Der Gefangene von Pamu - Hanna Julian - E-Book

Der Gefangene von Pamu E-Book

Hanna Julian

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Beschreibung

Ben Goldensteins Shuttle wird auf dem Weg zum Universitätsplaneten Armstrong V schwer beschädigt. Ein fremder Mann taucht auf, kurz bevor das Shuttle explodiert und Ben das Bewusstsein verliert. Als Ben erwacht, findet er sich in einer Gefängniszelle auf dem Planeten Pamu wieder - und sein attraktiver Retter ist in Wahrheit sein Entführer.

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Der Gefangene von Pamu

Hanna Julian

Impressum 

© dead soft verlag, Mettingen, 2012

© the author

http://www.deadsoft.de

Cover: M. Hanke

Motive:

Mann: © dundanim – fotolia.com

Weltall: © susannmeer – fotolia.com

ISBN 978-3-943678-00-0 (print)

ISBN 978-3-943678-18-5 (epub)

1. Auflage

Dieser Roman ist Fiktion. Orte und Personen sind frei erfunden.

Romanfiguren können darauf verzichten, aber im richtigen Leben gilt: Safer Sex!

Für meine Familie und Freunde, die mich immer so lieb unterstützen!

Und mit ganz besonderem Dank an: Yvi, Dani, Jenny und Max. Ihr seid die Besten!

1. Kapitel

Der Antrieb klang nicht gut. Ben Goldenstein lauschte dem sirenenartigen Geräusch, das zur Linken seines Shuttles zu ihm herein drang. Auf seinem Sichtschirm erstreckte sich nur der dunkle Weltraum, und auch die Sensoren zeigten nichts Ungewöhnliches. Ben fluchte. Er schlug mit der Hand auf den kleineren Monitor mit der Kontrollanzeige. Das war nicht hilfreich, wie er sich eingestehen musste, denn der Bildschirm blieb schwarz.

Seine Technik hatte ihn im Stich gelassen.

Eigentlich sollte Ben in weniger als einer halben Stunde Armstrong V erreichen, um dort als Gastdozent an der Astrouniversität einen Vortrag über interstellare Handelspolitik zu halten. Armstrong V war eigens als Lehr- und Bildungsstätte erschaffen worden, um der explodierenden Erdbevölkerungszahl der letzten Jahrzehnte genügend Raum für das Stillen ihres Wissensdurstes zu bieten. Eine ganze Welt des Lehrens und Lernens auf einer Station im Weltall, auf der es alles gab, was Studenten und Professoren auch auf der Erde erwarten konnten.

Ben zog es dennoch vor, an einer der verbliebenen Universitäten direkt auf seinem Heimatplaneten zu unterrichten. Ab und an jedoch ließ es sich nicht vermeiden, nach Armstrong V zu reisen, um einem weitaus größeren Hörerkreis sein Wissen zu vermitteln. Im Prinzip sprach auch nichts dagegen. Zumindest nicht, wenn alles glatt lief.

Davon konnte im Moment allerdings überhaupt keine Rede sein, denn irgendetwas hatte seinen Gleiter getroffen, ohne dass die Sensoren es rechtzeitig erkannt hätten.

Einem dumpfen Aufprall war gespenstische Stille gefolgt, bis der Antrieb plötzlich aufgeheult hatte und einfach nicht mehr damit aufhören wollte. Irgendwie ließ Ben das Gefühl nicht los, dass ihm sein Shuttle jeden Moment um die Ohren fliegen würde. Die Audioverbindungen zum Kontrollcenter schienen nun ebenfalls unterbrochen zu sein. Ben fluchte laut und unflätig, da ihn ohnehin keiner der Flugüberwachungskontakte mehr hören konnte. Dann versuchte er, sich zu beruhigen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis man ihn holen würde. Ben wusste, dass seine missliche Lage den Kontrollen nicht entgangen war. Wenn er das klägliche Jaulen und Heulen seines Antriebs hörte, war er sich jedoch nicht sicher, ob die Zeit noch ausreichen würde, um ihn zu retten, bevor sein Gleiter ihm unter dem Arsch weg explodierte.

Als gleißendes Licht seine Augen völlig unvorbereitet traf, und daraus ein dunkler Umriss auftauchte, war Bens letzter Gedanke, dass der Tod tatsächlich in Gestalt eines großen, kapuzenbewährten Mannes in Erscheinung trat. Dann verlor er das Bewusstsein.

*

Alles fühlte sich so leicht an, und zugleich auch tonnenschwer. Mühsam öffnete Ben die Augen und erkannte recht schnell, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Er war nicht tot. Doch das war es nicht, was ihn störte. Was ihn zutiefst verunsicherte, war die Tatsache, dass diese Gestalt, deren Körper in einen dunklen Umhang gehüllt war, ihn auf den Armen trug.

Ben war zuletzt als Kind getragen worden und bei seiner jetzigen Körpergröße von 1,85 m hatte bislang noch niemand seitdem das Verlangen gehabt, ihn durch die Gegend zu tragen.

Der Mann, der ihn trug, war ungefähr einen halben Kopf größer als er selbst, und offenbar stark genug, um keine Anzeichen von Mühe zu zeigen. Ben wagte einen genaueren Blick in das Gesicht des Mannes. Ein gut aussehender Kerl, von dem sich die meisten Frauen vermutlich äußerst gerne in der Gegend herumtragen lassen würden – Ben jedoch nicht! Denn auch wenn er auf Männer stand, war diese Aktion doch eher peinlich.

Ben überlegte fieberhaft, was er nun tun sollte. Er fühlte sich ziemlich schwach. Sein Instinkt ließ ihm jedoch ohnehin keine andere Wahl, als sich sofort aus den Armen des fremden Mannes zu befreien. Kaum war ihm das gelungen, versagten seine Beine ihm den Dienst. Abermals wurde er von dem Kapuzenträger gestützt. Ben fluchte hörbar.

Der andere ließ ihn los, als Ben endlich aufrecht stehen konnte, ohne jeden Moment den Boden unfreiwillig zu küssen.

Dieser Boden bestand aus Metall, das Ben und auch sein Gegenüber spiegelte. Die Wände waren aus dem gleichen Material; sie warfen das Licht zurück, das aus kleinen Vertiefungen von schräg unten aus dem Fußboden strahlte.

Ben fröstelte. Was auch immer mit ihm geschehen war, er fühlte sich kraftlos und kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.

Als er ins Schwanken geriet und die Hand wieder nach ihm ausgestreckt wurde, schlug er danach. Er traf, das nahm Ben noch wahr, doch dass sein Körper auf den kalten Metallboden sank, bekam er bereits nicht mehr mit.

*

Erneutes Erwachen, diesmal jedoch wurde Ben nicht getragen. Er fand sich auf einer Pritsche wieder, die in einem spartanisch eingerichteten Raum stand. Dieser wirkte ähnlich steril wie der, den er zuvor gesehen hatte, doch er war wesentlich kleiner. An seinem Fußende saß der Mann, der ihn getragen hatte, eingehüllt in den Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ben richtete sich auf und wich ein Stück vor dem Fremden zurück. Seine Kehle war trocken, doch er schaffte es, seine Stimme einigermaßen fest klingen zu lassen.

„Wo zum Teufel bin ich hier?“

Als der andere nicht reagierte, zog Ben in Erwägung, sich zu erheben und selbst nachzusehen. Er verwarf den Gedanken jedoch, als er sah, dass die Tür über keinen Öffnungsmechanismus verfügte, der ihm ersichtlich war. Ben verspürte wenig Lust, sich noch lächerlicher zu machen, denn dumm vor einer Tür herumzustehen und ein nutzloses ‚Sesam öffne dich’ zu murmeln, war nach der peinlichen Trageaktion nicht auch noch notwendig. Er strich sich das kurze blonde Haar zurück, dann richtete er den kältesten Blick, den seine grünen Augen zustande brachten, auf den Mann am Fußende.

„Was wollen Sie von mir?“

Endlich regte der andere sich, hob die Arme und griff nach seiner Kapuze. Ben war überrascht, als er bestätigt sah, was er bislang nur bei halbem Bewusstsein wahrgenommen hatte. Ein unglaublich schöner Mann kam zum Vorschein. Ebenmäßige Gesichtszüge, warme braune Augen, dunkles Haar, das dem Fremden bis zu den Schultern reichte und ihm etwas Wildes verlieh, obwohl er eine Ruhe ausstrahlte, die wohltuend auf Bens aufgekratzte Seele wirkte. Er ärgerte sich über seine positiven Gefühle dem Mann gegenüber, der ihn offensichtlich bewachte. Überhaupt war der Gedanke, dass der andere attraktiv war, völlig irrelevant. Ben spürte, wie Wut ihn ergriff. Das alles war absolut inakzeptabel! Man hatte ihn gegen seinen Willen hierher gebracht. Wo ‚hierher‘ auch immer sein mochte.

