Mein Bruder, der Ablasshändler Johann Tetzel - Susanne Nitsch - E-Book

Mein Bruder, der Ablasshändler Johann Tetzel E-Book

Susanne Nitsch

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Beschreibung

Dieses Buch beschreibt das Leben des Ablasshändlers Johann Tetzel, der sich mit seiner marktschreierischen Art Luthers Unwillen zuzog. Luther verfasste seine 95 Thesen, worauf der Kampf um den "wahren Glauben" begann.

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Mein Bruder, der Ablasshändler Johann Tetzel

Jüterbog, an der Tetzelstube

Liebe Leserinnen und Leser, ich freue mich, dass Sie dieses Büchlein erworben haben. Johann Tetzel ist zweifellos einer der schillerndsten Personen der Reformationszeit. Mit Sicherheit hat Tetzel dazu beigetragen, dass Martin Luther sich gegen die Kirche und ihre Missbräuche erhob und unsere protestantische Kirche begründete, auch wenn er das nicht beabsichtigt hatte. Über Tetzel ist den wenigsten Menschen etwas bekannt; und wenn, dann meist nur die Vorwürfe und Unterstellungen der Protestanten. Mich hat Tetzel schon immer fasziniert, und ich habe mich während meiner Reformationsreisen auch auf den Weg gemacht, Tetzels Spuren zu folgen.

Er war kein tumber Tor, kein dummer und gefräßiger Mensch, sondern ein tiefreligiöser und gläubiger Mann, hochstudiert und mit allen päpstlichen Würden ausgestatteter Mann, der die Wahrheit verkündete, so wie er sie verstand und wie die katholische Kirche es vorschrieb.

Ich möchte nicht leugnen, dass er in seiner Begeisterung übertrieb, dass er ein ehrgeiziger Mensch war, seine Fehler hatte und seine rhetorischen Künste ausnutzte, um möglichst viel Geld einzunehmen.

Aber können wir ihm das wirklich verübeln?

Sind nicht die meisten von uns ehrgeizig und wollen wir nicht unsere Aufgaben möglichst gut erledigen? Mit diesem Büchlein möchte ich mein Scherflein dazu beitragen, die Vorurteile gegen Johann Tetzel zu entkräften, eine Bresche für ihn zu schlagen und die schlechte Sicht auf Tetzel zu verbessern.

Dieses Büchlein ist aus der Sicht der liebenden Schwester Johann Tetzels geschrieben, die aus dem Leben ihres kleinen Bruders erzählt. Ob es diese Schwester gab, weiß ich nicht, er hatte jedoch auf jeden Fall Geschwister – warum nicht diese Johanna, die hier zu Worte kommen soll.

Im Anhang finden Sie die Wortlaute einiger Ablassbriefe, interessante Schriften Tetzels und Luthers und Schmähgedichte über Tetzel.

Nun wünsche ich Ihnen eine angenehme Reise durch die Reformationszeit an der Seite der Familie Tetzel.

Möge Gott Sie behüten. Mit allen guten Wünschen

Susanne Nitsch

im Juni 2017

Mein treuer Freund Willi ist immer an meiner Seite

Johann Tetzel geboren 1465 in Pirna, verstorben 1519 in Leipzig

Meine lieben Freunde, ich danke Euch, dass Ihr dieses Büchlein erworben habt, um etwas von meinem Bruder, dem Ablasshändler Johann Tetzel zu erfahren. Auch wenn es sich für ein Weib nicht geziemt, vor so vielen Menschen den Mund aufzutun, möchte ich die Gelegenheit nicht versäumen, Euch die Geschichte meines Bruders, dem Ablasshändler Johannes Tetzel, zu erzählen.

Es ist die Geschichte eines geliebten und von Gott begabten Menschen, zu dem die Leute in großen Scharen strömten und seinen Predigten lauschten, weil sie sich von ihm ihr Seelenheil versprachen. Er war ihr umjubelter Gnadenbringer, den sie nicht mehr hätten lieben können. Es ist aber auch die Geschichte eines Falls, wie er tiefer nicht hätte sein können und der das Herz meines Bruders brach. Aber lasst mich von vorne beginnen.

