Mission Badehose - Hanna Julian - E-Book

Mission Badehose E-Book

Hanna Julian

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Beschreibung

Beraubt und missbraucht – Malte kann gar nicht fassen, dass ihm so etwas Schreckliches widerfahren ist. Und das ausgerechnet durch einen Mann, der sich als sein Retter erwiesen hatte. Die Erinnerungen daran liegen jedoch im Dunkeln, denn die K.O.-Tropfen, die ihm verabreicht wurden, haben das meiste ausgelöscht. Aber der Wunsch, andere vor einem solchen Schaden zu bewahren, ist so stark, dass Malte sich auf ein gefährliches Unterfangen einlässt. Als V-Mann schleust er sich in die Bande junger Schwuler ein, die im Naturfreibad eines Kölner Vororts systematisch ihre nächsten Opfer suchen. Malte lässt sich auf seine Rolle voll und ganz ein – doch seine Gefühle für Tom, dem wohlhabenden Sohn einer Unternehmerfamilie, der das nächste Opfer der Bande werden soll, lässt seine Aufgabe zu einem riskanten Drahtseilakt werden.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Leseprobe „Sommerglut – Tödliche Geheimnisse“

Weitere Titel von Hanna Julian (Auswahl)

Impressum

Prolog

„Wer zum Teufel bist du wirklich, Malte? Wer zum Teufel BIST DU?“ Die Wut in Toms Stimme brach, als die Enttäuschung überhandnahm. Sein harscher Ton war ein Schock, nachdem ihre mehrwöchige Beziehung bislang durch gegenseitigen Respekt geprägt gewesen war – trotz der widrigen Umstände. Von diesem Moment an würde sich unweigerlich alles zwischen ihnen ändern, wenn Malte nun nicht schnell genug reagierte. Aber wie sollte ihm das gelingen, da er doch wie gelähmt war. Ehe er etwas erwidern konnte, wandte Tom sich von ihm ab. Ohne zu zögern, sprang er von der Badeinsel in den dunkelgrünen See. Lange tauchte er nicht auf – ganz so, als würde er lieber riskieren, dass ihm die Puste ausging, als Malte die Möglichkeit zu geben, ihn unauffällig um seine Rückkehr zu bitten. Denn ohne laut zu rufen, war das nicht mehr möglich, als Tom endlich durch die Wasseroberfläche brach. Er schwamm mit Kraulbewegungen aufs Land zu, wo sich viele Freibadbesucher aufhielten. Malte wusste, er durfte ihm jetzt nicht folgen. Es zerriss ihm fast das Herz, ihn gehen lassen zu müssen. Aber ihm war klar, dass seine geheime Mission auf keinen Fall auffliegen durfte. Es wäre zu gefährlich. Und leider war die Möglichkeit, dass er sonst Leib – wenn nicht sogar Leben – riskierte, gar nicht so unwahrscheinlich. Nicht nach den Dingen, die in den letzten Tagen vorgefallen waren. Dinge, die er am liebsten niemals erlebt hätte, und die er doch begrüßen musste, weil sie ihn seinem Ziel ein großes Stück nähergebracht hatten. Aber um welchen Preis? Tom würde bald abreisen, daran gab es wohl nichts mehr zu rütteln. Doch es sollte nicht im Streit geschehen, denn dann würde er ihn mit großer Sicherheit niemals wiedersehen. Ihm jetzt alles offenzulegen, war jedoch ein zu großes Risiko. Die Sache würde unweigerlich eskalieren. Aber das musste Malte unter allen Umständen verhindern. Denn ein „Unfall“ passierte leider viel zu leicht, wenn man als Badeaufsicht nicht Acht auf sich gab – und vor allem, wenn jemand nachhalf …

Kapitel 1

Malte

Frühling 2018

„Du hast es geschafft, Bruderherz! Ich freue mich so für dich, dass du den neuen Job ergattert hast. Und es ist wirklich ein absoluter Traumjob!“ Lara goss Sekt in zwei Gläser. Vor lauter Begeisterung kippte sie einen Schwall daneben. Sie packte einen ganzen Stapel Osterserviette auf die nasse Stelle; das Häschen-Motiv hatte ohnehin erstmal ausgedient. Malte nahm das Glas entgegen, das sie ihm im Anschluss strahlend reichte.

„Auf dein neues Leben!“, sagte Lara feierlich.

„Jetzt übertreib mal nicht. Ich habe den Job doch nur den Sommer über. Im Herbst bin ich bestimmt wieder zurück, ziehe in meine alte Bude und durchforste erneut die Stellenanzeigen.“

„Das glaube ich nicht. Wenn du erst mal in Köln bist, findest du Ende des Sommers bestimmt eine andere Stelle, die du annehmen kannst. Vielleicht sogar in einer der Diskotheken. Ganz ehrlich, dort pulsiert doch das Leben! Da gibt es eine schwule Szene, im Gegensatz zu unserem öden Kaff. Die Kerle sind bestimmt heiß! Und denk nur an die Partys am laufenden Band, an Karneval, den schwulen Weihnachtsmarkt und natürlich den Cologne Pride. Es gibt so viele Highlights, dass ich glatt neidisch bin, kein schwuler Typ zu sein. Und auf so einen frisch blondierten, smaragdäugigen Schnuckel wie dich stehen die Kerle mit Sicherheit. Du wirst vor lauter Dates gar nicht wissen, wo dir der Kopf steht.“

„Das wäre zumindest meine Wunschvorstellung. Aber ich fürchte, auch dort gibt es Hürden, an denen ich mir garantiert die Knie, oder noch ganz andere Körperteile stoßen werde.“

Lara lachte auf. Sie blickte ihn aufmunternd an. „Na und? Herausforderungen sind doch gut. Davor solltest du dich nicht scheuen.“

„Jetzt redest du wie unser Vater.“

Einen Augenblick lang war die gute Laune der Geschwister gedämpft, ehe Lara prophezeite: „Glaub mir, der wird noch Augen machen, wenn du seine Kohle nicht mehr brauchst, und seine nervigen Ratschläge ignorieren kannst.“

Malte seufzte tief. „Ganz unrecht hat er ja nicht, wenn er sich beschwert, dass ich mit fünfundzwanzig immer noch finanziell auf ihn angewiesen bin. Nur, dass er meine Homosexualität dafür als Grund sieht, ist irgendwie ...“ Er verfiel in Schweigen.

„Es ist halt typisch unser Vater“, half Lara ihm aus. Malte nickte, immer noch schweigend. Wiederum fand Lara klare Worte. „Es ist unfair. Da sind wir uns doch wohl einig.“

„Ja, sind wir.“

„Dafür bekommt man vermutlich Kinder – damit die es irgendwann besser machen können als man selbst. Das ist unsere große Chance, denn in diesem Fall sind wir diese Kinder.“

„Und was sollen unsere Kinder dann mal besser machen?“

„Na das, was wir trotz aller Bemühungen versemmelt haben. Aber das wird nicht viel sein, denke ich.“ Sie nickte grinsend, um ihn und sich selbst überschwänglich von ihren Worten zu überzeugen. Malte mochte die positive Art seiner Schwester. Und sie schaffte es mal wieder, auch seine düsteren Gedanken zu vertreiben. Als sie einnehmend lächelte, war das ansteckend.

„Das helle Blond steht dir wirklich gut“, sagte sie dann. „Obwohl ich nicht ganz verstehe, warum du es hast machen lassen. Deine dunklen Haare standen dir auch immer super.“

„Ich wollte einfach mal was Neues ausprobieren. Und wenn ich wohin gehe, wo mich bisher noch niemand kennt, ist das doch der beste Zeitpunkt.“

„Okay. Aber dass du dich von deinem heißgeliebten Bart getrennt hast, überrascht mich schon ziemlich.“

„Ich dachte, wenn ich schon mal so viel Sonne abkriege, soll mein Gesicht auch nahtlos braun werden.“ Er grinste breit. „Gutes Argument. Aber mal davon abgesehen, hat auch dein Muskel-Training echt gut angeschlagen. Kein Wunder, du hast ja auch trainiert wie ein Wilder.“

„Ich will die Kerle halt beeindrucken.“

Lara nahm einen Schluck Sekt. „Gelingt dir bestimmt. Ich muss mich allerdings erst an deinen neuen Look gewöhnen. Du siehst wirklich … verändert aus.“

Malte nickte bedächtig. Laras Worte beruhigten ihn mehr, als er erkennen lassen durfte.

