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Die zukünftige Erbin eines großen, angesehenen Unternehmens aus Bremerhaven kennt den Zirkusartisten aus Argentinien erst seit wenigen Stunden, da gibt sie ihm ihr Wort, ihn nach Hamburg zu seinem nächsten Engagement zu begleiten und seine Frau zu werden. Juttas Mutter schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als sie davon erfährt, aber ihre Tochter lässt sich nicht umstimmen. Juttas Großvater war Seemann, und sie hat die Rastlosigkeit ihrer Vorfahren geerbt. Das abenteuerliche Leben an der Seite eines Artisten lockt sie. Doch dem liebenden Paar ist nur eine kurze Spanne des Glücks vergönnt, dann beendet es ein tragischer Unfall jäh.
Jutta bleibt allein zurück - ohne Trauschein, mit einem Kind unter dem Herzen und dem unruhigen Blut ihrer Ahnen, das ihr erneut zum Verhängnis wird ...
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Seitenzahl: 139
Cover
Des Lebens Seligkeit
Vorschau
Impressum
Des Lebens Seligkeit
Ein zu Herzen gehender Schicksalsroman
Die zukünftige Erbin eines großen, angesehenen Unternehmens aus Bremerhaven kennt den Zirkusartisten aus Argentinien erst seit wenigen Stunden, da gibt sie ihm ihr Wort, ihn nach Hamburg zu seinem nächsten Engagement zu begleiten und seine Frau zu werden. Juttas Mutter schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als sie davon erfährt, aber ihre Tochter lässt sich nicht umstimmen. Juttas Großvater war Seemann, und sie hat die Rastlosigkeit ihrer Vorfahren geerbt. Das abenteuerliche Leben an der Seite eines Artisten lockt sie. Doch dem liebenden Paar ist nur eine kurze Spanne des Glücks vergönnt, dann beendet es ein tragischer Unfall jäh.
Jutta bleibt allein zurück – ohne Trauschein, mit einem Kind unter dem Herzen und dem unruhigen Blut ihrer Ahnen, das ihr erneut zum Verhängnis wird ...
»Lassen Sie bitte das Fenster offen, Herr von Rudeck. Man muss die schönen Tage hier genießen. Es sind nicht viele.«
Rolf von Rudeck wandte sich lächelnd seiner Chefin zu.
»Die Nordsee ist ganz anders als die Seen im Sauerland, Frau Herwart!«
»Ich weiß, junger Mann. Hier in Bremerhaven weht der Atem der Weltmeere.«
Der junge Prokurist der Firma Herwart betrachtete voller Verständnis seine Chefin.
»Ich verstehe Ihre Liebe zu Ihrer Heimatstadt sehr gut. Mit ähnlicher Wärme sprechen meine Eltern von unserer verlorenen Heimat im Osten. Sie werden sich denken können, dass ich das nicht empfinde. Ich kenne meine Heimatstadt nicht. Niemals habe ich das Gut kennengelernt, auf dem ich geboren wurde.«
Magda Herwart wurde ernst und nickte.
»Das kann ich gut nachempfinden. Ich stamme von einem Bauernhof. Den Hof meiner Eltern können Sie sich einmal ansehen! Mein Bruder hat ihn gut in Ordnung.«
Die Chefin klopfte mit dem Bleistift auf den Schreibtisch. Ihre hellen Augen sahen an ihrem Prokuristen vorbei durch das Fenster.
Draußen auf dem Hof herrschte das geschäftige Treiben, das der nahende Feierabend immer auslöste. Das weitläufige Gelände ließ auch für einen fremden Beobachter erkennen, dass die Firma Herwart mit Isoliermitteln und Spezialfarben für Außenanstriche handelte. Tankbehälter, Lagerhallen und das Bürogebäude, an das sich ein Flachbau für das Labor anschloss, säumten den Platz, der bis zum Hafenbecken hinunterreichte.
Frau Magda stand auf und trat an das geöffnete Fenster. Sie blickte über das weite Hafengebiet mit seinen zahlreichen Kränen und Masten auf die untergehende Sonne.
Rolf von Rudeck folgte mit den Blicken den Rauchfahnen aus den Schornsteinen der Industriebetriebe, die der Westwind davontrieb und in der Ferne am Himmel auflöste.
»So etwas gibt es natürlich nicht im Sauerland«, meinte Rolf lächelnd.
Seine Chefin schüttelte leicht den Kopf.
