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Weihnachtsspecial mit zwei Storys in einem Band – turbulent, gefühlvoll, atmosphärisch und voller Humor! Schneeflockentanz Gay-Lovestory: Can hat es als schwuler Türke wirklich nicht leicht. Als seine beste Freundin Anne ihn bittet, ihren Cousin Jo für ein paar Tage bei sich aufzunehmen, wird das für Can zur echten Herausforderung. Denn Jo ist einfach zu attraktiv und sympathisch, um Can kaltzulassen. Leider ist Jo jedoch hetero, und Can ist gezwungen, seine ganze Selbstbeherrschung aufzubringen. Das klappt manchmal mehr schlecht als recht - und dann ist da noch sein offensiv schwuler Chef Tobi, der Can's Bemühungen praktisch im Handumdrehen torpediert. Weihnachtsk(r)ampf Turbulente Gay-Story: Miguel plant für seinen Freund Tom und sich das perfekte Weihnachtsfest. Dazu gehören natürlich auch nette Gäste. Dumm nur, wenn die sich als echt schräge Vögel herausstellen. Ein Beo mit losem Schnabel, ein wehrhafter Weihnachtsbaum und allgemeines Geschenke-Chaos sorgen für turbulente Weihnachtsvorbereitungen. Ein Weihnachtsk(r)ampf der sich für Miguel trotz aller Widrigkeiten lohnt.
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Schneeflockentanz
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
Weihnachtsk(r)ampf
Zehn Tage bis Heiligabend
Neun Tage bis Heiligabend
Acht Tage bis Heiligabend
Sieben Tage bis Heiligabend
Sechs Tage bis Heiligabend
Fünf Tage bis Heiligabend
Vier Tage bis Heiligabend
Drei Tage bis Heiligabend
Zwei Tage bis Heiligabend
Ein Tag bis Heiligabend
Heiligabend
Weihnachten
Leseprobe zu „Cys vs. Silvers – River und Armand“
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Text und Covergestaltung des Weihnachtsspecials ©Hanna Julian 2017
Coverfoto Schneeflocken: romasph / 123RF Lizenzfreie Bilder
Schneeflockentanz Mann: Lev Dolgatsjov - Fotolia.com
Weihnachtsk(r)ampf Mann: rdrgraphe - Fotolia.com
Hanna Julian c/o Werneburg Internet Marketing und Publikations-Service
Philipp-Kühner-Straße 2
99817 Eisenach
Die Models auf dem Coverfoto stehen in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Textes. Der Inhalt sagt nichts über die sexuelle Orientierung der Models aus.
Handlung, Orte und Personen sind frei erfunden.
*~*~*
Die Spitzen des Kölner Doms verschwanden in weißen Flockenwirbeln. Can sah zum Himmel und stellte den Kragen seiner Cordjacke auf. Die dunklen Wolken versprachen noch eine Menge Schnee hinab zu schicken, der vermutlich schon in Kürze wieder grauer Matsch sein würde. Jetzt blieb er jedoch auf den Straßen liegen und schien sowohl viele Fußgänger, als auch die Autofahrer total zu überfordern. Lautes Hupen war zu hören und Can war sich sicher, dass die weiße Pracht daran die meiste Schuld trug. Immer wieder wurde der Winter zur Rutschpartie, wenn Sommerreifen plötzlich auf flockig weißen Untergrund trafen. Es war manchmal kaum zu glauben, wie viel Chaos so etwas Profanes wie Schnee im Stadtleben auslöste. Can seufzte und sehnte sich nach Kuşadası zurück. Er hatte einen wundervollen Herbsturlaub im Haus seiner Eltern verbracht, und das Meer und den Sonnenschein bei fast sommerlichen Temperaturen noch einmal so richtig genießen können, bevor er schließlich wieder nach Deutschland hatte zurückfliegen müssen.
Als seine Eltern vor einem Jahr in die Türkei zurückgekehrt waren, hatte Can eine Einzimmerwohnung im Herzen von Köln gemietet, die er sich von seinem Gehalt als Verkäufer in einer kleinen Modeboutique leisten konnte, und zudem noch etwas für seine Freizeitgestaltung übrig blieb. Er war nicht unzufrieden mit seiner Entscheidung, alleine in Deutschland zu bleiben, aber seine Eltern fehlten ihm manchmal schon sehr. Umso wichtiger war es ihm, den Kontakt zu seinen Freunden zu pflegen, die ihn sogar in einem ganz bestimmten Punkt noch besser kannten, als seine Eltern es taten.
