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Gilmore Girls but make it spicy ... Als Jeanies Tante ihr das geliebte Pumpkin Spice Café in der Kleinstadt Dream Harbor schenkt, ergreift sie die Chance auf einen Neuanfang abseits ihres langweiligen Schreibtischjobs. Dort angekommen trifft sie auf den Farmer Logan, der nichts für den Klatsch und Tratsch der quirligen Kleinstadtbewohner übrighat und lieber für sich bleibt. Doch Jeanies Ankunft bringt Logans Routinen durcheinander, und er will nichts mit der irritierend unbekümmerten Frau zu tun haben - auch, wenn er sich auf unerklärliche Weise zu ihr hingezogen fühlt. Kann Jeanies fröhliche Einstellung den mürrischen, aber attraktiven Logan überzeugen, oder hat das City Girl die einzige Person in der Stadt gefunden, die nicht ihrem Charme oder ihren Pumpkin Spice Lattes erliegt?
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Zum Buch:
Sie stützte die Ellenbogen auf den Tresen und legte das Kinn in den Händen ab. Sie trug eine alte, übergroße Strickjacke, deren Ärmel so lang waren, dass sie ihr über die Hände reichten, und darunter ein verwaschenes T-Shirt und eine Schlafanzughose. Er war sich ziemlich sicher, dass die Hose mit lauter Igeln übersät war, aber er hatte sich bisher bemüht, sie nicht näher zu beachten.
Überhaupt bemühte er sich, viele Dinge an Jeanie nicht zu beachten. Etwa wie ausdrucksstark ihre dunklen Augenbrauen waren, und wie sie selbst sich fast unablässig bewegte – zum Beispiel als sie mit schnellen, effizienten Bewegungen seinen Kaffee zubereitet hatte. Sie wirkte so widersprüchlich, dass es für eine Studie gereicht hätte: kompetent, aber gleichzeitig hilflos, schnell ein Lächeln auf Lager, aber ebenso schnell ein Stirnrunzeln, und ihre Augen drückten jede Emotion vollkommen klar aus. Sie waren dunkelbraun, fast schwarz, genau wie er seinen Kaffee bestellt hatte.
Zur Autorin:
Laurie Gilmore schreibt knisternde Kleinstadtromane mit schrulligen Stadtbewohnern, gemütlichen Schauplätzen und einer Liebesgeschichte, bei der man ins Schwärmen gerät.
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem TitelThe Pumpkin Spice Café bei One More Chapter, London.
© 2023 by Laurie Gilmore
Deutsche Erstausgabe
© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe
by HarperCollins in der
Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Covergestaltung von Guter Punkt, München
Coverabbildung von © Nadja Tilke / Guter Punkt, München
E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783749907687
www.harpercollins.de
Für den bärtigsten, flanelltragendsten Typen, den ich kenne. Danke, dass du mich so inspirierst.
Jeanie Ellis hatte noch nie einen Mann getötet, aber heute Nacht war es vielleicht so weit. Es gab Momente, da musste man handeln. Sie umklammerte den Baseballschläger und schlich die knarrende Treppe hinunter.
Seit drei Nächten hatte sie nicht geschlafen. Seit sie in die Wohnung über dem Café ihrer Tante eingezogen war. Na ja, genau genommen über ihrem Café. Jeanie war offiziell die neue Besitzerin des Pumpkin-Spice-Cafés, das der ganze Stolz ihrer Tante Dot gewesen war – bis vor genau zwei Wochen, als die ältere Dame nämlich verkündet hatte, sie wolle sich zur Ruhe setzen und ein paar Wochen in die Karibik fahren, um sich zu sonnen. Offenbar konnte sich Dot niemand Besseren vorstellen, um ihr geliebtes Café zu übernehmen, als ihre Lieblingsnichte – und ihre einzige Nichte, wie Jeanie betont hatte. Jetzt, wo Jeanie auf Zehenspitzen die letzte Stufe hinabtrat und sich auf den Kampf vorbereitete, erschien ihr die Einschätzung ihrer Tante völlig absurd.
Jede Nacht hatte Jeanie seltsame Geräusche gehört. Kratzgeräusche und gelegentlich ein Klirren. Zuerst hatte sie versucht, es auf den Wind zu schieben, oder vielleicht war es ein Tier, das über den Hinterhof huschte. Sie hatte sich strikt geweigert, ein Worst-Case-Szenario in Erwägung zu ziehen, wie sie es sonst für gewöhnlich tat. Sie würde sich nicht vorstellen, dass ein entflohener Serienmörder an der Hintertür herumschlich. Dieses Klopfen kam definitiv nicht von einem bewaffneten Räuber, der hier war, um das bisschen Kleingeld zu erbeuten, das ihre Tante in der Kasse aufbewahrte.
Jeanie fing ganz neu an.
Jeanie war jetzt eine neue Frau.
Das malerische Küstenstädtchen Dream Harbor und die Menschen, die darin wohnten, kannten sie nicht, und das wollte sie für sich nutzen.
Ein scharrendes Geräusch ertönte an der Hintertür. Sie würde ihren Plan »neues Leben, neue Jeanie« umsetzen, sobald sie herausgefunden hatte, wer oder was sie nachts wach hielt. Niemand konnte ein entspanntes, beschauliches Kleinstadtleben führen, wenn ein Mörder an der Hintertür lauerte. Das war ja wohl klar.
Sie schluckte angesichts des Baseballschlägers und durchquerte den kleinen Flur von der Treppe zur Tür, die auf den Hinterhof an der Rückseite des Cafés führte. Obwohl »Hinterhof« nicht ganz das richtige Wort war, weil es an überquellende Mülleimer denken ließ und herumhuschende Ratten. Doch Jeanie war nicht mehr in Boston. Sie befand sich in Dream Harbor, einem Städtchen, das sich sicher jemand ausgedacht hatte. Dieser Ort war viel zu idyllisch, ganz so wie sein Name – »Traumhafen« –, als dass er auf natürliche Weise hätte entstanden sein können. Nein, diese Fläche hinter dem Café und den anderen Geschäften auf der Main Street war eher so etwas wie eine eigene kleine Seitenstraße, die Lieferwagen und ordentlichen Mülltonnen Platz bot. Jeanie hatte sogar beobachtet, wie einige der anderen Leute, die hier Läden besaßen, dort Pause machten und sich unterhielten. Nicht, dass sie bisher mit einem von ihnen gesprochen hätte. Dazu war sie noch nicht bereit. Noch nicht bereit dazu, als die Neue in Aktion zu treten.
Jeanie schüttelte den Kopf. Ihre Gedanken waren völlig neben der Spur, und sie stand kurz davor, womöglich ermordet zu werden. Hinterhof oder nicht, was auch immer da draußen war, hielt sie wach, und nach drei Nächten praktisch ohne Schlaf konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie legte den Knüppel auf ihrer Schulter ab und streckte die Hand nach dem Türknauf aus. Da es schon fast dämmerte, sickerte schwaches graues Licht durch das Fenster über der Tür zu ihr herein.
