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Biotechnik in großem Stil
Seit der Zerstörung der Erde zieht die Menschheit durchs All. Dank gewaltiger Fortschritte in der Technologie, vor allem auf dem Gebiet der Gentechnik und des Terraformings, sind die Menschen in der Lage, ganze Welten für sich nutzbar zu machen. Doch nach wie vor beuten sie die Planeten einfach aus und lassen sie anschließend verwüstet zurück. Eine dieser Welten ist Confringet, ein Mond des Riesenplaneten Meamone. Als dort intelligentes Leben entsteht, beginnt eine gnadenlose Jagd. Doch nicht alle Menschen sind rücksichtslos …
"Meamones Auge" erscheint als exklusives eBook Only und umfasst ca. 104 Seiten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 150
WOLFGANG JESCHKE
MEAMONES AUGE
Roman
Seit der Zerstörung der Erde zieht die Menschheit durchs All. Dank gewaltiger Fortschritte in der Technologie, vor allem auf dem Gebiet der Gentechnik und des Terraformings, sind die Menschen in der Lage, ganze Welten für sich nutzbar zu machen. Doch nach wie vor beuten sie die Planeten einfach aus und lassen sie anschließend verwüstet zurück. Eine dieser Welten ist Confringet, ein Mond des Riesenplaneten Meamone. Als dort intelligentes Leben entsteht, beginnt eine gnadenlose Jagd. Doch nicht alle Menschen sind rücksichtslos …
Der Roman »Meamones Auge« erscheint als exklusives E-Book Only zusammen mit weiteren Stories von Wolfgang Jeschke im Heyne Verlag. Sie sind als Print-Ausgaben in den Sammelbänden »Der Zeiter«, »Partner fürs Leben« und »Orte der Erinnerung« im Shayol Verlag, Berlin erschienen.
Wolfgang Jeschke (1936-2015) war der Großmeister der deutschen Science-Fiction. Lange Jahre als Herausgeber und Lektor für den Heyne Verlag tätig, hat er vor allem auch mit seinen eigenen Romanen und Erzählungen das Bild des Genres geprägt. Jeschke wurde mehrmals mit dem renommierten Kurd Lasswitz Preis ausgezeichnet.
»Der letzte Tag der Schöpfung – Midas – Das Cusanus-Spiel« (drei Romane in einem Band) und »Dschiheads«.
Eine Übersicht aller Werke von Wolfgang Jeschke finden Sie in der Bibliografie am Ende dieses E-Books.
Überarbeitete Neuausgabe
Copyright © 2008 by Wolfgang Jeschke
Erstmals veröffentlicht in: Wolfgang Jeschke: Meamones Auge, Heyne Verlag, München 1997
Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Covergestaltung: Stardust, München
Satz: Thomas Menne
ISBN 978-3-641-13607-9
We are the music-makers
And we are the dreamers of dreams
Wandering by lone sea-breakers
And sitting by desolate streams;
World-losers and world-forsakers
On whom the pale moon gleams;
Yet we are the movers and shakers
Of the world forever, it seems.
Arthur O'Shaughnessy
NOTHING IS LEFT TO RANDOM,
YOU CAN TRUST IN OUR GODS.
Matsushita-Sandoz
Das Einzige,
was die Untiefen des Quantenozeans
unbehindert passieren kann,
sind Träume und Gedanken,
die Emanationen intelligenten Lebens.
Vielleicht deshalb,
weil das Universum selbst ein Traum ist
oder ein Gedanke.
Ein Traum,
den wir weiterträumen,
ein Gedanke,
den zu Ende zu denken uns aufgetragen ist.
Zischend entlud sich der Laser. Der blassblaue Strahl fuhr knisternd durch die Panoramascheibe, dann erlosch er mit einem stotternden Prasseln. Auf der Schädeldecke des Wals erblühte kirschrot eine kleine Blutwolke, die rasch zerstob. Ein Teil des Lichts war vom Kondenswasser auf der Scheibe reflektiert worden und heizte das Innere der Killerstation noch mehr auf. Die Luft war feucht und stickig, roch nach Ozon und heißem Metall und Plastik. Aber es konnten nicht mehr viele sein dort draußen. Die Jagd ging ihrem Ende entgegen.
