Marc und die Vergangenheit - Patricia Vandenberg - E-Book

Marc und die Vergangenheit E-Book

Patricia Vandenberg

0,0

Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Woran erinnert er mich bloß, dachte Dorthe Harling, als Marc Jonasson die Praxis Dr. Norden betrat. Sie sah ihn erst zum zweiten Mal, denn Marc brauchte selten einen Arzt. Gut sah der junge Mann aus, ein starker Typ, wie Franzi sagte, und das mußte Dorthe bestätigen. Marc studierte Gesang und Klavier an der Hochschule für Musik, das wußte Dorthe von Dr. Norden, dem sie beim ersten Besuch von Marc schon gesagt hatte, daß er sie an jemanden erinnere. Marc war mit ein paar Freunden beim Segeln gewesen und hatte sich eine ziemliche Erkältung dabei geholt. Das konnte er für seine Stimme überhaupt nicht gebrauchen, da er ab September im Rundfunkchor aushelfen sollte, und das war für ihn ein ganz hübscher Verdienst. Ihm ging es zwar bedeutend besser als den meisten Studenten, weil seine Mutter Mitinhaberin einer Möbelfabrik war und selbst noch sehr aktiv als Innenarchitektin. Er konnte in einem schönen Zuhause leben, aber wollte auch nicht ganz von seiner Mutter abhängig sein, die er über alles liebte, und die ein wenig enttäuscht gewesen war, daß er sich für einen künstlerischen Beruf entschieden hatte. Er wollte ihr zeigen, daß es ihm ernst war mit seinem Berufsziel und nicht nur eine Laune, weil er schon immer eine hübsche Stimme hatte und sehr musikalisch war. Dr. Norden redete nun schon beruhigend auf den jungen Mann ein, den er schon lange kannte. »Sie müssen Geduld haben, Marc, mit einem entzündeten Kehlkopf ist nicht zu spaßen.« »Dann geht mir der Job flöten«, sagte Marc bekümmert. »Und es wäre für mich auch sehr gut gewesen, neue Kontakte anknüpfen zu können.« »Aber wenn Sie krächzen, würden Sie sich auch keinen Gefallen tun«, sagte Dr. Norden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 144

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Norden Bestseller – 288 –

Marc und die Vergangenheit

Patricia Vandenberg

Woran erinnert er mich bloß, dachte Dorthe Harling, als Marc Jonasson die Praxis Dr. Norden betrat. Sie sah ihn erst zum zweiten Mal, denn Marc brauchte selten einen Arzt.

Gut sah der junge Mann aus, ein starker Typ, wie Franzi sagte, und das mußte Dorthe bestätigen.

Marc studierte Gesang und Klavier an der Hochschule für Musik, das wußte Dorthe von Dr. Norden, dem sie beim ersten Besuch von Marc schon gesagt hatte, daß er sie an jemanden erinnere.

Marc war mit ein paar Freunden beim Segeln gewesen und hatte sich eine ziemliche Erkältung dabei geholt. Das konnte er für seine Stimme überhaupt nicht gebrauchen, da er ab September im Rundfunkchor aushelfen sollte, und das war für ihn ein ganz hübscher Verdienst. Ihm ging es zwar bedeutend besser als den meisten Studenten, weil seine Mutter Mitinhaberin einer Möbelfabrik war und selbst noch sehr aktiv als Innenarchitektin. Er konnte in einem schönen Zuhause leben, aber wollte auch nicht ganz von seiner Mutter abhängig sein, die er über alles liebte, und die ein wenig enttäuscht gewesen war, daß er sich für einen künstlerischen Beruf entschieden hatte. Er wollte ihr zeigen, daß es ihm ernst war mit seinem Berufsziel und nicht nur eine Laune, weil er schon immer eine hübsche Stimme hatte und sehr musikalisch war.

Dr. Norden redete nun schon beruhigend auf den jungen Mann ein, den er schon lange kannte.

