Leise Worte zwischen uns - Andrea Ego - E-Book

Leise Worte zwischen uns E-Book

Andrea Ego

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Beschreibung

Als Rina einen Teil eines alten Hauses erbt, rückt ihr Traum von einer eigenen Tanzschule in greifbare Nähe. Doch der Mitbesitzer ist ein harter Geschäftsmann, der mehr aus dem Haus herausholen will als ein paar läppische Mieten. Rina ist fest entschlossen, dass er sich an ihr die Zähne ausbeissen wird, egal, wie charmant und zuvorkommend er auftritt. Nur ein Essen, denkt sich Rafael. Ein paar nette Sprüche, dann gehört ihm das ganze Haus. Doch zu seiner Überraschung ist die neue Mitbesitzerin seines Hauses nicht auf den Mund gefallen und bietet ihm die Stirn. Wenn Rina ihn nur nicht so faszinieren würde, könnte er sich ihrem Charme vielleicht erwehren. Doch mit ihrer Art wickelt sie ihn immer mehr um den Finger.

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Andrea Ego

 

Leise Worte zwischen uns

 

Liebesroman

 

Impressum

© Mai 2024, Andrea Ego

Andrea EgoGrindel 486017 [email protected]

 

Lektorat und Korrektorat: LibriMelior – Michael WeyerCover Design: Giusy Ame / Magicalcover

Bildquelle: Depositphoto

 

Weitere Bücher der Autorin:

 

Fantasy

Im Bann des Gedankenlesers

Die Braut des Feenprinzen

Schmiedefeuer: Die Schatten von Mra’Theel 1

Schattenherz: Die Schatten von Mra’Theel 2

Drachentanz: Die Schatten von Mra’Theel 3

Das Schicksal der Seherin

Elyra – von Wasser verzaubert

Der Wintergöttin gefrorenes Herz

Im Bann der Feuerfrau

Gemmas Fluch

Der verwunschene Prinz

 

Dystopie

Blutengel – vergessen

Rachefürst – verlassen

 

Liebesroman

Herzenstanz in Reykjavík

Wenn wir durch den Regen tanzen

Für eine Nacht und einen Kuss

Frühling im Herzen

Whiskyliebe in den Highlands

Nordlichtzauber und Schneegestöber

 

Kinderbuch

Alex Hoppel findet einen Freund

 

Im Herzen der Schweiz, wo ich herkomme und es leckere Schokolade, gute Messer und unglaublich schöne Berge gibt, läuft vieles ein wenig langsamer und anders. Ich liebe unser Tal und die Berge rundherum, die schrulligen Leute und den Herbstwind.

Wir Schweizer werden ohne »ß« gross. Weil ich unser Schriftbild schön finde, stolz auf diese Schweizer Eigenheit bin und vor allem die Vielfalt der deutschen Sprache liebe, verwende ich konsequent »ss«.

Ich danke euch allen schon im Voraus für das Verständnis, was die Rechtschreibung angeht, und wünsche trotzdem ein schönes Leseerlebnis.

 

Rina

 

Das alte Parkett glänzte im diesigen Sonnenlicht, das sich durch die Wolken kämpfte, obwohl Staubfusel einander durch den leeren Raum der Altbauwohnung jagten, wenn sich Rina bewegte. Die hohen Fenster an den Seiten gewährten einen grosszügigen Blick auf die umliegenden Häuser: wuchtige Bauten, aus denen das Maximum an Raum und Geld herausgequetscht worden war. Vielen sah man den Charme der Altbauwohnungen nicht mehr an, die herrlichen Häuser, die einmal diesen Teil der Stadt geprägt hatten. Hier, in ihrem Reich, würde es anders sein. Hier würde das Leben herrschen. Lachen, Tanzen und pulsierendes, berauschendes Glück.

Breit grinsend drehte sich Rina um die eigene Achse und ignorierte die Staubwölkchen, die die Aufforderung ihrer Schritte zu einem chaotischen Tanz annahmen und federleicht durch die Luft wirbelten. Sie stoben um ihre Fussgelenke herum, verabschiedeten sich in die Tiefe des Raumes und landeten in einer dunklen Ecke.

Hier würden sie tanzen. In diesem Raum würde Rina Tanzunterricht geben und die Wärme, die das Tanzen verbreitete, willkommen heissen. Im Raum daneben, der ihrer Grosstante als Nähzimmer gedient hatte, wollte sie einen Pausenraum einrichten. In der Ecke zwischen dem Eingang und dem ehemaligen Nähzimmer könnte sie einen kleinen Tresen hinstellen, um Wasser und ein paar Snacks anzubieten. Und das einstige Schlafzimmer würde das Büro werden. Klein, aber fein – perfekt für sie.

Rina sah sich um. Das ehemalige Wohnzimmer war bis auf eine einsame Palme leer geräumt. Die Pflanze war Grosstante Adelheids ganzer Stolz gewesen. Rina hatte es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen. Solange die Pflanze etwas hermachte, würde sie sie behalten.

Dankbar dachte sie an ihre verstorbene Grosstante, die ihr den Traum von der eigenen Tanzschule überhaupt ermöglichte. Grosstante Adelheid hatte Rinas Grossonkel geheiratet. Da die beiden keine eigenen Kinder gehabt hatten, waren die untersten zwei Stockwerke des Hauses – Adelheids Wohnung und das Erdgeschoss mit einer Cafébar – nach dem Tod ihrer Grosstante vor einem halben Jahr in Rinas Besitz übergegangen. Und nun, nach der langwierigen Abwicklung des Erbes, stand sie endlich in diesem Raum.

