Minka - Manfred Blunk - E-Book

Minka E-Book

Manfred Blunk

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Beschreibung

Minka erlernt auf der Ostseeinsel Usedom das Maurerhandwerk und spielt Handball in der Mannschaft seines Dorfes. Nach erfolgreich bestandener Berufsausbildungsprüfung studiert er drei Jahre an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Greifswald. Die Sommerferien verbringt er mit seinen Freunden am Wolgastsee in Korswandt und in Ahlbeck am Strand. Obwohl ihm das Lernen zunächst Probleme bereitet, gelingt es ihm am Ende doch, das Abitur abzulegen.

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Korswandt – auf Usedom in Pommern – nennt man das Dorf zwischen Gothen- und Wolgastsee seit 1709 (Manfred Niemeyer, Uni Greifswald, Beiträge zur Ortsnamenkunde). Der Ortsname schrieb sich jedoch bis 1937 mit C statt mit K. Auf den Ortsschildern stand aber auch nach dem letzten Krieg noch Corswandt mit C. Die Pommernkarte des Rostocker Professors Eilhard Lubin von 1618 (Uni Greifswald) weist den Ort als Cosvantz aus. Doch Korswandt hat schon an die achthundert Jahre auf dem Buckel. Als Szutoswantz wurde die Ortschaft bereits 1243 erwähnt (Manfred Niemeyer). Der Name deutet wie viele andere Ortsnamen der Inseln Usedom und Wollin auf eine slawische Vergangenheit hin. Vor den Slawen waren aber schon die Germanen da, vielleicht auch in Szutoswantz.

So beginnen im „Memi“ meine „Kindheitserinnerungen an Korswandt“, und wer Memi und sein Dorf kennenlernen möchte, sollte zuerst „Memi“ lesen, um dann im „Minka“ zu erfahren, was aus Memi geworden ist.

Die Kindheit lag nun hinter mir, aus Memi war Minka geworden und Minka trabte jeden Wochentag guten Mutes nach Ahlbeck zu Maurermeister Karl Müller. Ich musste aber nicht gleich mit Kelle, Hammer und Wasserwaage hantieren, sondern saß in des Meisters Büro und studierte die Fernstudienbriefe, die ihm zum Maurermeister verholfen hatten. Seine Wohnung befand sich im Obergeschoss des Mehrfamilienhauses Ritterstraße vier. Das Eckzimmer zur Dreherstraße war sein Büro, in dem ich jetzt Woche für Woche von Montag bis Samstag an seinem Schreibtisch saß.

Bei Müllers wird es wohl etwas eng gewesen sein, denn außer der Schwiegermutter des Meisters wohnte auch seine Tochter mit ihrem Mann in der Wohnung. Müllers Schwiegersohn war Architekt und hieß Auer, wenn ich mich nicht irre. Auers hatten notgedrungen Westberlin verlassen, weil Väterchen Stalin nach der Währungsreform im Westen Ende Juni 1948 eine Blockade über die Frontstadt verhängt hatte. Frau Müller, etwas rundlich, schien immer gute Laune zu haben. Und wenn der uniformierte Bote der Baupolizei Unterlagen zurückbrachte, schäkerte sie mit ihm wie mit einem alten Bekannten. Ihre Mutter kam hin und wieder zu mir ins Zimmer und erzählte dann lang und breit von ihrer Kindheit in Dargen, obwohl sie als verwirrt galt. Ab und an schaute auch der Meister nach mir.

Mit Fachrechnen und Raumlehre kam ich gut voran, andere Fächer fielen mir schwerer und einige Lehrhefte legte ich immer wieder beiseite, weil ich mit ihnen nichts anzufangen wusste. Nach einer Weile, als ich schon Quadratwurzeln von Hand ziehen und Korbbögen mit drei und fünf Mittelpunkten zeichnen konnte, erklärte mir Meister Müller, wie man mit Zirkel und Zeichendreieck einen Sowjetstern entwirft. Er hatte den Auftrag erhalten, das Ehrenmal für den sowjetischen Soldatenfriedhof in Ahlbeck zu errichten und musste dafür den Stern anfertigen lassen. Ob er das Ehrenmal auch entworfen hat, weiß ich nicht, es könnte aber sein, da er sich auch Architekt nannte.

