Massimiliano Dolce Vita auf leisen Pfoten (illustrierte Ausgabe) - Martina Naubert - E-Book

Massimiliano Dolce Vita auf leisen Pfoten (illustrierte Ausgabe) E-Book

Martina Naubert

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Beschreibung

Illustrierte Ausgabe, inkl. Kurzgeschichte Verliebt in Rom Es scheint ein eigenwilliger, aber liebenswerter Kater zu sein, der sein neues Zuhause bei der deutschen Lisa sucht, die für ihre Firma drei Jahre in Italien arbeiten wird. Doch während die junge Frau nach ihrer Ankunft mit den ersten praktischen und kulturellen Unterschieden zu kämpfen hat, entpuppt sich das kluge Tier als römischer Hausgeist in Designeranzug und Sonnenbrille. Massimiliano verfolgt, ganz Kater, seine eigenen Ziele und setzt dabei, ganz Hausgeist, seine über zweitausend Jahre entwickelten Fähigkeiten geschickt ein, um Lisas Liebesleben nach seinem Gusto zu gestalten. Eine humorvolle Liebeskomödie in Italien mit spritzigen Dialogen über kulturelle Missverständnisse, in welcher ein eleganter Hausgeist als Kater im Designeranzug herum spukt.

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Gewidmet der kulturellen Vielfalt Europas

Besonderen Dank an Claudi, Sieglinde, Gundel, Uschi, Ursula und Tanja, die mir bei der Bearbeitung der Geschichte mit ehrlichem Rat zur Seite standen.

Über das Buch

Illustrierte Ausgabe, inkl. Kurzgeschichte „Verliebt in Rom“

Es scheint ein eigenwilliger, aber liebenswerter Kater zu sein, der sein neues Zuhause bei der deutschen Lisa sucht, die für ihre Firma drei Jahre in Italien arbeiten wird. Doch während die junge Frau nach ihrer Ankunft mit den ersten praktischen und kulturellen Unterschieden zu kämpfen hat, entpuppt sich das kluge Tier als römischer Hausgeist in Designeranzug und Sonnenbrille. Massimiliano verfolgt, ganz Kater, seine eigenen Ziele und setzt dabei, ganz Hausgeist, seine über zweitausend Jahre entwickelten Fähigkeiten geschickt ein, um Lisas Liebesleben nach seinem Gusto zu gestalten. Eine humorvolle Liebeskomödie in Italien mit spritzigen Dialogen über kulturelle Missverständnisse, in welcher ein eleganter Hausgeist als Kater im Designeranzug herum spukt.

Über die Autorin

Martina Naubert hat sich in dem Land niedergelassen, welches der Deutschen liebstes Reiseziel ist: Italien. Sie wurde 1960 in Kanada geboren, wuchs in Neumarkt i.d.Opf auf, ist viel gereist und siedelte schließlich im Jahre 2007 nach Bologna über. Die Ausbildung in Transaktionsanalyse beeinflusst ihre Arbeit maßgeblich. Fantasie und Spielerisches sind dabei Kernthemen ihrer Bücher, in denen trotz tieferem Sinn Unterhaltung auf keinen Fall zu kurz kommt. Sie arbeitet heute als Beraterin für Personalentwicklung und veröffentlicht ferner Märchen zur Entwicklung der Persönlichkeit auf Basis der Transaktionsanalyse.

Humorvolle deutsch-italienische Liebeskomödie in Italien mit Kater, Liebe und Geist

„Die Menschheit lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben Benachteiligte.“

Francesco Petrarca (Ital. Gelehrter 1304-1374)

„Das Geist-Erschaffene ist lebendiger als die Materie.“

Charles Baudelaire (Franz. Dichter 1821-1867)

„In zweitausend Jahren habe ich manche Liebesbeziehung entstehen und enden, und allerlei Windhunde Frauenherzen brechen sehen. Die Methoden haben sich nicht geändert, diese Typen sind erstaunlicherweise wenig einfallsreich. Aber das müssen sie auch nicht sein, es funktioniert ja noch immer zuverlässig.“

Massimiliano (Römischer Hausgeist und Kater)

Inhaltsverzeichnis

Ankunft in Bologna (Einleitung)

Ritual am Morgen

Massimiliano

Spannungen

Weichgekocht

Aufgebläht

In den Grundfesten erschüttert

Streik

Einfalt

Neues Konzept

Einladung mit Hintertür

Schockierendes

Flexibilität

Ausländer unter sich

Che bravo!

Immerhin

Bekenntnis

So wie wir sind

Phantom

Haus des Fauns

Verliebt in Rom

Ankunft in Bologna (Einleitung)

Ich ziehe meinen kleinen Rollkoffer aus dem Zug und sehe mich auf dem Bahnsteig kurz um. Alle eilen in eine Richtung.

Kurzerhand folge ich dem Strom der Menschen, die Treppen hinunter und wieder hinauf und lande in einer Bahnhofshalle. Gedrängte Gruppen unbeweglicher Personen starren auf die große Anzeigetafel über den runden Toren und versperren den Weg.

Wie viele andere Reisende bleibe auch ich stehen, folge verwundert ihrem Blick.

„Ma, insomma!“,1 mault eine ungehaltene Frauenstimme direkt hinter mir und drängt sich unsanft an mir vorbei. Sie zieht mit ihrem enormen Koffer einen Faden aus meinem neuen Sommerkleid, was ich auch gerne mit „Ma, insomma!“ kommentieren würde, aber meine Reaktion in der neuen Sprache ist noch nicht so schnell.

Ich werfe ihr einen finsteren Blick hinterher, aber das sieht sie natürlich nicht.

Vergeblich versuche ich, den Faden wieder an Ort und Stelle zu bringen, es bleibt jedoch ein kleines Loch. Dabei habe ich für dieses extravagante, viel zu teure Sommerkleid eines italienischen Modelabels extra ein wenig abgenommen, damit ich mit der Größe achtunddreißig in das modisch anspruchsvolle Ambiente Italiens passe. Ich hätte doch ein billigeres Kleid für diese Reise wählen sollen!

Plötzlich löst sich ein Pulk Personen aus der Unbeweglichkeit und hastet mit klapperndem Kofferrollen der Treppe zu den Bahngleisen entgegen. Auf der Anzeigetafel ist die Bahnsteignummer für den Zug nach Milano erschienen. Alle anderen Züge sind noch keinem Abfahrtsgleis zugeordnet und halten dadurch ihre zukünftigen Reisegäste im Zaum.

Welch seltsame Organisation, denke ich für mich und drehe mich in Richtung Hauptausgang. Ich werde diesen Gedanken in den nächsten Wochen und Monaten vermutlich noch häufiger haben.

Ich schlängle meinen kleinen Rollkoffer im Slalom durch die Stehenden in Richtung strahlender Sonne und Großstadtlärm.

In Erwartung historischer Gebäude mit einladenden Straßencafés und schick gekleideten Menschen auf den Gehsteigen schreite ich aus dem Portal.

Mein Blick fällt auf ein Hotel in modernem Baustil mit eckigen Säulen, die ein wenig an kommunistische Plattenbauten erinnern. Es schmiegt sich ein zweites Hotel an dieses erste, welches den primären Eindruck ein wenig beschönigt: Belle Époque2 in Terrakotta. Immerhin. Beide Bauten verankern sich an der vierspurigen Straße mit Arkaden, in die Kioske für Kaffee, Getränke oder Zeitschriften eingelassen sind. Nichts davon ist wirklich historisch beachtenswert oder mediterran einnehmend. Es ist eher Bahnhofsviertel.

