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Bettina schaut traumverloren auf die Rose auf ihrem Tisch.
"Von Herrn von Hochfels", hat die Gutssekretärin gesagt.
Konnte das bedeuten, dass auch er ...? Ja, Bettina hat sich in den Verwalter verliebt, sofort, als sie ihn in ihres Vaters Büro kennenlernte. Und was sie in seinen Augen gelesen hat, lässt ihr Herz jetzt noch höherschlagen.
Bettina zuckt jäh zusammen, als Achim von Hochfels das Büro betritt.
"Ich danke Ihnen für diese wunderschöne Rose", stammelt sie da hastig.
Doch mit kalter Gleichgültigkeit kommt die Antwort: "Man sagte mir, das sei gut für das Arbeitsklima. Und darauf kommt es ja an."
Bettina ist so enttäuscht, dass sie den Schmerz in seinen Augen nicht sieht. Denn Achim von Hochfels hat einen bitteren Entschluss fassen müssen ...
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Seitenzahl: 146
Cover
Impressum
Mit einer Rose fing es an
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: polinaloves / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0034-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Mit einer Rose fing es an
Eine junge Gutsherrin und ihre verzweifelte Liebe
Von Gitta van Bergen
Bettina schaut traumverloren auf die rote Rose auf ihrem Tisch.
„Von Herrn von Hochfels“, hat die Gutssekretärin gesagt und dabei geschmunzelt.
Konnte das bedeuten, dass auch er …? Ja, Bettina hat sich in den Verwalter verliebt, sofort, als sie ihn in ihres Vaters Büro kennenlernte. Und was sie in seinen Augen gelesen hat, lässt ihr Herz jetzt noch höherschlagen.
Bettina zuckt jäh zusammen, als Achim von Hochfels das Büro betritt.
„Ich danke Ihnen für diese wunderschöne Rose“, stammelt sie da hastig.
Doch mit kalter Gleichgültigkeit kommt die Antwort: „Man sagte mir, das sei gut für das Arbeitsklima. Und darauf kommt es ja an.“
Bettina ist so enttäuscht, dass sie den Schmerz in seinen Augen nicht sieht. Denn Achim von Hochfels hat einen bitteren Entschluss fassen müssen …
Der erste Herbststurm fauchte an diesem Abend durch das Schwarzwaldtal. Er blies das braun gewordene Laub von den beiden Nussbäumen, die wie stumme Wächter links und rechts vom Eingang des Gasthaus „Zum Hirschen“ standen. Ein Regenschauer prasselte auf das Schindeldach des Hauses, das schon mehr als zwei Jahrhunderte Wind und Wetter getrotzt hatte. Auf den Vorplatz fiel der warme Schein der in der Gaststube brennenden Lampen.
Am Ende eines langen Tisches, saß eine Runde von Kartenspielern.
„Das wär’s mal wieder gewesen – machen wir Schluss“, rief Anton Meier und klatschte die letzte Spielkarte auf die Filzunterlage. „Rosa, bring uns noch eine Runde – auf meine Rechnung.“
Die Wirtin hinter der Theke nickte nur und nahm vier frische Gläser aus dem Regal hinter sich.
„Schön, dass du beute die Spendierhosen anhast“, brummte einer der Kartenspieler. „Gibt es was zu feiern oder hat Herr von Strombeck dir eine Zulage gegeben?“
„Hat er wirklich!“ Anton, griff in seine Tasche und legte einen Fünfzigmarkschein auf den Tisch. „Den habe ich mir gestern Nacht als Geburtshelfer verdient. Das Kalb unserer besten Milchkuh wäre beinahe nicht am Leben geblieben.“
„Musst du als Gärtner von Gut Strombeck jetzt auch den Viehdoktor spielen?“, fragte einer. „Wo war denn der Stallbursche Franz?“
„Der war unterwegs, um das Fräulein vom Flughafen abzuholen“, erklärte Anton. „Da musste ich eben einspringen und dem Tierarzt helfen.“
„Ja, ist das Fräulein jetzt wieder da? Komm, erzähl schon!“
Anton lehnte sich gemütlich zurück und schaute in die gespannten Gesichter seiner drei Freunde. Er genoss ihre Neugier. Alles, was sich um Gut Strombeck drehte, stieß im ganzen Dorf auf allergrößtes Interesse. Doch in den mehr als zwanzig Jahren, in denen Anton auf dem Gut als Gärtner arbeitete, hatte er nie mehr als jene Neuigkeiten preisgegeben, die ohnehin die Runde gemacht hätten. Mit seinen sparsamen Nachrichten verschaffte Anton seinen Freunden höchstens so etwas wie einen Informationsvorsprung.
