Lore-Roman 125 - Gitta van Bergen - E-Book

Lore-Roman 125 E-Book

Gitta van Bergen

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Beschreibung

Die siebzehnjährige Halbwaise Nicola Hochberg bewohnt mit ihrer Mutter, einer ehemaligen Sängerin, die Räume im Obergeschoss des Lehrerhauses. Viel besitzen sie nicht, doch sie haben einander und die Liebe zur Musik. Als das junge Mädchen durch einen Autounfall auch noch die Mutter verliert, steht es vor dem Nichts. Wird Nicola nun auf die öffentliche Wohlfahrt angewiesen sein? Muss sie ins Waisenhaus umsiedeln?
Doch da ist es ausgerechnet Felix Baron von Schönhausen, jener Mann, ihr die Mutter nahm, der sie zu sich auf sein Gut holt. Nicola ist dem Baron sehr dankbar, aber sie bemerkt schnell, dass sie nicht willkommen ist. Die Pflegeschwester macht ihr das Leben schwer, und die Pflegeeltern bleiben ihr Wärme und Herzlichkeit schuldig. Zwei Jahre fristet sie dort ein trostloses Dasein, bis Nicola auf ein Mädchen-Pensionat zieht. Aber auch hier wird sie gemieden und ist einsam. Einzig das Musizieren hält sie am Leben. Und als Nicola schon nicht mehr an ihr Glück glauben will, wendet sich bei einem Musikkonzert das Blatt ...

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Inhalt

Cover

Als reiche Erbin kam sie wieder

Vorschau

Impressum

Als reiche Erbin kam sie wieder

Das wunderbare Schicksal eines Waisenmädchens

Von Gitta van Bergen

Die siebzehnjährige Halbwaise Nicola Hochberg bewohnt mit ihrer Mutter, einer ehemaligen Sängerin, die Räume im Obergeschoss des Lehrerhauses. Viel besitzen sie nicht, doch sie haben einander und die Liebe zur Musik. Als das junge Mädchen durch einen Autounfall auch noch die Mutter verliert, steht es vor dem Nichts. Wird Nicola nun auf die öffentliche Wohlfahrt angewiesen sein? Muss sie ins Waisenhaus umsiedeln?

Doch da ist es ausgerechnet Felix Baron von Schönhausen, jener Mann, der ihr die Mutter nahm, der sie zu sich auf sein Gut holt. Nicola ist dem Baron sehr dankbar, aber sie bemerkt schnell, dass sie nicht willkommen ist. Die Pflegeschwester macht ihr das Leben schwer, und die Pflegeeltern bleiben ihr Wärme und Herzlichkeit schuldig. Zwei Jahre fristet sie dort ein trostloses Dasein, bis Nicola auf ein Mädchen-Pensionat zieht. Aber auch hier wird sie gemieden und ist einsam. Einzig das Musizieren hält sie am Leben. Und als Nicola schon nicht mehr an ihr Glück glauben will, wendet sich bei einem Musikkonzert das Blatt ...

»Worauf soll ich setzen, Felix? Schnell, nenne mir eine Zahl!«

Die immer noch schöne Frau mit dem rötlichblonden Haar wandte den Kopf über die Schulter zurück, deren zarte rosige Haut die schmalen Träger des eleganten Abendkleides freiließen.

»Nimm die zweiundzwanzig, Elvira. Ich habe das Gefühl, sie bringt uns Glück«, sagte Felix Baron von Schönhausen, der fiebernd vor Spielleidenschaft hinter dem Stuhl seiner Gattin stand. Er verfolgte mit aufmerksamen Blicken, wie die Damen und Herren rund um den Spieltisch im Kasino zu Wiesbaden eilig ihre Chips auf die Felder des grünen Filztuches setzten.

Es war die letzte Möglichkeit gewesen, denn jetzt rief der Croupier: »Rien ne va plus! Nichts geht mehr!«

Baronin Elvira hatte tausend Mark auf die Zahl 22 gesetzt!