Das ist also Bologna.

Hier werde ich die nächsten Jahre leben.

Meine erste Enttäuschung könnte nicht größer sein. So hatte ich Italien aus meinen zahlreichen Urlaubsreisen nicht in Erinnerung!

Ich beschließe, mich nicht entmutigen zu lassen und mich stattdessen sofort mit meiner neuen Heimatstadt ein wenig vertraut zu machen. Geschwind tippe ich meine neue Adresse in mein Handy. Bei solch schönem Wetter will ich die wenigen Schritte zu meiner angemieteten Altbauwohnung nahe Zentrum durch einige der viel gerühmten Arkaden laufen. Die Stadt soll - laut Reiseführer - fünfundvierzig Kilometer davon haben.

Die Stimme meines Navis dirigiert mich vorwärts.

Ich folge ihr über eine kleine piazza, vorbei an einer robusten, isoliert stehenden porta3 in die belebte Geschäftsstraße der Via Indipendenza4 und tauche in den ersten Arkadenflur ein.

In sanften Erdtönen gehaltene Rundbögen leiten mich über immer wieder wechselnde Mosaikböden aus den fünfziger Jahren, vorbei an Geschäften und Bars. In Bologna kann man bei Hitze, Regen und sogar Schneetreiben trockenen Fußes shoppen. Auch das hat mir mein Reiseführer vorhergesagt.

Dieser Anblick versöhnt mich wieder. Denn hier sind sie: Die schick gekleideten Geschäftsmänner, die eleganten Frauen, die jungen Studenten in den Cafés und die lange Reihe der Geschäfte, von deren Auslagen eine modischer ist als die andere. Die neben Heidelberg älteste Universität Europas hält die Stadt jung und das sieht man.

Ich fühle mich in dieser Gesellschaft mit meinen fünfunddreißig Jahren beinahe alt, aber sehr stimuliert.

So hatte ich mir mein neues Leben vorgestellt, als ich die Bewerbung für die Außenstelle unserer Firma in Bologna eingereicht habe: Eintauchen in mediterranes Leben, ein angenehmes Klima, Kultur, neue Menschen, ein anderes Miteinander, dolce vita. Genau!

Die Stimme aus meinem Navi befielt mir aus dem Gewirr lebendiger Shoppingströme in Richtung des Universitätsviertels abzubiegen. Ich gehorche in gespannter Neugierde.

Dort sind die Straßen schlagartig gar nicht mehr elegant und die terracottafarbenen Hauswände mit ihren nichtssagenden Graffitis umso schmutziger. Im Voranschreiten entdecke ich mehr dumme Sprüche und ausdruckslose Schmierereien, also weder Kunst noch Politik. Sie sind einfach nur scheußlich. Dafür aber zahlreich.

Ich versuche, den Eindruck auszublenden. Er passt einfach nicht zu meiner romantischen Vorstellung und zu meinem vor einigen Minuten erlebten Hochgefühl über meine mutige Entscheidung, hierher zu ziehen.

Um zwei weitere Ecken, entlang weniger beeindruckender Arkaden in moderner eckiger Form, tauche ich durch eine schmale Gasse und finde mich auf einer kleinen piazza umrahmt von der alten Kirche San Martino5 auf der einen, und von einem typischen Restaurant der Provinz Emilia-Romagna auf der anderen Seite wieder. Rot-weiß-karierte Tischdecken vor dem Lokal tragen einsatzbereite Weingläser und Gedecke und locken Gäste, sich dort niederzulassen. Ein Farbenmeer an Orange, Rot- und Erdtönen, die sich scharf von dem stechenden Blau des Himmels abheben, umgibt mich. Ich halte einen Moment inne und genieße diesen Platz, lasse meinen Kopf in den Nacken fallen und lächle dem Firmament entgegen. Der Lärm der nahen Geschäftsstraße ist hier fast nicht zu hören.

Es sind zwei gleichzeitig auftretende Geräusche, die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Ein tiefes, um meine Beine schmeichelndes „Miao“ und die Stimme meines Handys, die mir meldet „Sie haben Ihr Ziel erreicht“.

Ein Kater schlingt sich in Achterform um meine Beine und gibt wiederholt ein deutliches „Miao“ mit erhobenem Kopf in meine Richtung, das eher wie ein „Ciao“ klingt. Bis auf einen weißen Fleck, der sich wie ein Kragen rund um seinen Hals zieht, ist sein dunkelgraues Fell glänzend. Er sieht gar nicht nach Straßenkater aus, eher wie eine gepflegte Edelkatze mit Stammbaum.

„Ciao“, antworte ich und streichle ihm kurz den Kopf, während ich neugierig auf das Display meines Handys schiele, um die genaue Hausnummer meiner neuen Adresse nochmals zu überprüfen. Ich drehe mich um die eigene Achse, aber ich sehe keinen Hauseingang.

Ich laufe die kleine piazza einmal komplett ab, gefolgt von meinem Rollkoffer, der über die Pflastersteine holpert und dem Kater, der uns neugierig hinterherschreitet. Auf meiner Runde um den Platz schiele ich beiläufig auf die Menükarte des Restaurants und beschließe, es zu meinem Stammlokal zu machen.

Unverrichteter Dinge komme ich am Ausgangspunkt meines Rundgangs wieder an und lasse die Hand mit meinem Handy entmutigt sinken. Der Kater setzt sich abwartend auf seine Hinterläufe und stellt beide Vorderpfoten artig nebeneinander.

„Das ist wohl dein Revier, he?“, sage ich zu ihm, während ich noch immer mit den Augen die Umrandung dieses Platzes nach einer passenden Haustür absuche.

„Miao!“, macht der Vierbeiner wieder und verschwindet hinter einem stinkenden, großen Müllcontainer, wie man ihn in den Hinterhöfen der Bronx vermutet hätte. Mit diesem Anblick kriecht auch der Gestank in meine Nase.

„Ääähhh...“, mache ich kläglich und weiche vor diesem Fäulnisaroma ein paar Schritte zurück. Aber doch nicht in Italien!

Die Berg- und Talfahrt der mich enttäuschenden und verzückenden Eindrücke auf diesem ersten kurzen Fußweg vom Bahnhof zu meiner neuen Wohnung lässt keine Gelegenheit aus: Krasser könnten die Gegensätze nicht sein.

„Heute kommt der Müllwagen. Deshalb steht der Container hier! Morgen ist er dann wieder da drüben auf der anderen Seite“, erklärt mir eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters mit Löwenmähne und in so hochhackigen Pumps, dass ich über die Frage, wie sie es schafft, sich auf diesen Pflastersteinen nicht die Beine zu brechen, völlig das Objekt des Anstoßes vergesse.

„Laura Boldrini. Wie war Ihre Reise?“, stellt sie sich vor und reicht mir die Hand, die ich lächelnd mit einem „buonasera“ schüttle.

Mein Stolz darüber, dass ich daran denke, dass man kurz nach drei Uhr nachmittags schon „buonasera“ sagt und nicht „buongiorno“, wie es alle dummen Ausländer tun, lässt mich fast um Zentimeter größer werden und damit gefühlt auf Augenhöhe der Highheels kommen. Ich werfe unwillkürlich einen Blick auf meine flachen Sandalen, die zwar bequem, aber in Konkurrenz dieser Modeexemplare völlig unerotische Treter sind.

Meine Immobilienmaklerin, die ich bisher nur vom Telefon kenne, ist nicht im Geringsten beeindruckt.

Sie schwebt in ihrem fließenden Kleid um den Container herum, als wäre es die Showeinlage auf einem Catwalk und winkt mir mit einem Schlüssel.

