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In den North York Moors bremste sie ein Fahrradunfall aus, in Michigan musste sie ihren verschollenen Koffer aufspüren, und in Chicago traf sie die Krimiautorin Sara Paretsky. Im Lockdown erinnert Reiseautorin Beate Baum sich an die Recherchetrips des Vorjahres. Sehr persönliche Betrachtungen sind das, durchbrochen vom Reflektieren der Shutdown-Situation und den Überlegungen, inwieweit sie mit ihrer Arbeit zu Klimawandel und Umweltzerstörung beiträgt.
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Inhaltsverzeichnis
Abflug
Bella Italia
Kulturhauptstadt auf der Grünen Insel
Oh, Britannia!
Landung
Impressum
Für Bonnie Stewart Mikkelsen
Gefördert durch ein Denkzeit-Stipendium der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen
Die erste Absage kam am 18. März. Absehbar war sie bereits zwei Wochen davor gewesen, als hierzulande Corona nur eine Meldung im internationalen Teil der Nachrichten war. Immerhin sollte es Anfang Mai in die norditalienische Provinz Emilia Romagna gehen, und dort herrschte im März schon der absolute Ausnahmezustand.
Ich bin – unter anderem – Reisejournalistin. Bedeutet: Ich fahre im Schnitt alle sechs Wochen für wenige Tage an einen Ort, der für andere als Urlaubsziel reizvoll sein könnte. Absolviere dort ein meist eng gestricktes Programm, bei dem ich die Sehenswürdigkeiten auf dem Silbertablett serviert bekomme, kehre an den heimischen Schreibtisch zurück und schreibe darüber eine Reportage. Ein Traumjob, keine Frage – zumal ich sehr häufig gemeinsam mit meinem Partner unterwegs sein kann. Was aber, wenn eine Reisejournalistin nicht reisen kann? Eine freischaffende Journalistin, die auch nur für die abgedruckten Artikel bezahlt wird? Schwierig.
Natürlich gab es keine Alternative. In jenen Tagen Mitte März wurde auch in Deutschland das Leben heruntergefahren, und die Bilder der aufgereihten Särge in Bergamo brannten sich ins Gedächtnis. Bergamo liegt in der Lombardei, Luftlinie etwa 200 Kilometer entfernt von der Emilia Romagna.
Also zu Hause bleiben. Darauf vertrauen, dass die Rücklagen und die Einkünfte aus anderen Tätigkeiten ausreichen. Alles sehr, sehr ungewiss, denn es gibt auch keine Jazz-, Pop- oder Rockkonzerte mehr, über die ich in der Dresdner Lokalzeitung schreiben könnte. Keine überregional interessanten Ausstellungen, über die ich für andere Kulturredaktionen berichten könnte. Die Volkshochschule, an der ich einmal in der Woche Englisch unterrichte, ist ebenfalls geschlossen. Und Rückerstattungen für gebuchte Flüge, Bahn- und Busfahrten lassen auf sich warten, was kommt, sind allenfalls Gutscheine.
Was bleibt, sind ein paar CD-, Buch-, TV-Kritiken in Zeitungen. Und die Buchverkäufe. Eine neue Krimi-Veröffentlichung steht an – wenigstens gibt es da einiges zu tun.
Denn ansonsten bleibt nur, sich in Geduld üben. Vielleicht hilft es ja, an vergangene Reisen zu denken. Allein diejenigen des Vorjahres sollten für ein paar schöne, kontemplative Stunden reichen. Also werde ich abtauchen in meine Erinnerungen, dabei die Gelegenheit nutzen, etwas mehr zu schildern als das, was in eine Reportage passt.
Allerdings geht es nun auch darum, sich – mir! – bewusst zu machen, dass es so ohnehin nicht weitergehen kann. Diese kurzen Trips, fast immer mit Fluganreise, stehen schließlich geradezu symbolisch für das besinnungslose Wirtschaftstreiben der turbo-kapitalistischen Welt.
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In Norditalien war ich erst fünf Monate zuvor. Gardasee in der Nachsaison, lautete das Thema. Wir erkundeten der Deutschen liebste Destination südlich der Alpen mit dem Fahrrad. Schön war's! Angenehme Temperaturen, selbst die touristischsten Orte nicht überlaufen. Für meinen Geschmack zwar alles in bisschen arg »deutsch«, aber nachdem sich meine Italienisch-Kenntnisse im Wesentlichen auf buon giorno, prego, grazie und vino beschränken, sind Gespräche in der Landessprache leider eh nicht drin. Einer der Gründe, warum ich so viel in Irland, Großbritannien und den USA unterwegs bin: Dort kann ich wirklich in das Leben eintauchen und das dann auch meinen Leserinnen und Lesern vermitteln.
