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Dürfen wir Sie zum Schmunzeln und Lachen verführen? Drei humorvolle Kurzromane von Bestsellerautorin Hera Lind jetzt als eBook-Sammelband bei dotbooks. Das Leben steckt voller Humor – und das größte Chaos wartet immer dann auf uns, wenn wir es am wenigsten erwarten … Davon kann auch die junge Sopranistin ein Lied singen, die ihren ersten großen Auftritt absolvieren will – und bis dahin noch einige Hindernisse umkurven muss. Oder Linda, die auf einem Kreuzfahrtschiff in einer Abendgesellschaft landet, vor der sie sich liebend gerne drücken würde. Und natürlich Johanna, die alleinerziehende Mutter, die gerne einen Mann an ihrer Seite hätte und einen sehr ungewöhnlichen Weg wählt, um diesen zu finden … Drei starke Frauen mit leichter Schlagseite, drei herrlich turbulente Komödien: »Hera Lind schreibt Romane, deren Lästerton die Herzen der stolzesten Frauen trifft.« Die Zeit Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Männer und andere Missverständnisse« versammelt die Romane »Rache und andere Vergnügen«, »Gefühle und andere Katastrophen« und »Hunde und andere Herzensbrecher« von Hera Lind als preisgünstiger Sammelband. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2020
Über dieses Buch:
Das Leben steckt voller Humor - und das größte Chaos wartet immer dann auf uns, wenn wir es am wenigsten erwarten … Davon kann auch die junge Sopranistin ein Lied singen, die ihren ersten großen Auftritt absolvieren will - und bis dahin noch einige Hindernisse umkurven muss. Oder Linda, die auf einem Kreuzfahrtschiff in einer Abendgesellschaft landet, vor der sie sich liebend gerne drücken würde. Und natürlich Johanna, die alleinerziehende Mutter, die gerne einen Mann an ihrer Seite hätte und einen sehr ungewöhnlichen Weg wählt, um diesen zu finden …
Drei starke Frauen mit leichter Schlagseite, drei herrlich turbulente Komödien: »Hera Lind schreibt Romane, deren Lästerton die Herzen der stolzesten Frauen trifft.« Die Zeit
Über die Autorin:
Hera Lind, geboren in Bielefeld, studierte Germanistik, Theologie und Gesang. Sie machte sich europaweit als Solistin einen Namen und war 14 Jahre lang festes Mitglied des Kölner Rundfunkchores. Während ihrer ersten Schwangerschaft schrieb sie ihren Debütroman »Ein Mann für jede Tonart«. Dieser wurde sofort ein Bestseller und erfolgreich verfilmt - eine Erfolgsgeschichte, die sich mit zahlreichen Romanen wie »Das Superweib«, »Die Zauberfrau«, »Das Weibernest«, Kinderbüchern und Tatsachenromanen bis heute fortsetzt. Hera Linds Bücher wurden in 17 Sprachen übersetzt und verkauften sich über 13 Millionen Mal. Hera Lind ist Mutter von vier Kindern und lebt mit ihrer Familie in Salzburg.
Die Autorin im Internet: www.heralind.com
Hera Lind veröffentlichte bei dotbooks die Romane »Ein Mann für jede Tonart«, »Frau zu sein bedarf es wenig«, »Das Superweib«, »Das Weibernest«, »Die Zauberfrau«, »Der gemietete Mann«, »Hochglanzweiber«, »Mord an Bord«, »Der doppelte Lothar«, »Karlas Umweg«, »Fürstenroman« und »Drei Männer und kein Halleluja« sowie die Kurzromane »Rache und andere Vergnügen«, »Gefühle und andere Katastrophen« und »Hunde und Herzensbrecher« - auch als Sammelband unter dem Titel »Männer und andere Missverständnisse« erhältlich - sowie das Kinder- und Vorlesebuch »Der Tag, an dem ich Papa war«.
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Sammelband-Originalausgabe April 2020
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Einen Rechtenachweis für die in diesem Sammelband zusammengefassten Kurzromane finden Sie am Ende dieses eBooks.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Valeri Potapova, Eric Isselee und Julia Tsokur
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-96148-981-7
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Hera Lind
Männer und andere Missverständnisse
Drei Romane in einem eBook
dotbooks.