„Vieni, entra pure!“6

Die nächste Abwärtsfahrt meines inneren Gefühlsbarometers hinterlässt ein laues Knurren in meinem Magen. Meine Wohnung liegt hinter einem stinkenden Müllcontainer! Im Internet war davon natürlich nicht die Rede gewesen und auch Frau Boldrini hat mir die Wohnung in den schillerndsten Farben geschildert, als ich ihr mein Vorhaben, für ein paar Jahre in ihr Heimatland auswandern zu wollen, erzählt habe.

Während ich ihr zögerlich folge, überlege ich schon fieberhaft, wie ich es anstellen werde, mich aus dem dreimonatigen Vertrag wieder herauszuwinden.

Der Kater huscht an uns vorbei und springt die Treppen im Flur hinauf, sobald sich die alte hölzerne Haustür knarrend öffnet. Es ist eher ein Tor als eine Haustür. Verziert durch den Müllcontainer habe ich diesen Eingang auf meinem Rundgang für eine Garageneinfahrt zu einem Hinterhof gehalten und gar nicht in Erwägung gezogen.

Ich sehe mich ein wenig um, gefasst auf weitere Müllcontainer oder ähnlich Abstoßendes zu treffen. Aber mein Blick fällt in einen grünen Innenhof. Rechts davon ist eine Öffnung in die Mauer eingelassen, in welcher eine blitzsaubere, sehr großzügig angelegte alte Steintreppe mit abgetretenen niedrigen Stufen in den ersten Stock führt. Ein geschwungener Handlauf aus matt schimmerndem Holz zeugt von den vielen Händen, die er scheinbar über Jahrhunderte nach oben geleitet hat.

„Wie schön!“, entfährt es mir und ich bleibe wie verzaubert stehen. Die Halle wirkt wie der Eingang zu einem alten palazzo in Venedig.

Signora Boldrini lächelt in selbstbewusstem Kulturstolz.

„Im Hinterhof ist eine alt eingesessene Rechtsanwaltskanzlei“, klärt sie mich auf. „Sie können den kleinen Hofgarten von oben aus dem Fenster genießen. Unter Ihrer Wohnung ist nur dieser Abstellraum.“

Sie zeigt auf eine versteckte Tür unter der Treppe, welche sie dann hüftschwingend emporschreitet.

Ich folge ihr nach oben und blicke dabei beeindruckt auf die neue Handtasche in aktuellstem Design, die vor meiner Nase hin- und herschwingt, bis wir oben angelangt wieder auf einer Höhe vor der Wohnungstür zu stehen kommen.

Der Kater sitzt davor, mit der Nase so dicht vor dem sich zu öffnendem Türspalt, als wäre er der neue Mieter.

„Sie haben eine nette Katze“, bemerke ich, obwohl ich das Tier instinktiv vom ersten Augenblick an als ein männliches erkannt habe.

„Oh, das ist nicht meiner“, antwortet sie. „Ci mancherebbe!7 Ich habe Katzenallergie. Er gehört quasi zur Wohnung.“

„Wie bitte?!“, rufe ich ihr hinterher, weil sie schon durch die geöffnete Tür entschwindet und schwungvoll ein hohes, doppelflügeliges Fenster auf der gegenüberliegenden Seite öffnet.

„Sie können von hier sogar die Wahrzeichen der Stadt sehen, die Asinelli Türme. Naja, vielmehr einen. Den anderen sieht man von hier nicht.“

Meine Umzugskartons stehen verteilt auf dem alten, jedoch edlen Fußboden. Mein Wohlwollen über diesen unerwartet reibungslosen Umzug und den mich überraschenden Anblick meines vollständigen Eigentums, das erstaunlicherweise sogar vor mir in meiner neuen Wohnung eingetroffen ist, stimmt mich schlagartig milde.

Der Kater legt sich in ausgestreckter Länge in den Sonnenstrahl, der durch das geöffnete Fenster auf den alten Steinboden flutet und räkelt sich, bevor er unbeweglich liegen bleibt. Für eine Katze ist das Tier ziemlich groß.

„Sie haben erhebliches Glück mit dieser Wohnung!“, flötet meine Immobilienmaklerin. „Gut renovierte Altbauwohnungen in dieser Lage sind für gewöhnlich unbezahlbar. Aber ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass es dem Eigentümer im Gegenzug wichtig ist, dass Sie dafür kleine Reparaturen selbst und vor allem keine Umstände machen. Deshalb hat er sich auch für Sie als Deutsche entschieden.“

Ich fühle mich in meinem nationalen Stolz geehrt und bin darüber selbst erstaunt, denn mein Ego hält mich in diesem Punkt eher gerne für sehr weltoffen.

„Certo!8“, beruhige ich sie nickend. Natürlich will ich keine Umstände machen.

Ich zeige mit einer Handbewegung auf das Tier und gebe ein eher dümmlich wirkendes „Ähhh ...?“ von mir, um ihren Ausspruch von vorhin wieder aufzugreifen.

Sie ignoriert meinen schwachen Versuch und zeigt mir stattdessen den Gashahn in der Küche, den Sicherungskasten hinter dem Eingang und erklärt mir, wo ich im Hinterhof den Hauptsicherungskasten und den Hauptgashahn für den Notfall finde.

„Ihre Vorgängerin hat ihn hiergelassen“, fügt sie dann mitten in ihre technischen Erklärungen ein. „Was soll ich sagen? Ich habe ihm - trotz meiner Allergie! - ab und zu etwas zu Fressen gebracht. Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen? Però ...9.“

Sie beendet diesen Satz mit Gestik, indem sie ihre Schultern nach oben zieht, die Handflächen öffnet und diese Haltung für einige Sekunden mit einem Grinsen quittiert.

„Von einem Haustier steht aber nichts im Vertrag!“, unternehme ich den erneuten Versuch vorsichtig einzuwerfen, was mir selbst als sehr deutsch und unpassend scheint.

Sie sieht mich auch so an.

„Certo!“, nickt sie wie selbstverständlich. Sie vermittelt mir das Gefühl, dass es ihr gleichgültiger nicht sein könnte.

Dann niest sie demonstrativ. Sie reicht mir den Schlüssel, während sie nach einem Taschentuch kramt.

„Ich rufe Sie Ende der Woche nochmals an, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.“

Und damit steht sie auch schon in der Haustür, putzt sich die Nase, winkt nochmal kurz und entschwindet tänzelnd hinunter.

Der Kater liegt noch immer bewegungslos in der Sonne.

Ich betrachte ihn nachdenklich.

‚Eine Katze gehört nicht ins Haus!’, tönt die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf und ich frage mich, ob ich ihr bereits unwillentlich in dieser Angelegenheit Folge leiste?

„Meinetwegen“, bedeute ich dann mangels anderer Ansprechpartner zu dem Tier. Ich hadere mit mir, weil ich mich auf einmal für etwas verantwortlich fühle, was eindeutig nicht meine Pflicht ist.

„Eine Nacht kannst du bleiben. Morgen sehen wir, was wir mit dir machen.“

Auf dem Gesicht des Katers erscheint ein fast menschliches Grinsen.

1 Kann viele Schattierungen haben: Also wirklich!, unterm Strich, im Mittel betrachtet, geht schon, nicht so gut

2 Franz.: Bezeichnung für Zeitspanne von etwa 30 Jahren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Europa

3 Antikes Stadttor

4 Haupt,- und Einkaufsstraße in Bologna

5 Basilika di San Martino Maggiore, gegründet 1227

6 Kommen Sie! Treten Sie ruhig ein!

7 Das würde gerade noch fehlen

8 Bestimmt! Natürlich! Selbstverständlich!

9 aber, jedoch, auf der anderen Seite

1. Ritual am Morgen

„Andiamo prendere un caffè?“10

Es ist früh morgens.

Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase. Ich blinzle. Meine Augen wollen noch nicht recht aufwachen. Ich gebe das Zwinkern nach einer Weile auf.

Warum scheint mir die Sonne ins Gesicht?

Erst allmählich erinnere ich mich, dass ich gestern in Bologna angekommen bin und dass ich nun drei Monate Zeit haben werde, mich hier einzurichten und die Landessprache so weit zu erlernen, dass ich an meinem neuen Arbeitsplatz im Auslandsbüro meines Arbeitgebers halbwegs nützlich sein werde.

„Allora?“11

Bestimmt ist es einer der Anwälte aus der Kanzlei im Hinterhof? Eine Einladung zu einem schnellen Frühstück in der Bar um die Ecke an irgendeinen Kollegen dringt durch mein offenes Fenster herauf in meine Wohnung? Ich finde diese logische Erklärung in meinem Halbwachzustand sehr einleuchtend.

Es kommt keine Antwort, zumindest höre ich sie nicht.

Ich drehe mich nochmals auf die Seite. Vielleicht hätte ich gestern Abend doch nicht noch alle Sommerkleider in den Schrank und mein Geschirr in die Küchenschränke räumen sollen? Die Reise und der Einzug haben mich ermüdet und jetzt fühle ich es richtig in den Knochen. Vielleicht war es aber auch die halbe Flasche Rotwein, die ich dabei geleert habe?

„Allora?!“

Diesmal kommt die Stimme mit mehr Nachdruck von der anderen Seite meiner Wohnung, ganz sicher nicht aus der Richtung des Fensters.

Meine Augen springen auf.

Mein Blick trifft auf den eines Katers, der vor meinem Bett steht und mich erwartungsvoll ansieht.

Ich setze mich ruckartig auf und bedecke sofort meinen nackten Oberkörper wieder mit dem Laken, als der Kater seine Sonnenbrille senkt und unverhohlen, mit einem fast menschlichen Grinsen auf dem Gesicht, auf meine Brüste schaut.

Wie erstarrt sitze ich, ungläubig auf das Tier blickend, zwischen den zerwühlten Bettdecken. Was war in dem Wein?

Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Er steht noch immer da.

Er rückt seine Sonnenbrille wieder gerade.

„Allora? Andiamo?12“, fragt er mich.

„Eh ...“ Mehr bringe ich nicht zustande.

Ich lasse mich wieder in die Waagrechte fallen und ziehe die Bettdecke über den Kopf. Die Kopfschmerztablette, die ich im Zug eingeworfen habe, kommt mir in den Sinn. Keine gute Kombination mit Alkohol! Ich sollte in meinem Alter schlauer sein.

„Dai, andiamo!“13

Diesmal ist die Stimme bettelnd ungeduldig und sie fügt hinzu: „Steh endlich auf! Ich brauche einen Kaffee!“

Jetzt springe ich aus dem Bett. Jedoch nicht, ohne die Decke vor mich zu halten. Das kann doch nicht wahr sein!

Da steht ein Kater mit Sonnenbrille in einem italienischen Designeranzug vor mir! Er trägt sogar sündhaft teuer aussehende Schuhe, die offensichtlich zu den Raritäten der handgearbeiteten Exemplare zählen.

„Ich weiß, ich weiß“, winkt er lässig ab. „Alle reagieren so, wenn sie hören, wie gut ich deutsch spreche!“

„Ehhhh...“, mache ich noch immer in dem kläglichen Versuch, meine ausgewachsene Irritation in Worte zu fassen.

„Ich war einmal lange Zeit in Bozen, da sprechen alle zwei Sprachen“, erklärt der Kater und nimmt seine Sonnenbrille ab. „Aber es zieht einen doch wieder in die Heimat. Ich bin einfach bolognese14!“

Ich eile ins Badezimmer, werfe mir ein paar Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht, trockne es mangels der noch in Umzugskartons versteckten Handtücher mit meinem Reise-Sommerkleid und blicke mir dabei ernsthaft in die Augen. Mein sonst schmales Gesicht mit gesundem Teint sieht aufgrund Schlafmangels ein wenig verschwollen aus.

Kaffee ist eine gute Idee, denke ich.

Ich ziehe das Kleid, trotz nun stellenweiser Feuchtigkeit, wieder über und binde mein schulterlanges, ein wenig wirres, helles Haar zu einem Pferdeschwanz. Ich sehe zwar noch immer verschlafen aus, aber für einen Kaffee in einer „Bar“15 reicht es.

Vorsichtig öffne ich die Badezimmertür zum Schlaf- und Wohnraum meines 1-Zimmer-Studios. Es ist kein Kater mehr da.

Na also!

Erleichtert atme ich tief durch und schwöre mir inständig, nie wieder Tabletten mit Alkohol zu vermengen. Ich habe die Auswirkungen total unterschätzt! Der Begriff ‚einen Kater haben’ bekommt für mich als Post-Trunkenheitszustand eine ganz neue Dimension.

Auf dem Weg zur Tür ergreife ich meine Geldbörse und meinen neuen Hausschlüssel und halte in meiner Bewegung ruckartig wieder inne.

Der Kater steht wartend dort, mit einer Pfote in der Hosentasche, ein Bein lässig angewinkelt über das andere geschlagen.

Er sagt nichts. Zumindest höre ich nichts.

Das ist immerhin ein Fortschritt, beruhige ich mich nach dieser zu prompten Enttäuschung. Bestimmt wird er ganz verschwinden, wenn ich erst mal einen Kaffee getrunken habe.

Vorsichtig schreite ich weiter auf die Tür zu und behalte ihn dabei streng im Auge, als könnte das Tier mich jederzeit anfallen. Er tritt zur Seite und lässt mich aufschließen.

Vier Sicherheitsriegel und ein dreifach verschließendes Schloss, das dauert. Es ist eine Tür wie zu einem Banksafe.

Ich trete hinaus, er folgt mir.

Ich schließe die Tür von außen wieder ab. Einmal.

Der Kater ist schon die Treppe hinunter zum schweren Tor, bevor ich mich umdrehe. Dort wartet er wieder, weniger lässig, dafür umso ungeduldiger.

Das schwere Tor springt anhand des elektrischen Druckknopfes an der Wand aus der Verriegelung. Ich drücke es auf.

Ein Müllcontainer versperrt mir den Weg und die Sicht auf den kleinen Platz, den ich am Abend zuvor so unglaublich romantisch fand. Über den verbeulten Müllbehälter hinweg kann ich den spitzen Turm der alten San Martino Basilika sehen, der den kleinen Platz würdig einrahmt. Ich laufe um den stinkenden Container herum, unter drei schattenwerfenden Alleebäumen hindurch und überlege, welches die nächstgelegene Bar war, die ich auf meinem Weg hierher gesehen habe. Dieser Erinnerung folgend wende ich mich nach rechts.

„No, die ist nicht gut“, korrigiert mich der Kater und läuft konsequent in die andere Richtung.

Vielleicht ist das ein gutes Zeichen? Meine Halluzination ist dabei sich zu entfernen. Gut so. Ich gehe weiter in die entgegengesetzte Richtung.