Mein Geburtsjahr weiß ich nicht genau, ich war ja nur ein Mädchen, und im 15. Jahrhundert war die Geburt eines Mädchens nicht sonderlich bemerkenswert. Es mag um das Jahr 1455 gewesen sein. Meine Mutter namens Margaretha Goldschmidis war ein gottesfürchtiges und ehrbares Weib, an meinen Vater jedoch habe ich leider kaum eine Erinnerung. Er starb, als ich noch ein kleines Kind war. Meine Mutter geriet daraufhin in große Not, denn es gab kaum Absicherungen für Witfrauen und Waisen. Sie hielt uns über Wasser, indem sie Wäsche für fremde Leute wusch. Ich habe es noch dunkel in Erinnerung, wie sie die schweren Körbe mit Wäsche zur Elbe schleppte und wusch. Ich stand meist zwischen ihr und den anderen Wäscherinnen und wusch mit meinen kleinen Händen die kleineren Wäschestücke wie Leibchen oder Zierdeckchen.

Im Winter froren wir entsetzlich; schrecklich, wie mühsam es war, mit den blaugefrorenen Händen zu waschen. Das Leben wurde erst besser, als meine Mutter den Goldarbeiter (Goldschmied) Johannes Tetzel kennenlernte und er sie ehelichte. Zunächst hatte ich Angst vor dem fremden Mann, weil ich nicht mehr daran gewöhnt war, mit einem Mann im Hause zusammenzuleben, und ich tat mich schwer damit, mich im Haus meines Stiefvaters in der Schmiedestraße zu Pirna einzuleben. Er war sehr lieb zu mir, und er gewann mein Herz, als er mir eine Kette mit einem wunderschönen Kruzifix schenkte, das ich heute noch trage. Im Laufe der Jahre bekam ich endlich Geschwister, wie ich es mir immer gewünscht hatte, und als letztes Kind wurde mein Brüderlein Johann im Jahre 1465 geboren.

Tetzels Geburtshaus

Gaststätte „Zur Armen Sau“ in Pirna

Schon von Anfang an bewies er eine kräftige Stimme und einen kräftigen Hunger, so dass alle Leut' auf Pirnas Gassen Kenntnis erhielten, wenn Johann nach der Mutterbrust schrie. Vom ersten Tag an hing ich an ihm mehr als an meinen anderen Geschwistern, und ich war so stolz und glücklich, als er in der St. Nicolai-Kirche in Leipzig getauft wurde.

Er war ein lebhaftes und aufgewecktes Kerlchen, das schnell das Sprechen lernte und schon als Bub mit Redegewalt die Mutter überzeugte, uns süße Mandeln oder getrocknete Pflaumen zu schenken.

Johann war ganz außergewöhnlich lernbegierig; begeistert lauschte er den Heiligenlegenden, die unsere Mutter uns erzählte. Von Anfang an liebte er mich als seine große Schwester, und mein Herz war ihm so zugetan, als sei er mein eigenes Kind. Ich herzte ihn und spielte mit ihm, so oft ich konnte. Oft staunte ich über die Geschichten, die er ersann.

Meist über irgendwelche Heiligen, von denen wir in der Kirche hörten, aber auch phantasievolle Geschichten über Engel, die er meinte, an seinem Bette oder beim Spielen gesehen zu haben. Es schien mir natürlich, dass er der Liebling unserer Eltern war, dass er verzogen und verhätschelt wurde. Er war ein besonders Kind: Klug, gewandt und fröhlich.

Wir Kinder wurden – wie es eben üblich und richtig war und ist – in der Furcht und der Vermahnung zum Herrn erzogen. In der Schule bewies er großes Geschick, ein außergewöhnliches Talent, einen ungewöhnlichen Geist. Durch ihn lernte ich ebenfalls das Lesen und Schreiben und auch etwas Rechnen, was für Frauen meiner Zeit recht ungewöhnlich war. Beredsamkeit jedoch blieb Johannes größte Gottesgabe. Mein Stiefvater sagte oft stolz zu meiner Mutter, dass er Johann tüchtig stärken wolle, damit er einmal Großes erreiche. Fromm war Johann auch. In der Kirche sprach er andächtig die Gebete und lauschte den Legenden unserer Heiligen aufmerksam.