Ahlbeck, Ritterstraße 4, Ecke Dreherstraße

Ehrenmal auf dem sowjet. Soldatenfriedhof in Ahlbeck

Mein Vater, der Zimmermann, derzeit Straßenwärter, hatte mit zwei Helfern alle Hände voll zu tun, um die zahlreichen Schlaglöcher in der Asphalt-Chaussee zwischen Ahlbeck und Kutzow zu beseitigen. Da sein Flickwerk aus Teer und Splitt nicht lange hielt, musste er an einem Ende schon wieder anfangen, wenn er am anderen gerade fertig geworden war. Seine Freizeit verbrachte er meistens damit, für seine Familie ein Haus zu bauen. Der Rohbau war fertig, jetzt wurden Fenster und Türen gebraucht. Bei der Beschaffung war ihm sein Schwager Gerhard behilflich, der im Bauamt tätig war. In den Militärbauten der Insel, vor allem in Peenemünde, war einiges zu holen. Traudchen und Gerhard wohnten mit ihrem kleinen Reiner seit Kurzem in Ahlbeck in der Schulzenstraße. Das hatte auch für mich sein Gutes; Mutti gab mir meistens Essen mit, das Traudchen mir mittags warm machte.

Im Herbst 1948 war nicht nur das Essen, sondern auch alles andere knapp. Es gab immer noch Lebensmittelmarken und viele Sachen bekam man nur auf Bezugsschein. Den Bauern war ein Abgabesoll auferlegt, das mein Großvater, in dessen Haus wir wohnten, immer gewissenhaft erfüllte, selbst dann, wenn es bei uns manchmal knapp wurde. Mutti aß öfter nichts weiter als Rote Beete und abends gab es lange Zeit nur Schrotsuppe. Auch die Raucher litten Not. Hast du noch ’ne Aktive?, war eine häufig gestellte Frage. Eine Aktive war eine industriell hergestellte Zigarette, die man jetzt nur selten sah. Die ersten Aktiven im Osten hießen Sondermischung I und II. Wer an Tabak herankam, rauchte Selbstgedrehte. Es wurde aber auch allerlei Kraut gequalmt. Opa baute seinen Tabak selber an und genoss ihn in der Pfeife.

Ohne Swinemünde war nun alles etwas umständlicher für uns. Von Wolgast oder Züssow, wo man jetzt umsteigen musste, wenn man mit dem Zug nach Greifswald oder Berlin fahren wollte, hatte ich während meiner ganzen Kindheit nie etwas gehört. Mit der alten Kreisstadt war auch die D-Zugstrecke Ducherow – Swinemünde verloren; die Gleise wurden demontiert und als Kriegsentschädigung in die Sowjetunion verfrachtet. Doch trotz des entbehrungsreichen und so ganz und gar veränderten Lebens waren die Leute nicht verdrossen. Bald nach dem Krieg hatte eine gewisse Aufbruchstimmung um sich gegriffen. Die Menschen waren lebenshungrig und wild auf Vergnügungen aller Art. So fanden die häufigen Tanzabende bei Schäfers im Idyll am Wolgastsee regen Zuspruch. Auch am Sonntagnachmittag konnte man auf dem Parkett im großen Saal das Tanzbein schwingen. Da waren wir Halbwüchsigen dann ab und an auch schon dabei. Um unsere Schüchternheit zu überwinden, mussten wir uns aber erst mal Mut antrinken. Doch für teuren Schnaps reichte unser Geld nicht, darum tranken wir meistens, bevor wir ins Idyll gingen, eine kleine Flasche Alkolat; das war ein Getränk mit geringem Alkoholgehalt.

Als im Mai 1945 die Rote Armee Korswandt besetzte, war das Idyll leer. Familie Schäfer hatte – warum weiß ich nicht – bei uns Unterschlupf gesucht und auf Fürsprache Gerhards auch gefunden. Eines Tages hielt vor Opas Haus ein Lieferwagen, dem zwei Zivilisten und einige russische Soldaten entstiegen. Einer der beiden Zivilisten hieß Stange und war ein früherer Kellnerkollege Emil Schäfers. Ihn, seinen Exkollegen, suchte Stange. Als er ihn gefunden hatte, zwang er ihn, in den Lieferwagen einzusteigen und fuhr mit ihm davon.

