Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht - Gabriele von Arnim - E-Book

Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht E-Book

Gabriele von Arnim

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Beschreibung

»Es gehört zum Wesen der Hoffnung, dass sie enttäuscht werden kann, sonst wäre sie ja Zuversicht«, schrieb Ernst Bloch. Aber wie bleiben oder werden wir zuversichtlich in diesen fragilen Zeiten? Mit Neugier und Herzglut macht Gabriele von Arnim sich auf die Suche. Denn sie ist überzeugt davon, dass wir Zuversicht brauchen, weil sonst Chaos und Stillstand zugleich herrschen würden. Die Kunst der Zuversicht, sagt sie, kann, nein muss man üben. Wie das gelingt, verrät Gabriele von Arnim ihren Enkeln und uns allen in diesem zuversichtlichen Buch.

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Seitenzahl: 64

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GABRIELE VON ARNIM
Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht
Briefe an die kommenden Generationen
BAND 3
Die Nacht, In der das Fürchten wohnt,Hat auch die SterneUnd den Mond
Mascha Kaléko
More than evernowis the timeto take care of each other
Eine Freundin, 10. Oktober 2023
Liebe Enkel –
es ist ein frühlingskalter Morgen. Ich habe gerade zwei Stunden Nachrichten im Netz gelesen, mich vom Schlaf in den Schmerz der Welt schleudern lassen – und sitze hier nun mit Herzweh. Fast überall, wo man hinschaut, ist es zum Fürchten. Klima, Kriege, Millionen von Flüchtenden, China, Taiwan, der Nahe Osten, eine deutsche Regierung, die Autobahnen ausbauen will (im Jahre 2023!!!), eine AfD, die immer mehr Zulauf hat, je radikaler sie sich gebärdet. Die Wirtschaft dümpelt, Athleten und Fußballerinnen versagen, die Menschen sind müde und ratlos – Nachwirkungen von der Pandemie, Auswirkungen der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen – und grundiert von der Angst vor dem Klimakollaps.
Die Weltwirklichkeit ist voller Abgründe – oder ist selbst ein Abgrund. In den wir jeden Tag schauen und in dem wir unsere eigene Zerbrechlichkeit finden, dort, in der tintendunklen Tiefe.
Man könnte verzweifeln an der Welt, wie sie ist, sich die Ohren zuhalten, die Augen, den Mund und still erleiden, was die Nachrichten uns Tag für Tag in den Kopf und ins Herz spülen. Könnte versinken in Hoffnungslosigkeit angesichts von Terror und Hass, von Hunger und Brutalität – im Iran und in Afghanistan, in Syrien und im Jemen, angesichts von entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen, von Menschenverletzungen. In so vielen Ländern werden Männer und Frauen niedergeknüppelt, verhaftet, gefoltert und gemordet, die für Meinungsfreiheit und Demokratie demonstrieren oder einfach nur dafür, als Mädchen in die Schule gehen zu dürfen. Natürlich möchte man wüten angesichts der obszönen Profite der Rüstungs- und der Pharmaindustrie, den großen Pandemie- und Kriegsgewinnern. Warum müssen die eigentlich nicht eine Übergewinnsteuer zahlen, womit zum Beispiel der Ausbau erneuerbarer Energien und eine Gehaltserhöhung der Krankenpfleger finanziert werden könnte?
Was für ein schräger Anfang, liebe Großmutter, denkt Ihr jetzt vielleicht, was für – haha – mutmachende erste Worte du findest in einem Brief, in dem du uns doch etwas erzählen willst über Zuversicht.
Aber, liebste Enkel und liebe andere – denn dieses Buch wie auch die Zuversicht ist natürlich für alle –, vielleicht ist es gar nicht so falsch, die dunkle Seite der Gegenwart zu skizzieren, bevor wir uns dem Ringen um und dem Glauben an die Möglichkeit einer besseren Zukunft zuwenden. Denn Zuversicht ist nicht weltausblendender Optimismus, der dem Schein mehr Wirklichkeit zubilligt als dem Sein. Zuversicht heißt nicht, in eine Nussschale zu steigen und in See zu stechen, denn Zuversicht hat viel mit Mut, aber nichts mit Übermut zu tun. Und auch nichts mit Naivität.
Ein Mensch mit Zuversicht sieht und erkennt die Wirklichkeit, wie sie ist, und ist trotzdem oder gerade entschlossen, die Welt oder jedenfalls den kleinen Ausschnitt von ihr, in der er oder sie lebt, so mitzugestalten, dass sie wird, wie sie sein sollte und sein könnte. Zuversicht heißt, die Zustände erkennen und sich nicht überwältigen lassen. Zuversicht will das scheinbar Unmögliche möglich machen.