Und die Kugel rollte. Verfolgt von den vielen Augenpaaren, die von der mühsam verborgenen, verzweifelten Hoffnung bis zur kaum beherrschten Gier, vom harmlosen Vergnügen am Nervenkitzel bis zur Langeweile alle Schattierungen des Ausdrucks zeigten.

Immer wieder war dies ein Moment der nächsten Spannung. Jedes Gespräch verstummte für einen Augenblick. Die Rouletteschüssel stand still.

Die Kugel lag in der 22!

»Felix, mein Lieber, wir haben gewonnen!«, rief Baronin Elvira freudestrahlend aus.

Die grauen Augen des Barons funkelten vor Befriedigung. Dies war wirklich eine Reise, bei der er auf seine Kosten gekommen war. Seit einer Woche weilten sie in Wiesbaden. Sie wohnten im Hotel »Vier Jahreszeiten«. Es waren nicht gesundheitliche Gründe, die sie hierhergeführt hatten, sondern der Wunsch, die Atmosphäre von Luxus und Eleganz zu genießen. Die Luft der großen Welt zu atmen und sich den Zerstreuungen der oberen Zehntausend hinzugeben.

Es war sehr still und ländlich in dem Dörfchen im Schwarzwald, in dessen Nähe Gut Schönhausen, der Besitz des Barons, lag. Für Baron Felix und Baronin Elvira, denen gesellschaftliche Geltung alles bedeutete, war die ländliche Abgeschiedenheit in der herrlichen Natur nicht das Richtige.

Schon einige ganz ansehnliche Gewinne hatte der Baron in der Woche ihres Aufenthaltes in Wiesbaden zu verzeichnen gehabt. Jeden Abend verbrachten sie im Spielsaal. Jeden Abend hatte Baronin Elvira sich in einer anderen Robe gezeigt und die bewundernden Blicke der Herren auf sich ziehen können.

Aber dieser Gewinn, der auf die 22 gefallen war, stellte zweifellos die Krönung ihres Wiesbadener Aufenthaltes dar. Der Rechen des Croupiers schob ihnen ein Bündel Geldscheine zu, das fünfzigtausend Mark enthielt.

Die schöne Baronin ergriff das Geldpäckchen. Sie reichte es lächelnd an ihren Gatten weiter, der es in der Brusttasche seines Fracks verschwinden ließ.

Dann zog der Baron mit ritterlicher Geste den Stuhl seiner Gemahlin zurück und war ihr beim Aufstehen behilflich.

Baronin Elvira nahm seinen Arm und schritt mit ihm zum Ausgang des Saales.

»Nun kann ich das Platinarmband mit den Smaragden bekommen«, schmeichelte sie. »Du weißt, welches ich meine, Felix?«

»Und ich werde mir morgen den roten Alfa Romeo kaufen«, erklärte er lächelnd, »mit dem ich schon lange liebäugele.«

Sie schritten beide glücklich dahin. Sie waren beschwingt und restlos mit ihrem Schicksal zufrieden.

»Dieses Glück muss jetzt begossen werden«, sagte der Baron und führte seine Gemahlin zum Restaurant des Spielkasinos. Sie nahmen an einem der kleinen Tischchen Platz und bestellten eine Flasche vom teuersten französischen Champagner.

»Wie bist du nur auf die zweiundzwanzig gekommen?«, wollte seine Frau wissen, als ihr Glas mit dem perlenden Getränk gegen das seine klang.

»Ganz einfach, ich habe an die zweiundzwanzig glücklichen Jahre gedacht, die ich an deiner Seite verbringen durfte, meine Liebe«, antwortete er glücklich.

Die Baronin strahlte. »Ich danke dir für das wunderschöne Kompliment«, sagte sie zärtlich.

»Und ich danke für das Glück, das mir diese Hand gebracht hat!«, erwiderte Baron von Schönhausen, griff nach der Hand seiner Frau und hauchte einen Kuss darauf.

***

Am nächsten Tag erstand Baronin Elvira das Smaragdarmband, dessen grüne Steine in schlicht und edel geformte Glieder aus Platin gebettet waren. Dieses Armband war wirklich ein einmalig schönes Stück.

