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Wer loslässt, hat zwei Hände frei
Veränderungen und Umbrüche gehören zum Leben einfach dazu. Trotzdem fällt es uns oft schwer, sie zu akzeptieren. Denn Neues – ob Hochzeit, Kündigung oder Trauerfall – macht zunächst einmal Angst und fordert uns dazu auf, uns von Vertrautem und Liebgewonnenem zu verabschieden. Doch wer an Altem festhält, läuft mitunter Gefahr, im Leid zu verharren. Wer sich stattdessen neugierig auf das Leben einlässt, entwickelt sich weiter, gewinnt Vertrauen und erkennt die Chancen, die sich auftun. Die erfahrene Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin Bärbel Wardetzki zeigt, wie wir konstruktiv mit Wandel umgehen können und ihn sogar dafür nutzen können, unser Leben zum Besseren zu wenden.
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Seitenzahl: 263
Veränderungen und Umbrüche gehören zum Leben einfach dazu. Trotzdem fällt es uns oft schwer, sie zu akzeptieren. Denn Neues – ob Hochzeit, Kündigung oder Trauerfall – macht zunächst einmal Angst und fordert uns dazu auf, uns von Vertrautem und Liebgewonnenem zu verabschieden. Doch wer an Altem festhält, läuft Gefahr, im Leid zu verharren. Wer sich stattdessen neugierig auf das Leben einlässt, entwickelt sich weiter, gewinnt Vertrauen und erkennt die Chancen, die sich auftun. Die erfahrene Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin Dr. Bärbel Wardetzki zeigt, wie wir konstruktiv mit Wandel umgehen können und ihn sogar dafür nutzen können, unser Leben zum Besseren zu wenden. Dr. Bärbel Wardetzki ist in München als Psychotherapeutin, Supervisorin, Coach und in der Fortbildung tätig. Darüber hinaus ist sie eine viel gefragte Referentin im In- und Ausland sowie häufiger Gast bei Funk und Fernsehen.
Bärbel Wardetzki
Loslassen & dranbleiben
Wie wir Veränderungen mutig begegnen
Kösel
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2020 Copyright © 2019 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlag: Weiss Werkstatt München
Umschlagmotiv: © Ridkous Mykhailo / Shutterstock.com
Illustration im Innenteil: Sabine Timmann
Redaktion: Mihrican Özdem
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-23641-0V003
www.koesel.de
Für Johanna
Inhalt
Einleitung
1 Leben ist Bewegung und Wandel
Das einzige Beständige ist der Wandel
Panta rhei – Alles fließt
Wandel ist so toll wie schrecklich
Veränderungen machen Angst
Sicherheit ist notwendig
Wachstum und Sicherheit
Das Gehirn sucht Kohärenz
Wenn uns Neues kränkt
Zwei schwere Kränkungen für Gudrun
Kränkungen machen unflexibel
Wunde Punkte und alte Ängste
Erlernte Hilflosigkeit
Werteverlust führt zu Verbitterung
Das Labyrinth als Lebensweg
Wandel bringt Konflikte
Wandel beginnt in uns
Das Paradox der Veränderung
1. Veränderung heißt nicht, anders zu werden als Sie sind
2. Der Weg der Veränderung geht über Erleben und Selbstannahme
3. Solange man ein Symptom bekämpft, wird es schlimmer
4. Das Ziel der Veränderung ist Ganzheit
5. Veränderung geschieht im Hier und Jetzt
Scheitern beschämt
Aus Fehlern lernen?
Neugier: die Lust auf Neues
2 Veränderung durch Loslassen und Dranbleiben
Zur Wandlung gehört Loslassen
Die Angst, loszulassen
Eine Geschichte über die Angst vor dem Loslassen
Vertrauen gibt Sicherheit
Dem Herzen Raum geben
Intuition hilft, loszulassen
Wie kann ich gleichzeitig loslassen und dranbleiben?
Über das Festhalten
Der Krampfreflex des Festhaltens
Die Kontrolle loslassen
Ich kann dich nicht verändern
Festhalten an der Opferposition
Nur für heute
Nur im Hier und Jetzt ist Wandel möglich
Das Vergangene ist vorüber
3 Umbrüche und Krisen
Umbrüchen wirksam begegnen
Ungewollte Umbrüche
Mein Paradies lag woanders
Das Leben gibt dir Zitronen, mach Limonade draus
Trennungen und Scheidungen
Ich habe meine Autonomie wiedergewonnen
Gerade war ich noch gesund
Verwaiste Eltern
Trauer kann man nicht einfach loslassen
Kollektive Schicksalsschläge
Die sich wandelnde Gesellschaft
Umgang mit Alter und Älterwerden
Geburt und Tod
4 Wandlungsfähigkeit
Wandlungsfähigkeit statt Kränkung und Verbitterung
Wandlungsmodelle
Umbruch und Tiefpunkt
1. Jetzt ist alles noch gut
2. Schock und Widerstand
3. Chaos und Tal der Tränen
4. Am Tiefpunkt
Einsicht und Neuanfang
1. Die Arbeit beginnt jetzt
2. Integration und Selbsterweiterung
3. Vieles ist anders
Positive Ergebnisse des Wandlungsprozesses
Auf zu neuen Ufern
Engpass – Polarität zwischen Entwicklung und Sicherheit
Welche Kompetenzen ermöglichen Wandel?
