Lore-Roman 135 - Gitta van Bergen - E-Book

Lore-Roman 135 E-Book

Gitta van Bergen

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Beschreibung

Die Achtzehnjährige Prinzessin Dalia von Bodenhausen ist der letzte Spross eines verarmten Geschlechts. Sie muss sich für eine bessere Zukunft des Fürstenhauses opfern, dabei schlägt ihr junges Herz heimlich für den Sohn des alten Verwalters. Schon als Kinder haben sie zusammen gespielt, und nun erscheint ihr das Bild von Martin Grote immer wieder vor ihrem geistigen Auge. Sehnsucht und Trauer erfüllen das Herz der kleinen Prinzessin. Der Mann, den sie heimlich liebt, ist unerreichbar. Er ist nicht standesgemäß, er hat ihr nichts zu bieten, er kann ihr niemals ihre ehrgeizigen Wünsche befriedigen. Dalia ist zwar eine mittellose Prinzessin, doch sie stellt große Ansprüche an das Leben. Sie träumt von einem Leben, das keine Einschränkung und keine Sorgen mehr kennt. Wie wird das Leben dieser Fürstentochter aussehen, die ein schweres Erbe antritt?


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Inhalt

Cover

Tränen am Verlobungstag

Vorschau

Impressum

Tränen am Verlobungstag

Roman um das Opfer einer Fürstentochter

Von Gitta van Bergen

Die achtzehnjährige Dalia von Bodenhausen ist der letzte Spross eines verarmten Geschlechts. Die Prinzessin muss sich für eine bessere Zukunft des Fürstenhauses opfern, dabei schlägt ihr junges Herz heimlich für den Sohn des alten Verwalters. Schon als Kinder haben sie zusammen gespielt, und nun erscheint ihr das Bild von Martin Grote immer wieder vor ihrem geistigen Auge. Sehnsucht und Trauer erfüllen das Herz der kleinen Prinzessin. Der Mann, den sie heimlich liebt, ist unerreichbar. Er ist nicht standesgemäß, er hat ihr nichts zu bieten, er kann ihr niemals ihre ehrgeizigen Wünsche befriedigen. Dalia ist zwar eine mittellose Prinzessin, doch sie stellt große Ansprüche an das Leben. Sie träumt von einem Leben, das keine Einschränkung und keine Sorgen mehr kennt. Wie wird das Leben dieser Fürstentochter aussehen, die ein schweres Erbe antritt?

»Mit der rechten Hand umfasst der Herr seine Dame etwas fester.« Die Stimme des Tanzlehrers übertönte die Tangomusik.

Peter von Blumenthal kam dieser Aufforderung nur zu gerne nach. Liebevoll lächelte er dabei auf seine Partnerin hinab.

Das schöne Mädchen in seinem Arm quittierte dieses Lächeln mit abwesendem Blick. Die achtzehnjährige Dalia Prinzessin von Bodenhausen hatte heute etwas anderes im Kopf. Peter langweilte sie. Er war ohnehin einer ihrer treuesten Verehrer.

»Ist es wahr, Peter, dass Ihr Besuch Raphael Andersen vier Wochen bleibt?«

»Ja, es stimmt, Dalia! Raphaels Eltern machen eine Mittelmeerreise und haben ihren Sohn für diese Zeit in Mamas Obhut gegeben. Sie wissen ja, Mama ist eine geborene Andersen!«

O ja, Dalia von Bodenhausen wusste Bescheid! Die Gattin des Herrn von Blumenthal war die Schwester des Großindustriellen Andersen. Und Raphael, der Zwanzigjährige, würde das Riesenunternehmen seines Vaters eines Tages erben.

War das nicht Grund genug, sich für diesen jungen Mann zu interessieren? Besonders wenn man eine mittellose Prinzessin war, die große Ansprüche an das Leben stellte?

Prinzessin Dalia sandte wieder einen langen Blick ihrer schönen blauen Augen zu Raphael Andersen hinüber, der seinen Vetter Peter in diese Tanzstunde für die Söhne und Töchter der besten Familien begleitet hatte und der gerade mit der kleinen Isabelle von Meyendorff tanzte.

