licht zu rücken.
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Seitenzahl: 61
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Wolfgang Licht
Leibarzt am sächsischen Königshaus
ISBN 978-3-86394-374-5 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien 1998 im Tauchaer Verlag.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
»Wie dem Planeten Tag- und Nachtseite überall und immer eigen sind, so dem strebenden Menschen immerdar zugleich Glück und Schmerz! - Ja, Glück und Schmerz liegen schon unbedingt im Streben selbst - das erste darin, dass wir dem Ziele durch unser Streben näher kommen, das andere darin, dass es nie vollständig und für immer befriedigend erreicht werden kann.«
Carl Gustav Carus
LEIBARZT am sächsischen Königshaus - dieses ehrenvolle Amt wurde nur besonders vertrauenswürdigen Männern angetragen. Der wohl berühmteste unter ihnen war Carl Gustav Carus, Dresdens bedeutendster Arzt im 19. Jahrhundert. Das Haus in der östlichen Vorstadt, Große Borngasse 18, in dem er 35 Jahre gewohnt und gewirkt hat, entwickelte sich unter dem Namen Villa Cara zu einem geistigen Zentrum der Elbmetropole. In ihm verkehrten berühmte Künstler, Wissenschaftler und andere Prominente jener Zeit. Mit vielen von ihnen war Carus eng befreundet, besonders mit Alexander von Humboldt, Caspar David Friedrich, Ludwig Heck, dem norwegischen Maler Johann Christian Dahl. So vielseitig wie das Schaffen von Carus war, so unterschiedlich waren die Professionen seiner Freunde und Gäste, zu denen neben anderen die Sängerin Schröder-Devrient, Clara Wiek und Gottfried Semper gehörten. Karl Gutzkow, ein führender Vertreter der Literaturgemeinschaft »Junges Deutschland«, widmete ihm ein Gedicht, woraus folgende Zeilen stammen: »Der Musen Zahl, der ungeteilten, ganzen,/Hast du dich angelobt! Nicht einer, allen!/Wie dicht der Reigen, den sie vor dir tanzen/Auf einer Flur, in eines Tempels Hallen! -« Carus' Universalität hat ihn berühmt und weltweit bekannt gemacht. Er leistete Bedeutendes auf den Gebieten Medizin, vergleichende Anatomie, Naturwissenschaften, Psychologie, Gestaltlehre, Kunstkritik und Philosophie. Über 60 z. T. dickleibige Bücher wurden von ihm verfasst und größtenteils in fremde Sprachen übersetzt. Man rechnet ihn zu den namhaften Malern der deutschen Romantik. Von ihm stammen etwa 420 Gemälde und 1100 Handzeichnungen, die in Museen und Privatsammlungen aufbewahrt werden.
In seinen »Neun Briefen über Landschaftsmalerei« sieht er eine eigentümliche Vermählung von Wissenschaft und Kunst. Diese Aussage trifft auf sein gesamtes Wirken zu. Auch als Maler blieb er Naturforscher, und der Wissenschaftler wurde vom Maler beeinflusst. Seine Begabungen, vorurteilsfrei zu beobachten und schöpferisch zu gestalten, waren die Eigenschaften, die ihn in seinen Arbeiten erfolgreich machten. »Ich will mich«, schrieb er einmal, »frei am ganzen Horizonte umschauen, frei nach allen meinen Anlagen tätig sein, im Wissenschaftlichen mich regen, im Kunstfache streben, im Leben mich Lebenden nach Kräften hilfreich und förderlich zeigen.«
Viele berühmte Zeitgenossen kannte er persönlich. So Daniel Rauch, Wilhelm von Schadow, Mendelssohn, Friedrich Liszt, Hufeland, Heim, Hegel u. v. a. m. Er korrespondierte mit Goethe, der sich von ihm in seinen naturwissenschaftlichen Ansichten bestätigt fühlte. Carus besaß eine universale Bildung. Seine Geisteshaltung und Weltanschauung wurzelten in den philosophischen Lehren der Romantik, insbesondere deren Naturphilosophie, der er neue Impulse verlieh. Sein klarer, unbestechlicher Verstand verhinderte, dass er ihren spekulativen Auswüchsen erlag.
Carus bekennt: »Mir ging der Grund meiner Tätigkeit aus von dem, was den Mann immer am sichersten erhält, von dem Grunde eines wohlgeordneten, auf Liebe basierenden Familienlebens und einem Kreise einsichtsvoller wohlwollender Freunde und Bekannten, welche öfter in meinem Hause sich begegnen.« Zweiundzwanzigjährig heiratete er Karoline, die fünf Jahre ältere Halbschwester seines Vaters. Mit ihr hatte er fünf Töchter und sechs Söhne. Drei der Kinder waren tot geboren. Sechs starben in jungen Jahren an Infektionskrankheiten, nur zwei überlebten ihn.
