Melody of our future - Emily Crown - E-Book
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Emily Crown

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Beschreibung

Man sagt, ein einziges Lied kann dein Leben ändern - würdest du es hören wollen? Eine Rockstar-Romance für alle Fans von Kylie Scott und S.C. Stephens
Zwölf Songs, zwölf Erinnerungen, zwölf Liebeserklärungen
Drei Jahre ohne Evan und ein unverhofftes Wiedersehen. Carrie erlebt danach eine Achterbahnfahrt der Gefühle, Evan begegenet ihr mit Zorn und Abneigung. An manchen Tagen ist er beinahe wie der Mann, in den sie sich unsterblich verliebte, an anderen ist er ein völlig Fremder für sie. Es sind die heimlichen Nächte und leidenschaftlichen Küsse, die Carrie daran hindern aufzugeben, spürt sie doch, wie Evans Mauer langsam zu bröckeln beginnt. Doch je mehr Zeit sie in seiner Nähe verbringt, desto stärker wird das Gefühl, dass nicht nur sie ein Geheimnis aus den letzten drei Jahren mit sich herumträgt, sondern auch Evan von finsteren Dämonen geplagt wird ...

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© 2019 Piper Verlag GmbH, MünchenRedaktion: Julia FeldbaumCovergestaltung: Melanie FalkingerCovermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Motto

»Eine beglückte Liebe hätte deines Herzens Sehnsucht gestillt und sich vertilgt, aber eine unterbrochene hat sie verewigt. Das Schicksal geht mit uns wie mit Pflanzen um, es macht uns durch kurze Fröste reifer.«

Jean Paul

Kapitel 1

Carrie

Mein Vater hatte mir einst davon erzählt, wie schön die Kollision zweier Sterne sei. Er meinte: »Carrie, wenn Sterne kollidieren, ist es das schönste Feuerwerk, das du dir vorstellen kannst!« Ich erinnerte mich daran, dass mich der Gedanke damals abschreckte, bedeutete Kollision für mich doch stets Zerstörung. »Aber zerstören die Sterne einander dann nicht selbst?«, hatte ich ihn gefragt.

Mein Vater jedoch hatte nur gelächelt und weiter in den Himmel gesehen. »Nicht ganz, Carrie, entweder die beiden Sterne überleben als Einzelsterne, sie verschmelzen zu einem einzigen Stern oder sie zerstören einander vollkommen … Mit der Kollision zweier Sterne ist es eigentlich wie mit der Liebe.«

Und in dem Moment, als Evan Black mir in die Augen sah, war es, als prallten zwei Sterne aufeinander. Auch wenn ich wohl die Einzige war, die es spüren konnte, fühlte es sich an, als erschütterte eine massive Druckwelle die Erde, als würde sie Erzittern unter dem Zusammenstoß zweier Sterne – Evan und mir.

Blieb nur eine Frage im Raum stehen, in welcher Form würden wir überleben? Jeder für sich, gemeinsam, oder würden wir einander zerstören?

»Carrie?« Mel schob sich in mein Sichtfeld. »Hey, alles okay?« Sorge spiegelte sich in ihrem Blick, und sie schaute mich aufmerksam aus ihren blauen Augen an. »O nein, du weinst ja …«, murmelte sie, bevor sie ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche zog und mir die Tränen abtupfte. »Schon gut, alles wird gut«, flüsterte sie beruhigend.

Und wie ich ihn dort stehen sah, um Worte ringend, ergriff Panik Besitz von mir. Ich sprang von dem Hocker und griff nach meinem Mantel.

»Was kriegst du von mir?«, fragte ich Mel, die mich ansah, als wäre ich ein Kind, das einfach nicht hören wollte.

»Du wirst jetzt nicht gehen, Carrie!«

Ich ignorierte sie, genauso wie ich den Lärm und die Menschen um mich herum ignorierte.

»Mel, bitte … diskutier nicht weiter mit mir und mach die Rechnung fertig!« Ich hörte selbst, wie meine Stimme laut wurde, aber es war mir egal. Mir lief die Zeit davon. »Mel …«, flehte ich, doch sie bewegte sich keinen Zentimeter, betrachtete mich mittlerweile, als wäre ich ein verfaultes Stück Fleisch, das zu lange in der Sonne gelegen hatte.

»Wenn du jetzt gehst, wird er dir das nie verzeihen. Und ich dir ebenso wenig. Keiner von uns.«

Einen Moment sah ich sie an, focht einen stummen Kampf mit den leisen Zweifeln aus, die sich in meinem inneren Gehör verschaffen wollten – dann drehte ich mich um und eilte zur Tür. Mein Herz schlug so schnell, dass ich befürchtete, mir würde jeden Moment der Brustkorb auseinanderbrechen. Ich musste hier raus, brauchte frische Luft. Die Menge um mich herum wurde unruhig, Stimmen laut – doch ich blendete all das aus. Einen Schritt nach dem nächsten. Einen Schritt nach dem nächsten.

Ich hatte die Tür schon fast erreicht, als mich jemand am Arm packte, grob zurückzog und in eine feste Umarmung zwang.

»Geh nicht.« Es waren nur zwei Worte, doch von der richtigen Person gesagt, löste sich alles andere in Bedeutungslosigkeit auf.

»Killian«, hauchte ich nur, bevor ich mich gegen seine Brust sinken ließ, dem Druck seiner Umarmung nachgab, mich an ihm festkrallte, als würde ich sonst untergehen.

Tränen brannten in meinen Augen. War ich für all das wirklich bereit? Nein, aber fragte das Leben je danach, ob man bereit war? Schön wär’s, dachte ich sarkastisch.

Als ich mich langsam von ihm zu lösen begann, ließ er mich frei, wischte mir die Tränen weg und drückte mir einen sanften Kuss auf die Wange.

»Danke«, flüsterte er noch, bevor er sich umsah.

Um uns herum war es leise geworden, die Fans flüsterten sich aufgeregt etwas zu, Frauen drehten sich zu mir um, erstaunte Laute hallten durch den kleinen Pub.

Killian zog mich leicht zu sich, dann drehte er sich um.

»Wir sollten hinter die Bühne gehen, sonst bricht hier gleich die Hölle aus.«

Während das Publikum noch zu überlegen schien, ob es tatsächlich Killian war, der mitten zwischen ihnen stand, schleifte dieser mich bereits auf eine Holztür zu. Als wir sie erreichten, hörte ich jemanden, der seinen Namen schrie, doch Killian drehte sich nicht einmal um. Stattdessen stieß er die Tür mit derart viel Schwung auf, dass sie gegen die Wand knallte, bevor er mir mit einem Kopfnicken symbolisierte, dass ich hineingehen sollte.

Ich drehte mich noch einmal um, fing die Blicke gaffender Frauen auf, nahm den Geruch von Schweiß und Bier wahr, speicherte die letzten Sekunden meines alten Lebens genau ab, dann machte ich einen schnellen Schritt und lief meiner Zukunft entgegen.

 

»Wenn das nicht Carrie Abernathy ist«, hörte ich Lawrences Stimme. In ihr schwang ein merkwürdiger Unterton mit. Es war eine Mischung aus Hohn, Spott, aber auch Freude. Kurz zögerte ich, wägte ab, was ich tun sollte, tat schließlich, was mir am absurdesten erschien: Ich lächelte.

Einen Moment sah Lawrence mich an, dann schüttelte er den Kopf, machte einige große Schritte, zog mich in seine Arme und hob mich hoch.

»Fuck.« Er sagte es, als prostete er jemandem zu und nicht, als benutze er ein Schimpfwort. »Du bist uns echt eine Erklärung schuldig«, murmelte er, ehe er seine Umarmung etwas lockerte, mich schließlich freigab.

Tränen brannten in meinen Augen, als ich ihm zunickte.

»Aber zuerst sollte sie zu ihm gehen«, bemerkte Killian, dessen Blick nervös in Richtung einer weiteren Tür zuckte.

»Da hat er recht«, mischte sich nun auch Matt ein, der mich ebenfalls in eine herzliche Umarmung zog.

Ein seltenes Gefühl breitete sich in mir aus – sanft, und kraftvoll zugleich. Warm und wohlig. Fühlte es sich so an, nach Hause zu kommen?

»Gut siehst du aus«, stellte Matt fest, als er sich von mir löste. Gern hätte ich ihm ebenfalls gesagt, dass er gut aussah, aber mein Gehirn arbeitete nicht mehr richtig, meine Augen stellten nicht mehr scharf, und mein Mund konnte keine Worte mehr formen. Alles in mir wollte durch diese Tür gehen und fürchtete sich zugleich davor.

»Nun lasst sie in Frieden. Er dreht wahrscheinlich …«, Killian fuhr sich mehrfach hintereinander durchs Haar, »… gerade durch.«

»Ich würde sagen, wir warten bei Mel und verteilen ein paar Autogramme. Das könnte jetzt etwas dauern.«

Kilian nickte nur, dann ließen sie mich stehen und verschwanden hinaus in das überfüllte Pub, wo sogleich Gekreische laut wurde.