Es soll ihr ganz großer Tag werden: Endlich wird die junge Sängerin die h-Moll-Messe von Bach singen. Zugegeben: Nicht in der New Yorker Metropolitan Opera, sondern einer Willicher Kirche - aber egal. Bühne ist Bühne und der Erfolg zum Greifen nah. Bis alles schief geht. Und zwar so richtig …
Nebenan lag ein verwuselter rothaariger Kopf auf der Matratze und schnarchte. Die leere Rotweinflasche lag auf dem abgetretenen Teppich, der volle Aschenbecher quoll daneben von Kippen über. Es war ein blecherner Aschenbecher, potthässlich, irgendwo geklaut. Holger schlief seinen üblichen Studentenrausch aus, in gerippter Unterwäsche vermutlich, wie immer. Seine morgendliche Übellaunigkeit war durch nichts zu steigern. Noch nicht mal dadurch, dass ich mich jetzt einsingen würde.
Natürlich war das grausam, Sonntagmorgens um zehn nach sieben Tonleitern zu singen. Das ist grausam. Für jeden. Erst recht für einen mit sich und der Welt unzufriedenen Studenten, der schätzungsweise bis drei gesumpft und über den Sinn des Lebens gegrübelt hat. Aber das Singen war nun mal mein Job. Heute war meine erste h-Moll-Messe. Die h-MollMesse von Bach. Ich durfte die Solistin sein. Zum ersten mal. In Willich bei Krefeld. Meine erste große Sache. Mit Onkel Herbert am Pult! Punkt neun fällt die erste Eins. Gesangsstudenten sind diszipliniert. Nicht rauchen, nicht saufen, nicht sumpfen, um zehn Uhr schlafen gehen, damit die Stimme am nächsten Morgen anspringt.
Ich ging vorsichtig zum Klavier und tippte mir ein »d« an. Mhm-mhm-mhm, machte ich ganz, ganz leise und kratzig. Mein schlechtes Gewissen saß mir wie ein Kloß im Hals.
Holger drehte sich geräuschvoll auf seiner Matratze um.
Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit.
Es roch nach miefigem Mann im Bett, nach kalter Asche und nach Schweiß.
Ob ich ihn um Erlaubnis bitten sollte, jetzt wenigstens zehn Minuten singen zu dürfen? Doch der beleidigte Rotschopf unter der braungemusterten Frotteebettwäsche war noch nicht zu sprechen. Leise schloss ich die Tür wieder. Ich nahm all meinen Mut zusammen und versuchte eine Tonleiter. Es klang knarzig und belegt. Oh, ihr Nachbarn im Zwölfparteienhaus, all ihr Arbeiter und Rentner, die ihr sonntags morgens gerne mal ein bisschen länger pennt - ich weiß, dass ihr mich alle hasst. Aber ich muss jetzt mal ein paar peinliche Geräusche machen. Es ist mein Job, das Singen. Ich lebe davon. Der rothaarige, übellaunige Sinnsucher übrigens auch. Und es ist das erste Mal! Ich darf heute die h-Moll-Messe singen! Onkel Herbert hat‘s erlaubt!
Ich war weit davon entfernt, eine selbstbewusste Sängerin zu sein. In Demut und Reue summte ich ein bisschen vor mich hin. Dann erstarb mein schaurig Säuseln.
Hatte da jemand von unten an die Decke geklopft? Drehte da jemand das Radio laut?
Die Rotweinflasche rollte scheppernd über den Boden. Holger arbeitete sich aus seiner Höhle. Sein zerschlafener Schopf erschien unwillig im Türspalt.
»Sag mal, hast du sie noch alle?«
Ich schwieg vor mich hin. Bestimmt sah ich lächerlich aus in meinem schwarzen Samtkleid. Irgendwie passte das optisch nicht zu seinem Schiesser-Feinripp.