Die Tetzelsäule in Pirna

Ich heiratete im Jahre des Herrn 1573. Recht spät, ich war schon beinahe zwanzig Sommer alt, mochte aber meine Mutter nicht mit ihrer Arbeit alleine lassen. Wir wohnten damals in Leipzig, und ein guter Mann namens Jakob hatte um meine Hand angehalten. Er war Fuhrmann, verdiente recht gut und hatte den Ehrgeiz, eines Tages ein eigenes Fuhrunternehmen zu gründen. Es war für uns beide gut, dass ich lesen und etwas rechnen konnte, denn ich wollte meinem Gemahl ein gutes Eheweib sein und ihm helfen, wo es nur möglich war.

Ein gutes Jahr später kam unser erstes Kind zur Welt, ein kleiner, kräftiger Junge, den wir Johannes nannten – zur Ehre meines Stiefvaters und aus Liebe zu meinem kleinen Bruder.

Weitere Kinder kamen im Laufe der Zeit, zwei Kinder starben. Gott, unser Herr, nahm sie in seiner unbegreiflichen Weisheit zu sich, bevor sie bewusst sündigen und ihre Seligkeit verlieren konnten. Eigentlich sollte man sich darüber freuen, dass diese beiden jungen Seelen schon bei Gott waren, aber ich vermisste sie sehr und trauerte lange.

Zum Glück blieben uns noch insgesamt sieben andere Kinder, die unser Haus mit Leben und Lachen erfüllten und oft im Stall bei meinem Gemahl herum wuselten, die Pferde streichelten und Unsinn anstellten. Jakob schimpfte dann, musste aber meist über die Unschuldsblicke unserer Kinder lachen. Es waren glückliche Zeiten, in denen ich oft meine Eltern besuchte, ihnen half und sie unterstützte, wo ich nur konnte.

Im Herbst 1482 zog mein Bruder in die Universität Leipzig. Niemand verwunderte sich, dass er sich für die Theologie entschied, denn er liebte Gott aufrichtig und wollte Ihm und der Kirche dienen. Das Lernen fiel Johann leicht, die Fächer Arithmetik, Geometrie und Astronomie lagen ihm, er musste sich nicht allzu sehr dafür anstrengen. Niemanden verwunderte es, dass er in den Fächern Grammatik, Logik und Rhetorik hervorragend abschnitt. Es lag ihm einfach, sich in Ausdruck, Stil, Anlage, Vortrag und Gestus zu vervollkommnen. Seine Redegewandtheit hatte er ja schon als Kind unter Beweis gestellt.

Schwer fiel es ihm höchstens, rechtzeitig zum Unterricht zu kommen, denn dieser begann bereits um 5 oder 6 Uhr morgens. Aber schon bald hielt er Vorträge vor seinen Kommilitonen, die beeindruckt von seiner Rhetorik und seinem Wissen waren. Oft und gerne besuchte er die Predigten der Dominikaner, die für Gelehrsamkeit standen und ihre Reden ausgefeilt hielten. Oft kam er nach Hause und berichtete begeistert von dem Ordensgründer Domenicus, von gelehrten Dominikanern wie Albertus Magnus oder Thomas von Aquin, sogar von einer Frau namens Katharina von Siena oder von Meister Eckhart.

Etwas unwirsch berichtete er auch, dass man die Dominikaner oft als „Hunde des Herrn“, also Domini canes bezeichnete, weil sie der Inquisition nachgingen und Hexen und Ketzer verbrannten. Der Dominikanerorden, der korrekt „Ordo fratum praedicatorum“ heißt, also „Orden der Predigerbrüder“, wurde um 1215 von Domenico Guzman zum Zwecke der Glaubensverkündung gegründet.

Die Katharer, Albigenser und Waldenser wurden damals blutig verfolgt. Die Katharer waren hochgebildete Menschen, die in selbstgewählter Armut und Enthaltsamkeit lebten und viele Bewunderer fanden.

Die katholischen Kleriker hingegen lebten in Reichtum und verschwenderischer Pracht.