Wobei Italien wie sämtliche Mittelmeer-Anreiner natürlich einen gewaltigen Vorteil gegenüber den anglo-amerikanischen Ländern hat: In südlichen europäischen Gefilden speist es sich einfach besser. Oder, korrekter: Da gutes Essen quasi zur DNA der Menschen gehört, fester Bestandteil der Kultur ist, muss man dafür kein Vermögen ausgeben.
Natürlich ist für Germanen der Brauch, Nudeln als Vorspeise zu servieren und den Fleisch- oder Fischgang mit ein wenig Brot folgen zu lassen, ungewöhnlich – aber nachdem es gute Sitte ist, sich zum Essen Zeit zu nehmen, dazu obligatorisch Wein gereicht wird, genossen wir es einfach. Danach blieb nur noch, sich die Horizontale zu begeben und darauf zu vertrauen, dass die Bewegung tagsüber ausreichen würde, um nicht allzu viele zusätzliche Pfunde mit nach Hause zu bringen.
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Zeit für Pasta und Rotwein, um den Trip noch einmal in der heimischen Küche zu würdigen. Immerhin haben die Geschäfte geöffnet, die Einschränkungen in Dresden, in Sachsen, in ganz Deutschland sind eigentlich lächerlich. Einen wirklichen Shutdown gibt es in anderen Ländern, in Südamerika oder auch in Spanien. Und trotz der Panik-Käufe der Mitbürger, die nicht nur das Toilettenpapier aufkaufen, sondern auch die Nudel-Regale leerräumen, sind noch gute Pasta zu bekommen.
Nach dem Gardasee ging es im vergangenen Jahr nur noch nach Galway. Die quirlige irische Hafenstadt zählt seit Jahren zu meinen Lieblingsorten überhaupt. Nun war sie zur Kulturhauptstadt Europas gekürt worden. Großartige Gelegenheit, vor dem offiziellen Startschuss noch einmal vorbeizuschauen, von Dublin aus das kleine Land von Ost nach West zu durchqueren, in das Gaeltacht-Gebiet einzutauchen, die Region, in der die uralte, keltische Sprache noch lebt, und dann an der wilden Westküste den Anker auszuwerfen.
Orte, die man bereits gut kennt, für eine Reportage mit einem bestimmten Themenfokus ein weiteres Mal zu besuchen, hat den Vorteil, dass man gleich in medias res gehen kann. Die Orientierungsphase entfällt: Kein Stadtrundgang entlang der Sehenswürdigkeiten, der sonst den Auftakt bildet für die kurzen Besuche, während derer das Allgemeine und das Besondere eines Ortes erfasst werden müssen, die berühmten Bauwerke wahrgenommen und die Atmosphäre erspürt, Museen und Theater besucht sein wollen.
Generell entstehen natürlich die besseren Geschichten, wenn jemand nicht nur einmal kurz in eine Region oder eine Stadt hineinschnuppert und dann schreibt, was ihm oder ihr so präsentiert wurde und untergekommen ist, sondern Land und Leute schon kennt.
Schlicht und einfach: Für gute Reisereportagen braucht es Hintergrundwissen, eine Grundlage.
Irland hatte ich das erste Mal bereits nach dem Abitur bereist – war mit drei Freunden, mit Rucksack und Zelt durch die damals noch sehr, sehr fremde Republik gezogen. Natürlich war noch nicht daran zu denken, sich auch Nord-Irland anzuschauen. Danach war ich immer wieder auf der Grünen Insel gewesen, hatte jeden Zipfel erkundet, viel Zeit damit verbracht, das ganz eigene irische Lebensgefühl zu verstehen.
Für Galway 2020 hieß das: wir konnten uns mit Akteuren treffen wie mit der tollen integrativen Theatergruppe Blue Teapot und der quirligen Deborah Evers, die ein Programm mit dem Titel »Baa Baa« mitgestaltete, bei dem es um alles mögliche rings um Schafe gehen sollte. Mit ihnen über das Schöne plaudern, das in den kommenden Monaten kommen sollte.
Und ansonsten ein weiteres Mal am Corrib bei den Schwänen vorstellig werden, die zu Galway gehören wie die unzähligen Pubs, in dem phänomenalen Buchladen Charlie Byrne's stöbern und viel zu viele Bücher hinaustragen.
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Viel zu viele – das war der Gedanke damals. Jetzt bin ich froh über den Lesestoff.