Mit seiner Mutter und seinem Vater darüber zu reden, dass er schwul war, kam für Can nicht in Frage. Seine Freunde verstanden das nicht, und ebenso wenig begriffen sie, warum er seine Eltern so sehr vermisste, obwohl sie ihn vermutlich ablehnen würden, wenn sie von seinem Geheimnis wüssten. Can lebte in Deutschland als schwuler Türke in gleich mehreren Hinsichten verschiedene Leben. Aber es war alles nur eine Frage der Gewöhnung, und an das Meiste hatte er sich im Laufe seines Lebens einfach angepasst. An den Schnee, dessen Flocken ihm Dank der stürmischen Böen auf der Domplatte um die Nase wirbelten, war er jedoch immer noch nicht gewöhnt. 'Ist wohl typbedingt', dachte er.
Can senkte den Kopf und umkurvte eine Gruppe japanischer Touristen, die die Objektive ihrer Kameras hemmungslos den nassen Flocken aussetzten, um Fotos vom optisch unvollständigen Dom zu schießen. Da kamen sie von so weit her und jetzt bekamen sie nicht mal das volle Programm. Manchmal konnte man es sich eben nicht aussuchen. Can blickte auf seine Uhr. Er hatte noch zehn Minuten, bis der Zug eintraf, und er zum ersten Mal Annes Cousin Jodokus treffen würde. Can fand den Namen unmöglich, aber seine beste Freundin Anne hatte ihm erzählt, dass ihr Cousin sich Jo nennen ließ, und das fand Can akzeptabel.
Manchmal musste er daran zurückdenken, wie er Anne zu Beginn ihrer Freundschaft erklärt hatte, dass ihr Name in der türkischen Sprache 'Mutter' bedeutete. Sie hatte lachend abgewunken und ihm erklärt, sie wolle gerne seine Freundin sein, aber ganz bestimmt nicht seine Schwulen-Mutti. Überhaupt war Anne manchmal ein bisschen direkt. Eigentlich war Can das inzwischen auch gewöhnt, aber mit ihrer neuesten Aktion hatte sie ihn trotzdem völlig verblüfft. Und sie war auch schuld, dass er nun zum Bahnhof gehen musste, um Jo abzuholen, den er nicht einmal kannte! Er wusste nur, was Anne ihm über ihren Cousin erzählt hatte.
Jo's Freundin hatte sich erst vor recht kurzer Zeit von ihm getrennt. Er hatte daraufhin einen neuen Job gesucht. Anfang des Jahres würde er eine Stelle in einer Anwaltskanzlei in Köln antreten; dies erforderte einen Umzug. Seine neue Wohnung war ab Januar bezugsfertig. Dummerweise hatte er seine alte Wohnung aber schon zum Dezember verlassen müssen und daher zwei Wochen bei einem Freund verbracht, bis es zum Streit zwischen ihnen gekommen war. Für Can war es unbegreiflich, wie man sich mit einem Gast derart streiten konnte, und man ihn dann auch noch aus der Wohnung schmiss. Zumindest wenn er nicht kriminell oder gewalttätig geworden war, schrieb in Can's Augen doch die Gastfreundschaft vor, dass man sich für einen Monat mal zusammenriss. Und genau das war es gewesen, was er Anne auf ihren Bericht geantwortet hatte. Daraufhin hatte sie ihr blondes Haar hinter die Ohren gestrichen und wie ein Honigkuchenpferd gestrahlt. „Ich wusste doch, dass ich bei dir ein offenes Ohr finden würde. Du hast als Türke eben noch ein Gefühl für wahre Gastfreundschaft! Wir würden Jo ja auch aufnehmen, aber bei uns ist einfach zu wenig Platz, seit die Freundin meines Bruders bei uns eingezogen ist. Ich mache drei Kreuze, wenn die beiden endlich ihr Häuschen im Grünen gefunden haben! Aber bei dir kann Jo bis nach Neujahr doch unterkommen. Klar, du hast nur eine Einzimmerwohnung, aber du hast immerhin ein Bett und außerdem eine bequeme Couch, die noch frei ist. Abgesehen davon ist ja bald Weihnachten, und da ist so eine gute Tat sowieso eine super Sache!“ Eine Zeitlang hatte Can Anne daraufhin nur ungläubig angestarrt, bis er die Stimme schließlich gesenkt hatte, damit nicht alle Leute im Bistro hörten, was er einzuwenden hatte.