Als der Mann den Kopf zur Tür wandte, bemerkte Ben eine Narbe an dessen Schläfe. Die Haut sah aus, als wäre sie verbrannt worden.

Als der Wärter den Kopf wieder zu ihm drehte, bemerkte er offensichtlich Bens Neugier. Die braunen Augen waren eine Nuance dunkler geworden, ein Sturm war darin aufgezogen.

Ben kam zu dem Schluss, dass er es mit einem verdammt eitlen Fatzke zu tun hatte, der vielleicht auf den ersten Blick absolut umwerfend aussah, es jedoch nicht ertrug, einen auch nur geringen Makel vor anderen Augen zu offenbaren. Da der restliche Körper des Fremden in den Umhang gehüllt war, begann Ben sich zu fragen, ob dieser ebenfalls Makel aufwies, oder ob er so perfekt war, wie man aufgrund der unleugbaren Schönheit seines Gegenübers schließen konnte. Auch wenn es Ben eigentlich einen Scheiß interessieren sollte, wie der Kerl unter dem ganzen Stoff aussah.

Als der andere endlich sprach, klang es, als hätte er Mühe, Bens Sprache zu benutzen.

„Handelspolitik ist nicht, was du bist.“

Ben krauste die Stirn und erwiderte unfreundlich: „Ist mir klar, dass ICH nicht Handelspolitik bin. Habt ihr niemanden hier, der so mit mir sprechen kann, dass ein Dialog auch Sinn ergibt?“

Sein Gegenüber wirkte zerknirscht und ein wenig verzweifelt. „Ich bester Mann.“.

Ben nickte vielsagend und strich sich durchs Haar.

„Wenn du der beste Mann für den Job bist, dann möchte ich die anderen lieber nicht hören“, sagte er spöttisch und verzichtete auf jegliche Form von höflicher Sie-Anrede. Es schien ihm klar, dass sein Gegenüber damit höchstens noch mehr grammatikalische Probleme hätte.

„Ich habe lernt deine Sprache mit gestern.“

„Seit gestern“, korrigierte Ben und stutzte. „Seit gestern?“, echote er dann überrascht.

„Ja, Tag vor das heute Tag.“

„Okay … gestern“, bestätigte Ben und konnte kaum fassen wie relativ die Dinge manchmal von einer Sekunde auf die andere werden konnten. Wenn der Kerl seine Sprache tatsächlich erst seit gestern lernte, dann sprach er sie absolut großartig!

Ein Moment verging in Schweigen, während der andere offenbar über die richtigen Worte nachdachte. Dann wagte er einen neuen Versuch, von dem Ben gewillt war, ihn gnädiger aufzunehmen.

„Handelspolitik kann sein dein Job.“

„Ja, kann sein … ist es auch … gewissermaßen“, gab Ben zurück. Er verstand nicht, was der Mann eigentlich von ihm wollte. Dass sein Spezialgebiet jedoch eine nicht unwesentliche Rolle spielte, und vielleicht sogar der Grund war, warum man ihn hier festhielt, war Ben mittlerweile eindeutig klar.

„Ich lehre Handelspolitik an der Universität. Theorie! Aber ich habe keinen Einfluss auf aktuelle Verhandlungen“, erläuterte er dann, in der Hoffnung, dass es sich um einenIrrtum handelte, wenn man glaubte, irgendwen durch seine Entführung – oder was auch immer das hier war – erpressen zu können. Die Augen des anderen waren forschend auf ihn gerichtet. Ben spürte den intensiven Blick an einer Stelle, an der er nichts zu suchen hatte. Der Kerl rief ein Wohlempfinden in ihm hervor, das völlig unpassend war. Ben schüttelte kurz den Kopf, als könne er die ungewollte Emotion so abschütteln. Er versuchte, sich zu fassen. Vernünftig zu sein zahlte sich immer aus; vor allem, wenn die eigenen Gefühle plötzlich so unvernünftig waren.

„Hören Sie zu, ich möchte sofort hier raus! Lassen Sie mich eine Message senden, damit man mich hier abholt. Ich meine … es ist ja … nett, dass ich … von Ihnen gerettet wurde, aber ...“, er unterbrach sich, als er sah, dass der Blick des Mannes sich verfinsterte. Auch Bens Blick wurde hart, als er fragte: „Sie haben mich doch gerettet, als mein Gleiter explodierte. Oder sind SIE etwa daran schuld? Haben Sie auf mich geschossen?“

Dem letzten Satz hatte er einen fordernden Ton verliehen, auf den sein Wächter nun reagierte, indem er seinem Blick auswich. Ben schwieg einen Moment.

„Verdammt“, murmelte er dann, „Sie haben also tatsächlich auf mich geschossen.“

Irgendwie erschütterte ihn diese Erkenntnis auf eine Art, die über die berechtigte Wut hinaus ging. Verwirrt stellte Ben fest, dass er enttäuscht war … enttäuscht von dem Mann, der ihn getragen hatte, und ihm damit das Gefühl vermittelte, so etwas wie sein Retter zu sein.

Toller Retter, der einen zuvor überhaupt erst in die Lage gebracht hatte, gerettet werden zu müssen.

„Ich mir tun leid“, sagte der Mann leise. 

„Ja, fehlt noch, dass du dir jetzt auch noch selbst leidtust“, begehrte Ben ungnädig auf, das Wissen um dieschlechte Grammatik seines Gegenübers ignorierend. Er wusste, dass der andere ihm eine Entschuldigung hatte zukommen lassen wollen, aber er beabsichtigte nicht, ihm den Gefallen zu tun, sie anzunehmen.

„Was wollen Sie von mir?“, herrschte er den dunkelhaarigen Mann stattdessen an.

„Lehren anderes Wissen“, antwortete sein Gegenüber sofort.

Ben stutzte. „Was? Welches andere Wissen?“

„Wir geschaffen lange vorher vieles von Universum. Anrechte sind nicht geltend gemacht. Nun Zeit zu ändern. Pamu oberster Planet. Wir dir beibringen.“

„Na toll …“, erwiderte Ben tonlos. „Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?“

„Wir sind Pamunianer. Leben auf das Planet Pamu. So kann man sagen in deine Sprache.“

„Pamu? Nie gehört. Und glaube mir, ich kenne jeden verfluchten Planeten dieses Quadranten, der bei einem Handelsabkommen unterschreibungspflichtig ist – und auch jene, die es nicht sind.“

Wutentbrannt über die offensichtliche Lüge funkelte Ben sein Gegenüber an.

„Du Pamu nicht wissen, weil nicht dein Quadrant“, sagte der Dunkelhaarige ruhig.

Ben klappte der Unterkiefer runter.

„Was soll das heißen, nicht mein Quadrant? Wo zur Hölle bin ich hier!?“ Die Panik in seiner Stimme war nun unüberhörbar.

„Du Auserwählter. Weite Reise für dich. Genau darf ich nicht sagen. Deine Ohren sind geheim.“

Beinahe hätte Ben über den neuen Top-Secret-Zustand seiner Ohren gelacht, wäre da nicht die Bestätigung gewesen, dass er ganz bewusst ausgewählt und verschleppt worden war. Auf einen Planeten, der auf der Erde unbekannt war. Das klang überaus beunruhigend.

Ben dachte an Mike, der sich seit einer Woche nicht bei ihm gemeldet hatte. Nicht, seit er sich nach einer weiteren wilden Liebesnacht ohne jeglichen Kommentar noch vor Bens Erwachen davongemacht hatte. Vermutlich würde er ihn nun auch nicht sonderlich vermissen. Ben überkam der Gedanke, dass er in seinem Leben dringend etwas ändern sollte. Denn wenn man einsehen musste, dass nur die Arbeitskollegen einen vermissen würden, wenn man auf einen fremden Planeten verschleppt wurde, dann stimmte eindeutig etwas nicht.

Die Explosion seines Gleiters war sicher nicht unbemerkt geblieben. Man würde ihn suchen. Nein, verdammt, das würde man vermutlich eher nicht. Man würde ihn für tot halten!

Ben spürte, wie ein eisiger Schauer ihn durchlief.

Er fühlte sich mit einem Mal wirklich unendlich allein und vergessen von der Welt.

Der andere schien das zu spüren, wandte den Blick kurz zu Boden und fragte: „Willst du Pause? Verhör später weiter machen?“

Verhör, echote Ben gedanklich.

