Lore-Roman 162 - Gitta van Bergen - E-Book

Lore-Roman 162 E-Book

Gitta van Bergen

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Beschreibung

In dem kleinen Weiler St. Veit lebt die Walburga Praxenmeier, genannt Edelweiß-Burgl, die Dorfhexe, die niemand mag und die doch keiner gern entbehrt, wenn sie gebraucht wird. Und das ist in dem Bergdorf recht oft der Fall. Das alte, verhutzelte Weiblein verkauft nicht nur Heilkräuter, sondern kann in ihrer Kugel die Zukunft voraussagen. So prophezeit sie, dass die Hochzeit zwischen dem Floriani-Sepp und der Kamberger-Steffi, der reichsten Bauerntochter weit und breit, nicht stattfinden wird. Und sie soll wieder mal recht behalten!
Steffi kann die Flucht ihres Bräutigams nicht verwinden. Matt, lebensunlustig und teilnahmslos lässt sie fortan alles über sich ergehen, was um sie herum geschieht. Mit tränennassen Augen blickt sie täglich auf die imposante Wildspitze empor und hofft auf die Worte der alten Burgl, die ihr versprach: "Eines Tages, so in etwa dreimal zwölf Monaten, da kommt der Sepp über einen weiten Weg wieder zurück."


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Inhalt

Cover

Am Berg der Tränen

Vorschau

Impressum

Am Berg der Tränen

Ein Schicksal zwischen Tal und Gipfel

Von Gitta van Bergen

In dem kleinen Weiler St. Veit lebt die Walburga Praxenmeier, genannt Edelweiß-Burgl, die Dorfhexe, die niemand mag und die doch keiner gern entbehrt, wenn sie gebraucht wird. Und das ist in dem Bergdorf recht oft der Fall. Das alte, verhutzelte Weiblein verkauft nicht nur Heilkräuter, sondern kann in ihrer Kugel die Zukunft voraussagen. So prophezeit sie, dass die Hochzeit zwischen dem Floriani-Sepp und der Kamberger-Steffi, der reichsten Bauerntochter weit und breit, nicht stattfinden wird. Und sie soll wieder mal recht behalten!

Steffi kann die Flucht ihres Bräutigams nicht verwinden. Matt, lebensunlustig und teilnahmslos lässt sie fortan alles über sich ergehen, was um sie herum geschieht. Mit tränennassen Augen blickt sie täglich auf die imposante Wildspitze empor und hofft auf die Worte der alten Burgl, die ihr versprach: »Eines Tages, so in etwa dreimal zwölf Monaten, da kommt der Sepp über einen weiten Weg wieder zurück.«

»Es ist alleweil wieder etwas im Gange«, meinte der Nachtwächter-Toni von St. Veit, als er beim Hias Schober, dem Dorfschmied, in der Küche den Frühkaffee trank. »Du wirst sehen, Hias, es passiert etwas, womit keiner gerechnet hat«, setzte er hinzu, als der Schmied ungläubig aufblickte.

Der Schmied griff nach seiner dicken Lederschürze und krempelte sich die Ärmel hoch. Auf dem Turm der nahen Kirche schlug die Uhr die fünfte Morgenstunde. Der Lehrling Poldi öffnete die knarrenden Tore der Werkstatt und flammte das Feuer an, indem er den Blasebalg betätigte.

Die Schmiedin setzte das Schweinefutter auf die glühende Herdplatte, trocknete sich die nassen Hände an der Schürze und wandte sich dem Nachtwächter-Toni zu, der bedächtig an der Pfeife sog und ein geheimnisvolles Gesicht machte.

»Dass du nur immer was zu unken hast, Toni!«, sagte sie halb ärgerlich, halb neugierig.

