Memi - Manfred Blunk - E-Book

Memi E-Book

Manfred Blunk

4,8

Beschreibung

Der Autor erinnert sich an Erlebnisse seiner Kinderzeit, die er mit seinen Eltern auf dem Bauernhof der Großeltern in dem Dorf Korswandt auf der Insel Usedom verbringt. Nach unbeschwerten Kindertagen erfährt er, was Krieg bedeutet und erlebt die Besetzung seines Dorfes durch die Rote Armee. Eine entbehrungsreiche Zeit bricht an. Aber die Leute verzagen nicht, jeder versucht, so gut um die Runden zu kommen, wie es eben geht. Langsam normalisiert sich das Leben wieder. Nach der Entlassung aus der Schule und der Einsegnung in der Zirchower Kirche geht die Kinderzeit zu Ende.

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Vorfahr

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Nachfahr

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Lehr.

Pommern 1937

Kreis Usedom Wollin

Korswandt – auf Usedom in Pommern – nennt man das Dorf zwischen Gothen- und Wolgastsee seit 1709 (Manfred Niemeyer, Uni Greifswald, Beiträge zur Ortsnamenkunde). Der Ortsname schrieb sich jedoch bis 1937 mit C statt mit K. Auf den Ortsschildern stand aber auch nach dem letzten Krieg noch Corswandt mit C. Die Pommernkarte des Rostocker Professors Eilhard Lubin von 1618 (Uni Greifswald) weist den Ort als Coswantz aus. Doch Korswandt hat schon an die achthundert Jahre auf dem Buckel. Als Szutoswantz wurde die Ortschaft bereits 1243 erwähnt (M. Niemeyer). Der Name deutet wie viele andere Ortsnamen der Inseln Usedom und Wollin auf eine slawische Vergangenheit hin. Vor den Slawen waren aber schon die Germanen da, vielleicht auch in Szutoswantz.

Im Dreißigjährigen Krieg hat Pommern ein Drittel seiner Bevölkerung verloren. Da werden vielleicht auch die Leute in Korswandt gesungen haben:

Maikäfer, flieg!

Dein Vater ist im Krieg,

die Mutter ist im Pommerland,

Pommerland ist abgebrannt.

Maikäfer, flieg!

Der Westfälische Frieden 1648 bescherte Vorpommern eine siebzig Jahre währende schwedische Besatzung, die erst nach dem Nordischen Krieg beendet wurde. Beim Frieden von Stockholm 1719/20 erhielt Preußen Stettin sowie die Inseln Usedom und Wollin. Nach dem langen Krieg und den Kriegen danach lagen die Inseln danieder; wüst das Land und leer so manche Kate. Doch den Preußenherrschern lag zu der Zeit das Wohlergehen von Land und Leuten durchaus am Herzen. So ließ Friedrich II. höchst selbst 1774 unweit von Korswandt ins Thurbruch hinein das Kolonistendorf Ulrichshorst anlegen. Eine pfeilgerade Dorfstraße, an einer Seite die Häuser, an der anderen die Gärten, preußisch akkurat eben. Langsam kam das geschundene Land wieder auf die Beine.

Aber die Ulrichshorster konnten ihre Felder grade mal drei Jahrzehnte lang in Frieden bestellen, dann begab sich Monsieur Napoleon auf einen waghalsigen Eroberungstrip durch halb Europa. Eine meiner Vormütter in Ulrichshorst musste anspannen und für die einquartierten französischen Soldaten aus Swinemünde Bier holen.

Nach den Befreiungskriegen ließ sich das neunzehnte Jahrhundert – wenigstens für die Inseln – etwas friedlicher an. Handel und Wandel und das bald aufblühende Bäderwesen bescherten nicht nur den Küstenbewohnern, sondern auch den Menschen in Korswandt einen bescheidenen Wohlstand.

Dorfteil von Korswandt mit See, Idyll, Sandberg, Schule, Schlößers Scheune und Landjahrlager in den 1930er Jahren

Ruderboote auf dem Wolgastsee, etwa 1930er Jahre.