„Mir war halt einfach nach einer optischen Veränderung. Und wenn du es gut findest, umso besser.“

„Doch, wirklich, sieht klasse aus!“ Er war froh, das zu hören, denn auch für ihn selbst waren die Veränderungen noch gewöhnungsbedürftig. Wenn er ehrlich war, erkannte er sich selbst im Spiegel kaum wieder.

Als sie eine Zeitlang schwiegen, verlor er sich in seinen eigenen Gedanken. So vieles ging ihm durch den Kopf. Der Umzug war die eine Sache, aber viel schlimmer war das Wissen, dass er sogar Lara nicht den wahren Grund dafür nennen durfte. Es tat weh, seine einzig wirkliche Verbündete belügen zu müssen. Lara hatte seinen Kummer natürlich bemerkt, doch vermutlich schob sie es auf den Abschiedsschmerz, der ihnen bevorstand. Sie hob nachdrücklich ihr Glas. „So, Schluss mit der trüben Stimmung! Lass uns jetzt auf den neuen Job und auf deine aufregende und rundum glückliche Zukunft trinken!“ Malte stieß mit ihr an. Sie taten das immer mehrfach, wenn sie gemeinsam tranken. Auch er trank auf das neue Leben in einer Stadt, die vieles versprach – was würde sie davon wohl halten können? Im Gegensatz zu seiner Schwester sah er nicht alles so positiv. Der eigentliche Job, um den es ging – und von dem Lara nichts wissen durfte – würde nämlich alles andere als ein Traumjob werden. Aber er hatte ihn nun mal angenommen. Dass seine Schwester ein wenig neidisch war, weil er die meiste Zeit in der Natur und bei schönstem Sonnenschein verbringen konnte, verstand Malte natürlich. Aber sie sah ihn trotz seines Jobs irgendwie im Herzen von Köln. Klar, dort würde er natürlich ebenfalls Zeit verbringen, aber seine Wohnung war in einem Vorort, der vermutlich ziemlich grau und langweilig war. Immerhin war die Zweizimmerwohnung, die man ihm zur Verfügung stellte, nah an seinem Arbeitsplatz gelegen – einem Badesee, der den Städtern die Freizeit versüßte, vorausgesetzt, das Wetter passte. Was, wenn der Sommer verregnet war? Die Spätfrühlingssonne funkelte in den Perlen des Sekts und wollte Malte damit wohl klarmachen, dass er nicht immer so ein verdammter Schwarzseher sein sollte. Ob seine Auftraggeber bedacht hatten, dass ihr ganzer Plan nicht aufging, wenn das Wetter durchgehend mies war? Es passierte doch nicht zum ersten Mal, dass ein ganzer Sommer komplett verregnet war. Andererseits hatten die sicher noch Alternativen auf Lager, falls es mit seinem Einsatz nicht klappte. Trotzdem verließen sie sich im Moment auf ihn, und Malte hatte vor, niemanden zu enttäuschen. Vor allem nicht sich selbst. Denn neben einer hohen moralischen Verpflichtung, die er empfand, lockte ihn auch die Belohnung, die er dafür erhalten sollte. Dann könnte er seinem Vater endlich beweisen, dass er durchaus in der Lage war, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Und seine Rolle in der Geschichte war fast sowas wie ein moderner Ritterschlag. Wenn er das hier packte, brauchte er nie wieder vor irgendetwas Angst zu haben. Ja, genau das war das Ziel: die Angst in Kürze für immer ablegen zu können. Doch bis es soweit war, musste er vorgeben, ein ganz anderes Ziel zu verfolgen. Er musste sich auf seine Rolle besinnen, um seiner Schwester am Ende nicht doch noch etwas anzuvertrauen, das sie auf keinen Fall wissen durfte. Also sagte er, in dem selbstkritischen Ton, den sie von ihm gewohnt war: „Wenn man es genau bedenkt, flüchte ich viele Kilometer weit weg von allem, was mein Leben bislang ausmacht.“ Er grinste schief, um seinen Worten ein wenig von der Düsternis zu nehmen. Lara schenkte ihnen beiden Sekt nach, obwohl die Gläser gerade mal halb leer waren. „Ich sehe das nicht als Flucht, sondern als Abenteuer. Eins musst du mir aber versprechen ...“ Sie blickte kurz zum Fenster hinaus, wo der Kirschbaum in voller Blüte stand.

„Was soll ich dir versprechen?“ Sie fokussierte Malte wieder, erst mit besorgtem Blick, dann lächelte sie verlegen. „Dass du mich nicht komplett vergisst, wenn du an deinem Badesee einen Kerl nach dem anderen verführst.“ Malte schüttelte leicht den Kopf. „Glaub mir, das wird nicht passieren.“

„Aber falls doch, rufst du mich trotzdem ab und zu an?“

„Natürlich – versprochen!“

„Sehr schön! Ich verlasse mich drauf. Es ist das erste Mal, dass wir räumlich so weit voneinander entfernt sind. Ich meine, es war klar, dass das irgendwann passieren würde, aber es fällt mir wirklich schwer.“

„Ich weiß. Mir doch auch!“ Er streckte die Hand nach ihr aus. Lara ergriff sie und drückte sie kurz, bevor sie sie mit einem entschiedenen Nicken freigab. Das war eine symbolische Geste, die die Geschwister mit einem tiefen Seufzen besiegelten. Sie tranken schweigend, dann schenkte Lara nochmal nach. Und plötzlich, als Malte seine Gedanken schweifen ließ, drängte sich die traumatische Erinnerung in sein Gedächtnis, die seinen Einsatz überhaupt ausgelöst hatte. Die Erinnerung an das Geschehen im Winter 2016, das dazu geführt hatte, ihn nun einen neuen Weg in seinem Leben einschlagen zu lassen, und sich damit vermutlich in Gefahr zu begeben.

Winter 2016

Der Blick aus dem Fenster war derselbe wie seit drei Wochen: so viel Schnee, dass sich die großen Tannen bogen, und einige der Fichten umgestürzt waren. Die Wurzeln reckten sich wie hilfesuchende Finger dem dunkelgrauen Himmel entgegen. Das brachte ihnen nun auch nichts mehr. Ebenso wenig wie es Malte etwas nutze, darauf zu fluchen, dass er das Haus verlassen musste. Sein Personalausweis würde bald ablaufen, also musste er dringend im Rathaus einen neuen beantragen. Behördenkram. Und das in der Vorweihnachtszeit – sowas brauchte doch echt kein Mensch! Wenigstens kam der Bus pünktlich, der ihn ins Stadtzentrum bringen würde. Die Fahrt war lang, geprägt durch die Landschaft der Eifel. Malte war hin und her gerissen, wie viel seine Heimat ihm bedeutete. Einerseits fühlte er sich hier tatsächlich verwurzelt, zugleich zog es ihn in die Großstadt, wo das Leben eindeutig mehr zu bieten hatte. Das ging ihm vor allem in den letzten drei oder vier Jahren so. Der Wunsch, eine örtliche Veränderung herbeizuführen, nahm mit der Zeit eindeutig zu. Vielleicht war er ja doch eher ein Flachwurzler wie die Fichten, die der erste heftige Wind einfach umschmeißen konnte. Bei ihm war dieser „Wind“ wohl der Start ins richtige Erwachsenenleben. Noch trotzte er seinem Gefühl, aber im Gegensatz zu den Bäumen musste er auf Dauer nicht hilflos bleiben, sondern konnte selbst entscheiden, wohin er gehen wollte. Doch noch fehlte ihm der letzte Anreiz dazu, sein Vorhaben umzusetzen. Zu eingefahren war alles … zu vertraut und sicher. Und dann war da noch seine drei Jahre ältere Schwester Lara, die ihm sein Leben lang Halt und Stütze gewesen war. Eine so gute und wichtige Verbindung aufzugeben, um sich ins Ungewisse zu stürzen, war einfach nicht sein Ding. Über all das dachte Malte nach, während er im Bus fuhr, um seine Angelegenheiten regeln zu können.