Das sollte das hier also darstellen – ein Verhör!

Oder – was nicht ganz unwahrscheinlich war – dieser Pamunianer verwechselte die Vokabeln. Sein Gegenüber schien auf eine Antwort zu warten. Ben überlegte fieberhaft, was er nun tun sollte. Wenn er zustimmte, würde der andere vermutlich gehen und ihn allein in diesem Raum zurück lassen. Wenn Ben sich gegen eine Pause entschied, würde der Mann bleiben und ihn weiterhin mit schlechter Grammatik traktieren. Aber das erschien Ben als die weitaus bessere Alternative, statt nun auch noch von dem einzigen Kontakt verlassen zu werden, der ihn nur aufgrund seiner Anwesenheit im Moment am Durchdrehen hinderte.

Ehe er etwas erwidern konnte, wurde die Tür plötzlich geöffnet. Ein Mann, ebenfalls mit Umhang und tief ins Gesicht gezogener Kapuze, trat ein und gab ein deutliches „Tach“ von sich.

Erstaunt über die saloppe Begrüßung erwiderte Ben trocken: „Ja, Tach auch …“, und stutzte, als der Neuankömmling offenbar in seine Heimatsprache verfiel und den Wächter mit einem Redeschwall überhäufte. Eine Vermutung machte sich in Ben breit, als er bemerkte, dass der Neue ihn keines Blickes würdigte. Als dieser kurz darauf den Raum wieder verließ, wandte sich Ben an seinen Bewacher.

„Tach … das ist dein Name, nicht wahr? Du heißt Tach.“

Der andere nickte.

Ben räusperte sich.

„Mit dem Namen würdest du auf der Erde ganz schön für Verwirrung sorgen.“

„Warum?“

„Weil es eine Begrüßung bei uns ist. Eine umgangssprachliche“, erläuterte Ben.

„Ah“, machte Tach und dachte offenbar darüber nach, ob es ihm gefallen würde, auf diese Art für Verwirrung zu sorgen, denn zum ersten Mal huschte ein leichtes Lächeln über sein Gesicht. Ben fühlte dieses Lächeln in seinem Bauch … und redete sich rasch ein, dass es nur der Hunger war, der dieses Gefühl hervorgerufen hatte.

„Könnte ich etwas zu Essen bekommen?“, erkundigte er sich.

Die Miene seines Bewachers verschloss sich wieder.

„Nein. Erst muss sein fertig Verhör.“

Schon wieder dieses Wort. Und die Tatsache, dass er nichts zu Essen bekommen würde, bevor das „Gespräch“ vorüber war, zerstörte Bens Hoffnung, dass Tach lediglich die falsche Vokabel gewählt hatte.

Die Tür öffnete sich abermals. Soweit Ben es beurteilen konnte, betrat der gleiche Mann das Zimmer, der zuvor schon mit Tach gesprochen hatte. Er trug eine Rolle aus schwarzem, stoffähnlichem Material in den Händen und legte sie dann aufden Tisch, der mitten im Raum stand. Mit einer einzigen Handbewegung rollte er das Mitgebrachte auf. Zum Vorschein kamen Messer und Werkzeuge, die beinahe schon altertümlich anmuteten. Es waren scharfe Klingen und spitze Gegenstände, die im Schein der seltsamen Beleuchtung kalt aufblitzten. Folterinstrumente, dachte Ben entsetzt, seine Kehle wurde trocken. Dann strich der Mann, der die bedrohlichen Dinge gebracht hatte, seine Kapuze zurück und grinste höhnisch. Er sprach noch ein paar Worte zu Tach, dann verließ er abermals die Zelle.

Ben saß da wie erstarrt. Es war so offensichtlich, was hier in den nächsten Minuten, Stunden und vielleicht sogar Tagen geschehen würde, dass Ben hilflose Panik verspürte.

Aber noch etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und so versuchte er, sich seine grenzenlose Angst vor drohender körperlicher Qual nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Stattdessen wandte er sich so gefasst an Tach, wie es ihm möglich war.

„Dieser Typ – der von eben – ihr seht euch verdammt ähnlich. Seid ihr Brüder? Zwillingsbrüder?“

Tach runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf.

„Nein, nicht Brüder. Nur gleiches Volk.“

Die Antwort kam gewohnt knapp, aber Tachs Stimme wirkte nun sehr angespannt. Sein Blick streifte die Gegenstände, die auf dem Tisch lagen und darauf warteten, von ihm benutzt zu werden.

Ben spürte, wie seine eigene Atmung flacher wurde.

„Was willst du von mir wissen?“, fragte er, in der Hoffnung, dass sein Wille zur Kooperation ausreichen würde, um ihm die schlimmsten Schmerzen zu ersparen.

2. Kapitel

„Es gibt keine Spur von Professor Goldenstein. Die Trümmer seines Shuttles sind eingehend untersucht worden. Oder sagen wir besser, das wenige, was davon übrig geblieben ist.“

Der Wissenschaftsoffizier Michael Lorenz machte eine Geste, die seine Worte unterstreichen sollten. Lloyd Drake, der Leiter der Untersuchungskommission für Transferunfälle, hob eine Augenbraue.

„Soll das heißen, dass man davon ausgehen muss, dass der Professor bei der Explosion umgekommen ist?“ 

Ein Seufzen entfuhr dem kahlköpfigen Wissenschaftler. Er kratzte sich am Kinn.

„Das kann ich so nicht bestätigen. Fakt ist, dass wir keine Überreste von ihm nachweisen konnten. Aufgrund der Umstände ist es jedoch gut möglich, dass seine Körperzellen und das Knochengewebe durch die Explosion des Antriebs komplett vernichtet wurden. Ich halte es allerdings für wahrscheinlicher, dass die Leiche des Professors ins All geschleudert wurde.“

Drake nickte. „Er könnte auch noch gelebt haben, als er ins All geschleudert wurde. Oder können Sie beweisen, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits eine Leiche war?“

Lorenz senkte den Kopf.

„Natürlich nicht, Sir. Es wäre möglich, dass der Professor den Tod erst im All fand. Wir können es nicht sagen. Einzig die Tatsache, dass er noch am Leben sein könnte, müssen wir vermutlich definitiv ausschließen.“

„Dem ist wohl so, wenn er keine Rettungskapsel an Bord hatte“, sagte Drake. Lorenz schüttelte den Kopf. Drake legte einige Papiere auf seinem Schreibtisch zusammen und sagte: „Ein großer Verlust für uns alle. Sein Wissen war unerreicht und seine Art zu lehren hat ganze Horden von Studenten mitgerissen. Wirklich schade um ihn. Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich muss diesen Bericht dem Leiter der Universität übermitteln, damit er einen Ersatzdozenten nach Armstrong V schicken kann. Das Leben geht weiter und ich habe gleich eine Verabredung zum Mittagessen. Gute Arbeit, Lorenz.“

Der Wissenschaftsoffizier verließ das Büro, um in sein Labor zurückzukehren. Dort ließ er sich auf seinen Stuhl sinken und stützte den Kopf in die Hände. Irgendwie störte ihn, dass er nicht eindeutig nachweisen konnte, dass Goldenstein tot war. Da ein Überleben unter diesen Umständen jedoch völlig ausgeschlossen war, schob er die grüblerischen Gedanken energisch zur Seite und widmete sich dem neuen Projekt, das schon auf ihn wartete.

*

Bens Blick huschte immer wieder nervös zu den Folterinstrumenten, die bislang unberührt auf dem Tisch lagen. Tach hatte ihm inzwischen ein paar Fragen gestellt, die Ben so gut wie möglich beantwortete.

Es waren Fragen, die auf seine Glaubwürdigkeit abzielen sollten, soweit Ben das einschätzen konnte.

„Was hast du Familie?“

„Ich hatte eine Schwester … eine Zwillingsschwester. Sie ist tot. Meine Eltern sind schon lange tot. Sie starben, als wir zwölf Jahre alt waren, bei einem Unglück in den Dantorra-Minen auf dem Mars. Sie waren dort, um sie zu besichtigen, als ein Förderroboter außer Kontrolle geriet und die gesamte Besuchergruppe gegen die Felswand presste. Meine Eltern hinterließen mir und meiner Schwester wenig. Und Verwandte schon mal gar nicht. Sie hatten sich von allem getrennt, was familiär war. Ich wollte diese Kontakte nach ihrem Tod niemals wieder neu auferstehen lassen. Und niemand wandte sich an Viola und mich. Also blieben wir allein, nur beaufsichtigt von der G.z.U.e.K, das ist die Gesellschaft zur Unterrichtung elternloser Kinder. Sie gaben uns das Nötigste, behielten uns im Auge und spuckten uns in die kalte Welt, als wir zu alt für das Förderprogramm wurden. Viola und ich standen uns sehr nahe. Es war schwer für mich, als sie starb.“

Ben verstummte. Ihm wurde klar, dass er viel zu viel preisgab. Doch seine Angst ließ nichts anderes zu. Er fürchtete sich vor dem, was passieren würde, wenn er aufhörte, zu sprechen. Was immer Tach dann unternahm, um ihn am Reden zu halten, würde für Ben einem Albtraum gleichen.