Später wurde bekannt, dass Stange Emil Schäfer und andere Männer in Swinemünde umgebracht hatte. Doch die Schäferfrauen gaben nicht auf. Ilse, die jüngere Tochter, heiratete Siegfried Brommecker, der eigentlich Förster war, aber jetzt Kneipier wurde. Siegfrieds älterer Bruder Karlheinz und dessen Frau wohnten auch im Idyll. Bald nach Ilses Vermählung stieg im großen Saal eine Doppelhochzeit. Edith, Ilses ältere Schwester, ehelichte Waldi Packmor aus Ahlbeck und ihre Mutter den beliebten Ahlbecker Stehgeiger Oskar Kroll, der bisweilen im Idyll zum Tanz aufspielte. Schäfers und Krolls stammten aus Westpreußen Brommeckers vermutlich aus Ostpreußen.

Hotel und Restaurant Idyll am Wolgastsee 2009, Seeseite.

Der Wolgastsee, an dem, in dem und auf dem ich manche schöne Stunde verbracht habe.

Nun hatte ich zwar noch nie eine Maurerkelle in der Hand gehabt, musste jedoch, seitdem ich in Meister Müllers Büro saß, die Ahlbecker Berufsschule besuchen. Der Unterricht dort bereitete mir aber bald großen Spaß, denn infolge der Müllerschen Studien konnte ich meistens – und oft als Einziger – die Fragen beantworten, die die Lehrer stellten. Als es später daran ging, Verblendmauerwerk mit Tusche zu zeichnen, war ich auch wieder unter den Besten, denn das hatte ich schon geübt.

Das Zeichnen mit der Reißfeder war gar nicht so einfach: die Strichdicke musste man mit einem Schräubchen einstellen, dann Tusche in die Feder füllen, und wenn man ungeschickt war, hatte man keinen Strich, sondern einen großen Klecks auf der Zeichnung. Federn, Tusche, Transparentpapier und Zeichengerät kaufte ich bei Ortmann, dessen kleiner aber feiner Laden sich in der Ahlbecker Seestraße befand.

Die ersten Monate musste ich zu Fuß nach Ahlbeck gehen, weil ich kein Fahrrad hatte. Das machte mir eigentlich nichts aus, als aber der Winter nahte, ging ich meistens in der Straßenmitte, wenn ich im Dunkeln nach Hause eilte. Könnte da nicht ein Bösewicht hinter einem Chausseebaum stehen oder aus dem Wald hervorspringen? Man hörte so manches. – Doch da waberten wohl nur meine Kindheitsängste.

Später, im nächsten Frühjahr, konnte ich endlich wieder mit dem Fahrrad nach Ahlbeck radeln. Hin und wieder fuhr ich gerne durch den Ort und sah mir die Schaufenster der Geschäfte an. In der Schulstraße gab es lange Zeit eine Tauschzentrale, in der alles Mögliche zum Tausch angeboten wurde. Am Ende der Strandpromenade, noch hinter dem Hotel Ostende, befand sich ein Laden, dessen Auslagen ich mir besonders gerne ansah. Was dort verkauft wurde, weiß ich heute nicht mehr, aber das Schaufenster zog mich damals magisch an. Oft stand ich auch vor einem Geschäft in der Seestraße. Über dem Eingang standen die Buchstaben HO, die sich von Handelsorganisation herleiteten. Das war ein volkseigener Laden, in dem man ohne Lebensmittelmarken einkaufen konnte. Ein Schweineohr (Gebäck) kostete dort fünf Mark.

Mein Fahrradbummel war aber mehr ein Vorwand. Ich hatte unter den heranwachsenden Töchtern des Seebads eine grazile Schönheit entdeckt, die ich möglichst oft zu treffen hoffte. Sie war der eigentliche Grund meiner Bummelfahrten. – Was ging da vor in mir (und in meiner Hose)? Warum sprachen die Erwachsenen nicht darüber? Hin und wieder hatte ich etwas an der Straßenecke aufgeschnappt, wenn die jungen Männer mit ihren Eroberungen prahlten. Dabei redeten sie oft schlecht über die Frauen, bei denen sie vermutlich abgeblitzt waren. Das mochte ich nicht. Für mich war die Begegnung mit einem Mädchen die bezauberndste Verlockung schlechthin … Eine Hübsche in Korswandt hatte ich schon lange ins Herz geschlossen, war aber viel zu schüchtern, auch nur zu versuchen, sie zu küssen.