Der Schmied griff nach einem Holzspan, öffnete das Feuerloch des Herdes, steckte sich die halbe Virginia in Brand, die er am Vorabend aus Ersparnisgründen nicht ganz aufgeraucht hatte, und setzte hinzu: »Geh, Tonerl! Es wird wohl nicht so schlimm werden, wie du meinst. Derzeit haben wir noch zwanzig Grad Frost, wie du's auf dem Thermometer ablesen kannst. Und das im März! Da hat keiner was Böses im Sinn, weil er sich schier beim Feuerlegen kalte Füße holt. Und die Lawinen hängen noch hoch über dem Geigenkamm. Passieren tut immer etwas in der Welt.«

»Heute Nacht hat's Sterne geregnet, Hias«, sagte der Nachtwächter-Toni, als der Schmied Anstalten machte, in die Werkstatt zu gehen. »Schier so, als hätte der Leibhaftige ein Feuerwerk abbrennen wollen. Wenn man das im November sieht, ist's kein Wunder, Hias. Aber im März, da könnte es einen schon ins Staunen versetzen, da es doch keine Sternschnuppenzeit ist.«

»Alsdann hast du also nichts anderes gesehen wie Himmelszeichen, Toni«, antwortete der Schmied. »Bist akkurat so abergläubisch wie die Edelweiß-Burgl, die den Mägden die Zukunft aus dem Kaffeesatz deutet.«

Der Nachtwächter-Toni schüttelte missbilligend den Kopf.

»Irdisches und Überirdisches, Hias«, erwiderte er. »Es hat alles seine Bedeutung. Und wenn unsere Altvorderen vom Binsenhannes erzählten, oder von der Räuber-Maria, die den Kirchenschänder auf frischer Tat ertappte, so ist das nicht von ungefähr. Der Mensch weiß natürlich mit den Sternen ebenso wenig anzufangen wie mit sich selbst. Aber achten sollte man auf so etwas. Entweder haben wir bald wieder einen schrecklichen Krieg, weil's heute Nacht so ein arg grausiges Feuerwerk gegeben hat, oder in St. Veit hat der Satan sein Hauptquartier aufgeschlagen. Mir war zumute, als müsste Letzteres der Fall sein.«

»Warten wir's ab«, erwiderte der Schmied gelassen. »Auf die Dauer lässt sich das nämlich nicht verheimlichen, Toni. Und wir werden, wenn's nach dir geht, alsbald sehen, ob sich der Teufel beim Schmied von St. Veit oder im ,Goldenen Hirsch' eingemietet hat.«

»Bist schon immer ein arger Spötter gewesen«, konstatierte der Nachtwächter-Toni stirnrunzelnd. »Aber vielleicht denkst du noch an mich. Ich habe so meine Ahnungen ...«

»Dann sag' schnell noch, was du auf dem Herzen hast, Toni«, unterbrach ihn der Hias mit einer abfälligen Geste. »Ich habe nämlich gerade die Achse der Hochzeitskutsche im Feuer liegen, mit der heute der Floriani-Sepp und die Steffi Kamberger zur Kirche fahren wollen. Bis um neun Uhr muss ich mit dem Einbau der Achse fertig sein.«

»Brauchst dich nicht zu beeilen, Hias«, sagte der Toni wieder. »Mit dieser Arbeit hat's Zeit. Das sage ich dir, so wahr ich in deiner Küche auf dem Stuhle sitze, Schmied.«

»Was ich zusammenschmiede, das bricht ein Leben lang nicht mehr«, fuhr der Hias wütend auf. »Außerdem hat das Hochzeitspaar vom Kamberger-Hof bis zum Kirchenportal alleweil nur zweihundert Schritte zu fahren. Und wenn eine Achse, die ich geschmiedet habe, nicht länger halten sollte, dann will ich meinem Lehrmeister das Geld freiwillig zurückzahlen. Machst akkurat ein Gesicht wie ein Stadtdetektiv, Toni.«

Der Toni zuckte die Schultern, wie er es immer tat, wenn er mit seinem Wissen nicht gleich herausrücken wollte. Im Übrigen passte nach seiner Ansicht der Vergleich, den der Schmied soeben zu dem Ausdruck seiner Mienen herangezogen hatte. Ehe er, der Toni, etwas Genaues verlauten ließ, hüllte er sich meistens in pfiffiges Schmunzeln. Nachts sah er so manches, was den Dörflern von St. Veit verborgen blieb. Und gelegentlich vergaß er über das, was er, hinter irgendeiner Hausmauer versteckt, heimlich beobachtete, das Blasen des Nachtwächterhorns, zu dem er beim jeweiligen Glockenschlag der Kirchturmuhr verpflichtet war.

