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Wenn wir nicht zusammen leben können, sterben wir alleine. Ein Flugzeug stürzt auf einer Insel ab, die mehr Geschichte hat, als Vernünftige verstehen, und mehr Wissenschaft und Technik, als Mystiker glauben möchten. Immer tiefer in Vergangenheit, Zukunft und seitwärts von beiden weg führt die Suche nach dem Fluchtweg ein ausuferndes Figuren-Ensemble, bis die hyperdichte Allegorie auf alles Mögliche anfängt, ihre Voraussetzungen zu verschlingen. Sechs Staffeln »Lost« und die böseste aller Menschheitsfragen: Was geht hier eigentlich vor?
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Seitenzahl: 64
booklet herausgegeben von Simon Rothöhler
diaphanes
Ins Spiel zerrt uns ein Held mit Schrammen.
Alte und neue Makel und Schwächen entstellen ihn innen und außen.
Die Welt entspringt seinem Auge, sie ist dschungelgrün gegen mitternachtsblau schraffiert. Einige ihrer Lichtnähte sind schon geplatzt, das nennen wir Dschungel. Ein Hund grüßt aus dem Dickicht. Der Held richtet sich unter Mühen auf. Das Hemd hängt aus der Hose, die Krawatte sitzt locker, ungepflegte Stoppeln am Kinn und auf dem Kopf verraten, dass dieser Mann unruhige Tage hinter sich hat, die noch unruhiger werden wollen.
Er rennt los. Ein Schuh hängt im Gestrüpp (den sehen wir in sechs Jahren wieder, bitte nicht vergessen). Die Kamera müht sich, dem Gehetzten zu folgen. Sie schreibt ihm damit einen Status als Halt versprechende Größe zu. Er ist allerdings schneller und hängt sie mehrmals ab. Das nennen wir Panik. Urwald wischt an ihm vorüber, frenetische Musik treibt ihn vor sich her. Stehenbleiben.
Meerblick, offene Abstraktion: Nein, tut mir leid, zu groß. Weg damit.
Das nächste Szenenbündel weist dem Mann einen neuen Ort zu. Spiel begegnet Widerspiel, Geschichte beginnt.
Da sind andere, die drehen sich um ihn, das heißt, er stürzt horizontal zwischen ihnen aus sich heraus in ihre Probleme, nein, falsch herum, wie jetzt, wer wen?
Es geht hier, erfährt man unter Lärm, Explosionen und Versuchen des Helden, sich im konfusen Schrecken einer Flugzeugabsturzstelle zu orientieren, um ihn nur so weit, wie er uns helfen kann, herauszufinden, was wir sehen sollen. Ein Ensemble nämlich, das wir kennenlernen, indem jener, ein ausgebildeter Arzt von unbändigem Rettertemperament, sich im irritierten Gesichtskreis an ihm entlangarbeitet: Wer braucht Erste Hilfe?
Wer kann dabei nützlich sein? Wer irrt planlos herum, wer steht auf Wrackteilen und schreit?
Wer sind diese Leute?
Aus der disparaten Menschenmenge werden bald weitere Heldinnen und Helden angeboten.
Nie allerdings verliert man den Mann vom Anfang ganz aus dem Blick.
Man wird ihn, wenn man will, über Jahre begleiten, sowohl in erzählter Zeit wie in Erzählzeit, und aus einem besonderen Grund, den man nicht zu schnell erraten darf, um nicht zu viel zu verstehen und zu wenig zu sehen, bleibt er, der bereits als Beschädigter auftritt und im Laufe des Erzählten deutlich weiter herunterkommt, der interessanteste Fall einer seltsam zurückhaltend realisierten Art subjektgebundener Wagner’scher Leitmotivik, die diese Show durchpulst: Wiedersehen macht Ahnung; Wiederholungen befestigen Urteile über Charaktere, die gleichwohl nie zu Stereotypen sedimentieren dürfen. Gute? Böse?
Alles andere darf sich gegen Figuren und Figurationen wie gegen unverrückbare Geodätische verschieben. Ihre Wege aber sind zusammen das, was die Welt ausmacht. Manchmal freilich überwuchert etwas diese Wege, wir ahnen sie dann nur noch. Ihr Wegmaß ist, wenn am Ende alles geklappt hat, was leisten will, mit unserer Aufmerksamkeitsleistung zur nachtwandlerisch sicheren Deckung gebracht: Wir sollen glauben, dass diese Leute einander wichtig sind, und eben das soll sie auch uns wichtig werden lassen, wobei das konkrete Einzelschicksal sich in einem Zusammenhang auflösen darf, der keiner und keinem Einzelnen ganz gehört, von niemandem allein erzähl- oder erklärbar ist.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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