Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Jana und Mia. Ein ganz normales Mutter- und Tochtergespann. Wirklich? In Janas Augen auf jeden Fall, hat sie doch so viele kluge und gute Ratschläge auf Lager, die sie munter und unaufgefordert wie buntes Konfetti verteilt. Sie besitzt ja auch so viel mehr an Lebenserfahrung und meint es schließlich immer nur gut. Mia, ihre Tochter, duldet dieses Verhalten jedoch meistens eher zähneknirschend, als dankend. Zumindest so lange, bis ein weiterer gutgemeinter Rat das Fass endgültig zum Überlaufen bringt und ihr der Kragen platzt. Wütend nistet Mia sich bei ihrem Vater ein und quartiert ihre Mutter Jana bei Fast-Schwiegersohn Vincent und Enkelin Ronja ein. Ein Rollentausch, der vor allem Mutter Jana, die lange ignorierten Grenzen aufzeigen soll. Doch obwohl der ungewöhnliche Tausch einige skurrile und zuweilen auch höchst amüsanten Formen annimmt, kommt es letztendlich doch anderes als von Mia geplant.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 545
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ein heiterer Roman über die chaotische Normalität in einer normal chaotischen Familie.
Mütter! Ein liebevolles Warnsystem auf zwei Beinen. Ist es da, möchte man am liebsten den Stecker ziehen, ist es weg, wünscht man sich, es wäre noch da.
Vorwort
Jana und Olaf Herrmann aus Freisen
Mia und Ronja Herrmann + Vincent Stamm aus St. Wendel
Cedrik, Jule und Aaron Herrmann aus Saarbrücken
Ein Job
Der unverhoffte Brief
Das Zusammenwürfeln
1. Augustwoche
2. Augustwoche
3. Augustwoche
Vierte Augustwoche
Jana-Mama, Mia-Oma
Epilog
Mutter und Tochter! Eine Konstellation die alle Möglichkeiten offen lässt. Doch ganz egal wie diese beiden Weibchen zueinanderstehen, es ist wie eine Super-Nova. Mal könnten sie sich gegenseitig in Stücke reißen, im nächsten Moment sind sie wieder ein Herz und eine Seele. Auf jeden Fall ist diese Beziehung emotional sehr anstrengend. Da wird mir bestimmt die ein oder andere Mutter beipflichten. Komisch, dass es bei Söhnen nicht so nervenaufreibend ist. Denken wir Mütter zumindest.
Zwar lassen sich die jungen Herren der Schöpfung gerne mit gutgemeinten und klugen Ratschlägen durchfüttern (manchmal beherzigen sie die auch), doch ansonsten geben sie einer Mutter das wohltuende Gefühl, ein äußerst pflegeleichtes Produkt in die Welt gesetzt zu haben. Jetzt kommt der laute Aufschrei aus der hintersten Bank…ja, ja, ich weiß. Auch die Jungs sind nicht ohne, doch ich sagte, sie geben uns das (trügerische) Gefühl…das heißt nicht, dass sie nicht doch weniger anstrengend sind. Wir empfinden dies nur so. Doch mit Töchtern ist es eine ganz andere Sache. Ich weiß nicht, warum Mütter immerzu (latent) an ihnen herumerziehen müssen, egal wie alt der weibliche Ableger ist. Ich weiß auch nicht warum man ein ‚NEIN‘ von ihnen, grundsätzlich als persönlichen Affront empfindet.
Wenn Söhne sagen ‚Ich will das aber nicht so machen‘, dann zucken Mütter oft nur mit der Schulter und geben dem jungen Mann die Gelegenheit, aus seinen, zuweilen recht dummen Fehlern zu lernen (natürlich halten wir klammheimlich im Hintergrund das Erste-Hilfe-Sprungtuch bereit). Wenn Töchter aber sagen ‚Ich will das aber nicht so machen‘, dann schnauben wir wie ein wilder Stier und würden der betreffenden jungen Dame am liebsten den Kopf abbeißen. Mensch, Mädel, du musst doch nicht dieselben ollen Fehltritte machen, wie ich! Oder?
Ich meine es doch nur gut mit dir! Und da haben wir es. Mütter meinen es immer nur gut. Wenn sie selbst frieren, muss der Nachwuchs sich warm anziehen. Sie meinen es schließlich doch nur gut! Wenn Mütter Hunger haben, müssen die Sprösslinge zu Tisch. Kind, du musst doch wachsen. Ich meine es doch nur gut! Iss doch das Gemüse. Es ist doch so gesund. Kind, ich meine es doch nur gut! Wie, du hast keine Lust heute ins Fußball-Training zu gehen? Das fördert doch den sozialen Kontakt und DU wolltest in den Verein. Jetzt gehst du auch. Kind, ich meine es doch nur gut! Dein Zimmer muss aufgeräumt werden. Keine Widerrede. Wenn du mal deine eigene Wohnung hast, bist du froh, wenn du weißt, wie man seine Bleibe in Schuss hält. Kind, ich meine es doch nur gut! Natürlich gehst du heute mit Hosen kaufen. Meinst du, ich lass dich wie einen Penner rumlaufen? Kind, ich meine es doch nur gut!
DAS IST ES! Egal was Mütter tun, sie meinen es grundsätzlich immer nur gut.
Dabei ist dies wahrlich kein Einzelfall. Diese Exemplare sind auf der ganzen Welt verstreut. Ich habe mir nun ein besonders hübsches Exemplar der Gattung Mutter herausgezupft, wohnhaft in dem kleinen beschaulichen Saarland, genauer gesagt in einem kleinen Dorf namens Freisen. Schauen wir nun, was diese Mutti mit ihrem ‚ich-meine-es-doch-nur-gut‘ so anrichten kann…
Doch beginnen wir zuallererst mit der Vorstellung dieser absolut normalen Familie…
Eine herbe März-Böe riss Jana fast die Autotür aus der Hand, als sie aus dem Auto stieg. Ächzend schob sie sich raus und drückte mit Mühe die Fahrertür zu. Dann stampfte sie mit eingezogenem Kopf zum Kofferraum, stemmte den Decke hoch und beugte sich in dessen Tiefen hinab, um ihre Einkäufe zu Tage zu befördern.
Vollgepackt, mit dem überquellenden Einkaufskorb in der einen Hand, einer Packung Klopapier in der anderen und der Tageszeitung zwischen den Zähnen, glotzte Jana die verschlossene Haustür an und grumpfte genervt. Wie sollte sie denn so aufsperren?
Umständlich schob sie sich an die Klingel heran und versuchte den Ellbogen auf den Knopf zu drücken, was ihr erst beim dritten Anlauf gelang, auf Kosten des Namensschildchens, das nun unbemerkt am besagten Ellbogen klebte. Im Innern der Wohnung hörte sie dumpfe (Socken-) Schritte, die ihr gemächlich mitteilten:
Ja, mein Schatz, ich habe die Klingel gehört und ja mein Schatz, ich komme ja schon!
Jana grumpfte erneut, soweit die Zeitungsrolle in ihrem Mund dies zuließ. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und sie musste den Kopf etwas in den Nacken legen, um ihrem angetrauten Gatten ins Gesicht schauen zu können. Olaf (der Gatte) grinste, als er seine Frau sah, vor allem, weil sie so vollbeladen, ganz schön bescheuert aussah. Doch das würde er ihr natürlich nie auf die Nase binden!
Hilfsbereit zupfte er Jana sofort den vollen Einkaufskorb aus der Hand, die fast schon an den Kniekehlen baumelte. Sofort nahm sich Jana die Zeitung aus dem Mund, seufzte erleichtert und moserte vorwurfsvoll, „Wie lange wolltest du mich denn hier draußen stehen lassen? Ich kugle mir ja die Arme aus. Im Auto steht noch der große Einkaufskorb!“
Olafs Grinsen verbreiterte sich, „Wie? Den hast du nicht mehr gepackt? Du wirst alt, Schatz!“ Ein vernichtender Blick traf Olaf, der mit seinen 1 Meter 95 seine Frau fast um zwei Köpfe überragte. Jana zwängte sich an ihrem Mann vorbei in die Wohnung und keuchte übertrieben, „Das nächste Mal gehst du aber einkaufen! Das kann ich dir sagen! Sich nach einem halben Tag kassieren selbst noch in eine Schlange im Supermarkt anstellen, mit den ganzen Rentnern, die UNBEDINGT auch in dieser Zeit einkaufen müssen…nee, da habe ich echt keinen Bock mehr drauf! Bin froh, wenn ich nächste Woche Frühschicht habe!“ Allerdings bekam Olaf jedoch diese Ankündigung nebst Beschwerde nicht mehr mit, denn er hievte gerade den großen Einkaufskorb aus Janas weißem Golf heraus. Das Ding wog bestimmt eine Tonne und Olaf fragte sich entsetzt, was seine Frau denn so alles eingekauft hatte. Backsteine? Mit einem gepressten Ächzen hob der die übervolle Kiste aus dem Kofferraum und lobte im Stillen seinen eigenen großen Kofferraum, wo er sich nicht kleinbuckeln musste um etwas hinauszuheben.
Einhändig haute er den Deckel zu und hörte seine Frau im Hintergrund herum knottern. Ein leises Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
Sie war ja so putzig, wenn sie empört in sich hineinschnaubte. Doch er wollte ihre Laune nicht überstrapazieren, deswegen ging er schnell hinein und trat mit dem Fuß die Haustür hinter sich zu. Seine Schritte folgten der grummelnden Stimme, die aus der Küche kam, wo Jana, noch im Anorak, am Kaffeeautomat stand und demonstrativ den leeren Wassertank hochhielt.