»Ihr müsst handeln. Ihr müsst das Unmögliche tun. Denn Aufgeben ist niemals eine Option«, hat Greta Thunberg 2019 in ihrer Rede vor dem US-Kongress den Abgeordneten und uns allen zugerufen. Das war fast ein Flehen, eine Beschwörung. Aber ohne einen glühenden Funken Zuversicht in sich würde sie den Kampf wohl nicht aufgenommen haben.
Du, liebster E., hast gesagt, dass Du immer wieder entmutigt bist, loszulegen im Leben. Wer weiß, ob es sich lohnt, fragst Du Dich. Aber dann kommt zum Glück die Kraft, die Lust, das berstende Wollen in Dir hoch. Und, hast Du gesagt, »verzeih, liebe Großmutter, ihr Alten müsst weg.«
Ich fürchte, Du hast recht.
Wir hinterlassen Euch eine in vieler Hinsicht desolate Welt. In der aber eben auch viel Platz ist für großartige Menschen mit großen Ideen und Erfindungen, die leben und handeln mit MitGefühl und FürSorge; Menschen mit Zuversicht und Mut.
Und darüber möchte ich mit Euch reden.
Die Welt zu beklagen ist ziemlich einfach, weil der Schauder täglich spürbar ist. Auch ich tue das. Muss immer mal wieder aussprechen, was mich bedrückt, damit ich nicht ersticke an Traurigkeit und Wut. Eure Mutter, die meine Tochter ist, unterbricht mich oft, wenn ich besorgt lamentiere. Und sie hat recht. Man muss sich selbst Grenzen auch des Hinfühlens setzen.
Es gibt Menschen, die es als ihre moralische Pflicht ansehen, alle Schrecklichkeiten zu wissen – im Detail. Dann liegen sie schlaflos in der Nacht, begrübeln die Bestie Mensch, verlieren Appetit und Lebenslust. Und helfen niemandem. Denn wenn wir fokussiert bleiben auf Elend, Tumult und Not, reden wir uns den Lebensmut immer wieder selber weg.
Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond. Das lasst uns bitte nicht vergessen. Deshalb möchte ich die kleinen und auch großen Inseln suchen im dunklen Strom des Weltgeschehens, die Lücken im Gedankenkreis des Negativen. Man könnte wie ein angstgelähmtes Kaninchen vor der zischelnden Schlange der Schrecken sitzen, viel lieber aber möchte ich – obwohl schreckgeschwächtes Kaninchen – laut und listig zurückzischeln.
Und es gibt, wie Ihr sehen werdet, viele Gründe, es zu tun.
Ohne Zuversicht lassen wir alles, wie es ist. Das ist Resignation. Und dann bleibt auch alles, wie es ist. Aber Aufgeben ist bequem, ist fantasielos, schwächt, macht müde und teilnahmslos – aus Resignation entsteht keine Auflehnung, keine Idee, keine Handlung, kein Ziel. Und sie ist feige. Weil der apathische Mensch nicht einmal versucht, Zukunft zu denken, sich eine andere mögliche Welt auszumalen und irgendwo, in irgendeiner kleinen Ecke anzufangen, Vernunft und Lust zu leben und zu vermitteln. Und, um das noch einmal zu betonen: Wem nütze ich, wenn ich mich verkrieche ins dunkle Nest der Weltabkehr, um in der stillen Kammer meinen Kummer zu nähren? Es tut ja nicht einmal mir selbst gut, wenn ich mir alle Kraft weggräme und keine mehr habe für hoffentlich gute Gedanken und gute Projekte.
Ich habe ein Motto, ein Mantra, ein Gebot: Es hilft niemandem, wenn ich auf Zerstörung mit Selbstzerstörung antworte.
Schon großes Wollen ist groß, hat M. immer gesagt, mein Mann, den Ihr leider kaum noch kennengelernt habt. Und er hatte natürlich ebenfalls recht. Aber wenn ich nichts mehr will, ist das Leben, ist die Lebendigkeit zu Ende.
»Oder gerade nicht«, widerspricht meine Freundin V. »Das Wollen kann auch einengen, den Blick versperren, die Kraft in nur eine Richtung bündeln. Dann ist man vielleicht nicht mehr präsent für alles andere, was einem begegnet.«
So gerne würde ich jetzt ein bisschen darüber nachdenken, aber dann renne ich schon wieder auf eine andere Wiese und wandere dort umher. Abschweifen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.
Zuversicht ist hingegen Arbeit, kostet Kraft und Zeit, erfordert Beharrlichkeit, braucht Wachheit und Fantasie. Aber sie gibt auch Kraft. Weil Zuversicht uns innerlich wärmt, uns anspornt. Ich glaube eben doch, dass der Mensch Ziele braucht – viele von uns jedenfalls. Das muss ich Euch wirklich nicht erzählen. Ihr habt so viele Pläne und WeltLust und Neugier. Wollt die Welt erkunden und Euch darin. Und vermutlich ist genau das der gute Weg. Denn wenn man die alte Welt unbeschönigt sieht und jedenfalls teilweise durchschaut, kann man den Weg in die neue Wirklichkeit besser ebnen, kann für andere und für sich die Weichen stellen, damit der Lebenszug ohne einen größeren Unfall weiterfahren kann.