Zu oft hatte er Bilder von denen gesehen, die nach Entführungen verstümmelt heimgekehrt waren. Industrielle, die man um ihr Geld erpressen wollte, und die unter der qualvollen Behandlung bereit gewesen waren, ihr Vermögen jenen zu überschreiben, die ihnen Knochen gebrochen, Schnitte zugefügt und Gelenke zertrümmert hatten. Einem Entführten hatte man beide Augen ausgestochen. Weltraumpiraten kannten keine Gnade.

Ben sah auf die spitzen Werkzeuge, seine Lider zuckten nervös.

„Wir nun etwas anderes machen“, kündigte Tach tonlos an.

Ben wich zurück, als sein Gegenüber aufstand und sich den Folterinstrumenten auf dem Tisch zuwandte.

„Nein, bitte nicht! Ich rede! Ich beantworte alle Fragen. Bitte nicht foltern! Tach, bitte nicht!“

Ben wusste, wie schrecklich erbärmlich er klang. Sein Flehen war peinlich, aber er konnte einfach nicht anders.

Die Züge von Tach wirkten angespannt. Abermals schoss Ben durch den Kopf, wie schön er war. Es erschien ihm auf eine nicht erklärbare Art sehr grausam, voneinem so attraktiven Kerl gefoltert zu werden. Ein Folterer sollte ungepflegt sein, schlechte Zähne haben, stinken und überhaupt wie ein minderbemittelter Schwachkopf aussehen, dem es Spaß machte, andere leiden zu sehen.

Tach war nichts von alledem. Wenn er ihm wehtat, würde in Ben der Glaube an das Gute sterben. Denn Tach sah aus wie ein Engel in Menschengestalt, und an was sollte man noch glauben, wenn Engel zu foltern begannen?

Tach griff nach einem der Messer mit rasiermesserscharfer Klinge.

Ben wurde augenblicklich schlecht. Er verspürte einen Fluchtinstinkt, der hier in seinem Gefängnis erfolglos wäre, also blieb er sitzen, wich zurück und versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu ignorieren.

„Keine Familie … man dich nicht vermissen“, murmelte Tach. 

Treffender hätte man es auch mit korrekter Grammatik nicht ausdrücken können, schoss es Ben durch den Kopf.

Als Tach sich ihm näherte, sah Ben seinem Wächter direkt in die Augen. Er betete, doch er tat es stumm. Zu beten war ein altertümliches Relikt, und normalerweise hätte Ben niemals gestanden, es zu tun. In diesem Moment jedoch hätte er einfach ALLES gestanden, wenn man ihn nur gefragt hätte. Dass er gefoltert werden sollte, obwohl er sich bislang als überaus kooperativ erwiesen hatte, zeigte ihm, dass man es nicht nur auf seine Antworten absah, sondern dass man ihn einschüchtern wollte. Ihn vielleicht sogar zu brechen versuchte, um Details zu erfahren, die nur ein Willenloser offenbarte. Er hätte auch diese gerne geliefert, um sich Qualen zu ersparen. Das Problem war nur, dass die Fragen noch kein Ziel darauf erkennen ließen, was man eigentlich von ihm wollte.

Tach hob das Messer. Die Klinge war hauchdünn, geeignet, um Fleisch sauber zu zerteilen. Ben schloss die Augen, seine Finger verkrampften sich in den Handflächen. Aus seiner Kehle drang ein trockener und abgehackter Laut, dann verstummte er.

„Der Messer ist … sexy“, hörte er Tach sagen. 

Ben stutzte, er öffnete die Augen und sah einen grübelnden Tach vor sich. Als dieser ihm nun fragend in die Augen sah, brachte Ben leise hervor: „Es ist scharf … nicht sexy. Falscher Zusammenhang. Der Körper eines … einer Frau ist sexy, oder auch scharf. Ein Messer ist nur scharf.“

Ben schluckte. Beinahe hätte er als Beispiel den Körper eines Mannes angeführt. Das fehlte gerade noch. Vermutlich hätte er das Messer dann bereits in der Kehle.

„Ja, richtig“, sagte Tach als erinnere er sich an eine Lektion, die er bereits gelernt hatte, und die Ben nun auffrischte.   

Ben verkniff sich jeden weiteren Kommentar, die Augen wie hypnotisiert auf die Klinge gerichtet. Als sie endlich gesenkt wurde, atmete Ben erleichtert aus.

„Ich werde lernen deine Sprache. Morgen wir reden weiter, dann ich spreche besser wie als heute.“

„Das ist ein guter Vorschlag“, gab Ben zutiefst erleichtert zurück. Die Situation war einfach skurril: ein Folterer, der sich selbst mit einer Fremdsprache marterte, um seinem Opfer besser folgen zu können. Vermutlich sollte Ben dafür dankbar sein, denn es schien ihm so, als könne nur ein einziges falsch verstandenes Wort das Messer erneut zum Vorschein bringen. 

Die Tür wurde geöffnet, der gleiche Mann wie zuvor betrat den Raum. Sein Blick streifte den unverletzten Ben, dann sah er Tach eindeutig missbilligend an.

„Delab Tach’anan“, sagte er in höhnischem Tonfall. Er wies auf Ben, während er anfügte: „Ivor’dena dol Delab.“

Plötzlich griff er nach einem der Messer und stürzte damit auf Ben zu. Dieser hob abwehrend den Arm, als der Angreifer auch schon von Tach aufgehalten wurde. Ein kurzes Handgemenge entstand, doch der Aggressor schien sich schnell wieder zu fangen, stieß Tach von sich und herrschte ihn noch einmal mit „Delab!“ an. Dann wandte er sich ab, stieß die Tür auf, und rannte einen anderen Mann fast um, der mit einem Tablett gerade die Zelle betreten wollte.

Tach atmete schwer, er sah zu Ben und schien erst beruhigter, als er sich davon überzeugt hatte, dass dieser nicht verletzt war. Er selbst blutete jedoch an der Hand.

Ben wollte etwas sagen, doch Tach machte eine knappe und überaus ernste Kopfbewegung, die Ben dazu brachte, den Mund zu halten. Der Mann mit dem Tablett betrat den kleinen Raum, stellte seine Last auf dem Tisch ab, schob seine Kapuze zurück und verharrte einen Moment wie im Gebet, dann verließ er wortlos und rasch die Zelle.

Ben saß da und starrte ihm hinterher.

„Der Kerl … er … er sieht genau aus wie du. Und wie der andere Typ. Verdammt … seht ihr etwa alle gleich aus?“

Als er nun zu Tach blickte, wurde ihm klar, dass der ganz andere Probleme hatte. Der Pamunianer presste ein Stück Stoff seines Umhangs auf die Wunde an seiner Hand, um die Blutung zu stoppen. Ben erhob sich, ging zum Tisch und griff nach einem kurzen Zögern den Stoff, auf dem die Folterinstrumente lagen. Sein Blick fiel dabei auf die scharfen Metallwerkzeuge. Wie leicht wäre es nun, eines davon gegen Tach einzusetzen. Ben verwarf den Gedanken. Er schob die Instrumente zur Seite, dann riss er einen Streifen von dem Stoff ab, trat zu Tach, griff nach dessen blutender Hand und wickelte den Stoff wie einen Verband darum.

„Du solltest das desinfizieren lassen. Und vielleicht habt ihr hier so was wie einen Wundschließer?“

Tach nickte nur. Dann blickte er Ben in die Augen und sagte: „Ja, alle sehen aus wie gleich. Nur ich … nicht perfekt.“

Ben stutzte. Was sollte das heißen, Tach wäre nicht perfekt? Der Mann sah umwerfend aus! Doch dann erinnerte sich Ben an die Narbe, die seinem Gegenüber offensichtlich so zu schaffen machte.