Weisheitskompetenz
Emotionale Intelligenz
Selbstverantwortung
Fakten- und Strategiewissen
Hilfreiche Überzeugungen und Einstellungen
Den richtigen Moment erkennen
Widerstände ernst nehmen
Frustrationstoleranz üben
Würde verleiht dem Handeln Richtung
Nur du allein schaffst es, doch du schaffst es nicht allein
Ich weiß, was ich kann, und achte mich
Wandlungsfähig durch Resilienz
Ressourcen anzapfen
Äußere Ressourcen
Innere Ressourcen
Der Körper als Ressource
Den Blick für das Positive schärfen
Das Los lassen
Wandlungsfähig durch Gelassenheit
Veränderungen brauchen Zeit
Die Seele braucht Kohärenz
Akzeptieren, was ist
Ursachen der Krisen abstellen: Forderung an die Gesellschaft
Sinnfindung im Wandel
Wir brauchen Selbstmitgefühl
Wandlungsbilanz ziehen
Anmerkungen
Zitierte und weiterführende Literatur
Einleitung
Veränderungen und Umbrüche gehören zum Leben, auch wenn wir dazu neigen, sie lieber auszublenden. Und dennoch bleibt nichts, wie es ist. Sowohl wir selbst verändern uns permanent, als auch unsere Umwelt. Wir sind daher immer wieder herausgefordert, uns auf neue Situationen einzustellen. Sogar positive Veränderungen wie eine bevorstehende Hochzeit, eine Beförderung oder ein herausforderndes Engagement können uns verunsichern. Noch schwieriger erleben wir jedoch solche Situationen, in denen wir Abschied nehmen müssen von geliebten Gewohnheiten, von Menschen, die uns nahestanden, von Jobs, die uns bisher Sinn und Selbstwert vermittelt haben oder von einer durch Krankheit verminderten Kraft, die uns daran hindert, unsere Pläne zu verfolgen. Die Liste der Beispiele ließe sich unendlich verlängern. Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche, wie sie im Moment stattfinden, ist unsere Wandlungsfähigkeit gefragt. Bleiben wir im Alten stecken und versuchen, das Gewohnte krampfhaft festzuhalten, werden wir Probleme bekommen.
Loslassen und dranbleiben ist da gefordert, denn es ist die Basis für unsere Wandlungsfähigkeit und die Bewältigung von schwierigen Situationen. Es klingt wie ein Widerspruch, denn wie sollen wir etwas loslassen und zugleich dranbleiben? Bei psychischen Inhalten widerspricht es sich jedoch nicht. Hier lassen wir los, was uns beschwert, und halten an dem fest, was uns stärkt. Wir lassen los, was sich verändert, und bleiben dran an unseren Zielen und Wünschen und an unserer Handlungskompetenz. Auf diese Weise löst sich der Widerspruch auf.
Viele Veränderungen wirken in unserer Seele wie Kränkungen. Wir fühlen uns persönlich getroffen, ungerecht behandelt und wehren uns gegen die Umwälzungen, die uns geschehen. Im schlimmsten Fall verbittern wir, weil die Situation, in der wir stecken, für uns so nachteilig ist.
Um mit diesen negativen Konsequenzen klarzukommen, sind wir gezwungen, uns auf die neue Situation einzustellen, uns mit ihr auseinanderzusetzen und einen angemessenen Weg zu finden, sie zu akzeptieren. Solange wir im Alten verharren und das Neue abwehren, behindern und verletzen wir uns selbst, nehmen uns die Lebensfreude und verbauen uns die positiven Perspektiven im Leben.
Dieses Buch möchte zeigen, was Wandlungsfähigkeit bedeutet und wie wir sie erwerben können. Was brauchen wir, was müssen wir in uns entwickeln, damit wir als Einzelne und als Gemeinschaft mit Veränderungen so umgehen können, dass wir nicht verbittern und uns gekränkt gegen das Neue stellen? Was bedeutet für jeden Einzelnen Wandlungsfähigkeit, welche Erfahrungen haben wir mit Umbrüchen gemacht, was hat uns geholfen, welche Ressourcen konnten wir aktivieren und wo sind unsere Grenzen? Im vorliegenden Buch werden diese Fragen anhand vieler Beispiele und persönlicher Erfahrungsberichte beantwortet.
Die Fähigkeit, loszulassen und dennoch an einer Sache dranzubleiben, ist wesentlich für unsere Wandlungsfähigkeit. Das Buch erklärt, was darunter zu verstehen ist und wie wir uns diese Fähigkeit zunutze machen können.
Die reinste Form des Wahnsinns ist es,
alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen,
dass sich etwas ändert.