„Anne, ich bin schwul. Was meinst du eigentlich, wie das funktionieren soll, wenn ich einen Kerl bei mir wohnen habe, mit dem ich ein einziges Zimmer teilen muss? Glaubst du nicht auch, dass er es seltsam finden wird, wenn er diverse Dinge feststellt?“ Anne hatte mit den Wimpern geklimpert und mit einem Grinsen erwidert: „Diverse Dinge? Was denn so zum Beispiel?“
„Das werde ich dir auch gerade sagen! Dinge des täglichen Lebens halt“, hatte Can verärgert erwidert. Daraufhin hatte Anne sich ihren eigenen Reim gemacht.
„Du meinst zum Beispiel so was wie 'ne Morgenlatte? Haben die nicht sowieso alle Männer, wenn sie aufwachen? Oder denkst du, du bekommst einen Steifen, wenn du Jo aus Versehen unter der Dusche siehst?“
Can hatte geschnaubt und tonlos erwidert: „Ja, zum Beispiel so was. Und noch einiges mehr. Mensch, Anne, das ist schließlich meine Wohnung! Da sind Bücher und Filme, die eine Hete sich wohl kaum reinziehen würde.“
Annes Augen waren groß geworden und etwas zu laut hatte sie gefragt: „Du hast schwule Pornos in deiner Wohnung?“
Als der Blick der Kellnerin ihn traf, zischte Can: „Nein, habe ich nicht! Aber schön, dass das halbe Bistro das jetzt denkt … Ich habe aber Filme, die über Schwule handeln.“ Anne hatte daraufhin abgewunken. „Ach, zufällig weiß ich, dass Jo auch schon Brokeback Mountain gesehen hat. Sogar im Kino! Seine Freundin hat ihn damals da reingeschleift. Mach dir also nicht zu viele Gedanken. Es geht doch nur um ein paar Tage, dann bist du ihn wieder los. Oder soll er etwa unter der Brücke schlafen? Dann hat er ja nur noch die Qual der Wahl. Die Severinsbrücke würde sich wegen des Parkplatzes auf der Deutzer Seite anbieten. Da kann er dann sogar noch die Leute um Kleingeld anpumpen, wenn sie ihre Kohle in den Automaten stecken. Oder er nimmt die Deutzer Brücke, oder doch lieber die Hohenzollernbrücke?“
„Jetzt hör schon auf! Du tust ja so, als wäre ich nun allein dafür verantwortlich, was aus ihm wird.“ Anne hatte gelächelt und erwidert: „Irgendwie bist du das auch. Mal ehrlich, Can, was kostet es dich schon, ihn für ein paar Nächte bei dir schlafen zu lassen? Haushaltsgeld bekommst du auf jeden Fall! Und ansonsten ist Jo ein eher ruhiger Typ. Der geht dir ganz bestimmt nicht auf den Sack.“
Can hatte die Augen wegen Annes Wortwahl verdreht. „Kann er denn nicht bei seiner Freundin schlafen?“ „Welche Freundin?“, hatte Anne verwirrt erwidert. „Na die, die ihn in Brokeback Mountain geschleppt hat.“
„Ach die! Nein, die sind doch schon seit ein paar Wochen nicht mehr zusammen. Sie hat sich von ihm getrennt.“ Can hatte geseufzt. „Du sagst das so, als müsste ich das wissen.“ Anne hatte abermals gelächelt und ihre Stimme hatte heiter geklungen. „Ich weiß, dass er bei dir in den besten Händen ist. Du bist einfach ein prima Kerl! Und mach dir keine Sorgen, dass du unfreiwillig auf ihn anspringen könntest. Jo ist hässlich wie die Nacht.“
Das war der Zeitpunkt gewesen, als Can erleichtert und enttäuscht zugleich gewesen war. Schließlich hatte er gemurmelt: „Dann ist es ja kein Wunder, dass seine Freundin ihn verlassen hat. Er soll mal seine Koffer packen, dein hässlicher Cousin. Ich teile meine Wohnung mit ihm bis Neujahr, und dann lädst du mich zum Dank zum Essen ein. Aber nicht an irgendeinen Imbiss, sondern in ein richtiges Restaurant! Und ich möchte auch noch ein Dessert.“ Anne hatte gestöhnt. „Wow, essen in einem feinen Schuppen und womöglich noch so eine fette Herrentorte als Nachtisch?“
„Klingt schon mal nicht schlecht“, hatte Can jovial erwidert. „Na gut, der Deal steht!“ Anne hatte ihn sogar einschlagen lassen. „Weißt du, was mich wundert?“, hatte sie dann gefragt. „Natürlich nicht, aber ich werde es jetzt bestimmt erfahren.“
„Warum hältst du es eigentlich immer noch geheim, dass du auf Männer stehst?“ Can hatte sich die Frage selbst schon mehrfach gestellt, aber immer noch keine Antwort gefunden, die ihn selbst zufriedenstellte. „Ich weiß es nicht genau“, hatte er daher auch erwidert, „aber ich denke, ich habe mich halt viel zu lange verstecken müssen, wegen meiner Eltern und so. Nur weil sie jetzt weg sind, heißt das nicht, dass sich für mich alles so schnell verändert hätte. Ich bin halt einfach noch nicht soweit.“ Anne hatte nur genickt, sich einen neuen Kakao bestellt und das Thema nicht weiter vertieft.