Ohne einen Kommentar, aber mit einem scheelen Seitenblick trat sie zur Spüle und ließ den Tank bis oben hin volllaufen. Währenddessen schaute Olaf sich um und suchte einen Platz um seinen wirklich schweren Ballast endlich abstellen zu können. Jana bemerkte seine hilflosen Blicke und verdrehte leicht die Augen, „Stell ihn einfach auf den Boden. Ich räume ihn gleich aus!“
Mit einem Fingerdruck zapfte sie sich eine Tasse Kaffee und blickte auffordernd zu ihrem Mann, der noch immer im Türrahmen stand und den vollen Korb an seine Brust drückte.
Endlich ließ er ihn ab, „ICH kann doch die Sachen wegräumen!“
Sofort winkte Jana ab, „Lass mal. Das letzte Mal war der hintere Jogurt im Kühlschrank abgelaufen. Ich muss sowieso den Speiseplan für die nächsten zwei Tage durchgehen. Nicht das ich noch was vergessen habe!“
Olaf linste leicht geschockt auf die Einkäufe. Was vergessen? Der halbe Laden stand in ihrer Küche. Was soll sie denn da noch vergessen haben?
Er räusperte sich umständlich, „Steht was an?“
Jana glotzte dümmlich, „Warum?
„Für wen hast du das ganze Zeug denn gekauft?“ Er griff blindlings in den Korb und hielt eine Packung Milchschnitte nach oben und gleich darauf zwei Tüten Lakritz-Schnecken. Jana nippte an ihrem Kaffee und zuckte gleichgültig mit den Schultern, „Die Kleine kommt!“
Offensichtlich musste dieser hingeworfene Satz als Erklärung reichen.
Olaf legte die Süßigkeiten wieder zurück, „Dafür musst du doch nicht die Schränke mit allem Möglichen vollstopfen!“
Doch insgeheim freute er sich über den Besuch.
Die Kleine! Nun ja, so klein war sie nicht mehr. Bei der ‚Kleinen‘ handelte es sich hier um die Enkelin Ronja. Die war acht Jahre alt und mit knapp 1,40m ziemlich groß für ihr Alter. Doch Jana, seine Frau, sagte immer ‚die Kleine‘.
Nun musste Olaf doch grinsen, „Wenn du sie mit dem ganzen Zeug vollstopfst, dann kannst du sie bald ‚das Pummelchen‘ nennen!“
Den empörten Aufschrei seiner Frau ließ er flugs hinter sich. Schnell verkrümelte er sich wieder ins Wohnzimmer und vertiefte sich schmunzelnd im Wochenblatt, das noch immer die angesabberten Zahnabdrücke seiner Frau zierte.
Jana hingegen, warf dem leeren Türrahmen noch einen erbosten Blick zu und vertiefte sich anschließend in ihren Küchenschränken, die eh schon aus allen Nähten platzten. Doch Milchschnitte, Lakritz-Schnecken und Co. fanden bestimmt irgendwo noch eine freie Lücke. Sie schnaubte.
Man stelle sich mal vor, Ronja würde gerne ein paar Kesselchips haben wollen und es wären keine da? Das käme doch eine mittlere Katastrophe gleich!
Für Jana auf jeden Fall!
Nachdem sie alles verstaut hatte, strippte sie sich auch endlich mal aus ihrem Anorak, in dem es ihr mittlerweile zu warm geworden war. In diesem Moment segelte das Namensschild zu Boden. Jana hob es verblüfft auf. Nanu?
Wo kam das denn her?
Dann fiel ihr ein, dass Olaf, ihr letzte Woche mitgeteilt hatte, dass das Klingelschild sich langsam aber sicher ablöste. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass er bereits ein neues Schild angebracht hatte. Nun, hatte er wohl nicht. Seufzend legte sie das verblasste Namensschild auf den Küchentisch. Der Mann hatte aber auch die Ruhe weg!
Dabei hatte er doch alle Zeit der Welt, denn als ehemaliger Bergmann war er schon seit über zehn Jahren in Rente…eigentlich, seit das Bergwerk geschlossen war.
Da sollte doch wohl Zeit da sein, so ein dämliches Klingelschild mal auszuwechseln. Schnell wischte sie noch ein paar nicht vorhandene Krümel von der Anrichte, setzte noch schnell ‚staubsaugen‘ auf die gedankliche To-Do-Liste und schnappte sich die leere Plastikkiste und den leeren Einkaufskorb. Das Toilettenpapier klemmte sie sich einfach unter den Arm. So düste sie durch das Wohnzimmer in den Flur und schnappte sich im Vorbeigehen auch gerade noch die beiden leeren Sprudelflaschen, die vor dem Wohnzimmertisch standen.
Olafs Blick folgte ihr unauffällig. Das hätte er gleich selbst getan, aber seine Jana hatte ja Hummeln im Hintern. Er zuckte die Schultern und vertiefte sich wieder in einen äußerst aufschlussreichen Artikel über Einlegesohlen. Stimmt. Die wollte er sich ja auch mal besorgen! Seine Füße brachten ihn bald um!
Jana, die keine Ahnung von dem tiefschürfenden Gedankengut ihres Göttergatten hatte, verschwand in der Waschküche und kontrollierte die Waschmaschine. Das wichtigste Utensil in ihrem Heim. Ohne Waschmaschine lief garnix! Jana wusch für ihr Leben gern. Sie wusch wirklich alles, was nicht niet- und nagelfest war und was in die Trommel passte. Frische Wäsche war gut!
Bei dem Gedanken an frische Wäsche fiel ihr ein, dass sie auch noch das Bett abziehen musste. Schließlich kam Ronja morgen und Ronja schlief bei ihr immer in frischer Bettwäsche. Der Gedanke, dass es Ronja ziemlich egal sein könnte, ob die Bettwäsche frisch aufgezogen war oder nicht, kam Jana erst gar nicht. Also stürmte sie ins Schlafzimmer und zerrte die Bezüge von den Decken und Kissen (obwohl sie das erst vor fünf Tagen gemacht hatte).
Vollbeladen stampfte sie zurück in die Waschküche und passierte dabei das Wohnzimmer, in dem ihr Mann noch immer lesend auf der Couch saß, was sie in diesem Moment aber nicht interessierte. Schnell fütterte sie die Maschine und stellte sie an.
Eine Stunde und achtzehn Minuten, zeigte das ausgewählte Programm an. Jana überschlug kurz ihre Arbeitsliste. Das würde reichen zum Staubwischen, staubsaugen, Blumen gießen und bügeln. Nein, bügeln schaffte sie in diesem knappen Zeitfenster ganz sicher nicht.
Das Badezimmer und das Gästeklo mussten auch noch geputzt werden und der Boden wischte sich ebenfalls nicht von alleine auf. Jana seufzte leise und schaute auf ihre Armbanduhr. Es war 18:22 Uhr. Oje, das Abendessen musste auch noch gemacht werden.
In diesem Moment räusperte sich jemand hinter ihr und sie wirbelte erschrocken herum.
Es war Olaf und ganz offensichtlich hatte er etwas auf dem Herzen.
„Sollen wir beide heute Abend nicht mal Essen gehen?
Wir waren schon lange nicht mehr zum Essen aus.“ Jana stierte ihren Mann an, als ob ihm gerade ein Horn aus der Stirn gewachsen wäre, „Essen? Wann jetzt? Dann müsste ich noch duschen gehen und ich muss auch noch frisches Bettzeug auftun. Echt? Du willst wirklich noch weg, heute Abend?“ Skeptisch schnellte ihre rechte Augenbraue nach oben. Ein Blick, den Olaf schon zur Genüge kannte.
Dieser Blick hieß: Och man…ich habe so gar keine Lust…der ganze Aufwand und dann ist das Essen fade und die Klobrille im Restaurant eiskalt…überlege es dir doch nochmal, Schatz! Olaf seufzte ergeben, „War ja nur ein Vorschlag. Wir können auch zuhause bleiben, wenn dir das lieber ist!“
Mit hängenden Schultern trollte er sich wieder ins Wohnzimmer und schlug enttäuscht die Zeitung wieder auf. Jana hingegen schnaufte erleichtert.
Das hätte ihr gerade noch gefehlt. Essen gehen. Wo sie doch noch so viel zu tun hatte.
Sie konnten ein anderes Mal gehen…, wenn sie mehr Luft hatte! Aber doch nicht heute.
Es rauschte, als die fleißige Haushaltshilfe sich Wasser zog und Jana damit aus ihren Gedanken riss. Zufrieden klopfte sie auf den Deckel der Maschine, „Dann wasch mal schön!“ Ihr Weg führte zurück ins Schlafzimmer, wo sie in Windeseile frisches Bettzeug aufzog, dass sie anschließend liebevoll glattstrich.
In diesem Moment grummelte ihr Magen. Vielleicht sollte sie ZUERST das Abendbrot machen und dann erst staubsaugen? Ihr Magen grumpfte noch einmal, als ob er diesem Gedanken beipflichten wollte.
Jana grinste und trottete zurück in die Küche. Dabei durchquerte sie wieder das Wohnzimmer, wo Olaf sich wieder hinter seiner Zeitung verschanzt hatte. Schmollte er etwa? Ihr Blick streifte ihren Mann und ein leises Bedauern schlich sich in ihre Miene, als sie an seinen abgeschmetterten Vorschlag dachte.
Irgendwie hatte er ja recht. Sie unternahmen kaum noch etwas gemeinsam…als Paar.
Immer kam irgendwas dazwischen, woran sie nicht ganz unschuldig war. Da waren die Kinder, Mia und Cedrik, die zwar beide schon erwachsen waren, sie aber mittlerweile mit süßen Enkelkindern versorgt hatten.