»Mitten in der Nacht hier losjaulen? Wenn ich dich erwürge, war das Notwehr.«
»Ich hab so lange gewartet, wie es ging«, verteidigte ich mich. »Aber jetzt muss ich einfach anfangen! In zwanzig Minuten muss ich spätestens fahren!«
»Sing dich im Auto ein oder im Wald oder sonstwo«, zischte Holger böse. »Aber hier singst du keinen Ton mehr. Sonst vergesse ich mich.«
Er verschwand in seinem muffigen Schlafgemach. Ich sank frustriert auf den Klavierhocker. In mir machte sich Panik breit. Es war völlig unmöglich, uneingesungen die h-Moll-Messe von Bach abzulassen, vor sämtlichen Obrigkeiten und Bürgermeistern und Stadträten und Weihbischöfen im lila Käppi und wer noch alles unter den Hochamt-Gläubigen in den Bänken hocken würde. Heute, am hochheiligen Weihe- und Würde-Tag des begnadetsten und wichtigsten aller Hochschulprofessoren!
Mein Onkel Herbert debütierte in einer Kleinstadt bei Krefeld. Der Traum sämtlicher Musikstudentinnen, das Vorbild aller Stabschwinger, die jemals in seinen Dunstkreis geraten durften. Zweihundert Mann Chor würden strammstehen, fünfzig Mann Orchester würden nach seinem Schlag spielen, und ich, die kleine, bescheidene Landpomeranze im fünften Semester Gesang, die noch nicht mal eine Zwischenprüfung hatte, ich durfte seine Solistin sein! Ich hatte die große Agnus-Dei -Arie! Ich! Er protegierte mich - und ich musste in Top-Form sein! Das war ich ihm schuldig. Zumal heute sein fünfundvierzigster Geburtstag war!
Onkel Herrlichbert stand in der Blüte seines Lebens, das heißt, er war im sogenannten »besten Mannesalter«. Es war nicht gerade der Friedensnobelpreis, den er vom Deutschen Musikrat überreicht bekam. Aber so was Ähnliches. Weit über das Rheinland und die Grenzen des Krefelder Kulturkreises hinaus würde dieses Ereignis die Kunstwelt beeindrucken. Professor Herrlichbert Juck dirigierte Bach und bekam dafür einen Orden.
Und nun war ich nicht mal eingesungen.
Holger, dachte ich. Wenn du mich liebtest, kämst du mit. Du hättest nicht die halbe Nacht gesoffen, sondern du führtest mich jetzt dahin und drücktest mir die Daumen.
Mit zitternden Fingern packte ich meine Noten und meine Stimmgabel zusammen, raffte mein bodenlanges Abendkleid und verließ die Wohnung. Im Treppenhaus hatte ich das Gefühl, durch jeden Türspion mit Blicken erschossen zu werden.
Unten an der Straße stand unser alter klappriger Mercedes mit den vielen alternativen Aufklebern. Ich hatte ihn für 5.000 Mark von Onkel Herrlichbert erstanden. Ein echter Freundschaftspreis. Der Mercedes hieß Johann. Sein erstes Auto nennt man immer noch irgendwie, später lässt das nach, ich weiß.
Ich legte den Klavierauszug und die Autokarte auf den Beifahrersitz und fuhr los. Lieber Gott, betete ich, bitte mach, dass ich das finde.
Johann summte majestätisch über die morgenleere Autobahn. Kein Mensch war um diese Zeit unterwegs. Ich fühlte mich unwohl. Im Auto kann man zwar auch ein bisschen trällern, aber es ist nicht dasselbe wie Einsingen. Die Haltung stimmt nicht, die Töne auch nicht. Außerdem sieht das albern aus, eine Frau im Abendkleid am Steuer eines altehrwürdigen, leider ungepflegt dreckigen Mercedes mit komischen Aufklebern, die Tonleitern und fromme Phrasen singt. Ich kam mir lächerlich vor.
Nach ungefähr dreißig Kilometern fing Johann an zu stocken. Wir waren fast da! Willst du wohl deine Herrin nach Willich fahren, Johann? In einer Stunde fällt die erste Eins! Onkel Herbert macht mich alle! Onkel Herbert konnte mit Blicken töten.