Das Selbststudium an Müllers Schreibtisch hatte sich in der Berufsschule zwar günstig auf meine Zensuren ausgewirkt, doch Maurer konnte ich hinterm Schreibtisch natürlich nicht werden. Also besprach ich mit dem Meister meine praktische Ausbildung. Kurze Zeit später schenkte er mir das Buch „Der Maurerlehrling“. Dann war es so weit: Am ersten Juni 1949 machte ich mich mit Geschirreimer und Maurerspaten am Fahrrad auf die Chaussee nach Görke. Der Neubau eines Wohnhauses Ausgangs des Ortes war meine erste Baustelle. Doch ich habe an sie kaum eine Erinnerung. Durfte ich dort schon die Maurerkelle schwingen oder war ich Handlanger, der auf dem Rücken Ziegel und Mörtel aufs Gerüst schleppte? Ich weiß es nicht mehr. –Nur eins ist mir im Gedächtnis geblieben: Elektro-Meister Wittke aus Ahlbeck, der auch am Bau beteiligt war, schnitt mit einer motorgetriebenen Bügeleisensäge stundenlang Eisenbahnschienen auf Länge, die wir als Stürze über Fensterund Türöffnungen legten.

Müllers Ehrenmal muss der Besatzungsmacht wohl gefallen haben, denn er hatte von der Roten Armee einen neuen Auftrag erhalten: Umbauarbeiten in Swinemünde. Also radelten wir nun jeden Werktag über die nahe Grenze nach Polen. In der früheren Bäckerei Bliesath, wo jetzt Brot für das sowjetische Militär gebacken wurde, sollten wir, Polier Willi Koopmann, ein Geselle Behm aus Gothen, wohl noch jemand, und ich, der Stift, das Dach über der großen Backstube anheben und darunter die Wände aufmauern.

Während meiner Kindheit war ich öfter in Swinemünde gewesen. Als ich jetzt wieder in die vom Krieg stark zerstörte Hafenstadt kam, beeindruckte mich am meisten eine große, blendend weiße Schwedenfähre. Hier gab es fast alles zu kaufen, vor allem Industriewaren. An manchen Kiosken, von denen es etliche in der Stadt gab, konnten wir Geld umtauschen. Fünfundzwanzig Złoty gab es für eine einzige Mark; das kleinste Weißbrot kostete aber einunddreißig Złoty. Bei der Heimfahrt wurden wir zwar jedes Mal vom polnischen Zoll kontrolliert, hatten aber nie Probleme, da wir immer die Ausfuhrbestimmungen einhielten. Ich konnte auch gar nicht viel kaufen, denn mein Geld reichte nur für ein paar Würfel Palmin und Margarine, die ich ab und an mit nach Hause brachte.

Da die Versorgungslage immer noch ziemlich dürftig war, kam meiner Mutter die Margarine aus Swinemünde gerade recht. Sie schmierte jetzt morgens nicht nur Papa und mir die Schnitten für die Arbeit, sondern auch Marlene, die seit Kurzem in Ahlbeck eine Lehre als Textilverkäuferin angetreten hatte. Auch andere Korswandter erlernten in Ahlbeck einen Beruf, unsere Großcousins Horst Rossow und Jochen Mundt Tischler, Fritzer Tesch Frisör. Ältere aus dem Dorf hatten ihr Handwerk noch in Swinemünde erlernt, nun gewann die Peenestadt Wolgast immer mehr an Bedeutung, zumal dort auf Geheiß der sowjetischen Militäradministration eine Schiffswerft gegründet wurde.

Die Peene-Werft war nicht die einzige Gründung damals. In vielen Orten der Insel entstanden Sportgemeinschaften, die vor allem das Handballspiel auf dem Großfeld betrieben. Etwa um die Zeit wurde auch die SG Korswandt gegründet. Zur Blütezeit gab es im Ort eine Männer-und eine Jugendmannschaft. Auf einem Feld hinter dem Forsthaus wurde der Bau eines Sportplatzes in Angriff genommen und unsere SG nahm an der Meisterschaft teil, die unter den Mannschaften der Insel ausgespielt wurde.