Nicht ein einziges Mal hatte Raphael Andersen Dalia bis jetzt aufgefordert! Überhaupt keine Notiz hatte er von ihr genommen! Und sie wollte ihm unter allen Umständen gefallen!

»Promenade, Linksdrehung und Schluss!«, kommandierte der Tanzlehrer, und die Klaviermusik brach ab. Der Tango war zu Ende.

Peter von Blumenthal führte seine hübsche Partnerin zu ihrem Platz. Ganz dicht vor ihnen schritten Isabelle und Raphael.

»Wir sehen uns sicher morgen in der Reithalle, Peter!«, sagte Prinzessin Dalia überlaut. »Reitet Ihr Vetter auch?«

Das konnte der Gast nicht überhören. Raphael Andersen drehte sich um und schaute der schönen Fragerin ins Gesicht.

Donnerwetter, das war ein Mädchen! In einem Gesicht mit zartem Teint lockte ein kleiner, etwas herrischer Mund. Die gewölbte Kinderstirn war von goldenem Haar umrahmt, das seidig offen auf die Schultern herabfiel. Zierlich und doch von der zähen Biegsamkeit einer Stahlfeder schien das Figürchen zu sein.

Sie ist schön!, dachte er. Aber die Augen sind mir zu wach, zu blank. Sie sehen aus, als wären sie ständig auf der Jagd nach dem Glück!

Raphael Andersen wusste noch nicht, wie sehr er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. In der Tat kannte Prinzessin Dalia, der letzte Spross eines verarmten Geschlechts, nur ein Ziel: gesellschaftliche Karriere, Glück und Erfolg!

Die kleine Isabelle von Meyendorff fühlte sich entlassen und hatte bescheiden Platz genommen. Ihr Tänzer stand bei Peter und Prinzessin Dalia.

»Willst du mich nicht bekannt machen, Peter?«

Mit gemischten Gefühlen stellte der junge Baron von Blumenthal vor: »Mein Vetter Raphael Andersen – Prinzessin Dalia von Bodenhausen.«

Die Prinzessin lächelte verführerisch. Sie hatte ihr Ziel erreicht.

»Sie reiten also, Gnädigste?«, begann Raphael die Unterhaltung.

»Ja, im hiesigen Reitverein!«

»Wenn du willst, kannst du mich morgen gerne begleiten, Raphael!«, konnte Peter nicht umhin, den Vetter einzuladen.

»Ja, gern! Daheim halte ich meine regelmäßigen Reitstunden ein. Es wird mir ein Vergnügen sein, der Prinzessin auch auf der Sandbahn zu begegnen!«

Raphael Andersen machte eine artige Verbeugung.

Dalia von Bodenhausen triumphierte innerlich. Der Kontakt zu dem reichen Erben war also hergestellt.

»Morgen Mittag um zwei bin ich dort!«, erklärte sie lächelnd. »Aber ich reite lieber im Freien.«

Nun setzte ein neuer Tanz ein. Es war ein Wiener Walzer.

»Darf ich bitten!«, verneigte sich Raphael vor Prinzessin Dalia und glitt mit ihr nach den ersten wiegenden Takten davon. Es blieb Peter von Blumenthal nichts anderes übrig, als sich nach einer anderen Dame umzusehen.

Natürlich ist Raphael jetzt der Favorit!, dachte er. Mit dem Geldbeutel seines Vaters kann unsereins nicht konkurrieren!

Der Baron von Blumenthal besaß mehrere große Steinbrüche draußen vor der Stadt sowie ein Kunststeinwerk. Den schon lange nicht mehr rentablen landwirtschaftlichen Betrieb hatte er eingestellt und den größten Teil seiner Ländereien zu guten Preisen an Wohnungsbaugesellschaften verkauft. Er war also durchaus kein armer Mann, konnte aber nicht mit dem Reichtum der Familie Andersen konkurrieren.

Prinzessin Dalia lehnte sich leicht in den Arm des jungen Andersen und lächelte wie träumend. Sie träumte auch – sie träumte von einer tieferen Beziehung zu diesem Millionärssohn, von einem Leben, das keine Einschränkung und keine Sorgen mehr kannte.