„Also, dann hört einmal zu“, begann Anton endlich. „Wie ihr wisst, hat das Fräulein die letzten acht Jahre in einem sündhaft teuren Internat in der Schweiz verbracht und in diesem Sommer ihr Abitur gemacht. Ein sehr gutes übrigens. Darauf war ihr Vater sehr stolz. Da hat er ihr gesagt, dass sie einen großen Wunsch frei habe.
„Und – hat sie sich etwas gewünscht?“
„Aber selbstverständlich”, brummte Anton. „Eine Reise nach Amerika, drei Monate kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten. Und gestern ist sie von New York aus zurückgeflogen. Jetzt ist das Fräulein endlich wieder auf Gut Strombeck, das sie ein halbes Jahr lang nicht gesehen hatte.“
Anton behielt für sich, dass er Bettina von Strombeck noch in der gleichen Nacht gesehen hatte. Trotz des anstrengenden Fluges und einem ersten Gespräch mit ihrem Vater war Bettina im Stall aufgetaucht, in dem das neugeborene Kalb gerade zum ersten Mal auf seinen Beinen stand. Sie hatte Anton herzlich umarmt und ihm ihr Mitbringsel aus Amerika, ein Zigarrenetui aus Silber, in die Jackentasche gesteckt.
Das aber ging seine Freunde nichts an, war Antons Meinung. Das Etui lag auf der Kommode in seiner Stube in einem Nebengebäude des Guts. Anton hatte sich geschworen, es nur an Sonn- und Feiertagen zu benutzen.
In seiner stillen Freude darüber, vor allem aber über die Rückkehr von Bettina, die er als Säugling in den Armen gewiegt und die er die ersten Blumennamen gelehrt hatte, ließ sich Anton dazu hinreißen, seinen Freunden eine weitere Runde zu spendieren.
***
„Mädchen, Mädchen – wir müssen dich unbedingt hochpäppeln. Du hast ja kaum noch Fleisch auf den Knochen.“
Köchin Susa stemmte ihre kräftigen Arme auf ihre Hüften. Ihre braunen Augen blitzten Bettina an, die sich das Lachen nicht mehr verkneifen konnte. Sie hatte Susa in der Küche beim Zubereiten des Frühstücks überrascht und sich jetzt schon zum dritten Mal seit ihrer Rückkehr eine Standpauke darüber anhören müssen, wie mager sie doch geworden sei.
„Ach, Susa, es ist herrlich, wieder dein Geschimpfe zu hören“, konterte das junge Mädchen.
Mit einer anmutigen Kopfbewegung warf sie eine vor das Gesicht gefallende Strähne zurück. Im Licht des frühen Morgens glänzte ihr blondes Haar auf.
Was in den Augen der drallen Susa als „mager“ galt, war das anmutige Bild einer schlanken jungen Frau, deren lange Beine in verwaschenen Jeans steckten. Die Farbe der Ballerinas an ihren nackten Füßen war die gleiche wie die des flaschengrünen Pullovers, der ihr in lässiger Weite bis fast zu den Oberschenkeln fiel. Die blonde Mähne, die ihr über die Schultern fiel, umspielte ein ovales Gesicht mit hoch angesetzten Backenknochen. Grün war die Farbe ihrer Augen, in denen das Sonnenlicht goldbraune Pünktchen zum Aufblitzen brachte.
