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Ich sprang von meinem Pferd und lief zu der reglosen Gestalt hin. Neben ihr am Boden lag eine alte Sharps. Mit ihr hatte der Bursche wohl den Schuss abgegeben, der mich mobilisiert hatte. Ich kniete bei dem Jungen ab. Er hatte die Augen geschlossen, sein Mund hingegen war halb geöffnet. Und er atmete; als ich es feststellte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Da er auf dem Rücken lag, konnte ich das viele Blut auf seiner Hemdbrust sehen. Es begann schon einzutrocknen, was mir sagte, dass die Wunde nicht mehr blutete.
Ich fragte mich nicht, was geschehen sein mochte, sondern wurde nur noch von dem fast fiebrigen Verlangen geleitet, diesem jungen Burschen zu helfen.
Cover: Steve Mayer
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Band 9
Marshal Logan – ein Stern am Abgrund
Western von Pete Hackett
U.S. Marshal Bill Logan – die neue Western-Romanserie von Bestseller-Autor Pete Hackett! Abgeschlossene Romane aus einer erbarmungslosen Zeit über einen einsamen Kämpfer für das Recht.
Ein CassiopeiaPress E-Book
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© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Ich befand mich in der Nähe von Jericho, etwa zwei Meilen südlich des McClellan Creeks, und mein Ziel hieß Amarillo. Bei einem Bach, der in nördliche Richtung floss und irgendwo in den McClellan Creek mündete, saß ich ab, und während mein Pferd, ein gescheckter Grulla-Hengst, seinen Durst zu löschen begann, wusch ich mir Staub und Schweiß aus dem Gesicht. Der Tag war sehr warm, Schwärme von kleinen Stechmücken setzten mir und dem Pferd zu. Es war später Nachmittag und die Sonne stand schon weit im Westen. Bis Amarillo hatte ich noch etwa fünfzig Meilen zurückzulegen. Am späten Nachmittag oder Abend des kommenden Tages wollte ich zu Hause sein.
Ich kam von Shamrock herüber, wo es wieder einmal Krach zwischen Viehzüchtern und Siedlern gegeben hatte. Es war mir gelungen, die Streitigkeiten beizulegen, ohne dass Blut geflossen ist. Wobei ich mit einem unguten Gefühl die Gegend verlassen hatte. Oberflächlich hatte ich für Ruhe gesorgt, unter der Oberfläche aber brodelte und gärte es wie im Leib eines Vulkans. Und der geringste Anlass konnte für einen eruptiven Ausbruch sorgen.
Am Vortag, um die Mittagszeit, war ich aufgebrochen. Die Nacht hatte ich im Freien verbracht. Ich war stoppelbärtig, der feine Staub der Staked Plains war unter meine Kleidung gekrochen und scheuerte auf meiner Haut, er knirschte sogar zwischen meinen Zähnen und hatte meine Augen entzündet. Ich freute mich schon auf ein Bad in Amarillo.
Das frische Wasser tat gut auf der Haut. Ich trocknete mit dem Halstuch mein Gesicht, dann schöpfte ich mit den hohlen Händen Wasser, spülte mir den Mund aus und trank schließlich. Der kühle Trunk belebte mich. In dem Moment, als ich mich aus meiner kauernden Stellung hochdrückte, hörte ich den verwehenden Klang eines Schusses. Sofort war ich hellwach und jeder meiner Sinne begann zu arbeiten. Fast reglos stand ich am Ufer, das linke Ohr hatte ich in die Richtung gedreht, aus der der Schuss gekommen war, voll Anspannung lauschte ich.
Das Land, in dem ich mich befand, war so gut wie unbewohnt, abgesehen von dem kleinen Ort Jericho, der erst vor wenigen Jahren von einem Mann gegründet worden war, der eigentlich nach Westen wollte, der aber hier, an einem schmalen Nebenfluss des McClellan Creeks aufgegeben hatte und geblieben war. Einige Meilen weiter nördlich, am Fluss, gab es einige Siedlungsstätten, doch das Farmland reichte nicht so weit nach Süden.
Ein Schuss konnte verschiedene Gründe haben. Es konnte sich jemand ein Abendessen geschossen haben, er konnte aber auch auf einen Menschen abgefeuert worden sein. Es war aber auch möglich, dass jemand in Not geraten war und mit dem Abfeuern von Schüssen auf sich aufmerksam machen wollte.
Es blieb still.