Baron Felix unterzeichnete den Kaufvertrag für den Alfa Romeo. Er ließ sich die technischen Einzelheiten dieses schnellen Fahrzeugs erklären und unternahm mit dem Autoverkäufer eine Probefahrt.

Es war der letzte Tag ihres Wiesbadener Aufenthalts. Am nächsten Tag reisten sie mit dem neuen Wagen in den Schwarzwald.

Den Mercedes des Barons steuerte der Kammerdiener Friedrich nach Hause. Die Zofe Anni saß neben ihm. Die beiden unterhielten sich über ihre Herrschaft.

»Da haben sich zwei gesucht und gefunden«, meinte Friedrich, während er aufmerksam vor sich auf die Straße schaute. »Die Baronin kann ohne Luxus, glänzende Toiletten, kostbaren Schmuck und rauschende Feste nicht auskommen. Und der Baron findet ein Leben nur lebenswert, wenn er die meiste Zeit hinter dem Steuer eines schnellen Wagens oder am Spieltisch verbringen kann.«

»Ach, diese reichen Leute wissen ja gar nicht, wie gut sie es haben«, murmelte die Zofe Anni mit einem tiefen Seufzer. »Ich möchte auch einmal eine gnädige Frau sein und mich von allen Seiten bedienen lassen.«

»So reich, wie du denkst, sind die beiden gar nicht!«, belehrte Friedrich sie ernsthaft. »Gut Schönhausen ist zwar ertragreich, aber keineswegs eine Geldgrube. Und, wie mir der Sekretär des Barons verraten hat, bereits hoch mit Schulden belastet. Wenn unsereins so leben würde, würde man das leichtsinnig nennen. Bei feinen Herrschaften ist das nur standesgemäß.«

***

In dem roten Alfa Romeo, in welchem der Baron neben seiner Frau am Steuer saß, wurden Gespräche ganz anderer Art geführt.

Der Baron von Schönhausen und seine Frau betrachteten entzückt die Herbstlandschaft, durch die sie fuhren. Die Felder waren abgeerntet, Äpfel und Birnen reiften, und das Laub der Birken wurde golden.

»Wir müssen daran denken, dass uns eine wertvolle Arbeitskraft fehlt, wenn uns Rainer jetzt verlässt«, sagte der Baron.

Er sprach von seinem zwanzigjährigen Sohn, der bisher auf dem Gut gewohnt und das Gymnasium in Freudenstadt besucht hatte. Rainer hatte seinen Eltern bisher nur Freude gemacht. Er war ein fleißiger Schüler, dem es ohne besondere Schwierigkeiten gelang, das Abiturzeugnis zu bekommen.

Mit Leib und Seele war der junge Baron Rainer dem Landleben verhaftet. Er sollte eines Tages Gut Schönhausen übernehmen. Baron Felix gestand sich offen ein, dass sein Sohn eines Tages ein besserer Gutsherr werden würde, als er selbst es gewesen war.

»Ich weiß nicht, woher der Junge diesen Ernst und die Umsicht hat«, meinte er lächelnd. »Du kennst mich ja, Elvira, ich neige mehr zum Leichtsinn.«

»Jaja, mein Lieber, da hast du recht. Aus dir spricht edle Selbsterkenntnis«, pflichtete sie ihm liebevoll lächelnd bei. »Rainer wird einmal der typische gute Hausvater werden, der nur die Sorge für die Seinen und den Besitz im Kopf hat. Die Frau, die ihn bekommt, ist schon zu beneiden, denn besser könnte sie nirgendwo aufgehoben sein.«

»Ja, er wird uns sehr fehlen.« Baron Felix kehrte wieder zum Thema zurück. »Reißnagel, unser Verwalter, ist nicht mehr der Jüngste und hat Rheumatismus in allen Knochen.«

»Wir sollten ihm zur Unterstützung einen Eleven geben«, schlug die Baronin vor.