Gianfrancesco warf einen Blick auf die Statusanzeige. Die Lüftung arbeitete mit voller Kraft. Durch die ständigen Außenbord-Aktivitäten der letzten Tage war zu viel atmosphärische Luft ins Schiff gedrungen. Er war eine so hohe Luftfeuchtigkeit nicht gewöhnt. Manchmal überkam ihn die unsinnige Furcht, sich auf dem Grund eines überhitzten Aquariums zu befinden, und er musste den Impuls unterdrücken, sich zusammenzukrümmen und die überschüssige Feuchtigkeit aus den Lungen zu husten.
»Merde«, keuchte er und löste die Harpunen 27 und 28 aus. Auf dem VidKom-Panorama seines Helms verfolgte er den Anflug. Die Geschosse frästen sich durch die wasserstoffgefüllten Tragkammern des Tiers, schlugen schreckliche Wunden, aus denen Dampf und Blut sprühte, bevor sie sich im kompakten Fleisch verbissen und die AG-Zellen aktivierten. Trotzdem begann der Wal zu sinken. Die schlaff herabhängende Fluke tauchte tiefer und tiefer in eine Wolke ein. Doch darum brauchte er sich nicht mehr zu kümmern. Das war der Job der Leute an den Winschen und der Erntearbeiter auf dem Schlachterdeck, die den Kadaver an Bord holen mussten.
Das Tier bäumte sich ein letztes Mal auf. Es warf den gewaltigen Kopf hin und her, als könnte es mit einer letzten Anstrengung den Tod abschütteln. Doch es war zu spät. Die Greifer hatten zugepackt, hielten es in der Schwebe und zogen es nun Meter um Meter ins Maul des Schlachterdecks. Eine Erschütterung durchlief das Schiff, als der Schädel des Wals gegen die Rampe stieß und hereingezerrt wurde. Der von den Harpunen verwüstete Leib folgte: hundertzwanzig Tonnen Protein und achtzig Tonnen biologischer Abfallstoffe, deren Abschälen bereits begonnen hatte, ehe dem Tier vergönnt war, in Agonie zu sinken. Hochgeschwindigkeitsklingen fetzten die Haut von Schädeldach und Wangen, wühlten sich in die Flanken. Die Fluke wurde abgetrennt und stürzte in die Tiefe.
Gianfrancesco rief erneut die Statusanzeige ab und stellte fest, dass sein Laser gepumpt und seine Harpunen nachgeladen waren. Das VidKom zeigte ein grünes Band von Anzeigen unterhalb seines Sichthorizonts. Ein blaues Blinken jenseits seiner linken Schläfe signalisierte, dass Roberto auf der Killerstation im anderen Bugkastell sich wieder eingeklinkt hatte und ebenfalls feuerbereit war.
Aber es konnten nur noch wenige dort draußen sein. Das Radar, in dem es während der letzten Hellnacht von Blimps noch gewimmelt hatte wie in einem Saatcontainer von Schnappern, sah aus wie ein trüber, leergefischter Tümpel. Er setze eben zu einem Rundum-Scan an, als er einen Schatten in den Wolken bemerkte, der sich von rechts ins Blickfeld schob und Gestalt annahm. Es war ein mächtiges Tier, womöglich einer von jenen legendären Zweihundertfünfzigtonnern, wie sie allenfalls einmal pro Saison auftauchten. Es war der Fresser aller Fresser, stumpfgrau bis schwarz, mit tiefen dunklen Rillen um die Augen und höhlenartigen Austrittsöffnungen hinter den Kinnbacken, in denen Tang wuchs und Reste von verwesenden Tierkadavern hingen, die dem Mahlwerk der Kiefer entglitten waren. Der hoch aufgewölbte Nacken, in dieser Höhe unnatürlich aufgebläht wie ein Ballon und so transparent, dass die Blutgefäße in der Außenhaut zu erkennen waren. Die seitlichen Tragkammern ließen Gas ab, das wie Dampf unter den Wülsten hervorbrach. Mit trägen Flossenbewegungen korrigierte das Tier seinen Kurs in Richtung Schiff und schob sich heran. Sein Leib, der Klafter auf Klafter aus der Wolke glitt, schien kein Ende zu nehmen.
»Der große Graue auf fünfundsechzig gehört mir, Roberto«, flüsterte er ins Mike, als könnte der Klang seiner Stimme die Beute im letzten Moment verscheuchen.