Albert Einstein
1 Leben ist Bewegung und Wandel
Das einzige Beständige ist der Wandel
Veränderungen im Leben sind unausweichlich, und wir sind immer wieder gefordert, uns auf neue Situationen einzustellen. Dabei ist unsere Wandlungsfähigkeit gefragt, die es uns ermöglicht, mit den veränderten Bedingungen konstruktiv umzugehen. Auch und gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche, wie sie im Moment stattfinden, ist diese Flexibilität notwendig. Probleme bekommen wir dagegen, wenn wir im Alten stecken bleiben und versuchen, das Gewohnte festzuhalten und auf unseren Vorstellungen zu beharren, wie die Welt zu sein hat.
In dem Satz des vorsokratischen Philosophen und Denkers Heraklit von Ephesos kommt diese Tatsache zum Ausdruck: »Das einzige Beständige ist der Wandel.« Nichts bleibt gleich, nur die Tatsache, dass sich immer alles verändert. Auch wir Menschen sind einem immerwährenden Prozess des Werdens und Wandels unterworfen, weil unser Leben aus regelmäßigen Veränderungen besteht. Man kann sagen, Leben ist ein stetiger Wandel, ein permanenter Entwicklungsprozess. Das bedeutet, dass wir in unserem Alltag herausgefordert sind, uns immer wieder mit Veränderungen und Umbrüchen auseinanderzusetzen, denn sie gehören zum Leben, ob wir sie akzeptieren oder nicht.
Viele Veränderungen nehmen wir gar nicht bewusst wahr. Unser Körper erneuert ständig seine Zellen und wandelt sich von Tag zu Tag. Erst im Laufe der Jahre wird uns bewusst, wie beträchtlich sich unsere Erscheinung und unsere Ausstrahlung mit der Zeit verändert haben. Wir altern, ohne es direkt zu merken, und spüren es im Wesentlichen an körperlichen Symptomen oder in Zeiten von Lebenseinschnitten. Die gesamte menschliche Entwicklung ist eine Kette von neuronalen, körperlichen und psychischen Entwicklungsschritten, die uns letztendlich dazu befähigen, ein eigenständiges und selbstverantwortliches Leben zu führen. Auch sozial sind die Veränderungen in unserem Leben sehr groß. Wir lösen uns von der Herkunftsfamilie, schließen Freundschaften und Liebesbeziehungen, heiraten, kriegen Kinder und/oder machen Karriere, bis wir uns eines Tages mit unserem Alter auseinandersetzen müssen. Manche Übergänge fallen uns leicht, andere sind mit großen Unsicherheiten und Spannungen verbunden. Jeder Schritt, jeder neue Abschnitt bedeutet Ablösung und Trennung von bisher Gewohntem und ist zugleich eine Erweiterung unserer Lebensmöglichkeiten.
Durch die vielen Erfahrungen, die wir machen, bleibt auch unsere Seele nicht dieselbe. Unsere Persönlichkeit entwickelt sich im Laufe des Lebens weiter. Wir treten anders auf, fühlen uns sicherer, haben viel gelernt und trauen uns mehr zu. Durch Schicksalsschläge kann es allerdings auch passieren, dass wir seelisch so verletzt sind, dass wir uns mehr und mehr von der Welt zurückziehen und an uns zweifeln.
Auch unsere Umwelt verändert sich im Laufe unseres Lebens. Wir verlieren Freunde aus den Augen, neue Freundschaften entstehen. Unsere Wohnung wird zu klein, wenn wir eine Familie gründen, oder zu groß, wenn alle Kinder aus dem Haus sind. Unsere Wünsche, Einstellungen und Ziele verändern sich gleichfalls. Was uns einmal bedeutsam und wichtig war, kann heute seine Attraktivität verloren haben. So stand früher möglicherweise die Karriere an erster Stelle, mit beginnendem Alter sind es die sozialen Beziehungen, die uns erfüllen. Es scheint so zu sein, dass jüngere Menschen mehr Wert auf persönliches Wachstum, Status und Arbeit legen. Für ältere Menschen spielt einer Studie der Universität Basel zufolge1 soziales Engagement und Gesundheit eine größere Rolle.
Doch nicht nur die individuellen, sondern auch gesellschaftliche Umbrüche können unsere innere Balance stark ins Schwanken bringen und zum Handeln auffordern. Hauptsächlich sind es die, unter denen wir leiden, wie eine Finanzkrise, eine Regierungskrise, das Null-Zins-Niveau, die Migranten und Asylsuchenden, deren Zahl uns scheinbar oder real überfordert. Alle diese Veränderungen zwingen uns, uns immer wieder auf neue Bedingungen einzustellen, einfach deshalb, weil sie geschehen. Diese Tatsache mag für viele traurig oder sogar entsetzlich sein, andererseits ist sie aber auch eine Chance. Es wäre nämlich schlimm, wenn immer alles beim Alten bliebe. Es würde nichts Neues entstehen, keine Entwicklung, keine Verbesserung. Und dennoch sind die steten Umstellungen eine Herausforderung an unsere eigene Veränderungs- und Wandlungsfähigkeit, die Mut und Vertrauen erfordert.