»Sie müssen Geduld haben, Marc, mit einem entzündeten Kehlkopf ist nicht zu spaßen.«

»Dann geht mir der Job flöten«, sagte Marc bekümmert. »Und es wäre für mich auch sehr gut gewesen, neue Kontakte anknüpfen zu können.«

»Aber wenn Sie krächzen, würden Sie sich auch keinen Gefallen tun«, sagte Dr. Norden. »Wann sollten Sie anfangen?«

»Nächste Woche.«

»Bis dahin können wir weitersehen, aber Sie sollten nichts erzwingen, sonst kann es bös ausgehen.«

Weil Marc Dr. Norden sehr schätzte, wußte er auch, daß er nie zu schwarz malte, aber so verließ er denn diesmal mit gesenktem Kopf die Praxis. Dorthe blickte ihm sinnend nach, und dann sagte sie plötzlich: »Ich hab’s.«

»Was haben Sie?« fragte Dr. Norden.

»Mit wem Herr Jonasson Ähnlichkeit hat.«

»Lassen Sie es mich wissen, Dorthe?« fragte Dr. Norden neckend.

»Freilich. Mit Frederic Varnhagen, dem Schauspieler.«

»Kenne ich nicht«, sagte Dr. Norden.

»Weil Sie nicht ins Kino gehen.«

»Ich kenne ihn auch nicht«, sagte Franzi.

»Er war wohl auch mehrere Jahre in Amerika«, sagte Dorthe.

Marc Jonasson ahnte an diesem Tag noch nicht, welche Bedeutung diese Ähnlichkeit bald für ihn bekommen sollte. Als er heimkam, wartete seine Mutter bereits mit dem Essen auf ihn.

»Was für eine trübe Miene, Marc«, sagte Liane Jonasson aufmunternd. »Es gibt Sauerbraten, und der ist ganz köstlich. Du mußt Zenzi besonders loben.«

»Ich habe trotzdem keinen Appetit, Ma«, erwiderte er. »Ich soll meine Stimme immer noch schonen.«

»Davon geht doch die Welt nicht unter, Marc«, sagte Liane. »Du kannst dir doch Zeit lassen.«

»Es wäre doch aber eine tolle Chance gewesen und auch ein guter Verdienst.«

»Kommst du mit dem Geld nicht aus? Du brauchst es doch nur zu sagen.«

»Darum geht es doch nicht, Ma. Ich möchte selbst etwas verdienen.«

»Okay, das sehe ich ein, aber das wird auch noch kommen. Deine Gesundheit ist doch wirklich wichtiger. Inzwischen kannst du Klavier üben.«

Liane Jonasson hatte eine optimistische Einstellung zum Leben, und auch eine realistische. Sie war seit drei Jahren verwitwet. Gregor Jonasson war auch ein nüchterner Unternehmer gewesen, und von ihm hatte sie viel gelernt. Gregor hätte es bestimmt gern gesehen, wenn Marc in das Familienunternehmen eingestiegen wäre, und auch seinem Teilhaber Robert Schelling wäre das recht gewesen, aber er hatte auch nichts dagegen gehabt, als Marc schon ziemlich früh erklärte, daß er Musik studieren wolle, und gleich nach dem Abitur hatte er damit auch angefangen.

»Architektur ist auch ein künstlerischer Beruf, Marc«, sagte Liane nebenbei, als er nun doch aß und dabei einen ganz guten Appetit entwickelte. Ihm mußte man gut zureden, das war auch schon früher so gewesen.

»Willst du mich zur Umkehr bewegen, Ma?« fragte er.