»Und woher bekomme ich einen Eleven?«, wollte der Baron wissen. »Es gibt heutzutage nicht mehr viele junge Leute, die an einer landwirtschaftlichen Ausbildung interessiert sind. Die Posten, die ihnen in diesem Beruf winken, sind nicht lohnend genug.«

»Aber ich weiß einen, der mit Freuden kommen wird«, beruhigte die Baronin ihren Gatten. »Jedenfalls hat dieser junge Mann schon höchst interessiert bei mir angefragt, als er neulich Rainer einen Besuch abstattete.«

»Sprichst du von Gisbert Reuschlin?«, fragte der Baron.

»Ja, von dem rede ich.«

»Du hast recht, er wäre der Richtige. An ihn hatte ich gar nicht gedacht.«

Dem Bauer Reuschlin gehörte der größte und schönste Hof. Doch im Hause Reuschlin wimmelte es von Kindern. Auch ein großer Bauer konnte ihnen nicht allen Landbesitz vererben, wenn er nicht den Umfang des schönen alten Hofes erheblich schmälern und den Besitz in viele Teile zerreißen wollte.

Der älteste Sohn sollte den Hof bekommen, und die anderen mussten sich nach Berufen umsehen, die sie ernährten, Gisbert, der zweite Sohn vom Reuschlin-Hof, gerade neunzehn Jahre alt geworden, hatte jedoch fest beschlossen, der Landwirtschaft treu zu bleiben und zunächst einmal ein Jahr als Eleve auf einem fremden Besitz zu arbeiten.

»Man macht zwar die gleiche Arbeit, die man zu Hause auch verrichtet«, hatte Gisbert der Baronin gesagt, »aber man macht sie doch gewissenhafter und gründlicher und kann immer etwas dazulernen.«

»Ja«, lobte Baron Felix seine Frau, »das ist gar keine schlechte Idee. Du hast ausgezeichnete Einfälle, Elvira.«

»Danke«, entgegnete sie lächelnd.

»Wir werden also den jungen Reuschlin einstellen. Er wird dem Inspektor Reißnagel zur Hand gehen können«, sagte der Baron.

»Ja, so werden wir es machen«, bestätigte sie, »dann wird Rainer nicht eine so schmerzlich fühlbare Lücke hinterlassen!«

Für zwei Jahre wollte der junge Baron eine landwirtschaftliche Hochschule besuchen. Nur in den Semesterferien würde er noch zu Hause sein. Zum ersten Mal würde Rainer für längere Zeit dem Elternhaus fernbleiben.

***

Aber es war nicht so, dass das Herrenhaus von Schönhausen den Eltern nun leer erscheinen würde, weil Schritt und Stimme des Sohnes in den Räumen fehlten.

Baron Felix und Baronin Elvira hatten auch noch eine Tochter. Baroness Iris war jetzt siebzehn Jahre alt und wurde im Hause erzogen. Man hatte für sie eine Erzieherin eingestellt, die seit dem sechsten Lebensjahr der kleinen Baroness auf Schönhausen war. Gertrud Nolte hieß dieses stille, zurückhaltende Wesen mit der schlichten Knotenfrisur und den sanften grauen Augen, die durch scharfgeschliffene Brillengläser in die Welt sahen.

»Ich fürchte ja«, mahnte der Baron während dieser Autofahrt seufzend, »dass die Launen von Iris unerträglich werden, wenn Rainer fort ist. Du weißt, meine Liebe, dass ich wenig Autorität besitze und mich gegen unsere spitzzüngige Tochter nicht durchsetzen kann. Ihr Bruder hat sie in burschikos-brüderlicher Weise im Zaum zu halten verstanden, wenn es gar zu arg wurde.«

»Ich hoffe«, sagte Baronin Elvira, »dass Iris mit zunehmendem Alter vernünftiger wird. Es ist schade, dass sie keine Schwester hat. Die Rolle des Einzelkindes ist wirklich nichts für sie. Sie wird nur ihre Vorteile darin suchen und noch anmaßender werden als bisher.«

Sie seufzten beide und lachten dann plötzlich.