Ein entzückter Freudenschrei entkam Rinas Kehle. Ein Ort für eine Tanzschule, so kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Tanzlehrerin! Seit Jahren träumte sie davon. Lachend und mit seitlich ausgestreckten Armen wirbelte sie um die eigene Achse, wurde schneller und schneller. Während ihre Füsse mit rhythmischem Trommeln auf dem Boden aufkamen, wehte es die schwarzen Strähnen in ihr Gesicht. Die Welt drehte sich um sie. Es war nicht sie, die den Irrungen und Wirrungen hinterherhetzte. Nein, diesmal war es anders. Das war ihr Traum. Dieses Haus. Dieser Ort. Diese Zeit. Endlich fing ihr Leben an.

Atemlos beendete Rina ihren Tanz zur stummen Musik und strich sich die Locken aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten.

Ihre Pläne breiteten sich glasklar vor ihr aus: Mit Ruth würde sie den Mietvertrag für die Cafébar im Erdgeschoss verlängern. Sie mochte es, am Mittag einen kleinen Imbiss essen zu gehen, mit der Inhaberin einen Schwatz zu führen und dann zu ihrer Arbeit zurückzukehren. Ruth war ein Engel und führte die Cafébar mit Herzblut, Charme und dem richtigen Gespür für die Kundschaft.

Rina würde hier oben ihren Traum leben: Eine Tanzschule mitten in Bern, in einem Lokal, das ganz ihr gehörte! Innerlich dankte sie ihrer Grosstante, die so lange gelebt hatte, wie es Rina gebraucht hatte. Vor drei Jahren hätte sie das nicht so realisieren können wie heute.

Bei der Fensterfront angekommen, drehte sich Rina zur Zimmertür um. Ihre Grosstante Adelheid hatte ihr das Haus vererbt, zumindest den Teil, der ihr gehört hatte. Die anderen vier Wohnungen über ihrer gehörten jemand anderem.

Rina malte sich aus, wie sie im ehemaligen Wohnzimmer Tanzunterricht gäbe. Nur noch die Abschlussprüfung fehlte ihr, dann konnte sie ihr neues Leben beginnen. Bisher hatte sie gedacht, dass die Suche nach einer guten Location für eine Tanzschule das grösste Hindernis sein würde, doch dieses Problem hatte sich in Luft aufgelöst. Nun musste sie zusehen, dass sie mit dem anderen Besitzer des Hauses sprechen konnte. Immerhin brannte eine Lampe im Treppenhaus nicht, und geputzt wirkte es auch nicht wirklich. Das musste geändert werden, wenn sie ihre Tanzschule eröffnen wollte. Immerhin erwarteten ihre Kunden auch einen gewissen Standard.

Aber dann … ja, dann würde sich Rinas Traum von einer eigenen Tanzschule erfüllen.

 

Rina legte den Weg zu dem Haus, in dem sie wohnte, zu Fuss zurück. Das Wetter war angenehm, und sie hatte keine weiteren Termine, sodass sie die Zeit so nutzen konnte. Sie mochte es, versteckte Quartiere und zauberhafte kleine Gärten zu entdecken.

Eine hüpfende Melodie vor sich hin pfeifend, leerte Rina den Briefkasten. Neben zwei Briefen, wahrscheinlich Rechnungen, lag auch ein dünnes Päckchen darin, vielleicht ein Buch oder eine DVD. Verwundert zog sie die Stirn kraus. Sie hatte gar nichts bestellt, weder ein Buch noch eine DVD. Überhaupt, wer bestellte sich heute schon einen Film, wenn man fast alles bei diversen Streaminganbietern schauen konnte?

Rina las die Adresse genauer: R. Schneiter. Sie seufzte. Wieder hatte der Postbote den richtigen Briefkasten nicht gefunden. Im Mehrfamilienhaus wohnte jemand, der oder die R. Schneiter hiess. Natürlich war die Ähnlichkeit zu Schneider da, doch jemandem, der hier jeden Tag die Post verteilte, müsste das inzwischen klar sein. Rina verstand nicht, wie man nicht darauf achten konnte.

Sie suchte den Briefkasten in der obersten Reihe links, um das Päckchen hineinzulegen. Doch da ragte so viel Papier aus dem Schlitz, dass sie das Unterfangen aufgab, noch bevor sie den Versuch startete.

Notgedrungen klemmte sie sich das Päckchen unter den Arm, betrat das Mehrfamilienhaus, eilte in den ersten Stock hinauf und schloss die Tür zu ihrer kleinen Wohnung auf. Das Grün vieler Pflanzen begrüsste sie und entlockte ihr ein warmes Lächeln. »Hey, ihr. Na, hattet ihr einen schönen Tag?« An jeder freien Stelle wuchs eine Pflanze. Hier ein Bäumchen, dort eine Hängepflanze. Rina liebte ihren kleinen Dschungel.

Niemand antwortete, doch das war ihr egal. Seit sie allein lebte, hielt sie sich Pflanzen. Und Mob. Der orange getigerte Kater mit dem weissen Bauch kam maunzend auf sie zu und blickte sie an, als hätte sie ein Kapitalverbrechen begangen, indem sie die Wohnung zum Arbeiten verlassen hatte. Dass sie ihm damit sein Futter bezahlte, interessierte ihn kein bisschen.

Sie schlüpfte aus ihren Schuhen, stellte sie in das Regal und blieb gebückt, um Mob ausgiebig den Kopf zu streicheln. »Ja, mein Lieber, du bist soooo ein armer Kerl. Aber jaaa doch.«

Mob schloss die Augen und streckte den Kopf in die Luft, damit sie ihn seitlich am Kiefer kraulen konnte. Seinem Schnurren nach zu urteilen rückte sein Unmut über ihre Abwesenheit mit jedem Augenblick ein bisschen weiter in den Hintergrund. Ein Grinsen schlich sich in ihr Gesicht. Sie liebte den verwöhnten Kater.