Die Bar liegt wenige Schritte um die Ecke meiner neuen Wohnung und ist durch eine große, während des Sommers geöffnete Schiebetür, von mehreren Seiten zu betreten. Ich stelle mich an der Theke an, wo bereits einige Leute auf dem Weg zur Arbeit einen Kaffee zu sich nehmen. In einer kleinen Glasvitrine auf dem Tresen sind ein paar Hörnchen und anderes Frühstücksgebäck aufgereiht. Der Mann hinter der Theke ist professionell, aber schaut grimmig drein.

Er ist es auch.

Er sieht mich fragend an und erweckt das Gefühl, mir bereits damit einen großen Gefallen zu tun.

„Un caffè, una brioche vuota, salata“16, bestellt der Kater rechts neben mir. Er reicht nicht bis zur Kante der Theke, aber seine Stimme ist deutlich zu hören.

Der Kellner hinter dem Ladentisch könnte sich wundern, wenn er aufmerksam wäre. Das ist er aber nicht. Er klappert sofort wortlos mit Tellern und der Kaffeemaschine und stellt mir kurz danach einen Espresso, ein Hörnchen und ein kleines Glas Wasser vor die Nase.

„Due Äuro17“, brummt er.

„Due, per favore“, murmle ich schüchtern, obwohl ich einen Cappuccino will und ein Vollkornhörnchen bevorzugt hätte. Aber mir fallen auf die Schnelle und im Zustand meiner Verwirrung nicht die rechten Vokabeln ein.

„Si, due Äuro!“, betont der Mann nochmals seine Forderung und schaut mich abwartend an.

„Zwei Kaffee und zwei Hörnchen!“, erkläre ich und zeige auf das vor mir Stehende mit zwei Fingern einer Hand.

Er verdreht genervt die Augen und murmelt etwas vor sich hin, das ich als „das kann man doch gleich sagen“ enträtsele, obwohl ich die Worte kaum verstehe.

Ich bezahle und jongliere die Doppelportion an einen kleinen Bistrotisch im Freien.

„Lassen Sie die Katze das nächste Mal zu Hause! Das hier ist eine Bar und kein Zoo!“, ruft mir der Mann hinterher.

„Sie sehen ihn?“

Ich stelle Tassen und Gebäck auf dem Tisch ab und wende mich erstaunt wieder dem Mann zu.

„Mi prende in giro?“18, antwortet er und bezweifelt das offensichtlich nicht eine Sekunde.

„Äh, no ...!“

Ich blicke auf den Kater in seinem Anzug, der inzwischen unbekümmert seinen Kaffee hinunterkippt. Meine Verwirrung erreicht in diesem Moment ihren Zenit. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Geschweige denn sagen.

„Wieso sollte ich die Katze nicht sehen?! Sie ist ja groß genug. Keine Tiere in der Bar! Wir servieren hier Speisen! Capisce?!“

„Certo“, nicke ich kleinlaut und bin froh, dass mir dieses eine Wort wenigstens fließend über die Lippen kommt. Dieser unfreundliche Mensch scheint nur eine ganz normale Katze zu sehen. Das nicht unwesentliche Detail eines Anzuges und einer Sonnenbrille nimmt er anscheinend nicht wahr?

„Ich habe Dir gesagt, dass diese Bar nicht gut ist!“, beharrt der Kater.

Ich kippe ebenfalls meinen Espresso hinunter und verbrenne mir die Lippen. Der starke Kaffee zeigt trotzdem Wirkung. Ich bin in der Lage, eine Frage zu stellen.

„Wieso kannst du sprechen?“

„Du kannst doch auch sprechen“, antwortet er, als sei es das Normalste der Welt.

„Ja, aber ich bin keine Katze“, entgegne ich.

„Ich auch nicht.“

Es dauert eine Weile, bis ich verstehe, was er meint.

„Auch Kater können nicht sprechen.“

„Du hörst mich doch. Das ist wohl der beste Gegenbeweis.“

Das ist ein schwer zu widerlegendes Argument. Deshalb schweige ich für einen Moment. Dann fällt mir etwas ein.

„Der Typ von der Bar kann dich auch sehen!“

„Natürlich kann er mich sehen“, bestätigt der Kater und klopft sich ein paar Krümel vom feinen Jackett. „Ich bin ja nicht unsichtbar. Komm, gehen wir! Der Typ ist unangenehm wie die Pest. Der ist immer so. Der ist einfach sauer, weil er arbeiten muss.“

„Wenn ich für zwei Euro pro Frühstück arbeiten müsste, wäre ich vielleicht auch nicht sehr motiviert?“, gebe ich zu bedenken, obwohl ich gleichzeitig bereits weiß, dass ich diesen Tatbestand sehr genießen werde.

„Wenn man mehr dafür bezahlen müsste, ginge keiner mehr in eine Bar, sondern auf die Straße, es gäbe eine Revolution, von Sizilien bis nach Bozen, in diesem Punkt wären sich nämlich ausnahmsweise alle einig, einen landesweiten Arbeitsstreik in allen Fabriken und Verwaltungen, der Müll würde sich auf den Straßen stapeln, die Regierung würde abgesetzt werden .... “

„Ist ja gut, ich verstehe!“, falle ich ihm ins Wort, denn er macht nicht den Anschein an dieser Stelle mit seiner Erklärung ohne Punkt, Komma und Strich enden zu wollen.

Er übergeht meinen Einwand.

„Cioè, ...“19

Damit fängt er erneut von vorne an, wiederholt das bereits Gesagte in anderen Worten und beschreibt mehr als ausführlich, wie eine Revolution in diesem Fall und dann grundsätzlich vonstattengehen würde.

Ich höre ihm tatsächlich eine Weile zu. Mein anerzogener Anstand zwingt mich dazu. Dann entschließe ich mich zum Weitergehen. Ich will meine neu bezogene Altbauwohnung heute noch einräumen, damit ich morgen meinen Intensiv-Sprachkurs beginnen kann.

„Wo läufst du hin?!“, ruft er mir hinterher, springt mit einem Satz vor meine Füße und fordert mich auf: „Komm mit!“

Er dreht sich in die andere Richtung und winkt mir mit der Pfote, ihm zu folgen.

Ich zögere. Ich sollte ihn gehen lassen. Vielleicht hört dieser Spuk dann endlich auf, überlege ich.

„Es ist nur um die Ecke!“, lockt er mich, als könne er meine Gedanken lesen und läuft sicher der Tatsache, dass ich seiner Aufforderung Folge leisten werde, weiter.

Ich tue es. Meine Neugierde siegt.

An einem Zeitungskiosk bleibt er stehen.

Kaum habe ich mit ihm aufgeschlossen und gucke noch, bestellt er in routiniertem Ton: „Repubblica!“20

Die Zeitungsfrau reicht mir wortlos das Journal. Sie geht offensichtlich davon aus, dass ich den Preis kenne. Ich reiche ihr ebenso wortlos einen Fünf-Euroschein.

Der Kater ergreift die Zeitung und wendet sich zum Gehen, sobald ich das Wechselgeld einstecke.

„Morgen machen wir das alles richtig!“, spricht er in belehrendem Ton. „Morgen gehen wir in die bessere Bar und kaufen die Zeitung vorher!“ Er betont das letzte Wort überdeutlich und wirft mir einen Blick zu, der wohl sagen soll, dass ich keine Ahnung habe.

„Du kannst lesen?!“, frage ich ungläubig und versuche gleichzeitig die ausgeprägten Details meiner Halluzination zu analysieren.