Can hatte inzwischen den Bahnhof betreten und sich am entsprechenden Gleis postiert. Er würde schon mal Ausschau halten, sobald der Zug eingetroffen war, auch wenn Anne mit ihrem Cousin ausgemacht hatte, dass dieser auf Can's Handy anrief, sobald er im Bahnhof stand.
Als der Zug einfuhr, schien es Can eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis die Räder endlich stillstanden und die Türen sich öffneten. Aus dem Inneren des Zuges ergossen sich so viele Menschen auf den Bahnsteig, dass Can's Blick hektisch hin und her wechselte. Bei der Masse, die ihm entgegen strömte, verlor er völlig den Überblick. Aber das Problematischste war, dass sich gleich mehrere Leute das Handy ans Ohr hielten. Okay, die Frauen konnte er schon mal ausschließen, ebenfalls den älteren Herren. Auch der schnuckelige Typ mit dem Fahrrad und dem Rucksack kam nicht infrage, trotzdem blickte Can ihm sehnsüchtig nach, als er an ihm vorbeiging.
Mittlerweile leerte sich der Bahnsteig etwas. Can's Blick fiel auf einen jungen Mann, der in seiner Tasche kramte. Er hatte eine ziemlich schiefe Nase und einen viel zu schmalen Mund. Sein Haar wirkte strähnig und ungepflegt. Neben dem Typ stand eine große Reisetasche auf dem Boden. Can schluckte. Hässlich wie die Nacht … na gut, die Zeit bis Neujahr war ja nicht mehr ewig. Trotzdem hoffte Can, dass er Jo zumindest dazu überreden könnte, irgendwas mit seinen Haaren anzustellen. Er ging auf ihn zu. Als der andere einen Schokoriegel aus seiner Tasche zog, blieb Can wie angewurzelt stehen. Im gleichen Moment begann sein Handy zu klingeln. Immer noch völlig verwirrt, holte Can es aus der Tasche und nahm das Gespräch an.
„Hallo?“, meldete er sich. „Ah, hi! Hier ist Jo“, meldete sich der Anrufer. Der Typ mit dem Schokoriegel schnappte sich seine Reisetasche und ging an Can vorbei.
„Hey, Jo! Wo bist du denn jetzt?“ „Ich stehe noch am Bahnsteig“, hörte Can die Antwort. Er drehte sich um und sah in Richtung Treppen, als Jo auch schon weitersprach. „Ich habe mein Fahrrad dabei und wollte deshalb so schnell wie möglich aus dem Getümmel.“ Und tatsächlich sah Can den süßen Typen von vorhin neben der Treppe stehen. „Okay, ich sehe dich.“ Er winkte. Jo hielt mit einer Hand sein Fahrrad fest und winkte mit der anderen, in der er das Handy hielt, zurück. Er lächelte und Can spürte sofort, wie sein Körper auf diesen attraktiven Kerl reagierte. Er beendete die Verbindung und während er sein Handy wieder einsteckte, murmelte er: „So eine Scheiße! Hässlich wie die Nacht … Anne, du verfluchte Lügnerin!“
Als Can näher kam, fielen ihm Jo's unverschämt blaue Augen auf. Das blonde Haar stand ihm etwas wirr vom Kopf ab, was ihm einen frechen Touch verlieh. Auch das Lächeln wurde irgendwie immer einnehmender, doch je näher Can ihm kam, desto nervöser schien der andere zu werden. Als sie voreinander standen, streckte Jo ihm die Hand hin. „Ist das okay mit der Begrüßung so, oder müssen wir uns küssen?“
Can glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. Hatte Anne ihrem Cousin etwa erzählt, dass er schwul war? Na, die konnte was erleben!