Als sich Rina erhob, sprang Mob voran in die Küche, in der sie ihm seinen Futternapf füllte, das Wasser ausleerte, den Napf gut auswusch und mit frischem Wasser füllte. Erst dann holte sie die Post ins Wohnzimmer.

Kurz entschlossen nahm sie einen kleinen Zettel zur Hand und schrieb eine kurze Nachricht darauf.

 

Liebe(r) R. Ich hatte wieder einmal Post von Ihnen in meinem Briefkasten. Falls das Buch gut ist, lese ich es gerne, sobald Sie damit durch sind. Aber bitte spoilern Sie mich bei der Übergabe nicht. Gruss, Rina.

 

Sie las das Geschriebene noch einmal und lächelte. Das musste reichen. Wenn der oder die liebe R. keinen Humor besass, würde sie nichts mehr hören, und wenn doch, dann lernte sie in diesem unpersönlichen Haus vielleicht endlich jemanden kennen. Sie wohnte seit fünf Jahren hier und hatte bis auf die syrische Familie noch niemanden getroffen. Manchmal, wenn sie zur Tür rausging, hörte sie, wie es im Treppenhaus still wurde, als wollten die Personen über ihr verhindern, ihr zu begegnen.

Noch einmal zog Rina die Schuhe an und streichelte Mob über den Kopf, dann machte sie sich auf die Suche nach R. Schneiters Wohnung. Nicht zum ersten Mal war seine oder ihre Post in Rinas Briefkasten gelandet. Ob es auch umgekehrt vorkam? Wahrscheinlich nicht. Zumindest hatte sie nie Post vor der Wohnungstür vorgefunden. Vielleicht lag es auch daran, dass ihr Briefkasten nie derart überquoll wie der von R. Schneiter.

Im dritten Stock angekommen, zögerte Rina. Vielleicht war diese Person ein egoistisches Arschloch, das sich nicht darum kümmerte, ob jemand seinetwegen gemahnt wurde, weil die Rechnung den Empfänger gar nie erreichte.

Erst im obersten Stock fand sie R. Schneiters Wohnung. Nur noch zwei Türen waren zu sehen, obwohl in den anderen Stockwerken je drei Wohnungen waren. Wahrscheinlich waren diese hier grösser und mit einer atemberaubenden Terrasse ausgestattet, die keine Wünsche offenliess.

Kein Schuhschrank, noch nicht einmal ein Fussabtreter oder etwas Dekoration an der Tür verriet einen Hauch davon, wer hinter der Tür lebte. Weiss, schmucklos, steril.

Einen Moment blieb Rina unentschlossen stehen, dann zuckte sie mit den Schultern und legte das Päckchen auf den Boden. Wenn sie hätte klingeln wollen, hätte sie keine Nachricht schreiben müssen. Vielleicht war R. Schneiter eine übernächtigte Thrillerautorin. Rina war froh, dass sie davonrauschen konnte, bevor die Autorin Dinge an ihr ausprobieren konnte, die diese als Recherche für ihren nächsten Roman brauchte. Oder so.

Zwei Stufen auf einmal nehmend, kehrte Rina in ihre Wohnung zurück und liess sich auf das Sofa mit den vielen bunten Kissen sinken. Nach der Besichtigung der geerbten Wohnung blieb ihr noch genug Zeit, um herumzulümmeln und die Zeit zu geniessen.

Kurz entschlossen rief Rina ihre Mutter an, um von ihrem Tag zu berichten.

»Hey, mein Engel«, flötete ihre Mutter in die Verbindung und liess die Sonne noch ein wenig heller strahlen. »Wie geht es dir? Hast du die Besichtigung hinter dir?«

Rina lachte in sich hinein. »Ja. Es ist toll. Perfekt! Ich war ja schon oft dort, aber die Wohnung so leer zu sehen, ist irgendwie inspirierend. Es hat etwas von einem Neuanfang. Weisst du, aus dem Wohnzimmer kann ich den Tanzraum machen, da sollte sogar eine kleine Bar Platz haben. Im alten Nähzimmer daneben kann ich einen Pausenraum einrichten, vielleicht gar ein Kühlschrank mit Getränken. Selbst dann habe ich noch Platz, um aus Grosstante Adelheids Schlafzimmer ein Büro zu machen. Und die Küche gibt es ja auch noch.« Obwohl die eher klein und sehr alt war.

»Ach, mein Engel, das klingt fantastisch! Wann wirst du denn anfangen?«

Ihre Mutter wusste, dass Rina ihren Job als Versicherungsangestellte zwar mochte, aber dass es nicht ihr Traum war. Sie wollte tanzen und anderen die Lebensfreude vermitteln, die ihr das Tanzen schenkte. Leben, Freude, Glück. Alles, was die Bewegung zur Musik für sie bedeutete, sollten auch andere spüren.

»Und was ist mit dem Mitbesitzer?«

»Was soll schon mit dem sein?«, fragte Rina. »Dem gehören zwei Drittel des Hauses. In denen kann er machen, was er will.«

»Hendrik meinte, dass er schon zweimal bei Grosstante Adelheid antanzte, um ihr ihren Teil abzukaufen. Wenn er Wind davon bekommt, dass er nun mit dir verhandeln muss, könnte ich mir schon vorstellen, dass er mit einem verlockenden Angebot kommt.«

Rinas Vater Hendrik war Grosstante Adelheids Neffe, die in ihre Familie eingeheiratet hatte. Den Erzählungen nach hatten ihre beiden Schwestern, denen die oberen vier Stockwerke des Hauses gehört hatten, es an denselben Mann verkauft. Nur Adelheid war zu stur gewesen, um es ihnen gleichzutun, und Rina könnte nicht glücklicher darüber sein.