Gewiss wusste Raphael Andersen nicht, wie quälend unbezahlte Rechnungen, wie demütigend verwaschene und gestopfte Kleider und wie zermürbend eine ständige Ebbe in der Haushaltskasse sein konnten.

»Was meinen Sie damit, dass Sie am liebsten im Freien reiten, Prinzessin? Gibt es denn dazu in dieser ziemlich reizlosen kleinen Stadt eine Möglichkeit?«, fragte Raphael, während sie sich im Walzer drehten.

»Und ob!«, erwiderte sie. »Von der Reithalle aus führt ein Sommerweg am Stadtrand entlang. Er geht durch Wiesen und Felder. Nur noch von Weitem sieht man dann die Stadt als Silhouette liegen. Dort reite ich gern. Das gibt mir das Gefühl von Freiheit und Überlegenheit!«

Er hörte ihr aufmerksam zu und sagte: »Wenn das Wetter morgen günstig ist, können wir ja auf Ihrem Lieblingsweg einen kleinen Spazierritt unternehmen, Prinzessin!«

Das war genau das, was sie gewollt hatte! Ein Alleinsein mit dem Millionenerben.

»Am Ende dieses Weges liegt unser Park! Haus Bodenhausen ist zwar weder prächtig noch wohlerhalten, aber es verfügt über einen wundervollen Park!«, schwärmte sie.

Raphael Andersen sah ihr tief in die Augen. Er wusste, sie sprach nicht ohne Grund von diesem Park. Ein charmantes Abenteuer lockte.

So viel wusste auch er über die Familie von Bodenhausen, dass sie zum ältesten und vornehmsten Adel des Landes gehörte, aber leider verarmt war. Der Fürst hatte es nicht verstanden, mit der Zeit zu gehen und im richtigen Moment Aktien und Industrieanteile zu erstehen. Er galt als ein sehr tüchtiger Privatgelehrter, doch die Archäologie brachte ihm leider nicht viel ein.

Der größte Teil seiner Ländereien lag in Schlesien, waren also heute unerreichbar und gehörten ihm nicht mehr. Nur das Stammhaus der Familie existierte noch und wurde von dem Fürsten, seiner Gattin und ihrer einzigen Tochter Dalia bewohnt.

Raphael Andersen konnte es sich leisten, über den mangelnden Reichtum hinwegzusehen. Ihn lockte der Umgang mit dem Adel, den er sich leider auch für all sein Geld nicht kaufen konnte.

So war die Verabredung getroffen, an der Prinzessin Dalia so viel gelegen war, und befriedigt konnte sie nach Beendigung der Tanzstunde nach Hause fahren.

Sie tat es in einem Wägelchen, das höchst bescheiden und eigentlich nicht standesgemäß war. Und während sie am Steuer saß, hatte sie lauter bittere Gedanken.

Was war eigentlich für die Bodenhausens noch standesgemäß? Ja, wenn die Mutter nicht gewesen wäre, die mit ihrer Umsicht und Tüchtigkeit für geringfügige Einnahmen sorgte und es der Familie ermöglichte, wenigstens den Schein alten Glanzes zu wahren, hätten sie wohl die Stadt verlassen und irgendwo in der Mietwohnung einer Großstadt untertauchen müssen in der Anonymität der Masse.

Es hatte zu regnen begonnen, als Prinzessin Dalia das graugestrichene riesige Eisentor erreichte, das den Park von Bodenhausen gegen die Außenwelt abschloss. Wie eine Insel lag dieser Überrest eines einst großen Besitzes inmitten emporschießender neuer Wohnviertel.

Neben dem grauen Eisentor stand ein kleines Haus. Hier wohnte der alte Grote, der bei den Bodenhausens Mädchen für alles war. Er versah seit fünfundzwanzig Jahren das Amt des Gärtners, Hausmeisters, Hühnerknechtes und Heizers.

Die Grotes hörten die Prinzessin in ihrem Wagen vorbeifahren. Es war aber nicht nötig, hinauszugehen. Das Tor stand den ganzen Tag offen und wurde abends um acht von dem alten Mann gewissenhaft geschlossen.

