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Sie teilt die Bühne mit den Backstreet Boys, Jennifer Rush, Barry White und den Spice Girls. Sie produziert goldene Alben und Videoclips für MTV. Doch dann kommt alles anders. Ein einziger Studiotag mit einem der erfolgreichsten Künstler Europas bricht ihr das Genick. Während seine Hits mit ihrer unvergleichlichen Stimme Gold, Platin und Doppel-Platin abräumen und ihm Millionen bescheren, landet Lori mittellos auf der Straße und schließlich sogar im Gefängnis. Dies ist ihre Geschichte.
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Seitenzahl: 442
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Meiner Freundin Brigitte Knapp.
Es ist wundervoll, dich kennen zu dürfen.
Die Zellentür fiel mit einem Krachen ins Schloss. Lori – ihr Kleiderbündel, die billige Zahnbürste, eine Tube Zahnpasta, ein Stück Seife und ein Handtuch auf den Armen – sah sich in dem Raum um. Ein Bett, ein Stuhl, ein kleiner, zerkratzter Tisch, ein schmutziges Waschbecken ohne Spiegel und ein vergittertes Fenster. So sah also ihr neues Zuhause aus. Hier würde sie, je nach Urteilsspruch, die nächsten Jahre oder Jahrzehnte ihres gescheiterten Lebens verbringen. So tief war sie gesunken. So tief …
Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Mit schweren Schritten schlurfte sie zur Pritsche, legte ihr Bündel ab und setzte sich. Die Matratze war hart und abgenutzt, aber auch nicht viel unbequemer als der Schlafplatz in dem alten Lieferwagen, in dem sie einst gehaust und sich von morgens bis abends mit Kokain zugedröhnt hatte, um zu vergessen … um einfach zu vergessen. Eine Träne rollte ihr über die schokoladenbraune Wange.
Was ist bloß aus dir geworden, Lori? Was ist mit dir geschehen? Du gehörst nicht hierher!
Drei Jahre lang hatte sie versucht, das, was geschehen war, zu verdrängen und in die Rolle einer Frau zu schlüpfen, die sie eigentlich nicht war. Bilder flammten in ihr auf, Szenen wie aus einem lange vergessenen Traum. Sie sah sich auf der Bühne stehen. Im Scheinwerferlicht. Strahlend wie der Sonnenschein. In einem glitzernden Gewand, das Mikrofon in der Hand. Das Publikum tobte.
»Lori Glori Halleluja! Lori Glori Halleluja!«, erschallte es wie ein gewaltiger Engelschor durch das Stadion, als 50000 Fans ihr zujubelten. Sie war ein Star. Sie hatte erreicht, wovon andere nur träumen. Sie hatte mit den Größten dieser Welt zusammen gesungen: DJ Bobo, Jennifer Rush, Bill Summers. Sie hatte auf derselben Bühne gestanden wie Barry White, die Spice Girls oder die Backstreet Boys. Sie hatte goldene Alben und Videoclips für MTV produziert. Ihre Singles hatten die deutschen Charts erstürmt. Ihre unverkennbare Stimme zog jeden in seinen Bann, der sie hörte. Sie hatte bei einigen der erfolgreichsten Lieder von DJ Bobo mitgesungen wie »Let the dream come true«, »There’s a party«, »It’s my life«, »Pray«, »Shadows of the night«, »Respect yourself« – Songs, die fast durchgehend Gold und die daraus entstandenen Alben sogar Platin und Doppelplatin abgeräumt hatten.
Ja, Lori Glori war ganz oben gewesen. Alles, was sie anfasste, war zu Gold geworden – nur nicht ihr eigenes Leben. Und während ihre Stimme die Herzen der Menschen eroberte, verlor sie selbst alles, was ihr je etwas bedeutet hatte. Der Traum, den sie als kleines Mädchen geträumt und als erwachsene Frau gelebt hatte, war in tausend Stücke zersplittert. Und hier saß sie nun, vergessen von der Welt, verlassen von ihrer Familie, ohne jeden Schimmer von Hoffnung, eingesperrt in einer trostlosen Gefängniszelle irgendwo im Nirgendwo. Wie sollte das alles noch enden? Gab es überhaupt noch eine Zukunft für jemanden wie sie? War’s das gewesen? War das das bittere Ende? War das der letzte Akt ihres Trauerspiels, bevor der Bühnenvorhang ihres Lebens für immer fiel?
Tränen der Verzweiflung und Bitterkeit rollten über ihr Gesicht. Gewaltsam versuchte sie, die Szenen von Erfolg und Ruhm, von ihrem einst so schillernden Leben, aus ihrer Erinnerung zu verbannen. Nie wieder wollte sie daran denken, wer sie gewesen war. Nie wieder wollte sie daran denken, was sie verloren hatte. Nie wieder wollte sie daran erinnert werden, dass sie einst ein Star gewesen war.