„Was heißt Delab in meiner Sprache?“, fragte Ben ihn eindringlich. Tach senkte den Blick. „Es heißen … Versager.“

Ben brauchte einen Moment, bis er den Zusammenhang verstand. „Dann bist du für ihn ein Versager, weil du mich nicht gefoltert hast?“

Tach zögerte, schließlich nickte er kaum merklich, bevor er sagte: „Nicht nur weil das. Auch weil … ich hatte … Angst einmal. Keine Geschichte. Deine Ohren sind geheim.“

„Ah ja … meine geheimen Ohren“, gab Ben leise zurück und grinste schief. Ihm war klar, dass Tach ihm die Geschichte nicht erzählen wollte. Fest stand jedoch, dass Ben verdammtes Glück hatte, Tach als Fragesteller zu haben. Aber auch dieser schien eindeutigem Druck ausgesetzt zu sein. Ben ahnte, dass ihm noch einiges bevorstand.

„Du wolltest essen. Dort“, sagte Tach und deutete auf das Tablett. Ben sah einen Wasserkrug und ein anderes Gebilde. Mit viel gutem Willen ging es als Suppenterrine durch. Als Tach sich zum Gehen wandte, fragte Ben schnell: „Wann erfahre ich mehr über dein Volk, über deinen Planeten … über das alles hier? Wie lange wollt ihr mich gefangen halten … und wozu?“

Tach öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder, ohne etwas erwidert zu haben.

Ben strich sich fahrig die Haare zurück und brachte leise hervor: „Okay, das waren wohl zu viele Fragen auf einmal.“

„Morgen ich bin hier neu“, sagte Tach unsicher.

Ben nickte verstehend. Er verzichtete auf eine Korrektur. Tach würde also erst am nächsten Tag zurückkehren.

Als er die Tür hinter sich schloss, hätte Ben am liebsten laut aufgeschrien. Man ließ ihn allein. Tach ließ ihn allein. Was sollte er tun, wenn nun dieser andere verrückte Kerl zurückkehrte? Plötzlich hatte Ben nur noch wenig Appetit. Er ging seufzend zu dem Tablett und hob den Deckel von der Terrine. Undefinierbarer Brei waberte ihm entgegen. Das Zeug sah aus, als würde es leben. Schnell schloss Ben den Deckel wieder und unterdrückte ein Würgen. Den halb vollen Wasserkrug hingegen trank er in kräftigen Zügen leer. Dann ging er zu der Pritsche, die ihn mehr an eine Gefängniszelle erinnerte, als alles andere. Kaum hatte er sich darauf gelegt, erlosch das Licht und eine diffuse blaue Beleuchtung ging an. Ben legte einen Arm über die Augen. Er spürte Wut und Ohnmacht. Was zum Teufel hatte er nur getan, dass man ihn verschleppte? Wie sollte er es schaffen, wieder zur Erde zu kommen? Und warum sollte man ihn wohl jemals wieder gehen lassen, wenn ihn ohnehin niemand vermisste? Was war nur falsch gelaufen in seinem Leben? Die Nächte mit Mike waren wirklich heiß gewesen … aber anscheinend nicht heiß genug, als dass er ihn damit hätte zum Bleiben bewegen können. Und nun würde er vermutlich nie mehr die Gelegenheit bekommen, Mike davon zu überzeugen, dass er ein Kerl fürs gemeinsame Leben war, statt nur für erotische Liebesnächte. Ben spürte die Panik erneut auf sich zurasen. Man hatte ihn hier völlig in der Hand. Isolation, Verhöre, Folter. Er konnte all dem nichts entgegensetzen. Vielleicht würde man ihm morgen Klingen durch die Haut ziehen. Ihm spitze Gegenstände in den Körper bohren. Ihm das Augenlicht nehmen.

Bens Herz raste, doch es konnte nicht davonlaufen – ebenso wenig wie Ben selbst.

Es dauerte lange, bis er schließlich in den Schlaf fand.

*

Die Anlage surrte leise neben Michael Lorenz. Der Wissenschaftler rieb sich die Augen. Es war inzwischen bereits mitten in der Nacht. Eigentlich hätte er längst nach Hause gehen können, doch der Unfall von Ben Goldenstein ließ ihm keine Ruhe. Abermals hatte er sämtliche Proben durch den Computer geschickt und war nun dabei, die verbliebenen Teile des Gleiters Schicht um Schicht zu zerlegen. Eine Prozedur, die nicht nur zeitaufwändig, sondern auch kostenintensiv war. Es würde nicht leicht werden, dem Institutsleiter zu erklären, warum er die Sache nicht einfach ruhen ließ, sondern stattdessen die mühsam erkämpfte Summe von Forschungsgeldern über Gebühr strapazierte. Was sollte er denen sagen? Dass er da so ein Gefühl hatte? Ja, das klingt überaus wissenschaftlich, dachte er selbstironisch.

Die Anlage vermeldete die erfolgreiche Entfernung einer weiteren Schicht von Fremdkörpern, die sich bei der Explosion um die Legierung des Gleiters gelegt hatte. Lorenz schaltete die Anlage in den Wartemodus, hielt seine Hände unter den Desinfizierer und öffnete dann die kleine Luke, um die bearbeiteten Proben herauszunehmen. Es war insgesamt der dritte Durchgang. Lorenz wusste, dass er Schluss machen musste. Es gab nichts, wonach er eigentlich suchte; es gab nur die Hoffnung, irgendetwas zu finden.

Er legte eines der metallenen Stücke unter die elektronische Lupe und sah auf den Monitor. Einen Moment lang starrte er entgeistert darauf, während seine Hand nach der Brille zu tasten begann, die er in Reichweite auf den Tisch gelegt hatte. Seine Augen waren vor gut zwei Jahren lasertechnisch auf Höchstleistung gebracht worden, dennoch hatte Lorenz die Angewohnheit beibehalten, eine Sehhilfe zu benutzen, wenn er seinen eigenen Augen nicht traute. Und dies hier war ganz gewiss einer dieser Momente!

3. Kapitel 

Ben wurde vom Licht geweckt, das hell die Zelle durchflutete, nachdem jemand den Raum betreten hatte. Schlaftrunken setzte er sich auf und versuchte zu erkennen, wen er da vor sich hatte. Ein Mann mit einem langen Umhang und einer Kapuze, die ins Gesicht gezogen war, stand im Raum. Nichts Neues also. Der Mann fackelte nicht lange und ließ die Kapuze auf seine Schultern sinken. Ben war nicht überrascht, dass der Kerl genauso wie Tach aussah. Ihm fehlte jedoch die Narbe, und der heimtückische Glanz in den Augen verriet Ben, dass es sich um denjenigen handelte, der ihn angegriffen hatte.

„Du kommst bestimmt, um mir einen guten Morgen zu wünschen“, sagte Ben ironisch. Der andere reagierte nicht. Ben hätte alles dafür gegeben, nun an einem anderen Ort zu sein.

Ohne zu zögern, zog der Pamunianer ein Messer hervor. Ehe Ben von der Pritsche springen konnte, hatte der Angreifer schon seinen zweiten Arm gehoben. In der anderen Hand trug er einen Phaser. Ein Strahl daraus traf Ben in die Brust und sorgte dafür, dass er wie ein gefällter Baum auf die Pritsche zurückfiel. Er wollte schreien, aber er musste mit Schrecken feststellen, dass auch sein Sprachzentrum von der Lähmung betroffen war.

Hilflos sah Ben, wie der Angreifer sich ihm näherte und nach seinem Hosenbund griff. In Windeseile hatte er den Gürtel gelöst und zog Ben die Hose über die Hüften. Als der Kerl sich kurz darauf auch an seiner Unterhose zu schaffen machte, hätte Ben ihm am liebsten den Schädel eingeschlagen. Dieser aggressive Wunsch wich jedoch der blanken Panik, als der Pamunianer ihm die Messerklinge unter das schlaffe Glied schob. Ben hielt den Atem an. Eine einzige Handbewegung des Mannes würde nun ausreichen und Ben hätte die längste Zeit in der Schwanzliga mitgespielt. Ihm war hundeelend zumute. Selbst wenn er hätte flehen können, so war Ben sich sicher, dass dies den Pamunianer höchstens noch dazu ermuntern würde, ihm sein Glied abzuschneiden. Und so betete Ben stumm, während er spürte, wie ihm Angstschweiß aus jeder Pore drang.

Ein Grinsen entstand auf dem Gesicht des anderen, das mit jeder Sekunde in die Breite wuchs.