Ronja und Aaron. Den kleinen Aaron sahen sie nicht so oft, da ihr Sohn, mitsamt Familie in Saarbrücken wohnte. Ronja dagegen flatterte regelmäßig ein über das andere Wochenende hier herein und stellte ihr Leben, wie auch ihre Wohnung auf den Kopf. Ronja wohnte zusammen mit ihren unverheirateten Eltern Mia und Vincent in St. Wendel. Also nur einen Katzensprung von Freisen, wo sie selbst wohnten. Es gab kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendetwas auf dem Programm stand, auch wenn es zuweilen sehr erschöpfend und anstrengend war. Aber Jana lud sich die Arbeiten alle freiwillig auf und reduzierte somit ihre eigene Freizeit auf ein Minimum, worunter Olaf dann sehr oft zu leiden hatte. Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn sie die Staubflusen mal ignorierte, oder mal nicht kochte und die Schmutzwäsche einfach mal Schmutzwäsche sein ließ? Nachdenklich zog sie die Küchentür hinter sich zu und blieb einen Moment stehen um diese Frage auf sich wirken zu lassen. Dabei streifte ihr Blick ziellos durch die Küche, über den kalten Herd, den glänzenden Kühlschrank, den aufgeräumte Tisch und die blanke Arbeitsfläche. Mit einem Ruck drehte sie sich entschlossen um, riss die Tür wieder auf und blökte in Richtung Couch, „Chinesisch!
Darauf hätte ich mal wieder so richtig Lust. Da waren wir schon ewig nicht mehr.“
Die Zeitung sank ein Stück nach unten und entblößten ein paar leicht verwirrt dreinblickende Augen. Jana lächelte leicht unsicher, als sie im Stechschritt das Wohnzimmer erneut durchquerte, „Gib mir zwei Minuten!“
Olaf glotzte seiner Frau verdutzt nach, noch immer die aufgeschlagene Zeitung in der Hand. Nanu? Was war denn jetzt los? Gingen sie nun doch zum Essen aus? Was hatte seine Frau zu diesem Sinneswandel bewogen?
Dann schalt er sich selbst, faltetet eilig die unhandliche Zeitung zusammen und erhob sich rasch, als ob er Angst hätte, seine Frau würde es sich vielleicht doch noch einmal anders überlegen. Als er das Schlafzimmer betrat, strippte sich Jana gerade aus dem Strickpulli heraus und gab Olaf so die Gelegenheit einen Blick auf den üppigen Busen seiner Frau zu werfen, was ihm unbewusst ein Grinsen ins Gesicht zauberte.
Es war ein hübscher Busen, dem man die 50 Jahre seiner Besitzerin absolut nicht ansah. Olaf mochte den Busen seiner Frau sehr und er sah ihn, seiner Meinung nach, viel zu selten. War das etwa ein neuer BH? Vertieft in seiner Betrachtung, bemerkte er nicht, dass Janas Kopf wiederaufgetaucht war und dass sie ihm nun einen amüsierten Blick zuwarf.
Natürlich wusste sie, was ihr Mann sich gerade betrachtete.
Sie gönnte ihm diesen Ausblick noch zwei Sekunden, ehe sie sich umwand und nach einem Glitzershirt griff, dass sie bereits auf dem Bett parat gelegt hatte, „Wenn du fertig mit Stieren bist, könntest du dich vielleicht auch mal umziehen!“
Olaf zuckte zusammen, „Ähm…ja klar. Ich muss nur noch…!“
Leicht verwirrt schaute er sich um.
Was wollte er noch gerade tun? Ach ja, eine andere Hose anziehen.
Während Jana in sich hineingrinste und im Badezimmer verschwand, um ihr Makeup etwas aufzufrischen, schlüpfte Olaf äußerst vergnügt in eine frische Jeans und beschloss, zur Feier des Tages ein weißes Hemd anzuziehen. Er würde jetzt mit seiner wunderschönen Frau, mit der er seit fast 25 Jahren verheiratet war, Essen gehen.
War dies nicht ein wundervoller Donnerstagabend?
Zur selben Zeit herrschte in der heimischen Herrmann/Stamm-Küche absolutes Chaos. Aber…der Käsekuchen, mit seiner mittlerweile herrlichen goldglänzenden Oberfläche verströmte appetitanregenden Duft, der sich langsam in der ganzen Vier-Raum-Wohnung verteilte, auch in Ronjas Zimmer, deren Tür nur leicht angelehnt war. Schnüffelnd hielt sie in ihrem Puzzle-Spiel inne, hob sie den Kopf an und leckte sich gleich darauf voller Vorfreude die Lippen.
Hmmm…Käsekuchen…lecker!
Aber das Beste war, wenn Mama Käsekuchen backen konnte, dann hatte sie auch Zeit!
Grinsend sprang Ronja auf und lief, geleitet durch den Duft, in die Küche. Dort werkelte Mia, ihre Mutter, herum. Gerade schimpfte sie mit der Spülmaschine, die offensichtlich nicht DAS tun wollte, was Mia von ihr verlangte, „Nun mach schon, du blödes Ding!“
Ärgerlich drückte sie auf die kleinen Knöpfchen, doch die Maschine schwieg bockig. Ronja blieb unsicher im Türrahmen stehen und betrachtete sich den Wust aus schmutzigen Schüsseln und die ganzen verstreuten Backutensilien. Es sah aus, wie auf einem Schlachtfeld.
Dann schaute sie zu ihrer Mutter, die mit gerunzelter Stirn noch immer auf der streikenden Maschine herumklopfte und sie beschloss doch lieber den Rückzug anzutreten.
Dies war ganz offensichtlich kein guter Zeitpunkt um ihre Mutter zu fragen, ob sie sie zu Carola, ihrer besten Freundin fahren konnte. Als sie bereits wieder im Flur war, hörte sie ihre Mutter lautstark im Hintergrund, „Himmel noch mal…kann denn in diesem Haushalt nicht mal etwas sooo funktionieren, wie ICH es will?“ Leicht bedrückt betrat Ronja ihr Zimmer und schob mit dem Rücken sachte die Tür hinter sich zu. Schon wieder ein Mittag voller Langeweile und ohne Freundin. Schade! Frustriert schnaufend blickte sie auf das Puzzle am Boden hinunter.
Doch die Lust, dort weiterzumachen, war ihr vergangen. Ohne den einzelnen Teilchen noch einen Blick zu schenken, ging sie zu dem Sideboard, wo ihre Musikanlage stand und schob sich eine Hörspiel-CD rein.
Während die Anfangsmelodie von Monster-High anfing zu dudeln, ließ sich Ronja rücklings auf ihr Bett fallen, schob die Hände hinter den Kopf und starrte hinauf zur Zimmerdecke. Sie hasste es, sich zu langweilen. Wenn sie sich doch wenigsten mit einer Freundin zusammen langweilen könnte? Das würde bestimmt viel mehr Spaß machen. Sie durfte noch nicht einmal alleine in den Stadtpark, der ganz in der Nähe lag. Wenn Ronja aus ihrem Fenster schaute, konnte sie die verlockenden Wipfel der Bäume erkennen, die den wirklich tollen Spielplatz umrahmten und an denen zwischen zwei Bäumen eine wirklich affengeile Seilbahn angebracht war.
Allerdings belagerten nach der Schule oft halbstarke Teenies den Spielplatz, die dann dort klammheimlich Alkohol aus Dosen tranken, rauchten und flanierende Passanten lautstark anpöbelten.
DAS war der Grund, warum Mia ihrer Tochter auch nicht erlaubte, alleine dorthin zu gehen. Ronja fand das sehr gemein. Weniger von ihrer Mutter, sondern eher von den Großen. Ein Spielplatz war schließlich zum Spielen da und nur für Kinder gedacht. Die Großen waren daran schuld, dass SIE sich nicht mit ihren Freundinnen dort treffen konnte. Langsam drehte sie den Kopf zu Seite und betrachtete sich die Bücher auf dem Regal über ihr.
Vielleicht ein bisschen Lesen? Bäh, nee! Lesen war blöd!
Dann fiel ihr Blick auf einen kleinen, prallgefüllten Ordner und ein leises Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht.
Dieser handliche Ordner war etwas ganz Besonderes. Es war ein Buch, dass ihre Oma für sie angefertigt hatte.
Ein Buch mit Geschichten über SIE, Ronja, und eine kleine Fantasie-Freundin, namens Funny. Ronja seufzte, rappelte sich auf und griff nach diesem Ordner. Während sie langsam darin blätterte und sich die selbstgemalten Bilder zu diesen Geschichten betrachtete, wünschte sie sich, dass es diese Funny Fantasie WIRKLICH geben würde. Dann hätte sie IMMER eine kleine, handgroße Freundin hier, mit der sie spielen könnte. Doch Funny war nur eine erfundene Buchgestalt. Eine fiktive Figur, die ihre Oma geschaffen hatte, um Ronja zu Lese-Übungen zu animieren. Plötzlich fingen Ronjas Augen an zu leuchten.
Omi! Stimmt! Morgen war ja wieder Großeltern-Zeit.
Oma Jana war cool, fand Ronja. Auch in der Nähe ihrer Oma befand sich ein Spielplatz. Der war zwar nicht ganz so toll, wie der im Stadtpark, aber dort durfte sie hin.
Okay…ihre Oma war immer dabei. Doch die setzte sich dann etwas abseits, um nicht aufzufallen, sonnte sich mit geschlossenen Augen oder schmökerte in einem mitgebrachten Buch, während Ronja sich mit den anderen Kindern austoben konnte. Und wenn Ronja Hunger oder Durst bekam, hatte ihre Oma immer etwas zum Knabbern und zum Trinken dabei…auch für die anderen Kinder.