»Seit sechs Wochen sind der Floriani-Sepp und die Steffi miteinander aufgeboten«, mischte sich die Schmiedin ein. »Und heute soll ihre Hochzeit sein. Da kann wohl kaum noch etwas dazwischen kommen, Toni. Der Kamberger-Bauer hat Ja gesagt, die Bäuerin hat dazu ihren Segen gegeben, und heute Vormittag um elf wird's auch bei dem alten Herrn Pfarrer noch zu ein paar Hochzeitssprüchen reichen. Der Schmied wird sich also an die Arbeit machen müssen, damit die Hochzeitskutsche keine Verspätung hat, wenn die Glocken läuten.«

Der Nachtwächter-Toni erhob sich, nachdem er die geleerte Tasse beiseitegeschoben hatte. Er nahm das Horn vom Fensterbrett und hängte es über die linke Schulter. Dann griff er nach seinem dicken, eichenen Spazierstock.

»Nichts für ungut, Leutl!«, sagte er. »Habt auch Dank für den heißen Kaffee! Nach so einer kalten Nacht tut ein bisserl Wärme gut.«

Die Schmiedin lächelte vielsagend.

»Wenn du die Edelweiß-Burgl geheiratet haben würdest, könntest du jetzt alleweil in ein angewärmtes Bett steigen, Toni.«

»Dass mir der Herrgott dieses Kreuz erspart hat, Schmiedin, ist ihm schier zu danken«, erwiderte der Toni eisig.

Die Schmiedin machte ein säuerliches Gesicht, als sie beobachtete, dass der Hias dem Nachtwächter-Toni bedeutungsvoll zublinzelte.

»Ihr werdet ohne Weiberleut noch den Sonnenstich kriegen vor lauter innerer Hitze, Toni!«, spottete sie, ehe der Toni mit dem Schmied durch die Küchentür verschwand.

Beide Männer verzichteten darauf, der zungenfertigen Kathi noch eine passende Antwort zu geben; denn es war bekannt, dass der Schmied und die Schmiedin in heftiger Fehde miteinander lebten.

Inzwischen war die Achse der Hochzeitskutsche rotglühend geworden. Der Poldi zog mehr und mehr mit erlahmender Kraft an dem Blasebalg.

Der Hias löste ihn ab, während der Toni neben dem Feuer stehen blieb und sich insgeheim über den sprühenden Funkenregen, den der Schmied erzeugte, seine Gedanken machte.

»Siehst du den Sprung, den die Achse aufweist, Toni?«, fragte der Schmied den frühen Besucher, der noch immer keine Miene machte, nach Hause zu gehen. »Es mag zehn Jahre her sein, dass der Kamberger-Bauer mit seiner hochnoblen Kutsche gegen die Hauswand vom ,Goldenen Hirsch' fuhr, weil er seine jungen Gäule nicht mehr zu bändigen vermochte. Und seit dieser Zeit hat die Achse einen Sprung. Aber ich kriege sie wieder hin.«

»Tja«, brummte der Toni, »es mag schon sein, Hias. Ein Sprung lässt sich reparieren. Mit dem Hammer biegt man Eisen, soviel man will. Wenn aber eine Ehe erst mal einen Sprung hat, dann wirst du mit dem Vorschlaghammer nicht mehr viel ausrichten können, Hias.«

»Worauf spielst du diesmal wieder an?«, fragte der Schmied mit gerunzelter Stirn.