Laut lachte Rina auf. »Diese Tanzschule ist mein grösster Traum. Egal, wie verlockend ein Angebot ist, es kann nie so verlockend wie meine eigene Tanzschule sein.« Niemand konnte ihr mehr bieten, als sie schon hatte. Was war ein bisschen Geld gegen einen wahr gewordenen Traum?

Ihre Mutter schnalzte mit der Zunge. »Richtig so, mein Engel. Sonst alles in Ordnung?«

»Ja, und bei euch?«

»Hm, ja. Nichts Neues. Morgen wollen wir das schöne Wetter nutzen und eine Fahrradtour um den See machen. Ich bin ja mal gespannt, wie es uns danach geht. Es ist schon eine Weile her, seit wir uns aufs Rad geschwungen haben.«

Das Lachen ihrer Mutter klang leicht und frei. Vor drei Monaten hatte sie das Rentenalter erreicht, was ihren Vater dazu veranlasst hatte, seinen Ruhestand ein halbes Jahr früher anzutreten. Nun unternahmen die beiden so viele Dinge, die sie mit der Arbeit und als Eltern nicht hatten in die Tat umsetzen können. Rina gönnte es ihnen von ganzem Herzen.

»Schreib mir, wenn ihr zurück seid.« Manchmal machte sie sich etwas Sorgen, dass sich ihre Eltern nach all den entbehrungsreichen Jahren übernahmen. Doch das würde sich auch legen, spätestens im Winter, wenn Schneeschuhwanderungen das Nonplusultra an Aufregung waren.

»Klar. Ich liebe dich, mein Schatz!«

»Ich dich auch, Mama!« Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen legte Rina auf und lockte Mob zu sich auf den Schoss. »Komm, mein Guter. Lass uns einen guten Film schauen.«

Rafael

 

Ungeduldig trommelte Rafael mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, während er den Ausführungen des Bankmitarbeiters lauschte. Er hatte weder Lust noch Zeit, sich lange mit den Details zu beschäftigen, doch offensichtlich hielt Richard es für absolut notwendig, dass er sie auch kannte.

Rafael unterdrückte ein Seufzen, als er aus den Lederschuhen schlüpfte, einen Blick durch seine offen stehende Bürotür warf und die Füsse auf den Tisch legte. »Hm. Mhm. Ja.« Hin und wieder sagte er etwas, damit Richard nicht bemerkte, dass er ihm nicht wirklich zuhörte.

Eigentlich wollte er nur nach Hause und einen Plan aushecken, wie er an das Haus kam. An das ganze Haus. In seiner Vorstellung war es so einfach gewesen: Da die sture Adelheid Schneider ihren Anteil nicht hatte verkaufen wollen, hatte Rafael gewartet. Ihre beiden Schwestern hatten ihren Anteil verkauft, bevor sie ins Gras gebissen hatten. Nun hatte die Zeit das Problem für ihn gelöst. Soweit hatte in seinem Plan alles funktioniert.

Allerdings hatte Rafael nicht damit gerechnet, dass Adelheid ein Testament erstellen würde, das sich auch noch als gültig erwies. Normalerweise hielten die Kenntnisse älterer Leute den Gerichten nicht stand. Nun gehörte der untere Teil seines Hauses einer Person, die er im Gegensatz zur Alten nicht kannte. Wieder jemandem, den er überzeugen musste.

Na ja, mit ein wenig Glück würde sich sein Problem von allein lösen. Er sollte es als neue Chance sehen, nicht als Hindernis. Es konnte ja sein, dass der Erbe nichts vom neuen Besitz wissen und die Wohnung sowie die Cafébar unten verkaufen wollte.

Als Richard ausholte, um die Grenzen des Bankgeheimnisses und seine damit verbundene Verantwortung noch genauer zu erklären, seufzte Rafael nun doch. »Oh, Richard, ich muss Schluss machen. Ein wichtiger Kunde kommt gerade.« Von Richard würde er den Namen des Erben sowieso nicht erhalten.

Sein Bankberater hielt einen Moment inne und räusperte sich. »Um halb acht am Abend?«

»Du weisst ja, je zahlungskräftiger, desto wichtiger.« Einem Bankberater musste Rafael das hoffentlich nicht zu deutlich unter die Nase reiben, immerhin lebte er vom Geld anderer. »Gibst du mir Bescheid, sobald du Namen und Adresse hast?«, fragte er wie nebenbei. Deswegen hatte er eigentlich angerufen.

»Rafael!« Richard klang vorwurfsvoll. »Ich sagte dir doch gerade, dass ich dir den Namen auch dann nicht sagen dürfte, wenn ich ihn kennen würde. Bankgeheimnis.«

Natürlich hatte Rafael das verstanden, doch damit gab er sich nicht zufrieden. Wer sich mit dem Erstbesten zufrieden gab, das ihm hingeworfen wurde, kam nicht weiter. »Ich warte auf deine Informationen. Bis dann!« Ohne auf eine Reaktion zu warten, beendete er das Gespräch und warf sein Handy auf den Schreibtisch. Mit einem tiefen Atemzug lehnte er sich weit nach hinten und streckte die Arme aus. Was für ein Tag.

Was für ein Schlamassel.

Müde schloss er die Augen und liess die Zeit verstreichen. Die grosse Wanduhr über der Tür zu seinem Büro tickte unaufhaltsam. Ansonsten könnte er sich einreden, dass die Zeit für ihn stehen blieb. Nur für ein paar gestohlene Augenblicke, ein paar Momente, in denen er nichts anderes tat, als zu atmen. Ein, aus. Etwas, das er zum Leben tun musste und ihn dennoch auf eine Art erdete wie sonst nichts.