Mit ihren feingliedrigen Händen umfasste Bettina von Strombeck das in gutmütige Falten gelegte Gesicht der Köchin Susa.
„Liebe Susa, ich habe meinen letzten Babyspeck beim Schwimmen und Surfen gelassen. Und in Miami wollte ein Modefotograf Aufnahmen von mir machen, woraus du vielleicht entnehmen kannst, dass ich alles andere als klapperdürr bin.” Sie lachte Susa an und gab ihr einen schallenden Kuss auf die Nasenspitze.
„Das hast du doch nicht angenommen!“, entrüstete sich die Köchin.
„Nein – habe ich nicht. Du kennst mich doch. Andererseits muss ich zugeben, dass mir das Angebot doch ein klein wenig geschmeichelt hat. Jedenfalls solltest du deine Meinung ändern, ich hätte kaum noch Fleisch auf den Knochen.“
Köchin Susa blickte die junge Frau vor sich eine Weile wortlos an, nahm sie dann plötzlich in ihre Arme und drückte sie fest an ihren mächtigen Busen.
„Mein liebes Mädchen, du bist eine wunderschöne junge Frau geworden“, murmelte sie ganz gerührt.
Als ob sie sich dieser mütterlichen Regung plötzlich schämte, wandte sie sich mit einem fast heftigen Ruck ab und widmete sich den Frühstücksvorbereitungen. Bettina entging, dass Susa sich dabei mit einer verstohlenen Bewegung über die Augen wischte.
Susa waren die Tränen in die Augen geschossen. So plötzlich war ihr die ganze Tragweite ihrer eigenen Erkenntnis bewusst geworden. Ihre Tina war nicht mehr, wie noch vor einigen wenigen Monaten, die junge Internatsschülerin. Fast wie über Nacht war sie zu einer begehrenswerten jungen Frau gereift.
Die lebenskluge Susa fragte sich, ob Tina sich dieser Entwicklung, dieses Überschreitens der unsichtbaren Grenzlinie vom Mädchen zur Frau, selbst bewusst war. Wenn nicht, dann könnte sich das für Tina vielleicht negativ auswirken.
Ich werde alles tun, dass meinem Mädchen keiner wehtut, dachte Susa für sich. Dann aber verschluckte sie die tiefschürfenden Gedanken aus ihrem Kopf. Tina sollte davon nichts merken.
„Alle Männer werden sich den Kopf nach dir verdrehen, aber erst, wenn du dich wieder an mein Essen gewöhnt hast“, schlug Susa einen scherzenden Ton an und drohte Bettina mit einem Kochlöffel.
Bettina setzte sich lachend an den Tisch in der gemütlichen Küche. Das Sonnenlicht spiegelte sich in den blankgescheuerten Töpfen und Pfannen aus Kupfer, die unter einem langen Regal neben dem riesigen Herd hingen.
„Lass uns zusammen frühstücken, bevor Vater und Tante Jette herunterkommen“, forderte Bettina die Köchin auf.
Wieder übermannte Susa beinahe die Rührung. Das gemeinsame Frühstück, bis auf die Ausnahmen an Sonn- und Feiertagen, an denen Tina zusammen mit ihrem Vater und ihrer Tante frühstückte, war in all den Jahren auf Gut Strombeck eine Art Ritual gewesen.
Das Frühstück war die schönste Zeit des Tages, denn Susa hatte Tina da noch ganz für sich. Hier tauschten sie ihre kleinen Geheimnisse aus, weihte Tina die Köchin in ihre oft überschwänglichen Pläne ein, oder ließ sich von Susa die Tränen trocknen und trösten, wenn etwas schief gelaufen war. Köchin Susa, die eigentlich Susanne Vierhof hieß, war für Tina eine Art Mutterersatz.