Meine frühesten Erinnerungen sind Krüppelwörter. Sie entstanden, als ich sprechen lernte. Fatzelabe ist so ein Wort. Da war öfter vom schwarzen Raben die Rede, der schwarze Rabe, aus dem dann in meiner Babysprache der Fatzelabe geworden ist. Es werden wohl noch mehr Krüppelwörter entstanden sein bei meinen Sprechübungen, an die meisten kann ich mich aber nicht mehr erinnern.

In Berlin haben meine Eltern öfter in der Epa (Einheitspreis Aktiengesellschaft der Karstadt AG) eingekauft das einfache Wort konnte ich aussprechen, es passte zu meinen Krüppelwörten. Mich selbst nannte ich Memelunge. „Meme“ kann ich nicht erklären, aber „lunge“ sollte wohl „junge“ heißen.

Als Kleinkind war ich ein Angsthase und musste alle naselang heulen. Darum wurde beim Wrangen (Ringen), wenn ich dabei war, festgelegt, wer zuerst heult, hat verloren. Ich gewann den Ringkampf, musste aber dummerweise heulen und – hatte verloren. Weil ich so ein weinerlicher Hasenfuß war, haben mich die anderen Kinder oft verspottet. Irgendjemand hat dann den Namen Memi erfunden. So bin ich zu meinem ersten Spitznamen gekommen.

Memi

Eine andere Erinnerung hängt mit der Silberhochzeit meiner Großeltern, den Eltern meiner Mutter, zusammen. Damals war ich fast vier Jahre alt. Meine Mutter hatte im hinterpommerschen Belgard eine kleine Wohnung gemietet, um in der Nähe ihres Mannes zu sein, der als Zimmermann mit seiner Baufirma von einer Rüstungsbaustelle zur andern zog. Unter seinen Kollegen war Otto Blunk als Schürzenjäger bekannt und irgendwann hatte auch meine Mutter von dem weit verbreiteten Männerleiden meines Vaters Wind bekommen. Darum folgte sie ihm mit uns Kindern von Baustelle zu Baustelle. Doch 1937 wollten wir mit Oma und Opa in Korswandt Silberhochzeit feiern.

Obwohl Belgard von Ahlbeck nicht viel mehr als hundert Kilometer entfernt ist, wird die Bahnfahrt für meine Mutter mit zwei kleinen Kindern – meine Schwester Marlene war gerade zwei Jahre alt – doch etwas beschwerlich gewesen sein. Ich habe von der ganzen Reise überhaupt nichts mitbekommen. Nur einmal bin ich aufgewacht und habe staunend gesehen, wie die Telegrafenmasten am Abteilfenster vorüberhuschten. Und die vorbeihuschenden Telegrafenmasten sind mir noch lange in Erinnerung geblieben. Ähnlich war es mit der Silberhochzeit: davon weiß ich nichts. Aber es gab dort Zuckergusskuchen, an den ich noch oft gedacht habe, weil er mir so gut geschmeckt hat.

Das Silberpaar Martha, geborene Schünemann aus Ulrichshorst, und Karl Schmidt aus Korswandt hatte bald nach der Hochzeit sein Glück in Berlin-Neukölln versucht. Anfangs war dem Ehepaar das Glück auch hold, im September 1913 brachte der Storch Töchterchen Elfi. Aber schon ein Jahr später glaubte Kaiser Wilhelm II. seine Untertanen in den Krieg führen zu müssen, der angeblich wegen der Ermordung des österreichischen Thronfolgers begonnen worden war. Das Deutsche Reich verlor nicht nur den Krieg, sondern auch zwei Millionen Untertanen und – seinen Kaiser. Der Monarch war nach Holland entfleucht. Außerdem musste Deutschland etwa dreizehn Prozent seines Territoriums an Nachbarstaaten abtreten; davon war auch die schöne deutsche Ostseeküste betroffen.

Karl war mit einer leichten Verwundung aus dem Krieg heimgekehrt. Doch Glück und Glas, wie leicht bricht das. Er verlor seine Arbeit als Fleischer und an Marthas großen Traum – ein eigener Fleischerladen – war überhaupt nicht mehr zu denken. Kurz vor Weihnachten 1919 schaute der Klapperstorch noch mal vorbei und bescherte Elfi ein Brüderchen. Da war er nun endlich, Gerhard, der Stammhalter, den Karl sich so sehr gewünscht hatte. Das Leben in Berlin war aber nicht leicht nach dem verlorenen Krieg, die Leute hungerten. Als Martha für ihren kleinen Gerhard kaum noch Milch auftreiben konnte, beschlossen die Eheleute, nach Korswandt zurückzukehren.