Lori erblickte am 10. Oktober 1959 in Oceanside, Kalifornien, als jüngstes von vier Kindern, das Licht der Welt. Ihre älteste Schwester Denise war damals acht und ihre mittlere Schwester Angela vier Jahre alt. Ihr Bruder Clarence Junior war bei ihrer Geburt bereits im Teenagealter und zog von zu Hause weg, bevor sie eine wirkliche Beziehung mit ihm aufbauen konnte. Loris Vater, Clarence Ham Senior, war ein Exmarine und arbeitete als Chefkoch bei dem berühmten Restaurant »Max’s Opera Café« in San Francisco. Ihre Mutter, Deloris Ham, war Managerin eines Donut-Shops, der sich »Devil’s Donuts« nannte. Immer, wenn Lori von der Schule kam, machte sie einen Abstecher zu »Devil’s Donuts«, um ihre Mom zu sehen. Dann kriegte sie einen Donut und ihre Mutter gab ihr einen ganzen Karton voll für zu Hause mit. Manchmal durfte Lori auch helfen, die Gäste zu bedienen, was ihr großen Spaß machte.
Ihre älteste Schwester Denise arbeitete nach der Schule ebenfalls in dem Geschäft. Sie hatte damit begonnen, als sie dreizehn Jahre alt war, und managte den Laden so gut wie ihre Mutter. Überhaupt war Denise sehr tüchtig, intelligent und verantwortungsbewusst. Während andere Teenagermädchen in ihrem Alter sich in irgendwelche wilden Abenteuer mit Drogen, Alkohol oder Jungs verstrickten, konzentrierte sich Denise ganz auf ihre Familie und ihre Zukunft. Sie wollte später einmal Psychologin oder Ärztin werden.
Angela war viel weniger ehrgeizig und liebäugelte mehr mit hübschen Jungs als mit einem Collegeabschluss. Lori hörte oft, wie ihre Eltern zu ihr sagten: »Du solltest mehr sein wie deine Schwester Denise.«
Aber Angela sah das überhaupt nicht ein. Denise war ihrer Meinung nach viel zu brav und langweilig. Sie hingegen wollte alles auskosten, was das Leben ihr zu bieten hatte, und war für jede ausgefallene Aktion zu haben. Hauptsache wild und exotisch.
Jeden Sonntag besuchte Familie Ham den Gottesdienst in der nahe gelegenen Baptistenkirche, der »Bayview Baptist Church«. Loris Vater war Diakon und ihre Mutter war im Begrüßungsteam. Clarence und Deloris Ham waren beide sehr gläubig. Zu Hause wurde vor dem Essen immer ein Tischgebet gesprochen, und Loris Mutter betete mit den Kindern, wenn sie sie ins Bett brachte. Für Lori war es von klein auf selbstverständlich, dass es einen Gott gab und dass er auf sie und ihre Familie achtgab.
Loris Kindheit war geprägt von ihren starken Familienbanden und vielen unvergesslichen Erlebnissen. Die Familie wohnte in den »North Beach Projects«, einem riesigen Gebäudekomplex mit Hunderten von Sozialwohnungen, direkt am Strand von San Francisco. Das Viertel grenzte unmittelbar an China Town, das von einer chinesischen Gang namens »Wah Chings« kontrolliert wurde und ziemlich gefährlich war. Vor allem nachts kam es häufIg zu Schießereien und Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Banden. Sobald es dunkel wurde, mussten Lori und ihre Geschwister daher zu Hause sein.
Während auf der Rückseite ihres Gebäudes die Gegend von Straße zu Straße bedrohlicher wurde, befand sich auf der Vorderseite eine der Haupttouristenattraktionen von San Francisco: »Fisherman’s Wharf«. »Fisherman’s Wharf« ist ein Hafenviertel im Nordosten der Stadt, das ursprünglich ein Pier für Frachtschiffe war. Heute tummeln sich auf dem riesigen Areal täglich Tausende von Touristen, mehr noch als bei der Golden Gate Bridge.
Für ein kleines Mädchen wie Lori war das Leben in dem berühmten Hafenviertel ein Leben wie im Paradies. Die Luft war salzig und frisch, Albatrosse segelten krächzend über dem Meer und überall roch es nach Fisch. Am Straßenrand standen riesige Bottiche mit kochendem Wasser für die Zubereitung von Krabben. Ein Stand mit Köstlichkeiten aus dem Meer reihte sich an den anderen und an jeder Ecke wurden die leckersten Shrimps-, Krabben- und Krebsspezialitäten aus der Bucht von San Francisco und dem Pazifik feilgeboten.
Besonders aufregend fand es Lori, den Fischern dabei zuzusehen, wenn sie mit ihren Schiffen in die Bucht tuckerten und all die Kisten mit Bergen voller Dungeness-Krabben an Land brachten. Im November begann die Krabbensaison mit einer Prozession und dem priesterlichen Segen für die Flotte. Die riesigen Wassertanks, in denen die Krabben gekocht wurden, waren dann beleuchtet, alles war festlich geschmückt und die Schiffe mit der ersten Krabbenladung wurden an Land mit Spannung erwartet.