„Also, ich meine, weil du doch Türke bist. Ihr küsst euch doch immer zur Begrüßung, oder? So mit Umarmung und Kuss rechts, links auf die Wange meine ich.“
„Äh ...“, stammelte Can. Einerseits fiel ihm ein Stein vom Herzen, andererseits war er irgendwie enttäuscht, dass Jo nicht Bescheid wusste. Er riss sich zusammen. „Handschlag ist schon okay. Umarmt werden nur Verwandte und gute Freunde. Und eigentlich ist es auch kein Kuss, sondern eher eine Berührung der Wangen.“
„Ah, ist klar“, erwiderte Jo und lächelte erneut. „Und gibt es sonst irgendwas, das ich beachten sollte, wenn ich bei dir wohne? Super übrigens, dass du mich aufnimmst! Bist echt ein prima Kumpel!“
„Das wird sich noch rausstellen“, nuschelte Can, laut sagte er: „Ne, du musst nichts beachten. Fühl dich einfach wie zuhause.“
„Okay“, erwiderte Jo. Can deutete auf dessen Rucksack. „Ist das dein einziges Gepäck?“ Der andere nickte. „Ja, ich habe eine Umzugsfirma beauftragt, die lagert die Sachen für mich ein, bis sie sie in meine neue Wohnung liefert. Kostet eine hübsche Stange Geld, aber das bezahlt die Kanzlei. Das Angebot hab ich jedenfalls sehr gerne angenommen. Ich habe jetzt nur ein paar Kleidungsstücke dabei, zwei Bücher, Rasierapparat, Zahnbürste und so was.“
„Und ein Fahrrad“, ergänzte Can. Jo grinste. „Das ist für mich lebenswichtig.“
„Kann ich mir denken, wenn du es extra mitgebracht hast. Sieht teuer aus.“
„War es auch“, erwiderte Jo nicht ohne Stolz. „Ich bin meist mit dem Fahrrad unterwegs, mache Touren und habe auch schon an Rennen teilgenommen. Wenn ich zu lange aus dem Training bin, ist das nicht gut für die Kondition. Deshalb hatte ich gehofft, wir können es vielleicht schon mal irgendwo bei dir unterbringen.“
„Natürlich“, erwiderte Can. „Wir quartieren einfach dein Fahrrad bei mir in der Wohnung ein und du schläfst im Keller.“
„Ginge es vielleicht auch andersrum?“ Andersrum … Can lächelte schief. „Klar, für dich machen wir es auch andersrum.“ Er wartete, ob Jo irgendwie abwehrend auf seine Provokation reagieren würde, doch da dieser nur dankbar nickte, kam Can zu dem Schluss, dass er wohl nicht deutlich genug geworden war. Er war froh darüber und erinnerte sich selbst daran, dass er mit schlüpfrigen Bemerkungen, die ihn outen könnten, viel vorsichtiger sein musste.
Jo bei sich wohnen zu haben, würde ein echter Härtetest werden. So scharf wie der Typ aussah, würde Can alle Selbstbeherrschung aufbringen müssen, die er irgendwie mobilisieren konnte.
„Dann lass uns mal losziehen. Wir können zu Fuß gehen, dann brauchst du mit dem Fahrrad nicht in die Straßenbahn. Dauert aber ungefähr eine halbe Stunde. Warst du schon mal in Köln?“ Jo nickte. „Ja, schon oft. Es war ein Wunsch von mir, herzuziehen. Daher habe ich mich auch hier beworben.“
„Ach ja“, erwiderte Can und hätte sich am liebsten vor die Stirn geklatscht. War wohl logisch, dass Jo nicht einfach in einer Stadt arbeiten wollte, die er nicht mal kannte.