*

Nachdem er im Rathaus alles geklärt hatte, entschloss sich Malte, einen Kaffee in der nahegelegenen Konditorei zu trinken und dazu vielleicht ein Stück Torte zu essen. Als er die Tür öffnete, erklang ein Glöckchen mit freundlichem Gebimmel. Kindheitserinnerungen wurden wach, und er stellte erstaunt fest, dass sich manche Dinge seit rund fünfzehn Jahren nicht verändert hatten. So lange war es her, dass er mit seiner Mutter öfters in dieser Konditorei gewesen war. Er hatte die gemeinsamen Ausflüge dorthin mit ihr sehr genossen – und das anschließende Stöbern im Spielzeugladen. Fast immer hatte seine Mutter ihm dann zumindest eine Kleinigkeit gekauft. Malte wurde schwer ums Herz als er an ihren Tod dachte. Er war gerade zehn Jahre alt geworden, als sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb. Das ging fürchterlich schnell, was für sie sicher ein Segen gewesen war, für ihn selbst allerdings die Hölle. Er hatte damals nichts begriffen. Und was für einen Sinn das alles haben sollte, verstand er bis heute nicht. Aber inzwischen versuchte er, nicht mehr danach zu fragen, weil es ohnehin keine Antwort gab, die ihn zufriedenstellen konnte. Malte bemühte sich, nicht die Trauer über den Verlust Oberhand gewinnen zu lassen, sondern lieber in den schönen Erinnerungen zu schwelgen. Und die waren wirklich wohltuend. Jetzt war es ihm fast unverständlich, warum er das Café so lange gemieden hatte. Aber er hatte die Zeit wohl einfach benötigt. Heute fühlte er sich jedoch endlich imstande, die nostalgischen Gefühle zuzulassen. Er strich sich über den Bart und sah sich aufmerksam um. Klar, die Einrichtung hatte sich etwas verändert, aber vieles war auch genauso wie damals. Die Tür schloss sich immer noch nicht automatisch, wie es inzwischen bei so vielen anderen Geschäften üblich war. Also übernahm Malte diese Aufgabe und ließ sie sanft ins Schloss gleiten. Dann wandte er sich der verlockenden Auslage in der Theke zu. Er suchte sich einen Stachelbeerkuchen aus; die Verkäuferin versicherte, dass man ihm das ausgewählte Stück und eine Tasse Kaffee sehr gerne an den Tisch bringen würde. Als Malte sich in dem hübsch eingerichteten Raum einen Sitzplatz ausgesucht hatte, blickte er sich auch dort um. Dabei fiel ihm auf, dass er eindeutig ein bunter Hund war, denn die restlichen Besucher schienen alle Rentner zu sein – meist betagte Frauen, die die Wärme des Cafés nutzten, um sich mit ihren Freundinnen vermutlich über den neuesten Promi-Klatsch und eigene Familiengeschichten auszutauschen. Eine ältere Dame saß allein an ihrem Tisch, auf den anderen Stühlen hatte sie zahlreiche Einkaufstüten abgestellt. Sie sah glücklich aus. Malte fühlte sich trotz seines offensichtlich unpassenden Alters und Geschlechts wohl in dieser Umgebung. Der gediegene Raum gefiel ihm um so vieles besser als ein hektisches Schnellrestaurant, in dem man ständig angerempelt wurde und noch Ketchup vom Vorgänger auf der Tischplatte klebte. Malte lehnte sich zurück, er sah aus dem Fenster. Die meisten Leute eilten umher, als säße ihnen Knecht Ruprecht höchstpersönlich mit seiner Rute im Nacken, wenn sie nicht spurten und die übliche Weihnachtshektik verbreiteten. Ein Obdachloser saß auf einer Bank und hielt eine Hand auf, in die niemand etwas legte. Malte nahm sich vor, diesen Umstand nach dem Verlassen des Cafés zu ändern. Er wusste, dass viele das nicht gut fanden, weil sie diesen Menschen unterstellten, entweder gar nicht arbeiten gehen zu wollen, oder sich doch nur Alkohol von dem Geld zu kaufen, das man ihnen gab. Malte fand, dass es den Schenkenden nun mal absolut nichts anging, was der Beschenkte damit machte, und man nicht über andere Leute zu urteilen hatte – geschweige denn, sie zu verurteilen. Eine freundliche Serviererin brachte ihm Kaffee und Kuchen. Malte aß zufrieden und ließ seine Gedanken schweifen. Als er schließlich das Café verließ, fühlte er sich aufgeräumt und zutiefst mit sich selbst versöhnt. Wie er es geplant hatte, ging er zu dem Obdachlosen, um ihm einen Fünf-Euro-Schein zu geben. Kaum hatte er das getan, vernahm er eine vertraute und zugleich zutiefst verhasste Stimme hinter sich.

„Ey, du Penner, von der schwulen Sau würde ich keinen Cent annehmen! Der fickt dir nur in deinen kleinen verwahrlosten Arsch, sobald du dich bückst.“

Die Stimme gehörte zu Gero – dem Klassenkameraden, der Maltes Coming out damals mit nichts als Häme und Spott das gesamte letzte Schuljahr über begleitet hatte. Nun hatte er immer noch den hasserfüllten Ausdruck im Blick, den er schon damals bei jeder ihrer Begegnungen zur Schau getragen hatte. Allerdings hatte er da noch keinen Sohn im Kindergartenalter an der Hand gehalten. Malte tat das Bürschlein jetzt schon leid, das mit offenem Mund den Ausbruch seines Vaters verfolgte und verwirrt versuchte, sich von dessen Hand zu lösen. Aber Geros Griff war so unerbittlich wie sein Schwulenhass. Der Obdachlose steckte Maltes Geldschein in seine Jackentasche, dann tat er vollkommen unbeteiligt. Im Gegensatz zu einem anderen jungen Mann, der den verbalen Angriff offenbar mitbekommen hatte. Er blieb stehen, baute sich vor Gero auf – er überragte ihn dabei um gut einen Kopf – und sagte mit ruhiger, aber kerniger Stimme: „Ich denke, du machst dich jetzt besser vom Acker, sonst könnte es passieren, dass dir ein anderer Schwuler mal so richtig zeigt, wo’s langgeht.“

Gero versuchte herablassend zu grinsen, doch im Endeffekt sah das reichlich dämlich aus, denn er hatte eindeutig Angst in den Augen. Als er sich mit seinem Kind ein paar Meter entfernt hatte, sagte er in ätzendem Tonfall: „Hier ist wohl ein Schwulennest. Wie runtergekommen diese Kleinstadt doch geworden ist.“ Dann drehte er sich um und ging raschen Schrittes durch die Fußgängerzone, seinen Sohn hinter sich herziehend, bis er in der Menge nicht mehr zu sehen war.

