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Achtung: Neuauflage - Erstveröffentlichung 12/2015
Emanuel Herbst hat es auf sich genommen, für seinen Neffen den Weihnachtsmann zu spielen. Womit er nur nicht gerechnet hat, ist der massive Schneefall und die Autopanne. So verschlägt es ihn zu einem Haus, indem ein Traummann wohnt. Jener scheint allerdings über diesen Besuch wenig erfreut. Vorerst zumindest, schließlich gibt es ein Schaukelpferd zuzustellen, da tauen arrogante Männer auf.
Eine homoerotische Kurzgeschichte für volljährige Leser.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
»So ein verdammter Mist!«
Emanuel Herbst warf einen Blick auf die Digitalanzeige der Uhr und beschloss, dass er trotz des Wetters Gas geben sollte. In Hamburg waren die Straßenverhältnisse erträglich gewesen. Räumfahrzeuge hatten ganze Arbeit geleistet, und das, obwohl es Heiligabend war. Hier weiter draußen sah es allerdings anders aus. Der Schneefall schien mit jedem Kilometer, den er zurücklegte, zuzunehmen, und kaum war er auf die Landstraße gefahren, erwartete ihn verschneiter Asphalt. Er rieb sich mit der Hand über die Nase, denn der verflixte Bart aus Chemiefasern juckte ohne Ende.
Warum hatte er sich doch noch gleich darauf eingelassen? Ach, richtig, weil er seine Familie und seinen kleinen Neffen über alles liebte. Es war für seine Schwester ein Leichtes ihn zu überzeugen, dieses Jahr als Weihnachtsmann verkleidet aufzutauchen, um Felix’ blaue Kulleraugen zum Glänzen zu bringen. Somit hatte er sich kopfschüttelnd das Kostüm angezogen, ehe er in seinen Wagen gestiegen war und sich auf den Weg machte.
Die Scheibenwischer quietschten unablässig aufgrund des reichlichen Schnees, den sie von der Windschutzschreibe fegten. Die Sicht wurde dadurch kein Stück besser. Er hatte seine Schwester und ihren Mann oft beneidet, dass sie sich das hübsche Haus, knapp einhundert Kilometer von Hamburg entfernt, gekauft hatten. In dieser Sekunde lobte er sich jedoch die Großstadt. Er hatte zwar keinen Garten und bei Weitem nicht so viele Zimmer, aber dafür konnte er zur Not jederzeit in die Bahn springen, wenn das Wetter nicht mitspielte. Davon abgesehen gab sein Etat auch nichts anderes her, als die winzige Wohnung. Hamburg war schon teuer genug und mehr war erst nach dem Studium drin. Jetzt schaffte er es sich mit BAföG sowie einem anständig bezahlten Tresenjob in einem Klub über Wasser zu halten. Leise seufzend dachte er daran, dass er nur noch zwei Semester schaffen musste und anschließend konnte er endlich als Tierarzt arbeiten, ein Wunsch, den er von klein auf hatte.
»Scheiße!« Emanuel drosselte die Geschwindigkeit, als der Wagen ins Schlingern geriet. Der klapprige Peugeot mochte die Straßenverhältnisse genauso wenig wie er selbst. Vorsichtig beschleunigte er, als er glaubte, das Auto hätte sich gefangen, doch es war ein Trugschluss. »Oh verdammt«, stieß er aus und versuchte sauber durch die Kurve zu kommen, die sich vor ihm befand. Das Gefährt rutschte jedoch einfach weiter geradeaus, ohne seinen Bemühungen nachzugeben. Emanuel sah nichts mehr außer Schnee, dann ging es für Sekunden bergab, das Fahrzeug glitt seitlich weg und kam zum Stehen. Er keuchte und befürchtete, dass er in einen Graben gerutscht war. Er öffnete die Tür und stieg aus, um sich anzuschauen, wo er gelandet war.
»Oh nein«, stöhnte er eine Minute später, als ihm das Licht der Scheinwerfer die Lage des Autos wissen ließ. Alleine würde er bei dem Wetter keine Möglichkeit haben aus dem Graben zu kommen. Sein Peugeot bräuchte Flügel, um auf dem Asphalt zu landen.
Er zog wütend den Bart unter das Kinn. »Das war es jetzt, oder wie?«, schimpfte er in die Schneeflocken hinein. »Verdammt!«
Er umrundete sein Auto, öffnete die Beifahrertür und hangelte vom Sitz sein Smartphone. Als er jedoch auf das Display sah, entkam ihm ein weiterer Fluch. Der eine Balken der Netzanzeige verschwand vor seinen Augen und kehrte nur für Sekunden zurück, um sich erneut in Luft aufzulösen. Gleichzeitig teilte ihm ein Signalton mit, dass der Akku sich dem Ende näherte.
Emanuel rupfte sich die rote Filzmütze vom Kopf, die er bis eben noch mit Humor getragen hatte. Dieser war aber eindeutig abhandengekommen.
»Das kann alles nicht wahr sein.« Vorsichtig kraxelte er die Anhöhe zur Straße hinauf und hielt das Telefon in die Höhe. Wenn er für wenige Minuten wenigstens etwas Empfang haben würde, könnte er bei seiner Schwester anrufen, dann bestünde die Möglichkeit, dass ihn jemand einsammelte.