»Eben auf den Kamberger«, erklärte der Toni. »Vor fünfundzwanzig Jahren hat der Bauer Xaver Kamberger die Vroni geheiratet, die reichste Bauerntochter vom Pitztale. Geld kam zu Geld. Besitz zu Besitz. Und der Vinzent Wöllrainer, der Sohn des zweiten Großbauern von St. Veit, hat sich schier die Augen nach dem Dirndl, der Steffi, verdreht, ohne damit etwas auszurichten. Vielleicht schlägt es dem Vinzent noch mal zum Guten aus, dass die Steffi den Großknecht Floriani ehelichen will. Bei den Kamberger-Bauern hat man sogar den Rechenstift beiseitegelegt, um den Segen zu dieser seltsamen Wahl zu geben. Verstehst du das, Hias?«

»Am besten ist es, wenn man sich über Angelegenheiten anderer Menschen keine Gedanken macht«, warnte der Schmied.

Der Nachtwächter-Toni seufzte, weil er so wenig Teilnahme an den Sorgen fand, die er sich über die bevorstehende, großartige Hochzeit von St. Veit zu machen schien.

»Tja«, meinte er wieder, als der Hias die Achse nun vom flammenden Schmiedefeuer nahm und sie unter Aufbietung seiner ganzen Kraft auf den Amboss wuchtete. »Die alten Kambergers sind miteinander nicht sehr glücklich geworden, weil sie zu genau gerechnet haben. Deshalb taten sie der Steffi wohl den Willen, als sie alleweil nur in den Floriani-Sepp vernarrt war.«

»Sie werden genug beieinander haben, Toni«, sagte der Schmied, als er sich in die Hände spuckte und nach dem Vorschlaghammer griff. »Deshalb haben sie der Steffi nachgegeben. Die Kamberger brauchen keinen reichen Bauern zum Schwiegersohn. Zum Teufel mit deinen Spinnereien, Toni! Es ist nicht das erste Mal, dass ein Knecht ein reiches Weiberleut freit, oder umgekehrt. Ich habe den Auftrag, die angebrochene Achse zu reparieren und die Hochzeitskutsche herzurichten. Alles andere interessiert mich nicht, Toni. Jetzt geh' mir alleweil aus dem Wege, sonst treffe ich dein dummes Köpferl statt der glühenden Bruchstelle.«

»Leg' den Hammer weg!«, riet der Toni zum letzten Mal. »Machst die Arbeit doch umsonst, Hias. Und wenn die Achse bis jetzt gehalten hat, so wird sie auch in den nächsten zehn Jahren nicht auseinanderbrechen; denn in der Hochzeitskutsche von den Kambergers fährt in der nächsten Zeit so bald kein Brautpaar zur Kirche. Auch heute nicht, Hias!«

Ein eisiger Windstoß fegte zur offenen Tür herein. Dem Schmied sank unwillkürlich die hammerbewehrte Hand wieder herab.

»Ist das dein Ernst, Toni?«, fragte er. »Ja, weißt du schon etwas Genaues?«

»Ja«, bekräftigte der Toni nachdrücklich. »Der Floriani-Sepp ist schon seit Mitternacht nach Imst auf dem Wege. Mit Sack und Pack.«

Der Schmied erbleichte.

»Du bist verrückt, Toni!«, erwiderte er und gab dem Lehrling Poldi zu verstehen, dass er verschwinden sollte. »Du meinst, der Floriani-Sepp wäre auf und davon? Kurz vor seiner Trauung? Kurz vor der Eheschließung mit der reichsten Bauerntochter, die ein Großknecht in den nächsten fünfzig Jahren kriegen könnte?«

»So ist es«, bestätigte der Nachtwächter-Toni. »Die Braut wird allein vor dem Altare stehen, Schmied, wenn nicht einer zu den Krambergers geht und ihnen noch rechtzeitig ein Licht aufsteckt.«

»Ich werde mich hüten!«, entgegnete der Schmied und blickte verstört auf die Achse, die langsam abglühte.

»Dann sag's deiner Kathi!«, meinte der Toni. »Die ist ja mit der Bäuerin schon von der Schule her auf du und du. Vielleicht findet die die passenden Worte, den Kambergers klarzumachen, dass der Herr Bräutigam inzwischen das Weite gesucht hat.«

»Kannst du's bei der Heiligen Gottesmutter beschwören, Toni?«, fragte der Schmied atemlos.