Na gut, dachte Jeanie. Wenigstens werde ich den Angreifer sehen können, bevor ich sterbe. Mit diesem wenig erfreulichen Gedanken im Kopf, der ganz und gar nicht der positiven neuen Rolle entsprach, die sie auszufüllen gedachte, riss sie die Tür auf …
… und stand einer Kiste mit kleinen Kürbissen gegenüber. Oder waren das Zierkürbisse? Aber das spielte keine Rolle, denn bevor Jeanie die Bezeichnungen im Kopf sortieren konnte, fing der sehr große Mann, der die Kiste mit den kleinen Kürbissen hielt, zu sprechen an.
Zumindest machte er ein Geräusch. Ein schroffes, erschrockenes Geräusch, das Jeanie daran denken ließ, dass sie gerade einen Baseballschläger auf eine sehr angriffslustige Weise hochhielt. Fast hätte sie ihn direkt fallen lassen, aber dann ermahnte sie sich, dass es sich immer noch um einen großen fremden Mann handelte, der da vor ihr stand. Kürbisse hin oder her, ihre Wachsamkeit sollte sie nicht so schnell aufgeben.
»Wer sind Sie?«, fragte sie, ohne den Türknauf loszulassen, für den Fall, dass sie diesem mysteriösen Kürbismann doch noch die Tür vor der Nase zuschlagen musste.
Seine dunklen Augenbrauen hoben sich ein wenig, als wäre er von ihrer Frage überrascht. »Logan Anders«, sagte er, als erklärte das alles. Tat es aber nicht.
»Und was machen Sie in meinem Hinterhof, Logan Anders?«, fragte sie.
Er stieß einen frustriert klingenden Atemzug aus und veränderte die Position der Kiste auf seinen Armen. Wahrscheinlich war sie schwer, aber Jeanie würde ihre Sicherheit nicht aufs Spiel setzen, nur weil dieser Mann mit seiner Gemüsekiste, dem abgetragenen Flanellhemd und dem dichten Bart ein Bild herbstlicher Fülle abgab. Sie ließ ihren Blick noch einen Moment auf seinem Gesicht ruhen. So könnte sie ihn bei einer Gegenüberstellung wiedererkennen, überlegte sie. Vielleicht müsste sie angeben, dass über dem Bart eine lange, gerade Nase und rosige Wangen zu sehen waren. Bei der Polizei fragte man sie vielleicht auch, ob er schier endlos lange Wimpern gehabt habe, und die Antwort wäre ein Ja. Für die Ermittlungen konnte es ebenso von Bedeutung sein, dass sie sogar im schwachen Licht des Morgens erkennen konnte, dass seine Augen einfach umwerfend blau waren.
»Es ist Donnerstag.«
Jeanie blinzelte. Hatte der Wochentag etwas damit zu tun, dass dieser Mann hier war und sie wach hielt?
»Und Sie halten mich seit Montag wach«, sagte sie.
Jetzt war es an Logan, verwirrt zu schauen. »Ich bin doch eben erst gekommen.« Er veränderte erneut die Position der Kiste, wobei er die Unterarme bei der Belastung anspannte. Sie musste wirklich schwer sein, aber er machte keine Anstalten, hereinzukommen oder sie abzustellen.
»Ich habe die ganze Woche über seltsame Geräusche gehört und mir eingeredet, es wäre nur der Wind oder ein Waschbär oder so. Aber dann habe ich überlegt, dass sich das wahrscheinlich viele Mordopfer eingeredet haben, bevor der Mörder eingebrochen ist.«
Logan hustete kurz und machte große Augen. »Mörder?«
Jeanie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Vielleicht war ihre Fantasie ja doch ein wenig mit ihr durchgegangen. »Oder was auch immer da …« Sie verstummte und wusste nicht recht, was sie diesem fremden Mann sagen sollte, der ebenso ratlos zu sein schien wie sie. »Also, was machen Sie hier?«, fragte sie schließlich.
»Ach so. Äh, ich liefere jeden Donnerstag Gemüse.« Er nickte in Richtung der Kiste.
Jeanie ging ein Licht auf. Die Warenlieferung. Ja, klar. Tante Dot hatte ihr am Tag vor ihrer Abreise so viel erklärt, doch Jeanie hatte sich keine Notizen gemacht. Das Café war geschlossen, seit sie angekommen war, und sie hatte immer noch keinen Plan, was alles zu tun war. Zum Glück gab es Norman, den langjährigen Geschäftsführer des Cafés, der ihr helfen würde. Er hatte ihr versichert, dass sie den Laden spätestens am Wochenende wieder öffnen könnten.
Logan verlagerte das Gewicht der Kiste abermals. Die Kiste, die er immer noch in den Händen hielt, war offenbar wirklich schwer.
»Entschuldigung!« Jeanie trat zurück und streckte den Arm in Richtung Café aus. »Kommen Sie rein. Wir finden schon einen Platz für diese … äh … Kürbisse?«
Logan zögerte und sah unschlüssig zwischen Jeanies Gesicht und dem Schläger, der immer noch auf ihrer Schulter ruhte, hin und her.
»Oh! Sorry. Ich werde Ihnen damit nicht auf den Kopf hauen, versprochen.« Sie versuchte es mit einem beruhigenden Lächeln, aber auch das schien nicht zu helfen. Er blieb weiterhin in der Tür stehen.
»Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie für einen Mörder gehalten habe. Nehmen Sie’s nicht persönlich. Ich habe nur drei Nächte nicht geschlafen, und irgendetwas hat hier unten Geräusche gemacht, das schwöre ich. Dabei versuche ich immer noch, diese ganze Sache mit der Café-Übernahme irgendwie zu begreifen.«
Logan starrte sie an, weiterhin mit dieser Unentschlossenheit im Blick. Verflixt, wahrscheinlich hatte sie ihn ordentlich erschreckt. Jeanie war in ihrem Leben schon mehr als einmal als »intensiv« bezeichnet worden. Sie war sich ziemlich sicher, dass es sogar in einem oder zwei Zeugnissen stand. Es war eins der Dinge, an denen sie arbeiten wollte, als Teil ihrer neuen Jeanie-Persönlichkeit. Weniger reden. Weniger grübeln. Weniger Intensität.
Sie holte tief Luft und blies sie langsam aus. Die Café-Jeanie war ruhig und gelassen, die freundliche Café-Besitzerin aus der Nachbarschaft, die immer ein Lächeln und das Lieblingsgetränk parat hatte. Und keine wilden Theorien darüber, wer oder was sie an irgendeinem beliebigen Tag zu töten versuchte, nicht die neuesten Nachrichten über das Abschmelzen der Polkappen und auch nicht die achtzehn Dinge, die sie heute noch erledigen musste.