»Aber die Landschaft dort ist wunderschön. Daran gibt es nichts zu deuteln. Mein Mann verbrachte mit mir einen Urlaub dort. Nur möchte ich nicht in dieser Gegend wohnen. Ich brauche nun einmal die endlose Weite des Meeres und das Rauschen der Wellen.«
»Man muss wohl am Meer geboren sein, um es zu lieben«, murmelte der junge Mann.
Die Frau drehte sich brüsk um.
»Man muss Kraft genug haben, um sich nicht ganz in diese Liebe zu verlieren«, sagte sie.
Rolf von Rudeck schwieg.
Er kannte die Geschichte der Herwarts, denn die alte Bremerhavener Patrizierfamilie war ihm bekannt, und seit er in der Handelsstadt lebte, war ihm diese Geschichte oft erzählt worden ...
Nach dem Abitur war Rolf als Volontär in die Firma Herwart eingetreten und hatte sich schnell das Wohlwollen seines Chefs erworben.
Ewald Herwart war ein bedächtiger, schweigsamer Mensch gewesen. Ein Mann wie ein Baum, zuverlässig und voller Energie.
Rolf wusste aber auch, welch unruhiges Blut Ewald Herwart durchpulst hatte. Ewalds Vater war Seefahrer gewesen, Kapitän. Und es hatte Ewald fast das Herz zerrissen, als sein jüngerer Bruder, der die Firma übernehmen sollte, verstorben war.
Es war nicht nur der Schmerz um den Bruder gewesen, sondern auch die Qual, für immer an Land gehen zu müssen, damit die goldenen Buchstaben des Namens Herwart weiter an den Lagerhäusern der väterlichen Firma glänzen konnten.
Ewald hatte auf dem Stuhl des Vaters im Kontor gesessen und mit Umsicht das Erbe zusammengehalten.
»Ein Glück, dass ich wenigstens segeln kann«, hatte er oft zu Rolf gesagt, der in der Firma bald unentbehrlich geworden war.
Und so hatte Ewald Herwart mit Rolf von Rudeck in jeder freien Minute sein Boot benutzt. Und in dem Boot hatte Rolf eines Tages seinen toten Chef heimgebracht.
Ein Mann wie ein Baum. Und wie ein Baum gefällt vom Herzschlag, den niemand erwartet hatte.
Frau Magda war mit ihrer einzigen Tochter allein zurückgeblieben. Das Mädchen hatte gerade das Abitur bestanden.
Vier Jahre war das nun her.
»Werden Sie an Ihrem Platz bleiben, Herr von Rudeck?«, hatte Magda Herwart den jungen Prokuristen gefragt.
Rolf hatte stumm genickt.
»Dann machen wir weiter – für Jutta«, hatte die neue Chefin der Firma gesagt. »Wie ist Ihre Antwort?«
»Meine Antwort kennen Sie schon, Frau Herwart. Wie könnte ich Sie gerade jetzt verlassen? Es wird schwer für Sie werden.«
»Danke, Herr von Rudeck. Von der Firma verstehe ich zwar nichts, aber ich werde es lernen. Für die Leitung eines Geschäftes wird wohl das Gleiche gelten wie für einen ordentlichen Haushalt: die Pfennige zusammenhalten, billig einkaufen, nie die Übersicht verlieren und alle, die dazu gehören, unter einen Hut bringen.«
Von Rudeck hatte lächeln müssen.
»Man könnte es nicht besser ausdrücken. Und da Sie eine gute Hausfrau sind, werden Sie es schaffen!«
»Wir werden es schaffen. Wir zusammen!«
Sein kräftiger Händedruck hatte das Versprechen besiegelt.
Die Firma hatte sich nicht nur gehalten, sondern sogar noch erweitert.
Aber Reichtum schützte nicht vor Sorgen ...
»Gehen wir noch einmal über das Betriebsgelände?« Frau Herwart ging zur Tür. Der junge Prokurist folgt ihr. Er wusste, dass Frau Magda diesen letzten Rundgang am Abend liebte.
Stille herrschte ringsum. Nur vom Hafen her dröhnte ab und zu der dumpfe Ton einer Schiffssirene, und auf dem schmalen Kanal am Ende des Platzes tuckerte eine Barkasse daher.
Vom Hauptgebäude her kam der heisere Ton eines Hornsignals. Drei kurze Töne.
»Das gilt Ihnen, Frau Herwart. Ein Telefongespräch«, sagte Rolf von Rudeck.
♥♥♥
Magda Herwart hob den Telefonhörer ab.
Sie klopfte ungeduldig mit dem Fingernagel gegen die Sprechmuschel, während sie wartete.