»Dann viel Glück!«
»Danke.«
Er zoomte sich die Schädeldecke heran, um die Kralle ins Visier zu nehmen. Das Zielmodem führte den Laser mit und richtete ihn in Blickrichtung aus. Das fast mannsgroße Lebewesen nahm sich winzig aus auf dem ausladenden Schädeldach des Leviathans, auf dem es wie eine Zecke klebte, die langen Tentakelfinger in der Schwarte vergraben, unter der das Nervenzentrum saß.
Ein Fehlschuss in die wasserstoffgefüllten Ballonkörper, die den eigentlichen Rumpf umgaben, könnte die Beute in eine Hölle aus Feuer und Rauch verwandeln, und ein halbgarer Schmorbraten vom Gewicht eines Shuttles würde dann tief unten ins Meer klatschen oder sich in die Landschaft graben. Gianfrancesco fasste die schmächtige Gestalt der Kralle sorgfältig ins Auge, bevor er den Feuerbefehl gab. Wieder schlug das Licht zu, aber einen Sekundenbruchteil bevor sein Gedanke den Laser auslöste – war sein Ziel verschwunden! Der blassblaue Strahl streifte den Nackenbuckel des Wals und brannte eine glühende Furche, aus der Dampf und Rauch eruptierten, richtete aber sonst keinen Schaden an.
Gianfrancesco blinzelte und schüttelte ungläubig den Kopf. In dem Moment, da er das Ziel aufgenommen und den Gedankenbefehl losgeschickt hatte, war die kleine Gestalt hochgeschnellt, hatte die Tentakel aus dem Schädel gelöst, war über die Schläfe des Wals getaumelt und aus dem Sichtfeld in die Tiefe gestürzt.
»Ich hab ihn nicht erwischt!«, rief er, mehr erstaunt als verärgert, wandte den Kopf und grinste ins Interkom. Zwischen den dunklen Wülsten seiner Schmucknarben auf Stirn und Wangen standen glitzernde Schweißtropfen. Das hellrote Kabel des Zielmodems, das sich von der Cortexbuchse in den dichten gekräuselten Bart schlängelte, klebte ihm an der Schläfe, als hätte er eine frische Schusswunde im Kopf. »Er ist einfach abgesprungen, der Bastard.«
Roberto zuckte die Achseln. Seine Augen waren hinter dem Bügel des VidKom verborgen, über das er die Aktivitäten seines Bruders beobachtete.
»Zufall.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Gianfrancesco und betrachtete das nun steuerlos treibende Tier. Ein Zucken durchlief den mächtigen aufgeblähten Leib, dann schien es zu erstarren. Er schickte seine letzten beiden Harpunen los, jagte die eine durch das jettschwarze Auge in den Schädel, die zweite in den Hals des Tiers. Er empfand Genugtuung dabei, obwohl er wusste, dass die Decksmannschaften Probleme haben würden, den schräg zum Schiff driftenden und immer stärker abkippenden Kadaver hereinzuziehen.
Das schnabelähnliche Maul des Wals öffnete sich, der Unterkiefer fiel herab – zehn Meter spitzer weißer Zähne, in Dreifachreihen gestaffelt. Halbzerkaute Nahrung quoll hervor, Reste von See- und Landtieren, von einer schaumigen Masse bedeckt, troffen nach unten wie ein dicker Speichelfaden.
»Ist mir noch nie passiert. Verdammt, was war mit dieser Kralle los? Gods haben absolut zuverlässig zu sein, Roberto! Wo kämen wir sonst hin?« Er fuhr die Kontrollen herunter und zog den Schläfenstecker, schüttelte den Kopf, um den Moment der Benommenheit zu überwinden, und warf seinem Bruder einen beunruhigten Blick zu.
»Vielleicht eine Art Kurzschluss?«, gab der zu bedenken.
»Hmm«, brummte Gianfrancesco, duschte sich das schweißnasse Gesicht mit dem Mundstück seines Atemschlauchs und löste die Klettverschlüsse seines Kampfanzugs, »fragt sich nur, wodurch.«
Roberto hob die Schultern. »Machst du Schluss?«
»Ich glaube, wir haben hier alles eingesammelt.«
»Okay. Ich mach noch einen Scan, dann komme ich auch runter.«
Gianfrancesco fuhr mit dem Aufzug hinunter zum Schlachterdeck. Als er durch die Irisblende stieg, schlug ihm ein Brodem entgegen, der gesättigt war von Dampf, Blutdunst und dem Gestank warmer Gedärme, dazu das Quäken lautsprecherverstärkter Stimmen, das Winseln der Winschenmotoren und das Glitschen und Schnattern der Fleischfräsmaschinen.