Domenicus hatte eine neue Ordensregel für wandernde und predigende Brüder verfasst, die Papst Innozenz III. jedoch zunächst nicht genehmigte. Daher lebten die ersten Predigerbrüder zuerst nach der Zweiten Augustinerregel. Der nächste Papst, Honorius III. war Domenicus jedoch zugetan und erteilte das Privileg „Religiosam vitam“. Erst 1217 erhielten Domenicus und seine Brüder den offiziellen Titel „Prediger“ und den Auftrag zur Verkündigung: „Bemüht euch, mehr und mehr im Herrn gestärkt, das Wort Gottes zu verkünden...“

Die Dominikaner waren nach den Minderbrüdern des Franziskus von Assisi der zweite Bettelorden, der sich Armut und Gehorsam verpflichtete. Die reiche Kirche lehnte die Bettelorden ab, empfanden sie als primitiv und feindeten sie an. Jedoch fanden sie auch viele Anhänger, und der dominikanische Geist breitete sich rasch in Europa aus. Sie lebten nicht in Klöstern, sondern in bescheidenen Stadtwohnungen; sie schufen Lehrhäuser für das Studium, errangen Lehrstühle und verfügten über eine demokratische Ordensregel.

Ab 1232 wurden sie in der Ketzerverfolgung, der Inquisition, eingesetzt. Damals erhielten sie den eben erwähnten Spottnamen Domini canes.

Hätte man sie damit als Hüter des katholischen Glaubens angesehen, wäre es ein harmloser Spaß gewesen, aber dieser Ausdruck war mit Angst und Schrecken verbunden. Es folgten viele Scheiterhaufen, Massenhinrichtungen und grausame Folterungen.

Männer wie Heinrich Institoris und Jakob Sprenger verfassten sogar den „Hexenhammer“, in dem sie das Wesen der Hexe und die korrekte Folterung erklärten, um zum gewünschten Geständnis zu kommen, aber dazu später noch mehr. Viel Elend kam damit über die Welt; es ist bis heute nicht genau bekannt, wie viele Menschen Opfer der Inquisition wurden. Der dominikanische Orden, dessen Habit schwarz und weiß ist, verfügt über gute und schlechte Menschen, wie die Welt nun eben einmal ist – schwarz und weiß. Es gibt dort Ketzer und Heilige, Kämpfer und Gelehrte – Menschen, die die Welt bis heute faszinieren.

Es war üblich, dass Studenten für ihre jüngeren Mitstudenten Stunden gaben oder predigten.

Oft erhielt Johann Beifall für seine leidenschaftlichen und fundierten Reden. 1487 wurde er Baccalaureus der Philosophie, was unsere Eltern mit großem Stolz erfüllte. Leider starb unser Vater bald darauf, er hätte sicherlich gerne erlebt, wie es mit Johann weiterging. Unsere Mutter starb bald nach ihrem Eheherrn, wir trauerten sehr um unsere Eltern. Ich war sehr betrübt, dass meine Kinder nun keine Großeltern hatten, denn mein Gemahl hatte seine Eltern bereits früh verloren.

Johann Tetzel als junger Mann

Johann brauchte nichts mehr als Ruhe für seine Studien und die Entwicklung seiner Talente.

Also trat er am Feste der Kreuzerhöhung 1487 in das Leipziger Dominikanerkloster ein, was mich nicht verwunderte, denn mit seiner tiefen Frömmigkeit und seinem Redetalent war er nirgends besser aufgehoben als in einem Predigerorden. Ich war so unendlich stolz auf ihn, als er eingekleidet wurde. Er wirkte so beeindruckend und ehrbar in seinem weißen Mönchshabit mit dem schwarzen Umhang und der Kapuze. Ich war dabei, als er Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobte; als er schwor, der Welt zu entsagen und demütig Gott zu dienen.

Niemand von uns ahnte, dass Johann später Probleme damit haben würde, seine Gelübde immer streng einzuhalten, aber kann ein junger Mann wirklich abschätzen, was er für sein ganzes Leben verspricht? Kann man wissen, was einem in seinem Leben widerfährt und wie es einen verändert? Ich kann meinem Bruder keinen Vorwurf machen, dass er manchmal schwach wurde, aber ich bin stolz auf ihn, dass er so vielen Menschen das Heil brachte.

Aber lasst mich weitererzählen. Johann führte seine humanistischen Studien nicht weiter, er beschäftigte sich nun hauptsächlich mit den Schriften seiner dominikanischen Väter. Sein sehnlichster Wunsch war es, Prediger zu werden und Gottes Wort zu verkünden. Zu dem Volk wollte er sprechen, von seiner Liebe zu Gott, die in ihm brannte, und die er in den einfachen Menschen entzünden wollte. Sein heller Verstand, sein gutes Gedächtnis, sein beredter Mund, seine lebendige Redekunst und seine starke männliche Stimme zogen die Menschen schnell in seinen Bann, und jeder lauschte ihm aufmerksam.