„Bist du in Deutschland geboren?“, erkundigte sich Jo. Can nickte. „Und, bist du glücklich hier?“ Nun überlegte Can. Diese Frage hatte er nicht erwartet. Normalerweise gingen die Leute davon aus, dass er glücklich in Deutschland war, wenn sie erfuhren, dass er hier geboren war. Er zuckte mit den Schultern. „Ja, ich lebe gerne hier. Aber ich bin auch gerne in der Türkei. Meine Familie lebt dort und ich fühle mich schon sehr verbunden mit dem Land, aus dem meine Eltern stammen. Meine Großeltern leben auch noch und sie können gar nicht verstehen, was ich hier jetzt so alleine mache. Sie wollen immer, dass ich in die Türkei ziehe, damit sie mich häufiger sehen. Aber soviel Kontrolle brauche ich nun wirklich nicht.“ Jo nickte und folgte Can, der ihm den Weg zeigte. Als sie den Bahnhof verlassen hatten, nahm Jo das Gespräch wieder auf, als wäre dazwischen keine Zeit vergangen.
„Ist dir in der Türkei eine Frau versprochen?“ Nun stutzte Can und starrte Jo an. „Hey, tut mir leid! Die Frage war wohl zu persönlich.“
„Nein, nein, ist schon okay. Mir ist niemand versprochen und ich bin niemandem versprochen. Und das ist auch besser so.“
Jo nickte, dann erwiderte er: „Man wirft mir manchmal vor, ich würde zu viele Fragen stellen. Ich fürchte, diese Leute haben Recht.“
„Ein wenig vielleicht“, stimmte Can zu und lachte. Jo stimmte in das Lachen ein und sagte schließlich: „Hör mal, wenn dir irgendwas an mir auf den Keks geht, dann sag es einfach. Ich werde mich dann bemühen, es abzustellen.“ Can stimmte vage zu. Ihm kam in den Sinn, dass ihn am meisten Jo's blaue Augen störten, weil er kaum noch denken konnte, wenn diese ihn fixierten. Und auch Jo's Lippen waren ein Kaliber für sich. Wenn Can sie näher betrachtete, zog es eindeutig in seinem Unterleib. Er kam jedoch zu dem Schluss, dass er von Jo wohl kaum verlangen konnte, ohne Augen und Mund bei ihm einzuziehen … außerdem wären dann immer noch seine Hände gewesen, die so kraftvoll und zugleich zärtlich den Lenker des Fahrrads umfassten, dass Can ganz schummrig wurde. Während sie sich durch die Menschenmassen schlängelten, begann es wieder heftig zu schneien.
Als sie an einer Fußgängerampel warten mussten, legte Jo plötzlich den Kopf in den Nacken, streckte die Zunge heraus und fing damit eine dicke Schneeflocke ein. Sie schmolz in Windeseile. Can, der das Schauspiel beobachtet hatte, wusste genau, dass er das Bild so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommen würde. Er stand unglaublich auf Leckspiele und seine verdammte Fantasie lief geradezu Amok, was so eine Zungenspitze mit ihm anstellen könnte. Er musste sich unbedingt ablenken. Am besten mit einer unverfänglichen Frage.
„Also ist Lecken eins deiner Hobbys? … Lesen, ich meine natürlich Lesen!“, stellte er eilig klar und spürte, dass er rot wurde. Schnell sah er in eine andere Richtung.
„Ach, geht so. Ich habe ja nur zwei Bücher dabei. Das eine der beiden ist das BGB. Das ist eher so eine Art Glücksbringer für mich. Ich hatte mal schlimmen Liebeskummer, und um mich abzulenken, habe ich immer wieder das BGB gewälzt. Bescheuert, ich weiß, aber es hat geholfen! Und dann habe ich noch einen Roman dabei.“
„Welchen Titel?“, fragte Can, um so gut wie möglich von seinem Fauxpas vorhin abzulenken. „Weiß ich gerade nicht“, gab Jo zurück. „Hm ...“, machte Can. „Liest du denn viel?“
„Ab und an. So phasenweise.“ Jo nickte. „Ja, so ist es bei mir auch.“
Während sie vor sich hingingen, sagte Can: „Ich hoffe, Anne hat dir gesagt, dass ich eine Einzimmerwohnung habe. Es wird echt eng werden. Aber immer noch besser, als unter der Brücke.“ Jo nickte. „Solange du damit leben kannst, dein Reich zu teilen ...“ „Logisch. Für ein paar Tage geht das schon.“ Jo grinste. „Du bist trotzdem sicher heilfroh, wenn du mich wieder los bist. Ich hoffe, ich versaue dir keine Dates oder so.“
Damit hatte Jo ihn voll erwischt. Can hatte selbst Anne nicht erzählen können, dass er sich ab und an Sexdates in seine Wohnung einlud. Sie wäre vermutlich ausgeflippt und hätte ihm vorgehalten, wie gefährlich so etwas war. Und damit hatte sie ja sogar Recht. Er hätte sich verteidigen müssen, dass er es eben trotzdem tat. Aber er hatte keine Lust, mit ihr über dieses Thema zu streiten, also ging er den einfachen Weg und verschwieg es. Dass Jo's Anwesenheit nun solche Treffen für ihn unmöglich machte, war keine schöne Sache, aber was tat man nicht alles für die sprichwörtliche türkische Gastfreundschaft? „Oh, sorry, ich rede hier von Dates, dabei hast du vermutlich eine feste Freundin, oder?“, fragte Jo.