Ja, in »Fisherman’s Wharf« war immer etwas los. Es gab auch Flohmärkte, eine alte Schokoladenfabrik, Open-Air-Konzerte und sogar ein Wachsfigurenkabinett, das Lori sehr oft besuchte. Sie fand es faszinierend, all die berühmten Stars in Wachs zu sehen. Nur die Kammer des Schreckens war ihr ein wenig zu gruselig und brachte ihr Albträume.
Was Lori aber am meisten liebte, war, mit ihrem Vater angeln zu gehen. Manchmal kam ihr Vater von der Arbeit nach Hause, zwinkerte ihr zu und sagte:
»Komm, Lori, lass uns den Big’un1 fangen!«
Das ließ sich Lori nie zweimal sagen. Wenn ihr Vater sie mit diesem einen Satz begrüßte, konnte alles andere warten. Dann nämlich packte Lori ihre Angelrute, die ihr Vater ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, und die beiden machten sich auf den Weg zum Hyde Street Pier, einem historischen Hafendamm im Norden von »Fisherman’s Wharf«, um den »Big’un«, den ganz großen Fisch, wie sie ihn nannten, zu fangen. Stundenlang standen sie nebeneinander am Pier und warteten geduldig auf den Big’un. Und das Warten lohnte sich fast jedes Mal. Es gab selten einen Tag, an dem nicht irgendwann ein Königsfisch anbiss. Wenn es ein großes Exemplar war, kam Loris Vater ganz schön ins Schwitzen, bis er den Fisch endlich an Land gezogen hatte.
Einmal hätte ihr Anglerausflug beinahe in einer Katastrophe geendet. Es waren bereits zwei Stunden vergangen, ohne dass auch nur ein einziger Fisch angebissen hatte.
»Heute wird es wohl nichts mit dem Big’un«, meinte Loris Vater und warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. »Lass uns nach Hause fahren, Lori. Es ist schon spät.«
Genau in diesem Moment spürte Lori jedoch einen starken Zug an ihrer Angelrute.
»Dad, da hat was angebissen!«, rief sie begeistert. »Ich glaube, es ist ein Big’un!«
Sie versuchte, die Spule aufzuwickeln, als es plötzlich einen heftigen Ruck gab, der so stark war, dass es Lori um ein Haar mitsamt Angel ins Meer gerissen hätte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und ihr Vater kam sofort zu ihr herüber, umschloss mit seinen kräftigen Händen die ihren und half ihr, die Angelrute festzuhalten.
»Ich glaube, du hast recht«, sagte er. »Da ist wirklich was Großes am Haken!«
Unter großer Kraftanstrengung gelang es Vater und Tochter, das Ungetüm näher an die Wasseroberfläche zu zerren, und als sie endlich die Umrisse dessen sahen, was sich da an der Angel festgebissen hatte, trauten sie ihren Augen nicht.
»Du meine Güte, Lori! Es ist ein Hai! Sieh dir das an! Ein Hai!«
Das Tier mochte um die eineinhalb Meter lang sein und wehrte sich mit urwüchsigen Kräften. Nach langem Ringen gelang es ihnen schließlich, den Hai auf den Pier zu hieven.
»Komm ihm bloß nicht zu nahe, Lori! Seine Zähne sind messerscharf!«, warnte ihr Vater sie und schob sie hinter sich. Aus sicherem Abstand betrachtete Lori den Hai. Er war riesig, schlug wild mit dem Schwanz um sich und sein Gebiss war Furcht einflößend. Es dauerte über eine Viertelstunde, bis ihn seine Kräfte so weit verlassen hatten, dass Loris Vater es wagen konnte, sich dem Tier ehrfurchtsvoll zu nähern und ihn vom Angelhaken zu befreien. Anschließend warf er ihn ins Meer zurück.
»Der Hai kann von Glück reden, dass wir keine Chinesen sind. Sonst hätte es heute Haifischsuppe zum Abendessen gegeben«, meinte Lori amüsiert, während sie zusah, wie der Hai, noch etwas benommen von den Strapazen, in Zickzacklinien davonschwamm.
»Ich glaube eher, du kannst von Glück reden, Lori«, entgegnete ihr Vater. »Ich will gar nicht daran denken, was geschehen wäre, hätte dich der Hai ins Meer gezogen.«
»Hat er aber nicht«, grinste Lori, sich stolz in die Brust werfend. »Heute hab ich wirklich einen Big’un gefangen, was, Dad?«
»Ja, das hast du, Lori«, nickte ihr Vater und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Das hast du allerdings.«
Lori liebte ihren Dad über alles. Er war so stark und so klug, und die Zeit, die er mit ihr beim Angeln verbrachte, gehörte zu Loris schönsten Kindheitserinnerungen. An den Wochenenden pflegte ihr Vater die ganze Familie zum Angeln an irgendeinen See mitzunehmen. Wenn Lori nicht angelte, planschte sie in einem Autoreifen im Wasser herum, und ihre älteren Geschwister veranstalteten Wettkämpfe, um zu sehen, wer am schnellsten von einem zum anderen Ufer schwimmen konnte.