Doch die Zeit zerrann, und mit ihr das Geld, das sie bedeutete. Ergeben seufzte Rafael und entsperrte den Bildschirm seines Computers. Noch musste er einige Rechnungen bezahlen, die Planung für den Neubau im Hipsterquartier angehen und dem Arzt eine Praxis verschaffen. Der gab auch keine Ruhe. Seit vier Monaten lag er ihm in den Ohren, dass er seine Praxis eröffnen und dafür eine eigene Immobilie wollte.

Dumm nur, dass Rafael Investitionen tätigte und daraus Profit schlug und kein Immobilienmakler war. Eigentlich. Zudem, wenn er den Erben der alten Schachtel zu einem Kauf motivieren könnte, wäre das mit der Arztpraxis kein Problem mehr. Dann würde er den geplanten Neubau mit einer Praxis versehen, und damit der Arzt endlich Ruhe gäbe, würde er sie nach dessen Vorstellungen ausbauen.

Mit flinken Fingern schrieb Rafael eine Nachricht an den Arzt, der ihm doch bitte die Minimalanforderungen, und zwar alle, für seine Praxis nennen sollte, und erledigte die anderen E-Mails, die seit dem letzten Lesen eingetrudelt waren. Effizient, zielorientiert und ohne lange zu fackeln. Das mochte er an seiner Arbeit, das mochten seine Kunden an ihm.

 

Das Bimmeln des Lifts riss Rafael aus seinen Grübeleien, als er den obersten Stock des Mehrfamilienhauses erreichte und ausstieg. Träge schaltete sich das Flurlicht ein, flackerte ein wenig, ehe es kalt und hart den Gang erhellte. Niemand war zu sehen. Wie immer.

In seiner Aktentasche lagen die unzähligen Briefe, die jeden Tag in seinem Briefkasten eintrudelten. Am liebsten hätte er sie alle weggeworfen oder sie einer Sekretärin zur Erledigung gegeben. Wie machten das bloss die Männer und Frauen, die Kinder hatten? Es war doch unmöglich, den eigenen Haushalt im Griff zu haben, diese ganze Briefflut und dann noch die Finanzen.

Erschöpft schloss er die Wohnungstür auf und hielt inne, als ein Päckchen auf dem Fussboden seine Aufmerksamkeit erregte. Ein Post-it klebte daran. Vorsichtig hob er es auf und las die kurze Nachricht.

 

Liebe(r) R. Ich hatte wieder einmal Post von Ihnen in meinem Briefkasten. Falls das Buch gut ist, lese ich es gerne, sobald Sie damit durch sind. Aber bitte spoilern Sie mich bei der Übergabe nicht. Gruss, Rina.

 

Rafael konnte ein leichtes Lächeln nicht zurückhalten. Woher Rina wohl wusste, dass es ein Buch war? Rafael wog das Päckchen in der Hand. Bezogen auf die Grösse des Pakets und das Gewicht konnte es nicht viel anderes sein als ein Buch. Ob sie auch ahnte, was für eines es war? Vermutlich nicht.

Das Lächeln verschwand nicht aus seinem Gesicht, als er eintrat und die Schuhe ins Regal stellte. Selbst als er den Vollautomaten anwarf, um noch einen Kaffee zu trinken – oder zwei, wenn es sein musste –, wich es nicht. Und es blieb auch dann, als er sich auf die Couch setzte, das Buch auspackte und die Notiz erneut las. Das Buch über Investmentbanking würdigte er keines Blickes.

Diese Rina schien nicht der Typ für ein Buch über Investmentbanking zu sein. Vielleicht würde er es ihr trotzdem geben, damit er sie treffen und herausfinden konnte, was sie sich beim Schreiben der Nachricht gedacht hatte. Niemand schrieb einem Unbekannten einfach so eine solche Notiz.

Dennoch kehrte das Lächeln zurück, als Rafael mit der Hand darüberstrich, den Notizzettel auf den Glastisch legte und sein Buch in die Hand nahm. Sobald er mit der Arbeit fertig wäre, würde er ein paar Seiten darin lesen.

Gerade als er den Laptop öffnete, klingelte sein Handy. Mit einem tiefen Seufzen schloss er die Augen. Das durfte doch nicht wahr sein! Ohne einen Blick auf das Display zu werfen, nahm er den Anruf entgegen. »Ja?« Er wusste, dass er nicht allzu freundlich klang. Doch wenn ihn jemand nach zwanzig Uhr noch anrief, durfte der nicht damit rechnen, dass er ihn mit offenen Armen empfing. Rafael mochte seine Ruhe und seinen Feierabend. Zumindest einen Abend ohne störende Telefonate.

»Hey, Workaholic, noch im Büro?« Sein bester Freund Sven lachte so laut, dass Rafael das Handy unwillkürlich etwas vom Ohr entfernte. Gott sei Dank telefonierte er nicht mit dem Headset. »Hast du Lust, einen trinken zu gehen?«

Rafael unterdrückte ein Seufzen. Wann immer er mit Sven sprach und dieser das Gefühl hatte, dass er sich zu gestresst anhörte, wollte er ihn in das wilde Leben der Stadt zerren. Feiern, saufen, Frauen anbaggern. Als würde genau das den Stress reduzieren, neben allem anderen, was er noch tun sollte. Dabei nahm Sven kaum Rücksicht darauf, dass Rafael das nicht wollte. Lieber las er ein gutes Buch.

»Ich bin zu Hause. Und nein, nicht wirklich. Der Tag war anstrengend und ich will nur meine Ruhe.«

»Oooookay.«

Das klang gefährlich.