Ansonsten verhielt sich ihre Oma Jana so, als ob sie nicht da wäre. Das gefiel Ronja.
Und ihr Opa Olaf ließ sie in seinem großen Auto immer vorne sitzen (nun ja, nicht immer, aber manchmal). Dann fühlte Ronja sich wie eine kleine Erwachsene. Außerdem schlief er bei ihren Besuchstagen immer freiwillig auf der unbequemen Couch, damit Ronja mit der Oma zusammen im großen Bett, im Schlafzimmer schlafen konnte. Leider hatten die beiden kein zusätzliches Zimmer wo Ronja sich breit machen könnte, doch das fand sie nicht wirklich schlimm. Hauptsache war doch, dass sie bei ihren Großeltern sein konnte.
Etwas milder gestimmt klappte Ronja den kleinen Ordner zu und stellte ihn zurück ins Regal. Den heutigen Tag würde sie auch noch rumkriegen. Vielleicht sollte sie ihrer Mutter beim Aufräumen der Küche helfen?
Möglicherweise würde sie dann ja früher zu ihren Großeltern gebracht werden? Ronja seufzte.
Manchmal wünschte sie sich, dass die beiden mit ihnen zusammenwohnen würden. Dann könnte sie sie besuchen, wann immer sie wollte und müsste nicht immer auf die Besuchswochenende warten.
DAS wäre doch echt super.
Ronja sprang auf, schüttelte diesen Wunschgedanken bedauernd von sich ab und fing an, ihr Zimmer aufzuräumen. Das kam bei Mama und Papa immer gut an. Ihr Papa, das war Vincent.
DER war zurzeit noch auf der Arbeit. Er saß in einem Glaskasten und starrte den ganzen Tag in irgendwelche kleinen Fernseher rein und musste aufpassen. Auf was, das hatte Ronja nicht verstanden. Aber er bekam für dieses Fernsehgucken Geld. Komische Sache!
Doch wenn er heimkam und sehen würde, dass Ronja sich mit ihrem Zimmer so ins Zeug gelegt hatte, dann brummte er immer zufrieden, was Ronja sehr ulkig fand.
Er klang dann, wie ein kleiner zufriedener Bär, obwohl er überhaupt nicht wie ein Bär aussah.
Ihr Vater glich eher einem Igel, denn seine blonden Haare standen meistens wie kleine Stacheln vom Kopf ab und pickten auch wie Stacheln, fast genauso wie der graue Dreitage-Bart von ihrem Opa.
Mit dem zurückgekehrten Gedanken an ihre Großeltern, fiel ihr gar nicht auf, wie schnell sie ihre Unordnung beseitigt hat. Plötzlich stand sie mitten im Zimmer und schaute sich verdutzt um.
Nanu?
Fertig? Fertig!
Mit einem befriedigenden Gefühl in der Magengrube machte sie sich auf den Weg in die Küche um Mia, ihrer Mutter, bei Saubermachen zu helfen (und um möglicherweise auch ein Stückchen warmen Käsekuchen abstauben zu können). Doch Mia saß bereits am sauberen Esstisch und blätterte in einer Zeitschrift. Neben ihr stand eine dampfende Tasse Kaffee. Als Ronja erschien, sah sie auf und lächelte, „Na, alles klar, Süße? Was treibst du denn so? Man sieht und hört nichts von dir. Du hast mir die Hausaufgaben ja noch gar nicht gezeigt.“
Ronja schüttelte ihr langes, dunkelblondes Haar, „Wir hatten nichts auf. Ist der Käsekuchen fertig? Kann ich ein Stück haben?“
Mias Miene verzog sich bedauernd, „Der ist eigentlich für meine Arbeit…morgen! Im Schrank sind noch Cookies.
Die kannst du haben. Aber nicht so viele, sonst hast du zum Abendessen keinen Appetit. Warum habt ihr nichts auf?“
Ronja, die noch die erschütternde Nachricht verdaute, dass sie wohl keinen Krümel vom Kuchen abbekommen würde, zuckte nur leicht die Schultern, „Haben wir in der letzten Stunde gemacht. Ich will aber keine Kekse. Kann ich nicht vielleicht ein kleines Stückchen von dem Kuchen bekommen. Nur ein klitzekleines Stückchen. Bitteeee…!“
Doch die Miene ihrer Mutter blieb unerbittlich, „Nein.
Am Wochenende backe ich für uns einen anderen.
Außerdem bist du morgen bei Oma und Opa.
Back doch mit Oma einen Kuchen. Die freut sich doch immer, wenn du ihre Küche mit Mehl puderst!“
Mia lachte leicht gezwungen, da sie den enttäuschten Blick ihrer Tochter sah, der fast bettelnd an der Kuchenglocke hing, unter dem der Käsekuchen ruhte.
Ronjas Blick wand sich geknickt ab und sie klaubte sich notgedrungen ein paar der Schokokekse aus dem Schrank. Besser wie nix.
Aus dem Kühlschrank nahm sie sich den Milchbeutel, ein Glas aus dem Schrank und dann setzte sie sich zu ihrer Mutter an den Tisch. Ein letzter sehnsüchtiger Blick streifte den unerreichbaren Käsekuchen. Etwas missmutig stopfte sie sich einen Schokokeks in den Mund und drehte sich hoffnungsvoll zu Mia, ihrer Mutter, um, „Spielst du gleich was mit mir?“
Mias Gesicht verzog sich leicht, als ob sie auf eine Zitrone gebissen hätte, „Ach Mäuschen…ich muss noch das Abendessen machen. Der Papa kommt doch bald.“
Ronja senkte enttäuscht den Blick. Plötzlich hing ihr der Keks wie ein Felsbrocken im Hals und sie hatte Mühe, den krümeligen Brei herunterzuschlucken. Mit einem Schluck Milch half sie nach und quengelte leise, „Mir ist langweilig. Können wir nicht doch ein bisschen Schminken spielen?“ Ein weiterer hoffnungsvoller Blick ruhte auf ihrer Mutter, die jedoch resolut den Kopf schüttelte, aber mit einem Gegenvorschlag aufwartete, „Ich mache dir Badewasser. Dann kannst du mit deinen Barbies noch eine halbe Stunde planschen gehen. Wie wäre das?“
Ronjas Begeisterung hielt sich in Grenzen, „Okay!“
Etwas betröppelt rutschte sie vom Stuhl und marschierte mit hängenden Schultern in ihr Zimmer, um sich die beiden Meerjungfrauen aus der Spielzeugtruhe herauszusuchen. Mias Blick folgte ihr durch den Flur.
Irgendwie hatte sie plötzlich ein schlechtes Gewissen.
Doch das schob sie eilig zur Seite, als sie sich auf den Weg ins Badezimmer machte um die Wanne volllaufen zu lassen. Und obwohl sie ja KEIN schlechtes Gewissen zu haben brauchte, legte sie ihrer kleinen Tochter ZWEI Packungen Knisterspaß an den Wannenrand. Einmal Pink und einmal Blau. Das ergab lila…Ronjas Lieblingsfarbe.
Das Wasser rauschte so laut in die Wanne, dass sie zuerst nicht mitbekam, wie die Haustür aufgeschlossen wurde.
Erst als sie Ronja quietschen hörte hob sie lauschend den Kopf.
„Papa…Papa…ich habe mein Zimmer aufgeräumt und jetzt gehe ich baden. Wenn du aufs Klo musst, dann musst du jetzt gehen.“
Mia grinste. Ja, auch ihre achtjährige Tochter bestand mittlerweile auf Privatsphäre. Da konnte Vincent nicht einfach mal so aufs Klo trotten.
Die Antwort ihres Lebensgefährten konnte sie allerdings nicht verstehen, aber sie hörte, dass Ronja munter quasselnd Richtung Wohnzimmer hüpfte. Also musste Vincent auch dort sein. Nach einem Blick in die Wanne beschloss sie, dass das Wasser reichen würde. Die Wanne war über die Hälfte gefüllt.
Schnell drehte sie den sprudelnden Hahn zu und genoss die sofort eintretende Stille. Ach, wie gerne würde sie sich jetzt einfach auf der Couch ausstrecken und den lieben Gott einfach mal den lieben Gott sein lassen. Doch sie musste noch kochen, obwohl man fertigen Pizzateig belegen, nicht unbedingt als kochen bezeichnen konnte.
Doch zu mehr hatte sie keine Lust und außerdem hatte heute Morgen niemand daran gedacht, die Schnitzel aus der Gefriertruhe zu holen. Am besten legte sie die Schnitzel gleich zum auftauen in den Kühlschrank. Dann würde es eben morgen Schnitzel, Pommes und Salat geben. Den Salat müsste sie aber noch kaufen gehen.
Wieder eine zusätzliche Aufgabe, die sie liebend gerne an jemand anderen abgeschoben hätte.
Mit einem müden Seufzer drehte sie der Wanne nun den Rücken zu und machte sich auf den Weg in die Küche, die gleich neben dem Wohnzimmer lag. Vincent saß auf der Couch, Ronja auf dem Schoß und das Telefon am Ohr.
Mit wem redete er denn da?
Aber da sie keine Zeit hatte um zu lauschen, rief sie im Vorbeigehen lediglich, „Ronja, das Badewasser ist fertig und denk daran, die Wäsche IN den Wäschekorb zu legen und nicht davor. Klar?“ Ronjas Antwort bekam sie nicht mit, da sie sich nun in der mittlerweile sauberen Küche befand, die sie nun wieder in Unordnung bringen musste.