»Nein, gewiß nicht, aber man sollte immer mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Ein Sänger muß mit gewissen Schwierigkeiten rechnen.«

Sie betrachtete ihn mit aller Diskretion. Sie konnte sich ihren Sohn noch immer nicht auf der Bühne vorstellen, sie wollte es nicht, obgleich auch sie früher mal solche Ambitionen gehabt hatte. Darüber hatte sie aber nie gesprochen. Sie war ihren Weg gegangen, war jetzt eine sehr bekannte und vielbeschäftigte Innenarchitektin und konnte auch in der Fabrik mitreden. Wenn ihr das jemand gesagt hätte, als sie die Schule verlassen hatte, mit großen Flausen im Kopf, hätte sie ihn ausgelacht. Aber das wollte sie aus ganz bestimmten Gründen Marc gegenüber nicht als Argument anführen.

Zwischen ihr und ihrem Sohn herrschte eine ideale Beziehung. Die gegenseitige Zuneigung war stark und unerschütterlich, ohne daß damit von einer Seite Forderungen verknüpft waren.

»Geh spazieren bei dem schönen Wetter, Marc«, schlug sie vor, »bummele ein bißchen herum, dann kommst du auf andere Gedanken. Und wenn du dich schonst, wird es dir schon bald bessergehen.«

Er warf ihr einen schrägen Blick zu. »Deinen Optimismus möchte ich haben, Ma«, sagte er.

»Man muß immer das Bestmögliche aus seinem Leben machen, Marc, dann hat man auch die richtige Einstellung.«

Marc bewunderte seine Mutter. Ihm erschien sie vollkommen. Sie war schön und klug, wo fand man das schon.

Liane hatte es nicht gern, wenn man sie schön fand. Sie war eine Frau von Format, aber sie legte auch keinen Wert darauf, bewundert zu werden. Sie war dreiundvierzig Jahre alt und wollte auch nicht jünger eingeschätzt werden, obgleich man ruhig einige Jahre wegstreichen konnte. Sie war Mutter eines zweiundzwanzigjährigen Sohnes, auf den sie stolz war.

»Ich muß an die Arbeit, Bub«, sagte sie, »aber da fällt mir gerade ein, daß du mich übermorgen nach Genf begleiten könntest. Ich habe dort zu tun, und für dich wäre es doch eine nette Abwechslung. Wir könnten dann das Wochenende dranhängen.«

»Nichts dagegen einzuwenden«, erwiderte er.

»Na, siehst du, wie gut es ist, wenn du mal Zeit für deine Mutter hast«, sagte sie. Dann fuhr sie ihm mit der Hand durch das dichte kastanienbraune Haar und verließ schnell das Zimmer und gleich darauf auch das Haus.

Marc ging zu Zenzi in die Küche. Sie war schon vor seiner Geburt bei Gregor Jonasson gewesen, der fünfzehn Jahre älter gewesen war als seine Frau und sich gar nicht leicht zu einer Heirat hatte entschließen können. Zenzi hatte es Marc schon ein paarmal erzählt. Sie ging auf die Siebzig zu, war aber noch sehr rüstig. Nur das, woran sie sich gern erinnerte, wurde immer wieder erzählt. Und sie sagte auch, wie glücklich sie gewesen sei, als dann die schöne junge Frau ins Haus gekommen wäre und bald auch das Baby. Für Zenzi war Marc immer noch der kleine Junge, den sie bemuttern mußte, dem sie alle Leibspeisen kochte.

»Was hat denn der gute Dr. Norden gesagt; Jungchen?« fragte sie.

»Daß ich mich schonen muß«, erwiderte Marc mit betrübter Miene.

»Wer weiß, wofür es gut sein mag«, meinte Zenzi.