Panta rhei – Alles fließt
Die Tatsache, dass nichts so bleibt, wie es ist, nannte Heraklit »Panta rhei«, was so viel bedeutet wie »Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln«.Diese Sicht betont das Prozesshafte unseres Seins. Das Sein ist nicht fest, es entwickelt sich, es wird. Das bedeutet, dass alles, was wir erleben, ein Werden und ein Wechsel ist. Von Moment zu Moment entsteht unser Sein als ein ewiger Entwicklungsprozess. Daher ist es auch nicht möglich, zweimal in denselben Fluss zu steigen. Denn wenn wir es erneut tun, ist es nicht mehr dasselbe Wasser, und auch wir selbst sind nicht mehr die, die wir beim ersten Mal waren.
Diese Tatsache spüren wir häufig in Situationen, in denen wir eine vergangene positive Erfahrung wiederholen möchten. Mit einem bestimmten Menschen oder an einem bestimmten Ort war es so wunderschön, dass wir es gern noch einmal erleben wollen. Doch meist wird diese Erwartung nicht erfüllt. Es kann nämlich nicht noch einmal so werden, wie es damals war, und dann sind wir enttäuscht, weil sich das ehemalige Hochgefühl nicht wieder einstellt. Es kann auch wieder wunderschön werden, aber eben anders. Im schlimmsten Fall machen wir sogar eine negative Erfahrung, die entweder mit unserer Einstellung, unseren zu hohen Erwartungen oder der Veränderung des anderen Menschen und des Ortes zu tun haben. Berücksichtigen wir das im Vorfeld nicht, laufen wir einer Illusion hinterher, die nicht erfüllbar ist. Akzeptieren wir jedoch die Tatsache des Panta rhei, dann lassen wir uns auf eine neue Erfahrung ein, auch wenn sie mit einem bekannten Menschen an demselben Ort stattfindet. Wir öffnen uns für das Neue und erleben damit die Spannung, die in dem Unerwarteten liegt. Das ist Leben, eine stete Bewegung zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Altem und Neuem, zwischen Sicherheit und Unsicherheit.
Wandel ist so toll wie schrecklich
Bitte fragen Sie sich einmal selbst, was Sie mit Veränderung und Wandel verbinden. Sind Sie jemand, der eher das Neue sucht und sich freut, wenn Sie sich auf Ungewohntes einstellen? Oder halten Sie lieber am Alten fest? Vielleicht merken Sie, dass sich diese Frage gar nicht so leicht beantworten lässt. In manchen Bereichen sehnen Sie vielleicht Veränderungen herbei, in anderen dagegen möchten Sie am liebsten, dass alles konstant bleibt.
Es gibt Menschen, die nicht lange an einem Ort wohnen können, sondern immer nach einigen Jahren umziehen. Die aber in ihrem Beruf jede Neuerung ablehnen. Es gibt andere, denen ihre seelische Veränderung so wichtig ist, dass sie jede Herausforderung annehmen, um innerlich zu wachsen. Die aber in ihrem Umfeld alles stabil halten wollen. Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, nämlich die Tatsache, ob es sich um eine positive Veränderung handelt oder um einen negativen Einbruch ins Leben. Der Start in eine Weltreise, die Geburt eines ersehnten Kindes, die berufliche Beförderung sind alles positive Beispiele. Sie lösen Gefühle der Vorfreude, Erfüllung und Befriedigung aus. Doch auch auf diese positiven Ereignisse müssen wir uns einstellen. Ein Neugeborenes krempelt das ganze Leben um, die neue Stelle will kompetent ausgefüllt werden, und die Weltreise birgt mögliche Gefahren. Das bedeutet, dass auch bei schönen Veränderungen meist kleine oder größere Unsicherheiten und Befürchtungen mitschwingen. Das ist verständlich, denn wir betreten in allen Fällen Neuland und wissen nicht genau, was auf uns zukommt.
In einer Studie fanden von Odermatt und Stutzer2 heraus, dass Menschen die Wirkung positiver Ereignisse auf ihre Lebenszufriedenheit überschätzen. Sie haben zwar einen Anstieg des Wohlbefindens zur Folge, der sich jedoch nach einem Jahr auf das Niveau der Vorjahre einpendelt. Ähnlich ist es mit den Folgen negativer Ereignisse, die nach einiger Zeit weniger belastend erlebt werden. Menschen gewöhnen sich an positive und negative Umstände und passen sich ihnen an. Diese Tatsache ist besonders wichtig, da Menschen häufig auf negative Lebenseinbrüche mit starker Abwehr, Angst und Kränkung reagieren. Ihre Belastung könnte sich reduzieren, wenn sie sich klarmachen, dass auch sie wieder Zufriedenheit und Wohlbefinden erlangen werden. Auch in diesem Fall gilt: Nichts bleibt so, wie es ist.