Sein schlanker Leib wirkte energiegeladen, er zog überall die Aufmerksamkeit auf sich. Noch konnte sich niemand vorstellen, dass die Protestanten ihn später zum tumben Toren, zum ungelehrten Tropf, zum groben Esel machten.

Ein protestantischer Biograph namens Vogel schrieb später über ihn: „Tetzel war kein Idiot, kein fraterculus ignobilis, auch kein ungelehrter Tropf, kein Esel.“ Der Dominikaner Johann Binder aus Pirna zählte ihn mit unter die größten Gelehrten, die das Pauliner-Kloster gehabt habe.

Der Prior des Klosters schätzte Johanns Fleiß, seinen Eifer und seine Gelehrsamkeit und meinte: „Den Fleißigen und Geschickten hat man wert, den Faulen und Ungeschickten niemand ehrt!“ Denn auch solche gab es in den Klöstern; lasterhafte und lüsterne Mönche, die ihrer Schlafsucht und ihrer Gier nach Essen nachgaben, ihren Oberen Ungehorsam erwiesen und in ihren Gebeten nachlässig wurden.

Johann dagegen wurde sogar oft gebeten, in anderen Kirchen zu predigen, was eine hohe Auszeichnung bedeutete, da man sein Kloster normalerweise nicht verließ. Längst war er zum Priester geweiht worden, was mich mit Stolz erfüllte, und niemals vergesse ich seine Primiz, seine erste Messe, der ich mit meiner Familie selbstverständlich beiwohnte.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts, dem 16. nun, schickte der Prälat des Klosters meinen Bruder nach Zwickau, wo er erfolgreich predigte. Es war kaum zu glauben, aber Johanns Ruf war ihm wohl vorausgeeilt. Die Menschen eilten herbei und quittierten Johannes Predigten mit Beifall. Seine ehrliche Leidenschaft für Gott steckte die Menschen an, der Nachdruck in seinen Worten, seine scharfe Beweisführung und die Bildhaftigkeit seiner Reden imponierte ihnen.

Seine Gelehrsamkeit verschaffte ihm die Liebe und die Achtung des Ordensklerus. Der hervorragende Ruf, den Johann sich in Zwickau verschafft hatte, folgte ihm überallhin, wo er als Prediger auftrat, und die Menschen strömten von nah und ferne herbei, um ihm zu lauschen.

Es war ganz klar: Johann müsse als Prediger eingesetzt werden, wenn eine Begeisterung vom Volke für irgendeine gute Sache erzielt werden sollte.

Im Jahre 1502 wurde er vom römischen Stuhl beauftragt, in dem zwei Jahre später stattfindenden Jubeljahr zu predigen und den Ablass zu verkündigen, damit von dem Erlös der Petersdom in Rom gebaut werden konnte.

Johann betrachtete dies als ausgesprochene Ehre, und er war glücklich, weil er solch einen großen Erfolg hatte, dass er reichlich Geld einnahm und des Papstes Wohlwollen gewann.

Fast jeder wollte sich Gottes Gunst erwerben und in den Himmel kommen, oder Angehörigen den Himmel zu erkaufen, oder bereits Verstorbene aus dem Fegefeuer holen. Es ist eine solche Gnade, dass unsere Mutter Kirche uns dieses Geschenk überlässt.

Schild an Tetzels Geburtshaus

Von Zwickau aus reiste Johann in alle möglichen Städte und Dörfer, um den Ablass zu verkündigen. Vor jeder Predigt wurde ein Kreuz errichtet, unter dem er stand und predigte.

Seine mitreisenden Klosterbrüder standen an Tischen, an denen sie das Geld einnahmen, Namen auf die vorgedruckten Ablassbriefe eintrugen und den Menschen somit ihr Seelenheil garantierten.