Sport hatte übrigens in der Ham-Familie schon immer eine große Rolle gespielt, angefangen bei Loris Mutter. Deloris hatte früher im Gramblin College Basketball gespielt und war eine der besten Spielerinnen gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie schon früh hatte lernen müssen, sich allein durchs Leben zu schlagen: Als sie mit fünfzehn Jahren ihre Mutter verloren hatte, war sie es gewesen, die in die Rolle ihrer Mutter schlüpfen und sich fortan um ihre acht jüngeren Geschwister kümmern musste. Kein Wunder, dass sie sich in eine sehr tapfere und sehr selbstbewusste junge Frau verwandelt hatte. Außerdem war sie hübsch. Bildhübsch. Wo auch immer sie hinkam, zog sie die Blicke sämtlicher Männer auf sich. Sie hatte wunderschöne goldbraune Haut, langes schwarzes Haar und trug immer glitzernden Lidschatten um die großen dunklen Augen. Wenn sie mit ihrem strahlenden Lächeln den Raum betrat, war es, als würde die Sonne aufgehen, und es gab keinen, wirklich keinen, der sich nicht nach ihr umdrehte. Alle bewunderten ihre Schönheit und Eleganz und beneideten Clarence darum, eine derart hübsche Frau zu haben.
Loris Eltern waren in derselben Ortschaft aufgewachsen und kannten sich seit der Grundschule. Deloris war Clarence’ erste große und einzige Liebe gewesen und Deloris hatte vor Clarence nie einen anderen Mann gehabt und nie jemand anderen geküsst als ihn. Es war eine Freundschaft, wie man sie unter Tausenden höchstens einmal findet, und Lori konnte sich glücklich schätzen, in eine derart harmonische Familie hineingeboren worden zu sein.
Dennoch lag auch auf den Hams ein Schatten, der die Familienidylle langsam, aber unaufhaltsam von innen heraus zu zerstören drohte: Loris Vater hatte während seiner Dienstzeit bei der Marine zu trinken begonnen und entwickelte sich mehr und mehr zum Wochenendalkoholiker. Je älter Lori wurde, desto häufiger trank ihr Vater und desto seltener wurden die Familienausflüge. Oftmals hing Clarence das ganze Wochenende an der Flasche und war erst wieder einigermaßen nüchtern, wenn er am Montag in der Früh zur Arbeit musste.
Sein Alkoholproblem war für alle sehr belastend. Jeden Freitagabend schickte Loris Mutter die Kinder frühzeitig ins Bett, damit sie nicht mit ansehen mussten, wenn ihr betrunkener Vater nach Hause kam und in der Wohnung herumbrüllte. Aber natürlich bekamen Lori und ihre Geschwister trotzdem alles mit. Und wenn sie vorher einschliefen, stampfte Clarence garantiert sturzbetrunken in ihr Zimmer und weckte sie wieder auf. Gott sei Dank gehörte er nicht zu jener Gruppe von Alkoholikern, die im Rausch gewalttätig wurden. Aber einmal, einmal wurde er es doch. Diesen Abend würde Lori nie vergessen.
Ihre Mutter hatte sie wie üblich früher als sonst in ihr Zimmer geschickt, denn es war wieder einmal Freitag. Mitten in der Nacht schreckte Lori aus dem Schlaf hoch. Draußen war ein lautes metallisches Scheppern zu hören; fast zeitgleich gingen die heulenden Alarmanlagen verschiedener Autos los. Dann fluchte und schimpfte jemand so laut durch die Gegend, dass davon bestimmt die halbe Nachbarschaft aufwachte. Natürlich war der Fluchende niemand anders als Clarence und seiner Stimme nach zu urteilen, war er sternhagelvoll.
Im Nachthemd huschte Lori zu ihrem Fenster und blickte aus dem dritten Stockwerk auf die Straße hinunter. Ihr Vater stand schwankend neben seinem Wagen – oder besser gesagt neben dem, was davon übrig war. Vermutlich hatte er in seinem Rausch vergessen zu bremsen, als er die steile Straße herunterkam, und war mit vollem Karacho gegen mehrere geparkte Autos geprallt. Zum Glück war niemand verletzt worden.
Ein paar Minuten später torkelte Clarence in die Wohnung und das übliche Lallen und Herumnörgeln begann. Lori hörte, wie ihre Mutter ihn zurechtwies und ihm versuchte klarzumachen, wie verantwortungslos es von ihm war, in betrunkenem Zustand Auto zu fahren.