Can schüttelte den Kopf. „Nein, hab ich nicht. Keine Verlobte, keine Freundin.“
„Ist ja komisch. Bei deinem Aussehen? Die Frauen fliegen bestimmt nur so auf dich“, mutmaßte Jo. Can sah ihn überrascht an, dann murmelte er: „Eigentlich nicht. Zumindest ist es mir noch nicht übermäßig aufgefallen.“ Er überlegte, ob es zu riskant war, das Kompliment übers Aussehen an Jo zurückzugeben. Aber auch wenn es hundertprozentig stimmte, entschied er, dass er sich damit vermutlich verraten würde. Jo schien das Thema auch bereits wieder abgehakt zu haben. Er blieb plötzlich mitten auf dem Gehweg stehen und handelte sich damit die Beschwerden einiger Passanten ein, die ihm und dem Fahrrad im letzten Moment ausweichen mussten.
Can sah ihm erstaunt zu, wie er erneut den Kopf in den Nacken legte und diesmal mit geschlossenen Augen sein Gesicht dem Himmel zuwandte. Schneeflocken landeten auf seiner Nasenspitze, in seinen Augenbrauen und streichelten seine Wange und die Stirn. „Ich liebe den Schnee“, sagte Jo, schlug die Augen wieder auf und sah Can glücklich an. Dieser räusperte sich und nuschelte: „Ich nicht.“
Nun wirkte Jo überrascht. „Echt nicht? Ich finde ihn faszinierend. Wusstest du, dass keine Schneeflocke der anderen gleicht? Sie sind alle verschieden. Individuen, die sich verbinden und trotz ihrer Unterschiedlichkeit miteinander tanzend zur Erde fallen, um unsere Welt eine Zeitlang mit ihrer Schönheit zuzudecken.“
Can konnte fühlen, was Jo's Worte ihn ihm bewirkten. Sie berührten ihn tief innendrin, wie er es eigentlich nur von Musik kannte, die ihm gefiel. Er war unfähig, etwas zu erwidern und so nickte er einfach.
Sie gingen einen Teil des Weges schweigend, bis Can schließlich sagte: „Wir sind da.“
Jo sah an der Fassade des Mietshauses hinauf. „Welches Stockwerk?“
„Viertes. Aber es gibt einen Lift.“
„Ich nehme eigentlich immer die Treppe“, erwiderte Jo. Can schloss die Haustür auf und ärgerte sich, dass es im Flur so muffig roch. „Wo ist denn deine neue Wohnung?“, fragte er. „Im Severinsviertel. Nur drei Straßen von der Kanzlei entfernt, in der ich arbeiten werde. Die Wohnung wird gerade frisch renoviert, deshalb kann ich auch erst im Januar rein. Sie hat zwei Zimmer und einen kleinen Südbalkon.“
„Klingt super!“, sagte Can, dann fügte er an: „Wird auf jeden Fall eine krasse Verbesserung zur Übergangslösung bei mir.“ Jo erwiderte nichts, sondern wandte verlegen den Kopf ab. Es war das erste Mal, dass Can den Eindruck hatte, dass Jo sich über sich selbst ärgerte. Und obwohl er tatsächlich ein wenig neidisch hätte sein können, freute er sich für ihn, dass er es mit seiner Wohnung so gut angetroffen hatte.
„Dann lass uns mal als erstes dein Fahrrad in den Keller bringen“, schlug Can vor.