»Bei allen Heiligen«, bestätigte der Nachtwächter-Toni, »denn der Floriani-Sepp hat ja mit mir noch gesprochen. Und gesagt hat er auch, weshalb er sich in dieser kalten Nacht dünne machen wollte. Die Steffi, die hätte er wohl von Herzen gern. Auch der Hof sei eine Mitgift, die ihm recht gelegen käme, zumal er ja bekanntlich von der Bauernwirtschaft mehr verstünde als zwanzig andere in St. Veit. Aber er wollte sich nun doch nicht das ganze Leben lang vorrechnen lassen, dass er auf dem Kamberger-Hof nur seinen Hut an den Wandnagel gehängt hätte, und im Übrigen ein sogenannter Habenichts gewesen sei. Lieber wollte er irgendwo wieder als Knecht gehen, denn als geduldeter Hofhund und vermeintlicher Bauer mit ein paar mageren Knochen bedacht zu werden. Tja, so ungefähr sagte er es, Hias. Und wenn ichs' genau betrachte, hatte er gar nicht unrecht. Solange die alten Kambergers nicht unter dem Rasen liegen, würde er auf dem Hofe immer nur die zweite Geige gespielt haben. Vielleicht hätte man ihm auch vorgerechnet, dass er zu viel Taschengeld verlangte. Du kennst die Kambergers ja selbst, Schmied. Nun mache dir einen Vers auf die Weltuntergangsstimmung, in der der Floriani-Sepp mit seinem Bündel St. Veit verließ, wie ein Dieb in der Nacht.«

»Teifi, Teifi!«, fluchte der Schmied. »Das hätte er sich auch früher überlegen können, Toni. Eine Braut in die Kirche zu bestellen und sie dann nicht abzuholen, das ist akkurat eine Todsünde. Aber natürlich! Sagen muss man es den Kambergers wohl. Und die Kathi ist alleweil die Einzige, die's ihnen plausibel machen könnte. Hoffentlich ist's wahr, Toni.«

»Ihr könnt euch ja umtun, ob es wahr ist«, erwiderte der Nachtwächter-Toni beleidigt. »Trefft ihr den Floriani-Sepp auf der Gesindestube vom Hochstaffelhof nicht mehr an und könnt ihr euch selbst davon überzeugen, dass der Vogel restlos ausgeflogen ist, dann wird's wohl keine Zweifel mehr geben, Schmied. Aber nun geh' ich. Ein paar Stunden Schlaf könnten einem guttun, ehe es in St. Veit zum Teufelstanz kommt. Servus!«

***

Auf dem Kamberger-Hof wurden die Gäule gestriegelt, die vor der Hochzeitskutsche gehen sollten.

»Halt' endlich still, sakrisches Teufelsvieh!«, brüllte der Uli, als er mit knapper Not und Mühe den Hufen des auskeilenden Hengstes entkam und sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte.

»Wenn das ein richtiger Hochzeitstag sein soll«, meinte Uli zu dem verblödeten Wastl, der ihm helfen sollte, »dann bin ich noch nie ein Hochzeitskutscher gewesen.«

Der Wastl kicherte dumm.

»Hast du schon viele Fuhren dieser Art gemacht, Uli?«, fragte er. »Und hast du dann akkurat auch gesehen, wie sich das Brautpaar nach der Kirche busselte? War's sehr aufregend, Uli?«

Der Uli richtete sich auf und strich sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn.

»Es wäre verfrüht, dass du dir um solche Dinge Gedanken machst, Wastl. Mit sechzehn Jahren sollte einer noch nicht wissen, was ein Bub oder ein Dirndl ist.«

»Ich weiß es aber schon!«, begehrte der junge, geistig arg beschränkte Knecht auf.

»Ein Wunder ist es nicht«, brummte der Uli. »Siehst unter dem Gesinde alleweil mehr als dir guttut.«

»Ich weiß noch viel mehr«, kicherte der Wastl erneut.