Majorie von Strombeck, Tinas Mutter, war ein halbes Jahr nach der Geburt bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein Kindermädchen und später eine Erzieherin hatten die Erziehung des Kindes übernommen. Wärme, Verständnis und Geborgenheit aber fand es bei Susa, die schon bei Tinas Großeltern auf Gut Strombeck ihren Dienst angetreten hatte. Und so wusste Tinas Vater, Hannes von Strombeck, um die mütterliche Seele der unverheirateten Köchin. War es doch Susa gewesen, zu der auch er als Junge immer dann gerannt war, wenn er jenes offene Ohr, jenen Rat oder Trost brauchte, die er bei seinen strengen Eltern nicht immer fand.
„Ich muss dir etwas gestehen, Susa“, sagte Tina vor der dritten Tasse Kaffee, mit der sie ihr Frühstück beendete. „Erstens hast du mich gemästet, zweitens hat es mir so gut geschmeckt wie schon lange kein Frühstück mehr, und drittens bin ich heilfroh, wieder zu Hause zu sein.“
„Aber du wolltest doch nach Amerika“, wunderte sich Susa. „Und du hattest es so furchtbar eilig, dass du nach dem Abitur gar nicht erst nach Hause gekommen, sondern sofort abgeflogen bist.“
Bettina von Strombeck konnte die leise Enttäuschung von Susa nicht überhören. Sie wusste, dass Susa ihr nach dem Abitur gerne ein riesiges Festessen bereitet hätte.
„Aber Susa, liebe Susa – ich habe dir doch damals am Telefon alles genau erklärt. Meine Mitschülerin Nancy Roberts, die mich in ihre Heimat eingeladen hatte, wollte so schnell wie möglich zurückfliegen. Und das war nun mal der Tag nach den Zeugnissen. Ich musste mitfliegen, es ging nicht anders.“
„Na ja, ist ja schon gut“, brummte Susa. „Aber weshalb bist du froh, dass du wieder zu Hause bist?“
„Die Reise und die drei Monate in Amerika waren fantastisch. Ich bereue keinen Tag davon. Trotzdem habe ich ganz zum Schluss Heimweh bekommen“, bekannte Bettina. „Amerika ist aufregend und wunderschön, aber irgendwann habe ich mich einfach fehl am Platz gefühlt.“
„Ja, Tina, dein Platz ist Gut Strombeck, das Haus deines Vaters und deiner Vorfahren. Und ich hoffe, auch ein wenig die Küche der alten Susa.“
Tina sprang auf und legte ihren Arm um die behäbig auf ihrem Stuhl sitzende Susa.
„Aber natürlich hatte mein Heimweh auch mit dir zu tun! Und gar nicht einmal wegen deiner Kochkünste.“ Tina lachte jetzt. „Obwohl ich gestehen muss, dass ich jedes Mal, wenn wir mal wieder einen Hamburger aßen, mit Sehnsucht an deine unschlagbaren Kalbsschnitzel in Sahnesoße und Butter-Spätzle dachte.“
Susa sprang wie elektrisiert von ihrem Stuhl auf.
„Aber das ist ja die Lösung!“, rief sie mit theatralischer Gebärde aus. „Den ganzen Morgen zermartere ich mir den Kopf darüber, was ich heute auf den Tisch bringen soll. Kalbsschnitzel in Sahnesoße und Butter-Spätzle natürlich!“
„Das ist ein Wort!“ Tina lachte. „Diesen Anschlag auf meine schlanke Linie kann ich mir gerade noch gefallen lassen. Unterstehe dich aber, jemals Hamburger zu machen!“
***
„Was ist mit Hamburg los? Was soll Susa nicht machen?“
In der Tür zur Küche tauchte Hannes von Strombeck auf.