»Dann gehen wir doch einfach in ein ruhiges Café. Du kriegst deinen Kamillentee und ich mein Bier. Dann sind wir beide glücklich, und du wirst später nicht das Gefühl haben, dass du dein Leben nur mit Arbeit verbracht hast, wenn du mit fünfundvierzig einen Herzinfarkt erleidest.«

Zu gut konnte sich Rafael vorstellen, wie breit Sven grinste. Wie siegesgewiss. Sollte er sich sorgen, dass sich sein bester Freund offenbar freute, wenn er in jungen Jahren draufginge?

Wenn sich Rafael jetzt eine Ausrede einfallen liesse, würde er gegen Mühlen reden. Oder Wände. Wenn sich Sven etwas in den Kopf gesetzt hatte, schaffte es der härteste Hammer nicht, es ihm wieder auszuschlagen. »Na gut. Aber nicht zu lange. Ich habe morgen früh einen Termin.«

An Svens Stöhnen konnte er erahnen, wie sehr er mit den Augen rollte. »Aber klar, Mäuschen. Treffen wir uns in einer Stunde im Gardening?«

»Einen lahmeren Schuppen konntest du nicht aussuchen?« Trotz seiner schlechten Laune schlich sich ein Grinsen in Rafaels Gesicht, als er an das Café mit den Kräutergärtchen auf der Terrasse dachte. Da tranken nur alte Damen ihren Kaffee. Eigentlich.

»Nein, zumindest nicht, solange du so arbeitsversessen bist.« Sven lachte laut und fröhlich, eine Charaktereigenschaft, die vermutlich dazu geführt hatte, dass sie so gut miteinander auskamen. Es gab nur wenige Menschen, mit denen es Rafael aushielt, und Sven gehörte dazu. Rafael hielt seine Sonnenscheinlaune aus, Sven nahm ihm sein Brummen nicht krumm.

»Okay, aber du bezahlst.«

Sven schnaubte. »War ja klar. Du verdienst wie ein goldener Affe, und ich reisse mir hier meinen Hintern auf, um den Leuten ein wenig Gesundheit einzuprügeln, und verdiene nichts.«

»Versuch mal, die Gesundheit nicht einzuprügeln. Vielleicht funktioniert das besser«, erwiderte Rafael mit einem breiten Lächeln. Obwohl er eigentlich seine Ruhe haben wollte, freute er sich nun doch auf einen Abend mit seinem besten Freund. Die Abwechslung würde ihm guttun.

 

Als sich Rafael den Cardigan über die Schultern warf, um in der doch noch lauen Juninacht nicht zu frieren, und zur Wohnungstür eilte, hielt er inne. Seine Gedanken kehrten zu der Notiz zurück, die ihm seine freundliche Nachbarin Rina auf das Buch geklebt hatte.

Kurz entschlossen ging er in sein Büro und schrieb eine Nachricht an sie.

 

Liebe Rina. Ich bin Rafael. Damit du es das nächste Mal weisst. Gruss, Rafael.

 

Es war zwar nicht so toll wie ihre Botschaft, aber besser als nichts. Für ein Danke fand er keinen Platz mehr. Ausserdem war er sowieso schon knapp dran. Sven würde fluchen, wenn er wieder zu spät auftauchte, und ihn auslachen, dass er geschäftlich jede Sekunde im Griff hatte, in der Freizeit jedoch null planen konnte.

Rafael schloss die Tür zu seiner Wohnung hinter sich und ging zum ersten Mal seit Jahren zu Fuss die Treppen hinunter. Bei jeder Tür linste er auf das kleine Schild neben der Klingel, doch erst im ersten Stock entdeckte er ihren Namen: R. Schneider. Was für ein Zufall, dass sie mit so ähnlichen Namen im selben Haus wohnten. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Zettel auf den Boden vor ihrer Tür legte und sich dann auf den Weg zu seinem Kumpel machte. Hoffentlich freute sie sich ebenso über die kleine Aufmerksamkeit wie er.

Rina

 

Miauend strich Mob um Rinas Beine, als sie am nächsten Morgen in ihre Schuhe schlüpfte, und brachte sie damit beinahe aus dem Gleichgewicht. Sie wedelte mit den Armen und fand an der weissen Wand Halt. »Mob!«, rief sie anklagend und warf ihm einen scharfen Blick zu, den der Kater mit einem müden Schwanzwedeln beantwortete. Wie ein braver Hund setzte er sich hin und musterte sie. Miaute wieder. »Mann, du bist so ein armer Kerl. Wären alle Männer so wie du, würden sich die Frauen viel weniger auf Beziehungen einlassen. Männer sollten für sich selbst sorgen können, hörst du?« Trotz ihrer Schimpftirade schlich sich ein warmes Lächeln auf ihre Lippen, und sie zog die Schuhe noch einmal aus, um Mobs Napf ein bisschen mehr zu füllen. Obwohl er schon genug Gewicht auf die Waage brachte. Aber der Kerl wusste, wie er Rinas Knöpfe drücken konnte. »Vielfrass.«

Schnurrend schmiegte er sich an ihre Beine und schenkte ihr einen treuherzigen Blick, von dem Rina genau wusste, dass er der Person vergönnt war, die über das Futter herrschte. Es lag nicht an ihr persönlich.

In der Eile reichte es für ein kurzes Streicheln, dann rannte Rina nach draussen, um den letzten Bus zu erwischen, der sie rechtzeitig ins Büro brachte. Um den Block herum, zur Ampel, über die Strasse und zur Bushaltestelle. Ihr blieben noch zwanzig Sekunden, um zu Atem zu kommen, bevor der Bus vor ihr und den anderen Fahrgästen hielt.