Einen Moment schaute ich auf die hölzerne Tür, bis ich mich beinahe in Zeitlupe herumdrehte und den spärlich beleuchteten Gang entlanglief. Es gab nur noch eine Tür. Und es war klar, wohin sie führte.

Während ich langsam losging, schlug mein Herz mit jedem Schritt schneller, schien sich regelrecht zu überschlagen.

Als ich vor der Tür zum Stehen kam, legte ich meine Hand auf die Klinke, schloss einen Moment die Augen. Das kühle Metall tat meinem viel zu erhitzen Körper gut, ließ mich für den Bruchteil einer Sekunde entspannen. Diesen nutzte ich, um noch einmal tief Luft zu holen, ehe ich die Klinke herunterdrückte und eintrat.

Sowie mein Fuß die Türschwelle überschritten hatte, rückte alles in den Hintergrund. Meine Umgebung, die Geräusche um mich herum, die Gerüche, mein ganzes Sein verschwamm zu einer unbedeutenden Masse. Ich war Komparse in meinem eigenen Leben. Alles, was ich wahrnahm, war Evan.

Er saß auf einem dunkelbraunen Ledersessel, hielt in der einen Hand eine Zigarette und in der anderen ein niedriges Glas, in dem er eine bräunliche Flüssigkeit kreisen ließ – Whiskey, vermutete ich.

Ich schloss die Tür hinter mir und sperrte die restliche Welt aus. Sorgte dafür, dass es nur uns beide gab. Mich und ihn. Erschuf meinen ganz eigenen Mikrokosmos. Erst als ich mich von der Türklinke löste, bemerkte ich das unerbittliche Zittern meiner Hände.

Er sah mich an. Seine Augen waren schwarz.

Ich rang um Atem, zwang mich, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Das Verlangen zu fliehen, war nahezu übermächtig. Ich fühlte mich wie ein Ast, der in der Strömung eines reißenden Stroms hing und versuchte, nicht dem tonnenschweren Zug des Wassers nachzugeben, das unbarmherzig versuchte, ihn mit sich zu zerren.

»Evan?«, fragte ich so leise, dass ich befürchtete, er hatte mich nicht verstanden. Unsicher schwankte ich, machte einen kleinen Schritt auf ihn zu.

Er schaute auf, und als sich unsere Blicke schließlich begegneten, hielt ich sofort inne. Ich wagte es nicht einmal, einen weiteren Schritt auf ihn zuzugehen. Das war nicht der Evan, den ich einst gekannt hatte. Der Ausdruck, der sich da in seinen Augen widerspiegelte, war so unendlich traurig und wütend, voller Schmerz und ungestillter Sehnsucht – es war, als wütete eine alles verzehrende Kraft in dem sonst so ruhigen, friedlich dahinplätschernden Fluss.

Und dennoch hielt ich seinem Blick stand, wich nicht zurück. Er trank den letzten Schluck des Whiskeys, wobei er mich nicht aus den Augen ließ, ehe er sich aus dem Sessel hochdrückte. Eine Weile standen wir so da, starrten einander nur an, dann machte er einen Schritt auf mich zu.

Ich hielt die Luft an, nur noch ein paar Zentimeter … Bevor ich realisieren konnte, was geschah, fand ich mich plötzlich in seiner Umarmung wieder. Ich konnte seinen Geruch nach Holz und Jasmin wahrnehmen, die Wärme seiner Schultern unter meinen Fingerkuppen spüren.

Und plötzlich brach ich in Tränen aus und verlor sämtlichen Halt. Als wäre ich eine Gummipuppe, knickten meine Beine ein. Evan hielt mich fest, doch auch seine Kräfte schienen zu versagen, denn er sank mit mir zu Boden, hielt mich fest, als wäre ich das Letzte auf dieser Welt, was er besaß.

Seine Arme erdrückten mich fast, aber es machte nichts, vielmehr genoss ich es, ihn so nah bei mir zu spüren.

»Evan …« Mir brach die Stimme im Chaos meiner Gedanken. Langsam hob er den Kopf von meiner Schulter und entfernte sich so weit, dass wir genug Abstand hatten, um einander anzusehen.

Als unsere Blicke sich trafen, sog ich die Luft ein. Wie oft hatte ich schon in diese Augen gesehen? Unzählige Male … Und trotzdem war es, als sähe ich sie zum ersten Mal. Das dunkle Blau, die grünen Sprenkel – als sähe man direkt in den Ozean. Doch wo sich früher nur ungetrübte Lebensfreude gezeigt hatte, spiegelten sich jetzt so viele Emotionen wider, dass es mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte.

Und so sahen wir einander nur schweigend an, analysierten, was sich verändert hatte, und zu meinem Bedauern schien das mehr zu sein, als ich erwartet hatte.

Da war mehr Schmerz, Trauer, Wut und Verzweiflung, als man in den Augen eines einzelnen Menschen finden sollte. Aber etwas hatte sich während der drei Jahre nicht verändert, durchbrach die Fassade aus Schmerz – das Funkeln.

Eine Weile standen wir so da, dann trat er wieder einen Schritt auf mich zu. Seine Unterlippe zitterte, als er meine Hand nahm, sie mit seiner verschränkte. Dann beugte er sich langsam vor, legte seine Stirn auf meine. Er schloss die Augen stieß Luft aus.

»Ich habe dich so vermisst«, hörte ich ihn sagen, und sein warmer Atem traf auf meine Lippen.

Eine Gänsehaut jagte mir über den Körper und sämtliche Nackenhaare stellten sich mir auf. »Es tut mir so leid«, hauchte ich wohlwissend, dass keine Worte dieser Welt genug waren.

»Wieso bist du dann gegangen?«, flüsterte er. Seine Stimme war leise, zitterte vor Schmerz.

»Ich … ich kann nicht.« Einen Moment blieb es ganz still, dann entfernte sich Evan von mir, hielt mich auf einer Armeslänge Abstand. Als ich seinem Blick begegnete, war es, als hätte sich ein Schalter umgelegt. Nichts an dem Ausdruck in seinem Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor. Eine Gänsehaut rann über meine ganzen Körper.

»Evan …« Ich wollte ihn berühren, doch er zuckte zurück. Eine einzelne Träne kullerte über meine Wange.

»Du wirst es mir nicht sagen?« Evans Stimme bebte noch immer, aber diesmal vor Wut. Er hob mich zurück auf die Beine, als müsse er mich in Position bringen, dann lief er auf und ab, fuhr sich durch die Haare. Immer und immer wieder, schüttelte den Kopf.

»Hast du eine Ahnung, was ich wegen dir durchmachen musste? Und jetzt kommst du hier an … als wäre nichts gewesen?« Er sprach so laut, dass jedes Wort mehrfach in meinem Kopf widerhallte.

»Evan, ich … Es tut mir leid.«

»Nein, Carrie, das reicht mir nicht … Es tut dir leid? Was von all dem genau?« Er machte eine ausladende Handbewegung. »Dass ich mein gesamtes Leben mit dir verbringen wollte und du abgehauen bist? Dass du dich nicht einmal wirklich verabschiedet hast? Dass du mir nie den wahren Grund für dein Verschwinden genannt hast? Dass du dich in all der Zeit nie gemeldet hast?«

Er kam mir bedrohlich nahe. Automatisch wich ich zurück. Evans Blick war voller Zorn und Wut. Ich schluckte, ermahnte mich, dass ich keine Angst vor ihm zu haben brauchte. Es war schließlich Evan. Mein Evan.

»Was davon, genau, tut dir leid? Warum, verdammt noch mal, hast du dich nie gemeldet?«, schrie er mich an.

Als hätte ich ins Feuer gefasst, zuckte ich zusammen. Ich hatte ihn noch nie so außer sich erlebt.

»Ich …«, stotterte ich, doch er gab mir gar nicht die Gelegenheit zu sprechen.

»Du hast mich einfach hier zurückgelassen, als wäre ich der letzte Abschaum, der dir jemals untergekommen ist. Als wäre ich ein Niemand – und nicht der Mann, dem du dein Herz geöffnet hast. Carrie, verdammt noch mal, ich habe dir ein Versprechen gegeben. Ich wollte mein Scheißleben mit dir verbringen.«

Seine Worte waren wie tausend Messerstiche – mitten ins Herz. Er wollte eine Antwort.

»Komm schon, Abernathy, sag es mir!« Er spuckte die Worte regelrecht aus.

Verzweifelt schaute ich zu Boden, wich seinem Blick aus, konnte diesen Ausdruck darin nicht ertragen.

Doch ich sagte nichts, hatte nicht die Kraft, es ihm zu erklären, wusste nicht, wo oder wie ich anfangen sollte.

»Dachte ich mir.« Er entfernte sich einige Schritte. Noch immer konnte ich seinen Blick auf mir spüren. Er griff nach dem Glas und füllte es mit Whiskey.