»Jedenfalls dafür, daß ich übermorgen mit Ma nach Genf fliege und wir das Wochenende bleiben werden.«

»Dann könnte ich ja mal wieder nach Straubing fahren«, sagte Zenzi. »Wenn es gestattet ist «

»Ma hat bestimmt nichts dagegen, Zenzi. Du nimmst dir ja eh nie frei.«

»Was soll ich auch schon groß tun? Rumflanieren? Dazu bin ich doch schon zu alt. Mal zum Friseur gehen und die Haare zurechtschneiden lassen, das muß ja sein. Ich könnte nimmer mit einem Dutt zurechtkommen.«

»Würde dir auch gar nicht stehen. Du siehst hübsch aus mit deinem Lockenkopf.«

»Ja, die krausen Haare sind mir geblieben. Der krause Sinn ist mir früh vergangen«, sagte sie sinnend. »Früher haben sie mich immer geärgert mit dem krause Haare, krauser Sinn, und irgendwie mag es auch stimmen, Marc. Unbedingt wollte ich nach München, in die Stadt, nur nicht auf dem Land leben. Und tanzen wollte ich gehen und mir einen feschen Mann suchen. Und dann habe ich festgestellt, daß es gar nicht so einfach ist, alles zu finden, was man sich wünscht. Gehadert hab’ ich deswegen auch, aber heut mein’ ich, daß mir viel erspart geblieben ist, wenn ich mal heimkomm’ und sehe, was die andern alle vom Schicksal für Päckel aufgeladen bekommen haben. Ich habe es sehr gut getroffen. Und Kinder hab’ ich auch nicht vermissen brauchen, weil ich dich hatte.«

»Bist eine ganz Liebe, Zenzi«, sagte Marc und legte seinen Arm um ihre Schultern.

»Du kannst stolz sein auf deine Mutter, einen guten Vater hast auch gehabt, Marc, wenn er auch nicht viel Worte hat machen können.«

»Er war ein sehr guter Vater«, sagte Marc. »Ich werde jetzt zum Friedhof fahren und schauen, ob alles in Ordnung ist.«

»Nimm ein Rosenstöckchen mit. Er hat es immer so gern gehabt auf der Terrasse.«

»Wird nicht vergessen, Zenzi, und heut abend hätt ich gern Zwetschgennudeln, geht das?«

»Freilich geht es, Jungchen, jetzt sind die Zwetschgen grad recht dafür.«

»Und Ma mag sie auch.«

Er drückte ihr einen Kuß auf die immer noch glatte Wange, und da konnten ihre Augen noch mehr blinken.

»Bist auch ein ganz Lieber«, murmelte sie. »Hoffentlich findest auch mal die richtige Frau wie dein Vater.«

*

Marc ging gern auf den Friedhof. Man hatte ihn nie dazu drängen müssen. Er hatte sehr um seinen Vater getrauert, der tatsächlich nie viel Worte gemacht, aber immer da gewesen war, wenn der Junge ihn gebraucht hatte. Da hatte es keine Probleme gegeben, wenn er mal schlechte Noten geschrieben hatte, weil Gregor Jonasson dies gar nicht so wichtig nahm. Erst im Leben mußte man sich behaupten können, war seine Meinung, und meist diejenigen, die in der Schule immer die Ersten waren, bildeten sich dann ein, daß man dies auch später würdigen müsse. Und so war es dann doch nicht ganz.

Marcs Großeltern mütterlicherseits waren in der Steiermark beerdigt worden, und da kamen sie nur zweimal im Jahr hin. Gregors Eltern hatte Marc schon gar nicht mehr kennengelernt, aber auch ihr Grab war auf dem Waldfriedhof, und das besuchte Marc auch. Der Frieden, der hier herrschte, gefiel ihm. Die laute Stadt während der Verkehrszeit mied er. Die vielen Geräusche taten seinem empfindlichen Gehör weh.

Und dann blieb er vor manchen Gräbern stehen, in denen junge Menschen begraben worden waren und überlegte, woran sie wohl gestorben sein mußten. Wenn er dann den Friedhof verließ, war er doppelt froh, leben zu dürfen. Und so war er auch heute innerlich wieder zufriedener, als er die einsamen Wege wanderte bis zum Grab seines Vaters.