Das Auto bockte und schlingerte. Der Motor gab ganz ungewohnte Geräusche von sich, wie wenn er sich verschluckt hätte. Ein paar graue Abgasfürze entfuhren dem blechernen Gedärm und verflüchtigten sich auf der Autobahn. Benzin! Sollte Holger etwa nicht vollgetankt haben? Mein hastiger Blick auf die Benzinuhr bestätigte das Unfassbare: Holger hatte mir ein ungetanktes Auto vor die Tür gestellt. Und ich hatte mich auf ihn verlassen. Es war das Modell »Ich vertraue meinem Partner« - der Härtetest für jede Beziehung eben.
Ich betete. O Herr, lass nun nicht auch noch jenen Kelch leer sein! Bitte lass noch ein bisschen Benzin im Tank sein! Du strafst mich doch heute schon grausam genug: Ein röchelnder, rothaariger Übellauner, mit dem ich Tisch und Matratze teile, ist Prüfung genug! Und dann Onkel Herrlichbert, der Despot, der Gnadenlose.
Johann! Bitte! Schön weiterrollen! Nur noch dieses eine Mal! Johann Sebastian zuliebe, Johann. Und natürlich zur Ehre Gottes.
Da. Ein Rasthofschild. Noch fünf Kilometer. Messer, Gabel, Tasse, WC. Letzteres brauchte ich jetzt dringend.
Immerhin: Wir rollten noch. Unwillig tuckerte der unartige Mercedes-Rüpel mit vierzig Sachen durch den grauen Morgen. Mir war schlecht. Ich fragte mich zum hundertsten Mal, warum ich mir das angetan hatte. Onkel Herrlichbert hatte mir gnädig den kleinen Finger gereicht, und ich hatte ihn dankbar geleckt wie ein devotes Tier. Und was hatte ich davon? Nur Übelkeit, Einsamkeit und nackte Versagensangst. Und am Schluss gab‘s vielleicht ein bisschen Beifall. Wenn überhaupt. Und mit viel Glück ein gönnerhaftes Lächeln von Onkel Herrlichbert. Falls man nicht elend versagt hatte. Und ich fühlte, dass ich heute versagen würde.
Da, der Rasthof. Tausend Meter. Tausend qualvolle, bockige, tuckernde Abgasfürze. Röhrende Großmäuligkeit eines ungezogenen, stinkenden und rülpsenden Mercedes mit Pickeln und Schrammen. Dabei war ich selbst daran schuld. Warum gab ich dem guten Stück auch nichts zu fressen.
Mein Herz schlug so heftig, dass das Samtkleid vibrierte. Meine Zunge schmeckte nach Schuhsohle. Nie würde ich einen Ton herauskriegen, gleich, um neun, wenn die erste Eins fiel. Onkel Herrlichbert würde den Taktstock über mein Haupt schlagen, und ich würde ohnmächtig zusammensinken. Ich war eben nicht geschaffen für eine Gesangskarriere. Viel zu klein, zu schüchtern, zu blöd.
Wir erreichten den Rasthof mit Mühe und Not. In meinem Halse - die Stimme - war tot. Ich wankte im bodenlangen Abendkleid in das Kabuff des morgenmuffeligen Tankwarts hinein. Die Uhr über der Kasse zeigte halb neun. Mein Gott! Halb neun! Um diese Zeit wollte ich da sein! Einsingen, Stellprobe und Panik-WC und was man sonst so macht kurz vor einem feierlichen Hochamt, wenn alle ganz ernste, strenge Mienen aufgesetzt haben. Onkel Herrlichbert vor allem. Der konnte einen Huster im Publikum mit Blicken erdolchen. Wegen der Würde und der Göttlichkeit seiner Musik. Alle Menschen waren nichtig und klein, wenn Onkel Herrlichbert einen Chor und ein Orchester hypnotisierte. Ich wusste das, ich kannte das. Ich liebte das. Ich war eine von denen, die Onkel Herrlichbert anbeteten und fürchteten. Liebten und hassten.