Im Büro angekommen, schnappte sie sich ihren Laptop und begab sich an eine der vielen Workstations. Steril, weiss, ohne Ablenkung. So wollte es die Geschäftsleitung, ganz abgesehen davon, dass sie dadurch viel Platz sparte, indem sie nicht jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter einen eigenen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen musste. Rina vermisste eine Büropflanze und ein Bild von ihrem Mob, der sie wahlweise vorwurfsvoll oder voller Zuneigung ansah.

Rina atmete tief durch und öffnete ihr E-Mail-Programm. Zweiundachtzig E-Mails. Sie seufzte. Einen einzigen Nachmittag war sie abwesend gewesen, und nun musste sie zahlreichen Leuten hinterhertelefonieren und deren Schadensmeldungen aufnehmen. Müde schloss sie die Augen und rieb sich die Stirn. Das konnte heiter werden.

Es wurde Zeit, dass sie endlich ihre Tanzschule eröffnen konnte.

 

Am späteren Nachmittag hatte Rina die obligatorischen Telefonate erledigt und die Schadensmeldungen im System eingetragen. Ihr Kopf brummte von der ganzen Arbeit, und wieder einmal fragte sie sich, wieso sie hier gelandet war. Davor hatte sie in einem Reisebüro gearbeitet. Die Arbeit war auch anstrengend gewesen, allerdings hatte sie dort lieber gearbeitet als bei der Versicherung. Dabei machte sie in etwa dasselbe wie früher. Nur die Leute am Ende der Leitung waren freundlicher gewesen.

Kein Wunder, wenn es um Urlaub ging und nicht um das kaputte Auto, von dem die Versicherung nur einen Teil der Schadenssumme übernahm.

Rina wollte sich eine Pause gönnen, als ihr Handy klingelte. Sie zögerte. Die Nummer kannte sie nicht. »Ja, hallo?«

Der Mann am anderen Ende der Leitung sprach so schnell und monoton, dass Rina bis auf »Steiner« und »Immobilien« kein Wort verstand. Den Namen setzte sie Stück für Stück zusammen. Herr Steiner klang nicht unfreundlich, aber auch nicht wirklich freundlich, sondern sehr geschäftig. »Spreche ich mit Frau Sabrina Schneider? Wie ich gehört habe, haben Sie einen Teil eines Hauses geerbt. Mir gehören die oberen vier Stockwerke.«

»Wie schön, dass Sie anrufen.« Damit hatte Rina beim besten Willen nicht gerechnet. »Ich wollte sowieso mit Ihnen sprechen.«

Er räusperte sich. »Perfekt. Worum geht es?« Irgendwie klang Herr Steiner, als wäre sie irgendeine Nummer und nicht die Frau, die ein Drittel des Hauses besass, von dem ihm der restliche Anteil gehörte.

»Mir sind ein paar Dinge aufgefallen, die ich mit Ihnen anschauen wollte. Zum Beispiel das Licht im Flur. Das brennt nicht mehr richtig.« Rina lächelte. So viel Glück hatte sie gar nicht erwartet. Sie hatte damit gerechnet, mühsam die Nummer des Mitbesitzers heraussuchen zu müssen, etliche erfolglose Versuche zu starten und dann mit einer lahmen Ausrede abserviert zu werden. »Wann hätten Sie denn Zeit?«

»Heute Abend um acht, ginge das bei Ihnen?«

Rina lachte in sich hinein, als sie an Mob dachte, der sie nur mit einem vorwurfsvollen Blick gehen liesse. Er mochte es nicht, wenn sie ging. Nie. Aber am allerschlimmsten war es am Abend, wenn er nur mit ihr auf dem Sofa schmusen wollte. »Das wird meinem Kater aber nicht gefallen.«

Es trat eine kurze Pause ein, von der Rina nicht wusste, was sie davon halten sollte. Doch bevor sie richtig darüber nachdenken konnte, ergriff Herr Steiner das Wort.

»Was heisst das nun für heute Abend? Ich wollte Ihnen ein Kaufangebot unterbreiten, das Sie nicht ausschlagen können.«

Ein Kaufangebot? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn. Sie wollte doch gar nicht verkaufen. Oder gab er seinen Anteil ab? Aber auch dann … So viel Geld hatte sie gar nicht. Erst da fiel ihr ein, was ihre Mutter ihr gesagt hatte: Dass sich ihr Mitbesitzer vielleicht ein Schnäppchen erhoffte, weil er das ganze Haus für sich haben wollte. »Ich will nicht verkaufen.«

Herr Steiner seufzte so tief, dass sie selbst durch die Verbindung hindurch spürte, wie sehr sie in seinen Augen eine Versagerin war. »Treffen wir uns heute Abend? Es ist mir wichtig.«

Rina rollte mit den Augen, zwang sich jedoch zu einem Lächeln. »Ich werde da sein.« Und sie würde ihn nerven. Irgendwie. Vielleicht sollte sie Mob mitnehmen, damit er sich nicht grundlos über ihren Kater aufregen musste. Nur konnte und wollte sie das ihrem geliebten Mob nicht antun.

»Direkt beim Haus?«, fragte sie.

»Natürlich. Wo denn sonst?« Bildete sie sich das nur ein, oder klang er etwas ungehalten?

Um ihn noch weiter zu ärgern, lachte Rina. »Ach, ich hätte da eine grandiose Idee. Wir essen doch gleich unten in der Cafébar bei Ruth. Ich lade Sie ein. Dann können wir uns etwas besser kennenlernen und gemeinsam Pläne schmieden.«

Herr Steiner räusperte sich. »Ich …«

»Wunderbar, bis später! Ich freue mich. Und werde einen Tisch reservieren.« Bevor er noch etwas sagen konnte, legte sie auf. Ein wissendes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie daran dachte, wie überrumpelt er gewirkt hatte, als sie kurzerhand die Bedingungen des Treffens geändert hatte. Wie wenig es brauchte, um einen Mann, der sich seiner Sache absolut sicher fühlte, aus der Reserve zu locken. Diese Geschichte würde sie ihrer Freundin Lara bei einem Glas guten Weins erzählen.