Jeden Tag das Gleiche. Was für ein nervtötendes Hamsterrad.
In Windeseile rollte sie den Teig auf einem Blech aus und bestrich ihn, würzte ihn und knallte zuletzt lieblos Salami und Kochschinken darauf. Dann schob sie das beladene Blech in den NICHT vorgeheizten Ofen. Mürrisch knallte sie zuletzt die Ofentür zu.
„Oh, da hat aber jemand schlechte Laune. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“ Vincent kam hineingeschlurft, schob sich eine Scheibe der übrig gebliebenen Salami in den Mund, küsste kauend Mias Scheitel und nuschelte, „Emil hat angerufen. Am Wochenende kommt Paul. Er hat ein Date am Samstag.
Nicht Paul, sondern Emil. Das ist dir doch recht, oder?“
Mia glotzte ihren Freund mit großen Augen an. ZWEI Kinder am Wochenende? Dabei hatte sie vorgehabt ihre Mutter zu fragen, ob Ronja nicht vielleicht bis Sonntag bleiben könnte. Sie fühlte sich so müde und ausgelaugt und bräuchte unbedingt mal ein paar Stunden ungestörten Schlaf und etwas faule Muse, um die leeren Batterien mal wieder aufzuladen. Doch nun kam Paul…ein sechs Jahre alter Wirbelwind…seines Zeichens Vincents Patenkind und Emils Sohn. Emil war der beste Freund ihres Mannes und nachdem seine Frau vor drei Jahren bei Nacht und Nebel einfach abgehauen war, war er zudem noch Alleinerziehend. Bestimmt ein hartes Los.
Mia half ja sonst gerne bei der Kinderbetreuung aus, aber gerade dieses Wochenende hätte sie gerne einmal Ruhe gehabt. Doch das schien Vincent überhaupt nicht zu interessieren. Er grinste sie einfach nur an und säuselte,
„Du bist halt die Beste! Vielleicht gehst du mit den Beiden in die Kletterhalle, dann sind sie abends auch müde!“
Ohne Mias Reaktion abzuwarten (sie kochte innerlich!)
drehte er sich auf dem Absatz herum und stiefelte ins Schlafzimmer um sich in seine bequeme Jogginghose zu werfen, die immer, aber auch wirklich IMMER am Fußteil des Bettes herumgammelte und die Mia schon seit Ewigkeiten ein Dorn im Auge war.
Warum konnte er seine bescheuerte Trainingshose nicht wie jeder normale Mensch an seinem Herrendiener aufhängen.
NEIN! Immer lag dieses blöde Teil, wie der sterbende Schwan, auf dem Bett herum und sie musste sie jedes Mal zu Seite schieben, wenn sie das Bett machen musste.
Es dauerte einige gefährliche Sekunden, bis Mia klar wurde, dass sie sich nicht über die Jogginghose aufregte.
Sie war eigentlich angepisst, weil wieder einmal ein anderer über ihre Freizeit bestimmte, als ob sie kein eigenes Leben besitzen würde. Böse starrte sie hinunter in die erleuchtete Backröhre, wo der Pizzateig sich langsam erhob.
Es wurde Zeit, dass sie mal mit der Faust auf den Tisch haute.
Sie war doch keine Marionette, bei der man bei Bedarf einfach ein paar Fäden ziehen konnte.
Doch bevor sie ihrer Wut freien Lauf lassen konnte, flachte sie erstaunlicherweise schon wieder ab und sie schob sich resigniert eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht.
Natürlich würde Paul kommen. Sie war ja froh, dass Emil sich wieder auf der Pirsch befand.
Als Tanja, seine (mittlerweile) Ex-Frau und IHRE (mittlerweile) Ex-Freundin, damals einfach ging und ihn mit dem kleinen dreijährigen Paul einfach sitzenließ, war es ihm echt Scheiße gegangen. DAS hatte Mia Tanja echt übelgenommen. Wie konnte man sein kleines Kind denn nur im Stich lassen? Unmöglich und das nicht nur in Mias Augen! Emil war damals völlig überfordert mit der Situation und es dauerte fast ein halbes Jahr, bis er sein Leben (und das seines Sohnes) wieder auf die Reihe bekommen hatte. Mia und Vincent hatten ihm natürlich zur Seite gestanden und Paul war in dieser Zeit öfter bei IHNEN gewesen, als Zuhause. Auch der kleine Junge hatte gelitten. Sehr sogar. Er hatte nachts oft eingenässt und war bei Kleinigkeiten sofort in Tränen ausgebrochen.
Eine anstrengende und auch sehr zermürbende Zeit.
Ronja war es gewesen, die den kleinen Kerl aufgemuntert hatte und er durfte sogar bei ihr im Bett schlafen. Ronja war DER Seelenbalsam gewesen, den der kleine Kerl gebraucht hatte. Natürlich würde Paul am Wochenende kommen. Was sonst?
Trotzdem würde sie irgendwann mal mit Vincent ein Wörtchen reden müssen.
Der Geruch von garender Pizza lenkte Mia von ihren tristen Gedanken ab.
Da war doch noch was? Ach herrje. Ronja. Die saß ja noch immer in der Wanne und schrumpelte vor sich hin. Wurde Zeit, sie da raus zu holen, bevor sie aussah wie eine eingetrocknete Rosine.
„Schatz…ich bin zuhause!“
Jule grummelte böse, als sie diese gutgelaunt klingende Stimme von der Haustür her vernahm. Aaron, ihr kleiner Sprössling hatte vor einer halben Stunde beschlossen, sich ungesehen die Löffel-Biskuite aus dem Schrank zu stibitzen und die halbe Schachtel unter dem Küchentisch zu zerbröseln, während Jule im Wohnzimmer die Wäsche zusammengelegt und den kleinen Mann hinter der Couch in seiner Pappkarton-Höhle vermutet hatte. Nun kniete sie in den spitzen Krümeln und versuchte die ganze Sauerei mit dem Handfeger zusammenzukehren. Die Spur zog sich bis ins Kinderzimmer, wo Aaron in seinem Bett nun lautstark weinerlich schmollte, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Rücklings kriechend wurschtelte sie sich unter der Tischplatte hervor, eckte unglücklich mit dem Ellbogen am Stuhl an und stieß sich zu allem Übel auch noch schmerzhaft den Kopf an der Tischkante, als sie zu schnell aufstehen wollte. In diesem Moment betrat Cedrik die Küche, schaute sich erstaunt um und warf statt einer Begrüßung lediglich die unschuldige Feststellung in den Raum, „Der Kleine weint!“
Jule knurrte ironisch, „Ach!“
Mit zusammengekniffenen Lippen rappelte sie sich auf und schüttelte die Kehrschaufel über dem Mülleimer aus.
Cedrik beäugte kritisch die leere Herdplatte und riss anschließend den Kühlschrank auf, „Wir haben keinen Käse mehr. Warst du nicht einkaufen?“
Jule befreite die Borsten des Handfegers von den restlichen, anhänglichen Krümeln über dem Spülbecken.
Sie schnaufte nur kurz. Ihr Mann schaute sie prüfend an, „Was hat denn Aaron? Vielleicht Hunger? Ich habe auch Hunger. Was gibt es eigentlich zu essen?“
Jule schnaubte erneut, diesmal wie ein übergewichtiges Walross, spülte sich die Hände unter dem Wasserkran ab und wischte sie sich anschließend mit einem leicht gequält wirkenden, aber süffisanten Lächeln an der Hose ab, „Essen? Du fragst mich jetzt ernsthaft nach Essen?“
Direkt im Anschluss klärte sie ihren verdutzt wirkenden Mann auf, „Ich habe den Kleinen heute Morgen in die Kita gebracht, saß anschließend über vier Stunden bei der Arge, weswegen ich Aaron zu spät abholen konnte und musst mir daraufhin eine viertelstündige Predigt der Kindergärtnerin anhören, wie wichtig Regeln sind und das man doch um Himmels Willen nicht den ganzen Morgen auf der Couch rumgammeln soll. In dieser Viertelstunde hat dein Sohn beschlossen, noch nie etwas vom Töpfchen gehört zu haben und hat sich die Hose vollgekackt. Ich bin dann zwei Kilometer mit dieser weinenden Stinkbombe nach Hause gelaufen…natürlich verfolgt von den bitterbösen Blicken meiner Mitmenschen. Was bin ich doch für eine schlechte Mutter!
Tut mir echt leid, dass ich nicht noch einkaufen war, denn ich musste deinen Sohnemann dringend saubermachen.
Die Scheiße lief ihm schon das Bein herunter.
Deswegen habe ich ihn, als wir ENDLICH zuhause waren, baden müssen. Danach habe ich ihm ein paar Rühreier gemacht, weil er RÜHREIER wollte. Irgendwo dazwischen bin ich noch einen Wäsche-Parcours durch unsere Wohnung gelaufen, habe die Waschmaschine und den Trockner angeschmissen, anschließend die Erde vom Ficus weggesaugt, weil DEIN Sohn ihn umgeworfen hat, weil ihm die Rühreier zu matschig gewesen sind. Danach habe ich die Wäsche zusammengelegt. DEIN Sohn hat diese Zeit dazu genutzt vergnügt eine Packung Kekse hier in der Küche zu zerbröseln, die ich gerade eben weggekehrt habe. Aus diesem Grund sitzt DEIN Sohn auch nun in seinem Zimmer und heult. Und? Wie war dein Tag, Schatz?“
Ohne seine Antwort abzuwarten, stampfte Jule mit einer säuerlichen Miene und verdächtig glänzenden Augen aus der Küche und verschwand im Badezimmer. Zurück, blieb Cedrik und seine fragend dreinblickenden Augen.