»Hallo, Jutta? Wie geht's? Habt ihr gut gespielt?«
Rolf von Rudeck trat leise vom Halleneingang, an dem er gewartet hatte, zurück auf den Platz. Das war ein Privatgespräch. Frau Herwarts Tochter.
Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zum Wasser hinunter.
Der junge Mann freute sich auf den Abend. Wenn er sich beeilte, konnte er noch ein wenig rudern. Zum Bootshaus an der Geeste-Mündung war es ja nicht weit.
Hinter sich hörte er Schritte. Er drehte sich um. Frau Herwart kam heran. Rolf nahm die Hände aus den Taschen. Gut gelaunt sah die Chefin nicht aus. Da war wohl etwas schiefgegangen.
Frau Magda achtete nicht auf ihn. Sie setzte stumm ihren Rundgang fort.
Von Rudeck schwieg, als er wieder an ihre linke Seite trat. Sicher hatte Jutta der Mutter Ärger bereitet.
Rolf atmete schwer. Er konnte sich nicht beklagen, dass die Mädchen ihn vernachlässigten. Im Gegenteil! Er konnte sich vor Bewunderinnen kaum retten.
Aber ihn hatten zwei blitzende blaue Augen verzaubert. Das verbarg er tief in seinem Herzen. Er würde sich hüten, Jutta Herwart wissen zu lassen, wie sehr er sie verehrte.
Nach der Lehre hatte sie sich nicht mehr um die Firma gekümmert. Wenn irgendjemand sein Leben genoss, dann war es Jutta Herwart.
Rolf zuckte die Schultern. Das war ihre Sache oder die ihrer Mutter. Aber dass sie keinen Blick für ihn übrig hatte, bekümmerte ihn.
Er war für sie der Herr Prokurist, der Freund der Eltern. Sie war kameradschaftlich. Aber Rolf hätte es gern gesehen, wenn er Jutta mehr bedeutet hätte.
Musste er sich an so einem schönen Abend die Stimmung verderben? Jutta war eben nicht für ihn bestimmt. Damit musste er sich abfinden.
Aber welches Herz lässt sich befehlen?
Auf der Treppe des Bürogebäudes drehte sich Frau Herwart noch einmal um und sah nachdenklich auf ihren Besitz. Sie seufzte.
»Und das alles ist ihr gleichgültig«, brach es aus ihr heraus. Sie schüttelte den Kopf. »Und dabei erbt sie alles. Was wird sie damit anstellen?«
»Fräulein Jutta ist noch jung«, murmelte Rolf entschuldigend.
»Sie ist jetzt zweiundzwanzig Jahre alt, und Sie sind knapp sieben Jahre älter, wenn ich mich nicht irre.«
»Fast acht!«
»Also acht Jahre. Ist das ein so gewaltiger Unterschied? Und doch haben Sie nicht so viel Flausen im Kopf wie Jutta. Es sei denn, Sie wären ein Heimlichtuer und hätten es faustdick hinter den Ohren.«
Rolf von Rudeck unterdrückte ein Grinsen.
»Ich werde mich wohl nicht von meinen Altersgenossen unterscheiden, Frau Herwart«, meinte er freundlich.
»Keine falsche Bescheidenheit! Sie haben schon etwas geschafft. Da können Sie sich auch ruhig etwas erlauben. Aber Jutta? Seit Abschluss ihrer Lehre irrt sie doch nur herum.«
»Sie ist eine tüchtige und erfolgreiche Sportlerin, Frau Herwart.«
»Darüber freue ich mich ja auch. Aber vom Tennisspielen kann sie nicht leben. Und das eigene Boot im Jachthafen kostet auch nur Geld und bringt nichts ein.«
Rolf scharrte verlegen mit dem Schuh im Kies vor der Treppe. Diese Vorwürfe waren ihm peinlich. Er gehörte schließlich nicht zur Familie.
»Man darf nicht alles nur unter geschäftlichen Gesichtspunkten betrachten«, versuchte er die Chefin zu beruhigen.
»Na, an Ihnen hat Jutta ja einen hervorragenden Verteidiger gefunden. Wenn Sie nicht so väterlich weise daherreden würden, könnte man fast denken, Sie hätten eine Schwäche für das Mädchen.«
Rolf räusperte sich, um die plötzliche Verlegenheit zu verdecken.
»Fräulein Jutta ist ja auch mehr als hübsch!«
»Lieber Herr von Rudeck, sagen Sie ihr das nicht. Dann schnappt sie ganz über! Sie flirtet jetzt schon den ganzen Tag. Gestern Tanz, heute Besuch bei einer Freundin, morgen für eine Woche bei einer anderen Freundin, so verläuft ihr Leben!«
»Sie wird älter, Frau Herwart, und dann auch vernünftiger«, sagte Rolf leise.