In dem kleinen Haus brannte Licht. Prinzessin Dalia sah durch die schneeweißen Scheibengardinen die alte Frau am Tisch unter der Küchenlampe sitzen. Sie strickte.

Der Wagen fuhr eine lange Allee hinauf zum Herrenhaus. Scheußlich!, dachte Dalia. Was ist von seiner einstigen Schönheit noch übrig?

Das Glasdach, das die Haustür überwölbte, wies Löcher auf, und der Regen rieselte hindurch.

»Verfall! Verfall an allen Ecken und Enden!«, murmelte Prinzessin Dalia vor sich hin, während sie fröstelnd aus dem haltenden Wagen stieg, die Stufen emporging und die in den Angeln quietschende Haustür aufstieß.

Sie drehte den Schalter rechts an der Wand, und eine viel zu kleine elektrische Lampe flammte auf.

Sie vermochte kaum die Hälfte der mächtigen Eingangshalle zu erhellen. Jagdtrophäen glücklicherer Vorfahren warfen bizarre Schatten von den Wänden. Prinzessin Dalia hängte selber Mantel und Hut an die Garderobe, da es auf Bodenhausen keinen Diener mehr gab, wenn nicht der alte Grote bei den selten gewordenen Einladungen die verschossene Livree anzog und mit gestopften weißen Handschuhen servierte.

Dalia trat in das rechter Hand von der Eingangstür gelegene große Wohngemach.

»Ah!«, machte der Vater und nickte ihr zu. »Guten Abend, mein Kind!«

Sie konnte sicher sein, dass das die einzigen Worte waren, die er heute Abend mit ihr sprach.

Er saß in einem altväterlichen Ohrensessel neben dem Kamin und las mit krummem Rücken und vorgebeugtem Kopf in einem stockfleckigen Buch. Wieder eines seiner Kostbarkeiten!, dachte Dalia respektlos.

Bodo Fürst von Bodenhausen lebte ganz seinem Steckenpferd, dem Studium von Ausgrabungen ehemaliger karolingischer Siedlungen. Er grub im Landesarchiv und den alten Bibliotheken nach Material und schrieb lange Abhandlungen darüber, die selten eine Zeitschrift druckte. Für das praktische Leben war er nicht zu gebrauchen.

In der anderen Ecke des Zimmers stand ein wunderschöner alter Sekretär aus dem achtzehnten Jahrhundert, der aber dringend eine Aufarbeitung bedurft hätte. An diesem Möbelstück saß Silvia Fürstin von Bodenhausen und rechnete.

Die Mitte des Zimmers nahm ein Tisch mit polierter Platte ein, an dem die Familie sehr unzeremoniell zu essen pflegte.

»Guten Abend, Mama! Rechnest du schon wieder?«, sagte Prinzessin Dalia naserümpfend und küsste die Wange ihrer Mutter.

Dann nahm sie vor dem einzelnen Gedeck Platz, das man am unteren Ende des Familientisches für sie noch hatte stehen lassen. Ein paar Scheiben Brot lagen im Korb, ein wenig Aufschnitt stand bereit und der Tee auf dem Wärmeöfchen.

»Ja, Dalia, die allabendliche Beschäftigung!«, seufzte die Mutter und strich sich mit der Hand über die frühzeitig von Falten durchzogene Stirn. Ihre blauen Augen – die gleichen schönen Augen wie sie Prinzessin Dalia hatte – blickten müde.

Noch immer war Fürstin Silvia eine schöne Frau. Sie besaß eine untadelige, sehr damenhafte Haltung und kleidete sich schlicht und vornehm. Aber es war nicht zu übersehen, dass der Stoff ihres dunkelblauen Wollkleides blankgescheuert war vom vielen Tragen, und die echten Spitzen des kleinen Jabots, das das Kleid am Halsausschnitt schmückte, waren gestopft. Die schmale goldene Nadel mit dem Amethyst, die das Jabot an diesem Platz hielt, war das letzte Schmuckstück, das die Fürstin noch besaß.