Seine wichtigsten medizinisch-wissenschaftlichen Arbeiten vollendete er bis zum Jahr 1827. Nach seiner Berufung zum Leibarzt wandte er sich überwiegend theoretischen Themen zu. Dabei empfand er zunehmend das Isolierte seiner Stellung und er beneidete mitunter diejenigen Kollegen, die, an Hochschulen tätig, mit Gleichgesinnten Gedankenaustausch pflegen konnten. »Wie der Perser sagt: Ein Messer wetzt das andere und ein Mann den anderen.«
Den Beruf des Arztes verglich er mit dem Amt eines Priesters. »Es gibt keine uns noch so werte und wichtige Beschäftigung oder Arbeit, von welcher uns nicht, sei es Tag oder Nacht, der Leidende abzurufen das Recht hat«. So behandelte er den Landmann, den Handwerker, Diplomaten, Künstler, Adlige mit gleicher Hingabe und Gründlichkeit. Schließlich wurde der viel Gerühmte von König Anton zum Leibarzt berufen. Er behielt dieses Amt auch unter den nachfolgenden Königen Friedrich August II. und Johann. Carus verehrte nach seinen Worten das sächsische Königshaus.
Diesen Beziehungen förderlich war das Bildungsstreben und der Kunstsinn der königlichen Familie. Mit Friedrich August II. betrieb er botanische Studien. Besonders Johann war ihm freundschaftlich gesonnen. Beide verband die Liebe zu Italien und vor allem die Arbeit an der Übersetzung der danteschen »Göttlichen Komödie«.
Carus hat mehrere ehrenvolle Berufungen an Universitäten abgelehnt und Dresden bis zu seinem Tode am 28. Juli 1869 die Treue gehalten. Doch schon in seinen letzten Lebensjahren geriet er in Vergessenheit. Die überwiegend naturwissenschaftlich orientierte medizinische Wissenschaft hatte neue Maßstäbe gesetzt, die Carus in ihrer Absolutheit nicht anerkennen konnte. Auch die Weltanschauung der Romantik verlor ihren Einfluss.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Carus neu entdeckt. Zuerst der Maler, danach der Psychologe. Sein Satz: »Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewussten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewusstseins«, wurde von der modernen Psychologie wieder aufgegriffen. Schließlich setzte eine regelrechte Carus-Renaissance ein, die noch anhält. 1954 erhielt die neu gegründete Medizinische Akademie Dresden seinen Namen.
Das vorliegende Buch soll und kann für den Leser nur eine Anregung sein, sich mit der Person dieses Universalgelehrten und Humanisten zu beschäftigen. Und noch eine Bemerkung sei gestattet: Die meisten der geschilderten Episoden sind belegt. Anderes beruht auf Mutmaßungen, wie sich eine Begebenheit zugetragen haben könnte.
Am 31. Mai 1827 starb in Dresden Friedrich August I. (geb. 1750) »der Gerechte«, seit 1806 König von Sachsen. Sein nur wenig jüngerer Bruder Anton (1755-1836) wurde neuer Herrscher. Zur gleichen Zeit hatten zwei Leibärzte ihr Amt aufgegeben. An einem Septemberabend dieses Jahres fand Carl Gustav Carus auf dem Schreibtisch seines Arbeitszimmers in der Klinik einen Brief seines älteren Kollegen Friedrich Ludwig Kreysig vor. Der Professor schrieb ihm, dass er beauftragt sei, Carus eine der frei gewordenen Leibarztstellen anzutragen; die zweite sei für Kreysigs Neffen Leopold Francke, ebenfalls Professor an der Akademie, vorgesehen. Carus fuhr sich mit einer Hand ins Haar. Er war höchst überrascht, voller Freude. Er trat ans Fenster, blickte auf die jetzt dunstverhangene Elbe. Er war unsicher. Angetan vom Beweis eines großen Vertrauens der höchsten Personen des königlichen Hauses kamen ihm auch Zweifel, Bedenklichkeiten, ob er einem solchen Amte vorstehen sollte. Schon eine längere Zeit hatte er erwogen, seine Professur für Geburtshilfe an der Akademie und die Direktion des Entbindungsinstituts niederzulegen. Er hatte diese Arbeit zunehmend als Bürde empfunden, war ihrer überdrüssig geworden. Nun wurde ihm eine erfreuliche Zukunft vorgestellt. Würden ihm aber die strengen Regeln am Hofe, die Zeremonien, die vielfältigen Beschwernisse der Leibärzte, von denen er hatte reden hören, nicht neue Beschränkungen auferlegen? Er dachte an Goethe, mit dem er Briefe wechselte, wissenschaftliche Arbeiten austauschte, der ihn auch als Künstler schätzte. Goethe - ein Vor- und Leitbild seiner eigenen Lebensgestaltung. Auch er hatte diese Entscheidung einst treffen müssen: »ob nach Hof oder nicht nach Hof«, und hatte lange das Für und Wider erwogen. Carus konnte sich heute nicht entscheiden.
Am nächsten Tage bat er Kreysig um eine Unterredung. Dem hoferfahrenen Leibarzt gelang es schließlich in einem langen Gespräch, die Bedenken von Carus zu zerstreuen. Das strenge Zeremoniell und die allzu steife Etikette hielte man unter Anton nicht mehr aufrecht, und weitere Veränderungen zum Guten stünden bevor. Carus nahm das Amt an.