»Wenn du dich schon unbedingt betrinken musst, dann komm wenigstens mit dem Taxi nach Hause!«, rief sie erregt. »Weißt du, wie viele Menschen täglich sterben, weil irgendein Betrunkener sie anfährt? Du hättest jemanden töten können!«
»Isss ja nix passsiert«, antwortete Loris Vater mit schwerer Zunge. »Jetz’ reg dich nich’ sssso auf. Isss nur ein bissschen Blechschaden.«
»Ein bisschen Blechschaden, ja? Und wenn da jemand gestanden hätte? Hm?! Was wäre dann, hm?! Warum tust du uns das an, Clarence? Warum? Wann ist es endlich genug?!«
Lori schlich zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Sie sah, wie ihr Vater sich an die Wand stützen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie hasste es, was der Alkohol mit ihm machte. Und sie hasste es, wenn ihre Eltern sich stritten. Das Wortgefecht zwischen den beiden wurde immer heftiger und irgendwann geschah es: Clarence rutschte die Hand aus und er versetzte seiner Frau eine schallende Ohrfeige. Lori stand mit weit aufgerissenen Augen da und ihr kleines Herz begann wie wild zu klopfen. Instinktiv wollte sie ihrer Mutter zu Hilfe eilen, aber das war völlig überflüssig, denn Deloris wusste sich sehr wohl zu verteidigen. Sie holte unverzüglich zum Gegenschlag aus und schmetterte Clarence die geballte Faust ins Gesicht, und das mit einer derartigen Wucht, dass Clarence’ Kopf gegen die Schlafzimmertür krachte und eine tiefe Einbuchtung hinterließ. Dann sackte er wie ein Mehlsack zu Boden und Loris Mutter blickte wütend auf ihn herunter und fauchte ihn an: »Wag es nie wieder, nie wieder, die Hand gegen mich zu erheben! Hast du mich verstanden, Clarence? NIE WIEDER!«
Lori klappte die Kinnlade herunter, als sie die Szene durch den Türspalt beobachtete. Dass ihre Mutter einen so kräftigen rechten Haken hatte, hätte sie nicht gedacht. Und ihr Vater wohl auch nicht. Am nächsten Morgen, als er sich mit brummendem Schädel aus dem Bett wälzte und sein Gesicht im Spiegel betrachtete, stellte er mit großem Erstaunen fest, dass sein linkes Auge völlig zugeschwollen und ganz blau war.
»Schatz?«, fragte er seine Frau verwundert. »Was zum Kuckuck ist gestern Abend passiert?«
»Du hast mich geschlagen, Liebling«, entgegnete Deloris mit zuckersüßer Miene und bitter-sarkastischem Tonfall. »Wenn ich du wäre, würde ich das in Zukunft schön bleiben lassen. Soll ich dir eine Eispackung bringen?«
Das war das erste und letzte Mal, dass Clarence Deloris gegenüber handgreiflich wurde. Er hatte seine Lektion gelernt.
Es gab viele Dinge, in denen Lori ihrer Mutter erstaunlich ähnlich war. Eine Eigenschaft, die sie definitiv von ihr geerbt hatte, war ihre Entschlossenheit. Wenn sich Lori etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte nichts und niemand mehr sie davon abbringen. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich ein einziges großes Ziel in ihrem Leben gesetzt – sie wollte ein Star werden, ja mehr noch: ein Superstar.
Singen war ihre Leidenschaft. Und das von klein auf. Kaum hatte sie ihre ersten unbeholfenen Schrittchen gemacht, suchte sie sich ständig irgendetwas, mit dem sie Klänge erzeugen konnte. Ihre Lieblingsbeschäftigung war es, mit irgendwelchen Schöpfkellen auf Töpfen, Deckeln und Büchsen herumzuschlagen. Dazu hielt sie eine Gabel oder einen Suppenlöffel als Mikrofon in der kleinen patschigen Hand und bot allen, die gerade in der Nähe waren, eine Show.
Ihren beiden älteren Schwestern lag das Singen ebenfalls im Blut. Sie sangen im Kirchenchor mit und hatten innerhalb des Chores eine eigene Gospelgruppe gegründet, die »Bayview Specials«. Sie waren sozusagen das Aushängeschild der »Bayview Baptist Church« und wurden von den umliegenden Kirchen für spezielle Feiern und Gottesdienste engagiert. Sie hatten sogar eigene Kostüme, die Loris Mutter für sie nähte. Denise sang Alt, Angela Sopran und ein drittes Mädchen namens Patsy sang die Mittelstimme, also Mezzosopran. Begleitet wurden sie von einer örtlichen Band namens »Finishing Touch«, bestehend aus einem Schlagzeuger, einem Gitarristen und einem Bassisten. Sie übten mehrmals wöchentlich in der Garage und Lori ließ sich keine Probe entgehen. Sie kannte alle Lieder auswendig und hätte nichts lieber getan, als ebenfalls in der Gruppe zu singen. Aber ihre Schwestern ließen sie nicht. Lori konnte drängen, so viel sie wollte, es half alles nichts. Ihre Schwestern wiesen sie jedes Mal knallhart ab.
»Du bist viel zu jung, Lori«, behaupteten sie.
»Ich bin zehn!«, verteidigte sich Lori.