Ich ging zu ihm, legte meine Hände an seine Arme, schaute ihn direkt an.

Er sah zu mir herunter.

»Ich habe mich nicht gemeldet, weil ich dich liebe, Evan. Damals und noch heute. Aber damals … als ich nach Hause kam, war alles anders. Ich musste dort bleiben, wegen meiner Familie, und so sehr ich es mir auch gewünscht hätte – ab dem Moment, wo ich den Boden Schottlands betrat und in die Augen meiner Mutter blickte, wusste ich, dass ich vorerst nicht würde zurückkommen können. Mal von der ganzen Bürokratie wie Visum und Co. abgesehen. Das wäre alles noch hinzugekommen. Und da gab es für mich nur eine Option. Eine, von der ich damals dachte, sie wäre sowohl für dich, als auch für mich erträglich. Denkst du, für mich war das leicht? Es hat mir mein Herz gebrochen, Ev…« Ich schaffte es nicht, seinen Namen auszusprechen, da hatte er sich bereits abgewandt und warf das Glas an die Wand. Ein lauter Knall ertönte und tausend Glassplitter flogen durch die Luft.

Erschrocken schrie ich auf, wobei ich schützend die Hände vors Gesicht hielt. Als ich sie langsam sinken ließ, stand Evan vor der Wand und stütze sich mit beiden Händen daran ab.

»Verdammt noch mal«, fluchte er, »als wäre das nur deine Entscheidung gewesen!«

Ich presste die Zähne aufeinander.

Dann herrschte Schweigen. So unfassbar lautes Schweigen.

»Es tut mir leid, aber es war das Beste so«, hauchte ich noch einmal. Meine Stimme war ganz ruhig. Ich würde ihn nicht so anschreien, wie er es mit mir getan hatte.

Er erwiderte nichts, starrte nur auf den Whiskey zu seinen Füßen.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

»Ich bin es nur«, erklärte eine tiefe Stimme. Lawrence polterte herein.

»Was willst du?«, fragte Evan.

Lawrence biss in ein Fischbrötchen, während er sich einen Moment im Raum umsah. Als er das Chaos bemerkte, blieb ihm der Fisch beinahe im Halse stecken. Sämtliche Gelassenheit verschwand aus seinen Zügen und wich einem Ausdruck starren Entsetzens.

»Mein Gott, Evan …« Er ließ das Brötchen sinken und schaute zwischen uns hin und her. Dann kam er zu mir. »Alles okay?«

Ich erwiderte seinen Blick, las eine stumme Entschuldigung aus seinen Augen ab.

»Was willst du hier, Lawrence? Sie fragen, ob es ihr gut geht? Hat sie dich die letzten Jahre gefragt, wie es dir geht?«

Evans Worte waren wie eine Ohrfeige.

Lawrence blickte mich weiterhin an, starr und verkrampft, als wisse er nicht, auf welche Seite er sich stellen sollte. Sein Kiefer mahlte, als er sich langsam in Evans Richtung drehte und einige Schritte auf ihn zuging.

»Ich wollte nur fragen, ob das Konzert noch weitergeht oder nicht. Ich meine ja nur, falls nicht, solltest du deinen Arsch nämlich mal auf die Bühne bewegen und es absagen.« Er unterstrich seine Worte, indem er Evan das Fischbrötchen gegen den Kopf warf.

Evan wischte sich unbeeindruckt etwas Öl von der Augenbraue, ehe er mich eine Sekunde lang ansah.

»Tut euch …«, doch meine Worte gingen in der Diskussion zwischen Lawrence und Evan unter.

»Willst du mich eigentlich komplett verarschen? Carrie Abernathy taucht nach über drei Jahren auf, und du fragst mich, ob das Konzert noch weitergeht?« Er lachte auf. »Leck mich, ehrlich.«

Lawrence schnalzte mit der Zunge, und bevor er etwas erwidern konnte, war Evan bereits zur Tür hinaus.

»Sieht ganz so aus, als wäre das mit euch richtig gut gelaufen«, merkte Lawrence im Hinausgehen an.

Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, aber er bemerkte es nicht einmal. »Vielleicht habe ich mich geirrt. Vielleicht ist einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht hätte ich noch warten sollen.«

»Was? Ist das wirklich dein Ernst?«, meinte Lawrence.

Irritiert blickte ich auf. Hatte ich das etwa laut gesagt? Lawrence sah kurz zur Tür, dann kam er zu mir und legte mir fest die Hände auf die Schultern.

»Carrie, sieh mich mal an!«

Ich gehorchte.

»Der richtige Zeitpunkt, wie du es so schön nennst, war schon vor langer, langer Zeit. Den hast du mehr als nur verpasst. Also entweder reißt du dich jetzt zusammen und kämpfst um ihn, oder du gehst durch diese Tür da und kommst nie mehr wieder.« Lawrences Stimme war nicht laut, aber eindringlich.

»Er braucht dich im Moment mehr als sonst irgendwann in seinem Leben. Es wäre falsch zu behaupten, dass von dem alten Evan noch viel übrig geblieben ist. Er hat sich in den letzten drei Jahren wohl am allermeisten von uns verloren. Frauen, Drogen …«

Bevor ich etwas hätte erwidern können, erklang Evans Stimme. »Hey, Leute, es tut mir leid. Aufgrund eines privaten Notfalls sind wir gezwungen, das Konzert an dieser Stelle abzubrechen. Wir werden es zu gegebener Zeit nachholen.« Buh-Rufe hallten durch die Halle. »Ihr könnt euch am Eingang in eine Liste eintragen, alle Namen, die draufstehen, erhalten beim nächsten Konzert kostenlosen Eintritt.«

Lawrence warf noch einen schnellen Blick in Richtung Tür, beugte sich vor. Ich konnte seinen warmen Atem an meinem Ohr spüren.

»In der linken Ecke hinter mir ist ein Notausgang. Er ist immer offen und führt direkt in den Hinterhof. Du entscheidest.« Er drückte mir einen schnellen Kuss auf die Wange, dann war er verschwunden.

Automatisch fiel mein Blick in Richtung der Notfalltür. Panisch sah ich zwischen ihr und der Holztür hin und her. Ging einen Schritt nach vorn, wieder einen zurück, einen vor, blieb stehen. Das durfte einfach nicht wahr sein. Ich schloss die Augen, atmete tief ein, dann lief ich zu dem abgenutzten Sessel und ließ mich hineinplumpsen. Meine Entscheidung war getroffen.

Diesmal würde ich kämpfen.

Just in diesem Moment öffnete sich die Tür, und Evan kam herein. Er sah müde aus. So unendlich müde. Als er mich sah, nahm sein Gesicht einen merkwürdigen Ausdruck an, beinahe so, als hätte er erwartet, dass ich verschwunden wäre.

Kommentarlos durchquerte er den kleinen Raum, lief zu dem roten Kühlschrank in der Ecke und holte den Whiskey hervor. Nachdem er zwei Gläser aus einem danebenstehenden Regal gezogen hatte, setzte er sich auf das Zweiersofa mir gegenüber, füllte die Gläser bis zur Hälfte mit flüssigem Gold und schob es mir über den Tisch zu.

Er sagte kein einziges Wort.

Ich nutzte die kurze Stille, um mich einmal in Ruhe umzusehen. Die Wände waren aus rotem Backstein, der Boden aus verkratztem dunklem Parkett, und Bilder berühmter Bands und Schauspieler hingen in verschnörkelten Rahmen an der Wand. Manche mit, manche ohne Unterschriften. In regelmäßigen Abständen waren dunkelgrün verglaste Lampenschirme an der Wand befestigt worden, die schwaches Licht spendeten.

Die Sitzecke war das Zentrum des Raums, daneben gab es nur die kleine Bar und mehrere Kleiderständer. Mein Blick fiel zurück auf Evan. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte an die Decke. Erwartete er, dort die Antworten auf all seine Fragen zu finden?

»Du hättest das Konzert nicht wegen mir abbrechen müssen«, sagte ich, als ich die Stille schließlich nicht mehr ertragen konnte.

»Ich weiß, aber ich wollte es so.« Seine Worte waren wie das schönste Kompliment und der schlimmste Faustschlag zugleich.

Stumm saß ich da, suchte nach einer passenden Antwort. Leider wollte mir nichts einfallen. Nichts hätte seinen Worten den Ernst oder die Schwere nehmen können. Nichts hätte dafür sorgen können, dass sich die Anspannung zwischen uns verflüchtigte.

Nach einer Weile der Stille räusperte sich Evan schließlich, sah mich an.

»Ich werde dir das nie verzeihen können, Carrie.«

»Das habe ich auch nicht erwartet«, zwang ich mich zu einer Antwort, auch wenn es eine Lüge war. Anschließend leerte ich das Whiskey-Glas in einem Zug und straffte die Schultern. Ich würde meine Würde und meinen Stolz nicht an diesem Abend verlieren. Es hatte mich genug Kraft gekostet, mich zurück ins Leben zu kämpfen. Noch einmal würde ich nicht zulassen, dass ich mich verlor.