Ich möchte in diesem Buch Wege aufzeigen, wie wir mutig auch die belastenden Veränderungen bewältigen können, und Antworten auf die folgenden Fragen geben:
Wie schaffen wir es, Veränderungen
nicht als Kränkung und gegen uns gerichtet zu erleben, nicht an ihnen zu verzagen und in der Verbitterung zu enden?Wie können wir stattdessen
uns aus dem Schlimmen herausarbeiten,an ihm wachsen, die Situation so managen, dass es uns gut geht, einen Sinn im Ganzen finden?Veränderungen machen Angst
Auch wenn Veränderungen und Wandlung zu unserem Leben dazugehören, machen sie uns Angst, weil sie uns mit etwas Neuem konfrontieren. Dieser Angst könnten wir aus dem Weg gehen, wenn alles beim Alten bliebe, weshalb wir Veränderungen lieber so weit wie möglich vermeiden. In diesem Sinne erklärt auch der Gestalttherapeut3 Arnold Beisser unsere Angst vor dem Unbekannten. Seiner Ansicht nach fürchten wir das Unbekannte, weil es tatsächlich Gefahren bergen und uns womöglich den Boden unter den Füßen wegreißen kann. Dabei könnte es auch eine Chance für uns sein, doch »stattdessen ziehen wir es vor, am vergangenen Elend festzuhalten. Dies ist wenigstens sicher und fest.«4
Die Angst vor dem Neuen ist verständlich, weil wir nicht wissen, wie wir mit den veränderten Bedingungen umgehen sollen und ob wir sie meistern werden. Es ist, als würde unser bisheriges Handwerkszeug nicht mehr ausreichen, wir aber noch kein neues haben. Fehlt uns das Rüstzeug, fühlen wir uns hilflos und ausgeliefert. Wir befürchten, keinen Einfluss nehmen zu können, uns nicht mehr als Handelnde zu erleben und ausgeliefert zu sein. Es geschieht etwas mit uns, wogegen wir uns nicht wehren können. Sogar bei positiven Veränderungen wissen wir nicht, was auf uns zukommt, ob sie uns zufriedenstellen und gut ausgehen oder nicht.
Angst sei ein schlechter Ratgeber, sagt man, weil er uns lähmt und klares Denken verhindert. In unserer Angst malen wir uns eine negative Zukunft aus, verbunden mit der Befürchtung, daran zu scheitern. Das ist eine ganz normale Übergangsreaktion, wenn wir mit einschneidenden Veränderungen konfrontiert sind oder Ziele und Einstellungen revidieren müssen. Dass Veränderungen Angst machen, ist aber kein Grund, sich nicht auf sie einzulassen. Nehmen wir die Angst nämlich als Zeichen, dass wir etwas nicht können und lernen müssen, dann kann sie zu einem wertvollen Begleiter werden, der uns hilft, uns Schritt für Schritt in die neue Situation hineinzufinden.
So beschreibt es auch die Autorin Barbara Pachl-Eberhart5, die 2008 ihren Mann und ihre beiden kleinen Kinder bei einem Autounfall verlor. Diese Erschütterung war so groß, dass sie zuerst nicht mehr leben wollte. Doch irgendwann kam ihr der Gedanke, dass sie sich selbst nicht auch noch verlieren wollte, wo sie schon ihre gesamte Familie verloren hatte. Also begann sie, in kleinen Schritten ins Leben zurückzukommen. Eine ihrer Strategien war, kleine Glücksmomente zu sammeln. Aus der Überzeugung, nie wieder vollkommen glücklich sein zu können, schärfte sie ihren Blick für die kleinen Momente des Glücks. Sie sammelte alle Augenblicke, in denen sie ein kleines bisschen glücklicher war als in dem Moment zuvor. Das half ihr, den Blick auf das Positive in einer schrecklichen Situation zu richten und sich innerlich aufzubauen und zu unterstützen. Heute sei sie rundum glücklich, sagt sie. Sie ist zum zweiten mal verheiratet und hat gerade eine kleine Tochter bekommen.
Das Prinzip des »Schritt für Schritt« ist eine bewährte Methode, um Veränderungen zu meistern, weil wir sie selten auf einmal bewältigen können. Effektiv ist es, uns immer wieder zu überlegen, welcher Schritt jetzt nötig ist, um das zu erreichen, was im Moment ansteht. Je nach der Tiefe der Verzweiflung könnte es sein, dass der erste Schritt bedeutet, überhaupt aufzustehen und sich zu waschen. In einem anderen Fall geht es darum, sich zu überlegen, welche Aufgaben anstehen, um einen Umzug zu organisieren oder um eine Pflegemöglichkeit für die erkrankte Mutter zu arrangieren. Wenn wir solche großen Aufgaben in kleine Schritte unterteilen, werden sie handhabbar und verlieren an Schrecken. Dazu brauchen wir Zeit, um herauszufinden, was gerade jetzt wichtig und notwendig ist. Das hilft, das Unbekannte anzupacken.
Gerade in Zeiten, in denen uns der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, brauchen wir Halt durch andere Menschen, die uns trösten, Mut machen oder konkret mithelfen. Sie unterstützen uns, eigene Kraftreserven zu aktivieren, und geben uns das Gefühl, nicht allein zu sein. Diese soziale Einbettung verschafft Sicherheit, die uns in der Umsturzsituation fehlt, die wir aber dann brauchen.