Sie versuchte, den freien Geist von Tante Dot in sich zu finden, auch wenn sie sich wünschte, die Frau wäre etwas weniger entspannt gewesen und hätte ihr genauere Anweisungen gegeben. Sie versuchte es mit einem sanfteren, süßeren Lächeln. Es fühlte sich seltsam in ihrem Gesicht an. »Bitte, kommen Sie doch herein. Das ist bestimmt schwer.«
Logan nickte. »Normalerweise lasse ich es hier draußen stehen.«
»Oh.« Also hatte nicht ihr Monolog ihn abgeschreckt, sie hatte nur seinen üblichen Arbeitsablauf durchkreuzt. Sie verstand sehr gut, wie das einen Menschen aus der Fassung bringen konnte. Als ihr Lieblingscafé an der Ecke in Boston eine Woche lang geschlossen hatte, war sie kaum funktionstüchtig gewesen. Und das hatte nicht am Koffeinmangel gelegen. Cafés gab es in der Stadt genug, aber keines davon war eben ihres gewesen. Die ganze Woche über hatte sie schlechte Laune gehabt.
Diesmal war ihr Lächeln echt. »Okay, wenn Sie jetzt schon mal da sind und ich wach bin – wie wäre es mit einer Tasse Kaffee?«
Logan war die neue Besitzerin des PS-Cafés zwar durchaus lieber, seit sie nicht mehr vorhatte, ihm den Kopf mit einem Baseballschläger einzuschlagen, aber das hieß noch nicht viel. Er musste seine Arbeit machen, Ware ausliefern und vor allem dem allzu wohlmeinenden Stadtvolk aus dem Weg gehen. Ganz bestimmt hatte er keine Zeit, hier mit dieser Frau zu sitzen und vor Tagesanbruch irgendetwas zu trinken. Andererseits hatte er kaum eine Möglichkeit, ihr zu entkommen oder überhaupt ein Wort zu sagen. Dots Nichte hatte nicht ein einziges Mal aufgehört zu reden, seit sie darauf bestanden hatte, dass er hereinkam.
In den letzten fünf Jahren, seit er die Farm übernommen hatte, hatte er jeden Donnerstag vier Kisten mit Obst und Gemüse für Dot neben der Hintertür abgestellt. Er mochte es, in der Stadt zu sein, bevor die Sonne aufging und die Leute herauskamen. Er mochte es, alles zu erledigen, bevor die anderen Geschäfte öffneten.
Logan war nicht der Typ zum Plaudern. Er konnte es nicht leiden, über das Wetter zu spekulieren, und interessierte sich nicht für den neuesten Klatsch, der im Ort die Runde machte. Noch weniger mochte er es, selbst das Objekt des neuesten Klatsches zu sein. Je früher er also mit seinen Auslieferungen fertig war, desto schneller hatte er wieder seine Ruhe auf der Farm. Oder zumindest so viel Ruhe, wie man auf einem Hof mit einem halben Dutzend Hühnern, zwei älteren Ziegen, einem adoptierten Alpaka und einer Großmutter, die allzu gern plauderte, eben haben konnte. Zum Glück war sein Großvater genauso ein stiller Typ wie er. Seine Großmutter redete genug für sie beide. Fast so viel wie diese Jeanie.
»Was glauben Sie, äh, oder du, was meine Tante mit diesen … kleinen Kürbissen vorhatte?« Sie schaute auf die Kiste hinunter, die er zu seinen Füßen abgestellt hatte. Jeanie hatte ihren Platz hinter dem Tresen eingenommen. Eine Hand hatte sie auf die Hüfte gestützt, mit der anderen strich sie sich ein paar Haarsträhnen zurecht, die aus ihrem unordentlichen Dutt gerutscht waren.
»Zierkürbisse«, korrigierte Logan sie von der anderen Seite der Theke aus.
»Genau. Zierkürbisse. Dachte ich mir schon.« Jeanie sah immer noch verwirrt aus. »Aber … die isst man doch nicht, oder?«
Fast hätte er gelacht. Aber nur fast. Er war immer noch zu sauer, um zu lachen. »Nein, man isst keine Zierkürbisse.«
Jeanies Blick schweifte über die anderen drei Kisten, die er hineingetragen hatte, anstatt sie an ihrem rechtmäßigen Platz neben der Tür abzustellen. Dort, wo er sie sonst immer abstellte. Dort, wo er sie auch heute Morgen hätte lassen sollen. »Ich nehme an, alles andere da drin ist für die Smoothies gedacht, die auf der Speisekarte stehen?«
Logan nickte. In dieser Stadt liebten die Leute Smoothies. Nicht, dass er sich darüber beschwert hätte. Smoothies bedeuteten, dass das Café eine Menge frisches Obst und Gemüse von seinem Hof benötigte. Smoothies waren demnach gut fürs Geschäft.
»Die Zierkürbisse sind nur zur Deko«, sagte er, um ihnen beiden weitere Mutmaßungen zu ersparen.
Jeanies Augen hellten sich auf, als hätte er ein weltbewegendes Problem gelöst. Komischerweise löste der Anblick ihres zufriedenen Gesichts Stolz in ihm aus, was er schnell abtat. Es war halt schon eine Weile her, dass er die Probleme von irgendjemandem hatte lösen können.
»Na klar! Darauf hätte ich auch wirklich selbst kommen können. Daran ist nur dieser blöde Schlafmangel schuld!«
Sie stützte die Ellenbogen auf den Tresen und legte das Kinn in den Händen ab. Sie trug eine alte, übergroße Strickjacke, deren Ärmel so lang waren, dass sie ihr über die Hände reichten, und darunter ein verwaschenes T-Shirt und eine Schlafanzughose. Er war sich ziemlich sicher, dass die Hose mit lauter Igeln übersät war, aber er hatte sich bisher bemüht, sie nicht weiter zu beachten.
Überhaupt bemühte er sich, viele Dinge an Jeanie nicht zu beachten. Etwa wie ausdrucksstark ihre dunklen Augenbrauen waren, und wie sie selbst sich fast unablässig bewegte – zum Beispiel als sie mit schnellen, effizienten Bewegungen seinen Kaffee zubereitet hatte. Sie wirkte so widersprüchlich, dass es für eine Studie gereicht hätte: kompetent, aber gleichzeitig hilflos, schnell ein Lächeln auf Lager, aber ebenso schnell ein Stirnrunzeln, und ihre Augen drückten jede Emotion vollkommen klar aus. Sie waren dunkelbraun, fast schwarz, genau wie er seinen Kaffee bestellt hatte.
Jeanie rieb sich mit einer Hand übers Gesicht, und der Bann war gebrochen. Wie lange hatte er sie schon angestarrt? Sie gähnte und reckte die Arme über den Kopf. Ihr T-Shirt hob sich dabei, und Logan wandte den Blick von dem entblößten Stück Haut oberhalb ihres Hosenbündchens ab. Das würde er ganz bestimmt nicht beachten.