„Ein Freund von dir?“, fragte der Fremde an Malte gerichtet. Der schüttelte den Kopf. „Eher ein alter Feind. Ehemaliger Klassenkamerad, der schon immer zum Kotzen war.“

„Tja, einmal Arschloch, immer Arschloch. Hoffen wir mal, dass wenigstens sein Knirps nicht so eine Flachpfeife wird. Geht’s dir gut? Du siehst ein bisschen blass um die Nase aus.“

Malte rieb sich verlegen über die Stirn. „Ja, alles okay. Ich kann nur nicht gut mit sowas umgehen.“

„In der Öffentlichkeit als Schwuler beschimpft zu werden?“

„Das auch. Aber vor allem nicht mit einer Fast-Prügelei.“ Der andere lachte. „Ach, da hat aber noch ganz schön was gefehlt, dass wir uns geprügelt hätten. Dazu braucht es einen Gegner, der die Eier dafür hat. Und die hatte dieser Typ ganz bestimmt nicht. Mag sein, dass er gerne schon mal einen auf harten Kerl macht, aber wenn es drauf ankommt, ist er doch eher ein schlappes Würstchen.“

Die Bezeichnung gefiel Malte, was der andere an seinem Grinsen erkannte. Sein Gegenüber streckte die Hand aus. „Ich heiße übrigens Daniel.“

„Hi, Malte Schönborn.“

„Malte – schöner Name.“

„Danke“, erwiderte Malte etwas verlegen. Daniel musterte ihn nun ausgiebig. Ihm schien zu gefallen was er sah, denn ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Malte spürte, dass er rot wurde. Seine Stimme schwankte, als er fragte: „Wie kann ich mich für deine Hilfe bedanken? Also … ich habe noch einen fünfzig Euro Schein, den überlasse ich dir gerne.“

Daniel sah ihn lange mit einem Ausdruck an, der von Empörung bis zu Vergebung reichte. Malte biss sich auf die Lippe. „Womit kann ich dir denn sonst eine Freude machen?“, fragte er.

„Indem du etwas von deiner kostbaren Zeit mit mir verbringst.“

„Oh … ja, gerne. Also, was möchtest du denn mit mir machen?“ Bereits im nächsten Moment fiel Malte auf, dass er eine sehr provokante Frage gestellt hatte – und Daniel schien genau das gehofft zu haben.

„Tja, wenn du nicht abgeneigt bist, würde ich mir gerne deine Bude ansehen. Du wohnst doch allein, oder?“

„Und wenn ich jetzt sage, dass ich mit meinem Freund zusammenwohne?“

„Dann würde ich fragen, ob er in den nächsten paar Stunden zuhause ist oder ob wir freie Bahn haben, um uns miteinander zu beschäftigen.“

Malte schluckte. „Du gehst ja ganz schön ran.“

„Ich bin halt so ein Typ. Das hat den Vorteil, dass ich mich auch schnell mal körperlich einsetze, wenn jemandem Unrecht getan wird. Davon hast du profitiert. Aber keine Sorge, ich dränge mich nicht auf. Wenn dein Freund eifersüchtig ist, und du keinen Bock auf Zoff mit ihm hast …“

„Ich habe gar keinen Freund. Also, zumindest im Moment nicht.“ Malte schlug das Herz bis zum Hals. Er hatte noch nie mit jemandem Sex gehabt, den er nicht wenigstens einige Wochen lang kannte. Der Gedanke, mit diesem taffen Kerl in die Kiste zu steigen, elektrisierte ihn von Kopf bis Fuß.

„Also wohnst du allein?“

„Ja.“

„Gut. Und wollen wir dann?“

Malte war immer noch überfahren von dem Tempo, das Daniel vorlegte, aber das Prickeln in seinem Körper nahm ebenfalls rasant zu. So etwas kannte er bislang nur aus seinen Tagträumen – und vielleicht aus dem ein oder anderen Gay-Porno. Es war unglaublich verlockend, so etwas mal selbst zu erleben.

„Klar. Aber falls du kein Auto hast, müssen wir den Bus nehmen.“ Daniel zuckte mit den Schultern. „Ich bin hier eigentlich nur auf der Durchreise und wollte den nächsten Zug nehmen. Aber das kann ich auch später noch. Also lass uns Bus fahren!“ Er folgte Malte zur Haltestelle und ließ sich von ihm das entsprechende Ticket bezahlen. Während der Fahrt redeten sie nur über einige belanglose Dinge. Malte hätte gerne mehr über seinen Begleiter erfahren, aber er wollte nicht den Eindruck erwecken, ihn auszufragen, denn das hätte die sexuell aufgeladene Stimmung bestimmt negativ beeinflusst. Dass Daniel ihm ab und zu die Hand in den Schritt legte, um ihn zu massieren, sorgte erstrecht dafür, dass Malte seine Neugier vergaß und bereit war, dieses unverhoffte Abenteuer einfach zu genießen.

*

Als sie in seinem Wohnort ankamen und durch die Straßen bis zu ihm nachhause gingen, war Malte froh, niemandem zu begegnen, der ihn kannte. Eigentlich wusste er, dass es falsch war, jemanden in seine Wohnung zu lassen, der ihm fremd war. Aber der Reiz war so groß, dass ein prickelnder Schauer nach dem anderen durch seinen Körper jagte. Als sie in seiner Wohnung angekommen waren, zögerte Daniel auch keine Sekunde. Noch im Flur waren seine Hände plötzlich überall auf Maltes Körper. Er half ihm, die Jacke auszuziehen und ließ seine eigene einfach auf den Boden fallen. Dann schob er seine Hände unter Maltes Pullover und kniff ihm mit einem aufreizenden Lachen in die Brustwarzen. Malte schnappte nach Luft, sein Glied hämmerte augenblicklich und pumpte sich auf. Daniel ließ die Nippel nicht los, sondern rieb sie zwischen seinen Fingerkuppen, sodass Malte laut aufstöhnte.

„Du bist ziemlich schnell“, brachte er halbherzig tadelnd hervor. Daniel flüsterte ihm ins Ohr: „Ich muss doch meinen Zug später noch erwischen. Also, willst du schnell und hart gefickt werden oder soll ich jetzt doch lieber auf der Stelle abhauen?“ Wow, das war wirklich heftig! Malte überlegte kurz, ob er es zulassen durfte, dass jemand bei ihm so forsch vorging. Aber da öffnete Daniel ihm schon die Hose und griff nach seinem erigierten Penis.

„Hübscher Schwanz! Ich leck ihn dir ein bisschen, während du nachdenkst, ob du mich loswerden willst. Oder hast du nur Angst, dass die Nachbarn was mitbekommen könnten?“

„Nein, das ist kein Problem. Hier drunter wohnt nur ein alleinstehender Mann, der gerade im Urlaub ist.“

„Gut. Dann können wir ja so richtig laut sein. Du darfst also ungehemmt stöhnen oder auch vor Lust schreien, wenn dir danach ist. Mich macht das übrigens tierisch an!“ Schon ging er in die Hocke, seine Lippen umfingen Maltes strammstehenden Kameraden. Er wurde in der warmen Mundhöhle aufgenommen und der Länge nach geleckt, sodass Malte Hören und Sehen verging – geschweige denn, dass er noch denken konnte. Nach zwei oder drei Minuten ließ Daniel sich den Penis aus dem Mund gleiten und massierte den feuchten Schaft mit seiner Hand.

„Wie sieht’s aus, darf ich nun dein Bett sehen, oder willst du gleich hier genagelt werden?“

„Ich … ja … also, das Schlafzimmer ist dort.“ Malte bekam kaum noch die Wörter zusammen, so erregt war er. Alles war so unfassbar aufreizend. Daniel folgte seinem Fingerzeig. Während er in die angedeutete Richtung ging, sagte er: „Ich ziehe mich schon mal aus. Kannst du uns was zu trinken besorgen? Wir werden es bestimmt brauchen, denn glaub mir, ich werde dich heftig ins Schwitzen bringen.“

Malte schlug sich gedanklich vor die Stirn. Die Geilheit hatte alles ausgehebelt, sogar seine Pflichten als Gastgeber waren ihm völlig entfallen. Er versuchte es wieder gutzumachen, indem er fragte: „Was möchtest du denn trinken? Etwas mit Alkohol oder lieber ohne?“

„Hast du Wein da?“

„Ja, einen Bordeaux.“

„Cool. Dann schenk uns doch bitte zwei Gläser ein. Ich möchte mit dir anstoßen, bevor ich in dich stoße.“ Er grinste verwegen. Malte war hingerissen von Daniels maskuliner Derbheit. Ihm war nie zuvor bewusst geworden, wie sehr ihn jemand anmachte, der die Führung übernahm. Eigentlich hatte er selbst oft genug diese Rolle beansprucht, aber zugegebenermaßen niemals so intensiv wie Daniel es nun bei ihm tat. Was würde er wohl alles mit ihm anstellen? Und wie würde es sich anfühlen, wenn er schließlich kam? Bestimmt wie die Erfüllung eines wundervollen Traumes. Er war so unglaublich aufgeregt und freute sich auf die Erfahrungen, die er machen würde. Maltes Hände zitterten vor Nervosität als er den Wein eingoss. Er hatte zuvor versucht, die Schlieren auf den Gläsern mit dem Geschirrtuch zu beseitigen, aber schließlich hatte er entnervt aufgegeben und hoffte, dass die schlechte Beleuchtung im Schlafzimmer ausreichte, diesen Makel zu verdecken. Als er den Raum betrat, lag Daniel nackt und lang ausgestreckt auf dem Bett. Er hielt den Bilderrahmen in der Hand, der sonst auf der Kommode stand.