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Die Kneipen! Galways Kneipen! Selbst an Wochentagsabenden spielten in der Adventszeit in jeder zweiten von ihnen Bands, gab es Probleme, einen Platz zu bekommen, so voll war es. Einheimische und Touristen genossen die Wärme – draußen herrschte jene typische unangenehm feuchte Kälte der Winter in Irland und Großbritannien – und die Stimmung, drängten sich vor der Bar, um noch eine Runde Bier oder Hot Whiskeys zu ordern.
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Wie sieht eine irische Stadt, wie sieht die Kulturhauptstadt Europas 2020 im Lockdown aus? Was machen die Blue Teapot-Akteure nun, was die »Baa Baa«-Veranstalter? Etliche Programme wurden bereits verschoben, einiges ins Internet verlagert. Die Iren sind in ihrer jahrtausendealten Geschichte Kummer gewohnt, Probleme gehörten stets zum Alltag – aber den Kummer nicht gemeinsam mit Freunden im Pub herunterspülen können? Das gab es wohl noch nie.
Sie werden auch das überstehen, die Iren. Sie sind tough. »Sláinte!« Das Bier, das zwei junge Männer aus Galway auf den Markt gebracht haben, und das so heißt wie die speziellen Segelschiffe der Region, Galway Hooker, gibt es in Deutschland leider nicht, also muss es ein schlichtes Guinness zum Anstoßen tun. Oder etwas Härteres? Ein irischer Whiskey – nur echt mit e vor dem y und dreifach destilliert? Nein, das behalten wir uns noch vor, falls es uns hier eines Tages noch deutlich schlechter gehen sollte.
So schlecht wie den Briten etwa. Geliebte zweite Heimat seit Mitte der 90er, durch verantwortungslose Politiker erst in den Brexit-Wahnsinn geführt und nun mitten hinein in die schlimmsten Auswüchse der Pandemie. Wer Boris Johnson noch nie irgendetwas zutraute, fühlt sich schmerzlich bestätigt. Der Nationale Gesundheitsdienst NHS, über viele Jahre hinweg kaputtgespart, war bereits wenige Tage nach Hochschnellen der Zahlen am Limit. Die tapferen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun, was sie können – und infizieren sich en masse selbst.
Wie fast in jedem Jahr besuchten wir auch England im Vorjahr. Dieses Mal kamen wir sogar auf vier Ziele bei zwei Reisen.
Gleich zu Beginn des Jahres galt es, Brighton an der Südküste endlich einmal richtig kennenzulernen. Jahrzehnte zuvor bei einem der Trips vom damaligen Standort Liverpool aus kurz inspiziert, nahmen wir das bunte Städtchen nun eingehend unter die Lupe und waren mehr als angetan. Ein Seebad mit breitem Strand samt prachtvollem Pier und einem weltberühmten Palast, aber auch mit herausragenden urbanen Qualitäten – ein Ort zum Verlieben. Da in Brighton die grüne Bewegung Englands ihren Anfang nahm, ist es nur logisch, dass der Autoverkehr aus weiten Teilen des Zentrums verbannt ist und es ein Viertel mit veganen Restaurants, Kaffeekooperativen sowie Second-Hand-Läden jeglicher Couleur gibt. Dazu kommt eine quirlige Künstlerszene und eine gewachsene LGBT-Kultur – und all das nur eine Stunde Bummelzugfahrt von London Victoria Station entfernt!
Für einen Besuch in einem der vielen Theater reichte wieder einmal die Zeit nicht, obwohl sie ein Riesen-Renommee genießen; dafür schafften wir es noch, einen Ausflug zu den Seven Sisters einzuschieben, der Kreideküste in Sussex bei East Dean, wo Sherlock Holmes seinen Lebensabend als Bienenzüchter verbracht haben soll. Wenn es die Gelegenheit gibt, verschiedene Tätigkeiten und Vorlieben zusammenzuführen, sollte sie auch ergriffen werden – und der problemlos mit dem Linienbus machbare Abstecher ist eine unbedingte Empfehlung für Brighton-Besucher!
Wie ich die skurrilen Eigenarten der Engländer verehre, dank derer an dem hübschen Steinhaus hinter dem Dorfpub von East Dean eine der blauen Plaketten hängt, mit denen ansonsten reale Menschen geehrt werden! Sherlock Holmes – Consulting Detective & Beekeeper – retired here 1903-1917, heißt es da mit allem nötigen Ernst.
Von dem schönen viktorianischen Bahnhof Brightons aus erprobten wir dann die Regionalzugverbindung nach London-Victoria, um wieder einmal einzutauchen in die geliebte britische Hauptstadt.