Erst als eine Hand über der Schulter des Mannes auftauchte und ihm ein Phaser an den Hals gedrückt wurde, zog der Pamunianer das Messer unsanft zurück. Ben spürte einen brennenden Schmerz, war jedoch nicht in der Lage, zu schreien. Offensichtlich hatte der sadistische Kerl nicht damit gerechnet, dass Tach so früh nach seinem Gefangenen sehen würde. Obwohl ihm der Phaser immer noch an den Hals gedrückt wurde, erging sich der aggressive Pamunianer offensichtlich in wilden Hasstiraden Tach gegenüber.

Ben, der sich immer noch nicht rühren konnte, sah aus den Augenwinkeln, dass Tach den Phaser blitzschnell fortzog, nur um dann ganz altmodisch seine geballte Faust im Magen des anderen zu versenken. Ein weiterer Schlag folgte, diesmal traf er das Gesicht. Nun geriet der andere ins Wanken, ungläubig führte er die Hand an den Mund und entdeckte das Blut, das ihm aus der Lippe quoll. Laut fluchend verließ er daraufhin die Zelle. Ben konnte nur vermuten, was der Kerl auf dem Weg nach draußen Tach an den Kopf warf. Es war wohl alles andere als üblich, dass die gut aussehenden Männer vom Planeten Pamu sich gegenseitig verletzten.

Tach selbst sah dementsprechend aufgewühlt aus. Ben konnte erkennen, dass dessen Blick seinen Unterleib streifte.

„Du blutest“, sagte der Pamunianer und fügte an: „Ich werde das heilen. Solange lasse ich dich in Starre, damit du stillhältst. Ich kann sie erst lösen, wenn du ruhig bist. Ich darf kein Risiko eingehen. Wenn du nicht ruhig bist, dann wird man dich dazu zwingen, und zu vielem anderen mehr. Hast du das verstanden?“    

Das Einzige, was Ben verstanden hatte, war, dass Tach vorhatte, seinen Schwanz genauer in Augenschein zu nehmen. Alles in ihm schrie danach, endlich aus dieser Starre zu erwachen und Tach seinen Plan auszureden. Der Pamunianer sprach heute bereits so fließend Bens Sprache, doch anscheinend verstand er nicht, wie abgrundtief peinlich es für Ben war, was er nun tun würde.

Ben wagte kaum, den Blick zu senken. Er sah, wie Tach tatsächlich sein Glied anhob und sich den Schnitt ansah. „Das ist gleich erledigt“, ließ der Pamunianer sich vernehmen. Er zog einen Taschenphaser hervor, der für Heilungszwecke auch auf der Erde in ähnlicher Form üblich war. Ben spürte nichts. Nicht einmal Tachs Hand konnte er fühlen und er schalt sich selbst einen Narren, als er darüber ein leises Bedauern empfand. Allein schon diesen Gedanken sollte er wirklich besser vermeiden. Und so empfand Ben auch unendliche Erleichterung, als er sah, dass sein Glied trotz der Berührung schlaff blieb. Der Pamunianer beendete die Behandlung und zog seine Hand zurück.

Es war verwirrend. Tach strahlte etwas aus, das Ben bis ins Mark traf. Am Aussehen allein konnte es unmöglich liegen, denn, wie Ben inzwischen wusste, sahen alle Männer auf diesem Planeten so umwerfend gut aus. Unter anderen Umständen hätte Ben die eben erfolgte Berührung sogar überaus genossen. 

Als Tach sicher war, dass Ben ruhig bleiben würde, erlöste er ihn aus der Starre. So schnell, wie mit zitternden Muskeln möglich, erhob sich Ben und zog seine Unterhose hoch. Doch offensichtlich war es bereits zu spät, denn Tach blickte verwirrt auf die Wölbung, die nun deutlich unter dem Stoff wuchs. Eine verspätete Reaktion auf die Berührung? Oder doch das Ergebnis seiner erotischen Fantasien, die ihm beim Anblick von Tach durch den Kopf gegeistert waren? Was auch immer der Auslöser für die Erektion war, sie war alles andere als gut! Ben biss sich auf die Lippe.

„Ist nur ein Reflex“, brachte er hervor. Es fehlte noch, dass Tach erkannte, wie es um ihn stand. Noch mehr konnte man sich wohl kaum ausliefern. Ben entschied sich für ein Täuschungsmanöver. „Vielleicht solltet ihr lieber versuchen, eure Gefangenen mit einer verführerischen Frau zum Sprechen zu bringen, als durch Folter.“

Ben wusste, dass er Gefahr lief, für zu forsche Reden bestraft zu werden. Allerdings war es ihm das Risiko wert, wenn er Tach nur irgendwie davon abbringen konnte, sich zu sehr auf die eindeutig körperliche Reaktion zu konzentrieren, die seine Berührung ausgelöst hatte.

„Frau?“, fragte der Pamunianer.

„Ja. Wenn die genauso umwerfend aussehen wie eure Männer, dann kann wohl kaum ein Mann einem solchen Verhör widerstehen.“

„Wir sehen umwerfend aus? Ist das gut oder schlecht? Umwerfen kann einen Schaden verursachen.“

Ben brauchte einen Moment, bis er begriff, dass Tach es ernst meinte. Offensichtlich hatte er Bens Sprache inzwischen so gut gelernt, dass er sie nahezu fehlerfrei sprechen konnte. Am Verständnis einiger Redewendungen haperte es allerdings noch.

„Das ist etwas Gutes. Es bedeutet, dass ihr wirklich richtig gut ausseht.“

„Du findest, ich sehe gut aus?“, hakte Tach nach.

Ben verfluchte sich. Er spürte, dass er rot wurde. Klasse, das fehlte gerade noch.

Tach sah ihm forschend ins Gesicht.

„Ja, du siehst gut aus“, knurrte Ben. „Genau wie alle anderen Kerle hier. Ich würde wirklich zu gerne mal eine eurer Frauen sehen.“

Tach hob eine Augenbraue. Seine Stimme klang völlig neutral. „Wir haben keine Frauen.“

Ben riss die Augen auf. „Häh?“, entfuhr es ihm. Dann brachte er hervor: „Ihr habt keine Frauen? Du willst mich verarschen! Was dann? Wie seid ihr entstanden? Bekommen bei euch die Männer die Kinder? Und seid ihr alle schwul, oder was?“

„Schwul?“, echote Tach. Er schien zu grübeln. Dann erhellte sich seine Miene, als habe er begriffen. „Gleichgeschlechtliche Partnerschaft und homosexueller Geschlechtsverkehr“, fasste er knapp zusammen. Dann schüttelte er den Kopf. „Wir haben keine Partnerschaften, und auch keinen Geschlechtsverkehr.“

Ben gab einen verblüfften Laut von sich. Dann sagte er mit leiser Stimme: „Du willst mir sagen, dass ihr keinen Sex habt? Das ist nicht dein Ernst, richtig?“

„Wir pflanzen uns nicht auf diese Art fort.“

„Aber es geht doch nicht nur ums Fortpflanzen. Es geht um … Spaß. Von mir aus auch um Lust und Hormone. Oder auch einfach nur um Stressabbau.“

Tach sah ihn interessiert an, dann fragte er: „Würdest du dich besser fühlen, wenn du nun Sex hättest? Ich kenne die Vorgehensweise. Wenn es deinen Stress abbauen kann, dann kannst du das mit mir machen.“

„Nein! Nein, vergiss es!“, stieß Ben hervor. Er hob beide Hände zur Abwehr und stammelte: „Das ist … äh … nett von dir, aber ich … mach das … nicht so. Nicht mit einem Mann.“

Die Lüge klang in Bens eigenen Ohren nicht mal annähernd überzeugend.

„Deshalb hast du nach einer Frau gefragt. Du sagtest gestern, eine Frau sei sexy. Du bist bereit für Sex, das habe ich gesehen. Eine Frau kann ich dir nicht anbieten. Aber du stehst unter großem Stress, das ist schlecht für ein Verhör, weil deine Gedanken wirr sind. Also könnte Sex nicht schaden. Es würde dich beruhigen.“

„Ist schon okay. Ich komme klar“, versicherte Ben eilig.

Die Situation war absolut skurril. Tach hatte sich ihm gerade angeboten, wie man einem Gast etwas zu Trinken anbot. Für ihn schien sexuelle Befriedigung nichts weiter als eine Notwendigkeit zu sein, mit der er Bens Wohlbefinden zumindest soweit intakt halten könnte, dass dieser einer Befragung weiterhin möglichst kooperativ begegnete. Tach zog es vor, Sex anzubieten, statt Ben zu foltern. Das war absolut verwirrend, und dennoch entbehrte es zumindest nicht einer gewissen Logik, denn er schien Gewalt tatsächlich zu verabscheuen.