Auch wenn ich ihn nicht verlassen wollte, wusste ich, dass all das hier nichts brachte. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren. Nicht, solange ich nicht bereit war, ihm die Wahrheit zu sagen. Und bei Gott, das war ich noch nicht.

»Ich sollte …« Die Tür sprang auf.

»Wer hat Bock auf Burger?«, fragte Lawrence, wobei er verdächtig mit den Augenbrauen zuckte.

Irritiert blickte ich zu Evan, der genervt die Augen verdrehte.

»Verdammt, verschwinde, Law.«

»Nein. Ihr hattet genug Zeit, das zu klären, und falls ihr das noch immer nicht getan habt, wird es wohl heute auch nicht mehr passieren. Ich werde nicht dabei zusehen, wie ihr euch fünf Stunden lang anschweigt und euch mit stummen Vorwürfen bombardiert. Also schwingt eure Ärsche aus dem Sessel, wir gehen jetzt gemeinsam mit den anderen essen.«

Just in diesem Moment erschien Mel im Türrahmen. Sie hatte ihre Arbeitskleidung gegen eine gemütliche Jeans, ein schlichtes T-Shirt und eine Lederjacke eingetauscht.

»Kommt schon, ihr beiden.«

»Ich will nicht, dass sie mitkommt«, erklärte Evan ruhig. »Sie hat hier nichts mehr zu suchen.«

Auch wenn Mel und Lawrence nichts sagten, sprachen ihre Gesichtsausdrücke Bände. Sie waren fassungslos. Und ich hätte es auch sein sollen, doch für heute hatte ich beschlossen, auf Durchzug zu schalten. Ich konnte mich morgen immer noch mit den klaffenden Wunden beschäftigen, die Evan mir mit seinen Worten zugefügt hatte. Für heute galt es einfach nur zu überleben.

»Ich wollte sowieso ins Bett«, erklärte ich, viel zu müde, mich mit Evan anzulegen.

»Vergiss es.« Mel trat einen Schritt vor. »Tut mir leid, Evan, aber du bist nicht der Einzige, der darüber entscheidet, ob Carrie mit uns kommt oder nicht.«

»Nein, aber wir.« Matthew kam in den kleinen Raum und nickte Lawrence vielsagend zu, bevor er nach einer dunklen Lederjacke griff.

Mel wollte sich in Kampfposition begeben, aber ich legte ihr nur eine Hand auf die Schulter.

»Ehrlich, Mel, lass es gut sein.« Stattdessen ballte sie jedoch die Hände zu Fäusten. »Was denkt ihr euch eigentlich, ihr Idioten? Haben wir auch nur den blassesten Schimmer, was Carrie widerfahren ist? Nein, das haben wir nicht. Seit wann also behandeln wir jemanden so, von dem wir rein gar nichts wissen außer dem Namen?«

Nun, das war etwas übertrieben, aber ich verbesserte sie nicht.

»Mel!« Lawrence wollte sie beruhigen, aber sie nahm gerade erst Fahrt auf, richtete einen Finger auf Matthew und Evan.

»Ich war hier mit ihr. Die ganze Zeit. Und ich hab sie immer und immer wieder brechen sehen. Und ihr beiden Vollidioten glaubt allen Ernstes, dass sie damals keinen triftigen Grund hatte zu gehen?«

»Kennst du denn den Grund, Mel?« Evan kam ihr gefährlich nahe. »Oder schlussfolgerst du einfach nur irgendetwas, weil sie heute ein wenig rumgeheult hat?«

Ich zuckte bei seinen Worten zusammen. Sie waren wie Faustschläge in meinen Magen.

»Wie lange hab ich gelitten? Wie lange hast du gelitten? Und dann, eines schönen Tages, hast du uns von der Zeitung aus entgegengestrahlt, gemeinsam mit einem Kunstwerk von dir … so, als wäre rein gar nichts gewesen, als hättest du mir … uns nicht die Herzen gebrochen.« Evan spuckte mir die Worte entgegen, bevor er ganz nahe kam. »Du bist hier nicht mehr erwünscht, und jetzt verp…«

»Evan, es reicht. Du hast getrunken.«

Langsam fuhr er herum, schaute zu Killian, der im Türrahmen stand und ihn ruhig musterte.

»Killian, was willst du jetzt eigentlich? Sie in Schutz nehmen?« »Nein. Ich will nur nicht, dass du irgendwas sagst oder tust, das du morgen vielleicht bereust. Also lass es gut sein, okay?«

»Ach, weißt du was, großer Bruder?«

Killian verschränkte die Arme vor der Brust, sah ihn abwartend an, so, als wisse er, dass jetzt nur irgendein weiterer bösartiger Kommentar von Evan kommen würde.

»Leck mich am Arsch!« Genervt warf er die Hände in die Luft. »Und du auch.« Er richtete den Finger auf mich. »Leckt mich alle beide am Arsch! Ich habe genug.« Mit diesen Worten ließ er uns stehen und verschwand, wohin auch immer.

Killian rieb sich die Stirn. »Entschuldigt«, sagte er noch, bevor er ihm nachlief.

»Was soll das werden?«, murmelte ich und wollte ihnen nach draußen folgen. Sie sollten nicht wegen mir streiten, schließlich hatte Evan recht. Wie hatte ich jemals annehmen können, dass er oder einer der anderen mir verzeihen würde? Wie hatte ich ernsthaft auf eine Versöhnung hoffen können, auf seine Liebe? Wie naiv war ich bloß gewesen, dass ich gedacht hatte, ich könnte herkommen und mir sein Herz zurückkämpfen?

Es war, als zerriss mich die Erkenntnis von innen. »Ich muss hier raus«, erklärte ich.

Ohne auf die anderen zu warten, stürmte ich nach draußen. Evan war fort. Irgendwo in der Nacht Seattles verschwunden. Killian stand allein im Hinterhof, hatte sich gerade eine Zigarette angesteckt. Als er mich sah, nahm er einen tiefen Zug.

»Ihr solltet gehen«, sagte er zu den anderen, ließ den Blick jedoch nicht von mir.

Langsam ging ich zu ihm. Kommentarlos hielt er mir die Schachtel entgegen. Auch wenn ich meine eigene hatte, griff ich hinein.

»Danke«, murmelte ich. Noch immer kämpfte ich mit den Tränen. Mel kam zu uns, steckte sich ebenfalls eine an.

»Ist das jetzt gut gelaufen?«, fragte sie nach einer Weile der Stille.

»Ich schätze, es lief noch beschissener, als ich es erwartet hatte«, sagte ich leise.

Killian betrachtete mich einen Moment, nahm einen langen Zug. »Du hast ihn um den Verstand gebracht, Carrie. Man könnte sagen, dass du ihm das Herz rausgerissen und in Stücke gehackt hast. Und jetzt tauchst du nach drei Jahren hier auf und wirfst es ihm vor die Füße wie einem Hund den Knochen. Wundert es dich wirklich, dass er nicht vor Freude auf die Knie fällt?«

»Killian …«, zischte Mel, aber er machte nur eine wegwerfende Handbewegung, bevor er mich einige Meter von ihr wegzog.

»Carrie, du warst für mich immer wie eine Schwester, und ich schwöre dir, als ich dich heute gesehen habe, ist ein Teil in mir lebendig geworden, den ich schon lange tot geglaubt hatte, aber mein Bruder …« Er schüttelte den Kopf. »Du hast ihn kaputt gemacht. Er hat dich so sehr geliebt … Ich weiß, dass du wahrscheinlich Schlimmes durchgemacht hast. Aber er … er auch. Also sei ihm nicht böse. Er braucht Zeit. Muss all das erst mal sacken lassen.«

»Du wolltest doch, dass ich mit ihm spreche«, unterbrach ich ihn harsch. Ich hatte genug davon, dass alle der Meinung waren, mich für das verurteilen zu dürfen, was ich getan hatte. Als wüsste ich nicht selbst, dass ich einen Fehler begangen hatte.

»Ja, damit ihr darüber sprecht und er mit dir abschließen kann. Damit er seinen Frieden findet. Den Frieden, den ich nie finden durfte.«

»Tut mir leid, Killian …«

Er packte mich am Arm. »Carrie, du wirst ihn wieder brechen. Und du weißt es.«

»Und was genau macht dich da so sicher?«

»Ich weiß es einfach«, sagte er.

»Einen Scheiß weißt du«, zischte ich. Ohne mich noch einmal umzudrehen, lief ich zu Mel.

»Ich fahre ins Hotel«, erklärte ich.

»Soll ich dich bringen?«

»Nein, ich gehe allein«, quetschte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, ehe ich einen schwachen Zug nahm. Nicht einmal rauchen konnte ich noch. Meine Welt drehte sich immer schneller, raubte mir das Gleichgewicht.

Einen Moment zögerte sie, dann sah sie zu Killian, der gerade im Begriff war, wieder reinzugehen.