„Nette Familie. Vater, Mutter, der kleine Malte und … die liebe Schwester?“

„Ja. Lara.“

Daniel legte den Rahmen mit der Vorderseite nach unten auf den Nachttischschrank.

„Du willst doch bestimmt nicht, dass die uns zusehen, wenn ich dich so richtig durchficke, oder?“

Malte lachte nervös und reichte Daniel ein Weinglas an. „Nein, ganz bestimmt nicht.“

„Gut. Hör mal, ich habe echt Durst und eigentlich keine Lust, den schönen Wein jetzt auf ex runterzukippen. Kann ich vielleicht doch noch ein Glas Wasser vorher haben?“ Malte sprang sofort auf. „Ja, klar! Natürlich. Bin gleich zurück.“ Er eilte in die Küche und füllte ein Glas mit Mineralwasser. Als er es Daniel brachte, trank der ein paar große Schlucke und stellte es dann weg. Er reichte Malte ein Weinglas und nahm das andere, um mit ihm anzustoßen. „Auf diese überraschende Begegnung, die du ganz bestimmt nicht so schnell vergessen wirst.“ Er grinste breit. Dann trank er. Malte tat es ihm gleich, auch wenn er sich langsam fragte, wie hart Daniel wirklich plante, ihn ranzunehmen, wenn er so oft erwähnte, dass Malte die Begegnung wohl lange im Gedächtnis bleiben würde. Doch er war sich sicher, dass sie das schon allein aus dem Grund bliebe, weil er so etwas normalerweise nicht tat. Er nahm noch einen Schluck, als Daniel erneut feierlich das Glas hob und von seinem Wein kostete. Dann tauchte das Grinsen wieder auf. Daniel stellte sein Glas auf den Nachttisch und nahm Malte seins ebenfalls ab.

„Hast du Kondome und Gleitgel da? Ich habe zwar auch was, aber dafür muss ich erst in meiner Jacke kramen, die im Flur liegt, und das macht irgendwie die ganze Stimmung kaputt.“

„Ne, lass mal. Ich habe alles hier.“ Malte beugte sich zur Schublade seines Nachttischs hinab und gab einen überraschten Laut von sich. „Oh, der Wein haut bei mir total rein! Ich bin ganz schön benebelt.“

„Echt? Na, du verträgst ja wohl gar nichts. Hast du die Kondome?“

Malte schnappte sich das Päckchen und die Tube mit Gleitgel. Als er sich wieder aufrichtete, wurde ihm schwindlig, aber er fühlte sich auch herrlich beschwingt. Während Daniel ihm die Sachen aus der Hand nahm, spürte Malte wie sein Penis auf Riesengröße anzuwachsen schien. Das Teil hämmerte in seinem Schritt, und seine Eier schienen platzen zu wollen.

„Wie geil bist du?“, fragte Daniel.

„So geil wienochnieglaubich.“ Huch, jetzt konnte er vor lauter Erregung schon nicht mehr klar die Wörter voneinander trennen. Malte lächelte verlegen. Daniel blickte ihn forschend an.

„Alles okay?“

Malte konzentrierte sich enorm auf seine Aussprache. „Ja, ich bin nur … so … unglaublich scharf!“

„Dann dreh dich um, damit ich mir deinen Hintern vornehmen kann.“

Malte schluckte. Sein Hals war ganz trocken. „Wollen wir nich ersma … irgendwas …“ Er verstummte.

„Was irgendwas?“, erkundigte sich Daniel geduldig.

„Kuscheln oder fummelnoderso“, versuchte Malte mühsam zu erklären, aber die Wörter purzelten ihm einfach so ungehemmt über die Lippen, wie er sich fühlte – aufgegeilt wie er es bislang noch nie empfunden hatte. Das war unheimlich. Daniel schien von seiner enormen Erregung nicht überrascht zu sein, sondern sagte verständnisvoll: „Das dauert dir doch viel zu lange. Du willst jetzt eigentlich nur gefickt werden, stimmt’s?“

„Ja“, gab Malte atemlos zu. Daniel griff ihm an den Schritt und rieb das harte Glied unter dem Jeansstoff.

„Du bist doch so spitz, also komm schon, zieh dich aus! Ich besorg‘s dir, dass du im siebten Himmel landest.“

Malte bemühte sich, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während er sich seiner Kleidung entledigte. Er hatte das Gefühl, dabei sehr unbeholfen und tapsig zu wirken, aber Daniel sagte nichts, sondern sah ihm nur mit einem Grinsen zu. Als er sich endlich komplett entkleidet hatte, legte Malte sich mit dem Rücken aufs Bett und versuchte Daniel anzusehen. Aber das war gar nicht so einfach, da alles vor seinen Augen verschwamm. So wichtig war es aber auch nicht, denn der eigentliche Film spielte sich ohnehin in seinem hart hämmernden Schwanz ab. Diese unglaubliche Geilheit schien alles andere wegzublasen. Daniel hatte seinen Versuch, ihn anzuschauen, offenbar bemerkt. Er umfasste sanft Maltes Gesicht und fing seinen Blick ein. „Entspann dich einfach. Und jetzt dreh dich um. Ich helfe dir. Ja, so ist es gut.“ Er fasste nach Malte, der das Gefühl hatte, der ganze Raum würde sich in umgekehrter Richtung um ihn drehen, bis er auf dem Bauch lag. Sein harter Penis bohrte sich in die Matratze, doch das änderte sich plötzlich schlagartig, denn mit einem Mal ergriff ihn eine unglaubliche Müdigkeit. Sie war so heftig, dass er sich nicht dagegen wehren konnte. Er nuschelte etwas darüber, dass er wohl einschlafen würde und hörte Daniel sagen: „Dann ist es ja gut, dass du schon in deinem Bett bist. Ich komme auch ohne deine Hilfe zurecht. Schlaf jetzt, mein Kleiner …und tschüss!“

*

Malte erwachte mit gewaltig dröhnendem Kopf. Er verspürte Übelkeit. Sein Mund war trocken, die Zunge fühlte sich pelzig und riesengroß an. Er versuchte die Augen zu öffnen, aber es fiel ihm unglaublich schwer. Er stöhnte, dann hob er mit aller Kraft die Lider. Verwirrt nahm er zur Kenntnis, dass er in seinem Bett lag. Wie kam er dorthin? Eigentlich wollte er doch in die Stadt, um im Rathaus seinen Ausweis zu verlängern. War er schon dort gewesen? Er erinnerte sich dunkel an eine Bearbeiterin, die ihm ein Stück Kuchen brachte. War das wirklich im Rathaus gewesen? Die dröhnenden Kopfschmerzen merzten jeden weitern Gedanken aus. Malte versuchte zum Nachttisch zu robben, wo er Aspirin untergebracht hatte. Als er die Schublade öffnete, zuckte eine Erinnerung durch seinen Geist. Ja, er war nach Hause zurückgekehrt – und er war nicht allein gewesen. Doch wer hatte ihn begleitet? Er konnte sich nicht erinnern. Dann wurde ihm siedend heiß bewusst, dass er nackt war. Es kostete ihn beinahe übermenschliche Anstrengung, den Arm zu heben und in Richtung Rücken zu bewegen. Mit der Hand tastete er zwischen seine Pobacken und gab dann einen erstickten Laut von sich. Gleitgel, trotzdem fühlte er sich schrecklich wund an. Verdammt, was war passiert? Er versuchte sich zu konzentrieren, aber es gelang ihm einfach nicht. Da war eine Mauer in seinem Kopf, die er trotz größter Anstrengung nicht durchdringen konnte. Und doch war da die Gewissheit, dass er etwas Dummes getan hatte. Etwas echt richtig Dummes, das schlimme Auswirkungen hatte. Eine Blödheit, für die ihn andere verurteilen würden. Und obwohl er wegen der enormen Übelkeit und den Kopfschmerzen erst einen Anflug von Scham und Schuldgefühl verspürte, war ihm klar, dass diese fremden Urteile verdammt schmerzhaft für ihn werden würden. Denn die Leute, die sich über das, was ihm geschehen war, amüsierten, hatten recht. SIE HATTEN RECHT! Mit jeder Faser seines Körpers spürte er, was für ein Idiot er gewesen war. Die Selbstbeschimpfungen hallten in seinem Kopf. Wieder und wieder. Scheinbar ohne jemals aufhören zu wollen. Malte musste all das ertragen – mal schluchzend, mal stumm. So oder so hörte ihn keiner. Und niemand nahm Anteil an seiner Reue oder bemerkte seine tiefe Verzweiflung.