»Eben«, meinte Angela schnippisch. »Du bist ein Kind. Denise und ich sind erwachsen. Also vergiss es.«
»Das ist nicht fair!«, beharrte Lori auf ihrem Recht. »Und du bist überhaupt nicht erwachsen, Angela!«
»Ich bin vierzehn«, entgegnete Angela und zupfte sich ihre Frisur zurecht. »Und ich bin sehr wohl erwachsen.«
»Bist du nicht!«
»Lori«, mischte sich die achtzehnjährige Denise ein und schob ihre beiden Geschwister sanft auseinander. »Wenn du älter bist, darfst du vielleicht mitsingen, okay?«
»Warum nicht jetzt schon?«
»Weil ich es sage«, antwortete Denise nachdrücklich und Angela fügte hinzu: »Also husch. Weg mit dir, Lori. Und wehe, du gibst wieder deinen Senf dazu, wenn wir üben! Wir sagen es Mom, wenn sie nach Hause kommt. Und dann wird sie dir verbieten, bei unseren Proben überhaupt dabei zu sein.«
»Aber ich …«
»Keinen Mucks, Schwesterchen, oder du fliegst raus, klar?«
Lori verkroch sich dann schmollend in eine Ecke der Garage. Sie fand es furchtbar ungerecht, dass ihre Schwestern ihr nie die Chance gaben, sich ihnen zu beweisen. Sie konnte singen! Im Gegensatz zu Patsy, die es ihrer Meinung nach überhaupt nicht packte und es absolut nicht verdiente, in der Gruppe zu sein. Erstens konnte sie den Ton nicht lange genug halten, zweitens sang sie ständig zu hoch oder zu tief und drittens hatte ihre Stimme nullVolumen und klang eher wie ein quiekendes Meerschweinchen. Für Lori war es die reinste Tortur, Patsy beim Singen zuzuhören, fast so schlimm, wie wenn jemand mit dem Fingernagel über eine Wandtafel kratzt. Lori war wohl erst zehn Jahre alt, aber vom Singen hatte sie eindeutig mehr Ahnung als dieses Teeniegirl. Angela und Denise hatten beide wundervolle Stimmen und sangen in perfekter Harmonie zusammen. Aber Patsys Stimme war einfach grauenvoll! Wann endlich sahen ihre Schwestern das ein und nahmen sie stattdessen in die Gruppe auf?
Es fiel Lori unglaublich schwer, sich bei den Proben still zu verhalten. Manchmal sprang sie allen Warnungen zum Trotz von ihrem Hocker und sagte lauthals ihre Meinung, was meistens damit endete, dass Denise sie scharf zurechtwies, Lori in Tränen ausbrach und Angela sie am Kragen packte und aus der Garage hinausbeförderte. Es kränkte Lori zutiefst, dass ihre Schwestern nicht auf sie hörten und sie behandelten wie ein kleines Kind. Sie war kein kleines Kind mehr! Sie war zehn! Und sie konnte sehr wohl einen richtigen von einem falschen Ton unterscheiden!
Eines Tages, als Patsy wieder einmal klang wie eine singende Säge und Lori die gequälten Gesichter ihrer Schwestern sah, nützte sie ihre Chance und setzte alles auf eine Karte.
»Lasst mich ihren Part singen!«, bettelte sie und hüpfte dabei wie ein Frosch auf und nieder. »Ich kann den Ton halten! Nehmt mich anstelle von Patsy! Nehmt mich! Nehmt mich!«
Patsy rollte ihre Augen. »Jetzt geht das schon wieder los. Eure kleine Schwester geht mir langsam gewaltig auf den Keks!«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Denise und warf Lori einen strengen Blick zu. »Lori! Wann hörst du endlich auf damit? Wir versuchen hier zu üben! Wir haben übermorgen einen Auftritt in der Methodistenkirche in Oakland!«
»Lasst mich mitgehen!«, quengelte Lori. »Ich kann die Texte alle auswendig! Und ich singe tausendmal besser als Patsy!«
»Lori!«, stieß Denise ermahnend hervor und stemmte ihre Fäuste in die Hüften.
David, Dwayne und Greg, die drei Jungs von der Band, ließen seufzend Instrumente und Drumsticks sinken. Das würde dauern.
»Ist doch wahr!«, verteidigte sich Lori. »Ich weiß, dass ihr wisst, dass sie nicht singen kann!«
»LORI!!!«
»Das ist ja wohl die Höhe!«, knurrte Patsy feindselig. »Hat vielleicht jemand die Freundlichkeit, dieses verzogene Balg vor die Tür zu setzen?«
»Ich sag bloß die Wahrheit!«, rief Lori lauthals und sah Patsy trotzig an. »Du triffst den Ton nicht! Du liegst ständig total daneben! Du kannst kein bisschen singen!«
Die Jungs von der Band verkniffen sich ein Grinsen und Patsy klappte die Kinnlade herunter. »Wie war das?!«
»LORI, ES REICHT!!!«, rief Denise und Angela ging auf Lori zu, um sie am Arm zu packen. Aber Lori wich ihr geschickt aus und brachte sich hinter einem alten Sessel in Sicherheit. So einfach würden sie sie diesmal nicht loswerden! Irgendeinmal mussten sie doch einsehen, dass Patsy nichts taugte.