Wenn Tach recht hatte, und es keine Sexualität auf Pamu gab, dann kannte er auch nicht die diffusen Regeln, wie man Eros und Schamgefühl miteinander verwob. Er wusste nichts davon, wie unpassend es in vielen Situationen war, zu forsch vorzugehen, oder wie prüde es wirkte, sich nicht im richtigen Moment fallen zu lassen. Und plötzlich begann Ben sich zu fragen, wie Tach wohl reagiert hätte, wenn er auf sein Angebot eingegangen wäre. Hätte Tach sich ihm tatsächlich körperlich zur Verfügung gestellt, nur um ihm einen Gefallen zu tun?

Er hatte gesagt, er kenne die Vorgehensweise … Bei Gott, allein dieser Ausdruck zeigte deutlich, dass er keine Ahnung von den Gefühlen hatte, die durch Sex ausgelöst wurden. Ein Bild entstand in Bens Kopf, das er nur mühsam abschütteln konnte.

Immer noch sah Tach ihn interessiert an. „Was ist das für ein Gefühl?“, fragte er leise, als habe er Bens Gedanken gelesen. Ben stutzte. Meinte Tach tatsächlich, was er glaubte?

„Sex. Was für ein Gefühl ist das?“, stellte Tach klar. 

Ben räusperte sich. „Ein schönes Gefühl. Sehr schön. So ziemlich eines der Schönsten überhaupt. Es ist … umwerfend.“ Ben lächelte, als er erkannte, dass Tach die neu erlernte Redewendung diesmal richtig verstand.

„Ich würde das gerne selbst einmal fühlen“, flüsterte Tach.

Bens Herz schlug plötzlich doppelt so schnell. In seinem Bauch entstand ein Strudel, der in seiner Intensität mit dem Pochen in seinem Glied konkurrierte. Tach feuchtete die Lippen an, wohl, weil das Flüstern sie trocken gemacht hatte.

„Scheiße, hör auf damit“, flüsterte Ben heiser zurück.

„Womit?“, erkundigte sich Tach erstaunt.

„Mich anzumachen!“ Ben war nun viel lauter geworden, als er es beabsichtigt hatte. Augenblicklich tat es ihm leid, als er Tachs gehetzten Blick zur Tür sah. Er hatte offensichtlich Sorge, jemand könne auftauchen und ihm die Rolle des Fragestellers kurzerhand abnehmen. Ben hatte davor mindestens ebenso viel Angst wie Tach … vermutlich jedoch sogar wesentlich mehr.

„Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, du hättest es dir niemals selbst besorgt.“ Ben sprach jetzt wieder leise.

Tach überlegte. „Was heißt das? Selbst besorgt? Was soll ich für mich selbst besorgen?“

Ben stöhnte gequält auf. „Ich meine, du hast dir doch ganz bestimmt schon selbst Lust verschafft. Dich berührt und dich selbst befriedigt.“

Tach dachte abermals über die Worte nach, dann senkte er die schönen Augen kurz auf seinen Schritt, um Ben klar zu machen, dass er begriffen hatte.

„Nein, niemals.“

„Ähm … okay.“ Doch nichts war okay. Es mochte ja sein, dass es hier tatsächlich keine Frauen gab, und dass es nicht zum Sex unter den Männern kam. Doch das alles war in Bens Augen ein Grund mehr, es sich zumindest regelmäßig selbst zu besorgen. Wie konnte ein Mann über einen Schwanz verfügen, ohne ihn gebrauchen zu wollen? Obwohl … vielleicht ... Ben biss sich auf die Lippe, bevor er leise fragte: „Aber anatomisch sind die Pamunianer und wir Menschen identisch, oder?“

Tach nickte. „Ja, nur dass uns in einem bestimmten Alter im Iraiál – ihr nennt es Klinik – die Hoden entfernt werden.“

Ben starrte ihn an. Er öffnete den Mund, aber irgendwie wollte kein sinnvoller Satz über seine Lippen kommen. Tach unterbrach die Stille.

„Ich habe gegen den Eingriff aufbegehrt. Obwohl ich einsehe, dass die Hoden nur Ärger bereiten. Sie werden eigentlich weggemacht, wenn wir in die Bedakar eintreten.“

Ben vermutete, dass das so etwas wie die Pubertät sein musste. Ihm grauste bei der Vorstellung, wie man hier auf Pamu wohl Kastrationen vornahm. Vermutlich benutzte man dazu eines der scharfen Messer. So eines, wie das, was der andere Kerl benutzen wollte, um ihm sein Glied abzuschneiden.

„Dann sind die anderen alle … ohne Hoden?“

„Ja, alle, die ich kenne. Ich bin … nicht perfekt.“

Beinahe hätte Ben laut über diese merkwürdige Aussage gelacht. Auf der Erde zu behaupten, man sei nicht perfekt, weil man über funktionierende Geschlechtsorgane verfügte, wäre einfach grotesk.

„Ich habe mich gewehrt, als man mich in die Station brachte. Warum kann ich nicht sagen, aber ich bekam Panik. Man rechnete nicht mit solchen Komplikationen und war nicht darauf vorbereitet. Ich stieß mit der Schläfe gegen das Gerät, dabei verletzte ich mich und meine Haut wurde an dem Strahl verbrannt, der eigentlich zur Versiegelung der Wunde benutzt wird. Man nahm den Eingriff danach erstmal nicht vor, weil ich verletzt war. Während ich zur Genesung auf der Station untergebracht war, schlich ich mich ins Kontrollzentrum und manipulierte die Daten, damit man mich nicht erneut zur Entfernung rufen würde. Dieser Tag war eine Katastrophe, die ich nie wieder ungeschehen machen kann. Denn nun bin ich nicht mehr perfekt, und die anderen können es mit einem einzigen Blick an meiner Narbe erkennen. Was sie nicht wissen, ist sogar noch schlimmer. Ich meine das Ding zwischen meinen Beinen, das mir Ärger bereitet, und das sich oft genug so nutzlos verhält, indem es hart wird.“

„Das ist nicht nutzlos, glaube mir. Du musst nur wissen, wie du damit umgehst, dann hast du mehr Spaß als jeder Kastrat, der eurer Meinung nach so unglaublich perfekt ist.“

Ben spürte Zorn, stellvertretend für Tach, dem gar nicht bewusst war, welches Unrecht man ihm beinahe angetan hätte.

„Ich kann die Hoden nun nicht mehr entfernen lassen. Man würde erkennen, dass ich ein Betrüger bin, der den Computer aus Angst manipuliert hat.“

Tach war völlig versunken in diese Gedanken, und Ben spürte, wie sehr der Pamunianer sein Verhalten bereute.

Erneut musste Ben daran denken, wie Tach ihm Sex angeboten hatte – unbedarft, ohne eigenes erotisches Verlangen. Zumindest ohne eigene Erfahrungen in diesem Bereich. Ben seufzte.

„Für mich ist deine Angst durchaus verständlich. Himmel, ich würde jeden töten, der versucht, mir die Eier abzuschneiden!“

„Aber warum? Ich habe mir schon so oft gewünscht, ich hätte anders gehandelt. Immer wenn das Ding zwischen meinen Beinen anschwillt, muss ich mit der Angst leben, dass jemand entdeckt, dass es diese Funktion noch besitzt.“

Ben fehlten die Worte. Tach klang wie ein pubertierender Teenager, der Angst hatte, beim Sport mit einem Steifen in der Trainingshose erwischt zu werden.

Er wollte Tach gerade sagen, dass die Weiber sich über den Anblick eines Ständers durchaus freuten, als ihm wieder einfiel, dass es hier ja gar keine Frauen gab. Und zudem nur Männer, denen der Sexualtrieb weitestgehend genommen worden war. Kein Wunder, dass Tach sich nicht normal fühlte und seine Gefühle nicht einordnen konnte.

„Du solltest es dir ab und an selbst machen“, sagte Ben leise aber eindringlich. Er sah Tach bei diesem guten Rat ernst in die Augen.

Ein Moment verstrich in Schweigen.

„Es mir selbst machen … Wie geht das?“

Nun stöhnte Ben gequält auf. Er zögerte kurz, dann sagte er:

„Du reibst ihn einfach. So, wie es dir am besten gefällt, und bis dieses gute Gefühl so stark ist, dass du kommst … Also, bis Sperma herausspritzt.“

Erneut Stille.

„Kannst du mir zeigen, wie das geht?“, fragte Tach schließlich.

Ben starrte ihn an, sein Mund öffnete sich für eine harsche Abfuhr, dann schloss er ihn jedoch wieder, um sich erst einmal zu sammeln.