*

Als er sich eine gefühlte Ewigkeit später anzog, hatte die Übelkeit endlich etwas nachgelassen. Die eingenommene Tablette half nur leidlich gegen die Kopfschmerzen, aber er fühlte sich immerhin ein wenig besser, weil er nicht mehr nackt war. Immer noch versuchte er, sich zu erinnern, was eigentlich passiert war. Inzwischen war ihm klar, dass er wirklich ein Stück Kuchen gegessen hatte – denn genau das hatte er in den vergangenen Stunden immer wieder hochgewürgt. Und da war ein anderer Mann gewesen. Malte sah dunkel ein Gesicht vor sich, ohne sich klar entsinnen zu können, wie es ausgesehen hatte. Welche Haarfarbe hatte der Mann gehabt? Zumindest daran müsste er sich doch erinnern können. Waren seine Augen blau gewesen? Er stand auf blaue Augen, aber das hieß natürlich noch lange nicht, dass ein Mann, den er mit nach Hause genommen hatte, wirklich diese Augenfarbe hatte. Auch über dessen Körpergröße oder Kleidung konnte Malte sich keine Vorstellung machen. Vermutlich hatte er ganz passabel ausgesehen und war nett gewesen – zumindest hatte er sicher diesen Eindruck erweckt. Aber im Endeffekt war er es offensichtlich nicht gewesen. Denn dass er etwas mit Malte getan hatte, ohne dessen Zustimmung, war recht offensichtlich. Andererseits war da eine andere Erinnerung, die sich sehr stark gegen den restlichen diffusen Nebel durchsetzte. Malte erinnerte sich deutlich, dass er unglaublich geil gewesen war. So, wie eigentlich noch nie zuvor in seinem Leben. Als wären sämtliche Hemmungen von ihm abgefallen. Auf eine geradezu unnatürliche Weise … „Verdammte Scheiße“, murmelte er bitter. Auf dem Boden neben dem Bett standen Gläser – sie waren ordentlich ausgespült aber nicht abgetrocknet worden, wie die Wassertropfen zeigten. Der Verdacht, dass man ihm etwas ins Getränk gemischt hatte, schien damit bestätigt zu sein. Malte biss sich wütend auf die Lippe. Er musste das in den Griff bekommen, denn die Wut schlug ihm auf den Magen und lockte die Übelkeit wieder hervor. Er verließ sein Schlafzimmer, um sich in der Küche einen Kamillentee zu machen. Doch kaum hatte er das Wohnzimmer im Blick, blieb er wie angewurzelt stehen. Sein Puls begann zu rasen. Es fühlte sich an, wie ein Schlag in die Magengrube, als er die geöffneten Schubladen und die von den Regalen gefegten Sachen sah. Wen auch immer er zu sich in die Wohnung geholt hatte, derjenige war sich offenbar sicher gewesen, dass er ihn genügend ausgeknockt hatte, um einen Heidenlärm zu veranstalten. Und ausgerechnet jetzt war Till, der unter ihm wohnte, im Urlaub. Also hatte es niemanden gegeben, der diesen Kerl hatte davon abhalten können, alles mitzunehmen, was ihm irgendwie wertvoll erschien. Mit einem schrecklich dumpfen Gefühl prüfte Malte, um was es sich dabei handelte. Nach kurzer Zeit war klar, der Unbekannte hatte Bargeld in Höhe von knapp dreihundert Euro, eine goldene Kette, das Handy, die Playstation, das Notebook und Maltes Portemonnaie mitgehen lassen. Die Ausweispapiere hatte er auf dem Tisch liegen lassen – eine fast schon ironische Geste, die Malte erstickt aufschluchzen ließ. Vom alten Personalausweis blickte ihn der Idiot an, der einen Dieb und … – er wollte es nicht mal zu Ende denken – in seine Wohnung gelassen hatte. Wenigstens waren die zweihundert Euro noch da, die er als Notreserve in einer Keksdose aufbewahrte. Kraftlos ließ Malte sich auf die Couch sinken. Da er kein Festnetztelefon hatte, konnte er nicht mal auf die Schnelle seine EC-Karte sperren lassen. Tränen brachen sich nun Bahn, und seine Kehle wurde so eng, dass er glaubte, zu ersticken. Schließlich raffte er sich auf, um die Wohnung zu verlassen.

*

Kopflos irrte Malte durch die Gegend, bis ein Auto hielt. Der Fahrer fragte ihn, ob er ihn mitnehmen könne. Das war auf dem Land nicht ungewöhnlich. Hier half man sich noch gegenseitig. Ob Malte allerdings je einen Fremden mitnehmen würde, sobald er ein eigenes Auto hatte, wagte er zu bezweifeln. Überall schienen ihm jetzt Gefahren zu lauern. Er bejahte die Frage des freundlichen Mannes jedoch und fuhr mit ihm zurück in die Stadt. Dort ging er mit hängendem Kopf in die Polizeistation, um Anzeige zu erstatten: gegen Unbekannt, denn die Erinnerung wollte so schnell einfach nicht zurückkehren. Immerhin half man ihm, seine Karte sperren zu lassen und das Geschehene so gut wie möglich schriftlich niederzulegen. Was Malte berichten konnte, war so spärlich, dass er immer wieder ins Stocken geriet.

„Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen Mann?“, fragte Kommissar Weiland, der Maltes Anzeige aufnahm.

„Ja.“

„Und haben Sie diesen Mann zu sich nach Hause eingeladen?“ Der Kommissar klang routinemäßig.

„Ich glaube schon.“

„Glauben Sie …?“

„Ich kann mich nicht erinnern. Ich denke, er hat mir etwas ins Glas getan.“

„Dann ordne ich eine medizinische Untersuchung für Sie an. Gegebenenfalls können Sie Ihrer Anzeige wegen Diebstahl nach der Diagnose noch etwas hinzufügen. Handelte es sich bei dem Treffen in Ihrer Wohnung eventuell um die Anbahnung eines sexuellen Kontaktes?“

„Ist das wichtig?“

„Ja, das ist es. Ich kann verstehen, wenn Ihnen die Frage unangenehm ist, aber die Beantwortung hilft eventuell weiter, den Täter ausfindig zu machen. Und um den Fall mit ähnlich gelagerten abzugleichen. Sie sind nicht der einzige, dem so etwas passiert.“ Die Worte des Kommissars taten Malte gut, auch wenn er sich ein wenig dafür schämte, Trost zu empfinden, weil er Leidensgenossen hatte. Er konzentrierte sich wieder auf die Frage.

„Sie wollen wissen, ob Sie nach einem Schwulen suchen müssen? Ja, da bin ich mir sehr sicher. Zwar erinnere ich mich nicht an viel, aber dass es um die – wie sagten Sie? – um die Anbahnung eines sexuellen Kontaktes ging, steht für mich ziemlich fest.“

„Gut, dann vermerke ich das so. Wissen Sie, ob der sexuelle Kontakt stattfand?“

Malte schluckte, dann senkte er den Kopf und schüttelte ihn zugleich.