Er hatte doch nur wissen wollen, was es zu Essen gab.
Leicht frustriert entnahm er dem Gefrierfach zwei Pizzen, die er grob aus der Verpackung herausriss und in den Ofen schob. Auf wieviel Grad musste er sie stellen? Ach egal! 220 Grad würden bestimmt reichen.
Mit nachdenklicher Miene lauschte er der leisen Umluft und grübelte über das Verhalten seiner jungen Frau nach.
Klar…so viele Stunden in der Arge zu verbringen, meistens wartend, das nervte bestimmt ganz schön. Aber sie musste das machen. Aaron war nun drei Jahre und man erwartete von ihr, wieder in der Arbeitswelt Fuß zu fassen, auch wenn sie keine abgeschlossene Berufsausbildung hatte.
Die Jugend seiner Frau war etwas kompliziert gewesen und hatte dazu geführt, dass beide begonnenen Lehren aus verschiedenen Gründen abgebrochen werden mussten (den Grund dafür erfuhr er jedoch nie und er fragte auch lieber nicht). Irgendwann waren SIE beide sich dann über den Weg gelaufen und bereits nach einem Monat war Jule schwanger gewesen. Ob gewollt oder nicht, das stand in den Sternen und eigentlich interessierte es Cedrik auch nicht wirklich, denn er hing an seinem kleinen Aaron. Er war aber auch so ein süßer Fratz und Jule ging in ihrer Mutterrolle auch völlig auf (normalerweise).
Heute allerdings nicht. Heute schien sie nur völlig gefrustet. Vielleicht würde ein Tapetenwechsel sie auf andere Gedanken bringen?
Er lauschte zuerst Richtung Badezimmer. Jule weinte doch nicht etwa? Er hörte nichts. Deshalb lauschte er in Richtung Kinderzimmer und dort konnte er nun auch Jules leise Stimme vernehmen, die ganz offensichtlich den aufgewühlten und schluchzenden Aaron versuchte zu beruhigen. Da die Schluchzer immer seltener zu ihm durchdrangen, schien dies auch zu funktionieren. Cedrik linste zufrieden in die Backröhre. Jule war halt die Beste.
Das Abendessen verlief recht still und unspektakulär, was auch daran lag, dass Cedrik tunlichst das Thema ‚Arbeitssuche‘ und ‚Kacke‘ vermied. Eigentlich sagte er Garnichts. Aaron, dessen anfänglich verquollene Augen wieder halbwegs zufrieden glänzten, saß am Tisch, zwischen ihnen, baumelte mit seinen kurzen Beinchen auf dem Hochstuhl und schob sich schmatzend ein Stück der Pizza in den Mund, die Jule ihm auf den Teller gelegt hatte (natürlich kleingeschnitten und ohne die scharfen Peperoni).
Cedrik warf seiner Frau einen vorsichtigen Blick zu. War sie ansprechbar oder sollte er lieber noch warten? Die verschlossene Miene seiner Frau gab ihm leider überhaupt keinen Aufschluss. Also räusperte er sich probehalber einmal und beobachtete Jules Reaktion darauf. Nichts! Ungerührt schnitt sie sich ein Stück Pizza ab, steckte es in den Mund und kaute, während sie stur auf ihren Teller schaute. Cedrik beschloss, einfach mal einen vorsichtigen verbalen Vorstoß zu wagen, „Die Pizza ist lecker!“
Keine Antwort. Nur Aaron grinste ihn mit seinen winzigen Mausezähnchen, an denen rote Tomatensoße hing, breit an. Jule dagegen schwieg und schob sich ein weiteres Stück in den Mund. Ihr Mann linste sie erneut vorsichtig von der Seite an. Er kam sich vor, als ob er auf einem Pulverfass sitzen würde. Ein falsches Wort und die ganze Küche, nebst labbriger Pizza würde ihm um die Ohren fliegen. SO empfand er es auf jeden Fall.
Doch ganz plötzlich änderte sich Jules Miene von verschlossen zu leicht schuldbewusst und sie richtete sich auf. Sogar ein kleines, wenn auch gezwungen wirkendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, „Wie war dein Tag gewesen?“
Cedrik hielt kurz inne. Sollte er seiner Frau jetzt wirklich erzählen, dass es in der Kantine heute eigentlich ganz lustig zugegangen war? Die Stimmung in der Küche, wo er als Chefkoch arbeitete, war völlig entspannt gewesen und alles hatte geflutscht heute. Jeder war gut gelaunt gewesen, was vielleicht auch daran lag, dass das Wochenende vor der Tür stand, auch wenn ein Teil von ihnen, die Notbesetzung, am Samstag arbeiten musste. ER JEDOCH NICHT! ER arbeitete immer nur von Montag bis Freitag.
Vorsichtshalber brummte er deshalb nur, „War ganz okay gewesen!“
Er schaute Jule wieder von der Seite an. Sollte er ihr nun auch erzählen, dass sie planten für samstags eine Küchenhilfe zu suchen?
ER könnte ja dann auf Aaron aufpassen und sie würde etwas Geld verdienen, was ihre Haushaltskasse zusätzlich Futter verschaffen würde UND Jule würde mal unter Menschen kommen, die nicht den Hintern abgewischt bekommen wollten und die in klaren, verständlichen Sätzen sprachen. Erwachsene!
Dieser letzte Gedanke gab den Ausschlag und er gab sich einen Ruck, gerade als Jule aufstand und ihren Teller zur Spüle brachte, „Hättest du Lust bei uns als Küchenhilfe anzufangen? Einmal die Woche? Samstags? Wir planen zwar noch, aber die Stelle ist so gut wie ausgeschrieben.
Ich könnte dich vielleicht unterbringen…“, Pause, dann, „…, wenn du willst.“ Stille!
Cedriks Herz klopfte laut, als er sich umdrehte um seine Frau fragend anzuschauen. Jule stand an der Spüle und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sie sagte kein Wort.
Cedrik wartete. Auf einmal zuckten die Schultern seiner Frau…zuerst nur ganz leicht, dann gesellte sich ein lauter Schluchzer dazu. Ach herrje. Jule weinte!
Sofort sprang Cedrik erschrocken auf und nahm seine Frau von hinten in den Arm, „War doch nur ein Vorschlag, Schatz. Ich dachte nur, es würde dir vielleicht guttun, mal unter Menschen zu kommen und etwas anderes zu sehen, als diesen blöden Haushalt. Tut mir leid. Du musst nicht, wenn du nicht willst. War ja nur so eine Idee gewesen.“
Jule warf sich schluchzend herum und klammert sich an den Hals ihres Mannes. Dort barg sie ihren Kopf an seine Schulter und ließ ihren Tränen freien Lauf. Zumindest so lange, bis auch vom Tisch her quäkende Weingeräusche erklangen. Mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck schielte er über die Schulter und sah Aaron, dem nun ebenfalls dicke Krokodilstränen die Pausbacken herunterrannen. Cedrik seufzte. Solidarisches Mitweinen.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er warf seinem Sohn einen hilflosen Blick zu und tätschelte etwas unbeholfen den Rücken seiner Frau.
Gerade fühlte er sich leicht überfordert.
Doch plötzlich ruckte Jule von ihm ab, wischte sich die laufende Nase am Ärmel ab und eilte zu dem kleinen Mann am Tisch, „Schscht…nicht weinen. Ist doch nichts passiert!“
Aaron zog seine spucknassen Finger aus dem Mund und tatschte damit auf Jules tränenfeuchter Wange herum, „Mama weint! Mama weh getan!“
Nun lächelte Jule, „Nein, mein Schatz. Mama hat sich nicht wehgetan. Mama ist nur etwas müde. Du weinst doch auch manchmal, wenn du müde bist und ins Bett musst, nicht wahr?“
Aaron schaute seine Mutter noch immer weinerlich an und schlussfolgerte kindlich-naiv mit seiner verschnupft klingenden Stimme „Mama schlafen gehen!?“
Mit einem Handgriff hob Jule ihren kleinen Sohn vom Stuhl hoch und platzierte ihn auf ihrer Hüfte, „Ja, die Mama wird nachher ganz sicher schlafen gehen. Genau wie du!“
Grinsend kitzelte sie ihn dabei unter dem Kinn, was sofort ein glucksendes Geräusch verursachte, da Aaron sich ein Kichern nicht verkneifen konnte. Derweil stand Cedrik noch immer an der Spüle, betrachtete sich seine kleine Familie und fragte sich noch immer, warum Jule gerade geheult hatte. Doch darüber sollten sie am besten erst reden, wenn Aaron im Bett war. Nur für den Fall, dass ein neuer Tränenstrom folgen würde.
Mutter und Sohn verschwanden im Badezimmer, wo, den Geräuschen nach (Giggeln und Gurgeln) Aarons Milchzähne einer gründlichen Reinigung unterzogen wurden. Dies dauerte ungefähr fünf Minuten.
In dieser Zeit räumte Cedric das restliche schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und räumte danach (unnötigerweise) noch ein paar herumstehende Utensilien von einer Ecke in die andere. Nur damit er was zu tun hatte. Anschließend pflanzte er sich auf die Couch, schnappte sich die Fernbedienung und knipste die Glotze an. Genau in diesem Moment erschien Jule. Hinter ihr trapste der kleine Stammhalter, der seine Schmusedecke im Schlepptau hinter sich herzog. Seine gewaschenen Wangen glänzten, genau wie seine müden Augen. Frei von jeglicher Beherrschung riss er den Mund bis zum Anschlag auf und gähnte herzhaft, während er mit ausgestreckten Armen zu seinem Papa marschierte, „Kuscheln!“
Cedrik grinste breit und folgte dieser Anweisung nur zu gerne.