„Deine Unterstellungen sind wirklich diskriminierend!“, antwortet er und bleibt einen Augenblick entrüstet stehen. „Das muss aufhören, wenn wir miteinander auskommen wollen!“

Damit läuft er weiter und würdigt mich keines weiteren Blickes. Mit der Zeitung unter der Pfote schreitet er voran in Richtung der Wohnung und ich trotte hinterher und frage mich grübelnd, was mir mein Unterbewusstsein mit so drastischen Bildern sagen will?

Ich habe nicht vor, mit diesem Tier in mir auszukommen. Dafür bin ich viel zu rational.

Deshalb beschließe ich, für den kommenden Tag einen Termin bei einem Arzt zu machen, anstatt den Intensiv-Sprachkurs zu beginnen.

10 Morgens: Ausdruck für „Gehen wir in die Bar frühstücken“

11 hat viele Bedeutungen, hier: Was ist jetzt?

12 Was ist nun? Gehen wir??

13 Mach schon, gehen wir

14 geborener Einwohner der Stadt Bologna

15 Kaffeetheke oder Caféhaus

16 ein leeres, salziges Hörnchen

17 Korrekte ital. Aussprache: »Ä-uro«

18 Nehmen Sie mich auf den Arm?

19 das bedeutet, das heißt, genauer gesagt, wird häufig als Füllwort verwendet, um den Redefluss zu wahren

20 große ital. Tageszeitung, politisch links orientiert

2. Massimiliano

Ich habe tatsächlich eine deutschsprechende Ärztin ausfindig gemacht. In einem Privatkrankenhaus im schicken Wohnviertel in den grünen Hügeln der Stadt. Sie hat sogar kurzfristig einen Termin für mich frei, allerdings schon um acht Uhr morgens.

Also verlasse ich das Haus sehr früh, denn der Anlass dieses Arztbesuches ist immer noch da. Ich schleiche mich leise weg. Der Kater schnarcht noch.

Nun stehe ich um sieben Uhr, in meiner bequemsten Jeans und einem abgetragenen T-Shirt, an der Bushaltestelle und versuche den Fahrplan zu entschlüsseln. Es ist noch angenehm kühl um diese Tageszeit, die Morgensonne wirft lange Schatten und noch sind wenige Menschen unterwegs. Und die, die schon auf den Beinen sind, drängen sich um die Kaffeetheken einer der zahlreichen Bars.

Ein dunkelroter Linienbus rollt mit lautem Dieselmotor heran und bleibt stehen. Ich halte der Frau hinter mir die Adresse des Krankenhauses unter die Nase, blicke begierig auf den Bus und verbinde diese Geste mit der Frage „è questo l’autobus giusto21?“, ohne sicher zu sein, ob dies die richtigen Worte für diese Gelegenheit sind.

Sie schüttelt den Kopf. „Il prossimo.“22

Ich nehme den nächsten Bus und er bringt mich in der Tat pünktlich zu meinem Termin.

Die Empfangshalle des Krankenhauses gleicht einem Fünf-Sterne-Hotel, so viel Messing und Marmor glänzt dort. Da ich zuvor nie in einem privaten Krankenhaus war, staune ich nicht schlecht, bin aber zufrieden mit meiner Wahl und betrachte sinnierend diesen Luxus von meinem Warteplatz aus.

Meine von Erfolg gekrönte Kommunikation verleiht mir Sicherheit und ich frage mich bereits hoffnungsvoll, ob der Kater überhaupt noch existiert? Vielleicht ist er nur ein Hirngespinst meiner Übermüdung und Unsicherheit gewesen? Vielleicht ist dieser Arzttermin völlig übertrieben und ich mache mich nur lächerlich? Ich kicke meine ausgetreten Ballerina-Schuhe, in welche ich gleich nach dem Aufstehen leise ohne Strümpfe geschlüpft bin, ein wenig spielerisch mit meinen Zehen auf dem Boden vor mir hin- und her. Vielleicht sollte ich einfach wieder gehen?

Zögerlich erhebe ich mich von meinem bequemen Ledersessel und will mich gerade vorsichtig entfernen, als eine freundliche Stimme mit deutscher Aussprache „Frau Müller“ als Nächste hereinbittet.

Also trete ich doch ein.

Statt der deutschen Ärztin, die ich erwartet hatte, sitzt ein Mann mittleren Alters mit offenem, weißem Kittel, vor dem erwartungsgemäß das ihn als Arzt auszeichnende Stethoskop hängt, hinter einem Schreibtisch. Als er mich bemerkt, sieht er von seiner Karteikarte auf und reicht mir die Hand. Er ist groß, kräftig gebaut und gutaussehend blond, ganz dem italienischen Klischee eines Deutschen entsprechend.

„Frau Lisa Müller?“

Jedes Mal, wenn ich meinen Namen in voller Länge ausgesprochen höre, frage ich mich, was sich meine Eltern dabei gedacht haben? Manche meiner Freunde machen sich noch heute einen Spaß daraus, mich Lieschen Müller zu nennen.

„Mustermann“, stellt der Arzt sich vor und erhebt sich höflicherweise ein paar Zentimeter von seinem Stuhl.

„Ich hoffe, Ihr Vorname ist nicht Max“, lache ich und nehme auf dem Patientenstuhl auf der anderen Seite des Tisches Platz. Als Lieschen Müller darf ich mir so eine Bemerkung erlauben, finde ich.

„Leider doch!“, antwortet er. „Meine Eltern fanden das wohl witzig. Deshalb bestehe ich auf die lange Form meines Namens: Maximilian! Aber hier in Italien ist das mit Massimiliano sowieso kein Problem mehr.“

Der Mann ist mir sofort sympathisch und ich habe gar keine Hemmungen mehr, ihm von meinem Kater zu erzählen. Er hört mir aufmerksam zu und macht sich Notizen. Ab und zu gibt er ein „hm“ oder „ich verstehe“ von sich. Diese Reaktion gibt mir Zuversicht und das Gefühl, dass ich doch kein so außergewöhnliches Problem zu haben scheine.

„Sie haben völlig Recht“, sagt er dann, als ich am Ende meiner Schilderungen ankomme. „Das sind Ermüdungs- und Stresserscheinungen. So ein Wechsel in ein anderes Land erfordert viel mehr Mut und Kraft, als wir uns bewusst sind. Schlafen Sie regelmäßig und ausreichend. Ich verschreibe Ihnen ein paar Tabletten. Die nehmen Sie zwei Wochen lang, dann sollte das vorbei sein.“

Er reicht mir das Rezept und die Rechnung.

„Aber keinen Wein, bitte! Auch, wenn das schwerfällt in diesem Land“, setzt er schmunzelnd hinzu. „Und das bezahlen Sie bitte an der Rezeption.“

Ich wage nicht, auf den Rechnungsbetrag zu blicken, weil ich fürchte, mich als langjährige Kassenpatientin zu outen. Erleichtert und dankbar reiche ich ihm ob dieser Diagnose die Hand zum Abschied.

„Wenn es nicht besser wird, rufen Sie mich an“, setzt Doktor Mustermann mit lächelnden Augen hinterher. „Aber ich denke nicht, dass wir uns wieder sehen werden.“

Das klingt beinahe bedauernd und ich frage mich, ob er mich als Person meint oder den ihm dadurch entgehenden Umsatz.

Ich entscheide mich für den Umsatz, als ich an der Rezeption den Betrag von zweihundertfünfzig Euro abliefere.

Im Bus zurück beschließe ich, ein paar Haltestellen früher auszusteigen, weil ich den Rest der Strecke laufen und dabei in einer Apotheke gleich die Verschreibung mitnehmen will.

