Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Umbruch des Denkens, den Kierkegaards Hinwendung zur Existenz bedeutet, lässt auch die Darstellungsform nicht unberührt. Da er den Leser existenziell packen will, muss er Vorkehrungen treffen, damit dieser seinen Text nicht als bloßen Wissens Stoff aufnimmt. Er muss ihn gleichsam zum selbst Denken verführen. Um zu sehen, wie er dabei verfährt, muss man sich auf sein Schreiben einlassen Das ist freilich leichter gesagt als getan. Greift der Leser unvorbereitet zu seinem Werk philosophische Brosamen, so kann ihn die Darstellungsweise Kierkegaards schon zur Verzweiflung bringen. Denn der Autor versteckt sich hier nicht nur wie in den meisten seiner Schriften hinter einem Pseudonym.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 20
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Mein Freund Søren Kierkegaard
Erstens: Der existentielle Denker.
Als Hegel 1831 stirbt, hinterlässt er ein übermächtiges Denkgebäude, indem Philosophie und Religion, Kirche und Staat, Individuum und Gesellschaft miteinander versöhnt sind.
Seinen Nachfolgern, die im Banne seines Denkens aufwachsen, ergibt sich fast zwangsläufig daraus die Aufgabe, das Gebäude aufzubrechen.
Sie tun dies, indem sie die Blickrichtung ändern.
Bei Marx ist dieses praktisch sozial ausgerichtet. Bei Kierkegaard dagegen wird es auf das einzelne Individuum bezogen.
Hegel hatte wie niemand vor ihm die wirkliche gegenwärtige Welt zum Inhalt der Philosophie erhoben. Aber das Wirkliche galt ihm als vernünftig. Dagegen erhoben sich die jüngeren Marx im Namen einer zu schaffenden kommunistischen Gesellschaft. Kierkegaard im Namen des existierenden Einzelnen. Am ersten August 1835 notiert der in Kopenhagen geborene junge Philosoph und Theologe in seinem Tagebuch Was mir eigentlich fehlt, ist, ins Reine mit mir selbst zu kommen, darüber, was ich tun soll, nicht, was ich erkennen soll.
Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was Gott eigentlich will, das ich tun soll.
Damit rückt die eigene Existenz ins Zentrum des Denkens. Der Umbruch, den die Philosophie dadurch erfährt, ist nur mit dem von Marx herauf Geführten zu vergleichen, der in seinen Thesen über Feuerbach schreibt.
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt darauf an, sie zu verändern.
Entsprechend hätte Kierkegaard schreiben können. Für die Philosophen sind Welt und Geschichte Gegenstände der Kontemplation und des Wissens. Es kommt aber darauf an, alles in Bezug auf den Existierenden zu denken. Denn Kierkegaard versteht sich als existierender Denker, der nicht objektives Wissen hervorbringen will, sondern sich leidenschaftlich über Fragen beugt, die ihn umtreiben. Für den existenziellen Denker bekommen Befindlichkeiten und Stimmungen, wie die Philosophie bislang nur am Rande betrachtet hat, einen ganz anderen Stellenwert, weil der Existierende sich immer schon in einer Gestimmtheit vorfindet und aus ihr heraus handelt.