»Ich weiß nicht, wer dich mehr geliebt hat, Evan oder Killian.«

Kapitel 2

Carrie

Ihre Worte hallten noch eine ganze Weile in meinem Kopf umher, ließen sich nicht einordnen. Hatte ich sie richtig verstanden?

Und plötzlich wurde ich furchtbar müde – müde der Überlegungen, der viel zu lauten Gedanken, der vielen unbeantworteten Fragen.

Als ich zur Seite blickte, sah ich Evan, Lawrence und Matthew. Sie stiegen in einen Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Einige Sekunden starrte ich auf die Stelle, wo sie zuvor noch gestanden hatten, dorthin, wo nun nur noch ein Zigarettenstummel an sie erinnerte.

Er hat mich allein gelassen, dachte ich noch, bevor mir sämtliche Kraft aus den Gliedern wich und ich zu Boden ging. Auf einmal konnte ich den Alkohol wieder überdeutlich in den Gliedern, im Kopf und allem voran in meinem Herzen spüren.

Und dann begann ich zu weinen.

Jemand legte mir eine Jacke um die Schultern. Ich sah nicht einmal auf.

»Hey, Carrie, wir bringen dich jetzt zum Hotel, okay?« Es war Killian. Nun sah ich doch auf, schaute in das dunkle Blau seiner Augen. Reue sprang mir entgegen. Reue und Schmerz. Mel stand hinter ihm, betrachtete mich mitleidig. Kurz verharrte mein Blick auf ihr, dann sah ich wieder zu Killian. Er war vor mir in die Hocke gegangen, blickte mich besorgt an.

»Was habe ich bloß getan, Killian?«, flüsterte ich.

Sein Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an, er erwiderte jedoch nichts. Verzweifelt schlug ich die Hände vor dem Kopf zusammen. Wie hatte ich jemals annehmen können, dass Evan und ich noch eine Chance haben würden?

Was war mir bloß durch den Kopf gegangen? Hatte ich wirklich angenommen, er würde mich mit offenen Armen empfangen? So, als wäre ich nie fort gewesen? Ja, das hatte ich.

Rein rational betrachtet, war das natürlich völliger Blödsinn. Wer würde das schon tun? Aber wenn es um die Liebe ging, gab es keine Logik und Rationalität. Liebe setzte alles außer Kraft, funktionierte auf einer völlig anderen Ebene. Liebe entstand über das Unerklärlichste, was der Mensch zu bieten hatte – Gefühle. Und die … die folgten leider nur dem, was unser Herz uns sagte. Dummerweise war es eben nicht immer auf unserer Seite. Manchmal kam es mir beinahe so vor, als wäre unser Herz unser größter Feind. Warum sonst sollte es Gefühle auslösen, die uns Dinge tun ließen, die völlig absurd waren?

Was hatte mich und meine Mutter dazu bewogen, bei meinem Vater zu bleiben? Wie hatten wir all die Dinge, die er uns angetan hatte, als Phase abstempeln können? Wie hatte unser Herz ihn nach allem noch lieben können? Wie hatten wir noch um ihn trauern können? Wie?

Mit Evan war es anders und doch irgendwie gleich. Er hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass er mich nicht mehr in seinem Leben haben wollte. Und doch war ich noch hier, hoffte, dass er zu mir zurückkehren würde. Und irgendwie hatte ein Teil von mir geglaubt, dass es ihm genauso ging.

Ich hatte mir unser Wiedersehen romantischer und emotionaler vorgestellt, so, wie es mir Romane vorgegaukelt hatten. In meiner kleinen Blase hatte ich gehofft, dass er mir um den Hals fallen und weinen würde. Im Anschluss hätten wir dann leidenschaftlichen Sex gehabt – das war es, was ich mir ausgemalt hatte. Dass er mich derart bösartig behandeln, mich sogar beleidigen würde – nein, damit hatte ich nicht gerechnet. Oder hatte ich es nur verdrängt? Mich deswegen in meiner Blase verkrochen, weil ich insgeheim geahnt hatte, wie er reagieren würde?

War das vielleicht auch der Grund, weswegen ich mich ihm nicht hatte stellen wollen? Und möglicherweise war genau das auch der Grund, weswegen unser Geist stets etwas anderes wollte als unser Herz –, denn wenn wir immer nur der Logik folgen würden, würden wir die besten Dinge im Leben verpassen. So oder so, Evan hatte heute die Seifenblase zerstochen, in der ich die letzten Wochen, Monate und vielleicht sogar Jahre gelebt hatte. Er hatte mich zurück in die Wirklichkeit katapultiert, und, verdammt, ich hatte beinahe vergessen, wie sehr die Wahrheit schmerzte.

»Carrie, hey …« Killian hatte mein Gesicht in seine Hände genommen, zwang mich, ihn anzusehen, legte seine Stirn auf meine. »Wir sind bei dir, hörst du? Es wird alles wieder gut …« Er fuhr mit dem Daumen über meine Wangen, wischte die Tränen weg. »Es wird alles wieder gut. Es tut mir leid … Was ich gesagt habe, es war nicht so gemeint …«

Ich glaubte ihm nicht, schüttelte vehement den Kopf. »Nichts wird gut. Ich hab alles verloren. Meinen Vater, die Liebe meines Lebens, euch. Alles, was ich je hatte, liegt in Schutt und Asche«, schluchzte ich. Ich hatte heute mehr geweint als die letzten Monate zusammen. Seitdem mein Vater seinen Hass gegen uns immer mehr gezeigt hatte, hatte ich gelernt, mit Schmerz, Wut und Trauer umzugehen. Normalerweise warf mich so schnell nichts mehr aus der Bahn, doch heute war alles anders. Heute war ich die Carrie von damals. Die, die eigentlich gestorben war, als sie ins Flugzeug gestiegen war und Seattle verlassen hatte. Killian nahm mich auf seine Arme. »Alles wird wieder gut, Carrie. Ich bringe dich jetzt erst mal ins Bett, und dann schläfst du dich ordentlich aus.«

Ich ließ ihn reden, hatte nichts mehr zu sagen. Meine Welt drehte sich ungewohnt schnell, und mit steigendem Tempo stieg auch die Übelkeit in mir immer weiter an. »Mir ist schlecht!«

»Gott, Mel, wie viel hast du ihr zu trinken gegeben?«, hörte ich Killian fragen. Er roch gut – herb, wie ein kühler Winterabend.

»Zu viel«, gab sie zu. »Soll ich mitkommen?«

»Nein, ich krieg das schon hin. Such du die anderen und sprich mit Lawrence.«

Ich stellte mir vor, wie sie nickte, dann wurden ihre Schritte langsam leiser, verschwanden schließlich.

»Hi«, murmelte Killian, als er sich ins Taxi schob. Noch immer hatte ich die Augen geschlossen, war zwischen der Wirklichkeit und meinem alkoholumnebelten Geist gefangen.

»Wir müssen ins … ähm … Moment.«

Killian hob meinen Kopf auf seinen Schoß, strich mir sanft über die Wange. Seine Finger waren weich. Viel weicher, als ich erwartet hatte, wenn man bedachte, dass er Gitarrist war.

»Carrie, wohnst du wieder im Hilton?«

»Mhm.« Mehr brachte ich nicht zustande.

»Okay … zum Hilton, bitte.« Es wurde still.

 

Nach einer Weile ruckelte mich jemand sanft am Arm.

»Carrie, wir sind da!« Träge schlug ich mit den Wimpern, ehe ich mich verwirrt umsah. Ein paar graue Augen sahen mich amüsiert an. Im Hintergrund prasselten große Regentropfen auf eine Scheibe, und es erklang ein dumpfes Geräusch, als die Scheibenwischer gingen.

»Da hat heute jemand ordentlich ins Glas geschaut, hm?«, fragte eine Stimme. Ich brauchte mehrere Sekunden, ehe ich realisierte, dass ich noch immer im Taxi war. Der Taxifahrer wirkte verschwommen.

»Ja«, murmelte ich nur, dann griff ich nach Killians Hand und ließ mich von ihm in die kühle Nachtluft Seattles ziehen.

»Geht’s? Kannst du stehen?« Skeptisch beäugte er mich, bevor er meinen linken Arm nahm und sich ihn um die Schulter legte. »Geht schon«, murmelte ich, ehe ich auf wackligen Füßen in Richtung Eingang lief.

Die Security beäugte uns skeptisch, doch als sie Killian erkannten, richteten sie ihren Blick wieder in die Ferne.

»Vorsichtig, Stufe.«

Als die goldenen Türen des Hiltons zur Seite aufglitten, winkte ich den beiden Rezeptionistinnen zu, bevor ich zum Fahrstuhl ging und mich dagegen lehnte.

»Mir ist so heiß«, sagte ich in Killians Richtung.

»Geht es Ihnen nicht gut, Miss?« Eine der beiden Empfangsdamen war zu uns gekommen und musterte mich kurz, ehe ihre Augen an Killian hängen blieben. Sie war hübsch – blond, groß, schlank. Der Inbegriff dessen, was sämtliche Klatschzeitschriften uns als perfekt verkaufen wollten.