»Hättest nicht so schnell gehen müssen, Paps«, sagte er leise vor sich hin. »Du würdest schon noch gebraucht. Und jetzt könnte ich auch vernünftig mit dir darüber reden, ob es dir nicht doch lieber gewesen wäre, ich hätte Architektur studiert und in der Firma gearbeitet. Ma wäre es bestimmt lieber. Sie sagt es nicht, aber ich kann es ihr aus den Augen lesen.«

Er stellte das Rosenstöckchen an den Grabstein. Im nächsten Jahr wäre Gregor Jonasson sechzig Jahre alt geworden. Kurz nach seinem sechsundfünfzigsten Geburtstag war er gestorben, und er hatte niemand spüren lassen, wie lange er schon krank war.

Marc konnte aber nicht sagen, warum es ihm an diesem Tag so besonders wehmütig ums Herz wurde, wenn er an jenen Tag zurückdachte an dem Gregor seine Augen für immer geschlossen hatte.

In Gedanken versunken ging er weiter, und da rief eine zarte Stimme leise seinen Namen. Ein schlankes, zierliches Mädchen war an die zwei Meter von ihm entfernt stehengeblieben.

»Annabel«, sagte er staunend, »was machst du hier? Ich denke, du bist in Bonn?«

»Es ging nicht mehr. Ich bleibe jetzt bei meiner Omi. Mein Vater hat wieder geheiratet. Ach, ich mag nicht darüber reden.«

Er hatte ihre Hand ergriffen. »Warum denn nicht, Annabel? Wir kennen uns doch schon lange. Komm, wir gehen ein Stück. Wir brauchen uns ja nicht gerade hier zu unterhalten.«

Annabel Römers Mutter war schon im Alter von fünfunddreißig Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen. Ein betrunkener Autofahrer hatte ihr die Vorfahrt genommen und ihr Auto so gerammt, daß sie noch an der Unfallstelle starb. Es war fünf Jahre her. Annabel war fünfzehn und mit Marc zusammen gerade in der Tanzstunde gewesen. Noch zwei Jahre war sie in München geblieben, dann war ihr Vater nach Bonn gegangen und hatte sie mitgenommen. Aber jedes Jahr hatte sie ihre Großmutter besucht und dann auch Marc getroffen.

Sie war ein apartes Mädchen mit silberblondem Haar und violetten Augen, die von einem Kranz langer schwarzer Wimpern umgeben waren. Und diese Augen blickten Marc jetzt traurig an.

»Es kommt so vieles anders, als man es sich vorstellt«, sagte sie leise. »Ich habe mich immer gut mit meinem Vater verstanden, bis Francesca in sein Leben trat. Seither existiert nur noch sie für ihn. Sie ist gerade sechs Jahre älter als ich. Kannst du das verstehen?«

»Es ist schwer zu sagen, Annabel. Auch Männer haben wohl eine Midlifecrisis. Ich habe neulich mal einen interessanten Artikel darüber gelesen.«

»Ich hätte ja nichts dagegen gehabt, daß er wieder heiratet, aber es hätte ja nicht unbedingt so eine junge überspannte Person sein müssen. Und er war sogar heilfroh, als ich sagte, ich würde lieber wieder nach München gehen. Er war sogar so großzügig, mir zu gestatten, daß ich wählen könnte, was ich werden wolle, dabei hatte er mich doch unbedingt als Simultandolmetscherin ausbilden lassen wollen. Omi äußert sich sogar zufrieden, weil ich nun wieder bei ihr bin, und Geld bekomme ich auch genug. Findest du mich ungerecht, Marc?«

»Nein, du hast deinen Standpunkt, und dein Vater hat seinen. Vielleicht bereut er ihn mal, aber das kann man nie vorher sagen, Annabel. Schau, mein Vater war auch fünfzehn Jahre älter als Ma.«

»Mein Vater ist aber zwanzig Jahre älter als Francesca und hat eine erwachsene Tochter, und er hatte eine liebenswerte Frau.«

Tränen stiegen ihr in die Augen. Marc legte seinen Arm um ihre schmale Taille. So waren sie auch als Teenager schon gegangen.