Zusammen mit seinem schläfrigen Sohn im Arm schauten sie noch einen viertelstündigen Cartoon, dessen Schluss Aaron jedoch nicht mehr mitbekam, da er eingeschlafen war. Jule hatte diese Zeit genutzt, sich ebenfalls in ihren bequemen Pyjama zu werfen und stand nun in pelzigen Pantoffeln im Türrahmen des Wohnzimmers und betrachtete sich ihre beiden Männer. Irgendwie waren die beiden ja doch knuddelig. Wie kam sie nur dazu, sich zu wünschen, sie hätte ein anderes Leben. Denn genau DAS hatte sie gedacht, als sie vorhin in der Küche völlig überraschend, auch für sich selbst, in Tränen ausgebrochen war. Eine leise Scham erfasste sie.
Mit leisen Schritten huschte sie zur Couch und zupfte ihrem Mann behutsam das kleine Kind aus dem Arm.
Aaron grummelte, hob kurz ein Augenlid an und kuschelte sich nun an die Schulter seiner Mutter, die sachte über den blonden weichen Haarflaum strich.
„Ich bringe ihn ins Bett!“
Cedrik nickte lächelnd und zappte halbwegs erleichtert auf einen anderen Kanal. Cartoons waren nicht so sein Ding. Es verging noch keine zwei Minuten da erschien Jule wieder und nahm DEN Platz ein, den Aaron zuvor belagert hatte. Auch sie kuschelte sich nun an ihren Mann und starrte auf die flackernde Mattscheibe, ohne jedoch zu sehen, was sich dort abspielte, denn ihre Gedanken hingen noch immer in der Küche…bei dieser abstrusen Idee, allein sein zu wollen.
Ohne Vorwarnung beugte sie sich vor und hauchte Cedrik einen Kuss auf die unvorbereiteten Lippen, „Ich liebe dich!“
Cedrik, total überrumpelt, aber hocherfreut von dieser Zuneigungsbekundung schaute seiner jungen Frau in die Augen, „Ich liebe dich auch, Schatz.“
Und bevor er richtig überlegen konnte, wie er nun das Küchen-Heul-Thema anschneiden sollte, rutschte es aus ihm heraus, „Es tut mir leid. Ich wollte dich mit dem Vorschlag nicht überrumpeln. Dein Tag war ja schon chaotisch genug!“
Leider konnte er sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen, als er sich vorstellte, wie Jule mit dem vollgekackten Aaron durch die Stadt hechtete, obwohl die Situation für Jule bestimmt alles andere als lustig gewesen war. Ganz offensichtlich verriet seine Miene diesen Gedankengang, denn Jule knuffte ihn spielerisch in die Rippen, „Das war nicht witzig!“ Doch auch sie schmunzelte nun. Am besten sie hakte diesen völlig verkorksten Tag einfach ab. Zufrieden legte sie ihren Kopf wieder an seine Schulter. Dann schaute sie jedoch wieder auf, „Vielleicht könnten wir am Sonntag einen Ausflug machen. Wir waren schon lange nicht mehr bei Mia. Deine Schwester wird sich bestimmt freuen und Aaron könnte mal wieder mit seiner großen Cousine spielen. Ronja freut sich doch immer so, wenn sie Aaron bemuttern kann. Was meinst du?“
Cedrik atmete innerlich auf. Genau dasselbe hatte er auch vorschlagen wollen. Er könnte auch noch seine Eltern anrufen. Vielleicht kamen die ja auch zu Mia? Schließlich sahen sie ihren kleinen Enkel nicht so oft, wie die große Enkelin. Saarbrücken lag ja nicht gleich um die Ecke und seine Mutter HASSTE den Großstadtverkehr. Sie war halt ein Dorfpflänzchen!
Ohne diese zusätzliche Idee zu erwähnen nickte er, „Stimmt. Das ist wirklich ein guter Einfall. Fallen wir mal bei meiner kleinen Schwester ein.“
Da nun beide das Gefühl hatten, dass nun wieder alles in Butter war, konnten sie sich ganz entspannt den langweiligen Krimi anschauen, der gerade anlief.
Ein Familientreffen oder der ganz normale Wahnsinn auf 16 Beinen
„Omi? Muss ich wirklich schon nach Hause? Können wir nicht noch etwas spielen?“
Ronja verzog ihren Mund zu einer bettelnden Schnute, doch Jana schien davon unbeeindruckt, „Schätzchen, du hast noch deinen Ranzen zu kontrollieren und ich habe morgen Frühschicht, das weißt du doch. Wir fahren ja nicht direkt wieder heim, sondern bleiben ja noch ein bisschen.“ Das ihr Sohn Cedrik ihr vor ein paar Minuten per WhatsApp eine Nachricht geschickt hatte und seinen spontanen Besuch bei seiner Schwester angekündigt hatte, verschwieg sie. Dies sollte eine Überraschung für ihre Enkelin sein.
Ronja tappte unwissend und enttäuscht ins Schlafzimmer um ihre Sachen zusammenzupacken. Sie war gerne bei ihren Großeltern und würde am liebsten länger bleiben.
Bei ihren Großeltern war es irgendwie lockerer. Wenn sie hier aus Versehen ein Glas Milch umkippte, wurde sie nicht gleich angemault. Nein! Oma wischte die Pfütze einfach weg und machte kein Trara darum. Auch wenn Ronja vergaß ihre schmutzigen Kleider in den Wäschekorb zu tun, regte sich hier keiner auf. Nein! HIER wanderten die Klamotten wie von (Omis) Zauberhand von alleine in den Korb. Auch gab es in Omas Küche keinen Rosenkohl, den Ronja abgrundtief hasste. Oma fragte sie meist, was sie essen wollte und kochte dann auch nur diese Sachen. Oma hatte auch immer Zeit zum Spielen und ließ sich sogar von ihr schminken, was meistens zwar ziemlich grauenhaft aussah, aber unglaublich Spaß machte. Das tat ihre Mutter nie. Oma mühte sich sogar an dem bunten Hüpfgummi ab, wovor Mia, ihre Mutter sich immer versuchte zu drücken. Oma hatte sich sogar ein paar Rollschuhe gekauft (nicht die modernen Inliner, sondern die altmodisch wirkenden Disco-Roller von früher) und kurvte mit ihr sonntags auf dem Discounter-Parkplatz herum. Und Opa zockte mit ihr an dem großen Fernseher im Wohnzimmer ‚Mario‘ und wenn er seine berühmte selbstgemachte Pizza fabrizierte, durfte Ronja IMMER assistieren. Zuhause wurde sie meistens aus der Küche geschickt, weil sie angeblich in den Füssen herumlaufen würde.
Ronja schnaufte frustriert. Zuhause wurde sie wie ein kleines Kind behandelt und oft genug kam es vor, dass niemand so richtig Zeit für sie hatte. Das gefiel Ronja überhaupt nicht. Trotzdem fügte sie sich den Anweisungen ihrer Großeltern und räumte ihre verstreuten Kuscheltiere in die Box, verstaute die Kartenspiele in der Schublade und klaubte ihre Schuhe unter dem Bett hervor um sie anzuziehen. Immerhin blieben die beiden noch eine Weile.
Vielleicht würde Oma ja noch ‚Mau-Mau‘ mit ihr spielen, bevor sich Ronja Bettfertig machen musste? Und wenn sie jetzt nicht zickte, könnte sie sich möglicherweise noch ein Eis aus der Truhe erbetteln. Mit dieser Bitte auf der Zunge hüpfte sie grinsend zu ihrem (fast) nie ‚nein-sagenden‘ Opa Olaf um das Eis abzustauben auf das sie gerade Lust hatte.
Gegen vierzehn Uhr krabbelte Ronja in Opas Auto, besser gesagt, sie zog sich mühsam hinein, denn es war eines dieser hohen Autos. Ein Auto, wo alte Leute einfach bequem ihren Hintern seitlich reinschieben konnten und nicht so ein Auto wie ihr Vater hatte, wo man sich abrupt in den Sitz reinfallen musste.
Opas Auto hatte auch ein großes Sonnendach, dass Opa mit einem Knopfdruck aufschieben konnte und durch das Ronja während der Fahrt den Himmel betrachten konnte, was sie auch immer tat, denn das fand sie toll. Das hatte ihr Papa nicht.
Doch viel zu schnell waren sie in St. Wendel. Wenn wunderte es? Freisen lag ja jetzt nicht SO weit weg. Olaf stellte sich genau vor das Mietshaus, in dem Ronja mit ihren Eltern wohnte. Als sie aus dem Fond herausrutschte, erblickte sie ein fremdes schwarzes Auto und stutzte. Doch dann sah sie den süßen Wackel-Dackel auf der hinteren Ablage.
Sofort stob sie kreischend zur Tür und klingelte Sturm, „AARON IST DA…AARON IST DA!“
Jana schlenderte mit ihrem Mann gemütlich ebenfalls zur Haustür und grinste breit.
Diese Überraschung war offensichtlich geglückt.
Von der Wohnung aus wurde der Öffner betätigt und Ronja stemmte sich beim ersten Summen sofort gegen das schwere Sicherheitsglas und stürmte wie ein Wirbelwind die Treppe hinauf in den dritten Stock. Von oben krähte bereits eine helle Kinderstimme. Aaron!
Ganz offensichtlich schien er bereits sehnsüchtig auf seine Cousine gewartet zu haben. Hoffentlich schimpfte sie nicht, wenn sie sah, dass er das ganze Barbie-Haus in seine Einzelteile zerlegt und mit den Deckeln ihrer Filzstifte eine Schlange gebaut hatte?