Frau Magda schritt die Stufen hinauf. Unmutig schüttelte sie den Kopf.
»Ich hätte gescheitere Reden von Ihnen erwartet, mein Lieber«, murrte sie. »Von Farben verstehen Sie wohl alles, aber von jungen Mädchen nur wenig. Wer Sie heiratet, wird Sie um den kleinen Finger wickeln können.«
»Es wird sich zeigen, wer wen um den Finger wickelt«, protestierte Rolf entrüstet.
Im Stillen dachte er aber, dass er sich von Jutta gern um den Finger wickeln ließe.
»Ach Sie! Ihnen werden die Augen noch aufgehen.«
Sie traten in die Büroräume.
»Es tut mir leid, dass der Anruf Sie so verstimmt hat«, murmelte Rolf.
Frau Herwart blickte ihn an. Ihm konnte sie vertrauen. Warum sollte sie ihm nicht sagen, was sie verärgert hatte? Auf irgendeine Weise würde er es doch erfahren. Einer beobachtete den anderen.
Sie zuckte die Schultern.
»Man hing an seinem Eigentum bei uns zu Hause. Das unruhige Blut brachten die Herwarts mit, und Jutta hat es leider geerbt.«
»Das braucht kein Nachteil zu sein«, tröstete Rolf sie unbeholfen. »Wie viel in der Welt wäre noch unerforscht, wären nicht immer wieder Menschen von ihrem unruhigen Blut auf neue Wege getrieben worden, die zum Erfolg führten.«
Frau Magda zog die Schultern hoch.
»Ich möchte wissen, welcher Erfolg am Ende von Juttas Weg steht.« Eine Spur von Bitterkeit war in ihrer Stimme.
Sie strich sich eine Strähne ihres Haares, die sich vorwitzig aus der Spange gelöst hatte, zurück.
»Vorhin rief sie an, um mir mitzuteilen, dass sie heute Abend nicht zum Essen käme. Sie hat eine interessante Bekanntschaft gemacht, im Fischereimuseum.« Sie lachte spröde auf. »Wie kommt Jutta bloß in dieses Museum?«
»Ein Mann?«
»Natürlich ein Mann! Sie isst mit ihm in den ›Hummerstuben‹ zu Abend. Und ich sitze allein zu Hause.«
Rolf schwieg. Sollte er ihr sagen, dass das immer so war und immer so bleiben würde? Dass aus Kindern Erwachsene wurden, die ihre eigenen Wege gingen? Musste sie es nicht selbst am besten wissen?
»Ja, lieber Herr von Rudeck, lassen Sie sich nicht aufhalten. Sie haben sicher noch etwas vor.«
»Nichts Besonderes. Ich wollte noch ein bisschen rudern.«
»Tun Sie das. In Ihrem Alter hat man viel überschüssige Kraft. Beneidenswerte Jugend. Also dann bis morgen!«
Sie reichte ihm die Hand.
Rolf war schon in seinem Zimmer, um den Schreibtisch zu verschließen, als Frau Herwart noch einmal in der geöffneten Tür auftauchte.
Er wandte sich um.
»Ja, Frau Herwart? Ist noch etwas?«
»Hätten Sie Lust, heute Abend in den ›Hummerstuben‹ zu essen?« Ihr Blick irrte durch den Raum.
Rolf richtete sich auf. Ruhig sah er seine Chefin an. Sie tat ihm leid. Aber es gab hier nur eine Antwort.
»Das sollte ich lieber nicht tun, Frau Herwart«, sagte er langsam. »Ich glaube, das sähe nicht gut aus.«
Er blickte auf die Papiere in seinen Händen, um ihr Erröten nicht sehen zu müssen. Sie schämte sich.
»Ja, das ist richtig.« Ihre Stimme war kaum verständlich. »Entschuldigen Sie, Rolf. Guten Abend!«
»Guten Abend, Frau Herwart«, murmelte er.
Als er aufblickte, war sie schon verschwunden. Auf der Treppe verklangen ihre Schritte. Jetzt ging sie zu ihrer Villa, die nebenan lag.
Niemand würde sie dort erwarten – nur das Personal. Aber konnte das das eigene Kind ersetzen?
Rolf seufzte. Geld machte also auch nicht glücklich. Die Reichen hatten auch ihre Probleme. Vielleicht sogar noch mehr als andere.
Warum hatte die Chefin ihn plötzlich Rolf genannt? Sie hielt doch sonst sehr auf Distanz.