»Es ist schlimm, wenn man einen geliebten Menschen verliert, Annabel«, sagte er leise, »aber das Leben geht weiter.«

»Will deine Mutter wieder heiraten?« fragte sie. Er schrak zusammen. Dieser Gedanke war für ihn auch plötzlich beklemmend.

»Nein«, erwiderte er heftig. Sie sah ihn aufmerksam an. »Und wenn sie es doch tun würde?«

»Ich kann es mir nicht vorstellen. Ma ist auch viel zu selbständig.«

»Ich bewundere deine Mutter, Marc. Sie ist eine großartige Frau. Ich würde auch gern Architektin werden. Meinst du, daß sie mir weiterhelfen würde, beziehungsweise mir Hinweise geben könnte, welches der beste Weg ist?«

»Du kannst doch mit ihr sprechen, Annabel. Sie würde sich bestimmt darüber freuen, da ihr Sohn ja einen ganz anderen Weg geht.«

»Und kommst du voran?« fragte sie.

»Zur Zeit muß ich pausieren, weil ich eine Kehlkopfentzündung habe. Ich hätte im Rundfunkchor singen können, das fällt flach. Aber ich fliege mit Ma jetzt übers Wochenende nach Genf, und danach können wir ja eine Verabredung treffen. Okay?«

»Ja, lieb von dir, daß du gleich bereit bist.«

»Ist doch selbstverständlich, Annabel. Ich freue mich, daß wir uns nun öfter sehen können, sofern du willst.«

»Hast du keine Freundin?« fragte sie.

»Nein, ich lasse mir Zeit. Aber du und ich, wir sind doch Freunde, oder siehst du es nicht so?«

»Doch, wenn du es auch so siehst«, sagte sie und lächelte und gleich sah sie noch viel anmutiger aus.

»Ich bin jetzt richtig froh, wieder hier zu sein«, sagte sie. »Es hat sich wenigstens nicht viel verändert. Dr. Norden betreut Omi auch immer noch. In Bonn wäre er bestimmt schon Prominentenarzt.«

»Ich glaube nicht, daß er das sein möchte«, sagte Marc nachdenklich. »Er ist so, wie man sich einen guten Arzt vorstellt, und er ist ein großartiger Mensch. Ich bin ja auch bei ihm in Behandlung.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, dann fragte Marc, ob sie noch ein Eis essen gehen könnten.

»Gern«, erwiderte Annabel.

Er nahm ihre Hand, und so gingen sie weiter, sahen sich ab und zu mal an und lächelten.

»Es ist komisch«, sagte Annabel gedankenverloren.

»Daß wir uns getroffen haben?«

»Das auch, aber diese Ähnlichkeit, die du mit Varnhagen hast. Ich habe in Bonn noch einen Film mit ihm gesehen, einen amerikanischen Film, aber jetzt fällt es mir erst richtig auf, daß du ihm ähnlich siehst.«

»Ich habe noch keinen Film mit ihm gesehen, aber ich habe gelesen, daß er einen in München drehen wird. Er ist wohl ziemlich bekannt.«

»Das kann man sagen, ein großartiger Schauspieler.«

»Dann kann ich es ja als Kompliment betrachten, daß ich ihm ähnlich sehe«, lächelte Marc.

»So was soll es ja öfter geben«, lachte sie leise. »Aber ich bin ganz froh, daß du immer noch der gleiche Marc bist wie früher.«

»Du bist aber noch viel hübscher geworden«, sagte er.

»Ich wünschte, ich könnte feststellen, daß ich klüger geworden bin«, sagte sie.

»Das bist du ganz bestimmt auch, Annabel. Weißt du, ich denke, wir beide haben uns bisher noch nie selbst bestätigen müssen, was wirklich in uns steckt. Es ist uns immer sehr gut gegangen, Annabel.«

»Das stimmt, aber das macht anscheinend auch überheblich.«

»Meinst du?« fragte er bestürzt. »Mache ich auf dich diesen Eindruck?«