»Bitte schnell volltanken«, stammelte ich bleich.
»Geht niche«, sagte der Tankwart im Blaumann über seiner Wurststulle. »Erst neun Uhr aufmache.«
»Wie, Sie machen erst um neun auf!«, schrie ich empört. »Ich will tanken! JETZT!«
Ich starrte den Tankwart an. Der Tankwart starrte mich an. Bodenlanges schwarzes Samtkleid unter bleichem Bang-Gesicht. In einer Autobahnraststätte. Morgens um halb neun in Deutschland.
»Bitte!«, stammelte ich. »Ich muss ein Konzert singen!«
,,Ich nix dafür könne, was Sie müsse«, erklärte der Blaumann. »Ich hab nix Schlüssel.«
»Aber Sie wissen, wo der Schlüssel ist!«, rief ich weinerlich. »Schlüssel her! Mein Tank ist leer! Ich will nach Willich, und bist du nicht willich, so brauch ich Gewalte!«
»Schlüssel hat Chefe, und Chefe komme neun Uhre«, sagte freundlich der Blaumann. »Is nix mehr lang!«
»Das IST es ja! Um neun Uhre muss ich in Willich sein! Kapiere!«
»Willich gar nix weite. Wenn du Frollein durch Walde laufe, zehn Minute da.«
Frollein durch Wald laufe? Das würde ihm so passen. Ich trat unschlüssig von einem Bein aufs andere.
»Nix helfe, Frolleine«, sagte er bedauernd. Er musterte mich abschätzig. »Wenn mit Kleide laufe zwanzig Minutte.«
»Fahren Sie mich!«, flehte ich. »Sie kriegen hundert Mark von mir! Alles, was Sie wollen!«, stammelte die Königstochter. Meine Ringe, meine Ketten, meine güldene Stimmgabel!
»Ich nix helfe«, quakte der Frosch aus seinem Tümpel. »Get niche, ich nur Fahrrad gekomme und bleibe müsse, bis Chefe komme.«
»Kann ich Ihr Rad haben?«
»Meine Rate?« Ungläubiges Staunen verbreitere sich auf des Blaumannes Antlitz.
»Ja, Mann! Ihr Rad! Leihen Sie es mir! Bitte! Ich flehe Sie an!« Alle Farbe war aus meinem Gesicht gewichen. Ich machte mir fast in die Hose vor Angst. Meine Stimme war im Keller. Ich fühlte eine Ohnmacht nahen. Onkel Herrlichbert sollte auf meiner Beerdigung dirigieren. Jesu, meine Freude. In e-Moll.
Der ausländische Blaumann hatte ein Herz für hysterische deutsche Frauen im Abendkleid. Er führte mich hinter die Bude, an der sein Fahrrad lehnte. Es war ein altes, rostiges Herrenfahrrad mit hoher Stange. Ich klemmte meinen Klavierauszug auf den klapprigen Gepäckträger, raffte meine Röcke bis zur Unterkante Oberschenkel und schwang mich auf den morschen Drahtesel. Der Blaumann starrte stieläugig auf meine Beine.
»Ist ganze leichte, Frollein«, sagte er. »Sie jetzt fahre diese Forstwege ungefähr drei Kilometa imma geradeaus. Dann komme an eine Waldwege mit Schranke, da stehte Schilde ›Beträte eigen Gefahr‹ drane. Da rein biege. Vorsichte, Weg ist matschige. Dann zwei Kilometa Berge rauf, da müsse schiebe, Rate hatte keine Gangschaltung. Nich erschrecke, im Näbbel stehe Kühe. Die tun nixe. Nur gucke und muh mache. Wenn Sie obe, dann vier Kilometa steil runterfahre, aufpasse, Bremse kaputte. Ortsschilte Williche un dann Kirche frage.«
»Danke«, schrie ich und warf mich in die Pedale.