Als er es wagte, sie wieder anzusehen, stützte sie sich abermals mit den Ellenbogen auf den Tresen. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihr schwarzes Haar saß wie ein unordentliches Nest auf ihrem Kopf. Ihre zusammengesackte, niedergeschlagene Haltung rührte an etwas in seinem Inneren. Etwas Unangenehmem. Etwas, für das er im Moment keine Zeit hatte.
Er öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass er weiter ausliefern müsse, aber sie redete schon wieder.
»Es ist einfach so seltsam. Ich höre ständig diese Geräusche. Jede Nacht. Glaubst du, dass es hier vielleicht spukt?«
Logan verschluckte sich fast an seinem Kaffee. »Spukt?«
»Ja.« Sie richtete sich auf, und ihre Augen wurden wieder heller ob der neuen Theorie. »Vielleicht sind die Geister, die hier leben, nicht zufrieden mit mir als neuer Besitzerin.«
»Die Geister?« Es war noch zu früh am Morgen für diese Art von Verrücktheiten.
»Geister, Gespenster, was auch immer.« Jeanie machte eine Geste, wie um zu unterstreichen, dass die Bezeichnung des Spuks keine Rolle spielte. »Etwas ist verärgert, dass ich hier bin.«
»Ich glaube wirklich nicht, dass …«
»Es gibt keine andere logische Erklärung.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Fall erledigt. Hier spukt es definitiv.«
»Keine andere Erklärung …?« Logan stellte seine Tasse dumpf auf dem Tresen ab. Das war zu viel. »Waschbären? Alte Rohre, zugige Fenster? Deine eigene Fantasie?« Er zählte die Möglichkeiten an seinen Fingern ab. Jeanie kniff bei dem letzten Vorschlag die Augen zusammen, aber er fuhr fort. »Es könnte auch sein, dass sich die Dorfjugend einen Scherz erlaubt. Es gibt unendlich viele Erklärungen, die mehr Sinn ergeben, als dass es spukt. Aber jetzt muss ich wirklich los.«
»Was meinst du mit ›Dorfjugend, die sich einen Scherz erlaubt‹?«
Logan seufzte und widerstand dem Drang, sich die Haare zu raufen. »Keine Ahnung. Vielleicht sind ein paar Jugendliche um die Häuser gezogen.«
Jeanie nickte langsam, um diese neue Theorie zu überdenken.
Logan schob seinen Becher über den Tresen und setzte schon zu einem Dankeschön und Tschüss an, aber Jeanie war schneller.
»Und was machen wir jetzt? Ich brauche dringend Schlaf.«
»Wir?« Er wich von der Theke zurück. Vielleicht sollte er sich einfach umdrehen und weglaufen. Er hatte ganz sicher nicht vor, sich weiter mit der neuen Cafébesitzerin abzugeben. Er konnte förmlich schon hören, wie sich die Damen des Buchklubs darüber lustig machten. Bei denen wurden Klatsch und Tratsch praktisch zum Frühstück serviert.
Jeanie nickte. »Du bist mein einziger Freund hier im Ort. Wie soll ich es denn allein mit einer Bande von Teenagern aufnehmen?«
»Bande ist ein bisschen stark«, murmelte er, wobei er zielstrebig rückwärts in Richtung Tür ging, aber jetzt folgte ihm Jeanie. Eindeutig waren das Igel auf ihrer Schlafanzughose. Er weigerte sich innerlich, das liebenswert zu finden.
»Bitte. Ich bin neu hier, und mir ist, als hätte ich keinen Schimmer, was ich hier eigentlich ma…« Sie verstummte und schüttelte den Kopf. »Entschuldigung. Es ist ja nicht dein Problem.« Sie lächelte. »Ich krieg das schon geregelt.«
Ihr gezwungenes Lächeln berührte wieder etwas in ihm. Sie sah so … so verloren aus. Selbst als sie lächelte und sich die Haare aus dem Gesicht strich, um den Eindruck zu erwecken, dass sie zuversichtlich war. Das war sie definitiv nicht. Und es brachte ihn noch mehr durcheinander als ihr ständiges Reden.
Verflucht! »Komm doch einfach heute Abend zur Gemeindeversammlung«, sagte er.
»Gemeindeversammlung?«
»Genau.« Er fuhr sich mit der Hand über den Bart und bedauerte bereits seine nächsten Worte. »Sie findet jeden zweiten Donnerstag statt. Du kannst dein … äh … Problem zur Sprache bringen. Dir Hilfe holen.«
Ihr Lächeln wurde zu etwas Hellem, Echtem. Oh nein. Das echte Lächeln von Jeanie war sogar noch reizender als die verdammten Igel. Wie hatte seine normale Morgenauslieferung eine so drastische Entwicklung nehmen können?
»Danke! Das ist eine tolle Idee.« Jeanie schlug die Hände vor dem Körper zusammen, als wollte sie sich selbst davon abhalten, ihn zu umarmen. Logan war sich nicht sicher, ob er darüber erleichtert oder enttäuscht war.
Er musste hier weg. Eine Hand hatte er schon auf der Türklinke, war also fast am Ziel. Fast wieder in seinem normalen Morgen, seiner gesegneten Ruhe.
»Bist du da auch?« Jeanies Frage bremste ihn, noch bevor er flüchten konnte. Logan ging normalerweise nur zur Bürgerversammlung, wenn ein landwirtschaftliches Problem ihn dazu zwang, und selbst dann nur, wenn seine Großmutter zu sehr mit ihrem Strickkreis beschäftigt war, um in die Stadt zu fahren. Sein Großvater würde sich eher einen Zahn ziehen lassen, und zwar ohne Betäubung, als an einer Bürgerversammlung teilzunehmen (seine Worte).
Logan hatte keinen Grund, diese Woche hinzugehen. Aus einem unerfindlichen Grund hörte er sich jedoch antworten: »Ja, ich werde auch da sein.«
Jeanies erfreutes Quietschen folgte ihm hinaus in die Dämmerung.
Na, das würde ja ein Fest für den Buchklub werden.
Hallo, ich bin Jeanie Ellis, Dorothys Nichte und die neue Besitzerin des Pumpkin-Spice-Cafés. Ich habe ein kleines Problem mit einer nächtlichen Ruhestörung.
Nächtliche Ruhestörung? Damit klang sie noch verrückter als heute Morgen. Ihr Knie wippte auf und ab, trotz ihrer Versuche, es zur Ruhe zu bringen. Sie war nervös. Sie wollte bei diesem Treffen einen guten Eindruck machen, darum war sie ihre kleine Rede im Kopf mindestens ein Dutzend Mal durchgegangen, seit sie hier angekommen war, und das zwanzig Minuten zu früh, wie es schien.