„Heißt das, es gab keinen oder dass Sie sich nicht sicher sind?“

Malte schluckte. „Ich bin mir nicht sicher.“

„Also gut … dann notiere ich, dass es dazu keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Auch wenn sich das auf Ihren Wunsch hin ändern lässt.“

Abermals schüttelte Malte den Kopf.

„In Ordnung, Herr Schönborn. Es ist Ihre Entscheidung. Sie haben ja noch etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Sollten Sie eventuelle Beweise sichern lassen wollen, teilen Sie es dem untersuchenden Arzt mit. Die Auflistung der entwendeten Gegenstände sollten Sie noch vervollständigen, falls Ihnen hinterher noch etwas Fehlendes auffällt. Ebenso wie die Personenbeschreibung und den Tathergang natürlich, falls sich der Nebel lichten sollte.“ Malte nickte. Er hatte das Gefühl, im Grunde kaum etwas geliefert zu haben, das der Polizei auch nur ansatzweise helfen konnte, den Täter ausfindig zu machen. Er fühlte sich leer – beinahe wie ausgehöhlt – und schrecklich verwundbar. Für ihn war das alles ein Albtraum, dem er nicht entkommen konnte. Immerhin war der Kommissar scheinbar neutral seiner sexuellen Ausrichtung gegenüber eingestellt, auch wenn Malte glaubte, dass er bestimmt hinter seinem Rücken über seine Naivität lachte. Wie sollte es wohl auch anders sein, denn er war ja nun mal schrecklich dumm gewesen! Doch anmerken ließ Kommissar Weiland sich nicht das Geringste. Und Malte war heilfroh, dass der Kommissar so nett und verständnisvoll war, denn immerhin hörte man oft genug, dass Schwule auch bei der Polizei alles andere als gern gesehen waren.

*

Als Malte wenig später dem Mediziner gegenübersaß, der die Untersuchungen durchführte, erklärte der ihm, dass es gut war, dass er so schnell zur toxikologischen Untersuchung kam, da man gewisse Substanzen nur etwa acht bis zwölf Stunden nach der Einnahme überhaupt noch nachweisen konnte. Er nahm ihm Blut ab, veranlasste eine Urinprobe und nahm sogar eine Haarprobe. Malte ließ all das über sich ergehen. Er wusste, dass man ihm helfen wollte, aber das änderte nichts daran, dass er sich wehrlos und benutzt fühlte … Ja, benutzt: das war das Schlimmste von allem.

„Wir können auch eine Untersuchung auf eventuellen sexuellen Kontakt oder möglicherweise sogar körperlichen Missbrauch vornehmen“, bot der Mediziner an. Malte schüttelte den Kopf. Der Mann im weißen Kittel schwieg ein paar Sekunden, dann erläuterte er: „Vermutlich würde ich ohnehin keinen eindeutigen Beweis in die Akten schreiben können. Denn selbst wenn ich heftigere sexuelle Handlungen mit eindeutigen körperlichen Blessuren nachweisen kann, so ist es immer noch möglich, dass sie einvernehmlich stattfanden, Ihnen nach Verabreichung der Drogen jedoch die Erinnerung daran fehlt. Als gerichtlicher Beweis sind die Ergebnisse zugegebenermaßen nur schwer verwendbar. Aber wie dem auch sei, die Untersuchung kann Ihnen trotzdem Gewissheit bringen, ob ein Sexualkontakt stattfand – oder haben Sie in diesem Punkt bereits selbst eindeutige Hinweise gefunden?“

„Ja … Nein. Ich möchte keine Untersuchung … ich glaube, das würde nichts bringen. Außer, dass es …“, er verstummte.

„Sie möchten diese Gewissheit gar nicht haben. Und schon gar nicht in einem Polizeibericht“, schloss der Arzt. Malte nickte.

„Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Ich werde Sie nicht zwingen. Aber ich bin verpflichtet, Sie über die eventuellen Nachteile aufzuklären, wenn Sie auf eine solche Untersuchung verzichten. Denn auch hier ist eine schnelle Aufnahme der Beweise von größter Wichtigkeit, um so gut wie möglich justiziabel verwendbar zu sein.“

„Justiziabel … Dazu wird es wohl ohnehin niemals kommen, wenn ich mich an nichts erinnere. Und an dem, was geschehen ist, kann ich leider auch nichts mehr ändern. Was auch immer ich getan habe – oder zugelassen habe – es war offensichtlich sehr blöd.“

„Als Mediziner ist es nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen. Aber dass es ungesund ist, wenn Sie die Schuld nun allein bei sich suchen, obwohl Sie das Opfer sind, kann ich als Arzt dann doch äußern.“ Malte lächelte dankbar, auch wenn ihm klar war, dass dieses Lächeln ziemlich hölzern wirken musste.

„Gut, dann wäre die Untersuchung abgeschlossen, wenn Sie Ihre Meinung nicht geändert haben.“

„Das habe ich nicht“, bestätigte Malte. Der Mediziner legte die Blätter zusammen, auf denen er sich Notizen gemacht hatte. „Ich werde einen Bericht anfertigen, sobald die Proben ausgewertet sind. Sie können nun nach Hause gehen, Herr Schönborn. Man wird Sie über das Ergebnis informieren. Ruhen Sie sich bis dahin unbedingt aus.“ Malte tat, was der Arzt gesagt hatte. Den Rest des Tages verbrachte er hauptsächlich damit, auf der Couch zu liegen und vor sich hinzustarren. Was die Selbstvorwürfe anging, konnte er den Worten des Mediziners jedoch nicht Folge leisten: seine Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis, wie er nur so abgrundtief dämlich hatte sein können.

*

Der nächste Tag fing so trübe an, wie der letzte geendet hatte. Aber nach dem ersten Kaffee entschied Malte, einige notwendige Dinge zu erledigen. Also fuhr er in die Stadt und kaufte sich ein neues Handy von seiner Notreserve. Dann ging er in die Bibliothek, setzte sich an einen der Tische, packte das Handy aus und richtete es in Ruhe ein. Als er damit fertig war, fragte er die Bibliothekarin, ob sie zufällig eine Aushilfe bräuchten. Wie so viele in letzter Zeit verneinte sie. Also biss er in den sauren Apfel und rief nach dem Verlassen der Bibliothek seinen Vater an. Er erzählte ihm von dem Diebstahl und bat ihn um Geld, das er ihm zurückzahlen würde, sobald er einen neuen Job fand.

„Das Geld überweise ich auf dein Konto. Sieh zu, dass du eine neue Karte bekommst!“, blaffte sein Vater ihn an und legte grußlos auf. Für Malte fühlte sich das wie ein weiterer Schlag in seinen immer noch schwer gebeutelten Magen an. Immerhin hatte er sich keine Litanei darüber anhören müssen, was für ein Idiot er gewesen war, einen Fremden in seine Wohnung zu lassen. Dass der ihn außer Gefecht gesetzt und danach gefickt hatte, hatte Malte ohnehin für sich behalten. Beim Gedanken daran zogen sich seine Magenwände schmerzhaft zusammen. Die Wahrheit tat nun mal weh, da war es nicht notwendig, sie auch noch denen aufzutischen, die dieses Gefühl rücksichtslos verstärken würden. Sein Vater dachte jetzt also, ein One-Night-Stand hätte ihn bestohlen – was ja ebenfalls den Tatsachen entsprach. Malte konzentrierte sich wieder auf die Dinge, die erledigt werden mussten. Nachdem er bei der Bank fertig war, machte er sich auf den Weg zur Polizeistation, um seine neue Handynummer mitzuteilen. Er war erstaunt, als man ihn bat, kurz zu warten. Nur fünf Minuten später rief ihn Kommissar Weiland in sein Büro. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Malte nahm auf dem Stuhl davor Platz.