 

Vor ihrer Wohnungstür lag ein Zettel. Rina starrte ihn an, als hätte sie beim besten Willen nicht mit einer Antwort von R. aus dem obersten Stock gerechnet. Hatte sie auch nicht. Bisher hatte er oder sie sich auch nie gemeldet, wenn sie die Post ins richtige Fach geschoben hatte. Allerdings hatte sie es immer unbekannterweise erledigt, deshalb hatte R. auch keine Chance gehabt, sich erkenntlich zu zeigen.

Neugierig faltete Rina das Papier auseinander und überflog die drei winzigen Zeilen.

 

Liebe Rina. Ich bin Rafael. Damit du es das nächste Mal weisst. Gruss, Rafael.

 

Sie lachte so laut, dass der Klang im ganzen Treppenhaus widerhallte, und trat in ihre Wohnung. Es war gerade richtig zum Abschluss ihres anstrengenden Tages bei einer Arbeit, die sie nicht wirklich mochte, die aber ihre Miete zahlte. Wenn Rafael wüsste, wie sehr seine Nachricht sie aufmunterte und ihr ein Lächeln ins Gesicht zauberte, hätte er vielleicht ein wenig mehr geschrieben.

Vielleicht auch nicht. Es war perfekt, wie es war.

 

Rina drehte sich vor dem Spiegel hin und her. Wenn sie wenigstens ahnen könnte, was der gute Herr Steiner von ihr erwartete, könnte sie ihn besser gegen die Wand schwatzen. Das grüne Kleidchen passte ihr wie angegossen und betonte die smaragdfarbenen Augen, auf die sie so stolz war. Dazu trug sie die schwarzen Haare offen und liess sie in grosszügigen Wellen über ihre Schultern fallen. Wie Esmeralda aus Der Glöckner von Notre Dame. Nur attraktiver. Und kleiner. Und mit mehr Haaren an den Beinen. Zum Rasieren hatte ihr die Zeit gefehlt.

Bei dem Vergleich grinste sie breit, packte ihre Tasche und schlich um Mobs Liebesbekundungen herum. Sie wollte früh genug am Treffpunkt sein, um sich mit Ruth zu besprechen oder wenigstens einen kurzen Schwatz zu halten. Die Dame war zwar betagt, doch ihre Cafébar war etwas vom Besten, das es gab.

Rina nutzte den lauen Abend, um zu Fuss zum Bistro zu kommen. Die Bewegung tat ihr gut und lenkte sie von dem vermutlich nicht allzu angenehmen Gespräch ab. Dafür hatte der Herr zu geschäftig geklungen.

Je weiter sie kam, desto leiser schienen die Autos an ihr vorbeizurauschen, obwohl der Feierabendverkehr noch nicht abgeklungen war. Sie wählte Wege abseits der Hauptstrasse, durchquerte ihren liebsten Innenhof und entdeckte endlich den leuchtenden Schriftzug von Ruths Cafébar.

Mit einem feinen Lächeln auf den Lippen trat Rina ein und winkte Ruth zur Begrüssung zu. Die Dame im besten Alter strahlte sie an und breitete die Arme aus, als wollte sie um die Bar herumrennen und sie in eine herzliche Umarmung schliessen.

»Rina, wie schön, dass du uns wieder einmal besuchst.« Ihre kurzen, teilweise ergrauten Haare waren sorgfältig in alle Richtungen abstehend frisiert, die Hornbrille schob sie ein Stück über die Nase zurück und die grauen Augen funkelten übermütig. »Wie geht es dir? Und wen bringst du heute mit?« Als wollte sie einen Blick auf ihr Date erhaschen, linste Ruth um sie herum, bevor sie sie auffordernd ansah.

Rina setzte sich auf einen Barhocker und stützte die Ellbogen auf das helle Holz. »Es ist kein Date, sondern ein Treffen mit dem Mitbesitzer des Hauses.«

»Oh.«

Das klang alles andere als aufbauend. »Ist er so ein schlimmer Mann?«, fragte Rina und bereute es, sich auf ein Essen eingelassen zu haben. Ein Tee hätte auch gereicht. Noch dazu hatte sie ihn eingeladen!

Ruth tat, als wäre es das Wichtigste der Welt, in diesem Moment die Arbeitsplatte hinter der Bar zu reinigen. »Nein, das ist er nicht«, antwortete sie leise. »Er weiss nur, was er will.«

»Weisst du denn, was er will?«

Für einen flüchtigen Moment blickte Ruth ihr in die Augen, ehe sich ein Seufzen den Weg aus ihrer Kehle bahnte. »Er will das Maximum aus diesem Haus herausholen. Also wohl eher aus dem Grundstück.«

Entsetzt sah sich Rina in der hübschen Cafébar um, stellte sich den wunderschönen Raum mit dem Parkettboden ein Stockwerk weiter oben vor und wie alles dem Erdboden gleichgemacht wurde, um viel Profit aus dem Grundstück zu schlagen. »Das kann er doch nicht einfach tun!« Das durfte er nicht. Da oben wollte sie ihren Traum realisieren. Ihre Tanzschule!

Ruth schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Solange dir ein Teil des Hauses und des Grundstücks gehört und du deine Einwilligung nicht gibst, kann er das auch nicht einfach tun.

---ENDE DER LESEPROBE---