»Sie sind doch …?«

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. Just in diesem Moment öffnete sich die Fahrstuhltür, und er zog mich hinein.

»Danke, aber wir kommen zurecht«, sagte er schnell. Ich schlang ihm die Arme um den Hals, sank zu Boden.

»Sind Sie sicher?«

Ich bemerkte, wie Killians Kiefer sich anspannte. Kurz sah er mich an, dann setzte er sein charmantestes Lächeln auf und drehte sich zu ihr.

»Ja, danke!« Er wandte sich ab und packte mich bestimmt an der Hüfte. Einen Wimpernschlag später war ich wieder auf den Beinen.

»Welche Etage?«

»Ganz oben.«

Er drückte auf den Knopf, dann raste der Fahrstuhl bereits los –leider war er dabei so schnell, dass es mir den ohnehin schon unruhigen Magen umstülpte.

»Ich glaube, ich …« Schnell hielt ich mir die Hand vor den Mund, schluckte mehrfach.

Als die Türen sich zur Seite aufschoben, packte Killian mich sanft am Ellenbogen, bevor er mich durch den Flur dirigierte.

»Gib mir die Zimmerkarte!«

»In meiner Handyhülle«, erklärte ich. Eilig reichte ich ihm den quadratischen Kasten, und er fischte sie heraus. Es klackte, dann sprang die Tür auf. Sofort rannte ich ins Badezimmer. Ich schaffte es gerade rechtzeitig, bevor ich mich erbrach.

»O Mann«, murmelte Killian nur, ehe er sich neben mich kniete und mir die Haare aus dem Gesicht hielt. »Schon gut!«

Nachdem ich den gesamten Mageninhalt der letzten drei Stunden in die teure Toilettenschüssel gekotzt hatte, wischte ich mir kurz mit dem Handrücken über den Mund, bevor ich zitternd zum Sitzen kam. Hals und Nase brannten, und Tränen kullerten meine Wange herunter. Es schüttelte mich.

»Warte, ich hol dir etwas Wasser.«

Killian ließ mir keine Gelegenheit zu widersprechen – da kam er auch schon zurück und hielt mir eine Flasche Wasser entgegen. Ich trank sie in einem Zug leer.

»Geht’s wieder?« Unbeholfen zuckte ich mit den Schultern. Killian hielt mir eine Hand hin und ich griff danach, doch erst nach dem dritten Anlauf schaffte ich es auf die Beine. Plötzlich hatte ich unglaubliche Kopfschmerzen.

»Komm, wenn wir dich jetzt unter eine kalte Dusche setzen, geht’s dir morgen besser.« Wie auch schon bei der Flasche Wasser wartete er nicht ab, stattdessen zog er mich langsam aus. Eigentlich wollte ich protestieren, wollte nicht, dass er die Narbe sah, aber mein von Alkohol benetztes Gehirn und meine taube Zunge wollten nicht mehr funktionieren.

»Komm, setz dich.« Er hielt meine Hand, während ich mich in die Wanne sinken ließ. Kurz zögerte er, drehte schließlich das Wasser auf. Ich beobachtete ihn, musterte seine deutlich gealterten Züge, das länger gewordene schwarze Haar, den müden Ausdruck in seinen Augen.

»Was?«, fragte er, wobei er die Hand unter den lauwarmen Strahl des Duschkopfs hielt.

»Nichts. Du hast dich verändert«, murmelte ich.

Er lachte. »Haben wir das nicht alle?«

Das Wasser wurde langsam kälter.

»Achtung!«, warnte er mich noch, bevor er den aggressiven Strahl des Duschkopfs auf mich richtete. Augenblicklich begann ich zu kreischen.

»O mein Gott, willst du mich umbringen?«

»Ganz im Gegenteil. Ich will dir helfen!« Unbeirrt duschte er mich von oben bis unten ab, ehe er das Wasser abstellte und mir auf die Beine half – schlotternd und bis auf die Unterwäsche entblößt stand ich vor ihm. Drei Jahre, nachdem wir uns das letzte Mal gesehen hatte – beinahe so, als wäre nichts geschehen.

Plötzlich musste ich an Mels Worte denken: Ich weiß nicht, wer dich mehr geliebt hat, Evan oder Killian.

»So.« Killian fuhr herum und legte mir zwei große Handtücher um die Schulter. »Los, trockne dich ab, und dann nichts wie ins Bett mit dir.« Er wandte sich ab, wollte den Raum schon verlassen, doch ich packte ihn am Ärmel, hielt ihn zurück.

»Killian?«

»Ja?«

Langsam löste ich die Finger, ließ den Arm sinken. »Es tut mir so … so leid.« Ein unergründlicher Ausdruck legte sich über sein Gesicht, und schon war er bei mir, nahm mich in die Arme. Ohne zu zögern, gab ich mich dem hin, sank gegen ihn.

»Ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr ihr mir gefehlt habt. Keine Ahnung.«

»Doch«, flüsterte er, wobei er mich noch fester an sich drückte.

»Glaub mir, du hast uns genauso gefehlt. Auch wenn Evan es nicht zugibt. Du hast uns schrecklich gefehlt.«

»Wieso bist du so zu mir?«

»Was meinst du?« Langsam löste er sich von mir, strich mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht.

»Warum bist du nicht wütend?«

»Willst du dieses Gespräch wirklich führen, während du halb nackt in der Wanne stehst?«

Ich zog das Handtuch enger vor der Brust zusammen. »Nein, natürlich nicht«, murmelte ich, bevor ich das Bein anhob und auf die Fußmatte trat.

»Aber schlafen willst du auch nicht, habe ich recht?«

Anstatt einer Antwort nickte ich nur und lief an ihm vorbei in Richtung meines Bettes, wo ich nach dem Telefonhörer griff und die Nummer der Rezeption wählte. Ich musste dringend diesen ekelhaften Geschmack loswerden.

Ich bestellte zwei Burger mit Süßkartoffelpommes und Softdrinks.

»Gib mir zwei Minuten, ich zieh mir nur schnell etwas an.« Eilig wühlte ich in meinem Koffer nach einer Hose und einem dicken Pullover, verschwand damit im Bad und kam wenige Wimpernschläge später wieder raus.

Killian beäugte mich kurz, dann blieb sein Blick an der Schiebetür zum Balkon hängen.

»Rauchen?«, fragte ich.

»Rauchst du jetzt richtig?«

Ich wusste nicht, was mich mehr überraschte, dass er diese Frage wirklich stellte oder dass es ihn zu überraschen schien.

»Ja«, antwortete ich knapp, bevor ich die Tür aufschob und in die eiskalte Nacht hinaustrat.

Ich ließ mich in einen der Stühle sinken, zog die Beine an.

Killian tat es mir gleich, zückte seine Schachten Pall Malls.

Wie konnte es sein, dass es mit ihm beinahe unverändert war? So, als wäre nie etwas gewesen? Als hätten wir einander nicht drei Jahre lang vermisst? Wie konnte es sein, dass er jetzt den Platz in meiner Blase einnahm, der Evan vorherbestimmt gewesen war?

»Gut, dass du wieder da bist«, erklärte Killian ruhig, wobei er einen tiefen Zug der Zigarette nahm. Ich beobachtete, wie sich der Rauch, den er ausblies, langsam in den Himmel erhob, mit dem Nebel der Nacht verschwamm.

»Wieso?« Es war nur ein Wort, und dennoch hing es plötzlich bedeutungsvoll über uns.

»Es ist viel geschehen, als du weg warst. Evan hat sich verändert und im Moment … Im Moment erkenne nicht einmal ich ihn noch wieder. Und er ist mein Bruder.«

Ich nahm einen weiteren Zug. »Wird er mir jemals verzeihen können?« Langsam drehte ich mich zu Killian, beobachtete sein Seitenprofil, wie er in Richtung des Lake Union sah und noch einen Zug der Zigarette nahm. Dann drehte er sich zu mir, sah mir tief in die Augen und nahm meine Hand.

»Ich weiß es nicht, Carrie. Alles, was ich weiß, ist, dass er dich noch immer wahnsinnig liebt.« Kurz blickten wir einander an, der sanfte Schein des Mondes ließ sein Gesicht beinahe friedlich wirken. Plötzlich klopfte es.

»Das muss das Essen sein.« Ich legte die Zigarette auf dem Aschenbecher ab und eilte hinein.

Ich riss die Tür regelrecht auf. »Guten Abend.«

Der Mann nickte mir freundlich zu, dann schob er einen goldenen Wagen herein und legte das Essen auf den dafür vorgesehenen Wohnzimmertisch.

»Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit. Möchten Sie eine Kerze?«

Mir entfuhr ein verbittertes Lachen. »Nein danke, keine Kerze.«

Als er weg war, rief ich Killian hinein.

»Meine Güte, das sieht ja besser aus als in so manchem Restaurant.«

Für den Preis kann man das auch erwarten, dachte ich, bevor ich mich auf den Boden setzte und erst einmal einen großen Schluck Cola hinunterkippte.