„Hallo, Vater!“ Bettina ging ihrem Vater entgegen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Susa und ich haben eben vereinbart, dass sie heute mein Lieblingsessen macht.“
„Ach so, jetzt verstehe ich!“ Hannes von Strombeck lachte mit seiner sonoren Stimme. „Und jetzt beginne ich auch zu ahnen, dass du dich in Amerika an Hamburgern sattgegessen hast.“ Der Gutsherr zog den in der ganzen Küche liegenden Duft ein und nickte Köchin Susa anerkennend zu. „Ich sehe und rieche, liebe Susa, dass mein Süppchen gerade richtig ist.“
„Wie immer rechtzeitig fertig, Herr von Strombeck“, stellte Susa fest.
Der Tick mit der Suppe zum Frühstück, meistens einer Kraftbrühe, ging auf ein Erlebnis des damals 14-jährigen Hannes von Strombeck zurück. Nach einer Winternacht in dem ungeheizten Turmzimmer, das ihm der Vater zur Abhärtung zugewiesen hatte, war der Junge schlotternd in der Küche bei Susa aufgetaucht. Und die erfahrene Köchin hatte ihm die Reste einer am Abend zuvor servierten kräftigen Brühe heiß gemacht. Seit jenem Morgen bat Hannes von Strombeck Köchin Susa um eine Suppe zum Frühstück. Dieser Tick hatte sich seither zu einem festen Bestandteil der Frühstückszeremonie entwickelt.
„Wie ihr wisst, beginnen auch die Chinesen den Tag mit einer heißen Suppe“, erläuterte Hannes von Strombeck wieder einmal diese Gewohnheit. Die Kraftbrühe war jedoch nur die Ouvertüre zum üblichen Frühstück des Gutsherrn aus Kaffee, Brötchen, Eiern, Schinken, Honig und Konfitüre.
„Susa, ich helfe dir.“ Bettina nahm ein Tablett vom Küchentisch, um es hinüber in das „Blaue Zimmer“ zu tragen. Es hieß so wegen der schweren blauen Vorhänge vor den drei fast raumhohen Fenstern, die nach Osten zeigten. In schrägen Strahlen fiel die Morgensonne herein, die den völlig mit Mahagoniholz getäfelten Raum in honigfarbenes Licht tauchte.
Hannes von Strombeck nahm sein Frühstück prinzipiell im „Blauen Zimmer“ ein. Gesellschaft leistete ihm dabei Tante Jette, die Schwester seiner verstorbenen Großmutter. Die 85-jährige Tante hatte in den letzten Monaten jedoch zu kränkeln begonnen, so dass sich Hannes von Strombeck, zu seiner unausgesprochenen Erleichterung, jetzt öfter allein am Frühstückstisch sah. Das gab ihm die Muße, seine Zeitungen ohne die oft spitzen Bemerkungen von Tante Jette ungestört lesen zu können. So auch an diesem Morgen.
„Das ist lieb von Dir, Bettina.“ Hannes von Strombeck dankte seiner Tochter für die zweite Kanne Kaffee, die sie ihm eben aus der Küche gebracht hatte.
„Doch bitte setz dich. Wir müssen einiges besprechen.“ Der Gutsherr sah seine Tochter einen Augenblick prüfend an.
Was er sah, gefiel ihm sehr. Auch ihm als erfahrenem Mann blieb die Wandlung seiner Tochter nicht verborgen. Es gab ihm einen leisen Stich, im reifer gewordenen Gesicht von Bettina die klassischen Züge wiederzuerkennen, die die Schönheit seiner vor über zwanzig Jahren ums Leben gekommenen Frau geprägt hatten.
Hannes von Strombeck waren seine zweiundfünfzig Jahre nicht anzusehen. Sein dunkelblondes Haar war immer noch dicht, die grauen Strähnen an den Schläfen verstärkten den Reiz des markanten Gesichts. Er hatte es leicht mit Frauen, was auch auf seine positive und unkomplizierte Einstellung zum Leben zurückzuführen war. Und natürlich wusste Hannes von Strombeck, dass die eine oder andere auch von seinem Wohlstand angezogen wurde.