Sicherheit ist notwendig
Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Nicht nur der Säugling braucht Sicherheit, auch der Erwachsene. Das Bekannte gibt uns Sicherheit und Stabilität, und deshalb ziehen wir es jedem Unbekannten und Neuem vor. Sicherheit entsteht durch das Erklären und Aufdecken von Zusammenhängen und Sinn. Alles, was uns unsinnig erscheint, macht uns unsicher, weil wir es kognitiv nicht einordnen können. Unser Bedürfnis nach Sicherheit führt im schlechtesten Fall dazu, Veränderungen gänzlich zu vermeiden, im besten Fall, Hilfe und Unterstützung bei anderen Personen zu suchen.
Menschen unterscheiden sich stark in der Art und Weise, wie sie Sicherheit erleben und herstellen können. Wir lernen das vor allem in den ersten Lebensmonaten und Jahren. Die Grundlage dazu bietet eine sichere Bindung zu den Bezugspersonen. Je mehr ein Kind von einfühlsamen Eltern unterstützt wird, die adäquat auf seine Gefühle und Bedürfnisse reagieren und eine stabile Beziehung anbieten, umso sicherer wird es sich auch als Erwachsener fühlen.
Das Bedürfnis nach Bindung hat eine biologische Wurzel und äußert sich in einem Bindungsverhalten, dessen emotionales Ziel es ist, Nähe, Schutz, Sicherheit und Geborgenheit zu erleben. Das ist die »sichere Basis«, wie es der britische Kinderpsychiater John Bowlby6 genannt hat, aufgrund der es dem Säugling oder dem Kind möglich ist, die Umwelt zu erforschen. Gelingt das, dann spricht man von einem sicher gebundenen Beziehungsmuster. Ist das Kind in der Beziehung zu seinen Bezugspersonen geschützt, erlebt es sich auch aufgehoben in der Welt. Diese Sicherheit ist die Grundlage, wie der Erwachsene emotional auf Veränderungen regieren wird. Je zuverlässiger die Basis, umso angstfreier wird er sich dem Leben zuwenden können. Er wird durch Rückschläge und Veränderungen nicht in demselben Maße irritiert werden, wie bindungsunsichere Menschen, die keine oder eine brüchige Stabilität im Außen erlebt haben.
Der Bindungsforscher Karl Heinz Brisch7 vergleicht das Bindungsbedürfnis mit einem Rauchmelder: Durch Angst wird es aktiviert, durch Nähe heruntergeregelt. Das bedeutet, dass bindungsängstliche Kinder die Nähe der Bezugspersonen suchen und große Scheu haben, sich von ihnen zu entfernen. Sind Kinder dagegen sicher gebunden, steigt ihr Bedürfnis, die Umgebung zu erkunden und Neues auszuprobieren.
Das Kleinkind verinnerlicht seine frühen Beziehungserfahrungen, die sich im impliziten Gedächtnis, dem limbischen System, physiologisch abbilden. Die Erfahrung von Trost und Schutz im Arm einer sorgenden Person und das Vertrauen, nicht verlassen zu werden, löst körpereigene Opiate aus und bahnt entsprechende neuronale Netze im Gehirn. Diese positiven Reaktionsmuster hemmen die Lebensängste. Im Gegensatz dazu führen negative Bindungserfahrungen zu einem erhöhten Stresspegel und somit zu erhöhter Angstbereitschaft.
Ein sicheres Bindungsverhalten geht einher mit dem Vertrauen, aufgefangen zu werden. Entweder von anderen Menschen oder von einer göttlichen Kraft. Die Theologin Margot Käßmann sagte nach ihrem Rücktritt vom Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) wegen eines Straßenverkehrsdelikts in einem Fernseh-Interview, man könne nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Wie auch immer Menschen Gott definieren, sie spüren einen Boden, der sie trägt und nicht völlig abstürzen lässt. So wie das Kind eine Hand greifen kann, wenn es sich ängstigt.
Eine stabile Bindungsfähigkeit ist zudem die Basis für die Fähigkeit, sich selbst Trost zu spenden und zu beruhigen. Je weniger das jemand kann, umso bedrohlicher werden Veränderungssituationen. Fehlt darüber hinaus eine Person, bei der man Zuflucht finden kann, wird es umso schlimmer. Dann löst jede Veränderung eine massive Unsicherheit und Angst aus, gefolgt von Handlungsunfähigkeit, Panik und Ohnmacht.
Ein gewisses Maß an Sicherheit ist daher eine Bedingung, um Veränderungen zu wagen und zu meistern. Dazu verhilft auch Kontrolle und Planungssicherheit, die verhindern, dass wir uns dem Neuen ausgeliefert fühlen. Wir sind stattdessen Handelnde und Akteure im eigenen Leben und können unsere Fähigkeiten einsetzen. Vor diesem Hintergrund schaffen wir es, Umbrüche und Veränderungen nicht als Kränkung zu erleben und an ihnen zu verzagen, sondern wir arbeiten uns aus dem Schlimmen heraus, wachsen an ihm, managen die Situation, so gut wie möglich, und finden einen Sinn im Ganzen.