Mein Großvater hatte von seinen Eltern dreißig Morgen Acker- und Weideland geerbt, damit ließ sich eine kleine Landwirtschaft betreiben. Doch Haus und Hof mussten her. Zunächst war die Familie bei Karls Schwester Klara Mundt untergekommen, deren Mann im Felde geblieben war. Mit einigen Handwerkern machte Karl sich daran, auf einem Feld am Ende des Dorfes, neben dem Fuhrweg, der durch den Wald am Krebssee vorbei nach Garz führt, Haus und Stallungen zu errichten.

Das ließ sich ganz gut an. Doch die zuerst schleichende und ab 1923 galoppierende Inflation hat das kleine Vermögen meiner sparsamen Großeltern genauso verschlungen, wie die kleinen Vermögen Millionen anderer kleiner Leute. Da musste Karl sich ganz schön drehen: Felder bestellen, Ernte einbringen, zwischendurch Schwein schlachten, Haus bauen – und Martha mit zwei kleinen Kindern konnte ihm auch nur hier und da bei der Feldarbeit helfen. Dennoch wuchsen Haus und Hof. Martha atmete auf, als sie endlich ins eigene Heim einziehen konnte, sie verstand sich nicht gut mit ihrer Schwägerin Klara. Aus Geldnot haben meine Großeltern sehr bescheiden gebaut und für das Hoftor hat mein Großvater sogar seinen goldenen Ehering verscherbelt.

Martha und Elfi in Berlin-Neukölln

Martha auf dem eigenen Hof; die Torpfosten stehen schon, das Tor fehlt noch.

Gerhard vor der Schule

Der Schmidtsche Bauernhof, Karls Geburtshaus

Haus und Hof von Karl und Martha, Geburtshaus von Manfred und Marlene.

Wir waren meinem Vater oft hinterhergereist, wohnten in Berlin, bei Familie Wilhelmi in Werneuchen, nordöstlich von Berlin, und vielleicht auch noch anderswo. Aber gegen Ende der 1930er Jahre war die Umzieherei vorbei und wir lebten wieder wie zuvor bei meinen Großeltern in Korswandt. Dort erinnerte mich ein weißer Wegweiser, der an der Straße nach Ahlbeck in der Nähe der Försterei stand, an ein Erlebnis in Berlin. Bei einem Spaziergang mit meinen Eltern sah ich, wie junge Männer ein schneeweißes Modellsegelflugzeug fliegen ließen, was mich ungeheuer beeindruckte. Und immer, wenn ich den strahlend weißen Wegweiser sah, kam mir das Segelflugzeug in den Sinn.

Mir gefiel es ganz gut bei Oma und Opa. Ihr Haus hatte vier Zimmer, einen Flur, eine Küche und neben der Küche, unter der Bodentreppe, eine klitzekleine Speisekammer. In der Hinterstube, an der Hofseite, schliefen meine Großeltern. Dort wurde an einem Tisch, der vor ihren Betten stand, auch gegessen. Das Vorderzimmer, zur Chaussee hin, war die gute Stube. Darin standen ein Kleiderschrank, ein Sofa mit Fransen, ein Tisch mit vier Stühlen, ein Vertiko, auf dem neben Bildern und Nippes der Silberhochzeitsschmuck lag, und zwischen den beiden Fenstern ein wunderschöner großer Spiegel. Außerdem stand in dem Zimmer noch ein einfaches, breites Bett, in dem mein Onkel Gerhard schlief. In den beiden Zimmern auf der anderen Gebäudeseite wohnten meine Eltern mit uns Kindern. Die vordere, größere Stube war unser Schlafzimmer, in dem neben den Schlafzimmermöbeln auch noch eine Couch und ein Tisch mit Korbsessel standen. Im hinteren, kleineren Raum stand das Esszimmer. Dort hielten wir uns nur selten auf, zumal der Raum keinen Ofen hatte.