Sie saß im hinteren Teil des Raumes. Die alten Dielen und der womöglich noch ältere Stuhl knarrten unter ihr. Nur eine Handvoll anderer Leute tummelten sich im Raum und begrüßten einander mit der lockeren Vertrautheit, die Jeanie seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt hatte. Sie hatte es vermisst, dieses Gefühl der Zugehörigkeit, der Heimat, ohne zu merken, wie sehr. Sie hatte sich aus der kleinen Stadt, in der sie aufgewachsen war, direkt nach ihrem Highschoolabschluss davongemacht, um sich von den engen Grenzen zu befreien. Aber irgendwann hatten die Menschenmassen und der viele Beton in der großen Stadt ihren Reiz für sie verloren.
Sie veränderte leicht ihre Position, und der Stuhl unter ihr ächzte bedrohlich. Ein älterer Herr schenkte ihr ein freundliches Lächeln und grüßte mit der Hand, als er vorbeiging, um auf eine Gruppe zuzusteuern, die sich in Podiumsnähe versammelt hatte. Jeanie hob ihrerseits die Hand, um den Gruß zu erwidern, aber da war er schon weg. Sie steckte die Hände zwischen ihre Oberschenkel, um sie aufzuwärmen und um nicht herumzuhampeln, und beobachtete, wie die Gruppe den Mann mit gutmütigem Spott über seine leuchtend grüne Krawatte begrüßte. Jeanie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so gescherzt hatte. Wann sie das letzte Mal Menschen um sich gehabt hatte, also so richtig körperlich, mit denen sie so scherzen konnte. Irgendwie hatte es sich in den letzten Jahren dahin entwickelt, dass ihr Bruder ihr engster Freund geworden war. Und ihre Beziehung zu ihm bestand aus ein paar Textnachrichten, Memes und hier und da einem FaceTime-Chat.
Jeanie zog ihre Jacke enger um die Schultern. Es war bitterkalt hier drinnen, trotz der vor Anstrengung rasselnden Heizkörper an den Wänden.
Das alte Rathaus, in dem die Bürgerversammlung stattfand, war laut der Gravur des Steins vorn an der Fassade im Jahr 1870 erbaut worden. Jeanie konnte sich nicht recht vorstellen, wie es hier 1870 ausgesehen haben mochte. Heute Abend sah es jedenfalls aus wie ein kleiner Hörsaal mit mehreren Reihen von metallenen Klappstühlen und einem Podium ganz vorn. Die Bühne hinter dem Podium war offensichtlich für eine bevorstehende Herbstaufführung geschmückt. Handgemalte Kulissen mit Kürbissen und Apfelbäumen bildeten den Hintergrund, davor waren Heuballen verteilt. Jeanie stellte sich vor, wie Kinder in Kostümen dort oben herumtanzten und ihren Eltern im Publikum zuwinkten. Das wäre sicher bezaubernd, allerdings bezweifelte sie, dass es eine sichere Angelegenheit war, Kinder auf eine so alte Bühne zu lassen. Würden die alten Holzbretter das überhaupt aushalten?
Sie schüttelte den Gedanken ab und wandte sich zu der Doppeltür um, die in den Versammlungsraum führte. Immer noch kein Logan in Sicht. Vielleicht hatte er nur gesagt, dass er kommen würde, damit sie aufhörte zu reden. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich jemand mit ihr verabredete, nur damit sie endlich still war. Wie immer war sie zu intensiv gewesen. Sie hatte den stillen Farmer mit all ihren Problemen und ihren durch den Schlafentzug produzierten Theorien überfallen. Den sehr gut aussehenden, sehr ruhigen Farmer.
Jeanie strich sich mit den Händen über die Oberschenkel und versuchte, ihr hüpfendes Knie zu bändigen. Es spielte keine Rolle, dass Logan gut aussah. Und zwar sehr, sehr gut aussah. Wenn es ein Sexy-Farmer-Magazin gäbe, wäre er auf dem Titelblatt.
Es spielte keine Rolle, denn es gehörte nicht zum Plan der neuen Jeanie, sich mit gut aussehenden Farmern einzulassen. Sie hatte der verrückten Idee ihrer Tante zugestimmt, das Café zu übernehmen, damit sie einen Neuanfang starten konnte.
Die letzten sieben Jahre hatte sie als Assistentin des CEOs von »Franklin, Mercer & Young Financial« gearbeitet. Bis er eines Abends einen Herzinfarkt erlitten hatte und an seinem Schreibtisch gestorben war. Jeanie war diejenige gewesen, die ihn am nächsten Morgen fand. Seine leeren Augen hatten sie angestarrt, als sie mit einem Kaffee in der Hand sein Büro betrat. Der Kaffeefleck auf dem Teppich, wo sie die Tasse vor Schreck fallen gelassen hatte, war noch dort, als sie kündigte.
Der Arzt sagte, der Herzinfarkt sei stressbedingt gewesen. Dadurch und durch Marvins miserable Ernährung, die hauptsächlich aus Bacon und Fast Food bestand. Aber es war der stressbedingte Teil, an dem sich Jeanie festbiss. War das ihre Zukunft? Pausenlos arbeiten, bis ihr Herz versagte? Schlichtweg kapitulierte?
Sie neigte dazu, sich zu viele Gedanken zu machen. Zu viel zu reden. Zu viel zu arbeiten. Ruhe und Entspannung lagen ihr nicht besonders. Sie kam nicht runter. Aber sie war entschlossen, es nun zu versuchen, ihrer Gesundheit zuliebe. Wie sie festgestellt hatte, bestand ihr Leben nur aus Arbeit, ein paar Bürobekanntschaften, mit denen sie freitags etwas trinken ging, falls sie nicht zu erschöpft zum Mitgehen war, und ihren kläglichen sporadischen Datingversuchen. Diese Tatsache war ihr plötzlich als ein sehr großes Problem erschienen. Ein tödliches Problem.
Als ihre Tante Dot dann nur wenige Wochen nach Marvins Tod die Idee hatte, dass Jeanie nach Dream Harbor umziehen und das Café übernehmen könnte, war es Jeanie wie der perfekte Ausweg vorgekommen. Nur hatte sie schon jetzt das sichere Gefühl, dass sie dabei war, zu scheitern. Besonders nach ihrem kleinen Auftritt mit dem attraktiven Farmer heute Morgen. Sie hatte ihn fast geköpft und ihm dann mit tausend Meilen pro Stunde die Ohren vollgequatscht. Sein entsetzter Blick war ihr nicht entgangen. Sein verzweifelter Versuch, zu flüchten.
Sie warf erneut einen Blick zur Tür. Ein paar ältere Frauen kamen herein, sonst niemand. Sie lächelten ihr zu, als sie ihre Plätze einnahmen.