Eine Weile saßen wir schweigend da, aßen vor uns hin, dann lehnte sich Killian schließlich zurück, sah mich aufmerksam an.

»Du weißt, dass du nicht ewig schweigen kannst, oder? Ich meine, hier und jetzt mag es in Ordnung sein, aber der Tag wird kommen, an dem du die Karten auf den Tisch legen und dich erklären musst, wenn du willst, dass er dir jemals verzeiht. Das ist der einzige Weg.« Natürlich wusste ich das und doch – er hatte ganz richtig erkannt, dass ich im Moment alles andere als bereit dazu war.

»Ich hatte nicht damit gerechnet, euch sobald wiederzusehen. Ich meine, ich bin heute Morgen erst angekommen«, erklärte ich, während ich den Burger sinken ließ. »Ich hatte ja nicht einmal Zeit gehabt, mir vorher das Zimmer anzuschauen.«

»Es war Zufall, dass du da warst?«, fragte Killian irritiert.

Unbeeindruckt zuckte ich mit der Schulter. »Ja, war es. Na ja … oder vielleicht eher Schicksal.«

Langsam beugte er sich wieder vor, nahm einen weiteren Bissen seines Burgers.

»Wie war es für dich?«

»Ihn zu sehen und zu wissen, dass er all seine Wut und seine Trauer über mich in diese Songs gesteckt hat?«, fragte ich noch einmal nach, als wäre nicht selbsterklärend, was er meinte.

Doch Killian scherte meine provokante Art nicht im Geringsten. Stattdessen nicke er. »All seine Liebe. Ja.«

Anhand meines Zustandes und den gegebenen Umständen fand ich, dass eigentlich keine Antwort nötig war.

»Wie soll es schon gewesen sein?«, murmelte ich.

»Carrie, ich will nicht wissen, dass es scheiße war. Natürlich war es das. Ich will wissen, wie du dich dabei wirklich gefühlt hast, was die Erinnerungen in dir ausgelöst haben.«

Nun ließ ich den Burger endgültig sinken.

»Schmerz. Freude. Trauer. Wut. Es war eine Komposition der Emotionen. In der einen Sekunde ging es mir gut – dann, wenn mich die positiven Erinnerungen einholten. In der nächsten Sekunde nahm mich der Schmerz gefangen und stahl mir die Luft wie eine Welle, die dich unter Wasser drückt. Alles, was sich damals glücklich angefühlt hatte, tat nur noch weh. Der Schmerz frisst mich selbst jetzt noch auf. Ich habe all das so lange Zeit verdrängt, habe versucht, davor davonzulaufen, als würde mich das vor dem Leid bewahren, und dann komme ich hierher, und innerhalb weniger Augenblicke ist es so, als wäre ich nie weg gewesen. All das Vergangene ist plötzlich wieder so nah, so, als wäre es erst gestern gewesen. Es ist, als hättet ihr die Zeit ausgetrickst.« Langsam fuhr ich mir mit dem Handrücken über den Mund. »Aber wenn ich euch ansehe … wenn ich ihn ansehe … Er ist mir so nah wie lange nicht mehr, und trotzdem habe ich das Gefühl, er könnte nicht weiter von mir entfernt sein.«

Killian sah mich einen Moment an, dann ließ auch er den Burger sinken. »Keiner sagte, dass es leicht werden würde.«

»Nein«, murmelt ich. Aber es sagte auch niemand, wie schwer es werden würde. »Du schuldest mir noch eine Antwort«, erinnerte ich ihn nach einer Weile.

Killian holte tief Luft, tupfte sich den Mund ab, sah mich an. Die dunklen Haare fielen ihm in die Stirn, und seine Augen strahlten dadurch noch intensiver als ohnehin schon.

»Im Gegensatz zu ihm weiß ich, wie es ist, wenn jemand geht und nicht mehr zurückkommt«, erklärte er. »Ich hätte damals alles dafür gegeben, dass Taylor zurückkehrt. Selbst nach Jahren noch.«

»Es ist immer noch Taylor?«, fragte ich leise.

Killian lachte, bevor er mich anlächelte, den Kopf schüttelte. »Nein. Schon lang nicht mehr. Trotzdem … Du hast recht. Sie war es eine lange, lange Zeit. Warum erst jetzt Carrie? Und warum ohne ein Sterbenswörtchen?«

»Weißt du, Killian, als du mir damals von Taylor erzählt hast, konnte ich nicht verstehen, wie sie einfach so hatte verschwinden können. Wie sie euch einfach hinter sich lassen und ihr Leben weiterleben konnte. Aber als ich dann selbst in der Situation war, wo ich eine Entscheidung treffen musste, erschien mir ihre Handlung auf einmal bestechend logisch.«

Killians Kiefer spannte sich an. »Sag bitte nicht, dass du es gemacht hast, weil ich dir von Taylor erzählt hatte.«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, wahrscheinlich hätte ich es auch so getan, aber plötzlich konnte ich sie verstehen. Was, denkst du, wäre geschehen, wenn ich euch davon erzählt hätte? Wenn ich gesagt hätte: ›Hey Leute, meine Ma hat grad angerufen und mir gesagt, dass etwas Furchtbares geschehen ist und ich sofort nach Hause kommen soll …‹ Was, denkst du, wäre passiert?«

»Wir hätten nach einer Lösung gesucht.« Killians Stimme wurde mit jedem Satz, den ich sagte, tiefer … kühler.

»Ja, richtig. Eine Lösung für ein Problem, für die ihr keine gefunden hättet. Meine Mutter und ich haben drei Jahre gebraucht, um diese Lösung, von der du sprichst, zu finden. Drei verfluchte Jahre. Und am Ende kam die Erlösung nicht durch uns, sondern durch Gott.«

»Na und, wir hätten gemeinsam …«

»Nein, Killian, nein, das hätten wir nicht.« Ich war aufgesprungen, lief auf und ab. »Ihr hättet es euch nicht leisten können, mit mir zu kommen. Evan hätte es sich nicht leisten können. Erinnerst du dich an die Zeit vor drei Jahren? Wie kurz ihr vor dem internationalen Durchbruch standet? Wenn Evan mir gefolgt wäre, hättet ihr es nicht geschafft. Ich wäre der Grund gewesen, warum euch der Absprung nicht gelungen wäre. Und diese Vorwürfe …«, ich schüttelte den Kopf, »wollte ich mir nicht aufladen. Mag sein, dass Evan das ›gern‹ getan hätte, dass es ihm und vielleicht auch euch egal gewesen wäre. Aber das wäre eine Momentaufnahme gewesen. Eines schönen Tages wäre das auf mich zurückgefallen. Und warum? Weil ich meine Probleme nicht allein in den Griff bekommen konnte?« Erneut schüttelte ich den Kopf. »Es war keine Option, euch einzuweihen. Diese Entscheidung musste ich einfach für euch treffen. Ich musste es tun, bevor ihr es tun konntet, denn ihr … Er hätte sich falsch entschieden. Ihr hättet mich niemals gehen lassen und falls doch, wärt ihr mir gefolgt.«

»Aber, Carrie …« Killian war ebenfalls aufgestanden, thronte nun direkt vor mir. »Du kannst nicht unsere Entscheidungen für uns treffen«, sagte er, wobei er mir tief in die Augen sah.

»Das habe ich schon längst getan«, murmelte ich. Plötzlich war er mir gefährlich nach, packte mich bei den Schultern.

»Und genau da ist das Problem. Carrie, Menschen haben das Recht, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Und du … du hast Evan seiner beraubt. Du hast mich meiner beraubt. Mel …«

»Killian, wohin soll diese Diskussion führen? Du sagst doch ganz richtig, dass jeder das Recht hat, seine eigenen Entscheidungen zu treffen … Ich habe meine Entscheidung getroffen und euch zurückgelassen. Ihr hattet einander. Ich hatte nur mich selbst.«

Killian schüttelte den Kopf, als könne er nicht begreifen, was ich da von mir gab. »Aber, Carrie … Du hattest die Wahl. Dass du allein warst, war ebenso deine Entscheidung wie die, allein zu bleiben.«

Auf einmal machte mich diese Diskussion furchtbar müde. Kurz sah ich ihn noch an, dann warf ich die Hände in die Luft, ergab mich.

»Dann ist es halt so, Killian. Vielleicht hast du recht. Möglicherweise habe ich mir mein Leben versaut, weil ich euch nicht miteinbezogen habe. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer vermag das schon zu sagen? So oder so bin ich der Meinung, dass ihr mir nicht hättet helfen können. Und du weißt ja, was man sagt. Das Pflaster mit einem Ruck abzureißen, tut nicht annähernd so weh, wie es langsam Millimeter für Millimeter abzulösen. Und das ist es, was mit uns geschehen wäre. Ihr wärt mir gefolgt, und irgendwann hättet ihr bemerkt, dass ihr mir nicht helfen könnt. Ich hätte mich in meinen Kokon zurückgezogen – so, wie ich es immer tue, wenn ich nicht weiterweiß –, und dann hätten wir uns aus den Augen verloren. Bis ihr irgendwann fort gewesen wärt. Und vielleicht war es besser so, denn nun haben wir zumindest eine zweite Chance.«

Ich schob die Terrassentür auf, trat hinaus in die kühle Nachtluft. Es fröstelte mich, doch ich genoss den Schauer auf meiner vor Erregung erhitzten Haut.