Wachstum und Sicherheit
Neben der Suche nach Sicherheit haben wir noch ein zweites Bestreben, das in die entgegengesetzte Richtung geht, nämlich den Wunsch nach Entwicklung und Wachstum, also nach Veränderung. Der amerikanische Psychotherapeut Paul Rebillot8 nennt es den menschlichen Grundkonflikt zwischen der Sehnsucht nach Weiterentwicklung und dem Bedürfnis nach Sicherheit. Sie bilden zwei Pole in unserer Psyche, die beide ihr Recht verlangen. Wir haben auf der einen Seite den Wunsch, im Leben etwas zu erreichen, und das heißt, sich auf den Weg zu machen, Dinge anzupacken und uns zu verändern. Auf der anderen Seite schätzen wir die Bequemlichkeit und die Sicherheit im Vertrauten.
Diese gegensätzlichen Bestrebungen erzeugen einen inneren Spannungszustand, der schwer auszuhalten ist. Deshalb leben wir nur einen Pol und blenden den anderen aus. Entweder entscheiden wir uns für die Veränderung und werden fast wandlungssüchtig, indem wir ständig Neues ausprobieren, an keinem Ort lange bleiben, keine Tätigkeit ausdauernd machen, sondern immer auf dem Sprung ins Unbekannte sind. Oder wir suchen die Sicherheit und lassen uns auf nichts Gewagtes oder Ungewohntes ein. Damit reduzieren wir zwar die Spannung, müssen aber auch auf Vieles verzichten. In der permanenten Suche nach Veränderung verlieren wir den Blick für das Gegenwärtige. Wenn wir aber Wandlungen aus dem Wege gehen und Gewohntes zementieren, bedeutet das Stillstand. Wir verlieren dadurch ein Stück Leben, leiden unter Langeweile, entwickeln eine depressive Stimmung, vergraben uns in unserer Einsamkeit und werden mit der Zeit immer träger oder sogar psychosomatisch krank. Wir leben dann in einem »gemütlichen Elend«. Dieser Zustand ist zwar äußerst unangenehm, aber er fühlt sich sicher an, weil er uns bekannt ist.
Auch wenn wir Polaritäten, also Gegensätze, lieber vermeiden, sind sie für das menschliche Leben und unser Wohlbefinden unerlässlich. Wir erkennen das eine nur durch die Existenz des anderen. Den Schatten gibt es nur durch das Licht, den Tag nur durch die Nacht, die Weiterentwicklung nur durch den Stillstand. Beides zusammen ergibt ein Ganzes. Sogar unser Organismus braucht die beständige Abfolge von Hell und Dunkel, von wach und Schlaf, von hungrig und satt, um gesund und lebendig zu bleiben. Wer also das Eine – die Veränderung und Entwicklung – dauerhaft ausschließt, verdirbt damit immer auch das Andere – die Sicherheit. Beides ist eins, auch wenn wir es nur nacheinander erleben können. Also wird alles, was ist, nur durch seinen Gegensatz möglich. Die Spannung, die aus den Gegensätzen entsteht, ist ein schöpferischer Prozess, sowohl in der Welt als auch in uns. Das mag uns in einer Veränderungssituation trösten und Mut machen, sie anzunehmen. Wir verlassen dann zwar die sogenannte »Komfortzone« und müssen auf Sicherheit verzichten, wir bekommen aber auch eine Chance, Unbekanntes in uns zu entwickeln und zu einer neuen Sicherheit zu finden. Wenn wir diese Herausforderung annehmen und vom Eingefahrenen loslassen, können wir davon sehr profitieren.
Das Gehirn sucht Kohärenz
Die Chance der Wandlung zu ergreifen, ist gar nicht so leicht, weil sogar unser Gehirn Veränderungen vermeidet, da sie viel Energie kosten. Beim Alten zu bleiben, auch wenn das Alte uns nicht weiterbringt, ist energiesparend. Das Gehirn sucht Kohärenz, also Stimmigkeit, wie es der Neurobiologe Gerald Hüther9 nennt, und die wird gestört, sobald wir den Wunsch haben, etwas zu verändern.
In dem Moment, in dem wir beschließen, etwas anders machen zu wollen, entsteht eine große neuronale Erregung im Gehirn, die den Energieverbrauch in die Höhe treibt. Das Gehirn ist aber darauf aus, Energie zu sparen. Allein beim Liegen und ohne nachzudenken verbraucht das Gehirn etwa 20 Prozent der vom Körper bereitgestellten Energie. Wir sparen Energie, indem wir die alten Muster aktivieren, die wie Autobahnen in unserem Gehirn gebahnt sind. Wir machen so weiter wie bisher, was sich im Gehirn und auch emotional erst mal stimmig anfühlt.