Während Ronja bereits quietschend den kleinen Jungen herumwirbelte, mühten Jana und Olaf sich gerade erst in den zweiten Stock.
Über die Brüstung hinweg bemerkte Mia leicht ironisch, „Das habe ich aber auch schon mal schneller gesehen.
Gut, …nicht von euch!“ Und schon verschwand ihr lachendes Gesicht wieder, als sie sich schleunigst wieder in die Wohnung verzog. Jana keuchte erbost und Olaf gluckste sich amüsiert in den Drei-Tage-Bart, „DEINE Tochter!“
Womit er nicht ganz unrecht hatte, denn weder Mia noch Cedrik waren seine leiblichen Kinder. Er hatte Jana mit Anhang geheiratet. Damals waren Mia drei und Cedrik schon acht Jahre alt gewesen. Doch beide hatten ihn sofort in ihre kleinen Kinderherzen geschlossen und nannten ihn schon ewige Zeiten Papa, was auch dazu geführt hatte, dass beide nach der Hochzeit seinen Nachnamen angenommen hatten. Bei dieser weit entfernten Erinnerung, stiegen Olaf noch immer die Tränen der Rührung in die Augen.
Er erinnerte sich noch ganz genau an den Tag als Cedrik vor ihm gestanden hatte, seine kleine, am Daumen nuckelnde Schwester an der Hand und er hatte noch immer dessen schüchtern klingende Stimme im Ohr,
„Wenn du Mami heiratest, dürfen wir dann auch Papa zu dir sagen, anstatt Olaf?“
Dieser denkwürdige Moment war genau eine Stunde vor der Trauung gewesen.
Olaf blieb im Treppenflur stehen und wischte sich über die verdächtig feuchten Augen.
„Geht es dir nicht gut?“ Jana betrachtete sich besorgt ihren Mann.
Was war denn mit dem los?
„Doch, doch…“, wiegelte Olaf sofort ab, „…hab nur was im Auge gehabt. Eine Wimper vielleicht…!“ Eilig schob er sich an seiner verdutzten Frau vorbei. Er musste ihr hier im Treppenhaus ja nicht auf die Nase binden, dass er gerade eine nostalgische Emotions-Wehe erlebt hatte.
ER doch nicht.
Jana glotzte ihm noch eine Sekunde hinterher, schüttelte den Kopf und kraxelte weiter die Stufen nach oben. Zu blöd, dass Mia im dritten Stock wohnte. Wirklich zu blöd!
Nach weiteren zwei Minuten und der Feststellung, wie unfit sie doch geworden waren, betraten sie beide die Wohnung, wo der Tumult aus dem Wohnzimmer ihnen den Aufenthaltsort der restlichen Familie verriet.
Grinsend hingen sie ihre Jacken an der überladenen Garderobe auf und begaben sich in den lebhaften Kreis ihrer Familie. Während Olaf sich sofort die kleinen, kreischenden Racker unter den Arm klemmte und mit ihnen in die Küche verschwand, blieb Jana im Türrahmen stehen und betrachtet sich liebevoll ihre Familie.
Cedrik, der zusammen mit (der gähnenden) Jule auf der Couch saß. Vincent, der auf seinem obligatorischen Schreibtischstuhl herumeierte (der Mia schon lange ein Dorn im Auge war, wie Jana wusste) und seinem Fast-Schwager Cedrik gerade die Vorzüge des neuen Computerspieles offerierte und Mia, die im Schneidersitz auf dem Schaukelstuhl saß und an einem Glas Weißwein nippte.
Nanu? Wein? Am Mittag? War das nicht ein bisschen früh?
Mit einem schiefen Blick auf das halbvolle Weinglas in der Hand ihrer Tochter breitete sie die Arme aus, „Na da ist ja meine ganze Horde versammelt! Ist das nicht schön?“
Mia erhob sich und stapfte an ihr vorbei, „Ich setz mal Kaffee auf!“
Die leicht säuerliche Miene, die sie dabei machte bekam gottlob nur ihre Mutter mit, die ihr auch besorgt hinterhereilte. Gerade quetschte sich Olaf mit seinem zappelnden Ballast durch die Küchentür in den Flur. Wie ertappt blieb er stehen und Jana konnte sehen wie in den Kindermündern gleichzeitig und leicht schuldbewusst ein Cracker verschwand. Olaf grinste entschuldigend und verzog sich wortlos zurück ins Wohnzimmer. Mia ignorierte die heimliche Naschattacke. Mit einem lauten ‚Pling‘ stellte sie das Glas auf der Arbeitsfläche ab und wurschtelte im Küchenschrank nach dem Filterpapier und der Kaffeedose herum.
Jana blieb etwas unschlüssig im Türrahmen stehen, „Du wirkst etwas gereizt, Schatz. Alles in Ordnung bei dir?“
Mia schwieg, was bei ihrer Mutter den Eindruck schürte, sie hätte einen kochenden Wasserkessel vor sich, der gleich laut los pfiff.
„Mia!“ Da war er! Der mütterliche besorgte Tonfall, der sonst auf fruchtbaren Boden fiel, heute jedoch das Fass zum Überlaufen brachte. Mia wirbelte herum, war mit zwei Schritten an der Küchentür, drückte sie entschlossen zu und sprudelte aufgebracht los, „Die ganze Woche schufte ich wie ein Ackergaul. Ich mache die Wäsche. Helfe Ronja bei den Hausaufgaben, koche, putze, war letztes Wochenende mit Paul und Ronja in der Kletterhalle gestern…jaaa, Paul war letztes Wochenende auch da gewesen und ist erst Sonntag abgeholt worden.
Jedes Wochenende ist was anderes. Und Vini gammelt wie immer seit Freitagabend in seiner ollen Jogginghose herum, zockt oder glotzt Fernsehen. Und heute steht plötzlich auch noch mein Bruder mitsamt Anhang vor der Tür, freudestrahlend und grinsend, während mir der Rücken wie Hölle brennt. Kann er sich nicht ankündigen wie jeder normale Mensch? Ich habe das Gefühl kein einziges Wochenende mehr ausgeschlafen zu haben. Habe ich wahrscheinlich auch nicht, denn Paul hatte das Bett vollgekotzt und ich musste alles alleine wegwischen und zusätzlich noch den kleinen Wurm trösten. Und VINI hat gepoft wie ein sterbendes Murmeltier. Ich habe es so satt…man, wie habe ich das Ganze so satt!“
Mit einer wütenden Geste haute Mia auf den kleinen Esstisch am Fenster. Doch so plötzlich wie es aus ihr herausgebrochen war, so endete ihr Anfall.
Ihre Schultern sackten nach unten und sie ließ sich wie ein nasser Mehlsack auf den Küchenstuhl fallen.
Fahrig strich sie sich über die Stirn, „Ach vergiss es.
Wahrscheinlich bin ich einfach nur müde.“ Langsam, wie eine uralte Frau, stemmte sie sich hoch, „Hilfst du mir das Geschirr nach draußen zu bringen?“
Jana, die noch völlig schockiert ihre Tochter anstarrte, räusperte sich umständlich, um sich zu sammeln.
Während Mia bereits die Kaffeetassen auf das Tablett stapelte, ging sie zaghaft zu ihr und legte von hinten die Arme um sie, „Ach, Schatz…das tut mir leid. Ich dachte, es wäre eine nette Überraschung, wenn Cedrik kommt.
Und Jule…nun ja, der fällt in Saarbrücken bestimmt die Decke auf den Kopf. Die ist auch froh, mal etwas anderes sehen zu können. Und Ronja sieht ihren kleinen Cousin doch so selten. Aber ich hätte dir Bescheid geben können.
Ja, das hätte ich wirklich tun können. Entschuldige, Liebes!“
Mia drehte sich im Arm ihrer Mutter, die ein gutes Stück kleiner war als sie, um und schaute in die mittleiden, mütterlichen Augen, „Ach, Mama. Das ist es ja gar nicht.
Natürlich freue ich mich, wenn El Schmatzo (Bruder Cedrik) mal vorbeikommt. Aber…aber…ich habe das Gefühl, als ob ich mich in tausend Stücke zerreißen muss.
Jeder will was. Vincent will Essen. Ronja will Spielen. Der Chef will Überstunden. Die Nachbarin von unten will einen geputzten Flur. Die Kollegin will, dass ich einspringe. Der Kühlschrank will, dass ich ihn fülle. Der Müll will runter in die Tonne. Die Blumen wollen Wasser.
Das Auto will tanken. Cedrik will Ablenkung für seine Frau. Du willst, dass ich taff bin…alle wollen was von mir und jeder zerrt in eine andere Richtung. Niemand sieht was ICH will!“ Ohne Vorwarnung brach Mia in Tränen aus, die sie großzügig an Janas Schulter verteilte. Und Jana machte das, was alle Mütter in solch einer Situation tun…egal wie alt das eigene Kind ist. Sie schloss ihre Tochter fest in die Arme und strich immer wieder tröstend über den bebenden Rücken. Dabei wiegte sie sich sanft hin und her, so wie sie es früher immer getan hatte, wenn eines ihrer Kinder traurig gewesen war, begleitet vom obligatorischen, „Schschscht…es wird alles gut!“
Mit einem Mal wurde die Küchentür aufgerissen, „Ist der Kaffee schon fertig?“
Vincent spähte neugierig hinein, sah dann seine Lebensgefährtin und seine Fast-Schwiegermutter, die Arm in Arm an der Spüle standen, glotzte ziemlich dämlich und hauchte ein verdutztes ‚OH‘ ehe er sich lautlos wieder zurückzog.