„Der Nachweis von Gamma-Butyrolacton in Ihrem Blut liegt vor. Die Substanz wandelt sich im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure. Oder laienhaft ausgedrückt: es ist wahrscheinlich, dass Ihnen K.O.-Tropfen verabreicht wurden – es sei denn, Sie haben sie selbst eingenommen.“

Malte blickte den Mann empört an. „Warum sollte ich das tun?!“

„Weil diese Substanz in geringen Mengen zu einer erhöhten sexuellen Stimulanz und Enthemmung führen kann. Eine freiwillige Einnahme ist gar nicht mal so selten, wie Sie vermutlich glauben.“

„Wenn Sie das sagen … Aber ich habe das Zeug nicht freiwillig genommen. Es wurde mir verabreicht!“

„Von einem Mann, an dessen Namen und Aussehen Sie sich nicht erinnern können.“

Malte ließ den Kopf hängen. „Nein, das kann ich nicht.“ In diesem Moment war er unglaublich froh, dass er den Mediziner wenigstens nicht den Beweis hatte erbringen lassen, dass er vergewaltigt worden war. Denn was nutzte es schon, diese schreckliche Gewissheit zu haben, wenn man doch ohnehin davon ausgehen musste, dass derjenige, der ihm das angetan hatte, ungeschoren davonkommen würde.

„Ich zeige Ihnen nun trotzdem ein paar Fotos von Verdächtigen. Bitte nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen.“ Der Kommissar reichte Malte einen Stapel mit Bildern. Malte sah sich eins nach dem anderen an. Einige waren offenbar Fotos, die nach Verhaftungen aufgenommen worden waren. Andere zeigten junge Männer in völlig anderer Umgebung und muteten teilweise wie Bilder aus Familienalben an. Doch so sehr Malte auch versuchte, sich zu erinnern, keine der abgebildeten Personen kam ihm bekannt vor. Kopfschüttelnd gab er die Fotos dem Kommissar zurück. Der war nicht überrascht. „Der Gedächtnisverlust ist nach der Einnahme der Drogen leider üblich. Eine komplette Rekonstruktion der Ereignisse dürfte Ihnen ebenfalls enorm schwerfallen. Ich brauche Ihnen sicherlich kaum zu sagen, dass man Ihnen aus genau diesem Grund das Zeug einverleibt hat. Ohne den genauen Tathergang oder einen brauchbaren Zeugen, sind uns die Hände gebunden. Wir werden die Ermittlungen natürlich weiterführen, aber ich fürchte, ich kann Ihnen keine allzu großen Hoffnungen machen. Der Verdacht liegt nahe, dass Sie entweder Opfer eines Einzeltäters geworden sind. Oder Sie wurden das zufällige Opfer eines Bandenmitglieds, das vermutlich durch irgendeinen Umstand auf Sie aufmerksam wurde. Hier in der Gegend haben wir sehr selten mit solchen Fällen zu tun. In Köln und dem näheren Umland steigen die Fallzahlen allerdings seit ein paar Jahren rapide an. Die Opfer können sich meist gar nicht, bis nur sehr verschwommen an die Täter erinnern. Das macht die Ermittlungen so schwierig.“

„Ich verstehe“, erwiderte Malte niedergeschlagen. Nur ein zufälliges Opfer … Man würde ihm nicht helfen können, und der Täter würde niemals für das bestraft werden, was er ihm angetan hatte.

*

Vierzehn Monate später

Malte hatte gelernt, mit dem traumatischen Erlebnis umzugehen, ohne anderen etwas von der sexuellen Komponente des Ganzen zu erzählen. Er wusste nicht, ob Lara es ahnte, aber sie war immer so rücksichtsvoll gewesen, ihn nie danach zu fragen. Sie tat so, als glaube sie Maltes Geschichte, die er im Verwandten- und Bekanntenkreis erzählte: ein obdachloser Fremder habe ihm so leidgetan, dass er ihn wegen des anhaltenden Schneefalls bei sich auf der Couch übernachten lassen wollte. Doch der hatte ihn im Schlaf ausgeraubt und war mit seiner Beute spurlos verschwunden. Manchmal redete sich Malte sogar selbst ein, dass es so gewesen sei. Die gestohlenen Gegenstände waren nie wieder aufgetaucht. Ihm war klar, dass der dumme Fehler, den er begangen hatte, noch viel schlimmer hätte enden können. Was, wenn der Kerl ihn erdrosselt hätte, nur um sicherzugehen, dass er niemals gegen ihn aussagen konnte. Aber die Dosis der K.O.-Tropfen war geradezu fachmännisch bemessen gewesen, sodass ein Mord nicht nötig gewesen war. Dennoch quälte Malte immer noch der Gedanke, dass er einem anderen Menschen so absolut hilflos ausgeliefert gewesen war. Er war missbraucht worden – für ihn gab es da gar keinen Zweifel. Und dass er es auf eine gewisse Art selbst verschuldet hatte, war das Schlimmste an alldem. Malte war deshalb oft wütend auf sich selbst geworden. Eine beißende, brennende Wut, die ihn in diesen Phasen zu einem wenig umgänglichen Menschen werden ließ. Aber so ein Mensch wollte er nicht sein, also verdrängte er das Geschehene, so gut es ging. Ab und zu hatte er beinahe das Gefühl, er könnte sein altes Leben wieder fühlen – eines ohne die Gewissheit, ein Opfer geworden zu sein. Doch dann kam der Anruf, der alles wieder hervorholte. Und der ihm eine Entscheidung abverlangte, die Maltes Lethargie endlich in die Art von Wut verwandelte, die zu etwas nütze war. Eine Wut, die er mit Hilfe von Kommissar Weiland nun dazu einsetzen würde, einer Bande von Verbrechern das Handwerk zu legen. Eine Bande, die ihre Opfer betäubten, um sie auszurauben – und wer weiß was mit ihnen zu tun. Es hatte seit dem Anruf viele Gespräche mit Kommissar Weiland gegeben, der ihn als V-Mann ausgewählt hatte. Malte wusste, auf was er sich einließ – auch wenn man das wohl nie wirklich voraussehen konnte.

Kapitel 2

Malte

Sommer 2018

„Dein Rettungsschwimmerabzeichen ist noch neu. Praktische Erfahrung in dem Job hast du keine, oder?“ Sein DLRG-Kollege Karl musterte Malte eingehend. „Nein. Aber ich lerne schnell und bin sehr motiviert.“ Der Kollege schien kurz vor der Rente zu stehen. Ein alter Hase, von dem er sicher viel lernen konnte. Karls Stimme klang etwas knöchern, als er erwiderte: „Hm … Okay, den Kurs haste ja gerade erst absolviert, da sollten die Kenntnisse sogar besser sitzen als bei Leuten, die das Abzeichen ne Zeitlang in der Ecke liegen hatten. Die Einarbeitungszeit werden wir trotzdem gut nutzen. Körperlich siehste fit genug aus. Aber das Wichtigste ist die Konzentration. Kein Dösen in der Sonne, kein Starren auf Bikini-Pos und Oberweiten, ist das klar?“

„Absolut klar! Ich mache meinen Job und lasse mich nicht ablenken.“

Karl schien noch nicht ganz überzeugt zu sein, also setzte er nach: „Und falls du lieber ein Auge auf muskulöse Kerle statt auf gutgebaute Frauen wirfst, gilt dasselbe! Kein unnötiger Kontakt mit den Badegästen, sonst biste deinen Job schneller los, als du gucken kannst.“

„Verstehe. Ich werde mich daran halten.“ Endlich schien Karl zufrieden zu sein.

„Ich muss dir später ein paar Stellen zeigen, die du zusätzlich zum See im Auge behalten sollst. Es gibt nämlich Orte hier, an denen schwule junge Männer es gerne miteinander treiben wollen. Und ich brauch dir wohl kaum zu erklären, dass wir das auf jeden Fall unterbinden müssen.“

Malte wurde unbehaglich zumute. So, wie Karl das sagte, klang es ziemlich widerlich – obwohl so eine Vorstellung eigentlich zumindest einen Funken Geilheit in ihm hervorrufen sollte, verspürte er nichts dergleichen.

---ENDE DER LESEPROBE---