Es war wirklich besser so. Jeanie war nicht gut in Beziehungen, die länger als ein paar Wochen dauerten, und eine flüchtige Liaison in einer so kleinen Stadt wie dieser zu beginnen, wäre eine dumme Idee. Nicht dass Logan auch nur eine flüchtige Beziehung mit ihr gewollt hätte. Nicht dass er heute Morgen auch nur eine Tasse Kaffee mit ihr hätte trinken wollen, bevor sie ihn dazu gezwungen …
»Hey.« Seine schroffe Begrüßung schreckte sie aus ihren Gedanken auf, als er sich auf den Platz neben ihr setzte. Er roch nach freier Natur, nach Herbstlaub und Holzrauch. Jeanie widerstand dem Drang, sich in dem zugigen Raum näher an seine Wärme zu kuscheln.
»Hallo.« Cool bleiben, ganz locker. Sie warf einen kurzen Blick zu ihm hinüber, als er sich auf seinem Platz einrichtete. Immer noch gut aussehend. Verflixt. »Wie war dein Tag?«, fragte sie. Nur eine beiläufige Frage an eine neue Bekanntschaft. Keine verrückten Geistertheorien mehr.
»Äh … gut.« Er räusperte sich. »Normal.«
Jeanie lächelte. »Normal ist gut.«
Logan nickte. »Wenn du das Normale magst, wirst du dieses Treffen verabscheuen.«
Jeanie lächelte noch breiter. War das ein kleiner Scherz von dem ernsten Farmer? »Geht es so hoch her bei den Bürgerversammlungen in Dream Harbor?«
»Wart’s ab.« Er hatte sich zu ihr gebeugt, und seine tiefe Stimme rumpelte durch ihren Körper.
Es blieb jedoch keine Zeit, sich näher mit dieser eindringlichen Sinneswahrnehmung auseinanderzusetzen, denn der Sitzungssaal füllte sich, und Jeanie versuchte, alles in sich aufnehmen.
Die Leute nahmen ihre Plätze ein, und im Raum wurde es durch den Zustrom von Menschen deutlich wärmer. Ein lautes Lachen ließ Jeanie aufmerken. Es kam von einer Frau ein paar Reihen vor ihnen, die in den Vierzigern sein mochte – wobei, wenn es so war, sah sie für ihr Alter einfach großartig aus, was Jeanies Plan, in der Kleinstadt zu leben, zusätzlich rechtfertigte. Die Menschen hier alterten auf so positive Weise! Die Frau lachte wieder, und dabei strich das Haar ihrer glatten schwarzen Bobfrisur an ihrem runden Gesicht vorbei. Sie zwängte sich zwischen eine ältere Frau mit kurzen grauen Haaren und einen Mann in den Zwanzigern, der laut redete und dabei jedes Wort mit einer Geste betonte.
»Buchklub«, murmelte Logan in ihr Ohr.
»Buchklub«, wiederholte Jeanie leise und beobachtete, wie zwei andere Frauen aus der Reihe dahinter sich ins Gespräch mischten. Eine davon hatte ein Baby im Tragetuch vor der Brust. »Sieht aus, als hätten sie richtig Spaß.«
»Spaß.« Logan stieß ein glucksendes Lachen aus. »Sie regieren die Stadt.« Sein unheilverkündender Tonfall stand in völligem Widerspruch zu der lachenden, fröhlichen Gruppe vor ihnen, zumal als die Frau mit der schwarzen Bobfrisur sich umdrehte und ihm winkte.
Logan stöhnte und winkte zurück.
Der Rest der Gruppe drehte sich um, und Jeanie konnte förmlich sehen, wie sie plötzlich strahlten. Die ganze Gruppe freute sich offenbar, ihn zu sehen.
»Logan! Was für ein seltenes Vergnügen!«, rief die ältere Frau.
»Hey, Nancy.«
»Wir vermissen dich bei unseren Treffen.« Der jüngere Mann zwinkerte. Zwinkerte?
Logan grummelte: »Ich war noch nie bei eurem Treffen.«
Der Mann lachte. »Na ja, vielleicht nicht mit Absicht, aber manchmal hatten wir dich in Gedanken dabei. Vor allem, als wir Leidenschaft auf der Weide. Der Farmer und die Milchmagd gelesen haben.« Der Mann sprach so laut, dass man es im ganzen Raum hören konnte. Mehrere Leute kicherten und wandten sich zu Logan um.
»Oh, das war so gut.« Die Frau mit dem Baby schlug sich mit einer Hand auf die Brust und mimte eine Ohnmacht auf dem Stuhl.
Als Jeanie einen Blick auf Logan warf, war sein Gesicht über dem Bart knallrot. Sie verkniff sich ein Lächeln.
»Bist du die neue Besitzerin des Cafés?«, fragte die schwarzhaarige Frau sie. »Ich bin Kaori.«
»Jeanie. Und, ja, mir gehört jetzt das Café.«
»Dann mach mal den Laden wieder flott!«, schimpfte die Frau mit dem Baby lachend. »Ich bin die Treffen bei Kaori zu Hause leid. Es ist so vollgestopft bei ihr. Überall niedliche Vasen und seltsamer Schnickschnack. Davon krieg ich Ausschlag.«
Kaori gab der Frau spielerisch einen Klaps auf die Schulter. »Hör nicht auf Isabel. Und sei ganz herzlich willkommen in Dream Harbor.«
Dann unterhielten sich die Damen des Buchklubs wieder untereinander.
»Leidenschaft auf der Weide, wie?«, konnte Jeanie sich nicht verkneifen zu fragen.
Logan räusperte sich und rutschte auf dem Stuhl herum, der aus Protest laut knarrte. »Hab ich nicht gelesen.«
»Schade. Hört sich doch gut an.« Sie unterdrückte ein Lachen bei dem Gedanken, dass Logan ein Buch über einen Farmer und eine Milchmagd las, und versuchte, sich selbst nicht in der Rolle der besagten Milchmagd zu sehen.
»Ich schätze, ich muss wirklich das Café wieder ans Laufen bringen. Ich will mir ja keinen Ärger mit dem Buchklub einhandeln.« Sie hatte es eigentlich als Scherz gemeint, aber ihr war bewusst, dass die Unsicherheit in ihrer Stimme nicht zu überhören war, der Stress, weil sie sich noch nicht für die Eröffnung bereit fühlte.
»Kümmere dich nicht um sie. Sie suchen nur einen Platz, an dem sie mit ihrer Pornografie hausieren gehen können.«
Jeanie blickte gerade noch rechtzeitig auf, um das kleine Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. Noch ein Scherz.
»Nun, das wollen wir natürlich nicht. Und schon gar nicht wollen wir Farmer zu Objekten machen.«
Logans Lächeln wurde noch breiter. Oh, verdammt, vielleicht musste sie sich dieses Buch doch mal ansehen und ihre neue Wertschätzung für Landwirte auf eine sichere Art und Weise befriedigen.