»Jaja, mit unseren Erziehungskünsten ist es nicht weit her«, gab Baron Felix zu. »Aber weißt du, meine liebe Elvira, ich kann mir auch nichts Langweiligeres vorstellen als eine solch schulmeisterliche Tätigkeit.«

Seine Gattin verstand ihn nur allzu gut, denn auch sie hasste alle Erziehungsmaßnahmen. Lieber beschäftigte sie sich mit Modezeitschriften und dem Ausprobieren neuer Frisuren, besuchte die Damen auf den umliegenden Gütern zum Tee oder fuhr in die Stadt, um Einkäufe zu machen. Daher war die kleine Baroness Iris immer der Erzieherin überlassen gewesen.

Das verwöhnte kleine Mädchen fand immer die falsche Unterstützung bei den Eltern. Daher hatte Gertrud Nolte, die arme Erzieherin, bei diesem eigenwilligen Kind nie viel ausrichten können.

»Sie müssen bedenken, dass sie eine Baroness von Schönhausen vor sich haben«, hatte die Baronin auf die Klagen der Erzieherin immer geantwortet. »Unsere Tochter ist schließlich kein x-beliebiges kleines Bürgermädchen!«

Eine schwierige kleine Baroness Iris war daher das Ergebnis einer völlig falschen Behandlung. Bei ihrem Sohn Rainer hatten die Eltern nichts verderben können. Er war von der Natur mit so glücklichen Anlagen und einem so ausgewogenen Wesen versehen, dass er ganz von selbst den richtigen Weg fand. Doch bei seiner Schwester Iris lag der Fall anders. Iris war schwierig und drohte immer problematischer zu werden.

Der rote Alfa Romeo hatte das Heimatdorf erreicht.

Es war ein typisches Schwarzwalddorf mit schönen alten Häusern, die alle reichgeschnitzte hölzerne Balkone hatten. Alte Linden säumten die Dorfstraße, und ein munterer Bach plätscherte durch die Wiesen.

Aus den geöffneten Fenstern des letzten Hauses im Dorf klang Klaviermusik. Die Töne begleiteten den Gesang einer hellen, jubelnden Mädchenstimme.

Trotz des Motorengeräusches vernahm Baronin Elvira diese Töne und sagte lächelnd: »Hörst du es, Felix, Nicola übt.«

»Aus dem Mädchen wird noch einmal etwas«, meinte der Baron. »Sie scheint wirklich sehr begabt zu sein. Wahrscheinlich ein Erbteil der Mutter.«

Er sagte es ohne besonderes Interesse, denn Musik bedeutete ihm nicht viel. Die im Lehrerhaus zur Miete wohnende ehemalige Sängerin Lucia Hochberg war für ihn außerdem eine unwichtige Erscheinung.

»Nicola ist nicht nur hoch begabt, sondern auch bildhübsch!«, stellte die Baronin fest, während sie weiterfuhren und der Gesang hinter ihnen verklang. »Wenn Iris nur halb so hübsch wäre, brauchten wir uns keine Gedanken darüber zu machen, wie wir sie günstig verheiraten.«

In der Tat war Iris ein Problem, mit dem Baronin Elvira sich jetzt in zunehmendem Maße beschäftigen musste.

Baron Felix und Baronin Elvira hatten so sehr in den Tag hinein gelebt und ihr Dasein genossen, dass die Geldreserven der Familie nahezu aufgebraucht waren. Ihr Sohn Rainer sollte das Gut erben und hoffentlich zu neuer Blüte führen. Was aber sollte Iris mit auf den Weg bekommen? Außer einer verhältnismäßig bescheidenen Aussteuer an Wäsche und Silber war an Bargeld nicht zu denken. Ein Mädchen ohne Mitgift, dessen äußerliche Reize nicht allzu groß waren, dessen Charakter an Liebenswürdigkeit viel zu wünschen übrigließ, war gewiss nicht leicht unter die Haube zu bringen.

***

Im Lehrerhaus hatte die siebzehnjährige Nicola mit den Noten in der Hand neben dem Klavier gestanden, an welchem ihre Mutter saß und sie begleitete. Nicola hatte aus dem Fenster sehen können.

Der rote Alfa Romeo war ihr nicht entgangen. In dem kleinen Dorf wurde jedes durchfahrende Auto registriert, und einen italienischen Sportwagen wie diesen hatte Nicola bisher noch nicht gesehen.