Hätte der junge Mann in den Gedanken von Frau Magda lesen können, wäre er wohl noch überraschter gewesen.
Ein Mann mit Charakter, dachte sie traurig. Gut sieht er aus. Die Mädchen reißen sich bestimmt um ihn. Und vom Fach versteht er auch mehr als alle anderen in der Firma. Doch so einen Mann lernt Jutta nie kennen.
Aber für ein Mädchen wie Jutta, die nur ihren Wagen, ihr Boot, nur Flirt, Kleider und Vergnügen im Kopf hatte, würde sich auch ein Mann wie Rolf von Rudeck nie interessieren.
Müde schloss Magda Herwart die Tür hinter sich. Sie wollte sich noch ein wenig auf die Terrasse setzen, die Sonne hinter Binnen- und Außenhafen versinken sehen und warten.
Mehr konnte sie nicht tun.
♥♥♥
Jutta, auf die Magda Herwart wartete, ahnte nichts von den Sorgen, die sie ihrer Mutter machte. Und hätte sie davon gewusst, sie hätte ihr einen Kuss gegeben und übermütig gelacht.
»Es passiert doch nichts, Mutter«, pflegte sie zu sagen. »Wir wollen doch nur ein bisschen das Leben genießen.«
Es passierte nichts? Jutta war sich dessen an diesem Abend nicht mehr so sicher.
Sie war im Fischereimuseum gewesen. Volker Meese, Sohn eines reichen Importeurs, hatte mit Jutta und einigen anderen aus dem Klub Tennis gespielt. Begleitet hatte ihn ein junger Schwede.
Niels Eckström war Offizier auf einem großen Frachter, der gerade am Vortag von starken Schleppern in den Hafen geholt worden war.
Während die Ladung gelöscht wurde, hatte Eckström mit den anderen Offizieren Freizeit. Volker hatte ihn im Kontor seines Vaters getroffen und gleich in Beschlag genommen.
»Sehr schön, eure Stadt, wirklich«, meinte Niels in einer Spielpause, nachdem er den letzten Satz und damit das Spiel gewonnen hatte. »Aber gibt es hier außer dem Tennisklub noch mehr zu sehen?«
Die anderen hatten gezögert.
»Bremerhaven ist ja nicht Hamburg«, hatte Hanno vorsichtig begonnen.
»Oh nein, nein«, unterbrach Eckström ihn lachend. »Ich will keine Imitation der Reeperbahn sehen. Nein, ich interessiere mich für die Stadt, wirklich! Geschichte und so, verstehen Sie?«
Erleichtert hatten ihm alle auf die Schulter geklopft.
»Klar! Geschichte haben wir!«
»Am besten zeigen wir Herrn Eckström die Stadt, und dann schleifen wir ihn ins Fischereimuseum!«
»Oh, ein Museum?« Niels Gesicht zog sich etwas in die Länge. Nach dem Blick, den er Jutta zuwarf, hätte er nun wohl doch lieber die Gegenwart der Stadt studiert.
Jutta wusste nach Meinung der Freunde am besten Bescheid, und so musste sie Herrn Eckström durch Stadt und Museum führen, bis er erschrocken auf die Uhr sah.
»Ach, du meine Güte! Ich muss an Bord. Der Alte reißt mir den Kopf ab, wenn ich mich verspäte.«
Er schüttelte den neuen Freunden die Hand.
»Fräulein Jutta, Sie waren wunderbar. Sie erklären gut. Könnten Sie mir morgen Abend noch mehr von Bremerhaven erzählen – und von sich?«
»Hört, hört!«, murmelte der Chor im Halbkreis um die beiden. »Dieser Seemann scheint ein Pirat zu sein. Er will Jutta kapern! Schmeißt ihn ins Wasser!«
Lachend protestierte Niels, aber ehe er sich versah, hatten ihn die anderen aus dem Museum gedrängt. Jutta blieb allein zurück.
Sie schlenderte noch ein wenig durch die Räume, die ihr aus der Schulzeit vertraut waren. Lange war sie nicht mehr hier gewesen.
Jutta sah nur wenige Besucher. Es schienen Touristen zu sein. Jedenfalls kannte sie niemanden.
Gedankenlos beugte sie sich über eine der Vitrinen, in denen handwerkliche Erzeugnisse vergangener Jahre ausgestellt wurden.
Da erkannte sie in der spiegelnden Glasplatte des Tisches einen Schatten.
Ein Fremder war neben sie getreten, ohne dass sie seinen Schritt vernommen hatte. Sie hob den Kopf und trat etwas zur Seite.