»Warum lasst ihr mich nicht singen?«, rief Lori erneut, immer darauf achtend, dass Angela sie nicht zu fassen kriegte. »Lasst mich den Song singen! Nur ein einziges Mal! Bitte! Lasst mich mit euch singen! Bitte! Bitte!«
»Nun gebt der Kleinen halt eine Chance«, meldete sich Dwayne hinter dem Schlagzeug zu Wort. »Vielleicht hat sie ja wirklich was drauf. Und sonst ist auch nichts verloren.«
»Ja! Bitte!«, drängte Lori und konnte kaum noch ihre Füße still halten. »Ihr werdet es nicht bereuen!«
»Phh!«, tat Patsy spitz und streckte ihr Näschen in die Luft. »Du glaubst also tatsächlich, du kannst es besser als ich? Na schön. Beweise es!«
Sie trat zur Seite und schaute Lori herausfordernd an. Lori peilte mit einem flüchtigen Blick in Denise’ Richtung die Lage.
»Also gut«, entschied Denise und gab Angela ein Zeichen mit dem Kopf, worauf sie die Verfolgungsjagd einstellte. »Dann lass mal hören. Aber anschließend ist Schluss mit dem ganzen Getue, klar?«
Loris kaffeebraune Wangen glänzten. »Ihr werdet schon sehen«, sagte sie mit geschwellter Brust. »Ich kann es! Ich kann es wirklich!«
»Aber sicher«, murmelte Angela zweifelnd. Es war ziemlich offensichtlich, dass niemand an ihr Talent glaubte, doch die Zehnjährige ließ sich davon nicht abschrecken und nahm siegesgewiss Patsys Platz ein, während Patsy sich mit demonstrativ verschränkten Armen auf den zerschlissenen Sessel setzte und ihre junge Rivalin missbilligend anstarrte. Wie eine kleine Diva stand Lori zwischen ihren großen Schwestern, wild entschlossen, ein für alle Mal klarzustellen, wer es nun war, der singen konnte, und wer nicht.
Denise gab der Band ein Zeichen und die Jungs begannen zu spielen. Nach ein paar Takten setzten die drei Schwestern ein. Was dann geschah, hätte niemand für möglich gehalten: Ein wahrhaft himmlischer Klang erfüllte den Raum, so rein und in Tonlage und Lautstärke derart perfekt aufeinander abgestimmt, als hätten die Schwestern schon ihr ganzes Leben lang zusammen gesungen. David, Dwayne und Greg machten sehr erstaunte Gesichter. Denise und Angela blickten einander verdutzt an, und wie auf Kommando unterbrachen sie ihren Gesang, um Lori allein singen zu hören. Sie traten ein paar Schritte zurück und starrten Lori mit offenem Mund an.
Warum hatten sie das nicht eher gemerkt? Ihre kleine Schwester konnte singen wie eine Nachtigall! Ihre Stimme war absolut traumhaft! Klar und hell! Voller Inspiration und Leidenschaft! Einfach hinreißend! Und im Grunde viel zu reif und souverän für ihr Alter. Und dieses selbstsichere Auftreten! Gerade so, als würde sie nicht in einer Garage, sondern auf einer Weltbühne stehen und vor Zehntausenden singen. Kein Zweifel: Vor ihnen stand ein Star.
Alle waren mehr als angetan von Loris Darbietung. Nur Patsy machte eine ziemlich saure Miene.
»Und?«, wollte Lori ungeduldig wissen, als das Lied zu Ende war und keiner etwas sagte. »Wie war ich?«
»Wow«, ließ Dwayne vernehmen.
»Donnerwetter«, brachte David hervor. Dann schüttelte er den Kopf, schwieg einen Moment und sagte noch einmal: »Donnerwetter.«
»Jetzt macht es nicht so spannend!«, drängte Lori und wippte auf und nieder, als müsste sie ganz dringend auf die Toilette. »Denise?! So sag doch was!«
»Was soll ich sagen«, murmelte Denise und suchte noch immer nach Worten, »du warst …«
»Fantastisch!«, beendete Angela den Satz und schaute ihre kleine Schwester fasziniert an. »Du warst fantastisch! Du bist ein richtiger Singvogel, Lori!«
»Sag ich doch!«, antwortete Lori eifrig und schien vor Stolz um ein paar Zentimeter gewachsen zu sein. »Aber ihr hört mir ja nie zu!«
»Wir hatten ja keine Ahnung, wie gut du singen kannst!«, sagte Denise entschuldigend. »Deine Stimme ist echt umwerfend, Schwesterchen.«
»So umwerfend nun auch wieder nicht«, mischte sich jetzt Patsy in das Gespräch ein und wackelte herablassend mit dem Kopf. »Ich hoffe, ihr habt nicht vor, diesen Zwerg in die Gruppe aufzunehmen, oder?«
»Oh bitte!«, rief Lori und klatschte aufgeregt in die Hände. »Bitte nehmt mich in die Gruppe! Ihr wisst, dass ich besser bin als Patsy! Bitte!«
»So was von lächerlich!«, knurrte Patsy und erhob sich. »Können wir jetzt weiterüben? Die Kinderstunde ist vorbei, Lori. Räum das Feld und überlass das Singen den Profis.«
Sie wartete auf irgendeine unterstützende Bemerkung von Denise oder Angela, aber die blieb aus. Stattdessen tauschten die beiden Geschwister vielsagende Blicke, was Patsy ganz und gar nicht gefiel.