»Hab ich irgendwas verpasst?« Eine Frau mit lockigen braunen Haaren nahm auf Logans anderer Seite Platz.
»Nö.«
»Genau genommen hast du eine ziemlich interessante literarische Unterhaltung verpasst«, mischte Jeanie sich ein und erinnerte Logan damit an ihre Anwesenheit.
»Interessant würde ich das nicht nennen. Jeanie, das ist Hazel. Hazel, Jeanie.«
Hazel streckte ihr die Hand über Logans Schoß hinweg entgegen, und Jeanie ergriff sie. Hazels Finger guckten aus ihren fingerlosen Handschuhen heraus, und sie waren kalt in Jeanies Hand.
»Freut mich, dich kennenzulernen.«
Hazels Blick huschte von Jeanie zu Logan und wieder zurück. »Freut mich auch, dich kennenzulernen. Ich betreibe den Buchladen neben deinem Café.«
Jeanies Lächeln wurde breiter. »Oh, der ist so hübsch.«
Hazels Wangen wurden rosig. »Danke.«
Jeanie war so mit der Frage beschäftigt, ob Hazel wohl irgendwelche Romanzen über Farmer auf Lager hatte, dass sie beinahe ihre nächste Frage überhört hätte.
»Und woher kennt ihr beide euch?«
»Oh, das Übliche«, sagte Jeanie. »Ich hätte ihm fast den Kopf mit einem Baseballschläger eingeschlagen, weil ich dachte, er sei ein Einbrecher, der mich umbringen will. Eigentlich wollte er aber nur kleine Kürbisse abliefern … äh … Zierkürbisse. Dann erwähnte ich, dass es im Café womöglich spukt, und er schlug mir vor, ich solle hierherkommen, um … äh … mir Hilfe zu holen.«
Hazels Augen hinter der Brille wurden groß. »Oh … wow.«
Jeanie bemühte sich zu lächeln, um einen weniger verwirrten Eindruck zu machen, aber es gelang ihr nicht. Hazel lehnte sich mit einem kleinen Schmunzeln in ihrem Sitz zurück. Sie flüsterte Logan etwas zu, woraufhin Logan heftig den Kopf schüttelte. Jeanie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, weil eine andere Frau in der Reihe vor ihnen Platz nahm.
»Siehst du ihn da drüben? Er heckt eindeutig etwas aus«, sagte die Frau und schien damit ein Gespräch fortzusetzen, von dessen Existenz Jeanie keine Ahnung hatte.
»Sieht aus, als würde er nur reden«, murmelte Logan, und die neue Frau warf ihm einen Blick zu.
»Ja, klar, er redet nur mit dem Bürgermeister. Er hat wahrscheinlich noch mehr verrückte Pläne, um diese Stadt zugrunde zu richten.«
»Es ist nur ein Quizabend, Annie.«
»Ein Quizabend zur selben Zeit wie mein Kurs ›Backen für Neulinge‹! Das war Absicht!« Sie sah den Mann auf der anderen Seite des Raumes finster an, und Jeanie folgte ihrem Blick. Besagter Mann, der den Quizabend plante und die Stadt zugrunde richtete, war groß und gut aussehend. Nicht so gut aussehend wie ein Farmer, aber definitiv attraktiv. Dunkles Haar, bronzefarbene Haut. Sein Lächeln war eher ein überhebliches Grinsen. Was war hier eigentlich im Wasser? Waren alle Männer in der Stadt sexy? War das der Traum im Namen von Dream Harbor? Jeanie hätte jedenfalls keine Einwände dagegen gehabt.
»Annie, wir kennen Mac seit dem Kindergarten«, sagte Logan.
Annie runzelte die Stirn. »Das ist genau das Problem. Du musst doch noch wissen, wie gemein er war. Er hat dir in der zweiten Klasse jeden Tag deinen Kakao weggenommen! Gerade du solltest Verständnis haben!«
Logan stieß ein leises Lachen aus, nur einen leichten Lufthauch. »Ich bin darüber hinweg.«
Annie verschränkte die Arme vor der Brust. »Tja, ich bin es nicht.«
Schließlich sah sie Jeanie an, die lächelte und kurz winkte.
»Du musst die geheimnisvolle neue Cafébesitzerin sein! Ich bin Annie, die Inhaberin der Sugar Plum Bakery. Schön, dich endlich kennenzulernen.«
»Bin ich geheimnisvoll?« Jeanie warf einen Blick auf Logan. Sein Gesicht war grimmig, aber er antwortete nicht. »Freut mich auch, dich kennenzulernen. Von der Bäckerei riecht es immer morgens so köstlich.«
»Dann komm vorbei. Oh, und außerdem liefere ich am Wochenende immer Scones ins Café. Also erspar mir bitte die Begrüßung, mit der du Logan empfangen hast.«
Jeanies Wangen glühten vor Verlegenheit, aber Annie lachte, als fände sie das enorm spaßig.
»Es war wirklich nicht persönlich gemeint …«, setzte Jeanie an, aber Annie winkte ab und unterbrach sie.
»Wenn ich diesen großen Tölpel in der Gasse herumschleichen sähe und ihn nicht von Geburt an kennen würde, wäre meine erste Reaktion wahrscheinlich auch, ihm eins überzuziehen.«
»Ich schleiche nicht.«
»Ein bisschen hast du dich schon angeschlichen«, gab Jeanie zurück.
Annie wies mit dem Finger auf Logan. »Siehst du, du schleichst. Ich mag sie.« Nun deutete sie auf Jeanie.
»Wann fängt diese verdammte Versammlung endlich an?« Logans Stimme war eine bezaubernde Mischung aus Verzweiflung und Resignation.
Hazel tätschelte sein Knie mit ihrer immer noch behandschuhten Hand. »Du weißt, dass Bürgermeister Kelly nie pünktlich anfängt.«
»Warum nennst du ihn so? Sag doch einfach ›Dad‹.«
Hazel zuckte mit den Schultern. »Er ist bei der Arbeit. Ich versuche, respektvoll sein.«
Logan verdrehte die Augen, aber Jeanie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie mochte die Leute hier jetzt schon. Sie mochte diese Stadt. Sie mochte diesen mürrischen Farmer. War es zu viel verlangt, sich zu wünschen, dass sie hierherpassen könnte? Dass Annie sie vielleicht tatsächlich mochte, sie vielleicht in den Buchklub eingeladen würde, und dass Hazel sie womöglich ihrem Vater, dem Bürgermeister, vorstellte?
Der Druck stieg, das Café wieder zum Laufen zu kriegen. Aber wenn sie es geschafft hatte, dass Marvin immer gut vorbereitet in seine wöchentlichen Treffen mit milliardenschweren Investoren ging, war sie ja wohl auch in der Lage, ein kleines Café zu führen, oder?