Man hatte den zwanzig Meter langen Kopf des Wals abgetrennt und zur Weiterverarbeitung auf eins der oberen Decks gehoben.
Das Donnern der Gebläsestutzen, mit denen man die Gedärme samt Inhalt durch den After nach draußen geblasen hatte, war verstummt. Die Schlachter in ihren signalfarbenen Schutzanzügen hatten mit der Arbeit begonnen. AG-Copter schwärmten in die in Flutlicht getauchte, hangargroße Leibeshöhle aus und brachten die Schlachtmaschinen in Stellung. Das Grollen und Seufzen, Gluckern und Ächzen der noch funktionierenden Organe durchdrangen die momentane Stille, und gelegentlich lief ein Zucken durch Boden und Wände. Dann schlossen sich die breiten Karbonplastikbänder der elektrischen Strangulatoren – groß wie Palettenverpackungsmaschinen – um die pulsierenden Blutgefäße und klemmten sie in Sekundenschnelle ab. Laserlicht zuckte, als die Adern durchtrennt und kauterisiert wurden. Laserskalpelle schnitten die dunklen Baldachine der Leber von den oberen Regionen der Höhle und lösten den zuckenden Herzbeutel aus dem Gefäßsystem.
Zwei Tunnelfräsmaschinen wurden angeworfen und arbeiteten sich kreischend das Rückgrat entlang nach hinten, um das Knochengerüst vom übrigen Körper abzulösen. Sie waren im Nu in einem Sprühnebel aus Blut und Knochenspänen verschwunden, während sich um die Flutlichter fettige trübe Höfe bildeten.
Fleischtechniker zerteilten die Gewebemassen mit Handlasern in transportable Stücke und wälzten sie vor die unersättlichen Ansaugrüssel der Häcksler und Mastikatoren, die alles in sich hineinschlürften, um es zu zerfasern, zu verquirlen und durch die Rohrleitungen zu den Verarbeitungsdecks zu pressen, wo es zu fast reinem Protein veredelt wurde.
Der Gestank von verbrannter Knorpelmasse war überwältigend, als der Laser endlich das Sternum ganz durchgesägt hatte und die Winden den Brustkorb aufbrachen. Mit splitterndem Bersten löste sich eine Rippe nach der anderen von der Wirbelsäule. Scheinwerferlicht flutete herein. Dampfstrahlen fauchten über die Schlachtergalerien, fegten Abfälle zu den Schleusen und wuschen die Blutkaskaden von den plastikbeschichteten weißen Wänden, während das Gerippe mit Ketten in Richtung Luke gezerrt wurde, über deren Kante es in die Tiefe stürzen würde.
Gianfrancesco warf einen prüfenden Blick auf den Stapel grauweißen wachsartigen Materials, das in Netzen verpackt war. Es verströmte einen intensiven, betörenden Duft.
Ambra – mindestens eine halbe Tonne. Neben dem Nahrungsprotein einer der begehrtesten organischen Grundstoffe in diesem Teil der Galaxis. Es wurde von Spezialisten aufgespürt und geborgen, bevor das Ausblasen der Bauchhöhle begann. Ein harter und gefährlicher Job, denn die Männer stiegen nach dem Abtrennen des Kopfes durch die Speiseröhre in ein praktisch noch funktionierendes Verdauungssystem ein, um die Ambra-Nischen im Magen und im Darmtrakt aufzustöbern, zu markieren und den wertvollen Stoff mit Netzen zu sichern.
Ein Fleischtechniker in blutüberströmtem Schutzanzug trat neben Gianfrancesco, löste seinen Helm und nahm ihn ab.
»Reiche Ernte, Herr«, sagte er und schüttelte sich das schweißnasse Haar aus der Stirn.
Gianfrancesco nickte. »Ja«, sagte er. »Es wird reichen.«
Der Speisesaal war fast voll. Es roch nach gebratenem Fleisch, gekochten Innereien und verschwitzter Wäsche. Schlachter, Fleischtechniker und Proteinkocher saßen in T-Shirts, Boxershorts und Socken an den Tischen beisammen und tranken Bier. Sie wirkten erschöpft und abgekämpft, aber sie standen auf und hoben ihre Krüge, als Gianfrancesco den Raum betrat.