Das Warnsignal des Handys ging schneller und gerade, als wieder ein Balken erschien und er wählen wollte, wurde das Display schwarz.
»Mist«, murmelte er verzweifelt. Sein Gehirn fing an, auf Hochtouren zu laufen. Mit dem Wagen wäre es noch eine knappe halbe Stunde Fahrzeit gewesen. Eine Strecke, die zu Fuß unmöglich zu realisieren war.
Emanuel guckte sich um, die Landstraße war jedoch wie ausgestorben. Es bestand also auch keine Hoffnung, dass hier demnächst ein anderes Auto vorbeikommen würde. Die Schneeflocken um ihn herum schienen mehr zu werden und ein unangenehmer Wind durchdrang die rote Filzkleidung, die er trug. Nicht einmal an eine warme Winterjacke hatte er gedacht, schließlich hatte er nichts weiter vor, außer Weihnachten mit einem Teil seiner Familie zu feiern.
Emanuel drehte sich im Kreis, doch nach wie vor war nichts auszumachen, das nach Rettung aussah. Er blickte zu seinem Auto, dessen Motor noch immer lief. Dann glaubte er, über das Wagendach hinweg in der Ferne ein Licht zu sehen. Nachdem er den Abhang hinabgeschliddert war, drehte er den Zündschlüssel, sodass schlagartig Ruhe einkehrte. Anschließend schaute er erneut in die Richtung, in der er zuvor das Licht gesehen hatte. Es war noch da. Er konnte die Entfernung in der Dunkelheit nicht abschätzen und zögerte einen Moment, da ebenso Unklarheit bestand, wie die Strecke bis dorthin beschaffen war.
Eine Windböe trieb Kälte unter die dünne Jacke und gleichzeitig einen kleinen Schwall Schneeflocken in sein Gesicht. Fluchend wischte er sie fort und beschloss, dass auf Rettung warten definitiv keine Option war. Das Licht war eindeutig nicht von einer Straßenlaterne, sondern sah selbst durch das Schneegestöber und trotz der Distanz nach einem Fenster aus. Der Wind sauste ein weiteres Mal um den Kopf herum, sodass er die Hände schützend über die Ohren legte.
Er sah sich kurz um und erblickte auf dem Boden die rote Mütze, die er sich vor einer Weile heruntergerissen hatte. Er hob sie auf, schüttelte sie aus und setzte sie sich anschließend auf. Dann schlug er frustriert die Autotür zu und fällte den Entschluss einfach auf das Licht zuzugehen.
Dankbar, dass er zu seinem Weihnachtsmannkostüm immerhin robuste schwarze Stiefel angezogen hatte, machte er sich auf den Weg. Die Arme vor der Brust verschränkt, stapfte er los und war froh, dass es sich um ein Feld oder eine Wiese zu handeln schien, über die er ging, denn die Fläche war einigermaßen eben. Während ein Schritt automatisch dem nächsten folgte, glitten seine Gedanken zum Weihnachtsfest des letzten Jahres, als er und Hendrik noch ein Paar gewesen waren. Sein Ex-Partner hielt nicht viel von Weihnachten. So war es drei Mal hintereinander vorgekommen, dass Hendrik sich für eine Woche in den Urlaub verdrückte und ihn, nach Streitereien, allein in Deutschland ließ. Im letzten Jahr kam er allerdings nach sieben Tagen Mallorca heim und verkündete, er hätte jemanden kennengelernt, der ihm mehr bedeutete. Damit trennten sich ihre Wege. Der melancholische Gedanke überkam ihn, dass es ein Weihnachtsfest als Single war, doch sein Verstand gab ihm eine Schelle, denn schließlich war er das an den vorhergehenden durch die Abwesenheit Hendriks ebenso gewesen. Seine Schwester Katharina hatte ihn jedes Jahr getröstet und letztendlich dafür gesorgt, dass es ein besinnlicher und schöner Abend wurde, zumindest soweit es für ihn möglich war. Meistens blieb er dann über die Feiertage bei Katharina und ihrer Familie. Dieses Jahr hingegen wollte er nach der Bescherung und dem Essen zurück nach Hamburg. In dem Klub, in dem er arbeitete, fand heute eine große Party statt. Er hatte vor, dieses Mal nicht hinter dem Tresen zu stehen, sondern sich unter das Volk zu mischen und diesen Tag anders ausklingen zu lassen, als all die Jahre zuvor.
Emanuel lief mit gesenktem Kopf und merkte erst, dass er an seinem Ziel angelangt war, als er gegen einen Gartenzaun stieß. Leise fluchend nahm er das Kinn von der Brust und schaute auf ein kleines Haus. Ein schwacher Lichtschein kam durch ein mit Milchglas versehendes Fenster und Emanuel erkannte, dass er sich hinter dem Gebäude befand. Vorsichtig hangelte er sich an dem Zaun entlang, bog an einer Ecke ab und stellte fest, dass das Licht zusehends mehr wurde. Ein Bewegungsmelder sprang an und eine Haustür kam zum Vorschein.