Logan hatte immer gedacht, in der Hölle gebe es Feuer und Schwefel, aber es stellte sich heraus, dass die Hölle eine Versammlung im Rathaus war, wo er zwischen der Frau, die er seit heute Morgen zu vergessen versuchte, und einer sehr guten, aber neugierigen Freundin eingeklemmt saß. Jedes Mal, wenn er Hazel ansah, wackelte sie mit den Augenbrauen, und zwar so, dass er sich sehr unbehaglich fühlte, und jedes Mal, wenn er Jeanie ansah, schaute sie lächelnd zu ihm auf, als amüsierte sie sich prächtig. Worauf hatte er sich da nur eingelassen?
Er wusste nicht mal, warum er Jeanie von diesem blöden Treffen erzählt hatte, geschweige denn, warum er zugestimmt hatte, auch zu kommen. Aber sie hatte heute Morgen so besorgt ausgesehen, so durcheinander. Und müde. Sie war überfordert, und er machte es ja auch für die Stadt. Das Pumpkin-Spice-Café war das einzige richtige Café im Ort. Wenn Jeanie es nicht bald wieder in Schwung brachte, mussten die Leute auf das verbrannte, wässerige Gesöff zurückgreifen, das man an der Tankstelle beim Highway bekam. Oder sie würden alle wie Zombies gegenseitig ihre Gehirne zum Frühstück essen. So gesehen war er ein Held.
Annie hatte angefangen, Jeanie alle wichtigen Personen der Stadt zu zeigen. Dabei wickelte sie den längsten Schal der Welt von ihrem Hals ab, sodass ihre blonden Haare ihr wild um den Kopf flogen.
»Also, der Typ da vorne mit der scheußlichen grünen Krawatte ist, wie man sich denken kann, der Bürgermeister.«
»Hey! Die Krawatte hab ich ihm gekauft.«
»Entschuldige, Haze, aber die Farbe ist grässlich.« Annie zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls ist die Frau im Power Suit neben ihm die stellvertretende Bürgermeisterin und unsere ehemalige Schulleiterin. Ihr Name ist Mindy, aber für mich wird sie immer Rektorin Walsh bleiben.« Annie senkte die Stimme und beugte sich näher zu Jeanie. »Sie ist furchterregend.«
Jeanie kicherte. Logan ignorierte, wie das Geräusch sich in ihm zusammenrollte und einkuschelte.
»Und der da drüben ist mein Erzfeind, Macaulay Sullivan.«
»Der Quiz-Typ?«
»Lass dich davon nicht täuschen, Jeanie. Ihm gehört der Pub neben deinem Café. Nimm dich vor ihm in Acht.«
Logan schnaubte. Das einzige Problem zwischen Annie und Mac war, dass sie scharf aufeinander waren, nur dass keiner von beiden es zugeben wollte. Aber darauf würde er jetzt nicht eingehen.
»Die zwei, mit denen er da steht, sind Greg und Shawn vom Kleintierladen an der Ecke.«
Jeanie nickte und nahm alles in sich auf. Logan hätte es nicht überrascht, wenn sie ein Notizbuch hervorgezogen und einen Spickzettel angelegt hätte. Sie schien der Typ zu sein, der sich Notizen machte. Nicht dass es ihn interessierte, was für ein Typ sie war. Er war nur des Kaffees wegen hier, weil er der Stadt helfen und eine Zombie-Apokalypse verhindern wollte, und nicht, um sich Gedanken darüber zu machen, wie Jeanies Handschrift wohl aussah und ob sie kleine Bilder an die Ränder kritzelte.
Wahrscheinlich machte sie es.
»Und da drüben sind die Sharmas, die haben gerade ein neues Restaurant weiter unten an der Main Street eröffnet. Bei ihnen bekommst du das beste Tandoori-Hühnchen«, informierte Annie sie weiter.
Hazel stupste Logan in die Seite und lenkte seine Aufmerksamkeit von Annies Vorstellungsrunde ab. »Verrätst du mir, wie sie es geschafft hat, dich hierherzukriegen?«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Du kommst doch sonst nie.«
»Pure Hilfsbereitschaft. Du weißt schon, rein nachbarschaftlich.«
»Nachbarschaftlich?« Ungläubig hob sie die Stimme, als hätte er noch nie in seinem Leben etwas im Dienste der Nachbarschaft getan.
»Ja. Ich kann hilfsbereit sein.«
Hazel schnaubte. »Hilfsbereit, klar. Aber zu einer Bürgerversammlung kommen? Das ist mehr als hilfsbereit für dich.« Sie schob sich die Brille hoch und grinste ihn vielsagend an. »Ich glaube, du bist verknallt.«
»Ich bin nicht verknallt«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen; albernerweise in Sorge, dass Jeanie alles hören könnte. »Ich bin kein zwölfjähriges Mädchen, ich will nur eine anständige Tasse Kaffee im Ort trinken können.«
Seine nervige kleine Freundin zuckte mit den Schultern. »Okay, schon klar. Du bist nur ein hilfsbereiter Nachbar, dem es um den Kaffee geht. Verstehe.«
Er funkelte sie an, aber sie grinste nur unschuldig. Er pflegte nicht viele Freundschaften, also sollte er es sich wohl besser verkneifen, diese Freundin hier zu erwürgen.
Stattdessen lehnte er sich auf dem altersschwachen Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Verknallt. Absurd. Er wusste kaum etwas über diese Frau, außer dass sie eine niedliche Pyjamahose trug, das strahlendste Lächeln besaß, das er je gesehen hatte, und einen Baseballschläger halten konnte wie ein Spieler der Major League. Abgesehen davon wusste er nichts. Und so sollte es auch bleiben.
Das letzte Mal, dass er mit einer Beziehung gescheitert war, und zwar vor den Augen der ganzen Stadt, war noch nicht lange her. Diesen Fehler machte er ganz sicher nicht noch einmal. Wenn er das nächste Mal etwas mit einer Frau anfing, würde er dafür sorgen, dass sich alles in großem Abstand zu Dream Harbor abspielte. Vielleicht würde es ja eine dieser netten Fernbeziehungen, von denen man immer wieder hörte.
Also nicht, dass er überhaupt vorgehabt hätte, Jeanie zu daten.
Er wollte nur ihren Kaffee.
Bürgermeister Kelly erschien auf dem Podium und räusperte sich. Logan stöhnte innerlich auf.
»Willkommen, liebe Einwohnerschaft von Dream Harbor«, sagte Kelly mit seinem typischen verschmitzten Lächeln. »Oder, besser gesagt, liebe Träumerinnen und Träumer dieser Traumstadt.«
Ich halt’s nicht aus.
»Kommen wir zum ersten Punkt der Tagesordnung.« Er schob sich die Brille mit einer Bewegung die Nase hoch, die so sehr an Hazel erinnerte, dass Logan unwillkürlich eine gewisse Sympathie für den Mann empfand. »Sullivans Pub wird ab sofort dienstags ab acht Uhr einen Quizabend veranstalten.«