»Was ist?«, fragte sie. »Ihr zieht doch nicht ernsthaft in Erwägung …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Der Gesichtsausdruck ihrer Gesangspartnerinnen verriet alles.
»Das glaub ich jetzt nicht!«, stellte Patsy beleidigt fest und fuchtelte mit den Armen herum. »Sie reicht euch nicht mal bis zu den Schultern!«
»Aber sie hat echt Talent«, stellte Angela fest, worauf Patsy beißend entgegnete:
»Soll das etwa heißen, ich hab keines?«
»Seien wir ehrlich«, fuhr Angela unverhohlen fort, und es klang beinahe, als hätte sie schon lange darauf gewartet, dies endlich einmal loszuwerden. »In letzter Zeit hast du wirklich etwas oft danebengelegen.«
Von den Jungs kam bestätigendes Kopfnicken, ohne sich aber in den Zickenkrieg einzumischen. Das hier mussten die Mädels schon unter sich austragen.
Patsy stand kurz vor einer Explosion. »Und deswegen wollt ihr mich mit diesem … diesem Dreikäsehoch ersetzen?«, schnatterte sie. »Nur weil ich ein paarmal den Ton verfehlt habe? Das kann nicht euer Ernst sein! Denise!«
Ihr Blick wanderte zu der Achtzehnjährigen, die in heiklen Fragen immer das entscheidende Wort hatte. Denise schien angestrengt über die richtige Antwort nachzudenken.
»Patsy, vielleicht wäre es gut, du würdest eine Pause einlegen«, sagte sie vorsichtig. »Ist nichts Persönliches …«
»NICHTS PERSÖNLICHES?! Ihr werft mich raus und es ist nichts Persönliches?!«
Patsys Augen funkelten zornig. Die Geschwister schwiegen, was Patsy nur umso rasender machte. »Und ich dachte, wir wären Freundinnen«, grollte sie und stöckelte zu ihrer Tasche, die sie neben dem Sessel deponiert hatte. »Aber dass ihr mir derart in den Rücken fallt, hätte ich euch nicht zugetraut!«
»Jetzt sei nicht so eingeschnappt«, sagte Angela trocken. »Du singst nicht schlecht, aber …«
»Aber was?!« Patsy wirbelte herum und fixierte Angela feindselig.
»Na ja, du hast Lori selbst gehört. Du musst zugeben, sie ist gut. Ich bin selbst überrascht davon, wie gut sie ist. Man müsste denken, sie wäre zehn Jahre älter, wenn man sie singen hört. Da kannst du echt nicht mithalten, Patsy. Sorry.«
Direkter hätte sie es nicht formulieren können. Auf die Gefühle anderer hatte Angela noch nie viel Rücksicht genommen. Sie zog es vor, die Dinge beim Namen zu nennen.
Patsy schnaubte und warf sich gekränkt ihre Tasche über die Schulter. »Das muss ich mir nicht bieten lassen! Ich bin raus hier!«
»Patsy, warte, sie hat das nicht so gemeint!«, versuchte Denise die harte Aussage ihrer Schwester etwas abzuschwächen, aber Patsy war schon auf dem Weg nach draußen.
»Ihr könnt mich mal!«, zischte sie, während sie erhobenen Hauptes die seitliche Garagentür aufriss. »Viel Glück mit eurem Schwesterntrio, Ham Sisters! Ich wette, ihr schafft es keinen Monat!«
Sie knallte die Tür hinter sich zu, dass die Werkzeuge an der Wand zitterten. Und weg war sie. Denise und Angela blickten ihr nach, aber keine von ihnen machte Anstalten, sie zurückzuholen. Auch die Jungs nicht. Und Lori schon gar nicht.
»Dann wäre das wohl geklärt«, ließ sich David lakonisch vernehmen und blickte erleichtert in die Runde. »Können wir jetzt weiterüben?«
Von diesem Tag an gehörte Lori dazu. Sie war unglaublich stolz darauf. Endlich war sie nicht mehr die kleine lästige Schwester, die überall bloß im Weg rumstand. Endlich durfte sie mit ihren großen Schwestern mitsingen! Lori war so happy, wie man es als zehnjähriges Mädchen irgend sein kann.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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