Aber ich konnte den Schuss nicht ignorieren. Denn ich musste die Möglichkeit einkalkulieren, dass jemand den Schuss abgegeben hatte, der ein Problem hatte. Also stieg ich aufs Pferd und lenkte es nach Norden, von wo die Detonation herangesickert war. Das Gewehr hielt ich in der Hand, ich hatte es mit der Kolbenplatte auf meinem Oberschenkel abgestellt.
Ich war voll konzentriert. Mein Blick suchte das Terrain vor mir und zu beiden Seiten ab. Das Gebiet war hügelig, auf den Hügelflanken wuchsen hüfthohes Gras und Büsche, dazwischen waren große Flecken Sand und Geröll. Rechter Hand schwang sich ein Abhang nach oben und ich versprach mir von dem Hügelrücken aus einen besseren Rundblick. Der Hengst trug mich also die Anhöhe empor, oben parierte ich ihn und ließ meinen Blick schweifen.
Nach Norden erstreckte sich eine baumlose, aber mit Strauchwerk bewachsene Senke, die schon nach etwa dreihundert Yards wieder von Hügelketten begrenzt wurde. Und mitten in dieser Senke stand ein Pferd. Es trug einen Sattel, aber von dem Reiter sah ich nichts. Da das Gras ziemlich hoch stand konnte ich nicht ausschließen, dass der Reiter am Boden lag. Ich trieb mein Pferd an und ließ es in die Senke traben, darauf eingestellt, gegebenenfalls gedankenschnell zu reagieren.
Die Anspannung meiner Nerven ließ nach, als ich mich dem Pferd auf drei Pferdelängen genähert hatte und die Gestalt am Boden liegen sah. Bei dem Tier handelte sich um eine knochige Stute, die mir mit geblähten Nüstern entgegenwitterte und mit den Ohren spielte.
Bei dem Mann – nein, das war noch kein Mann, das war ein Junge, er war höchstens 17 Jahre alt -, am Boden handelte es sich um ein Halbblut; um einen Afroamerikaner, in dessen Adern das Blut eines oder einer Weißen floss.
Ich sprang von meinem Pferd und lief zu der reglosen Gestalt hin. Neben ihr am Boden lag eine alte Sharps. Mit ihr hatte der Bursche wohl den Schuss abgegeben, der mich mobilisiert hatte. Ich kniete bei dem Jungen ab. Er hatte die Augen geschlossen, sein Mund hingegen war halb geöffnet. Und er atmete; als ich es feststellte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Da er auf dem Rücken lag, konnte ich das viele Blut auf seiner Hemdbrust sehen. Es begann schon einzutrocknen, was mir sagte, dass die Wunde nicht mehr blutete.
Ich fragte mich nicht, was geschehen sein mochte, sondern wurde nur noch von dem fast fiebrigen Verlangen geleitet, diesem jungen Burschen zu helfen. Also holte ich zunächst die Wasserflasche von meinem Sattel, kniete damit bei dem Besinnungslosen ab und flößte ihm vorsichtig Wasser zwischen die trockenen, rissigen Lippen. Etwas von der Flüssigkeit rann über sein Kinn, schließlich aber begann er zu schlucken, seine Lider flatterten, und dann öffnete er die Augen. Er starrte mich mit erloschenem Blick, mit dem geradezu törichten Ausdruck des Nichtbegreifens an, seine Lippen bewegten sich, aus seinem Mund kam jedoch nicht der geringste Laut. Ich gab ihm noch einmal zu trinken, und nun konnte ich beobachten, wie das Leben in seine Augen zurückkehrte.
„Was ist geschehen?“, fragte ich, nachdem ich die Hand mit der Canteen zurückgezogen hatte.
„Reiter“, murmelte der Junge, und das Sprechen bereitete ihm Mühe. „Zehn oder zwölf, sie – sie waren maskiert. Meine Mutter, mein Vater, meine drei Brüder – alle tot. O mein Gott, warum …“
Seine Stimme brach, er begann zu weinen. Die Erinnerung musste fürchterlich sein.
Ich nahm mein Messer zur Hand und schnitt sein Hemd auf. Die Kugel war in seine rechte Brustseite eingedrungen, und zwar ziemlich hoch, zwei Fingerbreit unter dem Schlüsselbein. Er hatte viel Blut verloren, und den Schuss, der mich alarmierte, hatte er wahrscheinlich mit letzter Kraft abgegeben, ehe er bewusstlos vom Pferd gefallen war.
„Wo kommst du her?“, fragte ich.
Er rollte mit den Augen und es sah aus, als kämpfte er gegen heftiges Schwindelgefühl an. „Farm am McClellan Creek“, stammelte er dann. „Ich – ich heiße Henry Allison.“