Auf der Erde würde man so eine Aufforderung für die plumpeste Anmache der gesamten Menschheitsgeschichte halten, vor allem, wenn sie von einem erwachsenen Mann kam. Doch Tachs offener Blick und seine Unbefangenheit in Sachen Sex machten sehr deutlich, dass er einfach nur um Rat und praktische Anleitung bat.

„Nein“, erwiderte Ben dennoch etwas pikiert. „Hör zu, Tach, ich kann dir nur sagen, dass du dich ein bisschen mehr mit deinem Penis beschäftigen solltest. Dass er ab und zu hart wird, ist ganz normal.“

Tach nickte nachdenklich.

„Wie reproduziert ihr euch eigentlich?“, fragte Ben.

Tach zögerte, und beinahe glaubte Ben schon wieder den Satz zu hören, seine Ohren seien geheim, doch schließlich antwortete Tach.

„Es gibt ein Labor, in dem Pamunianer entstehen. Wir alle kommen von dort. Es ist ein Heiligtum, geschaffen von Wakhor selbst.“

„Wakhor, aha … und wer ist das?“

Kaum hatte Ben die Frage ausgesprochen, sah Tach ihn entsetzt an. Dann sammelte er sich und sagte voller Inbrunst: „Wakhor ist das, was ihr Gott nennt.“

„Ah“, machte Ben knapp. Er kannte inzwischen viele Namen für Gott, die in der gesamten Galaxie verwendet wurden. Wakhor war bislang noch nicht dabei gewesen. Dass allerdings Gott selbst ausgerechnet eine Brutstätte für ein einzelnes Volk errichtet haben sollte, während beinahe alle anderen Völker auf Sex, Schwangerschaft und Geburten zur Erhaltung ihrer Art angewiesen waren, stimmte Ben nachdenklich.     

Vielmehr hielt er es für einen ausgeklügelten und größenwahnsinnigen Plan, eine Rasse zu reproduzieren, während man dem Einzelnen seinen Trieb nahm. Doch warum man so etwas forcieren sollte, war Ben unbegreiflich.

Tach presste die Lippen zusammen und Ben ahnte, dass er ihm nun etwas wenig Erfreuliches mitteilen würde.

„Deine Befragung muss jetzt fortgesetzt werden. Anschließend beginnt deine Unterweisung. Ich werde als Dolmetscher eingesetzt.“

„Meine Unterweisung“, echote Ben tonlos.

„Ja, damit du unsere Bedingungen verstehst und weitergeben kannst, zu dem Zweck, dass man in deiner Welt von unserer Macht erfährt.“

Ben unterdrückte den Wunsch, einen höhnischen Kommentar abzugeben.

„Und wer soll mich unterrichten?“, fragte er stattdessen.

„Thorx wird dies tun.“ Tachs Stirn legte sich in Falten.

„Thorx … Sag nicht, dass das der Kerl ist, der mir mit dem Messer einen Kahlschlag zwischen den Beinen verpassen wollte!“

Tach wich Bens Blick aus. Eine eindeutige Geste.

„Nein … warum kann es nicht jemand anderes sein? Was, wenn er es noch einmal versucht?“

„Das werde ich nicht zulassen. Er hat gesehen, dass ich ihn verletze, wenn er es versucht.“

Ben war alles andere als überzeugt.

„Wer garantiert mir, dass er nicht darauf pfeift, dass du eingreifen würdest? Er scheint nicht gerade großen Respekt vor dir zu haben.“

„Er hat keinen Respekt vor mir, weil er meine Narbe sieht und weiß, dass ich nicht perfekt bin. Aber wenn er dich verletzt, werde ich ihn auch verletzen … und dann wird auch er nicht mehr perfekt sein. Davor hat er Angst, weil er dann ebenfalls keinen Respekt mehr erwarten darf.“

Ben atmete tief durch. Er kannte die Gepflogenheiten auf Pamu zu wenig, um einschätzen zu können, ob Tach richtig lag. Da ihm jedoch ohnehin keine Wahl blieb, nickte er nur knapp und sagte: „Dann hoffe ich, dass Wakhor mir gnädig sein wird.“

4. Kapitel

„Das ist eine Technologie, die uns nicht bekannt ist, Sir.“ Michael Lorenz sprach eindringlich, um den verschlafenen Drake auf die Brisanz seiner Entdeckung aufmerksam zu machen.

Der Leiter der Kommission für Transferunfälle gähnte herzhaft. Lorenz wandte kurz seinen Blick vom Monitor ab, über den er mit Drake in Sichtkontakt stand. Er hatte gewusst, dass er mit seiner nächtlichen Botschaft nicht gerade Begeisterungsstürme beim Kommissionsleiter hervorrufen würde, doch die Anlaufzeit, bis der andere endlich kapierte, welch unglaubliche Botschaft er für ihn hatte, dauerte Lorenz einfach zu lange. Er selbst hatte sich nach dem langen Tag noch die halbe Nacht um die Ohren geschlagen. Doch es hatte sich gelohnt!

„Das Material stammt von keinem uns bekannten Planeten. Ich werde weitere Untersuchungen durchführen müssen. Vor allem werde ich auch die anderen Wrackteile genau untersuchen müssen, ob wir noch mehr finden. Es sind nur geringste Anteile des Materials vorhanden, so, als hätte ein fremdes Raumschiff oder was auch immer, Goldensteins Shuttle gestreift. Aber was auch passiert ist, Sir, ich denke, wir haben es hier mit einer Spezies zu tun, die bisher unentdeckt ist!“

Im Hintergrund sah Lorenz, wie sich in Drakes Bett eine Frau regte. Für einen Moment glaubte er, sie hätte vier Beine, bis er erkannte, dass noch eine zweite Frau im Bett lag. Beide waren unbekleidet und verdammt jung. Drake hantierte nun an der Kamera, einen Moment lang zeigte sie nur das Bild seines Schoßes, bis er sie schließlich neu angebracht hatte, und der Blick aufs Bett verwehrt wurde. Lorenz versuchte noch, sich vom Anblick der Unterhose seines Gesprächspartners zu erholen, als dieser knurrte: „Sie unterbrechen meinen wohlverdienten Schlaf, um mir etwas von Weltraummüll zu erzählen?“

Lorenz spürte Wut in sich aufsteigen. Die ganze Nacht hatte er sich für die Wissenschaft und zur Aufklärung von Goldensteins Tod um die Ohren geschlagen, während Drake nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als den Verlust eines Menschenlebens dadurch zu „verarbeiten“, indem er zwei junge Frauen zugleich vögelte. Und nun begriff er nicht einmal die sensationelle Nachricht, die Lorenz für ihn hatte.

„Als Leiter der Kommission für Transferunfälle sollten Sie dem ‚Weltraummüll‘, der nach einem Unglück untersucht wird, vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit widmen … Sir. Ich möchte nur Ihre Zustimmung, dass mir die Gelder dafür zur Verfügung gestellt werden.“ Lorenz hatte seine Stimme beinahe schon drohend klingen lassen.

„Ja. Ja ist gut. Tun Sie das, wenn Sie meinen, etwas entdeckt zu haben“, brummte Drake. „Und sobald ich in meinem Büro bin, erstatten Sie mir umgehend Bericht. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Ja, Sir …“ Lorenz beendete die Verbindung und fügte an: „Du ignorantes Arschloch. Kümmere dich ruhig um geile Mösen, während ich die Welt revolutioniere.“ 

Er griff nach seinem Pad und blickte auf die Computerauswertungen. Dann schüttelte er den Kopf und murmelte: „Was zum Teufel ist nur mit dir passiert, Ben? Warum sollte eine andere Spezies es ausgerechnet auf eine Kollision mit deinem Gleiter abgesehen haben? Die kommen doch nicht einfach her, um dich zu töten und machen dann wieder die Fliege. Mit ein bisschen Glück finde ich mehr von dem Zeug. Und wer weiß … vielleicht macht mich das reich. Wäre doch nicht so verkehrt. Dein Tod wird aufgeklärt, und ich mache ein Vermögen mit neuer Technologie. Also, auf ans Werk!“

*

„Wir werden nun mit der Befragung fortfahren.“

Tachs Augen lösten in Ben das vertraute Gefühl aus. Es kostete ihn eine Menge Kraft, den Blick des Pamunianers zu erwidern, ohne weiche Knie zu bekommen. Es war eine überaus schlechte Gelegenheit, sich emotional so verwundbar zu machen. Das Verhör wurde fortgesetzt, und Ben wusste, dass er keine Macht hatte, sich dem zu entziehen.

„Du hast Verbindungen zu wichtigen Leuten, die über Handelsabkommen entscheiden. Ist das richtig?“