Während ich über die bunten Lichter der Stadt hinwegblickte, schnappte ich mir die Schachtel Zigaretten, die auf dem Tisch lag, und zündete mir eine an. Gerade als der erste Zug meine Lungenflügel aufblähte, hörte ich, wie Killian hinaustrat.

Schweigend stellte er sich neben mich, steckte sich ebenfalls eine an, dann beugte er sich über das Geländer.

»Was?«, murmelte ich.

»Ich will nur, dass du vorbereitet bist. Sollte Evan dir die Chance geben, dich zu erklären, wird das kein einfaches Gespräch werden.«

Ich lachte. Als wäre mir das nicht klar. »Warum bist du nicht sauer?«, fragte ich, bevor ich einen weiteren Zug nahm. Eine Weile herrschte Stille, als müsse Killian über die Frage nachdenken.

»Zu allererst … Ich bin sauer.« Er lachte. »Und zwar verdammt sauer. Das bin ich jetzt, und das war ich damals. Aber mich und Evan unterscheiden ein paar grundlegende Dinge.« Er zog an seiner Zigarette, bevor er etwas Rauch in die Abendluft blies.

»Wie gesagt. Evan hat keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn der Mensch, den man über allen Maßen liebt, nicht zurückkehrt. Er weiß, wie enorm der Schmerz und die Wut sein können. Wie zerstörerisch. Und trotzdem glaube ich, dass er noch nicht an dem Punkt war, wo er nicht mehr mit deiner Rückkehr gerechnet hat. Evan mag dich mit Schweigen und Wut strafen, doch insgeheim war es immer seine größte Hoffnung, dass du eines Tages zurückkehrst. Wenn du mich fragst, wurden die Songs nur dafür geschrieben … Ich meine, wenn wir ehrlich sind, sind sie perfekt, um dich zu ködern. Sie waren sein Lockruf.«

Ich lachte. Das hätte natürlich vorausgesetzt, dass ich ihre Musik überhaupt noch gehört hatte, was nicht der Fall gewesen war. Aber so war das Schicksal eben. Manchmal ging es nur darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

»Bei mir war das anders. Die Jahre zogen ins Land, und Taylor war nie mehr gesehen. Und irgendwann kommt man an den Punkt, wo man einsehen muss, dass die Person fort ist. Für immer. Und dieses Gefühl …« Er unterbrach seinen Monolog mit einem weiteren Zug an der Zigarette. »… dieses Gefühl ist noch einmal völlig anders. Dieses Gefühl ist, was uns wirklich zerstört, was wirklich, wirklich wehtut.«

Mehrere Minuten herrschte Schweigen, dann sagte ich schließlich: »Du hast mir nie erzählt, wie sie ausgesehen hat.« Gedankenverloren drückte ich meine Zigarette aus. Er lächelte. »Du musst ja auch nicht alles wissen.«

»Also bist du nur deswegen nicht sauer, weil ich im Gegensatz zu ihr zurückgekommen bin?«

Killian lehnte sich wieder über das Geländer, sah in die Ferne.

»Ich sage es noch einmal … Ich bin sauer. Aber ja, ich bestrafe dich nicht so, wie er es tut. Denn im Gegensatz zu ihm kann ich mir vorstellen, wie viel Mut es bedarf, um nach drei Jahren zu den Menschen zurückzukehren, die du einst hinter dir lassen musstest. Und davon abgesehen … Wir haben keine Ahnung, warum du genau gegangen bist, aber ich vertraue dir genug, um zu behaupten, dass es ein triftiger Grund gewesen sein muss. Evan ist einfach nur blind … vor Trauer und Wut. Der Nebel muss sich einfach etwas lichten, damit er wieder klar sehen kann. Verstehst du, was ich meine?«

Ich nickte. »Irgendwann werde ich es dir erzählen«, versprach ich.

Nun zog er den Blick von den Hochhäusern ab, sah mich an. »Ich weiß, Carrie.«

 

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits halb zwei in der Nacht war. Killian hatte sich wieder auf den Weg gemacht und alles, was von unserem Gespräch übrig geblieben war, waren die überwiegend leeren Teller und ein leichter Hauch seines Aftershaves, der noch immer die Luft um mich herum schwängerte.

Da ich in all dem Trubel glatt vergessen hatte, meine Mutter anzurufen, griff ich eilig nach meinem Handy, sank auf die Couch und wählte ihre Nummer. Sie hob nach dem zweiten Klingeln ab.

»Carrie, mein Schatz. Alles in Ordnung? Wie war dein Tag? Ist es bei euch nicht schon total spät? Ich hätte mir ja Sorgen gemacht, aber ich habe Bilder von deiner Ankunft im Internet gesehen.« Eines der wenigen guten Dinge des Word Wide Web – Kontrollanrufe waren unnötig, da man ja ohnehin jeden Schritt im Netz nachverfolgen konnte.

»Ja, alles okay, Ma, na ja … mehr oder weniger.« Ich lachte verhalten.

»Oh, oh. Was ist passiert?«

Und plötzlich wollte ich weinen. Schon wieder. Warum wurde ich jedes Mal, wenn ich in dieser Stadt war, zu einer Heulsuse?

»Ich habe sie getroffen«, flüsterte ich dann beinahe ehrfürchtig in den Hörer.

»Was?« Die Stimme meiner Mutter war zwei Oktaven in die Höhe geschossen, und ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie aus ihrem Lesesessel gesprungen war und aufgeregt auf und ab lief.

»Wie ›du hast sie getroffen‹?«

»Ich habe sie getroffen … In einem Pub.«

»Aber woher wusstest du denn, wo sie waren?«

Meine Mutter und ich hatten vor meiner Abreise ganz genau geplant, wie ich die Sache mit Evan und den Jungs angehen musste, damit es funktionierte.

So viel dazu, dachte ich verbittert. »Ich wusste es nicht. Es war Zufall.« Und dann erzählte ich ihr die ganze Geschichte. Begann bei Louis und seinem Versuch, Small Talk zu führen, und endete damit, wie ich mit Killian auf dem Balkon stand.

»Du solltest aufpassen, was Killian betrifft«, war das Erste, was sie sagte.

Ich umklammerte den Hörer etwas fester. »Was meinst du damit?« Sie räusperte sich, schien nach den richtigen Worten zu suchen.

»Evan ist jetzt wütend, verletzt und total überfordert. Er weiß nicht, wie er sich verhalten soll, und das ist völlig okay. Er wird jetzt alles versuchen, um dich angreifen zu können. Wird versuchen, dich schlechtzureden … Und je mehr Angriffsfläche du ihm bietest, desto mehr wird es nachher schmerzen … Er wird sich beweisen wollen, dass er dich nicht mehr liebt, aber wir wissen es ja besser. Also lass es über dich ergehen, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Evan ist ab dem Moment, wo er dich gesehen hat, vermutlich zu einem Zwölfjährigen geworden. Und Killian. Killian ist so eine Angriffsfläche, von der ich grade eben sprach. Wenn sogar Mel bemerkt hat, dass er offensichtlich mehr für dich empfindet, als er sollte, wird es auch Evan nicht entgehen. Falls er es nicht schon längst mitbekommen hat. Immerhin ist es sein Bruder, also …«

»Ich soll mich nicht mit ihm sehen lassen?«, dachte ich ihren Gedanken laut zu Ende.

»Ja, denn wenn er euch sieht, wird er denken, du bist zurückgekommen, weil dir einfach danach war, und nicht, weil du eine zweite Chance für euch erreichen wolltest. Vielleicht wird er sogar behaupten, du wärst wegen Killian hier. Er wird sich alles Mögliche einreden, was ihn davor bewahrt, sich mit seinen Gefühlen für dich auseinandersetzen zu müssen … «

Ich nickte. »Ja, da hast du wohl recht. Und was mache ich, wenn Evan sich weiterhin so verhält? Du hättest ihn erleben müssen, er war total …« Ich suchte nach dem passenden Wort. »Bösartig.«

Meine Mutter lachte schwach. »Baby, versetz dich mal in seine Lage. Da lässt du ihn mit nichts weiter als einem Stück Papier in Seattle zurück und kommst nach drei Jahren einfach so wieder. Wie würdest du dich da fühlen? Er wird dich zappeln lassen, wird sich erst einmal selbst sortieren müssen. Gib ihm etwas Zeit, aber wenn er nach einer Weile immer noch nicht zulässt, dass du dich ihm näherst … wenn er dich dann immer noch so abweisend behandelt …«