Jetzt hatte sie ihren Gesang beendet und beeilte sich, ihrer Mutter mitzuteilen: »Das war der Baron von Schönhausen, Mutti! Er ist von seiner Reise zurück und hat sich einen neuen Wagen mitgebracht.«

»Schon wieder?« Lucia Hochberg schüttelte den Kopf. »Es geht mich zwar nichts an, und es ist seine Privatangelegenheit, aber ich finde, dass er das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswirft!«

Lucia Hochberg war eine sehr schöne Frau von achtunddreißig Jahren. Das Haar hatte sie zu einem großen, schweren Knoten im Nacken gesteckt. Die veilchenblauen Augen bildeten einen wundervollen Kontrast zu dem braunen Haar. Das edelgeformte, schmale Gesicht sprach von Klugheit und tiefem Gefühl, trug jedoch zumeist den Ausdruck sanfter Traurigkeit.

Lucia Hochberg war seit vierzehn Jahren Witwe. Als ihr kleines Mädchen drei Jahre alt gewesen war, hatte sie den Vater verloren. Nicolas Vater, Eckard Hochberg, war ein begeisterter Bergsteiger gewesen. Er hatte an einer Besteigung des Ortlers teilgenommen, die ihn das Leben gekostet hatte.

Um seinetwillen hatte seine schöne, junge Frau ihre Karriere aufgegeben und der Bühne und dem Konzertsaal entsagt. Nie wieder war sie aufgetreten, sondern hatte nur noch für Mann und Kind gelebt.

Nach dem frühen Tod des Mannes blieb ihr nur eine schmale Rente. Da die Wohnungen in der Stadt so teuer waren, hatte sie mit ihrem Kind Freiburg verlassen und war in dieses kleine Schwarzwalddorf gezogen, wo sie das Obergeschoss des Lehrerhauses bewohnten.

Hermann Kuhnert, so hieß der inzwischen pensionierte Lehrer, und seine Frau Elise waren froh über diese Mieterin, denn eine größere Harmonie im Zusammenleben war nicht denkbar.

»Sie ist ein wundervoller Mensch!«, pflegte der alte Lehrer von Lucia Hochberg zu sagen. »Warmherzig, klug, hoch gebildet, ausgeglichen und beherrscht. Eine wundervolle Mischung, der man selten begegnet!«

Bei dem alten Lehrer, der gleichzeitig der Kantor des Dorfes war und auch noch nach seiner Pensionierung in der Kirche die Orgel spielte, hatte die kleine Nicola ihren ersten Klavierunterricht erhalten.

Eines Tages hatte dann ihre Mutter begonnen, Nicolas glockenreine, zarte Stimme auszubilden.

»Mach nur erst einmal dein Abitur«, riet sie ihrer Tochter, »und übe dich hübsch fleißig im Gesang. Dann können wir immer noch entscheiden, ob du eines Tages Sängerin werden willst oder dich einem anderen Beruf zuwendest.«

Das alte Lehrerehepaar hatte keine Kinder und verwöhnte die kleine Nicola nach Kräften. Bisher hatte Nicola den Vater nicht vermisst, denn Onkel Hermann, wie sie den Lehrer nannte, war an dessen Stelle getreten und hatte dafür gesorgt, dass das männliche Element in der Kindheit und Erziehung des jungen Mädchens nicht fehlte.

Baron von Schönhausen war in seinem Wagen vorübergebraust, und nichts hinderte Nicola nun, ihre volle Aufmerksamkeit wieder der Gesangsstunde zuzuwenden.

»Bitte, die letzte Strophe dieses Liedes noch einmal«, sagte ihre Mutter. »Mir schien es, als wärest du bei dem Text dieses Liedes noch unsicher, und in der zweiten Zeile warst du um einen halben Ton zu hoch!«

Dem scharfen Ohr der ausgebildeten Sängerin entging nichts. Nicola war dankbar für diese Lehrmeisterin. Obwohl die Mutter im Unterricht keineswegs bequem für die Tochter war.