Sie zogen weiter nach Meißen, Thüringen, Niedersachsen und in die Oberlausitz, nach Naumburg an der Saale, Leipzig, Magdeburg, Görlitz und mancherlei anderen Orten und verkündigten das Jubeljahr. Johann predigte: „... dass nicht allein zu Rom, wie bisher, sondern auch, nach des Papstes Alexander VI. Willen, in allen Städten, Flecken und Dörfern Ablass reichlich jedem, der ihn bußfertig, d.h. im römischen Sinne, um Geld, suchen würde, gespendet werden sollte..“

Als er mit seinen Klosterbrüdern nach Leipzig kam, wo ich mit meinem Eheherrn Jakob und den Kindern wohnte, eilte ich natürlich zu ihm, um ihn wieder einmal predigen zu hören.

Rundlich war er geworden, aber das stand ihm gut zu Gesicht. Ein ansehnlicher Mann mit gewaltiger Beredsamkeit – ich war stolz auf ihn.

Im Jahre 1504 durchzog er Schlesien, Preußen, Brandenburg und Litauen, um Ablassgelder für einen Krieg zu sammeln. 1507 kam Johann zurück ins Meißner Land, von dort aus weiter nach Freiberg. In nur zwei Tagen sammelte er dort 2.000 Gulden, eine unvorstellbare Summe.

In Dresden war er ebenso erfolgreich; die größte Kirche war nicht imstande, all die Gläubigen zu fassen, die herbeigeeilt waren, um Johann zu hören. Die Menschen, die am Markte wohnten, öffneten ihre Wohnungen, damit die Gläubigen sich an die Fenster stellen konnten, um Johann, der mitten auf dem Marktplatze stand, zu hören. Rufer standen um ihn herum, sie gaben seine Worte weiter, damit alle Besucher Johanns Predigt hören konnten. Für eine weitere Predigt öffnete der Herzog Georg unter dem Schlosstore ein Fenster in seinen Gemächern, von dem aus Johann predigte.

Von Dresden ging er weiter in unsere Geburtsstadt Pirna, wo er ebenso erfolgreich war, und gegen Ende des Jahres wieder nach Leipzig, wo er seine alte Klosterzelle bezog. Das Volk war begeistert, als er mit seinen Klosterbrüdern das rote Kreuz in der St.

Nikolai-Kirche aufrichtete und den Ablasskasten aufstellen ließ. Wir alle lauschten begeistert seiner donnernden Rede vom Fegefeuer, von den nie versiegenden Tränen der Brennenden, wie sie da um Hilfe und Erlösung schrien und hofften, ein lieber Angehöriger würde sie mit einem Ablassbrief von den Qualen des Fegefeuers erlösen und ihnen den Eintritt in den Himmel schenken. Wie konnte man widerstehen, wenn Johann die Qualen beschrieb, die man im Fegefeuer durchlitt, diese nie endenden Verbrennungsschmerzen, die Angst und Pein, die mit der Abbüßung der Sünden verbunden war. Hätte ich nicht bereits Ablassbriefe für unsere verstorbenen Eltern und zwei verstorbene Kinderlein, und auch für meinen Gemahl und unsere noch lebenden Kinder und Kindeskinder, so wäre ich sofort zu den Tischen geeilt und hätte Ablass erworben.

Aber für die Bettlerin, die so oft in der Nähe unseres Fuhrunternehmens saß und ihr kleines Schälchen hochhielt, kaufte ich Ablass. Ihr Name war Magda. So ging ich nach der packenden Predigt Johanns zu den Dominikanern und ließ den Namen der Bettlerin auf einen Ablassbrief setzen. Als ich mich wieder in die Kirchenbank setze, las ich den Brief, obwohl ich den Wortlaut von den anderen Ablassbriefen bereits kannte, durch: „Erbarme sich Seiner Magd der Herr Jesus; ich aber absolviere dich aus Macht und Gewalt der seligen Apostel Petri und Pauli und unseres Herrn Papstes, die mir in diesem Stücke gegeben worden ist, völlig von allen deinen Sünden, die du bereuet, bekannt, vergessen hast, auch von den allen, die sich der römische Stuhl vorbehalten hat, insoweit die Schlüssel der heiligen Mutter der Kirche sich erstrecken, und ihm erlaubet und mir befohlen ist; auch erlasse ich dir alle Strafen des Fegefeuers, schließe dir zu alle Pforten der Hölle und öffne dir die Tür des Paradieses. Was du Gutes getan hat und noch tun wirst, gereiche dir zur Erlangung der Gnade Gottes und deiner Seligkeit. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“