Acht Uhr vierzig. Zwanzig vor neun. In der Sakristei standen sie jetzt schon alle und summten und stimmten und wanderten vor dem Klo hin und her, die Messdiener hantierten mit dem Weihrauchgefäß und mit den Kerzen rum, der Tenor knödelte in einer Ecke vor sich hin und der Baß brummte und der Sopran trällerte nervös … nur ich, ich war nicht nur nicht da, sondern radelte zur Abwechslung mal ein bisschen im Sprühregen über einen nebligen Forstweg. Auf einem fremden Herrenrad, das knarrte und kein Deutsch sprach.
Weit und breit kein Mensch, kein Hund, keine Kuh. Nur Wolkenfetzen am Februarhimmel.
Irgendwo dort hinter den sieben Bergen hörte ich es läuten. War es das Geläut von Willich? Oder Krefeld gar? Oder doch eher Münchheide, Schweinheim oder Herzbroich? Fuhr ich schon völlig falsch? Ich keuchte und strampelte.
Jetzt müsste eigentlich dieser verdammte Waldweg kommen, dachte ich, der matschige, verbotene. Der mit den Kühen.
Punkt neun fällt die erste Eins. Na gut, zuerst dröhnt noch die Orgel ihr feierliches Vorspiel, dann nehmen die Obrigkeiten im langen Gewande erst mal alle umständlich Platz, dann gibt‘s noch ein paar einführende Worte und ein Eingangsgebet, aber dann! Dann bin ich unweigerlich dran! Kyrie! Erbarme dich!
Los, jetzt!
Erbarmen!
Ich trat in die Pedale, dass mir die Schuhsohlen qualmten.
Da. Ein Waldweg. Ohne Schranke zwar und auch ohne Schild »Beträte eigen Gefahr«, aber er ging bergauf. Das musste er sein.
Ich stieg zitternd vom Rad und schob es in meinen schwarzen Lackschühchen lehmaufwärts.
Das Geläut kam jetzt aus der anderen Richtung. Bestimmt hatte der Wind gedreht. Oder entfernte ich mich von meinem Golgatha? Lieber Gott, dachte ich. Lass mich jetzt aufwachen. Das ist kein schöner Traum. Das ist ein blöder Traum. Los, ich will jetzt aufwachen. Bitte.
Außer meinem keuchenden Atem hörte ich nichts. Das Läuten hatte aufgehört.
Da! Ein Rascheln! Ich zuckte zusammen. Was war das?
Tatsächlich: die Kühe. Muh und muh und staun und glotz. Ein Mensch im Abendkleid. Rennt mit einem alten Herrenfahrrad durch den Morgennebel.
Da näherte sich etwas von hinten. Ein Atmen, ein Keuchen! Ein Matschen von Schritten im Sumpf! Bestimmt ein wütender Stier. Jetzt war eh alles egal. Ich sah schon Fetzen von meinem schwarzen Samtkleid über dem Stacheldraht hängen und im Winde flattern.
Der keuchende Atem hinter mir gehörte zu einem Jogger. Ein nasser, schwitzender, lehmbeköttelter Jogger war es, der mit Kapuze und nackten haarigen Beinen seines Weges trabte. Er streifte mich mit einem desinteressierten Seitenblick und wollte weiterjoggen. Wahrscheinlich hielt er mich für eine ausgebrochene Irre.
»Hallo, bleiben Sie stehen!«
Der Jogger joggte.
»Bitte! Ich hab mich verlaufen!«
Der Jogger trabte auf der Stelle. Alle Jogger hassen es, wenn jemand sie am Joggen hindert, ich weiß. Sie können gar nicht mehr aufhören, selbst wenn sie wollten. Sie sind wie diese Duracel-Häschen, die einfach immer weiterlaufen, selbst wenn man mit dem Hammer draufhaut.
Ich schlitterte mit meinem Herrenfahrrad durch den Matsch und strauchelte. Der Jogger warf mir einen verächtlichen Blick zu, während ihm die Schweißperlen - und was sonst noch an flüssigen Ausscheidungen aus eines Joggers Nase läuft - durch das Gesicht rannen. Selbst in der guten, gesunden morgendlichen Waldluft konnte ich seine Knoblauch und Alkoholfahne riechen.