Prinzessin Dalia hatte es nie anders gekannt. Der Vater vergrub sich in seine Bücher und bemerkte nicht einmal, dass seine Hosen blank und die Ärmelränder des Jacketts zerschlissen waren, und die Mutter rechnete verzweifelt.

Das junge Mädchen belegte sich eine Schnitte sehr sparsam und bemerkte: »Ich habe für morgen nach der Reitstunde einen Besuch eingeladen, Mama.«

Die Mutter hob nervös den müden Kopf.

»Das ist mir aber gar nicht recht, Dalia! Ich habe wirklich kein Geld für eine Bewirtung übrig. Die zehntausend Mark vom Verkauf der letzten Wiese am Fluss sind noch nicht eingegangen, und unsere Hühner haben in diesem Monat durchaus noch nicht so gelegt, wie man es erwarten konnte!«

»Ach, die Hühner!«, machte die Prinzessin eine wegwerfende Handbewegung. Ihr war es zuwider, an das Hühnergeschäft der Mutter erinnert zu werden.

Fürstin Silvia unterhielt gemeinsam mit dem treuen, fleißigen alten Grote eine Hühnerfarm im hinteren Teil des Parkes. Auf den Rasenflächen, wo einst die jungen Leute aus adeligen Familien ihre Feste gefeiert hatten, suchten heute die Hühner nach Würmern.

Fürstin Silvia ereiferte sich: »Warum urteilst du so abfällig über die Hühner? Sie sind unsere einzige Einnahmequelle! Aber das Kraftfutter ist im Verhältnis zu den Eierpreisen wirklich zu teuer!«

»Hör bitte auf, Mama!«, unterbrach das junge Mädchen ungeduldig. »Ich werde es niemals lernen, mich für deine Hühnerwirtschaft zu interessieren! Eine Prinzessin von Bodenhausen kann andere Ansprüche an das Leben stellen!«

»Was für welche, bitte?«, fragte die Fürstin nüchtern und hob wieder den Blick von ihren Zahlenkolonnen.

»Zum Beispiel den Anspruch auf eine standesgemäße Partie!«

»Dass ich nicht lache! Ein Mädchen ohne Mitgift, ein Mädchen aus einer verarmten Familie! Du hast reichlich viele Illusionen, meine Liebe!« Sie klopfte nervös mit dem Bleistift auf die Tischkante.

»Vielleicht auch nicht! Bei meinem Besuch morgen handelt es sich um Raphael Andersen, den einzigen Sohn des Großindustriellen Andersen.«

Sie warf triumphierend den Kopf zurück.

Die müden Augen der Mutter wurden aufmerksam.

»Wie bist du an diese Bekanntschaft gekommen? Wie alt ist der junge Mann?«

»Zwanzig! Er hat im vorigen Jahr sein Abitur gemacht. Nach ein wenig Praxis im väterlichen Betrieb will er ein Hochschulstudium beginnen.«

Die Fürstin lachte bitter auf.

»Und davon versprichst du dir etwas? Er ist ja noch nicht trocken hinter den Ohren, der junge Herr, und Prinzessin Habenichts schmiedet schon Zukunftspläne! Nein, Dalia, das schlage dir aus dem Kopf!«

Schmollend schob die Prinzessin die Lippen vor. »Wieso denn, Mama? Manchmal hat auch eine Jugendliebe zu einer Heirat geführt!«

»Woher weißt du denn überhaupt, dass er in dich verliebt ist? Und wie lange kennst du ihn?«

»Zwei Stunden, Mama! Und verliebt sind in mich alle, bei denen ich es darauf anlege!«, erwiderte Dalia selbstsicher.

Jetzt lachte die Mutter wirklich amüsiert auf, legte den Bleistift weg und stützte den Kopf in die Hand.