Als sie nur wenig später die Wohnung betraten, sagte Jo: „Ist schön hier.“ Can zuckte mit den Schultern. „Vor allem ist es halt klein. Aber ich komme gut klar. Alleine. Also, zu zweit müssen wir mal sehen.“ Jo lachte. „Du hättest dir bestimmt auch gewünscht, das nicht unbedingt mit 'nem, anderen Kerl auszuprobieren.“
„Hm...“, machte Can unbestimmt. Als Jo einen quadratischen, hellen Fleck an der Wand begutachtete, sagte Can schnell: „Da hing ein Bild, aber es ist mir runter gefallen und kaputt gegangen.“ Jo's Blick wanderte zum nächsten Fleck. „Das auch?“
Can verfluchte sich selbst, weil er vergessen hatte, die Bilderrahmen neu zu bestücken und wieder aufzuhängen, nachdem er die ursprünglichen Bilder zur Tarnung lieber entfernt hatte. Das war ja nun mal echt peinlich! Er musste sich was einfallen lassen, und zwar schnell!
„Das hab ich auch abgehangen, weil es ohne das andere irgendwie doof aussah.“ „Okay. Und stimmt natürlich, die beiden Flecken passen so wieder perfekt zueinander“, sagte Jo und zwinkerte ihm amüsiert zu. Can kratzte sich verlegen an der Stirn. Es war gar nicht so einfach gewesen, die ganzen verdächtigen Sachen aus dem Blickfeld zu entfernen. Nun fristeten sie in seinem Kleiderschrank ihr Dasein, und warteten darauf, dass der Heten-Besuch wieder verschwand.
Jo stellte seinen Rucksack auf dem Boden ab. „Ist das meine Couch?“, fragte er.
„Ne, es ist meine. Aber du darfst sie benutzen“, erwiderte Can grinsend.
„Sieht bequem aus.“ Jo setzte sich probeweise darauf. „Könnte ich mal das Bad benutzen?“, fragte er dann.
„Klar. Fühl dich ganz wie zuhause … das ist ja schließlich der Sinn des Ganzen. Das Bad ist hinter dieser Tür. Die andere führt zur Küche. Und das war's auch schon.“
„Okay, die Küche sehe ich mir dann gleich an, in Ordnung?“
„Ja, das sollte klargehen. So wie ich meine Küche kenne, wird sie nicht weglaufen.“ Can sah zu, wie Jo im Bad verschwand, dann ließ er sich auf die Couch fallen und seufzte. Jo's Zunge kam ihm wieder in den Kopf. „Lass den Scheiß“, fauchte er sich selbst an.
„Hey, kann ich schnell duschen?“, erklang Jo's Stimme aus dem Bad.
„Ja, mach ruhig!“, rief Can zurück, flüsternd fügte er an: „Dusch ruhig ... hol dir einen runter … was auch immer. Verdammt, ich glaube, diese zwei Wochen überleb ich nicht.“
Als ein paar Minuten später die Tür wieder aufging und Jo nur mit einem Handtuch um den Hüften das Zimmer betrat, wusste Can gar nicht wohin er schauen sollte. Wie guckte man bloß gleichgültig, wenn man den anderen in Wahrheit am liebsten auf der Stelle abschlecken wollte? Jo's schlanker Körper war offensichtlich gut durchtrainiert. Kein Wunder, wenn er regelmäßig Radrennen fuhr. Über dem Handtuchrand prangte ein verführerisches Sixpack, und was darunter war, interessierte Can so brennend, dass er große Schwierigkeiten hatte, seinen Blick nicht zu auffällig auf der Beule im Handtuch ruhen zu lassen.
„Kannst du mir mal meinen Rucksack angeben?“, fragte Jo und streckte schon eine Hand danach aus. Hastig senkte Can den Blick, um das Gewünschte zu suchen und anzureichen. Kaum hatte Jo den Rucksack entgegengenommen, ließ er das Handtuch einfach zu Boden fallen. Can glaubte beinahe, ihm müssten die Augen raus springen, als er Jo's Glied sah. Nicht zu groß, nicht zu klein, sondern genau nach seinem Geschmack. Wie es wohl im erigierten Zustand aussah? Can kam ins Schwitzen. Sein Gast verpackte das Objekt seiner Begierde ungerührt in einer frischen Unterhose und suchte dann Socken und weitere Anziehsachen aus seinem Rucksack.
'Das hier ist ja wohl der absolute Härtetest', dachte Can und spürte, wie sein eigenes bestes Stück sich zu regen begann.
'Jetzt bloß keinen Steifen bekommen', beschwor Can sich selbst und dachte an etwas möglichst Abstoßendes.
„Alles okay? Du siehst aus, als wäre dir schlecht“, sagte Jo. Can sah ihm kurz in die Augen und nuschelte: „Ja, mir ist ein bisschen schlecht. Vermutlich vor Hunger.