Der Hof war etwa fünfzehn Meter breit und sechzehn Meter lang. Hinten wurde er von der Scheune mit Pferdestall, Kuhstall, Tenne und Stauräumen für Heu und Getreide begrenzt, an der Seite zum Garzer Weg vom Schweinestall und an der anderen Seite von einem Plumpsklo und einem sehr alten Schuppen, dessen Dach noch mit Schilfrohr gedeckt war. Den Rest des Hofes begrenzte ein Bretterzaun. Etwa in der Mitte des Hofes befand sich ein großer Mistberg. Vor der Feldbestellung wurden mit dem Mist die Äcker gedüngt. Gleich neben dem Mistberg stand die Pumpe und neben der Pumpe ein Apfelbaum. Unter diesem Apfelbaum habe ich im Kinderwagen gelegen. Etwas später hat mich dann mein Opa unterm Arm durch alle Ställe getragen; auch meine Oma war mir zu der Zeit schon sehr zugeneigt. Doch von all dem weiß ich nichts, das hat mir meine Mutter erzählt.

Ursprünglich war ich von meinen Großeltern nicht grade sehnlich erwartet worden. Im Gegenteil, Elfi bekam jedes Mal, wenn sie tanzen ging, zu hören: „Kumm mi bloß nich mit’n Jör no Hus!“ (Komm mir bloß nicht mit’m Kind nach Hause!). Doch der Sonntagsnachmittagstanz im Idyll am Wolgastsee zog Backfische und Junggesellen der umliegenden Dörfer magisch an. Selbst in den Seebädern war das Idyll angesagt. So zogen auch Otto Blunk und sein Freund Erich Dröse aus dem Seebad Ahlbeck gen Korswandt. Elfi Otto sehn, Otto Elfi sehn – und es war geschehn. Nun war Otto im zarten Alter von zwanzig Jahren überhaupt nicht daran interessiert, irgendwelche Kinder in die Welt zu setzen¸ aber – ihm gefiel die Machart. Elfi hatte sich unsterblich in ihn verknallt. Na ja – und dann ... Also mindesten väterlicherseits bin ich kein Wunschkind.

Bei meiner Mutter wird das wohl anders gewesen sein, gut möglich, dass sie mich gewollt hat, so verliebt, wie sie war. Aber die strengen Eltern! Solange es ging, hat sie ihre Schwangerschaft verborgen, hat kaum was gegessen. Später, als nichts mehr zu verbergen war, hat sie mich nicht nur gegen die Vorwürfe ihrer Eltern verteidigt, sondern auch meinen flatterhaften Vater dazu bewegt, sie zu heiraten. Davon waren meine Großeltern nicht gerade entzückt, doch war das immer noch besser, als eine Tochter mit einem unehelichen Kind zu haben.

Bei Wilhelmis in Werneuchen, Manfred und Elfi (rechts).

Marlene vor der Scheune; linke Tür: Pferdestall, mittlere Tür: Kuhstall, rechts: Scheunentor. Das Huhn hat Enteneier ausgebrütet. Durch die Lüftungslöcher über den Türen flogen jedes Jahr die Schwalben zu ihrem Nest im Kuhstall.

Idyll am …

… Wolgastsee

Elfi und Otto hinterher am Strand in Ahlbeck: „Und du bist dir ganz sicher?“

Meine Mutter hatte sicherlich keine berauschende Kindheit. Sie musste früh ihren Eltern bei der Arbeit helfen und ihren kleinen Bruder bemuttern. Doch die Kinderzeit meines Vaters war noch belämmerter. Sein Vater Otto ist 1916 für Kaiser Volk und Vaterland in Belgien gefallen. Da musste meine Großmutter Else, geborene Vierguts, zusehen, wie sie mit der kargen Kriegerwitwenrente und zwei kleinen Kindern um die Runden kam. Wenigstens hatte sie ein zwar winziges, aber doch eigenes Haus. Etwas besser ging es ihr erst, als Otto seine Lehre beendet hatte und ein tüchtiger Zimmermann geworden war.