Um also eine Veränderung in Gang zu setzen, müssen wir Gerald Hüther10 zufolge eine Zeit der Inkohärenz aushalten. Also der Unstimmigkeit. Das gelingt uns meist nur dann, wenn wir ein bedeutungsvolles Ziel vor Augen haben, das wir leidenschaftlich anstreben. Wir müssen das Neue wirklich wollen, es muss uns berühren und nicht nur eine verbale Absicht sein. Die setzt sich nicht durch, eine Vision dagegen schon. Wenn unser Wunsch stark genug ist, sind wir auch bereit, Widerstände zu überwinden und trotz Hindernissen dranzubleiben. Sei es, dass wir die Mühen eines Studiums auf uns nehmen, um uns den erträumten Job zu ermöglichen, oder wir lange Zeit Geld sparen, um die ersehnte Weltreise zu unternehmen, oder wir ein soziales Projekt aufbauen, das unsere ganze Kraft fordert, weil wir anderen helfen wollen. Wenn es uns gelingt, diese Ziele zu verfolgen, stellt sich am Ende wieder Kohärenz ein. Wir sind zufrieden, fühlen uns stimmig mit dem, was wir möchten und tun, und die neuronale Erregung geht wieder zurück.
Wie aber schaffen wir es, dass uns unser Ziel so wichtig wird, dass wir unser Gehirn dazu bringen, Energie aufzuwenden? Das geschieht entweder dann, wenn wir einem Herzenswunsch folgen oder wenn wir das, was wir leben, nicht mehr aushalten. Wir leiden unter einer Beziehung, unter dem Alleinsein, unter unserer Arbeit oder der Arbeitslosigkeit und machen uns auf den Weg, uns zu trennen, oder suchen einen neuen Job oder eine Beschäftigung, die uns Sinn stiftet. Sinn ist überhaupt ein wesentlicher Faktor, der dem menschlichen Handeln Richtung und Kraft verleiht. Er ist auch energiesparend, weil wir auf alles Unsinnige verzichten.
Inkohärenz entsteht in Beziehungen, in denen wir schlecht behandelt werden oder nicht das bekommen, was wir uns wünschen und brauchen: ein Partner, der uns nicht wertschätzt, eine Freundin, die uns in der Not alleinlässt, ein Bruder, der uns neidisch begegnet und unseren Erfolg entwertet. All diese Beispiele untergraben unseren Selbstwert, und wir stehen vor der Frage, ob wir diese Beziehungen beenden, was aber Inkohärenz im Gehirn auslöst. Stimmigkeit werden wir erst dann erleben, wenn wir uns mit Menschen umgeben, mit denen wir unsere Wünsche von gegenseitiger Wertschätzung besser leben können.
Handeln wir gemäß unserer Werte, entsteht im Gehirn ein kohärenter Zustand, die Erregung nimmt ab, und es reagieren die Belohnungszentren, indem sie körpereigene Opiate ausschütten. Das sind körpereigene Botenstoffe, die die Nervenzellen dazu bringen, neuronale Verschaltungen herzustellen und auf diese Weise das neue Verhaltensmuster fester im Hirn zu verankern. Das stärkt auf Dauer das innere Bild von sich selbst als einer Person, die weiß, was sie will, und eine Vorstellung davon hat, wer sie sein möchte.
Wenn uns Neues kränkt
Unsere erste Reaktion auf ungewollte und negativ erlebte Veränderungen ist meist eine Kränkung. Sie ist wie ein Schlag ins Gesicht, der uns trifft und sehr schmerzt. Eine Kränkung ist eine Reaktion auf Ereignisse, durch die wir seelisch verletzt werden. Wir fühlen uns durch das Ereignis persönlich getroffen, ungerecht behandelt oder sogar gedemütigt. Wir sind zutiefst verunsichert und im schlimmsten Fall verbittert.
Das Charakteristikum von Kränkungen ist ein Angriff auf unseren Selbstwert. Kränkung und Selbstwert sind zwei Seiten einer Medaille. So wie Lob unser Selbstwertgefühl stärkt, so wird es durch Kränkungen geschwächt. Wir fühlen uns minderwertig und nichtig und in unserer Würde als Person verletzt. Menschen, die ein schwaches Selbstwertgefühl besitzen, sind daher noch schneller kränkbar als selbstbewusste, weil sie auf die Anerkennung von außen angewiesen sind, um sich wertvoll zu fühlen. Allein das Ausbleiben einer Bestätigung ist für sie daher schon eine Kränkung.
Besonders Lebensumbrüche und Veränderungen, die uns von außen aufgezwungen werden, erleben wir als einen Angriff auf unsere Person und unser Leben. »Warum muss gerade mir das passieren?« Wir fühlen uns um unser Glück und unseren Frieden betrogen und können nichts dagegen ausrichten. Wir sind ohnmächtig und wütend und fühlen uns sogar bedroht, denn die Einschnitte verändern unser bisheriges Lebenskonzept. Im Fall einer schweren Krankheit wird es sogar auf den Kopf gestellt. Sie ist ein schmerzlicher Einbruch in unser beschauliches Leben, wir fühlen uns benachteiligt, entwertet und vom Schicksal schlecht behandelt. Die Folge sind Wut und eine tiefe Verzweiflung, weil das Gewohnte zu Ende geht und wir Schlimmes ertragen müssen.