Ich überquere den Hauptplatz vorbei an San Petronio, der Basilika, welche dem Dom in Mailand einst Konkurrenz machen sollte, jedoch aufgrund mangelnder Gelder außen im Rohzustand blieb. Die Unvollendete sozusagen. Nur die Frontseite ist zur Hälfte in weißen Marmor gehüllt. Bis heute. Der obere Teil sieht ein wenig wie eine Lagerhalle aus dem Mittelalter aus, weshalb ich offenen Mundes die Ausmaße bestaune, als ich kurz einen Blick in das Innere werfe. Drinnen präsentiert sie sich majestätisch. Ich beschließe, dass die Basilika einen vertieften Besuch zu einem späteren Zeitpunkt Wert ist.

Dann eile ich über die alte Piazza Maggiore23, vorbei am mittelalterlichen castello, dem Rathaus mit seinen roten Fensterläden und den für ein Open-Air-Konzert aufgereihten Stühlen auf dem Platz. Interessiert verzeichne ich im Vorbeilaufen das Datum eines klassischen Musikabends. Schließlich biege ich in die berühmte ‚Fressgasse’ Bolognas ein.

Diese wenigen Schritte durch das mittelalterliche Stadtzentrum genügen, um meine Lebensgeister zu wecken: So habe ich mir mein Leben in Italien vorgestellt! Historische Gebäude, ein kulturelles Ambiente und gutes Essen. Jawohl! Sofort vertreibt beste Laune die Bedenken, die an diesem Morgen noch mein Handeln bestimmt haben.

Als ich die kleine Gasse entlangschlendere, betören mich schnell verschiedenste Düfte. Die essbaren Auslagen, die wie Kunstwerke in Vitrinen dekoriert sind, präsentieren sich wie Stillleben in Öl gemalt. Und dazwischen locken kleine Weinlokale auf ein Glas stehenzubleiben und das bunte Treiben zu beobachten.

Das Konzept funktioniert: Nach nur wenigen Schritten bemerke ich, dass sich großer Hunger bei mir einstellt. Doch die Entscheidung, in welches der kleinen Geschäfte ich gehen soll, fällt mir nicht leicht. Eines ist verlockender als das andere.

Endlich bleibe ich vor einem Laden stehen, in dessen Schaufenster handgearbeitete Tortellini zu einem Berg aufgetürmt sind. „Specialità di Bologna“24 ist in großen Lettern auf das Fenster gemalt. Das überzeugt.

Die Verkäuferin erklärt gerade in gebrochenem Englisch die Entstehung der Spezialität als eine erotische Speise aus frühen Zeiten, als die Ansicht des weiblichen Bauchnabels noch ein verbotener war. Sie führt die in der Tat verblüffende Ähnlichkeit der Nudel mit dem beschriebenen Körperteil vor und dreht ein Tortellino vor ihrer Schürze an der Stelle in Position, wo ihr Nabel vermutlich sitzt. Es ist wenig erotisch. Das englische Ehepaar, dem diese Vorführung gilt, ist aber durchaus amüsiert. Ich bin mir nicht sicher, ob wegen der Geschichte oder der kantigen Wortwahl der Verkäuferin. Sie kaufen jedenfalls ein ganzes Kilo der Nudelteilchen.

Die Enttäuschung der Mitarbeiterin, als ich diese Besonderheit für nur eine Person bestelle, ist ihr ins Gesicht geschrieben; der Schreck, als ich für diese Handvoll Delikatesse an der Kasse zwölf Euro bezahle, vermutlich in meines. Wenn das die Preise für Lebensmittel hier in Bologna sind, werde ich mit meinen Ersparnissen nicht weit kommen!

Immerhin erhalte ich eine dekorative Papiertüte im Tausch für mein Geld, welche die Türme der Stadt in erdfarbenen Tönen abbildet. Die Verkäuferin meint, dass ich sie gleich um die Ecke sehen kann.

Also laufe ich in die besagte Richtung der Wahrzeichen, blicke aber vorsichtshalber in kein Schaufenster mehr.

Die Türme befinden sich tatsächlich am Ende der Gasse. Sie sind hoch, mittelalterlich, eckig und unglaublich schief. Einer der Zwillingstürme sogar in dem Maße, dass man ihn offensichtlich nicht fertigstellte oder wieder zurückbaute, da er sonst umgefallen wäre. Ich schaffe es nicht, beide Türme in ihrer Schiefe in einem Foto festzuhalten.

Auf einer Bronzetafel lese ich, dass nur einer der Türme den Namen „Asinelli“ trägt, der andere heißt „Garisenda“, beides Namen einst wohlhabender Familien, die diese Türme als Wolkenkratzer des Mittelalters erbaut hatten, um Macht und Reichtum zu demonstrieren. So vermutet Goethe, wie ich aus dem Internet erfahre.25

Ich blicke mit im Nacken hängendem Kopf lange Zeit nach oben, wo der vollendete der beiden Türme in den tiefblauen Himmel ragt. Man hat den Impuls hinaufzurufen: „Rapunzel, lass dein Haar herab!“

Endlich verstehe ich das Märchen auch! Als Kind habe ich mich stets über diese Merkwürdigkeit gewundert, ein Mädchen in einem hohen Turm einzusperren? Wer lebt schon in einem Turm? Ich konnte mir das damals einfach nicht vorstellen. Nun kann ich. Das Märchen muss in Bologna spielen, kein Zweifel!

Auf den intakten Turm kann man hinaufgehen. Goethe hat das getan, aber ich verschiebe das auf einen Tag in der Zukunft. Ich muss wirklich meine Umzugskartons vollständig auspacken und meine Aufgabenliste abarbeiten, die sich bereits auf diesem kurzen Spaziergang wieder um zwei Punkte verlängert hat.

Auf dem Weg in meine Wohnung kaufe ich noch ein Buch über die Geschichte der Stadt, in Deutsch. Internet hin oder her: Ich blättere gerne in Papier mit dem Duft frisch gedruckter Buchstaben in der Nase. Dieser Kauf macht mir große Lust auf einen gemütlichen Schmökerabend.

Morgen, denke ich, morgen beginne ich dann meinen Intensiv-Sprach-Kurs. Mit dieser Vorfreude eile ich guten Mutes zurück in mein italienisches Zuhause.

Das große Hoftor ist nur angelehnt; irgendwer muss es nicht richtig ins Schloss gezogen haben. Irgendwer könnte allerdings auch ich gewesen sein, zweifle ich ein wenig, als ich die Stufen hinauflaufe. Ich nehme mir vor, in Zukunft achtsamer zu sein.

Meine Wohnungstür ist ebenfalls nicht verriegelt. Das ist nun nicht nur merkwürdig, sondern zu tiefst beängstigend!

Ich schiebe sie vorsichtig auf und spähe in das Apartment, bevor ich eintrete. Gleich in der Apotheke habe ich zwei von den Tabletten eingenommen und ich hoffe, dass sich die Wirkung bereits zeigt.

Ich sehe zunächst nichts und schreite mit einem Anflug an Erleichterung durch die Tür. Zwar habe ich die Wohnung in einem Zustand von Umzugschaos verlassen, aber der mich treffende Anblick des jetzigen Durcheinanders ist kein Vergleich dazu.

Entsetzt trete ich vollständig ein und lasse meine Tasche auf den Boden fallen, weil ich die Hände an meine Wangen schlagen muss und ein langgezogenes „haaaa ...“ einatme.

Meine Kartons sind aufgerissen, Kleider, Decken, Schuhe, Bücher und sogar Haushaltsgegenstände liegen verstreut im Raum. Die Schubladen der Küchenschränke stehen offen. Ein merkwürdiger Geruch, der nicht zu meinen Sachen gehört, schwebt über allem.