»Ich wünsche dir ein anderes Leben, als das meine war, mein Kind!«, flüsterte sie aus tiefstem Herzensgrund. »Aber ob der Weg, den du gehen willst, der richtige ist, der Weg über den berechnenden Verstand, das bezweifle ich.«

»Ich bin zu arm, um mir Gefühle leisten zu können!«, erwiderte ihre Tochter herb und entschlossen. »Ich weiß, wie weh Armut tut! Unter allen Umständen will ich mir einen Platz an der Sonne erobern, und das Einzige, was ich in die Waagschale zu werfen habe, sind meine Reize! Ich muss sie also nutzen.«

Die Fürstin betrachtete sinnend ihre einzige Tochter. Wie ganz anders war das Mädchen doch geartet als sie! Sie war einst nur dem Zug ihres Herzens gefolgt.

Bei dem Gedanken an ihre verflossene Jugend und alle einst gehegten Träume fiel ihr ein anderer junger Mensch ein, der gerade mit vollen Segeln seinem Ziel zustrebte.

»Ehe ich es vergesse, Dalia«, sagte sie, »Martin Grote war hier. Er wünschte dich dringend zu sprechen!«

Prinzessin Dalia faltete die Serviette zusammen und schaute interessiert auf.

»Martin? Gab es etwas Besonderes?«

»Er sagte, dass er morgen ganz früh noch einmal wiederkommen wolle. Er war sehr aufgeregt und sprach von einer Nachricht aus Hamburg.«

»Aus Hamburg, Mama? Von der Hochschule? Oh, sollte er wirklich Erfolg gehabt haben?«

Prinzessin Dalias für gewöhnlich so kühlen Augen bekamen einen warmen Glanz.

Sie ist also doch imstande, für einen Menschen auch ohne Berechnung etwas zu empfinden!, dachte ihre Mutter erleichtert und warf einen Blick auf die alte Rokoko-Uhr, die auf der Vitrine stand. »Es geht auf neun Uhr. Wir wollen schlafen, Bodo!«

Der lesende Mann hob den vorgeneigten Kopf und rieb sich zwinkernd die Augen.

»Schon so spät, meine Liebe? Wie die Zeit vergeht!« Er erhob sich aus seinem Sessel. »Gute Nacht, Dalia! Schlafe wohl!«

Steif und aufrecht schritt er langsam zur Tür.

»Gute Nacht, Papa!«, flüsterte Prinzessin Dalia hinter ihm her. Dann fiel die Tür ins Schloss.

Seufzend sahen sich Mutter und Tochter an.

»Er lebt gar nicht richtig! Er träumt!«, sagte Fürstin Silvia leise. »Vielleicht ist das gut so. Ihm wird unsere Lage gar nicht bewusst. Gute Nacht, mein Kind.«

Sie strich der Tochter über den blonden Scheitel und verließ das Zimmer, ihre Rechnungsbücher unter dem Arm. Sie pflegte sie auf ihren Nachttisch zu legen und oft des Nachts noch nach ihnen zu greifen, wenn die Sorgen sie nicht schlafen ließen.

Prinzessin Dalia ging langsam zum geöffneten Fenster und schaute in den dunklen Park hinaus. Sie sah an dessen Ende das Licht im Wärterhäuschen brennen, wo die Familie Grote wohnte.

Welche Dinge mochten diese Menschen jetzt bewegen? Gingen am Ende die Träume ihres Freundes Martin in Erfüllung?

Das junge Mädchen seufzte und legte die Hände wie zu einer Bitte zusammen, einer Bitte an das Schicksal, dass es auch ihre heißen Wünsche erfüllen möge.

***

Martin Grote war einundzwanzig Jahre alt. Er war im Wärterhaus des Schlosses Bodenhausen aufgewachsen, und als Prinzessin Dalia und Martin noch Kinder waren, hatten sie miteinander gespielt und keine Notiz davon genommen, dass gesellschaftliche Unterschiede zwischen ihnen bestanden.

Desto mehr Unterschiede gab es jetzt! Martin Grote hatte zwar auch das Abitur, aber das Einkommen seines Vaters hatte nicht ausgereicht, ihm sein Studium zu finanzieren. Seit drei Jahren saß er in einem Büro und quälte sich mit Soll und Haben und Aktenstaub herum.

»Nun, Martin, was gibt es denn? Mama sagte, du hättest eine wichtige Nachricht bekommen!«