»Was, zum Beispiel?«, fragte der Uli stirnrunzelnd.

»Ich weiß, dass die Braut, die Steffi Kamberger, heute zehn Unterröcke trägt, dass sie akkurat so aussieht, wie eine Prinzessin im Märchen.«

»Demnach war's wieder mal die Leni, dieser Besen, die alles ausgeplauscht hat, was in einem Brautzimmer vor sich geht«, konstatierte der Uli.

»Natürlich«, meinte der Wastl ahnungslos. »Und noch viel mehr hat die Leni gesagt, viel, viel mehr. Dass die Kamberger-Steffi den Floriani-Sepp mehr liebe als Vater und Mutter, und dass die Steffi sich vergiften würde, wenn's heute nicht zur Hochzeit mit dem Floriani-Sepp kommen täte.«

»Das sind dumme Redensarten«, meinte der Uli und griff nach einer Bürste. »An gebrochenem Herzen ist noch niemand gestorben. Sonst läge ich heute Morgen tot vor dir, Wastl; denn die Kuchlmagd vom Hochstaffelhof hat mir den Laufpass gegeben. Und auch die Steffi wird sich nicht umbringen, wenn sie in ihrer Ehe nicht glücklich werden sollte.«

»Wenn ich das Hochzeitspaar nicht mit der Kutsche in den Pitzbach fahre, dürfte der Großknecht Floriani alsbald die beste Partie machen, die einer machen konnte.«

»Bist wohl arg neidisch«, meinte der Wastl.

»Wie man's nimmt, Wastl«, entgegnete der Uli schulterzuckend. »Wenn schon die Steffi akkurat einen Knecht heiraten wollte, so hätte sie in mir einen besseren gefunden als in dem Floriani-Sepp. Das ist meine Meinung, Wastl. Aber der Floriani-Sepp, das ist ein Großspuriger. Und das hat der Steffi imponiert.«

»Dem habe ich die Steffi ja auch nie gegönnt«, setzte der Wastl naseweis hinzu. »Und wenn ich gewusst hätte, wie man ihn vergiften könnte, würde ich es getan haben; denn mit dem wird die Steffi nicht glücklich.«

»In vier Stunden hat sie ihn«, brummte der Uli. »Da ist's passiert, Wastl. Da haben sie einander vor dem Altar ewige Liebe und Treue geschworen. Die Hauptsache ist nun, dass der Schmied mit der Achse des Kutschwagens rechtzeitig fertig wird. Alsdann ...«

»Noch ist's nicht so weit«, fiel ihm der Wastl wieder ins Wort. »Die Edelweiß-Burgl hat erst kürzlich gesagt, dass leicht noch etwas dazwischen kommen könnte. Und die weiß es, Uli.«

»Gar nichts weiß sie«, knurrte der Pferdeknecht des Kamberger-Hofes abfällig. »Die Edelweiß-Burgl und der Nachtwächter-Toni, die hören wohl das Gras wachsen, weil sie ihre Ohren immer an die Schlüssellöcher fremder Türen halten, aber weissagen kann keiner.«

»Wenn von einer Hexe gesprochen wird, ist der Teufel nicht weit«, kicherte der Wastl und wies auf eine alte, gebückte Gestalt, die soeben in der Haustür des Kamberger-Hofes verschwand.

***

Auch im Hause herrschte eine begreifliche Aufregung. Das Gesinde sprang aufgescheucht umeinander und räumte gerade die große Bauernstube aus, in der hundert Hochzeitsgäste Platz hatten. Es roch nach Backwerk und frischem Braten. Der Kamberger-Bauer hatte sich in den Weinkeller verzogen und zählte dort die Flaschen, aus denen die Gläser vollgeschenkt werden sollten. Um die Unkosten zu verringern, hatte er sich einen billigen Terlaner abfüllen und erst vor einigen Tagen aus der Stadt kommen lassen. Ihm selbst war nach einer Hochzeit nicht zumute. Dass sein Kind, die Steffi, einen gewöhnlichen Großknecht heiraten würde, hätte er niemals in Betracht gezogen.