„Gott sein Dank, du bist wieder da!“, überfällt mich eine bekannte Stimme von hinten, so dass ich noch erschrockener herumfahre und einen kleinen Satz in die Luft mache.

Der Kater krabbelt hinter dem freistehenden Kühlschrank hervor und zieht sich das Jackett gerade.

Ich habe schon öfters gehört, dass Katzen in der Lage sind, große Unordnung anzurichten, aber so etwas habe ich nicht für möglich gehalten. Sogar meine Bücher liegen teilweise aufgeklappt inmitten des Durcheinanders im ganzen Raum verteilt!

Meine Wut explodiert förmlich auf meinem Gesicht. Ich fühle, wie mir heißes Blut in die Züge schießt. Ich hole tief und hörbar Luft. Ich weiß nicht, was mich ärgerlicher macht: Die Tatsache, dass ich ihn noch immer sehe und höre oder die Frechheit, mit der er meine Sachen durcheinandergewühlt und auf dem Boden verstreut hat?

„Es reicht!“, schnaube ich ihn an. „Du fliegst raus!“

Mit ausgestrecktem Arm zeige ich auf die noch offenstehende Tür. „Hau ab! Raus mit Dir!“

Dann halte ich inne, weil mich der Gedanke gefangen nimmt, dass eine Halluzination kein wirkliches Chaos dieser Art verursachen kann?

Aber eine Katze kann durchaus! Doktor Mustermann hat mir erklärt, dass es möglich ist, dass ich das Tier tatsächlich im Hause habe, jedoch in meiner Illusion ihn Jackett und Sonnenbrille tragen sehe, wo alle anderen Menschen nur das normale Tier sehen. Diese Erkenntnis beruhigt mich, weil die medizinische Diagnose in meine Realität zu passen beginnt.

Der Kater verschränkt die Arme vor seiner Brust.

„Du kannst mich nicht aus meiner Wohnung werfen!“, sagt er trocken.

„Deine Wohnung!?“, empöre ich mich und stemme die Hände in die Hüften.

Der Kater zieht ein Blatt aus der Innentasche seines Jacketts und hält es mir unter die Nase. Es ist ein Auszug aus dem Katasterregister.

Ich nehme ihm das Papier unwirsch aus der Hand und lese. Ein gewisser Massimiliano Penati ist als der Eigentümer der Wohnung eingetragen. Das ist auch der Name auf meinem Mietvertrag.

„Na und?!“ Ich werfe das Blatt auf den Küchentisch. „Das ist mein Vermieter.“

Er nimmt es wieder an sich, faltet es sorgsam und steckt es in die Innentasche seiner Jacke.

„Die Haustür ist nicht umsonst mit einem mehrfach verriegelnden Schloss versehen“, bemerkt er mit einem Kopfwinken in die Richtung des noch immer offenstehenden Eingangs. Mit einem Satz springt er zur besagten Tür und kickt sie zu.

„Wenn man sie allerdings nicht abschließt, dann nützt das nichts.“

Ich erinnere mich, dass ich bei Verlassen der Wohnung an diesem Morgen die Tür nur leise ins Schloss gezogen habe.

„Was willst du damit sagen?“

„Ladri.“

Er wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu.

Ich kenne das Wort nicht und suche in meinem Smartphone nach der Übersetzung. ‚Einbrecher, Diebe’ steht da.

Ich gucke den Kater an und auf das Chaos um uns herum herab.

„Willst du damit etwa sagen, dass du für das hier nicht verantwortlich bist?!“ Es ist eine rein rhetorische Frage, denn ich glaube ihm einfach nicht.

Der Kater öffnet die Tür wieder sperrangelweit und deutet wortlos auf eine Stelle an der Kante derselben, die eine ungefähr sechs Zentimeter lange und deutlich sichtbare Schramme aufweist.

Ich trete näher und inspiziere die Stelle genauer. Es sieht ganz so aus, als ob tatsächlich mit einem Brecheisen die Tür aufgestemmt wurde.

„Unglaublich“, stammle ich.

Dann fallen mir meine wenigen Schmuckstücke und Geldreserven ein, die ich in einer kleinen Schatulle mitgebracht habe. Ich erblicke meinen Rollkoffer auf dem Boden zwischen aufgerissenen Kartons, umgestülpt.

„Oh nein!“, rufe ich aus und laufe trotzdem hin, nur um in den gähnend leeren Hohlraum zu blicken. Natürlich fällt nichts mehr heraus, selbst als ich ihn schüttle.

Nicht, dass ich ausgesprochen wertvolle Juwelen besessen hätte, aber die im Laufe der Jahre gesammelten Schmuckstücke hatten dennoch einen Wert, wenn auch eher ideeller Art als in harter Währung. Meine verschwundene Geldreserve allerdings ist ein wahrer finanzieller Schaden!

Ich lasse mich zwischen dem Chaos auf den Boden sinken und vergrabe meinen Kopf in den Armen. Die Ereignisse der letzten beiden Tage sind einfach zu viel! Mein Magen verkrampft sich und Tränen schießen mir in die Augen. Tränen über den Verlust, den Schock, den Ärger, meine Illusion, die Müdigkeit, meine Verwirrung, das Wechselbad der Gefühle, durch welches mich diese Stadt seit meiner Ankunft hetzt und die Ungewissheit, was davon mir mehr Sorgen machen sollte.

„Ma, dai, su!“26 Der Kater klopft mir aufmunternd auf die Schulter. „Ich wäre kein penato, wenn ich so etwas tatenlos geschehen lassen würde.“

Ich schniefe und blicke auf: „Du hast dich hinter dem Kühlschrank versteckt.“

„Das schon“, gibt er zu und springt dort hin zurück. „Aber auch dies hier!“

Er zieht meine Schatulle hinter dem Elektrogerät hervor und hält sie mir triumphierend hin. Ich nehme sie entgegen und kontrolliere den Inhalt. Es ist alles da.

Mit dem Arm wische ich mir die letzten Tränen aus den Augen. Dankbarkeit verdrängt den bis dahin vorherrschenden Frust und Ärger in mir. Ich sehe den Kater lange an.

„Als eine Illusion bist du wirklich ziemlich nützlich“, gestehe ich dann.

„Nützlich, durchaus!“, bestätigt er und schiebt seine Sonnenbrille nach oben auf den Kopf in sein Fell. „Illusion ...“, er macht eine längere Pause, als müsse er über die weiteren Worte nachdenken, „... no!“

„Wenn du kein Hirngespinst meiner Selbst bist, was bist du dann?!“, frage ich.

Er scheint auf diese eine Frage gewartet zu haben, denn er holt tief Luft und mit großer Gestik aus.

„Die penati“, er betont den Namen mit Bedeutung verleihender Stimme. „Die penati27 sind eine sehr alte Familie aus der Römerzeit. Meine Vorfahren lebten bereits als gute Hausgeister in den Villen Roms, zu Zeiten Cäsars. Sie zogen mit der Familie nach Bologna, wo meine Ur- , ur-, ur-, etcetera, etcetera Vorfahren sich niederließen. Ich bin der letzte Nachfahre dieser Dynastie! Dieses Haus war einst ein sehr reiches Anwesen, bis ...“, er wirft einen verächtlichen Blick durch das Fenster in den Hinterhof, „... bis dort Anwälte und ...“, er wirft einen noch vernichtenderen Blick an die Decke, „... Steuerberater einzogen!“

Ich folge seinen Blicken und Worten mit großen Augen.