Freunde des Gutsherrn hatten sich inzwischen damit abgefunden, dass er trotz seiner Erfolge bei Frauen keine neue, dauerhafte Verbindung eingegangen war. Nur Hannes von Strombeck selbst wusste, dass es da einen Platz in seinem Herzen gab, den er ohne zu zögern nur einer Frau eingeräumt hatte: Majorie. In diese streng abgeschirmte Nische ließ er keine andere vordringen – auch wenn dies in den vergangenen zwanzig Jahren ein bis zwei Frauen beinahe geschafft hätten.
Nun saß da seine Tochter vor ihm, und sie erschien ihm wie das Ebenbild von Majorie. Verblüfft und mit innerer Bewegung stellte Hannes von Strombeck in diesem Moment fest, dass er Bettina noch nie unter diesem Aspekt gesehen und ganz zweifellos vieles an ihr versäumt hatte. Gewiss, er hatte seine Tochter schon immer geliebt. Hatte er sich aber auch genügend um sie gekümmert?
Diese Gedanken schossen Hannes von Strombeck durch den Kopf, während die Blicke seiner Tochter fragend auf ihm ruhten. Doch dann schüttelte er dieses Gefühl seiner inneren Betroffenheit unmerklich ab. Seine Lust am Leben, die Leichtigkeit, mit der er es bisher so erfolgreich bewältigt hatte, schob sich wie ein Vorhang vor sein Inneres.
„Du hast mir Lust auf Amerika gemacht, Bettina. Und ich muss schon sagen, dass mich die letzten beiden Tagen mit deinen Reiseschilderungen sehr beeindruckt haben. Du hast einen wachen Blick für deine Umwelt.“
Hannes von Strombeck schwelgte ein wenig im Stolz auf seine Tochter, die ihm ein äußerst lebendiges und informatives Bild von Amerika gezeichnet hatte. Vor allem Bettinas Schilderungen über den Norden der amerikanischen Ostküste, das sogenannte Neu-England, hatten es ihm angetan. Und da ein Vetter von ihm erst kürzlich nach langen Jahren in der Sonne Kaliforniens in den kühlen Bundesstaat Maine gezogen war, nahm der Gedanke zu einem Besuch bei Vetter Percy plötzlich Formen an.
„Du könntest doch Percy van Haaren besuchen, Vater, wenn mein Bericht Reisefieber in dir ausgelöst hat“, bestätigte Bettina da die geheimen Gedanken ihres Vaters.
„Tochter, lass mal. Das muss ich mir erst gut überlegen. Außerdem interessiert es mich jetzt wesentlich mehr, welche Pläne du hast. Bist du immer noch bereit, ein Jahr auf Gut Strombeck zuzubringen?“
Bettina hatte wenige Monate vor ihrem Abitur mit ihrem Vater ein, wie sie es leicht ironisch nannte, Zukunftsgespräch geführt. Dabei war klar geworden: Bettina schwankte zwischen ihrer Liebe zu Gut Strombeck und einem Studium als Mode-Designerin. Gut Strombeck würde bedeuten, sich in die Verwaltung der Besitztümer ihres Vaters einzuarbeiten, während das Studium so etwas wie ein Abschied vom Gut wäre.
„Ja, Vater. Ich bleibe dabei – ein Jahr auf Gut Strombeck, wobei ich hoffe, dass der eine oder andere Vorschlag von mir dein Gehör findet. Denn auch davon wird es abhängen, ob ich mich nach diesem Jahr endgültig dazu entschließen kann, bei der Verwaltung deines Besitzers mitzuwirken.“
„Bettina, es ist auch dein Besitz“, wandte Hannes von Strombeck mit ungewohnt sanfter Stimme ein und legte seiner Tochter die Hand auf den Arm. „Du wirst einmal meine Erbin sein und das Gut und unseren übrigen Besitz hoffentlich weiter erfolgreich führen.“